Initiative Anti-Burn-out - wenn Arbeit Spaß macht
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Initiative Anti-Burn-out – wenn Arbeit Spaß macht Genug von Burn-out, Stress und Frust? Dann sind Sie hier richtig: Wir widmen uns dem Spaß im Leben, der Arbeit. Denn wer sagt, dass Arbeit nicht Spaß sein kann? Ar- beit macht nicht zwangsläufig krank, sondern kann – wenn richtig gewählt – auch das Gegenteil bewirken und glücklich machen. Vielleicht aber sitzen Sie im falschen Büro? Oder stimmen die Rahmenbedingungen nicht? Vielleicht macht der Job so viel Spaß, dass man doch Gefahr läuft, andere Lebensinhalte zu vernachlässigen? Hier ein paar Anlässe zur kritischen Selbstreflexion – mit literarischem Abschluss bzw. Ausblick ... Redakteure des Radiosenders NDR1 Welle Nord können Sie sich auch noch Ihre Lieblingshits wün- machen sich für die Sendung „Mehr Spaß am Ar- schen!“ Wunderbar. Haben Sie sich schon gefragt, beitsplatz“ regelmäßig auf den Weg, um Menschen zu was Ihnen an Ihrer Arbeit gefällt? Oder worüber Sie ihrer Arbeit zu befragen: „Vormittags kommen wir zu sich zuletzt besonders gefreut haben? Und wie viel Ihnen – ins Büro, in die Bäckerei, in den Friseursa- Platz hat der Lieblingshit – also der Spaß – in Ihrem lon und in die Werkstatt. Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeitsalltag? Arbeit muss nämlich nicht zwangsläu- Arbeit? Haben Sie sich über etwas besonders gefreut fig krank machen und zum Burn-out führen, sondern oder vielleicht auch geärgert? Erzählen Sie uns über kann auch Glück bringen und Sinn stiften. Dafür sind Ihre Arbeit, lassen Sie Ihrem Ärger über die zuletzt natürlich verschiedene Voraussetzungen notwendig, Text: Ulrike Delacher Fotos: iStockphoto, BLICK- missratene Dauerwelle freien Lauf oder bedanken Sie einen großen Teil können wir aber auch selbst zu un- FANG photographie sich einfach mal bei Ihren netten Kollegen. Und dazu serem Glück beitragen. 88 eco.nova
Carpe vitam! Wofür wir uns im Leben alles Zeit nehmen: Für 23 Jahre Schlaf, 7 Jahre für Nahrungsaufnahme, 4,1 Jahre verbringen wir mit Körperpflege und 2 Jahre sitzen wir in der Badewanne. 1,45 Jahre vertelefo- nieren wir (140 Tage davon hängen wir in der War- teschleife), Männer widmen 380 Tage ihres Lebens ihren Hobbys, Frauen 152 Tage. Gemeinsam aber lachen wir durchgehend 11 Tage lang. Insgesamt 7 Jahre verbringen wir in der Arbeit, 8 Monate davon werfen wir Spam-Mails in den Papierkorb. Etwa 13 Prozent unserer Arbeitszeit verbringen wir mit Su- chen, das sind durchschnittlich 6 Wochen im Jahr für die Suche nach Notizen, Rechnungen, Schriftstü- cken, E-Mails usw. So gefunden auf der Website love your life. Das gibt zu denken. 140 Tage Warteschleife und 8 Monate Spam-Mails vernichten – da kann man nicht von einem erfüllten Zeitvertreib sprechen. Die viel zitierten Zeiträuber sind Stressverursacher und schnellstens zu vermeiden, dafür allerdings müssen sie erst einmal ins Bewusstsein rücken. „Das beginnt mit der Selbstwahrnehmung: Was stresst mich? Menschen im Hamsterrad müssen erkennen, dass Dinge veränderbar sind und gar nicht unbedingt ein Jobwechsel notwendig ist, um manches zu ändern“, erklärt Coach und Supervisorin Mag. Christina Ar- nold. „Je mehr wir unter Termindruck stehen, desto mehr fühlen wir uns getrieben und umso mehr haben dem ich mich selbst besser kennenlerne, und dazu wir das Gefühl, keine Zeit zu haben – für uns selbst, gehört, manche Dinge einfach auszuprobieren, eigene für Wesentliches, fürs Leben. Wir können nur eines Erfahrungen zu machen“, erklärt Christina Arnold. dagegen tun: langsamer werden. Eine alte Weisheit formuliert es so: ‚Wenn Du es eilig hast, gehe lang- Entscheidungsfindung im System eco.gesundheit sam’.“ Die Expertin gibt praktische Tipps, die jeder Steht eine berufliche Entscheidung an, arbeitet sie einhalten kann: „Finden Sie Ihre Tagesstruktur, in- als zertifizierte systemische Beraterin auch mit der dem Sie Pausen machen, sich für körperliche Bedürf- Methode der systemischen Aufstellung in der Grup- nisse wie für die Toilette auch die Zeit nehmen, legen pe: „Bei dieser Art der Aufstellung nehmen andere Sie eine fixe Mittagspause ein. Wenn Sie zu sehr ins Personen verschiedene Positionen für meine Ent- Gedränge kommen, gehen Sie auch mal außer Haus scheidungsmöglichkeiten ein: Jemand aus der Grup- für kurze Zeit, das alles hilft dabei, die Hektik zu ver- pe stellt sich für das eine – z.B. Arbeiten im Labor langsamen.“ – auf, eine andere Person steht für das andere – z.B. ins Ausland gehen –, jemand repräsentiert ‚Keines von Der Weg zur erfüllenden Arbeit beiden‘, eine vierte Person steht für ‚das ganz andere‘. Der Traumjob setzt schon als Begriff hohe Maßstäbe. Die Personen werden zu Stellvertretern für bewusste Voraussetzung dafür allerdings ist, dass man selbst es und unbewusste Gedanken und Gefühle gemacht erst einmal für möglich hält, eine Tätigkeit zu finden, und geben wertvolle Rückmeldung, wie sich die je- die zufrieden macht. Jeder kennt Beispiele von Men- weilige Berufswahl anfühlt. Daraus kann ich dann schen, die eine erfüllende Arbeit gefunden haben. Rückschlüsse für meine Entscheidung ziehen.“ Vielleicht ist es die Selbständigkeit, vielleicht muss man zuerst einige Arbeitsplätze ausprobieren bis zum Gesundheitsfördernde Arbeitsplatzkultur richtigen, oder aber man verändert im bestehenden „Stellen Sie sich vor, die Mehrheit Ihrer Mitarbeiter Job so lange kleine und große Dinge, bis man zufrie- würde folgender Aussage vollkommen zustimmen: den ist. ‚Ich freue mich, in die Arbeit zu kommen.‘ Bei den be- „Auf dem Weg zur erfüllenden Arbeit treffen wir zu- sten Arbeitgebern ist das so!“, behauptet Great Place erst einmal die Entscheidung zur Ausbildung – also to work, ein Forschungs- und Management-Bera- welche Tätigkeit liegt mir überhaupt? – und später tungsunternehmen mit Niederlassung in Österreich. die Entscheidung, welchen Platz im Unternehmen Seit 1980 hat das Institut eine Vielzahl von Mitar- ich einnehmen möchte, um mich optimal entfalten zu beitern interviewt und Arbeitgeber untersucht, um können. Für Ersteres gibt es verschiedene Tests, die zu verstehen, was einen ausgezeichneten Arbeitsplatz ein realitätsnahes Bild der persönlichen Kompetenzen ausmacht. „Wir wissen, dass Vertrauen zwischen und Neigungen zeichnen und daher zur Orientierung Mitarbeitern und Management die Grundvoraus- gut geeignet sind. Meine Berufung entdecke ich, in- setzung eines jeden ausgezeichneten Arbeitsplatzes eco.nova 89
ist. Manager glauben, dass ihre Mitarbeiter gute gends geschrieben steht, in welchem Verhältnis die Din- Leistungen erbringen wollen, und ermutigen diese, ge zueinander zu stehen haben. (...) Zum anderen spiegelt sich an der Entwicklung des Unternehmens zu be- Work-Life-Balance die falsche Vorstellung, es handle teiligen. Die Mitarbeiter wiederum begeistern sich sich bei Arbeit und Leben um zwei feindliche, einander für ihre Arbeit und den Auftrag des Unternehmens.“ abstoßende Pole.“ Dabei ist Arbeitszeit ebenso Lebens- Managing Director Dr. Erich Laminger kommen- zeit. Allerdings ist Abschalten und Batterien aufladen tierte dazu im Wirtschaftsblatt: „Das Geheimnis durchaus angeraten: „So sehr der Job auch Spaß macht, solcher Unternehmen liegt in ihrer Organisations-, es gibt im Leben keine 100 % Sicherheit, dass der Zu- Interaktions- und Prozesskultur. Es herrscht ein of- stand fortbesteht. Schon alleine deshalb sind die Pflege fenes, konstruktives Grundklima des respektvollen von Freundschaften auch außerhalb des Betriebes, eine Miteinanders – einschließlich der offenen Chefzim- persönliche Tagesstruktur und eine fixe Urlaubsplanung mertür. Die Abläufe im Unternehmen sind für alle notwendig. Die Erfahrung zeigt mir, dass, je höher der Beteiligten transparent, die Mitarbeiter können sich Termin- und Leistungsdruck im Berufsleben ist, desto einbringen und erleben ihre Arbeit als für das Ge- länger dauert es, im Urlaub ‚herunterzukommen’. Das ist samte bedeutungsvoll, sie sind stolz auf ihre eigene kaum innerhalb einer Woche möglich, planen Sie drei Tätigkeit und das Unternehmen. Teamarbeit und Wochen zur Erholung ein. Je stärker der Stress, desto Kooperation werden gefördert, die Mitarbeiter ha- länger dauert die Regenerationsphase. Dies gilt auch für ben Spaß an der Arbeit und feiern dann und wann die Wochenenden: Wenn mich Arbeitsplatzthemen ins auch miteinander. Auch während des normalen Ta- Wochenende begleiten und ich mich am Sonntag schon gesgeschäfts spüren die Mitarbeiter Wertschätzung, wieder auf die Herausforderungen der kommenden sie erhalten sehr viel häufiger Lob als Kritik. Eine Woche vorbereite – wann bleibt Zeit, zu mir selbst zu solche Arbeitsplatzkultur ist gesundheitsfördernd, kommen? Der Erholungswert ist hier sehr gering“, er- gesund fürs Unternehmen und seine Entwicklung, klärt Supervisorin Arnold. Sie rät zum Innehalten mit aber auch gesundheitsfördernd für die dort arbei- selbstreflexiven Fragen wie: „Möchte ich das noch bzw. tenden Menschen und deren persönliches Umfeld.“ möchte ich so weitermachen bis zur Pensionierung? Wie gelingt es mir, abzuschalten?“ Vereinbarkeit von Arbeit und Leben Essayist Helmut A. Gansterer entlarvt die „sprachlich Ein besonderes Beispiel für Work-Life-Balance hat interessante, musikalisch harmonische und doch gefähr- Heinrich Böll bereits vor 50 Jahren in seiner Anekdote liche Wortschöpfung“ der Work-Life-Balance auf zwei- zur Senkung der Arbeitsmoral beschrieben – und auch erlei Weisen: Zum einen „suggeriert das Wort Balance wenn man es kaum glauben mag, die Anekdote ist aktu- eine wünschenswerte Gleichgewichtigkeit, obwohl nir- eller denn je ... Und Ihnen noch viel Spaß bei der Arbeit! 90 eco.nova
später dann ein. Ein Beispiel: Kürzlich kontaktierte mich ein Informatiker in Führungsposition von einem großen Unternehmen. Nach einem bereits erlittenen Herzinfarkt und der Drohung seiner Frau, ihn zu ver- lassen, wollte er sich innerhalb kürzester Zeit ändern und sich besser von der Arbeit abgrenzen. Gleichzeitig spielten aber Gefühle wie der Erste sein zu wollen und unersetzbar zu sein mit in den Prozess hinein. Er hatte sich seine Identität über den Beruf geschaffen, und da ist es sehr schwer, sich zurückzunehmen und seine Bedürf- nisse nach Macht und Einfluss nicht mehr zu stillen. Der Rückzug wird oft als narzisstische Kränkung erlebt und nicht rechtzeitig vollzogen. Im Gegensatz zum Po- litiker Pröll beispielsweise, der sich ganz klar für seine Gesundheit entschieden hat. Ein gutes Klima am Arbeitsplatz ist einer der häu- figsten Wünsche bei Mitarbeiterbefragungen. Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Störfaktoren? Am häufigsten sind es irgendwelche Konflikte, die uns am Spaß bei der Arbeit hindern. Diese rauben allen Betroffenen Energie und beeinträchtigen das Arbeits- klima. Konflikte auf persönlicher Ebene lassen sich am besten lösen, indem man offen miteinander spricht. Konflikte auf der systemischen Ebene sind oft sehr subtil und die Zusammenhänge unklar. Hier kann eine syste- mische Aufstellung Klarheit bringen. Der Mitarbeiter erkennt dabei vielleicht, dass der Chef nichts gegen ihn Mit System zum positiven Arbeitsklima persönlich hat, sondern ihn sogar schätzt und er das bisher nur nicht wahrgenommen hat. Auch auf Team > Im Gespräch mit Mag. Christina Arnold, Coach, ebene birgt die Ignoranz von systemischen Ordnungen eco.gesundheit Systemische Aufstellungen, Supervisorin viel Konfliktpotential. Kommt zum Beispiel ein neuer Mitarbeiter, ist es für ihn nicht immer einfach, im Team Das Institut für systemische Weiterbildung in Birgitz Fuß zu fassen, selbst wenn er die Tätigkeit gerne ausübt hat sein Angebot unter anderem auf die Herausfor- und qualifiziert dafür ist. Das kann systemische Ursa- derungen des beruflichen Alltags zugeschnitten: Se- chen haben: Vielleicht wurde der Wunschkandidat des minarthemen lauten „Beruf & Berufung – Berufung Teams für die Position nicht berücksichtigt. Vielleicht entdecken, authentisch leben“, „Zeitmanagement“ und hat dieses neue Teammitglied die bisherigen Leistungen „Burn-out-Prophylaxe“. Interessiert hat uns auch die des Teams nicht gewürdigt. Oder der Neuankömmling Methode der Organisationsaufstellung als Mittel für respektiert nicht, dass die anderen Teammitglieder be- effiziente Unternehmensführung. Wir haben bei In- reits länger da sind und ältere Rechte haben als er. Nega- stitutsleiterin Mag. Christina Arnold nachgefragt. Die tiv wirkt sich auch aus, wenn z.B. bei Teilzeitangestell- Arbeitsschwerpunkte der zertifizierten systemischen ten im Team deren Recht auf Zugehörigkeit geringer Beraterin liegen im Coaching, in der Supervision und in eingestuft wird. systemischer Aufstellungsarbeit. Wie kann der Arbeitgeber sich einbringen, um ein posi- eco.nova: Was ist förderlich für den Spaß an der Arbeit, tives Arbeitsklima zu schaffen? und was zählt zu den Spaßbremsen? Der Arbeitgeber kann sehr viel tun. Angefangen bei ei- Mag. Christina Arnold: Wichtig ist, dass mir die Tä- ner positiven inneren Haltung gegenüber den Mitarbei- tigkeit grundsätzlich gefällt, dass die Verantwortung, tern über lebensfreundliche Rahmenbedingungen (flexi- die ich im Job zu tragen habe, mich weder über- noch ble Arbeitszeiten, angenehme Räumlichkeiten, gesunde unterfordert. Dann spielt das soziale Umfeld eine ganz Arbeitsbedingungen, Weiterbildungsangebote usw.) bis wesentliche Rolle: nette Kollegen und Kolleginnen und hin zu guten Begrüßungs- und Abschiedsformen. Vorgesetzte sowie ein angenehmes Betriebsklima. Dazu Diese haben aus systemischer Sicht sehr große Bedeu- kommt, dass ich mir bewusst mache, dass auch für die tung für das Betriebsklima. Die persönliche Vorstellung Arbeit – so gut sie mir gefällt – keine 100%ige Sicher- eines neuen Mitarbeiters durch den Chef signalisiert sein heit gegeben ist und ich mir Kontakte und Aufgaben Vertrauen in den „Neuen“, seine Akzeptanz. Die Loya- auch außerhalb suche. Auch das effiziente Aufladen der lität des Teams muss ja vom Vorgänger übertragen wer- Batterien hilft. Viele können nämlich gar nicht richtig den, eine Ernennung und Bekanntgabe mittels E-Mail abschalten – und da bremst sich der Spaß früher oder ist nicht zielführend. Auch die Verabschiedung von Pen- eco.nova 91
Heinrich Böll: Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See mit friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fischermütze. Klick. Noch einmal: klick, und da aller guter Dinge drei sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick. Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläf- rig aufrichtet, schläfrig nach einer Zigarettenschachtel angelt; aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Hand gelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges, schließt die eilfertige Höflichkeit ab. Durch jenes kaum messbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist – der Landessprache mächtig – durch ein Gespräch zu überbrücken versucht. „Sie werden heute einen guten Fang machen.“ Kopfschütteln des Fischers. „Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist.“ Kopfnicken des Fischers. „Sie werden also nicht ausfahren?“ Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiss liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpasste Gelegenheit. „Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?“ Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über. „Ich fühle mich großartig“, sagt er. „Ich habe mich nie besser gefühlt.“ Er steht auf, reckt sich, als wolle er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. „Ich fühle mich phantastisch.“ Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: „Aber warum fahren Sie dann nicht aus?“ Die Antwort kommt prompt und knapp: „Weil ich heute morgen schon ausgefahren bin.“ „War der Fang gut?“ „Er war so gut, dass ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen ...“ Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touristen beruhigend auf die Schultern. Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis. „Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug“, sagt er, um des Fremden Seele zu erleichtern. „Rauchen Sie eine von meinen?“ „Ja danke.“ Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde setzt sich kopf- sionisten mit der entsprechenden Wertschätzung seitens schüttelnd an den Bootsrand, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen. der Führungsebene wirken sich auf die bleibenden Mit- „Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen“, sagt er, „aber stellen arbeiter und das Klima aus. Besonders starken Einfluss Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal haben beispielsweise ungut Gekündigte auf die verblei- aus und Sie würden drei, vier, fünf, vielleicht sogar zehn Dutzend Makrelen fangen ... benden Mitarbeiter: Unterschwellige Angst kann sich stellen Sie sich das mal vor.“ Der Fischer nickt. breit machen, „das könnte mir genauso passieren“. Hier „Sie würden“, fährt der Tourist fort, „nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an wird oftmals aufgrund von Unwissenheit viel Energie im jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren – wissen Sie, was zwischenmenschlichen Bereich verschleudert, die dann geschehen würde?“ woanders im Unternehmen fehlt. Der Fischer schüttelt den Kopf. „Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit Welchen Tipp können Sie Unternehmen zur Burn-out- zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen - eines Tages würden Prophylaxe mitgeben? Sie zwei Kutter haben, Sie würden ...“, die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augen- Die Unternehmen in Tirol sind großteils sehr gut auf- blicke die Stimme, „Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme gestellt im Hinblick auf gesundheitsfördernde Arbeits- ausmachen und Ihren Kuttern per Funk Anweisung geben. Sie könnten die Lachsrechte er- platzbedingungen: Möglichkeiten der Entspannung, werben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris Vorträge über gesunde Ernährung, neue Architektur exportieren – und dann ...“, wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. mit Platz für Kommunikation. Man schaut auf die Mit- Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen. arbeiter und setzt mit Maßnahmen beim Individuum „Und dann“, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache. an. Aber was oft noch fehlt, sind die Maßnahmen auch Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat. „Was auf systemischer Ebene. Burn-out ist nicht nur ein indi- dann?“, fragt er leise. viduelles Problem, sondern hat immer auch eine soziale „Dann“, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken.“ Komponente. Daher wäre es kein Verlust, sich zu fra- „Aber das tu ich ja schon jetzt“, sagt der Fischer, „ich sitze beruhigt am Hafen und döse, gen, warum es zum Beispiel in manchen Bereichen viele nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.“ Krankenstände gibt oder so viele Frühpensionierungen. Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein Denn dabei geht unbewusst enorm viel Energie verloren, die woanders gebraucht wird. . wenig Neid. Infos unter: www.christina-arnold.at (aus Böll: Erzählungen 1950-1970) Institut für Systemische Weiterbildung 92 eco.nova
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