"Inklusive Schule - Beiträge der Jugendsozialarbeit" - Handreichung
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DRK-Generalsekretariat Kinder-, Jugend- und Familienhilfe „Inklusive Schule – Beiträge der Jugendsozialarbeit“ Handreichung
Vorwort Schule soll allen jungen Menschen Bildung und Teil- allen gesellschaftlichen Ebenen notwendig. Im Mit- habe ermöglichen. Eine sich als inklusiv verstehende telpunkt des fachpolitischen Diskurses stehen dabei Schule ist dabei der Schlüssel, um den vielfältigen vor allem Fragen nach der Bereitstellung der not- Lebenslagen junger Menschen gerecht zu werden. wendigen Rahmenbedingungen, nach personellen, Denn in der Anerkennung lebensweltlicher Vielfalt finanziellen und materiellen Ressourcen sowie nach begreift sich eine inklusive Schule als Chance für das individualisiert curricularen und binnendifferenziert Lernen und als ein Fundus unterschiedlicher Lern- systemisch-pädagogischen Konzepten. und Entwicklungsmöglichkeiten. Mit der vorliegenden Handreichung „Inklusive Schule Eine inklusive Schule ist in erster Linie eine Schule, – Beiträge der Jugendsozialarbeit“ möchte sich das die Zugangsbarrieren abbaut, Diskriminierung und Deutsche Rote Kreuz in den aktuellen Diskurs ein- sozialer Benachteiligung entgegenwirkt und soziale bringen und Grundlinien, Grundsätze und Rahmen- Teilhabe und Partizipation für alle Kinder und Ju- bedingungen für eine inklusive Schule formulieren. gendlichen herzustellen versucht. Denn inklusiv sein Dabei sollen grundlegende Begriffe und Konzepte heißt, Vielfalt wertzuschätzen und Barrieren in der von Inklusion sowie Instrumente und Ansätze und Umsetzung des Rechtes auf Bildung ohne Diskri- deren praktischen Umsetzung vor der Frage darge- minierung abzubauen und damit Chancengleichheit stellt werden, welche Erfordernisse, Standards und zu realisieren. Dafür gilt es, die notwendigen struk- Rahmenbedingungen sich aus dem politischen und turellen Rahmenbedingungen zu schaffen und damit fachlichen Anspruch ergeben. Ein Beispiel guter Pra- Inklusion auch praktisch umzusetzen. xis soll darüber hinaus verdeutlichen, wie inklusive Konzepte umgesetzt und nachhaltig implementiert Besonders für das deutsche Schulsystem stellt sich werden können. die Frage, inwiefern es mit seiner Einteilung in Lei- stungsgruppen einem internationalen Anspruch auf Die Handreichung wurde durch das Institut für Sozi- Inklusion und damit der Fokussierung auf das Indivi- alarbeit und Sozialpädagogik (ISS) e.V. für das Deut- duum gerecht werden kann. Mit der Umsetzung der sche Rote Kreuz im Rahmen seiner Aufgaben für den UN-Behindertenrechtskonvention erfährt der Dis- Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit erstellt. kurs um das Recht aller jungen Menschen auf einen gleichberechtigten Schulbesuch Aktualität. Obschon Das Deutsche Rote Kreuz möchte mit der Hand- das Recht eines jeden Kindes auf Bildung mit der UN- reichung „Inklusive Schule – Beiträge der Jugend- Kinderrechtskonvention verbrieft ist und die Bundes- sozialarbeit“ die fachlich-konzeptionelle Weiterent- republik Deutschland mit der Ratifizierung 1992 die wicklung anregen und zielt darüber hinaus mit der Verpflichtung eingegangen ist, positive Rahmenbe- vorliegenden Veröffentlichung auf eine wirksame dingungen für die Entwicklung von Kindern und Ju- Interessenvertretung bei gemeinsamen und bundes- gendlichen zu schaffen, existieren mit der bisherigen zentralen Anliegen des Kooperationsverbundes Ju- Separation innerhalb des Schulsystems nach wie vor gendsozialarbeit. erhebliche Zugangsbarrieren, die Chancenungleich- heit hervorbringen. Damit Schülerinnen und Schüler partizipativ und Franziska Schmidt teilhabend ihr Leben nach der Schule selbständig Referentin für Jugendsozialarbeit, und selbst bestimmt gestalten, muss es darum ge- hen, ein inklusives Bildungssystem zu etablieren, Berlin, im April 2012 in dem inklusives lebenslanges Lernen eine Selbst- verständlichkeit ist. Um eine an Vielfalt orientierte inklusive Schule zu gestalten und das Recht eines jeden Kindes auf eine gemeinsame Bildung von An- fang an umzusetzen, sind Bewusstseinsprozesse auf
Impressum „Inklusive Schule – Beiträge der Jugendsozialarbeit“ Handreichung Herausgeber Deutsches Rotes Kreuz Generalsekretariat Team Kinder- Jugend- und Familienhilfe Carstennstraße 58 12205 Berlin www.drk.de Redaktion Franziska Schmidt, Peggy Ziethen DRK-Generalsekretariat Autorin Tina Alicke Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS) Zeilweg 42 60439 Frankfurt a.M. Titelbild © Ben - Fotolia.com Satz/Layout Blackgrafx designoffice Daniel Hubert, Berlin © 2012 Deutsches Rotes Kreuz e.V., Berlin
Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangslage........................................................................................................................................9 1.1 Von der Exklusion zur Inklusion............................................................................................................10 1.2 Schule und Behinderung in Deutschland..............................................................................................13 2 Zielsetzung der Expertise...................................................................................................................16 2.1 Aufgabenstellung..................................................................................................................................16 2.2 Fragestellungen.....................................................................................................................................16 2.3 Adressaten der Expertise......................................................................................................................17 3 Vorgehensweise und Methodik..........................................................................................................18 3.1 Projektumsetzung.................................................................................................................................18 3.2 Methodik und Inhalte............................................................................................................................18 3.2.1 Stand der Diskussion und Begriffsklärungen........................................................................................19 3.2.2 Identifikation von Konzepten und Ansätzen..........................................................................................19 3.2.3 Definition von Grundlinien und Rahmenbedingungen..........................................................................19 3.2.4 Darstellung von Ansätzen der praktischen Umsetzung........................................................................19 3.2.5 Fazit und Ausblick.................................................................................................................................19 4 Theoretischer Hintergrund, Begriffe und Konzepte.........................................................................20 4.1 Modelle und Sichtweisen auf „Behinderung“......................................................................................21 4.1.1 Das medizinische Modell......................................................................................................................21 4.1.2 Das soziale Modell................................................................................................................................22 4.1.3 Das Aktivitäts- oder Fähigkeiten-Modell...............................................................................................22 4.1.4 Das bio-psycho-soziale Modell.............................................................................................................22 4.1.5 Die Sichtweise von „inklusiver Schule“.................................................................................................23 4.2 Normative und rechtliche Grundlagen..................................................................................................24 4.3 Was bedeutet (schulische) Inklusion?...................................................................................................28 4.4 Begriffsklärungen und Konzepte...........................................................................................................29 4.4.1 Vielfalt....................................................................................................................................................29 4.4.2 Antidiskriminierung................................................................................................................................30 4.4.3 Abbau von Barrieren und Barrierefreiheit..............................................................................................31 4.4.4 Chancengleichheit.................................................................................................................................31 4.4.5 Kompetenzen .......................................................................................................................................32 4.4.6 Teilhabe.................................................................................................................................................32 5 Rahmenbedingungen der Umsetzung inklusiver Schule................................................................34 5.1 Inklusive Kulturen..................................................................................................................................35 5.2 Inklusive Strukturen...............................................................................................................................38 5.3 Inklusive Praktiken................................................................................................................................41 6 Inklusive Schule in der praktischen Umsetzung..............................................................................43 6.1 Praktische Ansätze................................................................................................................................43 6.2 Good-Practice-Beispiel.........................................................................................................................45 6.3 Index für Inklusion: ein Instrument der Selbstevaluation......................................................................46
7 Abschließende Bemerkungen............................................................................................................47 7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse.......................................................................................................47 7.2 Anregungen für die Jugendsozialarbeit................................................................................................48 7.3 Weiterführende Fragestellungen...........................................................................................................49 8 Anhang.................................................................................................................................................50 8.1 Literatur ................................................................................................................................................50 Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1: Inklusion.....................................................................................................................................12 Abbildung 2: Schüleranteil mit sonderpädagogischem Förderbedarf 2008 nach segregierter und integrierter Betreuungsform und Staaten (in % aller Schülerinnen und Schüler) im europäischen Vergleich...................................................................................................................................13 Abbildung 3: Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und in sonstigen Schulen nach Ländern, 2008/2009......................................................................................14 Abbildung 4: Projektdesign.............................................................................................................................18 Abbildung 5: Bio-psycho-soziales ICF-Modell................................................................................................23 Abbildung 6: Ebenen der Umsetzung sozialer Inklusion.................................................................................34 Abbildung 7: Dimensionen des Index für Inklusion.........................................................................................35 Abbildung 8: Der Index-Prozess und der Planungskreislauf der Schulentwicklung.......................................46
1 Ausgangslage Deutschland steht derzeit vor der Anforderung, einen geschaffen werden, bei dem das gemeinsame Ler- grundsätzlichen Paradigmenwechsel im Verständnis nen behinderter und nicht-behinderter Kinder der von und im Umgang mit Menschen mit Behinde- Regelfall wird. rungen zu vollziehen: Am 15. Juni 2011 hat das Bun- deskabinett den „Nationalen Aktionsplan zur Umset- Ob der Nationale Aktionsplan besonders in diesem zung des Übereinkommens der Vereinten Nationen Bereich allerdings seinem Anspruch, „noch beste- über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ hende Lücken zwischen Gesetz und Praxis zu schlie- verabschiedet. Damit soll die Umsetzung der UN- ßen“,1 gerecht werden kann, wird derzeit kontrovers Konvention (2006, von der Bundesregierung 2009 diskutiert.2 Auch steht zur Diskussion, ob das stark ratifiziert) in Deutschland vorangetrieben werden, selektierende deutsche Schulsystem mit seiner Ein- welche die Menschenrechte für die Lebenssituation teilung in Leistungsgruppen einem internationalen von Menschen mit Behinderungen mit dem Ziel kon- Anspruch auf Inklusion gerecht werden kann, da kretisiert, eine gleichberechtigte Teilhabe bzw. Teil- in der Vision von Inklusion die Kategorisierung von nahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Menschen in Gruppen zugunsten einer Fokussierung auf das Individuum aufgehoben wird (vgl. Wernstedt/ Die UN-Konvention basiert dabei auf einem Ver- John-Ohnesorg 2010: 15). ständnis von Behinderung, das jede Form körper- licher, seelischer, geistiger oder Sinnesbeeinträch- Angesichts der momentanen Diskrepanz zwischen tigung als normalen Bestandteil menschlichen internationalem und nationalem Anspruch und prak- Lebens und menschlicher Gesellschaft sowie als tischer Umsetzung auf Länderebene in Deutschland bereichernde Vielfalt anerkennt. Im Zentrum der UN- werden z.B. die nach wie vor bestehende „Förderbe- Konvention stehen die Forderung nach Chancen- schulung“ von Kindern und Jugendlichen mit Behin- gleichheit und Antidiskriminierung von Menschen mit derungen sowie die länderspezifische Regelungen, Behinderungen. Indem die Konvention Behinderten- die einen Ressourcenvorbehalt einschließen und so politik konsequent aus einer Perspektive der Men- dem Recht auf Selbstbestimmung mit Blick auf die schenrechte heraus betrachtet, verlangt sie einen Schulwahl (der Eltern) entgegenstehen, kritisiert.3 Perspektivwechsel von Integration zur Inklusion (vgl. Wernstedt/John-Ohnesorg 2010: 11). Generell stellt sich jedoch die Frage, wie Rahmen- bedingungen gestaltet sein müssen, damit auf den Das Leitbild der Inklusion reicht deutlich über die – in verschiedenen Ebenen von Bund, Ländern, Kommu- Deutschland immer noch vorherrschende – Vorstel- nen und einzelnen Schulen eine Inklusion und Teilha- lung einer Integration hinaus: Nicht der Mensch mit be aller umgesetzt und strukturell verankert werden Behinderung muss sich in die bestehenden Struk- kann. Die Frage nach den verfügbaren Ressourcen turen integrieren, sondern eine Umgestaltung der für eine inklusive Schule steht bei der Diskussion al- Strukturen steht im Vordergrund, in der Menschen lerdings ebenso im Mittelpunkt der (fach-)politischen mit Behinderung und alle Mitglieder der Gesellschaft Diskussion wie die Erfordernisse individualisierter ihr Recht auf Chancengleichheit, Selbstbestimmung systemisch-pädagogischer Konzepte. Es existieren und gesellschaftliche Teilhabe verwirklichen können. bereits zahlreiche Ansätze für die Umsetzung einer antidiskriminierenden und inklusiven Ausrichtung von Gemäß Artikel 24 der UN-Konvention muss in die- Schule und Jugendsozialarbeit sowie konkrete Praxi- sem Zusammenhang ein inklusives Bildungssystem serfahrungen in der Umsetzung. Allerdings bestehen 1 Regierung online: „In die Mitte der Gesellschaft“, http://www.bundesregierung.de/nn_1264/Content/DE/Artikel/2011/06/2011-06-15-nationaler-aktionsplan.html, download am 16.06.2011. 2 Dies ist besonders der Fall, da in der offiziellen deutschen Fassung der BRK „inclusive education“ mit „integrativer Bildung“ übersetzt, der Leitbildgedanke der Inklusion also nicht aufgegriffen wird. 3 Vgl. z.B. Grundsatzbeschluss der GEW Hessen zur Inklusion. Beschluss des Landesvorstands vom 8. April 2011. http://www.gew-hessen.de/index.php?id=296&tx_ttnews[tt_news]=4681&cHash=fd2836db09fff760afbd27abedb090fb 9
weiterhin deutliche Unterschiede im Verständnis zen- einen Orientierungsrahmen über bestehende Ansät- traler Begriffe und Konzepte in Hinblick auf „inklusive ze und Konzepte zu bieten sowie die erforderlichen Schule“. Das Deutsche Rote Kreuz, das im Rahmen Rahmenbedingungen und mögliche Instrumente auf- des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit die- zuzeigen, mit denen eine inklusive Schule gestaltet ses Thema federführend bearbeitet, hat deshalb das werden kann. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche ISS-Frankfurt a.M. mit der Erstellung der Handrei- Beiträge die Jugendsozialarbeit dafür leisten kann. chung „Inklusive Schule – Beiträge der Jugendsozi- alarbeit“ beauftragt. Hauptziel der Expertise ist es, 1.1 Von der Exklusion zur Inklusion Der Umgang mit Menschen mit verschiedenen For- (vgl. Möckel 1988). Mit dem Einsetzen der Industriali- men von Beeinträchtigung war in der Gesellschaft sierung begann sich dieses Paradigma der Exklusion und im deutschen Schulsystem von verschiedenen hin zu einer Separation zu wandeln und seit der Ein- sowie zum Teil gegenläufigen Sichtweisen auf Behin- führung der allgemeinen Schulpflicht im 19. Jahrhun- derung geprägt. Sander (2003) identifiziert vier Pha- dert gewann die Frage des Umgangs mit Heteroge- sen des Umgangs mit Menschen mit Behinderungen, nität auch im schulischen Bereich an Bedeutung. Die die von Exklusion über Separation hin zur Integration in Schichten unterteilte Gesellschaftsstruktur spie- und – in Ansätzen und als zukünftiges Ziel – zur Inklu- gelte sich zunächst auch in der Schule wieder: Wäh- sion reichen. Diese phasenhafte Entwicklung bildet rend das humanistische Bildungsideal vor allem der ein Denkmodell der Schwerpunktsetzung in den ge- Bürger- und Oberschicht vorbehalten war, herrschte sellschaftlichen Tendenzen ab. De facto gingen die in den unteren Schichten in erster Linie die Idee von Umgangsweisen mit Behinderung nicht nur ineinan- Bildung als Qualifizierung für die Arbeit vor. Aufga- der über, sondern sie existierten und existieren auch be der frühen Jugendfürsorge war es, dieses Ideal in heute noch in weiten Teilen parallel zueinander. den „unteren Schichten“ zu verankern. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war der Um- Mit dem Qualifizierungsgedanken fand zugleich eine gang mit Menschen mit Behinderungen von einem verstärkte Trennung der „Leistungsfähigen“ von den Ausschluss aus allen relevanten gesellschaftlichen „Nicht-Leistungsfähigen“ in der Arbeiterschicht im Teilbereichen, wie z.B. Wirtschaft, Bildung und Po- Sinne eine Nutzbarkeit für die Wirtschaft statt. Im litk, geprägt. Dieser Praxis der Exklusion liegt der Zuge des „Wohlfahrtsgedankens“ wurden für dieje- Gedanke der Zugehörigkeit zur Gesellschaft, als nigen, die nicht der Norm der Leistungsfähigkeit ent- eine Gemeinschaft des „Wir“ gegen „die Anderen“, sprachen, kirchliche und staatliche „Rettungs-“ und zugrunde. Während diejenigen, die sich im Rahmen „Heilanstalten“ eingerichtet. Zunächst waren diese der Normalitätsvorstellungen der Gemeinschaft be- v.a. auf körperliche Beeinträchtigungen ausgerichtet, wegen, einer Gruppe zugerechnet werden, sind alle später dann auch auf „Verhaltensauffälligkeiten“ und diejenigen, die sich davon unterscheiden – sei es geistige Beeinträchtigungen. Einige der frühen Heil- durch Herkunft, Sprache oder auch „Andersartigkeit“ pädagogen erkannten das „ökonomische Elend“, im Aussehen oder in den körperlichen oder geistigen den „Pauperismus“, „die Verkümmerung“ oder die Möglichkeiten – davon systematisch und strukturell „Not“ weiter Teile der Jugend als gesellschaftliches ausgeschlossen. Im alltäglichen Umgang äußert sich Problem, jedoch blieben ihre pädagogischen An- diese Grundhaltung in Ausgrenzung, Verachtung, sätze bis heute „faktisch wirkungslos“ (Theunissen: Spott oder auch im „Wegschließen“ von Personen. 2002: 22f.). Aufgrund dieser Exklusion konnten Menschen mit Behinderung lange Zeit allenfalls auf die „Barm- Diese Praxis der institutionellen Separation beruht herzigkeit“ anderer zählen, meist von Seiten ihrer auf zwei differierenden Grundgedanken: Zum einen Familien oder auch in einzelnen Fällen im Rahmen bestimmt nach wie vor die Asylierung gesellschaft- der christlichen Ethik, z.B. in den Beginenhäusern. licher Randgruppen und der Gedanke von Störungen Für taubstumme oder gehörlose Menschen, später der „Normalität“ die Praxis separater Versorgung. auch für Blinde, wurden in diesem Zuge im 17. und Zum anderen liegt diesem Paradigma gerade im Bil- 18. Jahrhundert erste Bildungsanstalten eingerichtet dungsbereich der Gedanke zugrunde, dass Bildung 10
am besten in homogenen Lerngruppen funktioniere Deutschland zunächst um eine Humanisierung von und man daher auch Kinder und Jugendliche mit Lebensbedingungen in den Institutionen, ohne aller- Beeinträchtigungen am besten fördern könne, wenn dings die Betroffenen miteinzubeziehen (Theunissen man sie in eigenen Institutionen zusammengrup- 2002: 2). Allerdings bewirkte die gesellschaftliche pierte (Polloway et al. 1996: 4). Dieser „Normalisie- Diskussion mit der Zeit dennoch tiefgreifende Verän- rungsgedanke“ bestimmte auch das Aufkommen derungen. So hatte die Schulreform der 1970er zum der „modernen“ Psychiatrie, in Anschluss an das Ziel, breiteren Teilen der Bevölkerung einen Zugang Werk Siegmund Freunds und C.G. Jungs, der zu einer verbesserten Bildung zu bieten. Zugleich Heilpädagogik und auch die Anfänge einer Jugend- wurde vereinzelt die Schulsozialarbeit, besonders fürsorge. an Gesamtschulen, aufgenommen. Allerdings war Jugendhilfe dem Primat von Schule weiterhin un- Nach den Auswüchsen des Nationalsozialismus, die tergeordnet und galt vorrangig als Reparaturbetrieb einen Rückfall in mittelalterliche Exklusionspraktiken für Normabweichungen und Systemstörungen von bedeuteten und in denen das Homogenitätsstreben „auffälligen“ Schülerinnen und Schülern. Dadurch den tragischen Höhepunkt in der Ermordung von Mil- ergab sich jedoch eine Spannung zum gewandelten lionen von „Andersartigen“ fand, war das vorrangige Selbstverständnis von Sozialpädagogik, das auf eine Bestreben der Jugendfürsorge nach dem zweiten Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmen- und Weltkrieg zunächst die Linderung der physischen Lernbedingungen abzielte (vgl. Olk et al. 2000: 18ff.). Not von Kindern und Jugendlichen (vgl. Homfeldt 2004: 42ff.). Gleichzeitig veränderte sich das Verständnis von Behinderungen: So wurde damit begonnen körper- In den folgenden zwei Jahrzehnten zog die zuneh- liche und geistige Beeinträchtigungen nicht nur als mende Institutionalisierung und Professionalisierung Ursache, sondern auch als Folge sozialer und ge- der Jugendfürsorge allerdings eine scharfe Trennung sellschaftlicher Barrieren zu betrachten (vgl. „sozi- der Systeme Schule und Jugendhilfe nach sich und ales Modell“, Kapitel 4.1). Vor diesem Hintergrund vertiefte die Distanz zum Bereich der Heilpädagogik: wurden zunehmend auch schulische Probleme, Auftrag der Schule wurde nach wie vor die Qualifizie- Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten in rung von als „normal“ angesehenen Kindern und Ju- ihrer Wechselwirkung mit Barrieren für gelingende gendlichen, während die Systeme der Heilpädagogik Entwicklungen diskutiert (vgl. Theunissen 2002: 2). und der damaligen Jugendhilfe diejenigen auffangen Die Forderungen der Menschen- und Bürgerrechts- sollten, die den Leistungs- und Normalitätsanforde- bewegungen nach Selbstbestimmung und gesell- rungen des damaligen Wertesystems nicht entspra- schaftlicher Teilhabe sowie die Kritik an Sonderein- chen. Auf Grundlage des Normalitätsgedankens und richtungen und am herrschenden Normalitätsbegriff eines primär biologischen Ursache-Wirkungsmodells hielten Mitte der 1980er Jahre auch im schulischen (zum „medizinischen Modell“ vgl. Kapitel 4.1) wur- Bereich Einzug. Ein programmatischer Kernpunkt de eine Teilung der „Anormalitäten“ in medizinische war die Integration aller behinderten Kinder in Re- und soziale Ursachen vollzogen. Während die frühen gelschulen (Hermes o.J.: 4). „heilpädagogischen“ Ansätze auf körperliche oder psychische „Schädigungen“ abzielten (vgl. Kapitel Auch wenn bereits 1973 die Bildungskommission 4.1), wurden als Aufgabe der frühen Anfänge der Ju- des Deutschen Bildungsrates in der Empfehlung gendhilfe und Jugendsozialarbeit die Fürsorge und „Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Erziehung der „sozial Randständigen“ angesehen Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“ (vgl. Olk et al. 2000: 13). u.a. die Einrichtung integrativer Konzepte empfahl, lag der Schwerpunkt weiterhin auf dem Ausbau von Mit den Menschen- und Bürgerrechtsbewegungen heilpädagogischer Förderung in Sonderschulen. Ziel der 1960er Jahre gerieten diese separatistischen war es, Schülerinnen und Schüler durch gezielte För- Praktiken in die Kritik, zumal skandalöse Zustände derung in ihren eigenen sozialen Räumen so weit in vielen Insitutionen sowohl der Jugendfürsorge als wie möglich an die „Normalität“ heranzuführen. Ent- auch der Heilpädagogik bekannt geworden waren. sprechend wurden Mitte der 1990er in den meisten Während diese Auseinandersetzung jedoch in vie- Bundesländern die Sonder- in „Förderschulen“ bzw. len westlichen Ländern zu den ersten Schritten einer in „Schulen mit dem Schwerpunkt sonderpädago- Deinstitutionalisierung führten, bemühte man sich in gischer Förderbedarf“ umbenannt. Damit wurden die 11
Prinzipien der Normalisierung und Separation weit- In Weiterentwicklung und Erweiterung des Gedan- gehend beibehalten: „Gefordert wurde die von der kens der Integration entstand ein grundlegend neues helfenden Instanz gesetzte Norm, und das war in der Konzept: Inklusion, wie sie von der UN-Konvention Regel Verselbstständigung und soziale Anpassung über die Rechte von Menschen mit Behinderungen an die Gesellschaft“ (Theunissen 2002: 2f.). (2006) gefordert wird, zielt darauf ab: Mit dem Eingang integrativer Konzepte in den schu- • Heterogentität als gesellschaftliche Realität lischen Bereich, entstand eine Schnittstelle zwischen wahrzunehmen, dem (vormaligen) Schwerpunktgebiet der Heil- und • sich von einer Vorstellungen einer mehr oder Sonderpädagogik und der Jugendsozialarbeit. minder homogenen Normalität zu verabschie- den, Durch die Orientierung am Ausgleich sozialer Be- • Barrieren gleich welcher Art abzubauen (z.B. nachteiligungen und individueller Beeinträchtigun- physische, sprachliche oder soziale Barrieren) gen im SGB VIII (§ 13 Abs. 1) mit dem Ziel sozialer und Integration rückte auch die Zielgruppe (lern-)behin- • die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit je- derter Schülerinnen und Schüler in das Aufgabenge- des Individuum in seiner Einzigartigkeit volle ge- biet der Jugendsozialarbeit. sellschaftliche Anerkennung und Teilhabe genie- ßen kann. Im schulischen Bereich werden unter dem Begriff „In- • Der Fokus von Integration liegt damit nicht auf tegration“ allerdings eine Vielzahl von Konzepten und einer Anpassung des Einzelnen an die Struktur, Modellen zusammengefasst: „Integration (ist) […] in sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Auf- der Praxis inzwischen alles Mögliche – gemeinsamer gabe, die Regelstrukturen so zu gestalten, dass Unterricht in der allgemeinen Schule, punktuelle Fes- jedes Individuum sein Recht auf volle gesell- te und Feiern, selbst der Besuch einer Sonderschule schaftliche Teilhabe umsetzen kann. wird gelegentlich als Integration bezeichnet.“ (Hinz o.J.). Abbildung 1: Inklusion In den vergangenen Jahren wurden die Defizite des Integrationsprinzips in Bildung immer heftiger disku- tiert (vgl. Kapitel 4.1): Zum einen ist die breite und flächendeckende Umsetzung immer noch weit von einer Realisierung entfernt (vgl. Kapitel 1.2). Zum anderen transportiert das Integrationskonzept, ob es sich nun auf Menschen mit Behinderungen oder auf andere Benachteiligungen wie z.B. Migrati- onshintergrund richtet, nach wie vor die Vorstellung, dass bestimmte Menschen in eine „Mehrheitsge- sellschaft“ integriert werden müssten: „Das Kind mit Behinderung bzw. mit sonderpädagogischem För- Quelle:http://www.inklusion-olpe.de/images/inklusion.jpg derbedarf ist primär – und das auch innerhalb inte- grativer Strukturen – das Kind mit Problemen, das Das Konzept einer inklusiven Schule beinhaltet „andere“ Kind, das funktionsgeminderte Kind, bei eine „systemische Sichtweise, die in Klassen der dem die Alltagstheorie der Andersartigkeit weiter be- allgemeinen Schule eine heterogene Lerngruppe steht. Und je mehr dieses Kind anders, also proble- vorfindet, die aus diversen Mehrheiten und Min- matischer, schwächer, geminderter, defizitärer, […] derheiten besteht – unter sprachlichen, ethnischen, ist, desto weniger kann es integriert werden“4 (Bo- religiösen, sozialen, lebensweltlichen, geschlech- ban/Hinz 2004: 2f.). terrollen-, behinderungsbezogenen und anderen 4 In Nordamerika wird dieses Phänomen als ‚readiness-model‘ bezeichnet, „dem zufolge mit den Fähigkeiten des Kindes auch seine Integrationsmöglichkeiten steigen und somit die Gefahr besteht, dass Kinder sich erst durch Fähigkeiten für Integration qualifizieren müssen“ (Hinz 2003: 1). 12
Gesichtspunkten“ (Boban/Hinz 2000: 133). Es rückt umgesetzte Inklusion im schulischen Bereich, als damit in die Nähe einer „Pädagogik der Vielfalt“ (z.B. Ziel der Zukunft, bezeichnet Sander (2003) als „allge- Prengel 1993, Hinz 1993), die Menschen nicht mehr meine Pädagogik“, in der die Unterscheidung nach in Gruppen einteilt, sondern eine individuenbezo- Zielgruppen, spezifischen Förderbereichen und pä- gene Perspektive einnimmt. dagogischen Sonderdisziplinen aufgehoben ist. Um diese Vielfalt im schulischen Bereich zu verankern, Die Unterschiedlichkeit von Schülerinnen und Schü- steht auch die Jugendsozialarbeit vor neuen Aufga- lern wird dabei nicht als Defizit in Hinblick auf eine ben. Allerdings ist sowohl eine integrative, als auch homogenisierende Norm betrachtet, sondern gesell- eine inklusive Schule in Deutschland noch weit von schaftliche Vielfalt inner- und außerhalb von Schu- einer praktischen Umsetzung entfernt. le als positiver Wert anerkannt. Eine vollständig 1.2 Schule und Behinderung in Deutschland Im internationalen Vergleich liegt die Umsetzung von Auch das Konsortium Bildungsberichterstattung integrativen und inklusiven Haltungen und Konzep- (2010: 70) stellte fest: „Im internationalen Vergleich ten in Deutschland noch weit zurück. Nach einer Un- hat Deutschland einen insgesamt überdurchschnitt- tersuchung der „European Agency for Development lichen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit son- in Special Needs Education“ (2003) lassen sich drei derpädagogischem Förderbedarf. Unter den EU- Typen europäischer Länder hinsichtlich des Stands Staaten hat Deutschland die höchste Förderquote der Umsetzung integrativer und inklusiver Konzepte von Schülern, die in Förderschulen unterrichtet wer- in der Bildungslandschaft unterscheiden: den. Und zugleich hat Deutschland einen der nied- rigsten Anteile an integrativ geförderten Schülerinnen 1) Länder mit Einheitssysten („one track approach“), und Schülern.“ (vgl. Abb. 2, folgende Seite) in denen inklusive Schule bereits, wenn auch in unterschiedlichen Formen, weitgehend verwirk- Abbildung 2: Schüleranteil mit sonderpädago- licht ist. Dazu gehören Italien, Island, Griechen- gischem Förderbedarf 2008 nach segregierter land, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien und integrierter Betreuungsform und Staaten (in und Zypern, „deren bildungspolitische Strategie % aller Schülerinnen und Schüler) im europä- und Praxis eine Integration/Inklusion fast aller ischen Vergleich Schülerinnen und Schüler in regulären Schulen“ (ebd.: 9) anstreben. 2) Länder mit Kombinationssystem („multi track approach“) die „neben den beiden Systemen Regelschule und Sonderschule vielfältige son- derpädagogische Unterstützung“ anbieten und Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen meist im Regelsystem oder in Mischformen unterrichten (ebd.: 9). Dies umfasst die Länder Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Ir- land, Litauen, Luxemburg, Liechtenstein, Öster- reich, Polen, Slowenien, Slowakei und die Tsche- chische Republik. 3) Länder mit faktisch zwei getrennten Bildungs- systemen („two track appoach“), in denen die meisten Schülerinnen und Schüler mit „sonder- pädagogischem Förderbedarf“ in Sonderschulen oder Sonderklassen unterrichtet werden (ebd.: 10). Hierzu gehören Belgien, Deutschland, die Konsortium Bildungsberichterstattung (2010: 252), Quelle: Euro- Niederlande und die Schweiz. pean Comission (2009), Progress Towards the Lisbon Objectives in Education and Training. 13
Dabei hat der integrative Gedanke auch im Deut- Während im Rahmen von Kindertagesstätten und schen Schulsystem eine fast 20-jährige Tradition: Einrichtungen der Kindertagespflege der Anteil von Schon 1994 hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) gemeinsam betreuten Kindern im Bundesdurch- mit ihrer Empfehlung zur sonderpädagogischen schnitt bei über 60 % liegt und in Grundschulen Förderung die Möglichkeit eines integrativen Schul- bei rund 34 % (Klemm 2010: 20), wurden im Jahr besuchs eröffnet: „Die Erfüllung sonderpädago- 2008/2009 nur 19 % der Schülerinnen und Schüler gischen Förderbedarfs ist nicht an Sonderschulen mit sogenanntem „sonderpädagogischem Förderbe- gebunden; ihm kann auch in allgemeinen Schulen, darf“ an „integrativen“ allgemeinbildenden Schulen zu denen auch berufliche Schulen zählen, vermehrt der Sekundarstufe I unterrichtet (Konsortium Bil- entsprochen werden. Die Bildung behinderter junger dungsberichterstattung 2010: 70). Weiterhin exis- Menschen ist verstärkt als gemeinsame Aufgabe für tierten in diesem Zeitraum bundesweit rund 3.300 grundsätzlich alle Schulen anzustreben“ (Kultusmi- sogenannte „Förderschulen“, die von ca. 400.000 nisterkonferenz 1994). Anstatt von „Sonderschul- Schülerinnen und Schülern besucht wurden: „Eine bedarf“ wurde damit vom Prinzip der „special ed- Senkung der Förderschulbesuchsquote zugunsten ucational needs“ bzw. des sonderpädagogischen einer Förderung in sonstigen allgemeinbildenden Förderbedarfs ausgegangen, der in standardisierten Schulen ist nicht beobachtbar.“ (ebd.) Verfahren festgestellt wird. Dazu gehört die Eintei- lung in verschiedene Gruppen: Allerdings bestehen erhebliche Unterschiede zwi- schen den Bundesländern. Zu den Ländern, in denen • Lernbehinderung als Einschränkung der intellek- der integrative Schulbesuch relativ weit ausgebaut tuellen Fähigkeiten wurde, gehören z.B. das Saarland, Berlin, Branden- • Sinnesbehinderung als Einschränkung der sen- burg, Bremen und Schleswig-Holstein. In anderen sorischen Fähigkeiten (Sehbehinderung, Blind- befindet sich der Aufbau integrativer Schulstrukturen heit, Hörbehinderung, Gehörlosigkeit) noch ganz am Anfang (s. Abb. 3, folgende Seite). • Körperbehinderung als Einschränkung der moto- Die Angaben aus den Ländern sind allerdings nicht rischen Fähigkeiten direkt vergleichbar, da die „integrative“ Praxis in un- • Sprachbehinderung als Einschränkung der terschiedlichen Modellen, von Sonderklassen bis Sprachfähigkeit hin zur Integration in Regelklassen, umgesetzt wird • Sozialer und emotionaler Förderbedarf durch (ebd.). Einschränkung der sozialen Fähigkeiten • Geistige/kognitive Behinderung als Einschrän- Abbildung 3: Anteil der Schülerinnen und Schüler kung der kognitiven Fähigkeiten mit sonderpädagogischem Förderbedarf und in sonstigen Schulen nach Ländern, 2008/2009 Diese Einteilung ist die Basis dafür, welche Art der Förderung zuteil wird. Ein Großteil des festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfs bezieht sich auf Lern- und sozialen bzw. emotionalen Förder- bedarf (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2010: 72). Auch die integrativen Angebote von Sei- ten der Jugendsozialarbeit richten sich besonders auf diese Art der Förderung, z.B. im Rahmen der Ju- gendberufshilfe. Im Schuljahr 2009/2010 wurde bei über 485.000 Kindern und Jugendlichen der Primar- und Sekun- darstufe ein solcher „sonderpädagogischer Förder- bedarf“ diagostiziert (vgl. BMAS 2011: 47 Nationaler Aktionsplan), also für rund 6,2 % der Schülerinnen und Schüler. Zusammen mit den 85.000 Kindern in Kindertageseinrichtungen ergibt sich daraus ein För- Quelle: Konsortium Bildungsberichterstattung 2010, Webtabellen, derbedarf für weit über eine halbe Million Kinder und eigene Darstellung. Jugendliche. 14
Als Gründe dafür, dass Deutschland im internationa- Auch wenn dieses Verständnis mittlerweile im len Vergleich in der Umsetzung von integrativer Bil- Wandel begriffen ist und Schule vielmehr als dung – von inklusiver Schule ganz zu schweigen – so Partner in den Kooperationsbeziehungen zwi- weit abgeschlagen ist, lassen sich drei Prinzipien des schen Schülerinnen und Schülern, Elternhaus, deutschen Schulsystems identifizieren, die nach wie Jugendsozialarbeit und weiteren gesellschaft- vor strukturell fest verankert sind. lichen Akteuren gilt, ist der Selektionsgedanke in vielen Bereichen nach wie vor dominant. • Normierung als Leitvorstellung und Wert: Nach wie vor geht das deutsche Schulsystem von • Segregation als faktische Struktur: Sowohl der einem homogenisierenden Ideal der „Normalität“ Normierungs- als auch der Selektionsgedanke aus. Die unterschiedlichen Bedarfe von Schüle- findet seinen strukturellen Ausdruck im mehr- rinnen und Schülern (z.B. Lerntempo, Aufnah- gliedrigen deutschen Schulsystem. Grundlage mefähigkeit, Interessenslagen, Muttersprach- dafür ist die Vorstellung, dass eine maximale Lei- lichkeit) werden in den üblichen Lehrplänen nur stung nur in homogenen Lerngruppen möglich selten berücksichtigt. Diese gelten vielmehr als ist, die möglichst gleichzeitig ein gemeinsames Maß, das es für alle zu erfüllen gilt. (Diese norm- Lernziel erreichen sollen (Werning 2010: vgl. und defiztiorientierte Perspektive äußert sich zum Tillmann 2004). Zudem fördert das mehrglied- Beispiel auch in der Klassifizierung des „sonder- rige Schulsystem eine frühe soziale Segregation pädagogischen Förderbedarfs“). Eine Hauptkri- (Dreher/Reich o.J.: 81). Dieser Effekt wird zwar tik an Bildungspolitik und Bildungssystem richtet durch die Einrichtung von Gesamtschulen ge- sich daher in erster Linie auf diesen Blick „von mildert, doch ist der Segregationsgedanke im- oben“ im Rahmen einer homogenisierenden mer noch präsent: Faktisch besuchten im Jahr Normvorstellung, die von maximalen Vorausset- 2008/2009 immer noch über 80 % der Jugend- zungen als Standard ausgeht (vgl. Duncker 2009: lichen in Deutschland Schulen im dreiteiligen 232). Ansätze, die dem entgegenstehen, z.B. im System (Konsortium Bildungsberichterstattung Rahmen einer zieldifferenzierten inklusiven Pä- 2010: 62). dagogik, welche nicht die gleichen Ziele für alle als Maß setzt, sehen sich derzeit noch im Span- Internationale Abkommen, freie Träger der Jugend- nungsfeld der faktisch immer noch praktizierten hilfe, Selbsthilfe- und Elternverbände und zahlreiche Forderung gleicher Standards für alle. weitere soziale Akteure fordern jedoch in zuneh- menden Maß eine Abkehr von der selektiven oder • Selektion als schulische Aufgabe: Auf Basis bestenfalls integrativen Praxis im Umgang mit Be- dieses Normierungsgedankens ist der Selekti- hinderung hin zu sozialer Inklusion. Zur Umsetzung onsgedanke, der Schülerinnen und Schüler in dieses Prinzips hat sich Deutschland mit der Ratifi- verschiedene Leistungsgruppen unterteilt, im zierung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) deutschen Schulsystem weiterhin prägend. Ge- verpflichtet. Dieser Wandel erfordert jedoch tiefgrei- mäß dem traditionellen Verständnis von Schule fende Veränderungen der Denkweisen, der Struk- bestehen die Aufgaben von Schule nach Fend turen und der Rahmenbedingungen, die alle Syste- (1980) in: me gemeinsam bewältigen müssen. –– Qualifikation als Vorbereitung auf spätere An- Diese Expertise hat zum Ziel, den Stand der Dis- forderungen in Beruf, Privatleben und gesell- kussion nachzuzeichnen und Ansatzpunkte für die schaftlichen Funktionen Jugendsozialarbeit für den grundlegenden Verände- –– Sozialisation als Vermittlung eines gesell- rungsprozess hin zu inklusiver Schule zu bieten. schaftlich erwünschten Verhaltens –– Selektion als Auslese und Zuweisung einer sozialen Position –– Legitimation gesellschaftlicher Grundwerte zur Sicherung der sozialen Kohärenz (im Sinne einer „Sinnhaftigkeit“ des Systems). 15
2 Zielsetzung der Expertise Das sich wandelnde Verständnis von „Behinderung“ Reorientierungs- und Restrukturierungsleistungen und die internationalen Verträge stellen derzeit so- nach sich. Auch wenn bereits zahlreiche erfolgreiche wohl den Bildungsbereich als auch die Soziale Ar- Ansätze bestehen, soll diese Handreichung einen beit und besonders die Jugendsozialarbeit vor viel- Beitrag dazu leisten, das gemeinsame Verständnis fältige neue Aufgaben. Die Implementierung einer von inklusiver Schule weiterzuentwickeln. inklusiven Schule zieht die Erfordernisse vielfältiger 2.1 Aufgabenstellung Ziel der Handreichung ist es, sowohl eine Orien- • grundlegende theoretische Grundlagen, Begriffe tierung vor dem Hintergrund der fachlichen und und Konzepte vorgestellt, gesellschaftlichen Diskussion um Inklusion im Bil- dungsbereich zu bieten, als auch Anforderungen und • die zentralen Rahmenbedingungen sowie Anfor- Instrumente zur Umsetzung einer „inklusiven Schule“ derungen an alle Akteure aufgezeigt, sowie darzustellen. • Instrumente und Ansätze der praktischen Um- Sie soll damit einerseits eine Grundlage für die Wei- setzung angeboten, die anhand eines Good- terentwicklung des Themenfeldes für die Jugendso- Practice-Beispiels verdeutlicht werden. zialarbeit und andererseits konkrete Handlungsan- sätze aufzeigen. Aus der Analyse und Aufarbeitung dieser Grundlagen werden schließlich weiterführende Fragestellungen Zu diesem Zweck werden im Rahmen der Expertise: für die Implementierung von inklusiver Schule abge- leitet. • die aktuellen Veränderungen im Veständnis von „Behinderung“ nachgezeichnet, 2.2 Fragestellungen Im Zentrum der Handreichung steht die Frage, wie • Welche Erfordernisse, Rahmenbedingungen und Jugendsozialarbeit dazu beitragen kann, eine inklu- weiterführenden Fragestellungen ergeben sich sive Perspektive im Bildungsbereich zu implementie- aus dem politischen und fachlichen Anspruch? ren, Chancengleichheit zu fördern, Diskriminierung abzubauen und Vielfalt als wertvollen Beitrag zur Ge- • Wie müssen entsprechende Strukturen gestaltet meinschaft zu begreifen. sein, um die Beteiligung und Chancengleichheit von Schülerinnen und Schülern mit Behinde- Diese Zielsetzungen stellen die Anforderung an An- rungen zu fördern? sätze, Konzepte und Instrumente, auch über den je- weiligen Kontext hinaus transferierbar zu sein sowie • Welchen Beitrag kann Jugendsozialarbeit zur beständig reflektiert und überarbeitet zu werden. Implementierung der Standards einer inklusiven Perspektive leisten? Es stellen sich deshalb folgende Forschungsfragen: • Welche Anforderungen ergeben sich an das Rol- • Welche grundlegenden Begriffe, Konzepte, In- lenverständnis und die strukturelle Verankerung strumente und Ansätze bestehen in Hinblick auf von Jugendsozialarbeit? inklusive Schule und das Verständnis von „Be- hinderung“? 16
2.3 Adressat/innen der Expertise Die Expertise richtet sich an alle Fach-, Lehr- und Führungskräfte, die mit der Förderung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Kooperation zwi- schen Schule und Jugendsozialarbeit betraut sind. Besonders richtet sie sich an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Jugendsozialarbeit an Schulen, denen sie konkrete Ansätze aufzeigen soll, wie eine inklusive Perspektive im Rahmen von Jugendsozial- arbeit umgesetzt werden kann. Gleichzeitig richtet sie sich an die Träger der Ju- gendsozialarbeit, um die grundlegenden Konzepte sowie die strukturellen Rahmenbedingungen einer Umsetzung von Inklusion zu verdeutlichen. Mit dem Aufzeigen der notwendigen Rahmenbedingungen richtet sie sich an Entscheidungsträger in Politik, im Bildungsbereich und in der sozialen Arbeit. Schließ- lich richtet sich die Expertise an alle interessierten Schülerinnen und Schüler, Eltern und Fachkräfte, die zur Umsetzung einer inklusiven Schule beitragen möchten. 17
3 Vorgehensweise und Methodik 3.1 Projektumsetzung Abbildung 4: Projektdesign Umsetzungsschritte Inhaltliche Elemente Methoden Begriffsklärungen und Stand • Theoretischer Hintergrund, • Recherche der Diskussion • Begriffsklärungen, Konzepte • Auswertung • Ansätze und Konzepte • Bildung von Auswahlkriterien Identifikation von Konzepten • Praktische Darstellung anhand • Experteninterviews (telefonisch) und Ansätzen von Good-Practice-Beispielen • Erfordernisse und Rahmenbe- • Analyse des Materials dingungen • Analyse der Interviews Definition von Grundlinien und • Förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen Faktoren • Definition von Grundlinien in der praktischen Umsetzung • Erstellung der Basis eines In- • Auswahl, Entwicklung und An- Darstellung von Instrumenten strumentenkoffers auf verschie- passung von Instrumenten praktischen Umsetzung denen Ebenen der praktischen Umsetzung • Identifikation von Ansätzen für • Auswertung der Gesamtexper- die Jugendsozialarbeit tise Fazit und Ausblick • Zusammenfassung der zentra- len Ergebnisse • Weiterführende Fragestellungen Fertigstellung der Handreichung Den oben genannten Aufgabenstellungen und Ziel- Projektdesign in mehreren Umsetzungsschritten setzungen wurde mit dem in Abbildung 4 gezeigten nachgegangen. 3.2 Methodik und Inhalte Die jeweilige Methodik richtete sich an den Erforder- nissen der einzelnen Projektschritte sowie an den Rahmenbedingungen und Inhalten des Projektes aus. 18
3.2.1 Stand der Diskussion und Um einen tieferen Einblick zu erhalten, wurden im Begriffsklärungen Anschluss kurze telefonische Interviews mit einer Lehrkraft und einer Jugendsozialarbeiterin, die an Ziel dieses Umsetzungsschrittes war es, den ak- unterschiedlichen Schulen mit integrativen Ansätzen tuellen Stand der Diskussion um das gewandelte tätig sind, sowie mit einer Führungskraft mit langjäh- Verständnis vom Umgang mit Behinderung sowie riger Erfahrung in der konzeptionellen Gestaltung auf die theoretischen Grundlagen aufzuarbeiten. In die- Trägerebene geführt. Diese Interviews hatten Umset- sem Rahmen sollten sowohl theoretische Begriffe zungsbedingungen, förderliche und hinderliche Fak- und Konzepte als auch praxisnahe Ansätze und In- toren, konkrete Erfahrungen mit der Umsetzung und strumente an Schulen erhoben, analysiert und auf- die Beteiligungsoptionen von Kindern und Jugend- gearbeitet werden. Dazu wurde eine umfassende lichen zum Gegenstand. Literatur- und Internetrecherche in Suchmaschinen (z.B. www.google.de), in Online-Katalogen (Deut- sche Nationalbibliothek – http://www.d-nb.de/; Ver- 3.2.3 Definition von Grundlinien und bundkatalog des Südwestdeutschen Bibliotheksver- Rahmenbedingungen bundes (SWB) – http://www.bsz-bw.de/verbundsys/; Hessisches Bibliotheksinformationssystem (HeBIS) Aus der Analyse des Materials und der theoretischen – http://www.hebis.de/) sowie in elektronischen Da- Grundlagen wurden erste Grundlinien und Rahmen- tenbanken (z.B. www.un.org) durchgeführt. Weiterhin bedingungen sowie erste Anforderungen an Struk- wurden politische Ansätze auf den Seiten von Fach- turen abgeleitet. Diese dienten zum einen als Basis organisationen (z.B. AGJ, GEW, Kooperationsver- für die Auswahl von Konzepten und Ansätzen und bund Jugendsozialarbeit, freie Träger der Jugend- wurden im Anschluss an die Umsetzung in Kapitel sozialarbeit, Stiftungen wie Friedrich-Ebert-Stiftung, 3.2.2 erneut verfeinert. Ziel war dabei, trans ferier- Robert-Bosch-Stiftung) sowie praktische Instru- und verallgemeinerbare Aussagen zu den grundle- mente anhand bestehender Handlungsleitfäden und genden Erfordernissen und und strukturelle Bedin- Projekten an einzelnen Schulen einbezogen. gungen auf der Ebene von Bund Trägern, Ländern, Kommunen und Schulen zu treffen. Die Ergebnisse dieser Recherche wurden in Hinblick auf die zentralen Fragestellungen gesichtet, analy- siert sowie systematisch ausgewertet und in die Lite- 3.2.4 Darstellung von Ansätzen der raturliste aufgenommen. praktischen Umsetzung Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann dabei nicht er- In diesem Schritt wurde der Fokus auf die Auswahl hoben werden, da die Vielfalt der angewandten An- einiger konkreter, in der Praxis umsetzbarer Ansätze sätze und Instrumente gerade auf Ebene der einzel- und Instrumente sowie die verschiedenen Prozess- nen Schulen kaum mehr zu überblicken ist. Ziel der schritte gelegt, die zur Implementierung notwendig vorliegenden Recherche war vielmehr, einen Orien- sind. Besonders ist der Index für Inklusion (Booth/ tierungsrahmen zu Ansätzen und Möglichkeiten der Ainscow 2003) als eines der grundlegenden Instru- Implementierung von „inklusiver Schule“ zu bieten. mente in diesen Schritt eingeflossen. 3.2.2 Identifikation von Konzepten 3.2.5 Fazit und Ausblick und Ansätzen Abschließend wurden die Ergebnisse der Studie kurz Auf Basis dieser Grundlage wurden Konzepte und zusammengefasst und besonders die Ansätze für die Ansätze für die praktische Umsetzung gesichtet und Jugendsozialarbeit herausgestellt. dargestellt. Mit dem Ziel, die verschiedenen Mög- lichkeiten, Schritte und Verfahren eines gelingenden In einem letzten Schritt wurden weiterführende Fra- Umgangs mit Diversität in der Praxis zu verdeutli- gestellungen und Forschungslücken aus dem beste- chen, wurden in einem weiteren Teil der Expertise henden Material abgeleitet. Good-Practice-Beispiele zu den jeweiligen Ansätzen identifiziert. 19
4 Theoretischer Hintergrund, Begriffe und Konzepte In das Konzept der inklusiven Schule sind zahlreiche Im deutschsprachigen Raum wurde das Konzept der Strömungen, Theorien, Konzepte, Wertvorstellungen Inklusion in erster Linie durch die Arbeiten von Hinz und Entwicklungen eingeflossen, die sich gegensei- und Sander bekannt, die den Begriff etablierten und tig auch im Sinne von Gegenströmungen beeinflusst, gegen das bisherige Konzept von integrativer Schule ergänzt und weiterentwickelt haben. Dazu zählen abgrenzten (vgl. Hinz 2002, Sander 2002, s.a. Kapitel u.a. sich wandelnde Vorstellungen von Behinderung 4.1). Er fand dabei einen Anschluss an das Konzept in Medizin und Heilpädagogik, die Menschenrechts- einer „Pädagogik der Viefalt“, das 1993 von Prengel und Behindertenbewegungen, die Diskussion um und Hinz vorgestellt und von Preuss-Lausitz in den „Integration“ auch in anderen Bereichen – wie z.B. umfassenderen gesellschafltichen Kontext einge- im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen – die bettet wurde (Prengel 1993; Hinz 1993; Preuss-Lau- Werte- und Normendiskussionen der internationalen sitz 1993). Organisationen und deren faktische Umsetzung in der Rechtsprechung von Staaten und internationalen Während das Konzept der inklusiven Schule sich in Rechtsräumen – wie z.B. der Europäischen Union. den ersten Jahren jedoch nur langsam durchsetzte und von vielen Pädagogen und Fachkräften der Geprägt wurde der Begriff „Inklusion“ in Zusammen- Sozialen Arbeit als eine Variante der Integration an- hang mit Schule zu Beginn der 1990er Jahre im an- gesehen wurde (vgl. Sander 2002), fand es mit der gloamerikanischen Spachraum. In Kanada, das als UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit ein „Geburtsland der inklusiven Schule“ gilt (Sander Behinderungen im Jahr 2006 (s.a. Kapitel 4.2) brei- 2004), erschien das Grundwerk „Changing Canadian te internationale Aufmerksamkeit. Das Verständnis Schools: Perspectives on Disability and Inclusion“ von Inklusion, das sich darin ausdrückt, unterstreicht (Porter/Richler 1991). In dieser frühen Zeit waren die den notwendigen Systemwechsel: Wenn die Vielfalt Begriffe ‚Inclusion‘ und „Integration“ noch nicht klar menschlichen Lebens als positiver Wert strukturell gegeneinander abgegrenzt und wurden häufig syno- verankert werden soll, muss sich nicht der Einzelne nym verwendet. (Sander 2004). in bestehende Strukturen einfügen, sondern es müs- sen die Strukturen so geschaffen werden, dass jedes Mit der Salamanca-Konferenz 1994 „Special Needs Individuum sein Recht auf Selbstbestimmung und Education: Access and Quality“ („Pädagogik für be- gesellschaftliche Teilhabe verwirklichen kann. sondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“) fand der Begriff internationale Verbreitung, ohne dass aller- Besonders seit der Ratizifierung durch die Bundes- dings eine genaue Definition aufgestellt wurde (vgl. republik Deutschland im Jahr 2009, und damit der Salamanca-Statement 1994). Dennoch wurde damit Verpflichtung zur Umsetzung der Grundprinzipien der Inklusionsbegriff in der internationalen Debatte der Inklusion und der inklusiven Schule auf nationa- verankert und die Salamanca-Erklärung wurde auch ler Ebene, sind etliche Publikationen entstanden, die als die „Inklusions-Charta“ bekannt (Sander 2004).5 sich mit der Frage beschäftigen, wie die Neustruktu- rierung des Bildungssystems gedacht werden kann. Auf der Ebene der Umsetzung fand international besonders der „Index of Inclusion“ (Booth/Ainscow Grundsätzlich lassen sich sieben verschiedene Arten 2003) Beachtung, der basierend auf empirischen von Publikationen unterscheiden: Forschungsergebnissen ein erstes und heute noch wegweisendes Instrument für die Implementation • theoretische Beiträge, die vor allem auf die Theo- von inklusiver Schule darstellt (vgl. Kapitel 6.3). riebildung, die Abgrenzungen und Implikationen 5 In der offiziellen deutschsprachigen Übersetzung wurde allerdings stattdessen der Begriff „Integration“ verwandt. Das Wort Inklusion kommt in dieser Übersetzung nicht vor. 20
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