Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
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Insekten- Soforthilfe EIN PRAXISLEITFADEN INSEKTENSTERBEN Diagnose und Zahlen: Wer sind die Verursacher? LEBENSRÄUME Was Bienen & Co brauchen und was jetzt zu tun ist WIR MACHEN WAS! Gute Beispiele und clevere Vorzeigeprojekte
Insekten sind die größte und erfolgreichste Tiergruppe der Welt. Trotzdem sind sie massiv bedroht. Und wir mit ihnen … 1 Wir drängen viele Ökosysteme über die Belastungsgrenze hinaus, was zum Aussterben von Insekten führt. 1 Die Ursachen sind Lebensraumverlust, Umweltverschmutzung, Invasionen, Klimawandel und Raubbau. 1 Wir verlieren damit Biomasse, Vielfalt, einzigartige Geschichte, Funktionen und Interaktionsnetzwerke. 1 Der Rückgang der Insekten führt auch zum Verlust wesentlicher, unersetzbarer Leistungen für die Menschheit. 1 Maßnahmen zur Rettung von Insektenarten sind dringend erforderlich, sowohl für die Ökosysteme als auch für das Überleben der Menschen. Aus: „Warnung an die Menschheit“ einer internationalen Forschergruppe Pedro Cardoso et al, in: Biological Conservation, Volume 242, February 2020.
FOTO: OTHMAR ORTNER EDITORIAL W ie steht es um das vielzitierte Insektensterben? Woher kommt es und was können wir tun, um es aufzuhalten? Diese Bro- schüre bereitet die vielfältigen Ursa- chen des Artenverlustes bei Schmet- terlingen, Käfern, Bienen & Co und sei- ne dramatischen Folgen auf. Vor allem aber zeigt sie, dass Handeln hilft und was jeder und jede Einzelne tun kann. Die Insektenwelt zeigt dramatische Rückgänge, vor allem in der Agrarland- schaft, aber sogar in Schutzgebieten sinken die Bestände alarmierend. Wollen wir ihre Vielfalt erhalten und fördern, braucht es zuallererst ein Umdenken in unserem Umgang mit der Natur und bei der Art unserer Landnut- zung. Denn die Ursachen für das „Stille Sterben“ sind so gut wie alle men- schengemacht und weisen den Weg zur dringend nötigen „Soforthilfe“: Handeln tut not und zwar auf allen Ebenen. Das ist aber zugleich auch die gute Nachricht: Von der Politikerin bis zum Hobbygärtner, vom Hausmann bis zur Landwirtin, von der Bauhofmitarbei- terin bis zum Lehrer – jede/r Einzelne kann etwas tun, um den Insekten das Überleben zu erleichtern. Ob groß oder klein – es zählt jeder Beitrag. Dieser Praxisleitfaden zeigt, wie Lebensraumschaffung funktioniert, gibt Handlungsempfehlungen und stellt viele gute Beispiele vor: Arten- reiche und bunte Blühflächen im Sied- lungsraum und auf öffentlichen Flä- chen, insektenfreundliche Gestaltung und Pflege von Wegrändern, vielfältige Gärten mit heimischen Blumen und Sträuchern oder ein Balkon voller Leben … Die Möglichkeiten, Insekten Insekten sind als Basis unserer Ökosysteme zu fördern sind vielfältig. Das zeigt die ebenso unverzichtbar wie für die Sicherung unserer Ernährung. Die Landbewirtschaftung Broschüre des Naturschutzbundes – hat eine große Verantwortung dafür, welche verbunden mit dem dringenden Zukunft Acker-Hummel oder Feld-Hase haben. Aufruf zu Handeln und der Botschaft: „Jeder Quadratmeter zählt“. Ein Praxisleitfaden 1
INHALT 01 Editorial 02 Inhaltsverzeichnis 03 Vorwort: Insekten sterben still ... WARUM VIELFALT WICHTIG IST UND WAS GESCHEHEN IST 04 Artenreich und unverzichtbar – Vielfalt auf sechs Beinen 05 Bestäuber in der Krise – warum wir Bienen & Co brauchen 06 Insekten im Sinkflug – Bestandszahlen und Trends 07 Die Treiber des großen Sterbens – ein multiples Systemversagen WAS ZU TUN IST 14 Die wichtigsten Sofortmaßnahmen – ein Forderungspapier LEBENSRÄUME HEISST DAS ZAUBERWORT 18 Was Sechsbeiner brauchen – Raum zum Leben geben 19 Verantwortungsvolle Landwirtschaft – Einstieg in den Umstieg 20 Vielfalt beginnt vor der Haustür - Jede/r kann etwas tun 21 Öffentliches Bunt - Gemeinden als Vorbild 22 Zeigen wie‘s geht: Handlungsanleitungen 23 Sandbeet und Lehmstreifen 24 Blumenwiese und Bienenweide im Kübel 26 Käferbeet und Totholzhaufen 27 Trockenmauer und Lesesteinhaufen 28 Schmetterlingsspirale und Schmetterlingsweide GUT GEMACHT 30 Wir machen was! – Gute Beispiele 31 Eine Gemeinde schafft Blütenvielfalt – Lustenau geht in die Bienenoffensive 32 Nützlinge zum Einzug verführen – (M)ein (G)Artenreich 33 Von Bauer zu Bauer über Artenvielfalt reden – Vielfalt auf meinem Betrieb 34 Wildbienenbildung – Blühendes und Summendes Wipptal 35 Einsatz für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge & Co – BotschafterInnen für Blütenreichtum 36 Projektunterstützung vor Ort – Bienenschutzfonds 37 Unser Boden für Bienen – Bienenfreundliche Gemeinden FOTO: KIE-KER 38 Unsere Wiesen leben – Artenvielfalt in Bauernhand 39 Bunte Wiesen wie früher – Aktion Wildblumen 40 Samen sammeln – Klosterneuburger Wiesenjuwelen 41 Artenreiche Blumenvielfalt – Die Quadres-Wiesen der Familie Pfefferkorn 42 Auszeit für die Natur – Ein Herz für Bienen 43 Citizen-Science vom Feinsten – Hummeln erkennen, melden und schützen 44 Blühflächen-Praxis – „Natur verbindet“-Praxistag 45 Blütenpracht das ganze Jahr – Ein Wildbienengarten für Faulenzer 46 Vielfalt am Straßenrand – Insekten-Hotspots erhalten und gestalten 47 Bewohnerservice als Drehscheibe – Vom Naturspaziergang bis zur neuen Blühfläche 48 Natur verbindet! – Blumenwiesen braucht das Land! U3 Literatur und Quellen, Bildnachweis, Impressum 2 Insekten-Soforthilfe
VORWORT INSEKTEN STERBEN STILL ... FOTO: CHRISTINE PÜHRINGER Der Mensch ist einer der wichtigsten Einflussfakto- waren es 2.100 Arten im Jahr 1983. Allerdings sind die ren auf die biologischen, geologischen und atmosphä- obigen Daten schon mehr als 35 Jahre alt. Nach grober rischen Prozesse geworden, das ist nichts Neues. Wie Einschätzung unserer heutigen Umweltsituation rech- schnell und gravierend diese Änderungen ablaufen net der renommierte Entomologe und Vizepräsident des jedoch schon. Das Zeitalter des Anthropozäns ist Naturschutzbundes Johannes Gepp heute für Öster- spätestens mit der Erkenntnis, dass der Mensch für reich in einem Fachartikel (Gepp 2019) mit 14.000 im den massiven Rückgang der Insekten weltweit verant- Bestand abnehmenden Insektenarten! Mehr dazu in wortlich ist, eine traurige Wahrheit geworden. seinem Beitrag im ersten Teil der Broschüre. Neueste Untersuchungen von australischen For- Tatsächliche Beachtung fand der dramatische Insek- schern legen nahe, dass 40 % der globalen Insekten- tenverlust erst durch die Veröffentlichung neuer Studi- fauna in den kommenden Jahrzehnten aussterben en, die durch die Medien einer breiteren Öffentlichkeit könnten (Sanchez-Bayo & Wyckhuys 2019). Für die ar- zugänglich gemacht wurden. So publizierte ein deut- tenreichste Tierklasse, die zahlreiche wichtige ökolo- sches Autorenteam, dass die gesamte Biomasse der gische Funktionen in unseren Ökosystemen erfüllt, ist Fluginsekten in nur 27 Jahren um 76 % abgenommen dieser Befund alarmierend. Insekten sind nicht nur hat (Hallmann et al. 2017). Ein besonderes Gewicht er- durch ihre Bestäuberleistungen, sondern auch als Zer- langt diese Studie, weil die zugrunde liegenden Daten setzer toter Substanzen, als Fressfeinde anderer Arten nicht aus intensiv bewirtschaftetem Agrarland stam- oder Parasiten und als Nahrungsgrundlage vieler Orga- men, sondern in ausgewiesenen Naturschutzgebieten nismen unersetzbare Puzzlestücke in einem komplexen erhoben wurden. Dies verdeutlicht, dass der Verlust der Netz von Interaktionen. Ihr Aussterben würde unab- Artenvielfalt von Insekten nicht nur durch den Erhalt schätzbare Folgen nicht nur für die Wirtschaft, sondern bestehender Schutzgebiete gestoppt werden kann, auch für jede/n Einzelne/n von uns nach sich ziehen. sondern zahlreiche weitere Maßnahmen nötig sind, um Dabei ist das Insektensterben kein neues Phänomen. den Rückgang der Diversität zu bremsen. Bereits vor 115 Jahren wurde das auffällige Verschwin- Denn eines ist inzwischen klar: Hauptverursacher den des Apollofalters bei Wien dokumentiert (Gepp des Insektensterbens ist der Mensch und er ist es auch, 2003). Später, in den 1980er-Jahren, konstatierten der dringend Maßnahmen setzen muss, um ihr Ver- Fachleute den Rückgang bestimmter Insektengruppen schwinden einzudämmen bzw. ihre Lebensbedingun- und appellierten bereits damals, entsprechende Maß- gen zu verbessern. nahmen zu ergreifen. Der Steirische Naturschutzbund listete nicht weniger als 955 gefährdete Insektenarten Univ.-Prof. (i.R.) Dr. Roman Türk, in Roten Listen für die Steiermark auf. In ganz Österreich Präsident | naturschutzbund | Österreich Ein Praxisleitfaden 3
WARUM VIELFALT WICHTIG IST ARTENREICH UND UNVERZICHTBAR VIELFALT AUF SECHS BEINEN Mit über 40.000 Arten sind die Insekten die mit Abstand größ- te Artengruppe Österreichs. Unter den Insektenordnungen dominieren die Zweiflügler und die Hautflügler, gefolgt von den Käfern und Schmetterlingen. K äfer, Schmetterlinge, Bienen, Fliegen,... Schätzungen über die Anzahl der auf der Erde lebenden Arten rei- chen von 10 bis 100 Millionen. Im Vergleich dazu ist nur ein relativ kleiner Teil von rund 1,7 Millionen Arten beschrieben. Österreich weist aufgrund seiner naturräumlichen Gegebenheiten und seiner geographischen Lage ein breites Spektrum an Lebensräumen und Arten auf (vgl. Geiser 2018) und zählt mit ca. 75.600 Arten zu den artenreichsten Ländern in Europa. Deutschland hat im Vergleich lediglich 71.500 beschriebene Arten bei einer Flä- che, die über viermal so groß wie Öster- reich ist. Über die Hälfte aller Arten in Öster- reich (inklusive Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Fischen usw.) sind Insekten. Sie haben eine enorme Bedeu- tung für unsere Ökosysteme. FAZIT Die Artenvielfalt Österreichs mit insgesamt ca. 75.600 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten wird von den rund 40.000 Insektenarten (40.010, nach E. Geiser) eindeutig dominiert, fast zwei Drittel davon sind Hautflügler und Zweiflügler. 4 Insekten-Soforthilfe
WARUM VIELFALT WICHTIG IST BESTÄUBER IN DER KRISE WARUM WIR BIENEN & CO BRAUCHEN Im Alltag werden Insekten oft als lästige und unwichtige Nadeln und machen die darin gespeicherten Nährstoffe Quälgeister wahrgenommen, was einerseits ihrer oft wieder für Pflanzen verfügbar. Insekten tragen auch zum geringen Größe geschuldet ist, andererseits ihrer Vor- Abbau von totem Holz bei. Sie zerkleinern Holz, Rinde und liebe für zuckerhaltige Lebensmittel. Aber Insekten andere organische Materialien und ermöglichen so deren spielen (oft abseits der menschlichen Wahrnehmung) Abbau durch Mikroorganismen. Durch die Besiedelung eine entscheidende Rolle in unseren Öko- von geschwächten Bäumen können diese absterben, systemen. wodurch der Gesundheitszustand des Waldes ins- Sie sind unersetzbare Garanten für die gesamt gefördert wird. Neben pflanzlicher pflanzliche Vermehrung und haben we- Kost ernähren sich Insekten auch von Kot sentlichen Einfluss auf die Primärpro- und den Kadavern anderer Wildtiere, duktion. Sie leisten als Bestäuber die so verwertet und dem natürlichen einen wichtigen Beitrag zur Ver- Kreislauf wieder zugeführt werden. sorgung der Menschen mit Nah- rungsmitteln und sind daher fes- NAHRUNGSGRUNDLAGE ter Bestandteil der landwirt- Insekten fressen aber nicht nur, schaftlichen Produktion. Zu den sie werden auch gefressen. Sie Bestäubern zählen bei uns zum dienen als Nahrung für Vögel, Am- Beispiel 700 Wildbienenarten, aber phibien, Reptilien, Säugetiere und auch zahlreiche Schmetterlingsar- andere Insekten. Sie sind daher nicht ten, Fliegen, Motten, Käfer und Wes- nur die Nahrungsbasis zahlreicher an- pen. Auch Vögel und andere Tierarten derer Organismen, sondern können da- können Pflanzen bestäuben, ihre Bedeu- durch auch die Lebensgrundlage anderer tung in diesem Zusammenhang ist im Vergleich Arten regulieren und das massenhafte Auftreten zu den Insekten jedoch verschwindend gering. Durch von Schädlingen verhindern. die Bestäubung wird der Blütenpollen von den männli- chen auf die weiblichen Pflanzenteile übertragen. Ein Gäbe es keine Bestäubung durch Insekten, würden bei Kakao, Wassermelonen oder Kürbissen Ernterückgänge Großteil unserer Nutz- und Wildpflanzen hängt von ei- von über 90 Prozent drohen. Apfel-, Kirschen- oder auch ner Bestäubung durch Tiere ab. Gurkenernten würden um 40 bis 90 Prozent schrumpfen. FOTO: WOLFGANG SCHRUF NATUR-DIENSTLEISTER In ganz Europa hat die Bestäubungsleistung der Insek- ten jährlich einen Wert von etwa 14,6 Milliarden Euro. FAZIT Verlieren wir diese Ökosystemleistungen in Österreich, Als bei weitem artenreichste Tiergruppe überhaupt würde ein Schaden von rund 300 Millionen Euro pro Jahr bilden sie das Fundament eines gesunden Ökosys- entstehen. Außerdem würden durch den vermehrten tems und dienen anderen Tieren als Futter. Sie sind Einsatz von Spritzmitteln, der nötig wäre, um die nicht die wichtigsten Pflanzenbestäuber, tragen zur mehr von Nützlingen regulierten Schädlinge unter Kon- Fruchtbarkeit des Bodens bei, bauen organisches trolle zu halten, zusätzliche 250 Millionen Euro pro Jahr Material ab, helfen Schädlinge zu bekämpfen und fällig werden (Klaus-Peter Zulka, Umweltbundesamt). leisten einen zentralen Beitrag zur Versorgung der Neben der Bestäubungsleistung sind Insekten auch Menschen mit Nahrungsmitteln. wichtig für die Verbreitung von Samen, die Ameisen bei- Schon 2009 wurde der ökonomische Wert der Insek- spielsweise sammeln und verbreiten. tenbestäubung auf weltweit über 150 Mrd. Euro ge- schätzt. Doch weit über dem Wert für den Menschen STOFFKREISLÄUFE steht die Bedeutung der Bestäuber für ganze Land- Insekten regulieren Energie- und Nährstoffflüsse und ökosysteme. Diese würden zusammenbrechen, wenn haben so einen Einfluss auf ganze Ökosysteme. Viele sich die insektenbestäubten Pflanzen nicht mehr Arten sind sogenannte Destruenten. Sie fressen abge- fortpflanzen könnten. storbenes organisches Material wie Laublätter und Ein Praxisleitfaden 5
WARUM VIELFALT WICHTIG IST INSEKTEN IM SINKFLUG BESTANDSZAHLEN UND TRENDS E s mehren sich die Hinweise, dass sich die weltwei- ten Insektenzahlen im Sinkflug befinden. Dieser Verlust ist nicht nur ein ästhetischer. Er könnte noch gravierendere Folgen als die des Klimawandels haben. Obwohl einige Entomologen bereits früh vor dem Rückgang der Insekten gewarnt haben, gab es kaum quantitative Daten, die das belegten, beziehungsweise wurden sie wenig beachtet. Das änderte sich 2017, als die Krefelder Studie der Öffentlichkeit präsentiert wurde: Um bis zu 80 Prozent ist die Biomasse fliegender Insekten in Naturschutzge- bieten seit 1989 zurückgegangen. Wurden 1995 noch 1,6 Kilogramm Biomasse in Untersuchungsfallen ge- funden, sind es heute oft nur noch 300 Gramm. Diese Verluste betreffen vor allem die für die Bestäubung wichtigen Gruppen wie Schmetterlinge und Bienen, aber auch Schädlingsan- tagonisten wie Schwebfliegen. Es gibt zahlreiche weitere Studien, die den Abwärts- trend bestätigen. Nieder- ländische Entomologen berichten von einer Ab- nahme von Käfern und Nachtfaltern um 72 und 54 Prozent. In Schottland nahm die Anzahl der Fluginsek- ten zwischen 1970 und FOTO: OTHMAR ORTNER 2002 um zwei Drittel ab. Das ist freilich nur ein kleiner Ausschnitt an Forschungen, die sich mit dem Insektenschwund be- schäftigen. Doch alle haben sie eines gemeinsam – den massi- FAZIT ven Rückgang an Insekten. In Öster- Die Durchschnittswerte aller vorliegenden Roten reich fehlen aktuelle Studien, aber anhand Listen gefährdeter Insektenarten ergeben einen der Untersuchungen aus Nachbarländern lässt sich Gefährdungsprozentsatz von 40,02 Prozent – hoch- der Rückgang auch hierzulande nicht leugnen. gerechnet ist damit zu befürchten, dass rund 16.000 Ein Blick auf die Roten Listen gefährdeter Insekten- Insektenarten Österreichs im unterschiedlichen Aus- arten in Österreich (Zulka 2005, 2009) zeigt, dass auch maß gefährdet sind. Betroffen sind vor allem Arten, bei uns ein Großteil der Tiere in Bedrängnis ist und in die spezialisiert sind. Eine aktuelle Meta-Studie er- naher Zukunft gänzlich verschwinden könnte (s. Ab- gab, dass auch weltweit 40 Prozent der Insektenar- bildung Seite 12). ten einen Rückgang zeigen und ein Drittel der Arten Auch außerhalb Europas zeichnet sich ein ähnliches vom Aussterben bedroht ist. Bild ab, wo Studien aus aller Welt den Arten- und Bio- masserückgang von Insekten dokumentieren. 6 Insekten-Soforthilfe
WAS GESCHEHEN IST FOTO: OTHMAR ORTNER Mit rund 4.070 registrierten Schmetterlings- arten liegt Österreich in Nord- und Mitteleuropa auf Platz Eins. Doch mehr als die Hälfte der Tiere ist bedroht – wie dieser Apollofalter. DIE TREIBER DES GROSSEN STERBENS EIN MULTIPLES SYSTEMVERSAGEN Der Insektenschwund der vergangenen Jahre bzw. Jahrzehnte kann nicht auf eine einzelne Ursache reduziert werden. Vielfältige Faktoren beeinflussen den Bestand und die Artenvielfalt von Insekten. Verschiedene Publikationen kommen aber immer wieder auf gleiche Gefährdungsursachen. EINTRAG VON STICKSTOFF werden, um landwirtschaftliche Schädlinge zu mini- Die ungebremste Stickstofffreisetzung durch den Stra- mieren. Durch deren Einsatz werden aber nicht nur ßenverkehr, in der Landwirtschaft und durch die Ver- Schädlinge, sondern auch Nützlinge beeinträchtigt: Sie brennung fossiler Energieträger in Kohle-, Gas- und Öl- tragen daher zum massiven Rückgang der gesamten verbrennungsanlagen zählt neben dem Klimawandel und Insektenfauna bei. Neonicotinoide sind hochwirksame dem Verlust biologischer Vielfalt zu den weltweiten Um- Gifte, die vor allem auf das Nervensystem von Insekten weltproblemen. Durch die Freisetzung des Stickstoffs wirken. Sie beeinträchtigen den Orientierungssinn, re- gelangt dieser in hohen Mengen in unsere Umwelt. Zwar duzieren das Lernvermögen, schwächen das Immun- brauchen Pflanzen ein gewisses Maß an Nährstoffen um system, senken die Fortpflanzungsfähigkeit und ver- zu wachsen, aber eine Überfrachtung durch Stickstoff kürzen die Lebenszeit. Sie erhöhen weiters die Replika- führt zur Verarmung von Pflanzengesellschaften, bei- tion des tödlichen DWV-Virus-Genoms bei Honigbienen spielsweise auf mageren artenreichen Blumenwiesen. um mehr als das Tausendfache. 2018 forderten 233 Diese artenreichen Wiesen sind aber Lebensraum für ei- Wissenschaftler im renommierten Wissenschaftsma- ne artenreiche Insektenfauna. Ihr Verschwinden führt gazin Science ein weitgehendes Verbot für den Einsatz auch zum allgemeinen Rückgang vieler Arten. von Neonicotinoiden. Die Wissenschaftler betonten die Wichtigkeit, vor allem schnell auf die Bedrohung zu re- Einsatz von Pflanzenschutzmitteln agieren - nicht nur um den weiteren Rückgang der Ar- Neonicotinoide sind Schlüsselfaktoren für den enor- tenvielfalt zu stoppen, sondern auch um die Leistungen men Rückgang der Insekten. Hierbei handelt es sich um nicht zu gefährden, die Insekten für zukünftige Genera- hochwirksame Insektizide, welche gezielt ausgebracht tionen erbringen können. Diese Insektizide sind näm- Ein Praxisleitfaden 7
WAS GESCHEHEN IST FOTO: PIXABAY Keine Hecken, Blühstreifen oder vergessenen Ackerränder, auf denen Beikräuter und Wildblumen wachsen könnten. lich nicht nur schwer abbaubar, sondern auch wasser- Flächige Artenverarmung durch löslich und gelangen so in das Grundwasser und ver- Intensivlandwirtschaft bleiben dort. Die Vielfalt an Insektenarten nimmt nahezu überall und zunehmend ab. Diesem objektiv bestätigten FLÄCHENVERLUST UND HABITATZERSTÖRUNG Trend folgt auch das subjektive Empfinden der Laien, Naturlandschaften sind selten geworden und beschrän- die beklagen, immer weniger „Allerweltsinsekten“ ken sich nur mehr auf ganz wenige Bereiche, etwa in anzutreffen. Die Biomasse an Insekten sinkt vieler- hochalpinen Lagen. Während die Dominanz der Kultur- orts gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf ein landschaft in tieferen Lagen einleuchtet, sind auch Maß, wie es vor Jahrzehnten nur von städtischen Zentren bekannt war. Diese Veränderungen sind stel- noch sehr naturnah wirkende Bereiche bereits weit weg lenweise auch in Schutzgebieten zu beobachten – von der ursprünglichen Naturlandschaft. Die Urwälder zumindest im Einflussbereich und im Zusammenhang sind Wirtschaftswäldern gewichen und der Flächenver- mit der industriell geprägten und chemisch belaste- lust schreitet weiter fort. Täglich gehen in Österreich ten Intensivlandwirtschaft. 11,8 ha an Fläche durch den fortschreitenden Siedlungs- Extensiv genutzte und bisher artenreiche Flächen und Gewerbebau aber auch durch den Ausbau der Infra- werden zugunsten der produktionsorientierten Land- struktur verloren. In der Landschaft gibt es nur noch wirtschaft intensiviert und daher als natürliche Le- wenig Platz für natürliche Entwicklungen. Ein Großteil bensräume wildlebender Tiere und Pflanzen zerstört. der naturnahen Hecken, Böschungen sowie der artenrei- Das Ausmaß und die Trends des vereinfacht bezeich- chen Waldrand- und Ufervegetationen sind verloren ge- neten „Insektensterbens“ haben für namhafte Ökolo- gangen und somit auch Rückzugs-, Entwicklungsräume gen, Naturschützer und kritische Agrarexperten die Vorwarnstufe weit überschritten und die Gefähr- sowie Nahrungsquellen für Insekten. Der fortschreiten- dungskategorien erreicht. den Bodenversiegelung in Österreich fallen täglich wich- Unser heutiges Tempo radikaler Änderungen scha- tige Lebensräume von Tieren und Pflanzen zum Opfer. det spezialisierten Arten und erleichtert die Massen- Trotz entsprechender rechtlicher Rahmenbedingungen vermehrung von anpassungsfähigen Spezies, führt werden viele Eingriffe durch die Neuanlage von Ersatz- letztlich zum 6. Massensterben der Arten auf der Er- flächen und durch Biotoppflegemaßnahmen nur unzu- de. An Stelle der Artenvielfalt treten Artenarmut und reichend kompensiert. Die Novellierung der Umweltver- Schädlingsvermehrung. Ökosystemleistungen wie träglichkeitsprüfung, die eine deutliche Erleichterung Pflanzenbestäubung, Schädlingsregulierung, Abbau und Beschleunigung im Genehmigungsverfahren für von Biomasse oder „Naturgenuss durch Artenvielfalt“ Großprojekte bringt, wird die Bodenversiegelung und den sind in Gefahr! Es bedarf einer sofortigen intensiven Flächenverlust weiter vorantreiben. Befassung aller beteiligten und betroffenen Wissen- schaftsdisziplinen und eines absehbaren und um- fassenden Gegensteuerns. Die herausragende Stel- FRAGMENTIERUNG DER LANDSCHAFT lung der Insekten in unseren Landökosystemen be- Die Bebauung von freien Flächen führt nicht nur zu ei- trifft essentielle Zukunftsprobleme der Menschheit – nem Flächenverlust, sondern auch zu einer zunehmen- insbesondere der Landwirtschaft! den Fragmentierung der Landschaft. Ursprünglich zu- 8 Insekten-Soforthilfe
WAS GESCHEHEN IST FOTO: FELIX MITTERMEIER Durch den Klimawandel treten Insekten und Krankheiten, die den Wald schädigen, in gehäufter Form auf. sammenhängende Lebensräume werden durch den Bau DER KLIMAWANDEL von Siedlungen, Straßen, Eisenbahnlinien usw. immer Der Klimawandel als globales Problem macht auch vor weiter zerschnitten. Populationen werden dadurch Österreich nicht Halt und zeigt bereits erste Auswirkun- voneinander getrennt und können sich nicht mehr re- gen. Unter den 20 wärmsten Jahren der gesamten produzieren. Stirbt eine solche Population durch ein 252-jährigen Messgeschichte liegen 14 in den 2000er- Zufallsereignis aus, ist eine Wiederbesiedelung durch Jahren. Die acht wärmsten Jahre der Messgeschichte eine andere Population oft schwierig bis unmöglich. Der sind derzeit 1994, 2002, 2007, 2009, 2014, 2015, 2016 fehlende genetische Austausch kann auch Krankhei- und 2018: ten fördern und führt zu verminderter Resistenz gegen- Durch Erwärmung des Klimas werden zahlreiche über mikroklimatischen Veränderungen. Insektenpo- heimische Arten gezwungen, entweder Richtung Nor- pulationen, die in kleinen Arealen vorkommen, sind den oder im Alpenraum in höhere Lagen zu wandern. durch den Randeffekt verstärkt negativen Einflüssen Durch die Höhenbegrenzung der Berge werden Insekten von außen (z. B. Schadstoffe, Pestizide usw.) ausge- aber auch andere Tiere ins obere „Nichts“ gedrängt. setzt. Die Erwärmung bewirkt das Einwandern oder die Etablierung neuer Arten, NUTZUNGSINTENSIVIERUNG darunter auch Schädlinge FOTO: PIXABAY (ENTWERTUNG VON oder problematische Krank- LEBENSRÄUMEN) heitsüberträger, die hei- Die zunehmende Intensi- mische Arten verdrängen vierung der Landwirt- können. Ihr Auftreten be- schaft wirkt sich negativ dingt weitere chemische nicht nur auf die Insek- Schädlingsbekämpfung, die ten-, sondern auch auf die u. U. breitenwirksam ande- Pflanzenvielfalt aus. Eine ren nützlichen Insekten- Durch Straßen und Siedlungen werden nicht nur immer häufigere Mahd ver- Lebensräume zerstört, sondern auch Populationen arten schaden kann. Durch hindert den Fortpflan- von Insekten voneinander getrennt. die milden Winter und lo- zungserfolg von Insekten kal höhere Niederschläge und verringert die Vielfalt werden Parasiten, Schäd- an Pflanzen. Die frühe Mahd von Wiesen beeinflusst die linge und Pilzkrankheiten zunehmen. Reproduktion der Pflanzen, da die Samenreife vieler Die Folgen des Klimawandels und dessen Auswirkun- Arten nicht erreicht wird, wodurch die Diversität von gen wie mildere Temperaturen und höhere Niederschlags- Pflanzen und damit auch die der Insekten zurückgeht. mengen im Winter, trockenwärmere Frühjahre sowie eine Durch immer größer werdendes Weidevieh und stärkere fehlende Schneedecke im Winter stören die witterungs- Besatzdichten kommt es zu größeren Trittschäden und abhängige Entwicklung vieler Insektengruppen. einseitigem Bewuchs mit weideresistenten Pflanzen- Obwohl die überwiegende Masse der Insektenarten arten und somit zu einer Verarmung der Flora. Mitteleuropas in Starre überwintert, gibt es bei genauer Ein Praxisleitfaden 9
FOTO: OTHMAR ORTNER LICHTVERSCHMUTZUNG Lichtverschmutzung ist die künstliche Aufhellung des Nachthimmels, das heißt eine dauernde Abwesenheit völliger Dunkelheit. Dadurch bleibt uns nicht nur die Sicht auf den Sternenhimmel verwehrt, das Phänomen stellt auch nachtaktive Insekten vor immer größere Probleme. Künstliche Lichtquellen gibt es viele und es werden immer mehr: Straßenlaternen, Gebäudebe- leuchtung, Leuchtreklame, Autoscheinwerfer usw. strahlen nachtein, nachtaus und locken Milliarden von Insekten aus ihrem Lebensraum. Grund dafür ist das kurzwellige Licht mit einem hohen Blau- und Ultravio- lettanteil. Diese Lichtquellen stören das Fortpflan- zungsverhalten und den Lebensrhythmus von Insek- ten erheblich. Häufig gehen sie an den Lichtquellen zugrunde. Bei Millionen von Lichtquellen allein in Österreich, ein Zahlenspiel für Statistiker. Wie Staubsauger ziehen künstliche Lichtquellen Fluginsekten an. Betrachtung mehrere hundert Insektenarten, die in den Wintermonaten zeitweise aktiv sind. Unter diesen „Schneetüchtigen“ gibt es verirrte Zufallsexemplare, aber genauso echte Schneeinsekten, die im Winter re- gelmäßig auf Schnee anzutreffen sind. Die tiefsten Einzelfunde von Schneeinsekten liegen bereits jetzt von Jahr zu Jahr höher. Allgemein bekannt ist, dass Zugvögel in großer An- zahl über die Alpen fliegen. Kaum bekannt ist, dass auch einige hundert Insektenarten in Massen über wei- te Distanzen fliegen. Ein Dutzend Schwebfliegenarten Mitteleuropas wandert meist um Mitte Juli von der nördlichen Hälfte Mitteleuropas kommend in Richtung Alpen. An diesen Massenflügen beteiligen sich Milliar- den Tiere, die sich in den früheren Jahren in den nördli- FOTO: JOHANNES GEPP chen Alpentälern der Ostalpen (genauso in den Westal- pen) stauten. Kommt es nun zu Erwärmungen, wandern sie weiter Richtung Süden und fehlen in den nördlichen Alpenteilen mit noch nicht absehbaren ökologischen Folgen. 10 Insekten-Soforthilfe
WAS GESCHEHEN IST FOTO: JOHANNES GEPP FOTO: JÜRGEN ROTNER Insekten, die das Gemetzel der Mähwerke überleben, werden Abertausende Fluginsekten fallen mit dem Grasschnitt luftdicht in Plastik verpackt. noch immer dem Verkehr zum Opfer. GEBÄUDEBELÜFTUNGEN ALS TODESFALLEN Straßenränder niederzuschlegeln oder zu mulchen, ist Moderne Bürogebäude, aber auch Industriehallen für viele Insekten katastrophal. So werden auch exten- werden zunehmend zentral belüftet. In den enormen siv wirkende Straßenränder vermehrt zu „Killing Fields“ Luftmengen, die durch die Filteranlagen angesaugt für Insekten. Neuere Straßenrand- und Wiesenpfle- werden, befinden sich auch zahlreiche Kleinstinsek- ge-Methoden sehen das Aufsaugen des Schnittgutes ten (das Luftplankton), die bei entsprechend starker vor, wodurch Unmengen an Insekten, auch von der Bo- Einstellung im Filternetzwerk hängen bleiben. Bis zu denoberfläche, eingesaugt werden. fünf Millionen Insekten konnten so jährlich für ein ein- ziges achtstöckiges Gebäude als Lüftungsopfer ge- VOM KREISELMÄHER BIS ZUM LAUBSAUGER zählt werden. Wenn wir die Mähsensen aus der vorindustriellen Zeit mit den heutigen modernen Mähsaugern vergleichen, VERKEHR UND INSEKTENKOLLISIONEN erkennt man, dass sich die insektenschonende Sen- Nicht nur der Straßenverkehr, sondern auch der Bahn- senmahd von damals in eine heute insektentötende und Flugverkehr sind sowohl für Wild und Vögel als auch Maschinerie entwickelt hat. Die Sensenmahd sowie die insbesondere für Fluginsekten eine tödliche Falle. Jähr- Balkenmahd mit Traktoren eliminierte höchstens einige lich sterben hunderttausende Säugetiere, Millionen Vö- Prozente der Schmetterlingsraupen, Heuschrecken gel und Billiarden Insekten auf unseren Straßen. oder sonstige Wiesenbewohner. Die heutigen Kreisel- mäher zerhäckseln nicht nur die wenig beweglichen VERSCHMUTZUNG Insektenlarven, sondern saugen auch die vagileren In freier Natur ist Müll in den kultivierten Regionen Mit- teleuropas immer seltener anzutreffen. Andererseits FOTO: PASJA, PIXABAY kann eine weggeworfene Alu-Dose in freier Natur für Jahrzehnte zur problematischen Falle werden. Die Res- te der meist zuckerhaltigen Getränke locken erste In- sekten an, die bei geeigneter Neigung der liegenden Dose zwar hinein, aber durch die glatten Innenwände nicht mehr heraus können. Die dadurch sterbenden In- sekten locken Aaskäfer an, die ebenfalls in die wegge- worfene Dose krabbeln und allmählich das gleiche Schicksal erleiden. Durch diese Kettenreaktion können in einer einzigen Alu-Dose bis zu 50 Aaskäfer und ande- re Insekten ihr Grab finden. Nach dem Winter beginnt im nächsten Frühjahr die Fallenwirkung für eine nächste „Alu-Dosen-Biozönose“. STRASSENRÄNDER ALS TODESFALLE Vor Jahren lobten Naturschützer die relativ „verwilder- ten Straßen- und Wegränder“. Straßenränder können Saugmäher, wie sie leider überall zur Mahd der pflanzenartenreich bewachsen sein und damit auch Straßenböschungen eingesetzt werden, entfernen Lebensraum diverser Insekten. Der zunehmende Trend, nicht nur das Mähgut, sondern auch alle Insekten. Ein Praxisleitfaden 11
WAS GESCHEHEN IST Gegenüberstellung ungefährdeter und gefährdeter Insektenarten von zehn ausgewählten Insektengruppen (nach Zulka ed. 2005–2009): Durchschnittlich 50 Prozent der Arten sind in unterschiedlichen Ausmaßen gefährdet. Arten unter den Heuschrecken, Wanzen, Zikaden bis hin Pheromone können ein größeres Spektrum an Arten an- zu den Spinnen ein. Jene Exemplare, die nicht von rotie- ziehen, welche sich an ähnlichen Duftstoffen orientie- renden Mähmessern zerstückelt wurden, werden mit ren. So passiert es leider, dass neben den Borkenkäfern dem Grasschnitt in Plastikfolien luftdicht verpackt. auch etliche andere, oft gefährdete Insektenarten mit angelockt und letztlich abgetötet werden. Solche Fallen FICHTENMONOKULTUREN werden oft nicht nur in der Forstwirtschaft eingesetzt, Fichtenmonokulturen stellen nach wie vor ein großes auch in unseren Wohnräumen und Glashäusern kommen Problem dar und haben lang dauernde Nachwirkungen. Gelbfallen zum Einsatz. Neben Schädlingen befinden Zwar hat sich der Monokulturanteil zuletzt gesenkt, sich auch Nützlinge an den klebrigen Teilen. In freier Na- aber mit 60 Prozent nimmt die Fichte noch einen Groß- tur angebracht – um die Anwendung von Insektiziden zu teil der Ertragswälder in Österreich ein. Die Baumart vermeiden – werden sie zu Fallen für hunderte Insekten- wird durchaus von hunderten Insektenarten besiedelt, arten des Gartens, die daran festkleben. Besonders aber das ist nur ein geringer Anteil der vielfältigen betroffen sind kleine parasitische Hymenopteren, aber Waldfauna des Alpenraumes. Durch die oft gleichaltri- auch zahlreiche blütenbesuchende Insektenarten. gen und zu dicht gesetzten Fichtenforste wird der Boden beschattet, und durch den Abbau der Nadeln SCHADSTOFFEINTRAG versauert er allmählich, dadurch wird die bodennahe Umweltgifte gelangen aus unseren Haushalten, dem Pflanzenvielfalt reduziert und somit auch die sonst Straßenverkehr, der Industrie und aus der Landwirt- reichhaltige Insektenfauna. schaft oft ungefiltert in die Natur, wo sie lange verblei- ben und schweren Schaden anrichten können. Diese UNSPEZIFISCHE PHEROMON- UND GELBFALLEN Schadstoffe geraten nicht nur in das Grundwasser, Pheromonfallen für Borkenkäfer sollten hochspezifisch sondern werden von Organismen aufgenommen und wirksam sein, um nur wenige Arten von Schadinsekten reichern sich an. Einige gasförmige, flüssige oder leicht anzulocken. Mitunter sind sie es auch, bis Nebenfakto- lösliche Umweltgifte werden verdriftet und entfalten ren eintreten. Befinden sich in den Pheromonfallen gro- ihre Wirkung oft weit weg vom eigentlichen Einsatzort, ße Mengen an toten Insekten, so locken diese aasfres- z.B. in Schutzgebieten, die als letzte Refugialräume sende Insekten an. Aber auch angeblich spezifische seltener Insekten dienen. 12 Insekten-Soforthilfe
WAS GESCHEHEN IST GEWÄSSERREGULIERUNG UND GEWÄSSERVERSCHMUTZUNG FOTO: THOMAS HOANG; PIXABAY Gewässer spielen eine wichtige Rolle im Leben vieler Insekten. Zahlreiche Gruppen wie Libellen, Köcherflie- gen, einige Wanzen, Zweiflügler und Käfer sind in ihrer Larvalentwicklung auf Wasser angewiesen. Durch das Handeln des Menschen sind über die vergangenen Jahrzehnte die meisten ursprünglichen, naturnahen Gewässer verschwunden oder sie eignen sich nicht mehr als Kinderstube der Insekten: Durch Regulierungen und Begradigungen unserer Flusssysteme ist nicht nur die Gefahr für Hochwässer massiv gestiegen, auch der Strukturreichtum hat stark abgenommen. Durch diese baulichen Maßnahmen wur- de die Fließgeschwindigkeit erheblich erhöht, womit Strukturen in Form von Pflanzen weggespült werden, was negativen Einfluss auf Insektenpopulationen hat. Auch die Einleitung von Abwässern in Bäche und Flüsse In den Wirtschaftswunderjahren kam es zu einer kann eine Gefahr für Insekten darstellen. erheblichen Einleitung von Abwässern, die um 1970 ih- ren Höhepunkt fand. Nahezu alle Fließgewässer Mittel- europas waren damals stark verunreinigt. Dadurch gab es vor etwa 50 Jahren in den größeren Fließgewässern FAZIT unterhalb von Städten kaum noch wasserbewohnende Stickstoff- und Pestizidbelastung, Strukturarmut und Insekten. Auch heute kommt es stellenweise noch zu Ausräumung der Landschaft sowie Habitatverlust Verunreinigungen, die den Insekten stark zusetzen und Lebensraumzerstörung gelten als Hauptverur- können. sacher des Insektensterbens bei uns. Viele dieser „Treiber“ sind eng mit der industrialisierten Landwirt- Im Zuge des Klimawandels und durch die Erwärmung schaft verknüpft. Und sie wirken nicht isoliert, son- der Fließgewässer durch Industrieanlagen mit Wärme- dern verstärken sich gegenseitig. tauschern kommt es zunehmend zu einer Verschiebung Als hauptverantwortlich für das Insektensterben der Gewässertemperaturen nach oben im Gewässer- identifiziert eine aktuelle Übersichtsstudie den Ver- lauf. Dadurch verschieben sich auch die unterschied- lust von Lebensraum durch intensive Landwirtschaft lichen Artenvorkommen allmählich. sowie die zunehmende Urbanisierung. In Gärten, die Durch die immer intensiver werdende Landwirt- nur aus Rasenfläche bestehen, oder umgepflügten schaft reichen Monokulturen und andere Landwirt- Ackerrandstreifen finden Insekten weder Nahrung schaftsflächen immer näher an die Gewässerränder noch Nistplätze. Zusätzliche wichtige Ursachen für den Insektenschwund sind laut der Studie der Ein- heran. Damit werden viele Gewässer durch Düngung satz chemischer Schadstoffe wie Pestizide und syn- und Pestizideinsatz stark belastet und Insekten haben thetische Düngemittel, invasive Arten und der Klima- kaum eine Chance, sich zu vermehren etc. wandel. Um diesen Treibern entgegenzuwirken, sind struktu- relle Weichenstellungen erforderlich – etwa über die Umgestaltung der EU-Agrarförderung Die Autoren: LITERATUR Prof. Univ.-Doz. Dr. Johannes Gepp ist vielseitiger Öko- GEISER, E. (2018): How Many Animal Species are there in Austria? Update after 20 Years. – ActaZooBot Austria 155/2, 1–18. loge mit Forschungsschwerpunkt Insekten als Indika- GEPP, J. (2003): Entomologie und Naturschutz in Österreich – Die Wurzeln einer toren für Klimawandel, Biodiversität und Phänologie Symbiose. – In: Zur Geschichte der Entomologie in Österreich, Denisia 8:179–236. sowie Herausgeber der ersten Roten Listen gefährde- GEPP, J. (2019): Ausdünnung der Insektenvielfalt im Ostalpenraum: Vorge- schichte, Ursachen und Tendenzen. – Jahrbuch des Vereins zum Schutz der ter Tiere Österreichs und grundlegender Publikationen Bergwelt (München), 84:79-124. zur Auenökologie. Er ist Präsident des Naturschutz- HALLMANN, C. A., SORG, M., JONGEJANS, E., SIEPEL, H., HOFLAND, N., SCHWAN, bund Steiermark und koordiniert die Wahl zum „Insekts H., STENMANS, W., MÜLLER, A., SUMSER, H., HÖRREN, T., GOULSON, D. & DE KROON, H. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying des Jahres“ in Österreich. insect biomass in protected areas. – PlOS one, 12(10), e0185809. SANCHEZ-BAYO, F. & K.A.G. WYCKHUYS (2019): Worldwide decline of the Mag. Christian Holzmann war Wissenschaftlicher Mit- entomofauna: A review of its drivers. – Biological Conservation, 232:8–27. arbeiter beim Naturschutzbund Steiermark ZULKA, K. P. (Red.) (2005, 2009): Rote Listen gefährdeter Tiere Österreichs. – Grüne Reihe des Lebensministeriums, Band 14/1, 2. Ein Praxisleitfaden 13
WAS ZU TUN IST RETTET DIE INSEKTEN! | naturschutzbund | - Forderungen für einen dringend nötigen Bestäuberschutz bungsleistung in Österreich wird auf jährlich 300 bis 650 Millionen Euro geschätzt. Vor allem Wildbienen haben hier eine Schlüsselrolle, da ihre Bestäubungs- leistung und vor allem ihre Bestäubungsqualität durch Honigbienen nicht ersetzt werden kann. Etwa 700 ver- schiedene Wildbienenarten gibt es in Österreich – noch. Fast die Hälfte davon ist im unterschiedlichen Maße gefährdet. Es fehlt ihnen an Nahrung und Nistmöglich- keiten. Bedrohlich ist vor allem der Rückgang in der in- tensiv genutzten Fläche, der dazu führt, dass Arten oft nur mehr in fragilen Reliktpopulationen überleben, die allzu leicht infolge von lokalen Schlechtwetterereig- nissen und genetischer Verarmung aussterben können. WIR MÜSSEN DRINGEND HANDELN! Um die Lebensbedingungen heimischer Insekten zu verbessern, appelliert der Naturschutzbund sowohl an die Bundesregierung als auch an die Landesregierun- A usgeräumte Landschaften, häufige Mahd, Über- gen und Gemeinden, schnellstmöglich die dafür not- düngung auch durch Eintrag aus der Luft, große wendigen Schritte zu ergreifen. Dafür ist eine enge Bewirtschaftungseinheiten, Pestizideinsatz, Zusammenarbeit aller Beteiligten aus Politik, Industrie, Bodenversiegelung, schlechter Zustand der Wasser- Landwirtschaft, Naturschutz, Wissenschaft und Ge- lebensräume, Lichtverschmutzung und eine Vielzahl sellschaft erforderlich. Anstatt gegenseitiger Zuwei- steriler Gärten ohne Naturvielfalt – den Insekten wird sungen der Verantwortung bedarf es eines gemein- das Überleben seit Jahrzehnten immer schwerer ge- samen gesellschaftlichen Kraftaktes. Eine wichtige macht. Inzwischen wird ein massives Insektensterben Rolle kommt auch der Bevölkerung zu. Jeder und jede offensichtlich, das in der Folge dramatische Auswir- Einzelne entscheidet mit dem eigenen Konsumverhal- kungen auf unser aller Leben haben wird. Bestäubende ten mit, ob wir eine Chance haben das Insektensterben Insekten sind ein kleiner, aber ökologisch sehr wichti- aufzuhalten. ger Teil der Insektenfauna. Auch sie sind von einem massiven Rückgang betroffen. Deshalb müssen jetzt Maßnahmen ergriffen werden, um das Verschwinden der Insekten zu stoppen bzw. deren Situation zu ver- bessern. Der Naturschutzbund Österreich hat sechs Forderungen erarbeitet, die den Fortbestand der Insek- tenfauna und ihrer wertvollen Leistungen für Mensch und Natur gewährleisten sollen. UNSCHÄTZBAR. UNERSETZBAR. Bestäubende Insekten sind für den Naturhaushalt ebenso relevant wie für die Sicherung unserer Ernäh- rung. 87 der 109 weltweit wichtigsten Kulturpflanzen hängen von tierischer Bestäubung ab. Die Bestäu- 14 Insekten-Soforthilfe
1. ARTENREICHE LEBENSRÄUME UND SOLCHE MIT SELTENEN ARTEN ERHALTEN BZW. SCHAFFEN Noch vorhandene Lebensräume mit großer Artenvielfalt sowie mit seltenen Arten stellen letzte Reste einer ehemals großflächigen naturnahen bzw. extensiv ge- nutzten Landschaft dar. Diese schutzwürdigen und teilweise geschützten Lebensräume müssen unbe- dingt erhalten sowie erweitert und miteinander ver- DER NATURSCHUTZBUND FORDERT: netzt werden. Das kann beispielsweise durch Vertrags- Erhaltung, naturnahe Gestaltung sowie Neuanlage naturschutz und Schaffung von Schutzgebieten er- von Feldrainen, Hecken, Einzelbäumen, Blühstreifen, reicht werden. Brachen, ungeteerten Feldwegen, Wegrändern, Hohl- wegen, Abbruchkanten, Lesesteinmauern, Uferstreifen DER NATURSCHUTZBUND FORDERT: und anderen Strukturen. Dauerhafte Schaffung von Erhaltung und Vergrößerung von Magerwiesen und Strukturen inmitten der Äcker und Wiesen anderen naturschutzfachlich wertvollen Flächen sowie Stopp der Grünlandverluste, Schutz und Förderung Vernetzung dieser miteinander. Unterstützung dieser besonders sensibler, extensiv genutzter Wiesen Naturschutzleistungen durch angemessene Förderun- Düngung und Mahdintensität reduzieren, Staffelung gen, v.a. auch aus dem Agrarsektor der Mahd, Vermeidung von Mulchgeräten, Mähaufbe- Gezielter Ankauf naturschutzfachlich wertvoller Flä- reitern und rotierenden Saugmähern, Bevorzugung von chen als Überlebensinseln, wenn deren Erhalt durch die Balkenmähern Eigentümer nicht gewährleistet ist, sowie Erhöhung des Informationsoffensive für land- und forstwirtschaft- Anteils an Naturschutzflächen liche Berater*innen und Landwirt*innen, um sie von der Erarbeitung von Managementplänen, die auch die Notwendigkeit der Strukturvielfalt zu überzeugen Ansprüche der verschiedenen Insektengruppen berück- Gestaltung einer Agrarpolitik und von Agrarumwelt- sichtigen, und verbindliche Festsetzung derselben programmen, die mehrjährige Blühstreifen und standort- Ausreichend Ressourcen für die Gebietsbetreuung typische Wildkräutersaaten regionaler Herkunft unter- und die Umsetzung der Managementpläne stützen; kein Einsatz konkurrenzstarker, nichtheimi- Keine Pestizide und Düngung auf naturschutzfachlich scher Pflanzen wertvollen Flächen und deren Umgebung (Pufferzonen) Attraktive und zielorientierte Förderungen für diese Raum für natürlich ablaufende Prozesse in Schutz- Maßnahmen; Direktzahlungen müssen in der kommen- gebieten: Vom mäandrierenden Fluss bis zur Zersetzung den Förderperiode der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik an toter Tiere und Pflanzen (Alt- und Totholz) ökologische Leistungen gekoppelt werden. Erhaltung und Wiederherstellung naturnaher Gewäs- ser und ihrer Auen als Lebensraum für gewässer-, kies- Das Ziel lautet: Eine blütenreiche und klein- flächen- und auentypische Insekten strukturierte Kulturlandschaft muss wiederhergestellt werden, Das Ziel lautet: Naturschutzfachlich wertvolle Lebens- wertvolle Insektenlebens- räume und natürliche Prozesse müssen erhalten wer- räume müssen wieder den, sodass Tiere, Pflanzen und Pilze optimale Lebens- entstehen können. bedingungen vorfinden. 2. STRUKTURVIELFALT IN DER LANDSCHAFT ERHÖHEN Viele Tier- und Pflanzenarten der Kulturlandschaft haben ihre Rückzugsräume verloren, auch die blüten- besuchenden Insekten gehören dazu. Gründe dafür sind intensive Bewirtschaftung des Agrarlandes, das Beseitigen von Kleinstrukturen und Zusammenlegen von Feldern, häufige Mahd, das Umwandeln von Grün- land in Ackerflächen etc. Überdüngung und Spritzmit- teleinsatz tun ein Übriges. Ein Praxisleitfaden 15
WAS ZU TUN IST 3. PESTIZIDANWENDUNG IN DER LANDWIRTSCHAFT AUF EIN MINIMUM REDUZIEREN UND AUF ANDEREN FLÄCHEN GANZ DARAUF VERZICHTEN Der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide belastet Natur, Umwelt und die Gesundheit der Menschen. In- sektizide töten Wildbienen und andere Insekten direkt, während Pflanzengifte vorwiegend ihre Lebensgrund- 4. NÄHRSTOFFEINTRÄGE VERMINDERN UND AUF SENSIBLEN lage zerstören, indem sie Wildkräuter ausrotten. FLÄCHEN VERMEIDEN Überdüngung landwirtschaftlicher Nutzflächen sowie DER NATURSCHUTZBUND FORDERT: Einträge aus der Luft sind weitere maßgebliche Fakto- Totalverbot von Neonicotinoiden ren für den Rückgang der Insekten. Nur wenige Pflanzen Überarbeitung des Nationalen Aktionsplans Pflan- tolerieren starken Nährstoffeintrag, die sensiblen ver- zenschutz: Es braucht konkrete Reduktionsziele für Pes- schwinden. Gerade sie sind jedoch wertvolle Lieferan- tizide, unabhängige Beratung, wirksame Kontrollen und ten von Nektar und Pollen für Insekten. Viele Insekten- Sanktionsmöglichkeiten. Auch über die Einführung einer arten vertragen nur ungedüngte Pflanzen bzw. Pflan- zweckgebundenen Pestizidabgabe muss sachlich dis- zen auf Magerstandorten als Nahrung. Deshalb müssen kutiert werden. die Nährstoffeinträge in den Boden dringend begrenzt Verbot von Werbung für Pestizide werden, genauso wie deren Eintrag über die Luft. Forcierung und weiterer Ausbau des Biolandbaus Kein Pestizideinsatz auf sensiblen Flächen wie in DER NATURSCHUTZBUND FORDERT: Schutzgebieten, auf artenreichen Wiesen und deren Einhaltung einer bedarfsgerechten und damit redu- Pufferzonen sowie im Wald, auf Gewässerrandstreifen zierten Düngung, Sanktionierung von Verstößen gegen und außerhalb landwirtschaftlicher Flächen (öffentlich die Düngeverordnung, verstärkte ordnungspolitische wie privat) Berücksichtigung des Verursacherprinzips Vorreiterrolle von Bund, Ländern und Gemeinden mit Keine Düngung auf ökologisch sensiblen Standorten einem Anwendungsverzicht der Öffentlichen Hand für wie Trocken- und Magerrasen, in Schutzgebieten sowie Insektizide und Herbizide, auch als Auflage bei verpach- die Einhaltung von Pufferzonen teten Flächen; Einsatz für ein vollständiges Verbot von Keine Düngung auf Gewässerrandstreifen und auf Neonicotinoiden auch auf EU-Ebene Waldflächen Kostenwahrheit bei Pestiziden: Die durch Pestizide Verstärkte Anstrengungen für eine deutliche Reduk- verursachten Schäden (etwa für Gewässer und Trink- tion der Stickstoffeinträge über die Luft. Keine Auf- wasser oder durch massiv reduzierte Ökosystemleistun- weichung der strengen EU-Reduktionsziele 2030 für gen der Bestäuber) müssen erforscht, monetär bewertet Ammoniak und Stickstoffoxide und vom Verursacher bezahlt werden. Tierhaltung auf sensiblen Standorten in Überein- Verpflichtendes Randstreifenprogramm im Ackerbau stimmung mit einem Managementplan, um übermäßigen ohne Pestizide und Düngung Nährstoffeintrag zu vermeiden Das Ziel lautet: Eine Landwirtschaft, die weitestge- Das Ziel lautet: Düngemitteleinsatz nur dort, wo unbe- hend ohne die Verwendung von Pestiziden auskommt, dingt notwendig, und nur in Mengen, die die Pflanzen und kein Gift auf öffentlichen Flächen und im privaten aufnehmen können. Erhalt der sensiblen Magerrasen Bereich. sowie deren Wiederherstellung durch Aushagerung und vollständigen Verzicht auf Düngung. FOTOS: PIXABAY (S. 14, S. 16 OBEN); EDITH KALS (S. 15 OBEN); CHRISTINE PÜHRINGER (S. 15 UNTEN); SHUTTERSTOCK (S. 16 UNTEN); JOSEF LIMBERGER (S. 17). 16 Insekten-Soforthilfe
WAS ZU TUN IST 5. NATUR IM SIEDLUNGSRAUM FÖRDERN Der Siedlungsraum hat großes Potential zur Förderung der bestäubenden Insektenwelt: Strukturreiche Privat- gärten und Parks mit heimischen Wildblumen und Kräu- tern, Gewerbe- und Industriebrachen sind attraktive Lebensräume für Insekten. Jedoch bieten sterile Gär- ten und Parks mit getrimmtem Rasen, exotischer Be- pflanzung und der Einsatz von Giften den Insekten kaum eine Überlebenschance. DER NATURSCHUTZBUND FORDERT: Insektenfreundliches Management des öffent- lichen Raumes Heimische Blühpflanzen und Regiosaatgut für neue Flächen Extensive Pflege von Freiflächen in Parks und Gärten, auf Wiesen und Straßenrändern Verbot von chemisch-synthetischen Pestiziden in Siedlungen sowie Haus- und Kleingärten Eindämmung der Lichtverschmutzung durch Ver- meidung unnötiger künstlicher Lichtquellen und flächendeckende Umstellung auf insektenfreundliche Beleuchtung Information, Beratung, Anleitung und Anreize für Private und Gewerbe Das Ziel lautet: Siedlungsraum muss ein Lebensraum für Insekten sein. 6. FORSCHUNGS- UND BILDUNGSOFFENSIVE STARTEN Universitäre und berufsbildende Aus- und Fortbil- Der Kenntnisstand zur Biodiversität der Insekten ist dung zum Thema Insektenförderung und Biodiversität, alarmierend gering und muss dringend erhöht werden. insbesondere Stärkung der systematisch-taxonomi- Nur so kann man die Ursachen für den Rückgang der schen und praxisrelevanten ökologischen Ausbildung Insekten besser erkennen und Lösungsansätze ent- Unabhängige Beratung für Landwirt*innen wickeln. Es braucht ein neues Bewusstsein, das die Bewusstseinsbildung, umfassende Information und Vielfalt in privaten Gärten und öffentlichen Grün- Beteiligungsprojekte für die ganze Bevölkerung anlagen als einen Wert an sich begreift. Bessere Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis DER NATURSCHUTZBUND FORDERT: Verstärkte Forschung zum Wildbienenschutz und Das Ziel lautet: Grundlagen zu und Zusammenhänge Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls für Bestäuber zwischen den lokalen Artengemeinschaften müssen Langfristiges und systematisches Insekten-Monito- besser bekannt sein. Ökologische Grunderfordernisse ring bestäubungsökologisch relevanter Insektengrup- müssen in der Agrarlandschaft sichergestellt werden. pen (Tagfalter, Bienen, Schwebfliegen, Bockkäfer …) In der Bevölkerung muss ein Umdenken initiiert und be- Erarbeitung Roter Listen der Wildbienen Österreichs gleitet werden, damit ihr Engagement für Natur und (gibt es bisher nur für Kärnten) sowie auch für andere Umwelt gestärkt wird. Umweltbildung für Erwachsene Insektengruppen; die wenigen bestehenden Roten beinhaltet die Schaffung eines vielfältigen Bildungs- Listen sind veraltet und methodisch nicht am aktuellen programms durch NGOs, Museen und Schutzgebiets- Stand. Sie müssen dringend überarbeitet und regel- verwaltungen, Citizen Science-Projekte etc. mäßig aktualisiert werden. Umweltbildung von Kindesbeinen an, beginnend in Kindergärten und Schulen | naturschutzbund | Österreich, beschlossen im April 2019 Ein Praxisleitfaden 17
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