Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN

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Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
Insekten-
Soforthilfe                 EIN PRAXISLEITFADEN

INSEKTENSTERBEN
Diagnose und Zahlen:
Wer sind die Verursacher?
LEBENSRÄUME
Was Bienen & Co brauchen
und was jetzt zu tun ist
WIR MACHEN WAS!
Gute Beispiele und
clevere Vorzeigeprojekte
Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
Insekten sind die größte und erfolgreichste
       Tiergruppe der Welt. Trotzdem sind sie
       massiv bedroht. Und wir mit ihnen …

             1 Wir drängen viele Ökosysteme über die
               Belastungsgrenze hinaus, was zum
                 Aussterben von Insekten führt.
             1 Die Ursachen sind Lebensraumverlust,
               Umweltverschmutzung, Invasionen,
                  Klimawandel und Raubbau.
             1 Wir verlieren damit Biomasse, Vielfalt,
               einzigartige Geschichte, Funktionen
                   und Interaktionsnetzwerke.
          1 Der Rückgang der Insekten führt auch zum
              Verlust wesentlicher, unersetzbarer
                Leistungen für die Menschheit.
       1 Maßnahmen zur Rettung von Insektenarten sind
        dringend erforderlich, sowohl für die Ökosysteme
           als auch für das Überleben der Menschen.

   Aus: „Warnung an die Menschheit“ einer internationalen Forschergruppe
Pedro Cardoso et al, in: Biological Conservation, Volume 242, February 2020.
Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
FOTO: OTHMAR ORTNER

                                                                                       EDITORIAL

                                                                   W
                                                                             ie steht es um das vielzitierte
                                                                             Insektensterben? Woher
                                                                             kommt es und was können
                                                                   wir tun, um es aufzuhalten? Diese Bro-
                                                                   schüre bereitet die vielfältigen Ursa-
                                                                   chen des Artenverlustes bei Schmet-
                                                                   terlingen, Käfern, Bienen & Co und sei-
                                                                   ne dramatischen Folgen auf. Vor allem
                                                                   aber zeigt sie, dass Handeln hilft und
                                                                   was jeder und jede Einzelne tun kann.

                                                                     Die Insektenwelt zeigt dramatische
                                                                   Rückgänge, vor allem in der Agrarland-
                                                                   schaft, aber sogar in Schutzgebieten
                                                                   sinken die Bestände alarmierend.
                                                                   Wollen wir ihre Vielfalt erhalten und
                                                                   fördern, braucht es zuallererst ein
                                                                   Umdenken in unserem Umgang mit der
                                                                   Natur und bei der Art unserer Landnut-
                                                                   zung. Denn die Ursachen für das „Stille
                                                                   Sterben“ sind so gut wie alle men-
                                                                   schengemacht und weisen den Weg
                                                                   zur dringend nötigen „Soforthilfe“:
                                                                   Handeln tut not und zwar auf allen
                                                                   Ebenen.

                                                                     Das ist aber zugleich auch die gute
                                                                   Nachricht: Von der Politikerin bis zum
                                                                   Hobbygärtner, vom Hausmann bis zur
                                                                   Landwirtin, von der Bauhofmitarbei-
                                                                   terin bis zum Lehrer – jede/r Einzelne
                                                                   kann etwas tun, um den Insekten das
                                                                   Überleben zu erleichtern. Ob groß oder
                                                                   klein – es zählt jeder Beitrag.

                                                                     Dieser Praxisleitfaden zeigt, wie
                                                                   Lebensraumschaffung funktioniert,
                                                                   gibt Handlungsempfehlungen und
                                                                   stellt viele gute Beispiele vor: Arten-
                                                                   reiche und bunte Blühflächen im Sied-
                                                                   lungsraum und auf öffentlichen Flä-
                                                                   chen, insektenfreundliche Gestaltung
                                                                   und Pflege von Wegrändern, vielfältige
                                                                   Gärten mit heimischen Blumen und
                                                                   Sträuchern oder ein Balkon voller
                                                                   Leben … Die Möglichkeiten, Insekten
                      Insekten sind als Basis unserer Ökosysteme   zu fördern sind vielfältig. Das zeigt die
                      ebenso unverzichtbar wie für die Sicherung
                      unserer Ernährung. Die Landbewirtschaftung   Broschüre des Naturschutzbundes –
                      hat eine große Verantwortung dafür, welche   verbunden mit dem dringenden
                      Zukunft Acker-Hummel oder Feld-Hase haben.   Aufruf zu Handeln und der Botschaft:
                                                                   „Jeder Quadratmeter zählt“.

Ein Praxisleitfaden                                                                                            1
Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
INHALT

    01 Editorial
    02 Inhaltsverzeichnis
    03 Vorwort: Insekten sterben still ...

    WARUM VIELFALT WICHTIG IST UND WAS GESCHEHEN IST
    04   Artenreich und unverzichtbar – Vielfalt auf sechs Beinen
    05   Bestäuber in der Krise – warum wir Bienen & Co brauchen
    06   Insekten im Sinkflug – Bestandszahlen und Trends
    07   Die Treiber des großen Sterbens – ein multiples Systemversagen

    WAS ZU TUN IST
    14 Die wichtigsten Sofortmaßnahmen – ein Forderungspapier

    LEBENSRÄUME HEISST DAS ZAUBERWORT
    18   Was Sechsbeiner brauchen – Raum zum Leben geben
    19   Verantwortungsvolle Landwirtschaft – Einstieg in den Umstieg
    20   Vielfalt beginnt vor der Haustür - Jede/r kann etwas tun
    21   Öffentliches Bunt - Gemeinden als Vorbild
    22   Zeigen wie‘s geht: Handlungsanleitungen
         23 Sandbeet und Lehmstreifen
         24 Blumenwiese und Bienenweide im Kübel
         26 Käferbeet und Totholzhaufen
         27 Trockenmauer und Lesesteinhaufen
         28 Schmetterlingsspirale und Schmetterlingsweide

    GUT GEMACHT
    30 Wir machen was! – Gute Beispiele
    31 Eine Gemeinde schafft Blütenvielfalt – Lustenau geht in die
       Bienenoffensive
    32 Nützlinge zum Einzug verführen – (M)ein (G)Artenreich
    33 Von Bauer zu Bauer über Artenvielfalt reden – Vielfalt auf meinem Betrieb
    34 Wildbienenbildung – Blühendes und Summendes Wipptal
    35 Einsatz für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge & Co –
       BotschafterInnen für Blütenreichtum
    36 Projektunterstützung vor Ort – Bienenschutzfonds
    37 Unser Boden für Bienen – Bienenfreundliche Gemeinden
                                                                                                      FOTO: KIE-KER

    38 Unsere Wiesen leben – Artenvielfalt in Bauernhand
    39 Bunte Wiesen wie früher – Aktion Wildblumen
    40 Samen sammeln – Klosterneuburger Wiesenjuwelen
    41 Artenreiche Blumenvielfalt – Die Quadres-Wiesen der Familie Pfefferkorn
    42 Auszeit für die Natur – Ein Herz für Bienen
    43 Citizen-Science vom Feinsten – Hummeln erkennen, melden und
       schützen
    44 Blühflächen-Praxis – „Natur verbindet“-Praxistag
    45 Blütenpracht das ganze Jahr – Ein Wildbienengarten für Faulenzer
    46 Vielfalt am Straßenrand – Insekten-Hotspots erhalten und gestalten
    47 Bewohnerservice als Drehscheibe – Vom Naturspaziergang bis zur
       neuen Blühfläche
    48 Natur verbindet! – Blumenwiesen braucht das Land!

    U3 Literatur und Quellen, Bildnachweis, Impressum

2                                                                                  Insekten-Soforthilfe
Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
VORWORT

INSEKTEN
STERBEN STILL ...                                                                                 FOTO: CHRISTINE PÜHRINGER

   Der Mensch ist einer der wichtigsten Einflussfakto-       waren es 2.100 Arten im Jahr 1983. Allerdings sind die
ren auf die biologischen, geologischen und atmosphä-         obigen Daten schon mehr als 35 Jahre alt. Nach grober
rischen Prozesse geworden, das ist nichts Neues. Wie         Einschätzung unserer heutigen Umweltsituation rech-
schnell und gravierend diese Änderungen ablaufen             net der renommierte Entomologe und Vizepräsident des
jedoch schon. Das Zeitalter des Anthropozäns ist             Naturschutzbundes Johannes Gepp heute für Öster-
spätestens mit der Erkenntnis, dass der Mensch für           reich in einem Fachartikel (Gepp 2019) mit 14.000 im
den massiven Rückgang der Insekten weltweit verant-          Bestand abnehmenden Insektenarten! Mehr dazu in
wortlich ist, eine traurige Wahrheit geworden.               seinem Beitrag im ersten Teil der Broschüre.
   Neueste Untersuchungen von australischen For-               Tatsächliche Beachtung fand der dramatische Insek-
schern legen nahe, dass 40 % der globalen Insekten-          tenverlust erst durch die Veröffentlichung neuer Studi-
fauna in den kommenden Jahrzehnten aussterben                en, die durch die Medien einer breiteren Öffentlichkeit
könnten (Sanchez-Bayo & Wyckhuys 2019). Für die ar-          zugänglich gemacht wurden. So publizierte ein deut-
tenreichste Tierklasse, die zahlreiche wichtige ökolo-       sches Autorenteam, dass die gesamte Biomasse der
gische Funktionen in unseren Ökosystemen erfüllt, ist        Fluginsekten in nur 27 Jahren um 76 % abgenommen
dieser Befund alarmierend. Insekten sind nicht nur           hat (Hallmann et al. 2017). Ein besonderes Gewicht er-
durch ihre Bestäuberleistungen, sondern auch als Zer-        langt diese Studie, weil die zugrunde liegenden Daten
setzer toter Substanzen, als Fressfeinde anderer Arten       nicht aus intensiv bewirtschaftetem Agrarland stam-
oder Parasiten und als Nahrungsgrundlage vieler Orga-        men, sondern in ausgewiesenen Naturschutzgebieten
nismen unersetzbare Puzzlestücke in einem komplexen          erhoben wurden. Dies verdeutlicht, dass der Verlust der
Netz von Interaktionen. Ihr Aussterben würde unab-           Artenvielfalt von Insekten nicht nur durch den Erhalt
schätzbare Folgen nicht nur für die Wirtschaft, sondern      bestehender Schutzgebiete gestoppt werden kann,
auch für jede/n Einzelne/n von uns nach sich ziehen.         sondern zahlreiche weitere Maßnahmen nötig sind, um
   Dabei ist das Insektensterben kein neues Phänomen.        den Rückgang der Diversität zu bremsen.
Bereits vor 115 Jahren wurde das auffällige Verschwin-         Denn eines ist inzwischen klar: Hauptverursacher
den des Apollofalters bei Wien dokumentiert (Gepp            des Insektensterbens ist der Mensch und er ist es auch,
2003). Später, in den 1980er-Jahren, konstatierten           der dringend Maßnahmen setzen muss, um ihr Ver-
Fachleute den Rückgang bestimmter Insektengruppen            schwinden einzudämmen bzw. ihre Lebensbedingun-
und appellierten bereits damals, entsprechende Maß-          gen zu verbessern.
nahmen zu ergreifen. Der Steirische Naturschutzbund
listete nicht weniger als 955 gefährdete Insektenarten       Univ.-Prof. (i.R.) Dr. Roman Türk,
in Roten Listen für die Steiermark auf. In ganz Österreich   Präsident | naturschutzbund | Österreich

Ein Praxisleitfaden                                                                                                           3
Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
WARUM VIELFALT WICHTIG IST

    ARTENREICH UND UNVERZICHTBAR
    VIELFALT AUF SECHS BEINEN

                                                                  Mit über 40.000 Arten sind die
                                                                  Insekten die mit Abstand größ-
                                                                  te Artengruppe Österreichs.
                                                                  Unter den Insektenordnungen
                                                                  dominieren die Zweiflügler und
                                                                  die Hautflügler, gefolgt von den
                                                                  Käfern und Schmetterlingen.

K
          äfer, Schmetterlinge, Bienen, Fliegen,... Schätzungen
          über die Anzahl der auf der Erde lebenden Arten rei-
          chen von 10 bis 100 Millionen. Im Vergleich dazu ist
    nur ein relativ kleiner Teil von rund 1,7 Millionen Arten
    beschrieben. Österreich weist aufgrund seiner
    naturräumlichen Gegebenheiten und seiner
    geographischen Lage ein breites Spektrum an
    Lebensräumen und Arten auf (vgl. Geiser
    2018) und zählt mit ca. 75.600 Arten zu den
    artenreichsten Ländern in Europa.
    Deutschland hat im Vergleich lediglich
    71.500 beschriebene Arten bei einer Flä-
    che, die über viermal so groß wie Öster-
    reich ist.
      Über die Hälfte aller Arten in Öster-
    reich (inklusive Säugetieren, Vögeln,
    Reptilien, Amphibien, Fischen usw.) sind
    Insekten. Sie haben eine enorme Bedeu-
    tung für unsere Ökosysteme.

     FAZIT
     Die Artenvielfalt Österreichs mit insgesamt
     ca. 75.600 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten wird
     von den rund 40.000 Insektenarten (40.010,
     nach E. Geiser) eindeutig dominiert, fast zwei
     Drittel davon sind Hautflügler und Zweiflügler.

4                                                                            Insekten-Soforthilfe
Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
WARUM VIELFALT WICHTIG IST

BESTÄUBER IN DER KRISE
WARUM WIR BIENEN & CO BRAUCHEN
Im Alltag werden Insekten oft als lästige und unwichtige    Nadeln und machen die darin gespeicherten Nährstoffe
Quälgeister wahrgenommen, was einerseits ihrer oft          wieder für Pflanzen verfügbar. Insekten tragen auch zum
geringen Größe geschuldet ist, andererseits ihrer Vor-      Abbau von totem Holz bei. Sie zerkleinern Holz, Rinde und
liebe für zuckerhaltige Lebensmittel. Aber Insekten         andere organische Materialien und ermöglichen so deren
spielen (oft abseits der menschlichen Wahrnehmung)          Abbau durch Mikroorganismen. Durch die Besiedelung
eine entscheidende Rolle in unseren Öko-                    von geschwächten Bäumen können diese absterben,
systemen.                                                       wodurch der Gesundheitszustand des Waldes ins-
   Sie sind unersetzbare Garanten für die                               gesamt gefördert wird. Neben pflanzlicher
pflanzliche Vermehrung und haben we-                                       Kost ernähren sich Insekten auch von Kot
sentlichen Einfluss auf die Primärpro-                                       und den Kadavern anderer Wildtiere,
duktion. Sie leisten als Bestäuber                                             die so verwertet und dem natürlichen
einen wichtigen Beitrag zur Ver-                                                 Kreislauf wieder zugeführt werden.
sorgung der Menschen mit Nah-
rungsmitteln und sind daher fes-                                                 NAHRUNGSGRUNDLAGE
ter Bestandteil der landwirt-                                                    Insekten fressen aber nicht nur,
schaftlichen Produktion. Zu den                                                  sie werden auch gefressen. Sie
Bestäubern zählen bei uns zum                                                    dienen als Nahrung für Vögel, Am-
Beispiel 700 Wildbienenarten, aber                                              phibien, Reptilien, Säugetiere und
auch zahlreiche Schmetterlingsar-                                              andere Insekten. Sie sind daher nicht
ten, Fliegen, Motten, Käfer und Wes-                                         nur die Nahrungsbasis zahlreicher an-
pen. Auch Vögel und andere Tierarten                                       derer Organismen, sondern können da-
können Pflanzen bestäuben, ihre Bedeu-                                  durch auch die Lebensgrundlage anderer
tung in diesem Zusammenhang ist im Vergleich                      Arten regulieren und das massenhafte Auftreten
zu den Insekten jedoch verschwindend gering. Durch          von Schädlingen verhindern.
die Bestäubung wird der Blütenpollen von den männli-
chen auf die weiblichen Pflanzenteile übertragen. Ein       Gäbe es keine Bestäubung durch Insekten, würden bei
                                                            Kakao, Wassermelonen oder Kürbissen Ernterückgänge
Großteil unserer Nutz- und Wildpflanzen hängt von ei-       von über 90 Prozent drohen. Apfel-, Kirschen- oder auch
ner Bestäubung durch Tiere ab.                              Gurkenernten würden um 40 bis 90 Prozent schrumpfen.
                                                            FOTO: WOLFGANG SCHRUF
NATUR-DIENSTLEISTER
In ganz Europa hat die Bestäubungsleistung der Insek-
ten jährlich einen Wert von etwa 14,6 Milliarden Euro.       FAZIT
Verlieren wir diese Ökosystemleistungen in Österreich,       Als bei weitem artenreichste Tiergruppe überhaupt
würde ein Schaden von rund 300 Millionen Euro pro Jahr       bilden sie das Fundament eines gesunden Ökosys-
entstehen. Außerdem würden durch den vermehrten              tems und dienen anderen Tieren als Futter. Sie sind
Einsatz von Spritzmitteln, der nötig wäre, um die nicht      die wichtigsten Pflanzenbestäuber, tragen zur
mehr von Nützlingen regulierten Schädlinge unter Kon-        Fruchtbarkeit des Bodens bei, bauen organisches
trolle zu halten, zusätzliche 250 Millionen Euro pro Jahr    Material ab, helfen Schädlinge zu bekämpfen und
fällig werden (Klaus-Peter Zulka, Umweltbundesamt).          leisten einen zentralen Beitrag zur Versorgung der
Neben der Bestäubungsleistung sind Insekten auch             Menschen mit Nahrungsmitteln.
wichtig für die Verbreitung von Samen, die Ameisen bei-      Schon 2009 wurde der ökonomische Wert der Insek-
spielsweise sammeln und verbreiten.                          tenbestäubung auf weltweit über 150 Mrd. Euro ge-
                                                             schätzt. Doch weit über dem Wert für den Menschen
STOFFKREISLÄUFE                                              steht die Bedeutung der Bestäuber für ganze Land-
Insekten regulieren Energie- und Nährstoffflüsse und         ökosysteme. Diese würden zusammenbrechen, wenn
haben so einen Einfluss auf ganze Ökosysteme. Viele          sich die insektenbestäubten Pflanzen nicht mehr
Arten sind sogenannte Destruenten. Sie fressen abge-         fortpflanzen könnten.
storbenes organisches Material wie Laublätter und

Ein Praxisleitfaden                                                                                                     5
Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
WARUM VIELFALT WICHTIG IST

    INSEKTEN IM SINKFLUG
    BESTANDSZAHLEN UND TRENDS
                                                                    E
                                                                          s mehren sich die Hinweise, dass sich die weltwei-
                                                                          ten Insektenzahlen im Sinkflug befinden. Dieser
                                                                          Verlust ist nicht nur ein ästhetischer. Er könnte
                                                                    noch gravierendere Folgen als die des Klimawandels
                                                                    haben. Obwohl einige Entomologen bereits früh vor dem
                                                                    Rückgang der Insekten gewarnt haben, gab es kaum
                                                                    quantitative Daten, die das belegten, beziehungsweise
                                                                    wurden sie wenig beachtet.
                                                                      Das änderte sich 2017, als die Krefelder Studie der
                                                                    Öffentlichkeit präsentiert wurde: Um bis zu 80 Prozent
                                                                    ist die Biomasse fliegender Insekten in Naturschutzge-
                                                                    bieten seit 1989 zurückgegangen. Wurden 1995 noch
                                                                    1,6 Kilogramm Biomasse in Untersuchungsfallen ge-
                                                                    funden, sind es heute oft nur noch 300 Gramm. Diese
                                                                         Verluste betreffen vor allem die für die Bestäubung
                                                                                  wichtigen Gruppen wie Schmetterlinge
                                                                                       und Bienen, aber auch Schädlingsan-
                                                                                          tagonisten wie Schwebfliegen.
                                                                                               Es gibt zahlreiche weitere
                                                                                               Studien, die den Abwärts-
                                                                                                 trend bestätigen. Nieder-
                                                                                                   ländische Entomologen
                                                                                                    berichten von einer Ab-
                                                                                                     nahme von Käfern und
                                                                                                     Nachtfaltern um 72
                                                                                                      und 54 Prozent. In
                                                                                                      Schottland nahm die
                                                                                                      Anzahl der Fluginsek-
                                                                                                     ten zwischen 1970 und
    FOTO: OTHMAR ORTNER

                                                                                                     2002 um zwei Drittel ab.
                                                                                                    Das ist freilich nur ein
                                                                                                   kleiner Ausschnitt an
                                                                                                 Forschungen, die sich mit
                                                                                               dem Insektenschwund be-
                                                                                             schäftigen. Doch alle haben
                                                                                         sie eines gemeinsam – den massi-
            FAZIT                                                                     ven Rückgang an Insekten. In Öster-
            Die Durchschnittswerte aller vorliegenden Roten                    reich fehlen aktuelle Studien, aber anhand
            Listen gefährdeter Insektenarten ergeben einen          der Untersuchungen aus Nachbarländern lässt sich
            Gefährdungsprozentsatz von 40,02 Prozent – hoch-        der Rückgang auch hierzulande nicht leugnen.
            gerechnet ist damit zu befürchten, dass rund 16.000       Ein Blick auf die Roten Listen gefährdeter Insekten-
            Insektenarten Österreichs im unterschiedlichen Aus-     arten in Österreich (Zulka 2005, 2009) zeigt, dass auch
            maß gefährdet sind. Betroffen sind vor allem Arten,     bei uns ein Großteil der Tiere in Bedrängnis ist und in
            die spezialisiert sind. Eine aktuelle Meta-Studie er-   naher Zukunft gänzlich verschwinden könnte (s. Ab-
            gab, dass auch weltweit 40 Prozent der Insektenar-      bildung Seite 12).
            ten einen Rückgang zeigen und ein Drittel der Arten       Auch außerhalb Europas zeichnet sich ein ähnliches
            vom Aussterben bedroht ist.                             Bild ab, wo Studien aus aller Welt den Arten- und Bio-
                                                                    masserückgang von Insekten dokumentieren.

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Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
WAS GESCHEHEN IST
FOTO: OTHMAR ORTNER

                      Mit rund 4.070 registrierten Schmetterlings-
                      arten liegt Österreich in Nord- und Mitteleuropa
                      auf Platz Eins. Doch mehr als die Hälfte der
                      Tiere ist bedroht – wie dieser Apollofalter.

                      DIE TREIBER DES GROSSEN STERBENS
                      EIN MULTIPLES SYSTEMVERSAGEN
                      Der Insektenschwund der vergangenen Jahre bzw. Jahrzehnte kann nicht auf eine
                      einzelne Ursache reduziert werden. Vielfältige Faktoren beeinflussen den Bestand
                      und die Artenvielfalt von Insekten. Verschiedene Publikationen kommen aber immer
                      wieder auf gleiche Gefährdungsursachen.

                      EINTRAG VON STICKSTOFF                                    werden, um landwirtschaftliche Schädlinge zu mini-
                      Die ungebremste Stickstofffreisetzung durch den Stra-     mieren. Durch deren Einsatz werden aber nicht nur
                      ßenverkehr, in der Landwirtschaft und durch die Ver-      Schädlinge, sondern auch Nützlinge beeinträchtigt: Sie
                      brennung fossiler Energieträger in Kohle-, Gas- und Öl-   tragen daher zum massiven Rückgang der gesamten
                      verbrennungsanlagen zählt neben dem Klimawandel und       Insektenfauna bei. Neonicotinoide sind hochwirksame
                      dem Verlust biologischer Vielfalt zu den weltweiten Um-   Gifte, die vor allem auf das Nervensystem von Insekten
                      weltproblemen. Durch die Freisetzung des Stickstoffs      wirken. Sie beeinträchtigen den Orientierungssinn, re-
                      gelangt dieser in hohen Mengen in unsere Umwelt. Zwar     duzieren das Lernvermögen, schwächen das Immun-
                      brauchen Pflanzen ein gewisses Maß an Nährstoffen um      system, senken die Fortpflanzungsfähigkeit und ver-
                      zu wachsen, aber eine Überfrachtung durch Stickstoff      kürzen die Lebenszeit. Sie erhöhen weiters die Replika-
                      führt zur Verarmung von Pflanzengesellschaften, bei-      tion des tödlichen DWV-Virus-Genoms bei Honigbienen
                      spielsweise auf mageren artenreichen Blumenwiesen.        um mehr als das Tausendfache. 2018 forderten 233
                      Diese artenreichen Wiesen sind aber Lebensraum für ei-    Wissenschaftler im renommierten Wissenschaftsma-
                      ne artenreiche Insektenfauna. Ihr Verschwinden führt      gazin Science ein weitgehendes Verbot für den Einsatz
                      auch zum allgemeinen Rückgang vieler Arten.               von Neonicotinoiden. Die Wissenschaftler betonten die
                                                                                Wichtigkeit, vor allem schnell auf die Bedrohung zu re-
                      Einsatz von Pflanzenschutzmitteln                         agieren - nicht nur um den weiteren Rückgang der Ar-
                      Neonicotinoide sind Schlüsselfaktoren für den enor-       tenvielfalt zu stoppen, sondern auch um die Leistungen
                      men Rückgang der Insekten. Hierbei handelt es sich um     nicht zu gefährden, die Insekten für zukünftige Genera-
                      hochwirksame Insektizide, welche gezielt ausgebracht      tionen erbringen können. Diese Insektizide sind näm-

                      Ein Praxisleitfaden                                                                                                 7
Insekten-Soforthilfe - EIN PRAXISLEITFADEN
WAS GESCHEHEN IST

                                                                                                                        FOTO: PIXABAY
    Keine Hecken, Blühstreifen oder
    vergessenen Ackerränder, auf denen Beikräuter
    und Wildblumen wachsen könnten.

    lich nicht nur schwer abbaubar, sondern auch wasser-       Flächige Artenverarmung durch
    löslich und gelangen so in das Grundwasser und ver-        Intensivlandwirtschaft
    bleiben dort.                                              Die Vielfalt an Insektenarten nimmt nahezu überall
                                                               und zunehmend ab. Diesem objektiv bestätigten
    FLÄCHENVERLUST UND HABITATZERSTÖRUNG                       Trend folgt auch das subjektive Empfinden der Laien,
    Naturlandschaften sind selten geworden und beschrän-       die beklagen, immer weniger „Allerweltsinsekten“
    ken sich nur mehr auf ganz wenige Bereiche, etwa in        anzutreffen. Die Biomasse an Insekten sinkt vieler-
    hochalpinen Lagen. Während die Dominanz der Kultur-        orts gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf ein
    landschaft in tieferen Lagen einleuchtet, sind auch        Maß, wie es vor Jahrzehnten nur von städtischen
                                                               Zentren bekannt war. Diese Veränderungen sind stel-
    noch sehr naturnah wirkende Bereiche bereits weit weg
                                                               lenweise auch in Schutzgebieten zu beobachten –
    von der ursprünglichen Naturlandschaft. Die Urwälder
                                                               zumindest im Einflussbereich und im Zusammenhang
    sind Wirtschaftswäldern gewichen und der Flächenver-       mit der industriell geprägten und chemisch belaste-
    lust schreitet weiter fort. Täglich gehen in Österreich    ten Intensivlandwirtschaft.
    11,8 ha an Fläche durch den fortschreitenden Siedlungs-       Extensiv genutzte und bisher artenreiche Flächen
    und Gewerbebau aber auch durch den Ausbau der Infra-       werden zugunsten der produktionsorientierten Land-
    struktur verloren. In der Landschaft gibt es nur noch      wirtschaft intensiviert und daher als natürliche Le-
    wenig Platz für natürliche Entwicklungen. Ein Großteil     bensräume wildlebender Tiere und Pflanzen zerstört.
    der naturnahen Hecken, Böschungen sowie der artenrei-      Das Ausmaß und die Trends des vereinfacht bezeich-
    chen Waldrand- und Ufervegetationen sind verloren ge-      neten „Insektensterbens“ haben für namhafte Ökolo-
    gangen und somit auch Rückzugs-, Entwicklungsräume         gen, Naturschützer und kritische Agrarexperten die
                                                               Vorwarnstufe weit überschritten und die Gefähr-
    sowie Nahrungsquellen für Insekten. Der fortschreiten-
                                                               dungskategorien erreicht.
    den Bodenversiegelung in Österreich fallen täglich wich-
                                                                  Unser heutiges Tempo radikaler Änderungen scha-
    tige Lebensräume von Tieren und Pflanzen zum Opfer.        det spezialisierten Arten und erleichtert die Massen-
    Trotz entsprechender rechtlicher Rahmenbedingungen         vermehrung von anpassungsfähigen Spezies, führt
    werden viele Eingriffe durch die Neuanlage von Ersatz-     letztlich zum 6. Massensterben der Arten auf der Er-
    flächen und durch Biotoppflegemaßnahmen nur unzu-          de. An Stelle der Artenvielfalt treten Artenarmut und
    reichend kompensiert. Die Novellierung der Umweltver-      Schädlingsvermehrung. Ökosystemleistungen wie
    träglichkeitsprüfung, die eine deutliche Erleichterung     Pflanzenbestäubung, Schädlingsregulierung, Abbau
    und Beschleunigung im Genehmigungsverfahren für            von Biomasse oder „Naturgenuss durch Artenvielfalt“
    Großprojekte bringt, wird die Bodenversiegelung und den    sind in Gefahr! Es bedarf einer sofortigen intensiven
    Flächenverlust weiter vorantreiben.                        Befassung aller beteiligten und betroffenen Wissen-
                                                               schaftsdisziplinen und eines absehbaren und um-
                                                               fassenden Gegensteuerns. Die herausragende Stel-
    FRAGMENTIERUNG DER LANDSCHAFT
                                                               lung der Insekten in unseren Landökosystemen be-
    Die Bebauung von freien Flächen führt nicht nur zu ei-     trifft essentielle Zukunftsprobleme der Menschheit –
    nem Flächenverlust, sondern auch zu einer zunehmen-        insbesondere der Landwirtschaft!
    den Fragmentierung der Landschaft. Ursprünglich zu-

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WAS GESCHEHEN IST
FOTO: FELIX MITTERMEIER

                                                                                                              Durch den Klimawandel treten
                                                                                                     Insekten und Krankheiten, die den Wald
                                                                                                          schädigen, in gehäufter Form auf.

                          sammenhängende Lebensräume werden durch den Bau          DER KLIMAWANDEL
                          von Siedlungen, Straßen, Eisenbahnlinien usw. immer      Der Klimawandel als globales Problem macht auch vor
                          weiter zerschnitten. Populationen werden dadurch         Österreich nicht Halt und zeigt bereits erste Auswirkun-
                          voneinander getrennt und können sich nicht mehr re-      gen. Unter den 20 wärmsten Jahren der gesamten
                          produzieren. Stirbt eine solche Population durch ein     252-jährigen Messgeschichte liegen 14 in den 2000er-
                          Zufallsereignis aus, ist eine Wiederbesiedelung durch    Jahren. Die acht wärmsten Jahre der Messgeschichte
                          eine andere Population oft schwierig bis unmöglich. Der  sind derzeit 1994, 2002, 2007, 2009, 2014, 2015, 2016
                          fehlende genetische Austausch kann auch Krankhei-        und 2018:
                          ten fördern und führt zu verminderter Resistenz gegen-       Durch Erwärmung des Klimas werden zahlreiche
                          über mikroklimatischen Veränderungen. Insektenpo-        heimische Arten gezwungen, entweder Richtung Nor-
                          pulationen, die in kleinen Arealen vorkommen, sind       den oder im Alpenraum in höhere Lagen zu wandern.
                          durch den Randeffekt verstärkt negativen Einflüssen      Durch die Höhenbegrenzung der Berge werden Insekten
                          von außen (z. B. Schadstoffe, Pestizide usw.) ausge-     aber auch andere Tiere ins obere „Nichts“ gedrängt.
                          setzt.                                                       Die Erwärmung bewirkt das Einwandern oder die
                                                                                                                Etablierung neuer Arten,
                          NUTZUNGSINTENSIVIERUNG                                                                darunter auch Schädlinge
                                                       FOTO: PIXABAY

                          (ENTWERTUNG VON                                                                       oder problematische Krank-
                          LEBENSRÄUMEN)                                                                         heitsüberträger, die hei-
                          Die zunehmende Intensi-                                                               mische Arten verdrängen
                          vierung der Landwirt-                                                                 können. Ihr Auftreten be-
                          schaft wirkt sich negativ                                                             dingt weitere chemische
                          nicht nur auf die Insek-                                                              Schädlingsbekämpfung, die
                          ten-, sondern auch auf die                                                            u. U. breitenwirksam ande-
                          Pflanzenvielfalt aus. Eine                                                            ren nützlichen Insekten-
                                                        Durch Straßen und Siedlungen werden nicht nur
                          immer häufigere Mahd ver-     Lebensräume zerstört, sondern auch Populationen         arten schaden kann. Durch
                          hindert den Fortpflan-        von Insekten voneinander getrennt.                      die milden Winter und lo-
                          zungserfolg von Insekten                                                              kal höhere Niederschläge
                          und verringert die Vielfalt                                                           werden Parasiten, Schäd-
                          an Pflanzen. Die frühe Mahd von Wiesen beeinflusst die linge und Pilzkrankheiten zunehmen.
                          Reproduktion der Pflanzen, da die Samenreife vieler          Die Folgen des Klimawandels und dessen Auswirkun-
                          Arten nicht erreicht wird, wodurch die Diversität von gen wie mildere Temperaturen und höhere Niederschlags-
                          Pflanzen und damit auch die der Insekten zurückgeht. mengen im Winter, trockenwärmere Frühjahre sowie eine
                          Durch immer größer werdendes Weidevieh und stärkere fehlende Schneedecke im Winter stören die witterungs-
                          Besatzdichten kommt es zu größeren Trittschäden und abhängige Entwicklung vieler Insektengruppen.
                          einseitigem Bewuchs mit weideresistenten Pflanzen-           Obwohl die überwiegende Masse der Insektenarten
                          arten und somit zu einer Verarmung der Flora.            Mitteleuropas in Starre überwintert, gibt es bei genauer

                          Ein Praxisleitfaden                                                                                                 9
FOTO: OTHMAR ORTNER
                                                                             LICHTVERSCHMUTZUNG
                                                                             Lichtverschmutzung ist die künstliche Aufhellung des
                                                                             Nachthimmels, das heißt eine dauernde Abwesenheit
                                                                             völliger Dunkelheit. Dadurch bleibt uns nicht nur die
                                                                             Sicht auf den Sternenhimmel verwehrt, das Phänomen
                                                                             stellt auch nachtaktive Insekten vor immer größere
                                                                             Probleme. Künstliche Lichtquellen gibt es viele und es
                                                                             werden immer mehr: Straßenlaternen, Gebäudebe-
                                                                             leuchtung, Leuchtreklame, Autoscheinwerfer usw.
                                                                             strahlen nachtein, nachtaus und locken Milliarden von
                                                                             Insekten aus ihrem Lebensraum. Grund dafür ist das
                                                                             kurzwellige Licht mit einem hohen Blau- und Ultravio-
                                                                             lettanteil. Diese Lichtquellen stören das Fortpflan-
                                                                             zungsverhalten und den Lebensrhythmus von Insek-
                                                                             ten erheblich. Häufig gehen sie an den Lichtquellen
                                                                             zugrunde. Bei Millionen von Lichtquellen allein in
                                                                             Österreich, ein Zahlenspiel für Statistiker.
 Wie Staubsauger ziehen künstliche
 Lichtquellen Fluginsekten an.

 Betrachtung mehrere hundert Insektenarten, die in den
 Wintermonaten zeitweise aktiv sind. Unter diesen
 „Schneetüchtigen“ gibt es verirrte Zufallsexemplare,
 aber genauso echte Schneeinsekten, die im Winter re-
 gelmäßig auf Schnee anzutreffen sind. Die tiefsten
 Einzelfunde von Schneeinsekten liegen bereits jetzt
 von Jahr zu Jahr höher.
     Allgemein bekannt ist, dass Zugvögel in großer An-
 zahl über die Alpen fliegen. Kaum bekannt ist, dass
 auch einige hundert Insektenarten in Massen über wei-
 te Distanzen fliegen. Ein Dutzend Schwebfliegenarten
 Mitteleuropas wandert meist um Mitte Juli von der
 nördlichen Hälfte Mitteleuropas kommend in Richtung
 Alpen. An diesen Massenflügen beteiligen sich Milliar-
 den Tiere, die sich in den früheren Jahren in den nördli-
                                                                             FOTO: JOHANNES GEPP

 chen Alpentälern der Ostalpen (genauso in den Westal-
 pen) stauten. Kommt es nun zu Erwärmungen, wandern
 sie weiter Richtung Süden und fehlen in den nördlichen
 Alpenteilen mit noch nicht absehbaren ökologischen
 Folgen.

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WAS GESCHEHEN IST

                                                               FOTO: JOHANNES GEPP
FOTO: JÜRGEN ROTNER

Insekten, die das Gemetzel der Mähwerke überleben, werden                                             Abertausende Fluginsekten fallen
          mit dem Grasschnitt luftdicht in Plastik verpackt.                                         noch immer dem Verkehr zum Opfer.

GEBÄUDEBELÜFTUNGEN ALS TODESFALLEN                             Straßenränder niederzuschlegeln oder zu mulchen, ist
Moderne Bürogebäude, aber auch Industriehallen                 für viele Insekten katastrophal. So werden auch exten-
werden zunehmend zentral belüftet. In den enormen              siv wirkende Straßenränder vermehrt zu „Killing Fields“
Luftmengen, die durch die Filteranlagen angesaugt              für Insekten. Neuere Straßenrand- und Wiesenpfle-
werden, befinden sich auch zahlreiche Kleinstinsek-            ge-Methoden sehen das Aufsaugen des Schnittgutes
ten (das Luftplankton), die bei entsprechend starker           vor, wodurch Unmengen an Insekten, auch von der Bo-
Einstellung im Filternetzwerk hängen bleiben. Bis zu           denoberfläche, eingesaugt werden.
fünf Millionen Insekten konnten so jährlich für ein ein-
ziges achtstöckiges Gebäude als Lüftungsopfer ge-              VOM KREISELMÄHER BIS ZUM LAUBSAUGER
zählt werden.                                                  Wenn wir die Mähsensen aus der vorindustriellen Zeit
                                                               mit den heutigen modernen Mähsaugern vergleichen,
VERKEHR UND INSEKTENKOLLISIONEN                                erkennt man, dass sich die insektenschonende Sen-
Nicht nur der Straßenverkehr, sondern auch der Bahn-           senmahd von damals in eine heute insektentötende
und Flugverkehr sind sowohl für Wild und Vögel als auch        Maschinerie entwickelt hat. Die Sensenmahd sowie die
insbesondere für Fluginsekten eine tödliche Falle. Jähr-       Balkenmahd mit Traktoren eliminierte höchstens einige
lich sterben hunderttausende Säugetiere, Millionen Vö-         Prozente der Schmetterlingsraupen, Heuschrecken
gel und Billiarden Insekten auf unseren Straßen.               oder sonstige Wiesenbewohner. Die heutigen Kreisel-
                                                               mäher zerhäckseln nicht nur die wenig beweglichen
VERSCHMUTZUNG                                                  Insektenlarven, sondern saugen auch die vagileren
In freier Natur ist Müll in den kultivierten Regionen Mit-
teleuropas immer seltener anzutreffen. Andererseits
                                                               FOTO: PASJA, PIXABAY

kann eine weggeworfene Alu-Dose in freier Natur für
Jahrzehnte zur problematischen Falle werden. Die Res-
te der meist zuckerhaltigen Getränke locken erste In-
sekten an, die bei geeigneter Neigung der liegenden
Dose zwar hinein, aber durch die glatten Innenwände
nicht mehr heraus können. Die dadurch sterbenden In-
sekten locken Aaskäfer an, die ebenfalls in die wegge-
worfene Dose krabbeln und allmählich das gleiche
Schicksal erleiden. Durch diese Kettenreaktion können
in einer einzigen Alu-Dose bis zu 50 Aaskäfer und ande-
re Insekten ihr Grab finden. Nach dem Winter beginnt im
nächsten Frühjahr die Fallenwirkung für eine nächste
„Alu-Dosen-Biozönose“.

STRASSENRÄNDER ALS TODESFALLE
Vor Jahren lobten Naturschützer die relativ „verwilder-
ten Straßen- und Wegränder“. Straßenränder können                                          Saugmäher, wie sie leider überall zur Mahd der
pflanzenartenreich bewachsen sein und damit auch                                      Straßenböschungen eingesetzt werden, entfernen
Lebensraum diverser Insekten. Der zunehmende Trend,                                    nicht nur das Mähgut, sondern auch alle Insekten.

Ein Praxisleitfaden                                                                                                                   11
WAS GESCHEHEN IST

 Gegenüberstellung ungefährdeter und gefährdeter Insektenarten von zehn ausgewählten Insektengruppen
 (nach Zulka ed. 2005–2009): Durchschnittlich 50 Prozent der Arten sind in unterschiedlichen Ausmaßen gefährdet.

 Arten unter den Heuschrecken, Wanzen, Zikaden bis hin        Pheromone können ein größeres Spektrum an Arten an-
 zu den Spinnen ein. Jene Exemplare, die nicht von rotie-     ziehen, welche sich an ähnlichen Duftstoffen orientie-
 renden Mähmessern zerstückelt wurden, werden mit             ren. So passiert es leider, dass neben den Borkenkäfern
 dem Grasschnitt in Plastikfolien luftdicht verpackt.         auch etliche andere, oft gefährdete Insektenarten mit
                                                              angelockt und letztlich abgetötet werden. Solche Fallen
 FICHTENMONOKULTUREN                                          werden oft nicht nur in der Forstwirtschaft eingesetzt,
 Fichtenmonokulturen stellen nach wie vor ein großes          auch in unseren Wohnräumen und Glashäusern kommen
 Problem dar und haben lang dauernde Nachwirkungen.           Gelbfallen zum Einsatz. Neben Schädlingen befinden
 Zwar hat sich der Monokulturanteil zuletzt gesenkt,          sich auch Nützlinge an den klebrigen Teilen. In freier Na-
 aber mit 60 Prozent nimmt die Fichte noch einen Groß-        tur angebracht – um die Anwendung von Insektiziden zu
 teil der Ertragswälder in Österreich ein. Die Baumart        vermeiden – werden sie zu Fallen für hunderte Insekten-
 wird durchaus von hunderten Insektenarten besiedelt,         arten des Gartens, die daran festkleben. Besonders
 aber das ist nur ein geringer Anteil der vielfältigen        betroffen sind kleine parasitische Hymenopteren, aber
 Waldfauna des Alpenraumes. Durch die oft gleichaltri-        auch zahlreiche blütenbesuchende Insektenarten.
 gen und zu dicht gesetzten Fichtenforste wird der
 Boden beschattet, und durch den Abbau der Nadeln             SCHADSTOFFEINTRAG
 versauert er allmählich, dadurch wird die bodennahe          Umweltgifte gelangen aus unseren Haushalten, dem
 Pflanzenvielfalt reduziert und somit auch die sonst          Straßenverkehr, der Industrie und aus der Landwirt-
 reichhaltige Insektenfauna.                                  schaft oft ungefiltert in die Natur, wo sie lange verblei-
                                                              ben und schweren Schaden anrichten können. Diese
 UNSPEZIFISCHE PHEROMON- UND GELBFALLEN                       Schadstoffe geraten nicht nur in das Grundwasser,
 Pheromonfallen für Borkenkäfer sollten hochspezifisch        sondern werden von Organismen aufgenommen und
 wirksam sein, um nur wenige Arten von Schadinsekten          reichern sich an. Einige gasförmige, flüssige oder leicht
 anzulocken. Mitunter sind sie es auch, bis Nebenfakto-       lösliche Umweltgifte werden verdriftet und entfalten
 ren eintreten. Befinden sich in den Pheromonfallen gro-      ihre Wirkung oft weit weg vom eigentlichen Einsatzort,
 ße Mengen an toten Insekten, so locken diese aasfres-        z.B. in Schutzgebieten, die als letzte Refugialräume
 sende Insekten an. Aber auch angeblich spezifische           seltener Insekten dienen.

12                                                                                                 Insekten-Soforthilfe
WAS GESCHEHEN IST

GEWÄSSERREGULIERUNG UND GEWÄSSERVERSCHMUTZUNG

                                                            FOTO: THOMAS HOANG; PIXABAY
Gewässer spielen eine wichtige Rolle im Leben vieler
Insekten. Zahlreiche Gruppen wie Libellen, Köcherflie-
gen, einige Wanzen, Zweiflügler und Käfer sind in ihrer
Larvalentwicklung auf Wasser angewiesen. Durch das
Handeln des Menschen sind über die vergangenen
Jahrzehnte die meisten ursprünglichen, naturnahen
Gewässer verschwunden oder sie eignen sich nicht
mehr als Kinderstube der Insekten:
    Durch Regulierungen und Begradigungen unserer
Flusssysteme ist nicht nur die Gefahr für Hochwässer
massiv gestiegen, auch der Strukturreichtum hat stark
abgenommen. Durch diese baulichen Maßnahmen wur-
de die Fließgeschwindigkeit erheblich erhöht, womit
Strukturen in Form von Pflanzen weggespült werden,
was negativen Einfluss auf Insektenpopulationen hat.
                                                                                   Auch die Einleitung von Abwässern in Bäche und Flüsse
    In den Wirtschaftswunderjahren kam es zu einer                                                kann eine Gefahr für Insekten darstellen.
erheblichen Einleitung von Abwässern, die um 1970 ih-
ren Höhepunkt fand. Nahezu alle Fließgewässer Mittel-
europas waren damals stark verunreinigt. Dadurch gab
es vor etwa 50 Jahren in den größeren Fließgewässern                    FAZIT
unterhalb von Städten kaum noch wasserbewohnende                        Stickstoff- und Pestizidbelastung, Strukturarmut und
Insekten. Auch heute kommt es stellenweise noch zu                      Ausräumung der Landschaft sowie Habitatverlust
Verunreinigungen, die den Insekten stark zusetzen                       und Lebensraumzerstörung gelten als Hauptverur-
können.                                                                 sacher des Insektensterbens bei uns. Viele dieser
                                                                        „Treiber“ sind eng mit der industrialisierten Landwirt-
    Im Zuge des Klimawandels und durch die Erwärmung
                                                                        schaft verknüpft. Und sie wirken nicht isoliert, son-
der Fließgewässer durch Industrieanlagen mit Wärme-                     dern verstärken sich gegenseitig.
tauschern kommt es zunehmend zu einer Verschiebung                      Als hauptverantwortlich für das Insektensterben
der Gewässertemperaturen nach oben im Gewässer-                         identifiziert eine aktuelle Übersichtsstudie den Ver-
lauf. Dadurch verschieben sich auch die unterschied-                    lust von Lebensraum durch intensive Landwirtschaft
lichen Artenvorkommen allmählich.                                       sowie die zunehmende Urbanisierung. In Gärten, die
    Durch die immer intensiver werdende Landwirt-                       nur aus Rasenfläche bestehen, oder umgepflügten
schaft reichen Monokulturen und andere Landwirt-                        Ackerrandstreifen finden Insekten weder Nahrung
schaftsflächen immer näher an die Gewässerränder                        noch Nistplätze. Zusätzliche wichtige Ursachen für
                                                                        den Insektenschwund sind laut der Studie der Ein-
heran. Damit werden viele Gewässer durch Düngung                        satz chemischer Schadstoffe wie Pestizide und syn-
und Pestizideinsatz stark belastet und Insekten haben                   thetische Düngemittel, invasive Arten und der Klima-
kaum eine Chance, sich zu vermehren etc.                                wandel.
                                                                        Um diesen Treibern entgegenzuwirken, sind struktu-
                                                                        relle Weichenstellungen erforderlich – etwa über die
                                                                        Umgestaltung der EU-Agrarförderung

 Die Autoren:                                                           LITERATUR
 Prof. Univ.-Doz. Dr. Johannes Gepp ist vielseitiger Öko-   GEISER, E. (2018): How Many Animal Species are there in Austria? Update after
                                                            20 Years. – ActaZooBot Austria 155/2, 1–18.
 loge mit Forschungsschwerpunkt Insekten als Indika-        GEPP, J. (2003): Entomologie und Naturschutz in Österreich – Die Wurzeln einer
 toren für Klimawandel, Biodiversität und Phänologie        Symbiose. – In: Zur Geschichte der Entomologie in Österreich, Denisia 8:179–236.
 sowie Herausgeber der ersten Roten Listen gefährde-        GEPP, J. (2019): Ausdünnung der Insektenvielfalt im Ostalpenraum: Vorge-
                                                            schichte, Ursachen und Tendenzen. – Jahrbuch des Vereins zum Schutz der
 ter Tiere Österreichs und grundlegender Publikationen      Bergwelt (München), 84:79-124.
 zur Auenökologie. Er ist Präsident des Naturschutz-        HALLMANN, C. A., SORG, M., JONGEJANS, E., SIEPEL, H., HOFLAND, N., SCHWAN,
 bund Steiermark und koordiniert die Wahl zum „Insekts      H., STENMANS, W., MÜLLER, A., SUMSER, H., HÖRREN, T., GOULSON, D. & DE
                                                            KROON, H. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying
 des Jahres“ in Österreich.                                 insect biomass in protected areas. – PlOS one, 12(10), e0185809.
                                                            SANCHEZ-BAYO, F. & K.A.G. WYCKHUYS (2019): Worldwide decline of the
 Mag. Christian Holzmann war Wissenschaftlicher Mit-        entomofauna: A review of its drivers. – Biological Conservation, 232:8–27.
 arbeiter beim Naturschutzbund Steiermark                   ZULKA, K. P. (Red.) (2005, 2009): Rote Listen gefährdeter Tiere Österreichs. –
                                                            Grüne Reihe des Lebensministeriums, Band 14/1, 2.

Ein Praxisleitfaden                                                                                                                      13
WAS ZU TUN IST

 RETTET DIE INSEKTEN!
 | naturschutzbund | - Forderungen für einen dringend nötigen Bestäuberschutz

                                                           bungsleistung in Österreich wird auf jährlich 300 bis
                                                           650 Millionen Euro geschätzt. Vor allem Wildbienen
                                                           haben hier eine Schlüsselrolle, da ihre Bestäubungs-
                                                           leistung und vor allem ihre Bestäubungsqualität durch
                                                           Honigbienen nicht ersetzt werden kann. Etwa 700 ver-
                                                           schiedene Wildbienenarten gibt es in Österreich – noch.
                                                           Fast die Hälfte davon ist im unterschiedlichen Maße
                                                           gefährdet. Es fehlt ihnen an Nahrung und Nistmöglich-
                                                           keiten. Bedrohlich ist vor allem der Rückgang in der in-
                                                           tensiv genutzten Fläche, der dazu führt, dass Arten oft
                                                           nur mehr in fragilen Reliktpopulationen überleben, die
                                                           allzu leicht infolge von lokalen Schlechtwetterereig-
                                                           nissen und genetischer Verarmung aussterben können.

                                                           WIR MÜSSEN DRINGEND HANDELN!
                                                           Um die Lebensbedingungen heimischer Insekten zu
                                                           verbessern, appelliert der Naturschutzbund sowohl an
                                                           die Bundesregierung als auch an die Landesregierun-

 A
        usgeräumte Landschaften, häufige Mahd, Über-       gen und Gemeinden, schnellstmöglich die dafür not-
        düngung auch durch Eintrag aus der Luft, große     wendigen Schritte zu ergreifen. Dafür ist eine enge
        Bewirtschaftungseinheiten,      Pestizideinsatz,   Zusammenarbeit aller Beteiligten aus Politik, Industrie,
 Bodenversiegelung, schlechter Zustand der Wasser-         Landwirtschaft, Naturschutz, Wissenschaft und Ge-
 lebensräume, Lichtverschmutzung und eine Vielzahl         sellschaft erforderlich. Anstatt gegenseitiger Zuwei-
 steriler Gärten ohne Naturvielfalt – den Insekten wird    sungen der Verantwortung bedarf es eines gemein-
 das Überleben seit Jahrzehnten immer schwerer ge-         samen gesellschaftlichen Kraftaktes. Eine wichtige
 macht. Inzwischen wird ein massives Insektensterben       Rolle kommt auch der Bevölkerung zu. Jeder und jede
 offensichtlich, das in der Folge dramatische Auswir-      Einzelne entscheidet mit dem eigenen Konsumverhal-
 kungen auf unser aller Leben haben wird. Bestäubende      ten mit, ob wir eine Chance haben das Insektensterben
 Insekten sind ein kleiner, aber ökologisch sehr wichti-   aufzuhalten.
 ger Teil der Insektenfauna. Auch sie sind von einem
 massiven Rückgang betroffen. Deshalb müssen jetzt
 Maßnahmen ergriffen werden, um das Verschwinden
 der Insekten zu stoppen bzw. deren Situation zu ver-
 bessern. Der Naturschutzbund Österreich hat sechs
 Forderungen erarbeitet, die den Fortbestand der Insek-
 tenfauna und ihrer wertvollen Leistungen für Mensch
 und Natur gewährleisten sollen.

 UNSCHÄTZBAR. UNERSETZBAR.
 Bestäubende Insekten sind für den Naturhaushalt
 ebenso relevant wie für die Sicherung unserer Ernäh-
 rung. 87 der 109 weltweit wichtigsten Kulturpflanzen
 hängen von tierischer Bestäubung ab. Die Bestäu-

14                                                                                             Insekten-Soforthilfe
1. ARTENREICHE LEBENSRÄUME UND SOLCHE MIT
SELTENEN ARTEN ERHALTEN BZW. SCHAFFEN
Noch vorhandene Lebensräume mit großer Artenvielfalt
sowie mit seltenen Arten stellen letzte Reste einer
ehemals großflächigen naturnahen bzw. extensiv ge-
nutzten Landschaft dar. Diese schutzwürdigen und
teilweise geschützten Lebensräume müssen unbe-
dingt erhalten sowie erweitert und miteinander ver-        DER NATURSCHUTZBUND FORDERT:
netzt werden. Das kann beispielsweise durch Vertrags-          Erhaltung, naturnahe Gestaltung sowie Neuanlage
naturschutz und Schaffung von Schutzgebieten er-           von Feldrainen, Hecken, Einzelbäumen, Blühstreifen,
reicht werden.                                             Brachen, ungeteerten Feldwegen, Wegrändern, Hohl-
                                                           wegen, Abbruchkanten, Lesesteinmauern, Uferstreifen
DER NATURSCHUTZBUND FORDERT:                               und anderen Strukturen. Dauerhafte Schaffung von
    Erhaltung und Vergrößerung von Magerwiesen und         Strukturen inmitten der Äcker und Wiesen
anderen naturschutzfachlich wertvollen Flächen sowie           Stopp der Grünlandverluste, Schutz und Förderung
Vernetzung dieser miteinander. Unterstützung dieser        besonders sensibler, extensiv genutzter Wiesen
Naturschutzleistungen durch angemessene Förderun-              Düngung und Mahdintensität reduzieren, Staffelung
gen, v.a. auch aus dem Agrarsektor                         der Mahd, Vermeidung von Mulchgeräten, Mähaufbe-
    Gezielter Ankauf naturschutzfachlich wertvoller Flä-   reitern und rotierenden Saugmähern, Bevorzugung von
chen als Überlebensinseln, wenn deren Erhalt durch die     Balkenmähern
Eigentümer nicht gewährleistet ist, sowie Erhöhung des         Informationsoffensive für land- und forstwirtschaft-
Anteils an Naturschutzflächen                              liche Berater*innen und Landwirt*innen, um sie von der
    Erarbeitung von Managementplänen, die auch die         Notwendigkeit der Strukturvielfalt zu überzeugen
Ansprüche der verschiedenen Insektengruppen berück-            Gestaltung einer Agrarpolitik und von Agrarumwelt-
sichtigen, und verbindliche Festsetzung derselben          programmen, die mehrjährige Blühstreifen und standort-
    Ausreichend Ressourcen für die Gebietsbetreuung        typische Wildkräutersaaten regionaler Herkunft unter-
und die Umsetzung der Managementpläne                      stützen; kein Einsatz konkurrenzstarker, nichtheimi-
    Keine Pestizide und Düngung auf naturschutzfachlich    scher Pflanzen
wertvollen Flächen und deren Umgebung (Pufferzonen)            Attraktive und zielorientierte Förderungen für diese
    Raum für natürlich ablaufende Prozesse in Schutz-      Maßnahmen; Direktzahlungen müssen in der kommen-
gebieten: Vom mäandrierenden Fluss bis zur Zersetzung      den Förderperiode der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik an
toter Tiere und Pflanzen (Alt- und Totholz)                ökologische Leistungen gekoppelt werden.
    Erhaltung und Wiederherstellung naturnaher Gewäs-
ser und ihrer Auen als Lebensraum für gewässer-, kies-     Das Ziel lautet: Eine blütenreiche und klein-
flächen- und auentypische Insekten                         strukturierte Kulturlandschaft muss
                                                           wiederhergestellt werden,
Das Ziel lautet: Naturschutzfachlich wertvolle Lebens-     wertvolle Insektenlebens-
räume und natürliche Prozesse müssen erhalten wer-         räume müssen wieder
den, sodass Tiere, Pflanzen und Pilze optimale Lebens-     entstehen können.
bedingungen vorfinden.

2. STRUKTURVIELFALT IN DER LANDSCHAFT ERHÖHEN
Viele Tier- und Pflanzenarten der Kulturlandschaft
haben ihre Rückzugsräume verloren, auch die blüten-
besuchenden Insekten gehören dazu. Gründe dafür
sind intensive Bewirtschaftung des Agrarlandes, das
Beseitigen von Kleinstrukturen und Zusammenlegen
von Feldern, häufige Mahd, das Umwandeln von Grün-
land in Ackerflächen etc. Überdüngung und Spritzmit-
teleinsatz tun ein Übriges.

Ein Praxisleitfaden                                                                                              15
WAS ZU TUN IST

 3. PESTIZIDANWENDUNG IN DER LANDWIRTSCHAFT AUF EIN
 MINIMUM REDUZIEREN UND AUF ANDEREN FLÄCHEN GANZ
 DARAUF VERZICHTEN
 Der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide belastet
 Natur, Umwelt und die Gesundheit der Menschen. In-
 sektizide töten Wildbienen und andere Insekten direkt,
 während Pflanzengifte vorwiegend ihre Lebensgrund-         4. NÄHRSTOFFEINTRÄGE VERMINDERN UND AUF SENSIBLEN
 lage zerstören, indem sie Wildkräuter ausrotten.           FLÄCHEN VERMEIDEN
                                                            Überdüngung landwirtschaftlicher Nutzflächen sowie
 DER NATURSCHUTZBUND FORDERT:                               Einträge aus der Luft sind weitere maßgebliche Fakto-
     Totalverbot von Neonicotinoiden                        ren für den Rückgang der Insekten. Nur wenige Pflanzen
     Überarbeitung des Nationalen Aktionsplans Pflan-       tolerieren starken Nährstoffeintrag, die sensiblen ver-
 zenschutz: Es braucht konkrete Reduktionsziele für Pes-    schwinden. Gerade sie sind jedoch wertvolle Lieferan-
 tizide, unabhängige Beratung, wirksame Kontrollen und      ten von Nektar und Pollen für Insekten. Viele Insekten-
 Sanktionsmöglichkeiten. Auch über die Einführung einer     arten vertragen nur ungedüngte Pflanzen bzw. Pflan-
 zweckgebundenen Pestizidabgabe muss sachlich dis-          zen auf Magerstandorten als Nahrung. Deshalb müssen
 kutiert werden.                                            die Nährstoffeinträge in den Boden dringend begrenzt
     Verbot von Werbung für Pestizide                       werden, genauso wie deren Eintrag über die Luft.
     Forcierung und weiterer Ausbau des Biolandbaus
     Kein Pestizideinsatz auf sensiblen Flächen wie in      DER NATURSCHUTZBUND FORDERT:
 Schutzgebieten, auf artenreichen Wiesen und deren              Einhaltung einer bedarfsgerechten und damit redu-
 Pufferzonen sowie im Wald, auf Gewässerrandstreifen        zierten Düngung, Sanktionierung von Verstößen gegen
 und außerhalb landwirtschaftlicher Flächen (öffentlich     die Düngeverordnung, verstärkte ordnungspolitische
 wie privat)                                                Berücksichtigung des Verursacherprinzips
     Vorreiterrolle von Bund, Ländern und Gemeinden mit         Keine Düngung auf ökologisch sensiblen Standorten
 einem Anwendungsverzicht der Öffentlichen Hand für         wie Trocken- und Magerrasen, in Schutzgebieten sowie
 Insektizide und Herbizide, auch als Auflage bei verpach-   die Einhaltung von Pufferzonen
 teten Flächen; Einsatz für ein vollständiges Verbot von        Keine Düngung auf Gewässerrandstreifen und auf
 Neonicotinoiden auch auf EU-Ebene                          Waldflächen
     Kostenwahrheit bei Pestiziden: Die durch Pestizide         Verstärkte Anstrengungen für eine deutliche Reduk-
 verursachten Schäden (etwa für Gewässer und Trink-         tion der Stickstoffeinträge über die Luft. Keine Auf-
 wasser oder durch massiv reduzierte Ökosystemleistun-      weichung der strengen EU-Reduktionsziele 2030 für
 gen der Bestäuber) müssen erforscht, monetär bewertet      Ammoniak und Stickstoffoxide
 und vom Verursacher bezahlt werden.                            Tierhaltung auf sensiblen Standorten in Überein-
     Verpflichtendes Randstreifenprogramm im Ackerbau       stimmung mit einem Managementplan, um übermäßigen
 ohne Pestizide und Düngung                                 Nährstoffeintrag zu vermeiden

 Das Ziel lautet: Eine Landwirtschaft, die weitestge-       Das Ziel lautet: Düngemitteleinsatz nur dort, wo unbe-
 hend ohne die Verwendung von Pestiziden auskommt,          dingt notwendig, und nur in Mengen, die die Pflanzen
 und kein Gift auf öffentlichen Flächen und im privaten     aufnehmen können. Erhalt der sensiblen Magerrasen
 Bereich.                                                   sowie deren Wiederherstellung durch Aushagerung
                                                            und vollständigen Verzicht auf Düngung.

                                                                                        FOTOS: PIXABAY (S. 14, S. 16 OBEN);
                                                                                        EDITH KALS (S. 15 OBEN); CHRISTINE
                                                                                        PÜHRINGER (S. 15 UNTEN); SHUTTERSTOCK
                                                                                        (S. 16 UNTEN); JOSEF LIMBERGER (S. 17).

16                                                                                                Insekten-Soforthilfe
WAS ZU TUN IST

5. NATUR IM SIEDLUNGSRAUM FÖRDERN
Der Siedlungsraum hat großes Potential zur Förderung
der bestäubenden Insektenwelt: Strukturreiche Privat-
gärten und Parks mit heimischen Wildblumen und Kräu-
tern, Gewerbe- und Industriebrachen sind attraktive
Lebensräume für Insekten. Jedoch bieten sterile Gär-
ten und Parks mit getrimmtem Rasen, exotischer Be-
pflanzung und der Einsatz von Giften den Insekten
kaum eine Überlebenschance.

DER NATURSCHUTZBUND FORDERT:
    Insektenfreundliches Management des öffent-
lichen Raumes
    Heimische Blühpflanzen und Regiosaatgut für
neue Flächen
    Extensive Pflege von Freiflächen in Parks und
Gärten, auf Wiesen und Straßenrändern
    Verbot von chemisch-synthetischen Pestiziden in
Siedlungen sowie Haus- und Kleingärten
    Eindämmung der Lichtverschmutzung durch Ver-
meidung unnötiger künstlicher Lichtquellen und
flächendeckende Umstellung auf insektenfreundliche
Beleuchtung
    Information, Beratung, Anleitung und Anreize für
Private und Gewerbe

Das Ziel lautet: Siedlungsraum muss ein Lebensraum
für Insekten sein.

6. FORSCHUNGS- UND BILDUNGSOFFENSIVE STARTEN                  Universitäre und berufsbildende Aus- und Fortbil-
Der Kenntnisstand zur Biodiversität der Insekten ist      dung zum Thema Insektenförderung und Biodiversität,
alarmierend gering und muss dringend erhöht werden.       insbesondere Stärkung der systematisch-taxonomi-
Nur so kann man die Ursachen für den Rückgang der         schen und praxisrelevanten ökologischen Ausbildung
Insekten besser erkennen und Lösungsansätze ent-              Unabhängige Beratung für Landwirt*innen
wickeln. Es braucht ein neues Bewusstsein, das die            Bewusstseinsbildung, umfassende Information und
Vielfalt in privaten Gärten und öffentlichen Grün-        Beteiligungsprojekte für die ganze Bevölkerung
anlagen als einen Wert an sich begreift.                      Bessere Kommunikation zwischen Wissenschaft,
                                                          Politik und Praxis
DER NATURSCHUTZBUND FORDERT:
    Verstärkte Forschung zum Wildbienenschutz und         Das Ziel lautet: Grundlagen zu und Zusammenhänge
Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls für Bestäuber        zwischen den lokalen Artengemeinschaften müssen
    Langfristiges und systematisches Insekten-Monito-     besser bekannt sein. Ökologische Grunderfordernisse
ring bestäubungsökologisch relevanter Insektengrup-       müssen in der Agrarlandschaft sichergestellt werden.
pen (Tagfalter, Bienen, Schwebfliegen, Bockkäfer …)       In der Bevölkerung muss ein Umdenken initiiert und be-
    Erarbeitung Roter Listen der Wildbienen Österreichs   gleitet werden, damit ihr Engagement für Natur und
(gibt es bisher nur für Kärnten) sowie auch für andere    Umwelt gestärkt wird. Umweltbildung für Erwachsene
Insektengruppen; die wenigen bestehenden Roten            beinhaltet die Schaffung eines vielfältigen Bildungs-
Listen sind veraltet und methodisch nicht am aktuellen    programms durch NGOs, Museen und Schutzgebiets-
Stand. Sie müssen dringend überarbeitet und regel-        verwaltungen, Citizen Science-Projekte etc.
mäßig aktualisiert werden.
    Umweltbildung von Kindesbeinen an, beginnend in
Kindergärten und Schulen                                  | naturschutzbund | Österreich, beschlossen im April 2019

Ein Praxisleitfaden                                                                                                   17
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