Ins Offene - Netzwerk Junge Ohren
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05 Editorial 06 Austausch, Nähe und Agilität 09 Keine Angst! 12 Wir sind ganz Ohr 13 Inhalt Spielräume 14 Strategien für unsichere Zeiten 16 Digital und draußen 17 Aufbruch in digitale Klangwelten 19 Diversität – Vom Konzept zur gelebten Realität 20 Kultur öffnet Welten – Webinarreihe 24 Junge Ohren Preis 34 Dank & Impressum
Die Corona-Pandemie und die mit Einschränkungen einhergehende Stilllegung des gewohnten Kulturbetriebs hat eindrücklich gezeigt, wie fragil das System ist, in dem wir uns als Kulturschaffende bewegen. Ohnehin prekäre Verhältnisse für Freiberufler*innen im kulturellen Sektor wurden wie in einem Brennglas verdeutlicht. Die inzwischen wieder stattfindenden Veranstaltungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles auch auf lange Sicht infrage Liebe steht: die Chormusik-Szene, viele Bereiche der Laienmusik, Musik- vermittlung im Kontext Schule … Die Praxis, Konzerte, Projekte und Veranstaltungen weit im Voraus zu planen und zu finanzieren, wird durch die gegebene Situation ad absurdum geführt, denn zu vieles Leserinnen im Zusammenhang mit der Pandemie ist noch nicht genug erforscht und erprobt. und Wir müssen uns daher darauf einstellen, mit Unsicherheiten umzu- gehen, die sich auf viele Bereiche auswirken: auf unsere wirtschaft- liche Situation, unsere persönliche und psychische Verfasstheit und Leser! auf die Routinen unserer Organisationen. Einiges wird vielleicht unwiederbringlich verschwinden, anderes wird sich verändern, und wenn auch sonst wenig sicher ist: Unsere Kulturlandschaft wird – im Negativen, wie im Positiven – eine andere sein, wenn diese Krise überstanden ist. Wir bewegen uns ins Offene … Der Umgang mit Unsicherheiten angesichts einer unklaren Zukunft beschäftigt uns in dieser siebten Ausgabe des Best of Magazins. Was passiert, wenn eingespielte Arbeits- und Organisationsweisen nicht mehr greifen, beschreibt der Intendant der Deutschen Staats- philharmonie Rheinland-Pfalz Beat Fehlmann. Er zeigt, welche Wege er mit seinem Team gefunden hat, um nicht nur weiterma- chen zu können, sondern auch neue Spielräume für die Zusammen- arbeit auszuloten. Neue Spielräume ergründen auch all jene, die mit ihren künstlerischen Formaten das Potential des Digitalen erfor- schen. Die Kulturstiftung des Bundes begleitet als Fördergeberin solche Entwicklungen und skizziert ihre Beobachtungen. Eine Krise wie Corona trifft die Institutionen hart, noch stärker aber sind es Einzelakteur*innen, Selbstständige und Freiberufler*innen, die jetzt um ihre Existenz kämpfen. Über Strategien, solch herausfordernde Situationen persönlich und biografisch zu bewältigen, sprechen wir mit der Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. Déirdre Cooper. „Ins Offene“ ist auch ein ständiges Thema des Netzwerk Junge Ohren, das sich – nicht nur in Pandemie-Zeiten – stetig weiterent- wickelt, neue Impulse aufgreift und sich immer wieder neu erfindet. Auch davon berichten wir in diesem Heft und wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen. Herzlich Katharina von Radowitz / Alexander von Nell Geschäftsführung Netzwerk Junge Ohren 5
Best of Magazin #7 Ins Offene Austausch, Der Orchesterbetrieb lebt als künstlerischer Organis- mus nicht nur vom gemeinsamen Musizieren. Auch wesentliche Bereiche der Organisation finden im Miteinander des Probenbetriebs statt. Wird dieses Nähe und stillgelegt und zudem der Kontakt zum Publikum abgeschnitten, geraten zentrale Parameter durchein- ander. Wie man unter diesen Umständen den Kopf Agilität oben hält, beschreibt Beat Fehlmann, Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Was jetzt Noch nie waren die Führungsgrundsätze in Kultur- betrieben so herausgefordert wie in der gegenwär- tigen Krise. Die Aspekte „Strukturen schaffen“ und „für Ziele sorgen“ sind dabei grundlegende Themen, zählt deren Verwirklichung sich jedoch durch das dezentrale Arbeiten und die absolute Planungsunsicherheit in neuen Dimensionen abspielt. 6
die Bemühungen, möglichst weit auszuschwärmen Kommunikation, und dadurch eine breite Wahrnehmung zu erreichen. Kommunikation, Dabei lag ein wichtiger Aspekt darin, die Beziehung zu unserem Publikum zu erhalten, zu festigen und sie Kommunikation! auf einer sehr persönlichen Ebene zu gestalten. Eine zentrale Rolle kam dabei den Musiker*innen selbst zu, Detaillierte Aufgabenbeschreibungen, vordefinierte Ar- welche nicht nur die Musik zu den Menschen brach- beits- und Entscheidungsabläufe sowie Schnittstellen ten, sondern auch eine wichtige Botschafterfunktion sind gelebte Praxis in Kulturbetrieben. Dennoch lebt einnahmen. Hier kam viel Kreativität und individuelles dieses System im Alltag ganz zentral von kurzen Wegen Engagement seitens des Orchesters zum Tragen. Trotz und einem mehr oder weniger beständigen informellen – oder vielleicht auch gerade wegen – der außerge- Austausch. Mit dem Ausbruch der Pandemie sahen wir wöhnlichen Rahmenbedingungen dieser Zeit, wurden als Kulturinstitution die primäre Aufgabe darin, den ganz besondere und emotionale Erlebnisse möglich. gemeinsamen Austausch aufrechtzuerhalten und für Diese Vielfalt an Veranstaltungen und die große Nähe einen geregelten Tagesablauf zu sorgen. Vor diesem zum Publikum spiegeln sich in den unmittelbaren Hintergrund haben wir umgehend die Kommunikation Reaktionen und in der Tatsache, dass es uns gemeinsam für die Tagesordnungen auf der gesamten Adminis- gelungen ist, von Mitte Mai bis Anfang Juli 2020 ins- trationsebene neu strukturiert. In dem teilweise sehr gesamt 150 Live-Veranstaltungen durchzuführen und unterschiedlichen Arbeitsrhythmus der Kolleg*innen dabei rund 7.000 Menschen zu erreichen. führte dies unmittelbar zu einer Beruhigung und Kon- zentration. Staatsphilharmonie Die personelle Besonderheit unseres Betriebs liegt dabei aber vor allem darin, dass die Orchestermusi- digital ker*innen rund 80 Prozent des Personals ausmachen. Unsere Strategie „Musik im Anflug“ beschränkte Durch die Aussetzung der künstlerischen Arbeit fiel ein sich aber nicht nur auf analoge Formate. Im digitalen ganz wesentlicher Teil der üblichen Kommunikations- Bereich haben wir uns konsequent auf die Musikver- kanäle zu den Mitgliedern des Orchesters aus. Um dies mittlung konzentriert und versucht neue Entwicklun- aufzufangen, haben wir sogenannte „Friday’s Flashs“ gen so zu konzipieren, dass sie auch über die aktuelle eingeführt – kompakte Infomailings, die wöchentlich Situation hinaus ihre Gültigkeit behalten. Ins Zentrum an sämtliche Mitarbeitenden der Deutschen Staats- dieser Bemühungen stellten wir drei Projekte. Das philharmonie Rheinland-Pfalz versendet wurden. erste Projekt bietet einen attraktiven Beitrag zum in Dabei hatte jede Abteilung die Möglichkeit, sich über diesen Krisenzeiten noch einmal deutlich häufiger aus- die Entwicklungen und Überlegungen auf dem Lau- gefallenen Musikunterricht in den Schulen. Das Digitale fenden zu halten. Für mich persönlich bedeutete dies Klassenzimmer ist ein Live-Stream, welcher jeweils ein eine rasche Verbreitung neuer Veranstaltungsformate Instrument ins Zentrum rückt und über die Chat-Funk- und eine direkte Ansprache und Aktivierung sämtlicher tion die Möglichkeit eröffnet, direkte Fragen zu stellen Mitarbeitenden. und diese von einem Profi aus dem Orchester unmit- telbar beantwortet zu bekommen. Die Beteiligung von Neue Formate am Puls rund 1.000 Besuchenden pro Ausstrahlung zeigt uns die Notwendigkeit dieses Angebots. des Publikums Das zweite Projekt Wir individuell – Wir sinfonisch Dadurch ist es uns gelungen, unmittelbar nach dem läuft über unsere Webseite staatsphilharmoniker.de Lockdown wieder mit Live-Formaten auftreten zu und vereint ganz persönliche, selbstproduzierte Bei- können. Der größte Teil dieser Ereignisse ist mit dem träge mit einer Aufführung des gesamten Orchesters. regulären Orchesterbetrieb nicht vergleichbar. Doch Die Musiker*innen wurden angefragt, ein kurzes Video der breite Fächer an ganz unterschiedlichen Live-Ver- mit ihrer Lieblingsstelle aus der fünften Sinfonie von anstaltungen sorgte für eine Vielfältigkeit sowohl im Beethoven zu produzieren und diese vorzustellen. Publikum als auch im Angebot, das aus der aktiven Nach diesem Einblick aus der Sicht der Musiker*innen, Mitgestaltung sämtlicher Musiker*innen entstanden können die Zuhörer*innen die gleichen Einzelstimmen ist. Unser leitendes Motto „Musik im Anflug“ beschreibt als Teil des großen symphonischen Klangs aus dem 7
Best of Magazin #7 Ins Offene Jubiläumskonzert „100 Jahre Deutsche Staatsphilhar- pe aus unterschiedlichsten Arbeitsbereichen im Tun monie“ nachhören. Die persönliche Ebene erlaubt es, lernen und Ideen weiterentwickeln sowie verändern. einen sehr individuellen Eindruck von dieser Musik zu Ich bin voller Zuversicht, dass es uns gelingen wird, bekommen und dabei Hinter- und Vordergründiges die Offenheit und Flexibilität der vergangenen Wo- über dieses herausragende Werk zu erfahren. Die chen auch auf die Zukunft zu übertragen. So wichtig Technik wiederum ermöglicht eine Annäherung an es ist, wieder Planungssicherheit zu erhalten, wäre es das Orchestergeschehen, welche im Konzert in dieser aus meiner Sicht hilfreich, wenn wir als Kulturinstitution Form unmöglich ist. künftig deutlich agiler würden. Auch die Seite junge-klassik.de ermöglicht den spon- tanen Kontakt zur Musik und vermittelt mit einem spielerischen Ansatz Wissenswertes über die musika- lischen Inhalte: Wie wird eine Geige gebaut, was ist eine Quinte, wer war Händel und vieles mehr. Im Drei- klang von Entdecken, Spielen und Mitmachen können alle Besucher*innen intuitiv einen individuellen Zugang finden. Die vielen positiven Rückmeldungen und die Beat hohe Zahl von 180.000 Zugriffen im Zeitraum März bis Juni bestätigen den Stellenwert dieser digitalen Ressource. Fehlmann Wertschöpfung & Innovation Beat Fehlmann ist seit September 2018 Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz Konzertübertragungen zum Nulltarif haben wir be- in Ludwigshafen. Zuvor hatte der gebürtige wusst nicht gewählt. Wir glauben daran, dass das Schweizer die Intendanz der Südwestdeutschen Live-Erlebnis nicht digitalisiert werden kann. Dennoch Philharmonie in Konstanz inne, die auf Stationen stecken in der neuen Technik unglaubliche Möglich- bei der Kammerphilharmonie Graubünden und der keiten, um Menschen ganz nahe an die Musik heran- Philharmonie der Nationen folgte. Beat Fehlmann zuführen. Für mich persönlich war es aber darüber besitzt Musikhochschulabschlüsse in den Fächern hinaus besonders eindrücklich, in diesen Monaten zu Klarinette, Dirigieren und Komposition sowie einen erfahren, was zum Beispiel alles per Video-Konferenz Executive Master in Arts Administration der Uni- möglich ist und wie viele Treffen oder Besprechungen versität Zürich. Er war Assistent von Heinz Holliger man auch ohne aufwändige Reisetätigkeiten durch- beim Collegium Novum Zürich und anschließend führen kann. Ich gehe deshalb davon aus, dass zukünf- Gastdirigent verschiedener Orchester und Ensem- tig überregionale Treffen vermehrt auch im Digitalen bles. Für sein kompositorisches Schaffen wurde er Raum stattfinden werden – wovon wohl auch die Um- mehrmals ausgezeichnet und als Klarinettist ver- welt profitieren dürfte. Gleichzeitig hat für mich diese folgte er überwiegend Projekte mit experimentellem Technik oder vielmehr diese Form immer dann versagt, Charakter. Seit einigen Jahren konzentriert sich Beat wenn Weiterentwicklungen und kreative Prozesse im Fehlmann auf administrative Tätigkeiten und bildete Vordergrund standen. So haben wir auch erkannt, wie sich dafür an der Universität Zürich, der German wichtig es für unsere Institution ist, zukünftig vermehrt Graduate School und dem King’s College London auf agiles Arbeiten zu setzen. Wir haben die Zeit des- fort. Seit diesem Jahr unterrichtet er an der Hoch- halb genutzt, unser Phil LAB zu etablieren. Diese Start- schule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt Up-Einheit innerhalb der Institution soll es uns möglich das Fach Orchestermanagement. machen, Veränderungs- und Entwicklungsprozesse auch in „normalen“ Zeiten voranzutreiben. Das Phil LAB soll ein Thinktank sein, welcher nicht nur disku- tiert und Konzepte erstellt, sondern vor allem schnell ins Handeln kommt und versucht, neue Ideen in die Tat umzusetzen. Dabei will diese sechsköpfige Grup- 8
Was war die größte Herausforderung für die Menschen, die Sie in dieser Zeit aufgesucht haben? Keine Die Beschwerden unserer Patientinnen und Patienten bilden im Grunde ab, was gerade los ist: eine große Verunsicherung. Das Virus kam plötzlich und niemand weiß wirklich Bescheid, wie es funktioniert, wie lange Angst! es bleibt und was die Konsequenzen für uns sein wer- den. Wir Psychiater sind hier übrigens nicht klüger als andere Menschen – auch wir müssen die neue Situation erst einmal selber erfassen. Aber letztlich kommen wir mit Corona auf ein zentrales Thema zurück, das Die Psychiaterin wir im Patientenkontakt kennen: Die Notwendigkeit zu Anpassung und Veränderung bereitet den meisten Menschen erheblichen Stress. Unsere Aufgabe ist es, Dr. Déirdre Cooper Menschen, die in eine psychische Not geraten sind, aus dieser Stress-Situation herauszuhelfen. Und genau das im Gespräch mit tun wir jetzt seit Monaten unaufhörlich und in einem höheren Aufkommen als vorher, weil es einfach vielen Menschen schlecht geht. Katharina Für viele, gerade freischaffend tätige Musikerinnen von Radowitz und Musiker geht es ja gerade wirklich um die Existenz und nicht nur darum, eine unkomfortable Phase zu überstehen. Gibt es Strategien, um jetzt nicht in Panik zu verfallen? Liebe Frau Dr. Cooper, zuallererst: Wie geht es Ihnen? Wie wirkt sich die Pandemie auf die Arbeit in Ihrer Das ist nicht leicht, denn es geht hier um ganz entschei- Praxis aus, zu deren Patienten viele Musikerinnen und dende, existenzielle Ängste. Wir Psychiater sprechen Musiker zählen? hier von einem Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt: Als Musiker bin ich davon abhängig, dass mich jemand für Ja, das ist auch für uns sehr turbulent. Interessanter- ein Konzert engagiert. Wenn ich als Sängerin für eine weise hatten wir als selbstständige Psychiater mit ei- „Johannes-Passion“ beauftragt bin und die findet nicht gener Praxis zu Beginn der Pandemie erst einmal selbst statt, bekomme ich kein Geld. Ich bin in zweifacher ein wenig Existenzangst. Würden die Patienten weiter Hinsicht abhängig: vom Auftraggeber, der absprache- zu uns kommen? Ist der Praxisbetrieb weiter möglich? fähig sein muss, und davon, dass nicht gerade ein Schnell zeigte sich, dass unsere Sorgen unbegründet Virus das komplette Konzertleben in seinen Bann waren, denn die meisten Menschen, die vorher mit dem schlägt. Und immer, wenn Menschen sich abhängig Leitsymptom Angst zu uns gekommen waren, kamen fühlen, ist die Ohnmacht nah – gefolgt von Angst und auch weiterhin – und auch neue Patientinnen kamen. Panik. Um nicht in einer passiven Hilflosigkeit zu ver- Sie brauchten Unterstützung und eine Einordung der harren, muss eine Strategie gefunden werden. Aufgabe Situation durch uns Therapeuten. Das waren übrigens der Psychiaterin ist es also, ihre Patienten möglichst keineswegs nur die freischaffenden, sondern auch die in der Aktivität zu halten. Zum Beispiel indem sie sie fest angestellten Künstler, die plötzlich in Kurzarbeit dabei unterstützt, Maßnahmen zur Überwindung eines waren oder eine Art aktivierte Krankheitsangst be- finanziellen Engpasses anzugehen – also das Gespräch kommen haben. Viel geäußert wurde die Sorge „Was mit der Bank zu suchen, Hilfsmaßnahmen für sich zu geschieht, wenn ich krank werde? Was passiert, wenn überprüfen oder Eltern temporär um Unterstützung zu ich wegfalle, als jemand, der das Geld für die Familie bitten. Sobald jemand ins Handeln kommt und aktiv verdient?“ Es wurden alte Krankheitsbilder aktiviert seine Probleme angeht, ist er nicht mehr passiv. Und – Panikattacken, Angst, Zwang, psychomotorische dann lässt in der Regel auch die Anspannung und im Anspannung, Schlafstörungen –, die für viele Anlass Idealfall auch die Panik nach. Darum geht es: ange- waren, den Weg zu uns zu suchen. sichts der gegebenen Umstände autonom bleiben. 9
Best of Magazin #7 Ins Offene Schon vor Corona wussten wir um die mangelnde Wertschätzung für viele Facetten von Kulturarbeit. Nicht gezahlte Ausfallhonorare oder intransparente Absagen stärken diesen Eindruck. Bei vielen Musikerinnen und Musikern gehen Berufs- und Selbstbild Hand in Hand. Wie kann man dem Gefühl begegnen, ver- meintlich nicht mehr gefragt zu sein? Das ist ein Kernthema unserer therapeutischen Arbeit, denn jede Krise – und jetzt eben die Pandemie – akti- viert alte Grundüberzeugungen. Die entstehen nicht in der Gegenwart, sondern in der Kindheit, in frühen Bin- dungs- und Beziehungserfahrungen. Vielleicht besteht die Erfahrung für eine Person darin, dass sie als jüngs- tes von mehreren Geschwistern immer etwas außen bestehen, dass man das bekommt, was einem zusteht: vor geblieben ist und sich unerwünscht gefühlt hat. Da Respekt, Anerkennung, Wertschätzung. Und der kann das Resümee 20 Jahre später vor dem Eindruck Schlüssel dazu liegt darin, zuallererst mit sich selbst von Corona heißen „Ich spiele noch immer Aushilfe im wertschätzend umzugehen. Nur das eigene Handeln Orchester und bin da kein festes Mitglied“. Von hier ist kann die ursprüngliche und negative Grundüberzeu- es nur ein kleiner Schritt zu der alten Überzeugung „Ich gung auflösen! Darauf wirkt Psychotherapie hin: Wir gehöre nicht dazu, die wollen mich hier nicht haben.“ schauen genau, an welcher Stelle jemand gekränkt Aufgabe in der Therapie ist es dann zu sortieren: Was oder verletzt werden kann. Diese Trigger-Momente gehört jetzt in die aktuelle Situation und was ist alter – und Corona ist der perfekte Trigger! – bringen uns Spuk von früher? Um eine Distanz zu negativen Grund- auf die Spur der alten und schädigenden Grundüber- überzeugungen wie „Ich bin ganz alleine“ oder „mir zeugungen. Diese zu identifizieren und einzuordnen hilft keiner“ zu schaffen, muss man lernen darauf zu ist wichtig, noch wichtiger aber ist es dann, prospektiv 10
weiterzudenken und nicht in der Vergangenheit stecken zu bleiben. Salopp gesprochen: Was aus meinem alten Leben darf bleiben und was muss weg? Wir unterstützen unsere Patienten dabei, diese Ent- scheidung zu treffen, sie für sich zu formulieren und danach zu handeln. Wir sprechen dabei von Reframing – ein Prozess, der dem eigenen Leben eine Art neuen Bilderrahmen und damit eine neue Perspektive ver- schafft. Den Musikerberuf an den Nagel zu hängen und sich einfach einen neuen „sicheren“ Job zu suchen ist in Ihren Augen also keine Lösung? Das finde ich ganz problematisch. Eine freischaffende Dr. Déirdre Cooper Pianistin oder ein Sänger – die haben tausende von Übekilometern in diese hochqualifizierte Ausbildung gesteckt. Wir reden hier von Kulturschaffenden, die ei- nen essentiellen Beitrag zur Lebensqualität in unserer Gesellschaft leisten. Wer jetzt hinschmeißt, negiert Dr. Déirdre Cooper ist Fachärztin für Neurologie nicht nur den Stellenwert von Kultur für unser Zusam- sowie Psychiatrie und Psychotherapie. Von 2009 menleben, sondern viel schlimmer: Er fällt sich selbst in bis 2014 leitete sie als Oberärztin an der Klinik für den Rücken. Ich ermutige lieber zum Durchhalten und Psychiatrie und Psychotherapie der Universitäts- dazu, an der eigenen Kernkompetenz festzuhalten. klinik Bonn die Akutpsychiatrische Station und die Diese über Bord zu werfen, ist immer selbstwertschä- Opiatentgiftungsstation. Dort baute sie die Lampen- digend. fieberambulanz für Musiker*innen auf, wofür sie 2013 mit dem Antistigma-Preis der Fachgesellschaft Was würden Sie unseren Leserinnen und Lesern für Psychiatrie ausgezeichnet wurde. 2014 gründete raten, die sich vielleicht von diesen oder ähnlichen sie zusammen mit dem Psychiater Alexander Klick Fragen bedrängt fühlen? Was kann man selber eine eigene Praxis in Köln. Seit 2015 betreut leisten und ab welchem Punkt sollte man sich Dr. Déirdre Cooper diverse Orchesterakademien professionelle Hilfe holen? (WDR Sinfonieorchester, Gürzenich Orchester Köln). Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Prävention Ich bin grundsätzlich eine große Anhängerin von Pla- von Angsterkrankungen bei Musiker*innen. ton, der den Dialog über alles gestellt hat: Sprechen hilft! Im Gespräch mit vertrauten Menschen verliert der praxis-cooper-klick.de Schrecken viel von seiner Größe und es eröffnen sich andere Sichtweisen und meistens auch Lösungsan- sätze. Wenn aber die Symptome so bedrohend und raumfordernd sind, dass man seinen Alltag gar nicht mehr bewältigen kann, sollte man sich professionelle Hilfe holen. Wenn man permanent Angst hat, schlechte Nächte durchlebt und ständig mit Panikattacken auf- wacht, ist das ein Grund. Dann sollte man zunächst zu seiner Hausärztin gehen und dann vielleicht auch mal eine Kurzzeit-Therapie beim Psychiater und Psycho- therapeuten beginnen. Häufig geht es wirklich darum Spannung abzubauen und einen Umgang mit Unwäg- barkeiten zu finden. Das ist in einer kurzen therapeuti- schen Intervention in der Regel auch gut zu bewältigen Vielen Dank für das Interview! 11
Best of Magazin #7 Ins Offene zur Musik neu zu erschließen. Oftmals sind geförderte Projekte zunächst ihrer Zeit voraus, sie reagieren seis- mografisch auf Tendenzen und Strömungen in Gesell- Wir sind ganz Ohr schaft und Kunst und entwickeln daraus Projektvor- haben, an denen sich später auch andere Szenen und Die Kulturstiftung des Kulturinstitutionen orientieren können. Wir als Förder- einrichtung sind dabei in der glücklichen Situation, dass wir in der Begleitung dieser Projekte frühzeitig erfah- Bundes begleitet den ren und gemeinsam mit den Akteur*innen reflektieren, was die Musiklandschaft beschäftigt und benötigt. (digitalen) Wandel Dies hilft uns, unsere Förderpraxis beweglich zu halten und neue Förderinstrumente zu entwickeln. In diesem des Musiklebens Sinne unterstützen wir beispielsweise Ooorchestra – ein Projekt des STEGREIF.Orchesters, das zusammen mit bekannten YouTubern den digitalen Kanal [plu‘-ra:l] Seit Beginn ihres Bestehens fördert die Kulturstiftung entwickelt hat, um jungen Menschen klassische Musik des Bundes zeitgenössische internationale Musikpro- dort nahezubringen, wo sie zuhause sind. Gefördert jekte und initiiert darüber hinaus eigene Programme, wird das Fellowship-Programm #bebeethoven, in die der Sparte Impulse geben und auf die jeweiligen dem zwölf Künstler*innen interdisziplinär zur Zukunft Bedürfnisse der Musikszenen eingehen. Dabei enga- der Kunstmusik im 21. Jahrhundert forschen und in- gieren wir uns auch in der Förderung von Musikver- novative Stilmittel und Formate erproben. Mithilfe mittlungsprojekten, die über zeitgemäße Zugänge zur digitaler Technologien ermöglichen die Fellows Inter- Kunstmusik nachdenken – in den letzten Jahren natürlich aktionen wie Crowdcomposing oder Aufführungen mit befeuert durch die zunehmende Digitalisierung. Es Echtzeitbeteiligung und weiten so die Bandbreite und interessiert uns, wie die „Kultur der Digitalität“ (Felix Vorstellung von Teilhabe enorm. In unserem jüngsten Stalder), die durch „Gemeinschaftlichkeit, Referentiali- Programm Kultur Digital entwickeln die Komische tät und Algorithmizität“ 1 charakterisiert ist, die Sparte, Oper Berlin und das Berliner Ensemble derzeit gemein- ihren Kunstbegriff und ihre Produktions- und Auffüh- sam künstlerische „Spielräume“ und Erlebniswelten, rungspraktiken verändert und welche Bedeutung dabei die Oper und Schauspiel in Games erlebbar machen. den Formaten der Vermittlung zukommt. Wie erreicht Die Deutsche Oper am Rhein und das FFT Düsseldorf die Kunstmusik in Zeiten von Streaming-, Remix- > und Mashup-Kultur und unter den Bedingungen der Corona-Pandemie ihr Publikum? Welche neuen Allian- zen müssen gebildet, welche Arbeitsweisen und Struk- turen gefördert werden, um die Kunstmusik und ihre Akteur*innen zu stärken? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten und Juliane einen Einblick in die Entwicklungen innerhalb der Köber Kunstmusik zu gewinnen, lohnt ein Blick auf die aktuell von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Projekte im Bereich Musik und Kulturelle Bildung: Viele der Projekte spiegeln die Veränderungen, Chancen und Juliane Köber ist seit 2011 Mitarbeiterin für Digitale Herausforderungen, denen sich (auch) die Kunstmusik Kommunikation der Kulturstiftung des Bundes stellen muss – vom Einsatz digitaler Technologien bis und dort derzeit u.a. verantwortlich für die hin zur Öffnung ihrer Institutionen für die diverse Ge- Kommunikation des Programms Kultur Digital sowie sellschaft. Wir fördern programmatisch modellhafte, verschiedener Musikprojekte. Sie studierte Politik- richtungsweisende Vorhaben (abgeschlossen, aber wissenschaften, Journalistik und Frankreichstudien noch immer nachwirkend z.B. Netzwerk Neue Musik) an der Universität Leipzig und der Universität ebenso wie hochdynamische Kooperationsprojekte Aix-Marseille I, Frankreich. wie Trikestra und möchten sie motivieren, mit Ver- mittlungsansätzen zu experimentieren und Zugänge 12
wiederum kreieren „Digitale Foyers“, um Schnittstellen Mit herausragenden Ideen, Offenheit, ästhetischem zur Stadtgesellschaft zu schaffen und Gemeinschaft zu Gespür und künstlerischer Exzellenz gestalten die stiften. Allein die hier vorgelegte Auswahl an Projekten Akteur*innen der Musik den (digitalen) Wandel längst macht deutlich: Die Sparte ist in Bewegung. Die Musik- aktiv mit. Wir bleiben neugierig! szenen differenzieren sich aus und arbeiten enger mit Communities und temporären Partnern aus Gesellschaft, Weitere Informationen zu den geförderten Projekten Wissenschaft, Kunst und Technik zusammen. Sie suchen finden Sie unter kulturstiftung-bund.de den sparten- und themenübergreifenden Austausch. 1 Felix Stalder: Kultur der Digitalität. Berlin. Suhrkamp. 2016. Im weiteren Prozess sollen Arbeitsabläufe der digitalen Spieleentwicklung (Game Jams, Testings, Labs, aber auch neue Kommunikationstools etc.) Anwendung Spielräume ... finden, erprobt und hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die bisherigen Produktionsweisen der Komischen Oper Berlin und des Berliner Ensembles überprüft ... zum Ausprobieren, werden. Das Projekt dient somit nicht nur der Kreation von neuen digitalen Formaten, sondern auch dem An- Scheitern wenden und dem Test von agilen Arbeitsweisen, die in der Spieleentwicklung bereits gute Praxis sind. Der und Lernen Weg zu den neuen digitalen Erlebniswelten erscheint innerhalb des Projekts letztlich ebenso wichtig wie das Ziel. Dabei sollen auch neue Zugänge für das Publikum die eine spielerische Erfahrung für ihre Teilnehmenden schaffen, dazu einladen oder sie ermöglichen. Die Spielräume von Oper und Schauspiel im Analogen geschaffen werden, die eine aktivere Teilhabe implizie- sind unermesslich. Mit Darsteller*innen, Musik, Spra- ren. So partizipiert das „Publikum“ der playful media che und Ausstattung können auf einer leeren Bühne per se nie nur wahrnehmend, sondern als Spielende die unterschiedlichsten Erlebniswelten im Hier und auch stets agierend. Dies auf das Prinzip „Oper“ bzw. Jetzt geschaffen werden. Doch wie sehen die Möglich- „Schauspiel“ zu übertragen, ist besonders reizvoll: Wie keiten für Oper und Schauspiel im Digitalen aus? Wie können Menschen über geographische, sprachliche * Als playful media werden alle Objekte, Räume und Technologien bezeichnet, lassen sich Spiele bzw. neue künstlerische Formate im und physische Barrieren hinweg an digitalen Opern- Bereich des Digitalen entwickeln, ohne die analogen und Schauspiel-Ereignissen nicht nur teilnehmen, Parameter einfach nur 1:1 zu übersetzen? Was könnte sondern sie aktiv mitgestalten? Die neu entstehenden z.B. die Kopräsenz von Darstellenden und Publikum für „Spielräume“ sollen auf diese Weise neue Zielgruppen die digitale Spielewelt bedeuten? Inwiefern könnte der erreichen, insbesondere Gamer*innen und Digital V-Effekt oder das Durchbrechen der Vierten Wand für Natives. die „playful media“* fruchtbar gemacht werden? Und welchen Beitrag können Mackie Messer, Don Giovanni Die Komische Oper, wie auch das Berliner Ensemble oder Salome hierzu leisten? begreifen sich in diesem Projekt als lernende Organisa- tionen mit zunächst geringer Expertise in der kreativen Seit dem Frühjahr 2020 – eine Zeit in der die Digi- Welt der playful media. Ihr gemeinsames Anliegen ist talisierung aufgrund des Corona-Lockdowns einen es, sich für die digitalen Ästhetiken, Diskurse, Forma- weiteren Schub erfahren hat – setzen sich die Komi- te und insbesondere auch Technologien (Augmented sche Oper Berlin und das Berliner Ensemble im Pro- Reality, Virtual Reality etc.) zu öffnen und den Projekt- jekt „Spielräume“, das im Programm Kultur Digital der ablauf daher möglichst ergebnisoffen zu gestalten. Kulturstiftung des Bundes gefördert wird, mit diesen Selbst wenn manches scheitern sollte, wird doch alles Fragen auseinander. Zwei neue Projektleiter*innen mit ein Gewinn im Sinne neuer Wissens- und Erfahrungs- digitaler Expertise wurden dafür engagiert und für die horizonte sein. nächsten dreieinhalb Jahre Förderphase ein Fahrplan entwickelt, der bereits im Jahr 2021 erste künstlerische Dr. Rainer Simon Umsetzungen vorsieht. Referent des Intendanten der Komischen Oper Berlin 13
Best of Magazin #7 Ins Offene PODIUM. Die Lage ist unübersichtlich und wird es bleiben. Nicht erst seit der Corona-Pandemie wird immer deutlicher, dass unsere Normalität weit weniger stabil ist, als sie Digital oft erscheint. Das gilt für viele Bereiche, für den digi- talen Wandel als gesellschaftlichen Transformations- prozess erst recht. Als Produktionsplattform, die sich Strategien Fragen der musikalischen Gegenwart widmet, stellen diese Entwicklungen für PODIUM Esslingen schon seit der Gründung 2009 ein wesentliches Handlungsfeld dar. Dabei treibt uns die große Frage an, wie es ausge- für unsichere hend von der Musik gelingen kann ein positives, selbst- bestimmtes Narrativ des Digitalen zu entwickeln und einen optimistischen Handlungsraum zu erobern. Zeiten Digitalität war nicht weniger als Gründungsvoraus- setzung von PODIUM. Seit Beginn arbeitet das Team dezentral über Deutschland und Europa verteilt und die Community aus Musiker*innen, Publikum und Organi- sationsteam konnte nur mit Hilfe der ausgeprägten Nutzung von Social-Media überhaupt so schnell wachsen. Auch Video-Podcasts und das YouTube Format PODIUM Sessions entstanden schon kurz nach der Gründung – gerade weil für uns als junges Team die digitale Welt selbstverständlicher Teil unserer Lebensrealität ist. 14
Mit der Entwicklung von Henry als digitalem Musik davon entfernt sind, auf die vielen neuen Möglichkei- Kurator begann 2016 der gezielte Aufbau von ten und Herausforderungen passgenaue Antworten PODIUM.Digital als eigene Sparte, in der wir die zu haben. Dabei sind wir überzeugt davon, dass wir digitalen Projekte von PODIUM gebündelt haben. diese Fragen nicht alleine beantworten können und Schnell wurde aber deutlich, dass es nicht im klas- suchen immer wieder den Austausch mit anderen sischen Sinne eine solitäre Sparte braucht, sondern Akteur*innen. vielmehr eine breite Strategie, die allen Bereichen von PODIUM als Impulsgeber und Reflexionsraum dienen Weitere Infos zu PODIUM.Digital unter kann. Gleichzeitig sollte die Strategie nicht im traditi- podium-esslingen.de/digital onellen Sinne als X-Jahres-Plan dienen – zu unsicher, vielfältig und dynamisch sind die Entwicklungen. Viel- Julian Stahl mehr soll die Digitalstrategie das Bewusstsein dafür verantwortet den Bereich PODIUM.Digital schärfen, welche Schwerpunkte wir nicht aus dem und ist Host des PODIUM Podcasts Blick verlieren dürfen, um auf verschiedenen Ebenen den digitalen Wandel aktiv mitzugestalten und auf breiter Basis Digitalkompetenz aufzubauen. Wir kon- zentrieren uns daher auf vier Handlungsfelder: Musik und Digitalität als künstlerischer Experimentierraum mit Projekten u.a. von Holly Herndon, Quadrature oder Koka Nikoladze; Outreach als Schnittstelle zu PODIUM. Mehr Education; Kommunikation & Service bspw. mit dem Projekte h PODIUM.Podcast und dem Online-Magazin bebeetho- im Bereic er lität unt ven2020.com. Und ganz wesentlich: „Digital Literacy“ Digita ren.de für den Aufbau von Digitalkompetenz und Reflexions- jungeoh fähigkeit in der gesamten Organisation, da wir weit /digital 15
Digital und Musik und Stadt zueinander zu bringen. Entlang des historischen Stadtkanals in der Yorckstraße erwartet draußen: Flaneur*innen und Musikfreund*innen an jeder der mit einem QR-Code versehenen 20 Sitz- bzw. „Hör-Bänke“ ein anderes Konzert. Einfach Smartphone zücken, Die QR-Code scannen und den Video-Konzertmitschnitt genießen – von Dota Kehrs feinen Songperlen in der Sommerkonzerte Mittagspause über atmosphärischen Jazz mit dem Tingvall Trio nach Feierabend bis hin zu Avi Avitals zarten Mandolinenklängen im Mondschein. Auf diese des Nikolaisaal Weise entstehen ganz individuelle Momente des Musikhörens – draußen, auf Abstand, digital, zeitunab- Potsdam zum hängig und in ganz unterschiedlichen Situationen. So wurden für Familien mit Kleinkindern am Spielplatz Ecke Yorck-/Dortustraße ausgewählte Sitzbänke mit einem Nachhören QR-Code präpariert. Sie laden zum gemeinsamen Mit- erleben von drei unterschiedlichen Familienkonzerten am Musik-Kanal der ECHT JETZT?!-Reihe ein – u.a. einer liebevollen „Pu der Bär“-Adaption mit dem Flötenduo Henrike Wasser- meyer & Liam Mallett. Als einer der ersten Veranstalter in der Region Berlin- Das innovative Konzept des Musik-Kanals überzeugte Brandenburg startete der Nikolaisaal Potsdam nach auch die Organisatoren der in Potsdam stattfindenden drei Monaten Generalpause am 12. Juni 2020 seinen „EinheitsEXPO: 30 Jahre – 30 Tage – 30 x Deutschland“ Spielbetrieb. Dreieinhalb Wochen lang fand täglich ein und ist nun Teil einer begehbaren Stadtkulisse, die noch rund einstündiges Konzert im Foyer statt – live und mit bis zum 4. Oktober 2020 aus Anlass des 30. Jahres- Publikum vor Ort. Echt jetzt?, fragte sich so mancher tages der Deutschen Einheit in der Potsdamer Innen- bereits unter Konzert-Entzugserscheinungen Leiden- stadt zu erleben ist. Das Honorar für diese Aktion de angesichts dieser Offerte ungläubig. ECHT JETZT!, kommt 1:1 den beteiligten Künstler*innen zugute. Für lautete die einfache Antwort. seine Sonderprojekte ECHT JETZT?! und Musik-Kanal wurde der Nikolaisaal für den Tourismuspreis des Seit dem 6. Juli trägt das innovative Konzept Musik- Landes Brandenburg 2020 nominiert. Kanal die ECHT JETZT?!-Konzerte aus dem Foyer des Nikolaisaal weiter in den Stadtraum. Damit setzt es Astrid Weidauer auf ganz ungezwungene Weise das Anliegen fort, Dramaturgin des Nikolaisaal Potsdam 16
Best of Magazin #7 Ins Offene Im ersten Schritt entwickelte das Projektteam in enger Abstimmung mit allen Beteiligten eine maßgeschnei- derte Kommunikationslösung für jede der sechs KLANGRADAR-Schulen. In dieses Kommunikations- netz wurden auch die beiden Regisseurinnen einge- bunden, die das Konzept für die Abschlusspräsentation kreierten. Für die Umsetzung auf einer virtuellen Platt- form kamen ein Filmemacher und eine Agentur für E-Learning-Konzepte hinzu. Am 18. Juni 2020 öffnete die Online-Bühne der Hör.For- scher! ihren virtuellen Vorhang. Rund 400 Schüler*- innen, Lehrkräfte, Mediencoaches, Komponist*innen sowie Eltern, Freund*innen und Fachpublikum erlebten Hör.Forscher! diese besondere Premiere. Ein Trailer eröffnet das Programm und verdichtet mosaikartig die besondere Atmosphäre dieses vom Lockdown geprägten Durch- Aufbruch in gangs. Im Anschluss präsentiert ein virtuelles Filmfest alle entstandenen Werke in voller Länge. Vom Kinosaal digitale ist es nur ein Mausklick in das interaktive Klanglabor der Hör.Forscher! – zahlreiche Gadgets laden zum Ex- perimentieren mit Klängen und vor allem zum Hören Klangwelten ein. Durchklicken, ausprobieren, raten, mixen: Hier können die Besucher*innen selbst aktiv werden. Für Lehrkräfte gibt es Materialien und Tutorials für die Klänge erforschen, selbst entwickeln und experimen- eigene Lehrpraxis. telle zeitgenössische Musik komponieren – dazu regt das Programm KLANGRADAR unter der künstlerischen Ein laufendes Projekt so umzusteuern ist eine Heraus- Leitung von Burkhard Friedrich Schüler*innen und ihre forderung, die nur durch das Engagement und die Lehrkräfte an allgemeinbildenen Schulen an. Seit 2019 vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten ge- findet KLANGRADAR gemeinsam mit dem Projekt lingen konnte. Nicht zuletzt erfordert es die Bereit- Klang.Forscher! unter dem Dach des bundesweiten schaft der Fördergeberin, einen solch ergebnisoffenen Programms Hör.Forscher! in Kooperation mit der Stif- Prozess mitzutragen und zu unterstützen. Auf dieser tung Zuhören und der PwC-Stiftung statt. Grundlage konnte der Hör.Forscher!-Durchgang trotz Corona stattfinden. Den Digitalen Raum hat sich das Der Projektunterricht 2019/20 hatte gerade begonnen, Programm damit im Schnellverfahren erschlossen. als das schulische Leben coronabedingt zum Stillstand Nun gilt es, die gesammelten Erfahrungen weiter an- kam. Doch der kreative Geist der Projektgruppen war zureichern und zu fundieren. Denn eines ist klar: Hier nicht zu stoppen. Das analog konzipierte Experiment bietet sich ein neuer Spielraum, der die Hör.Forscher! wurde vom Klassenraum in ein kollaboratives digita- künftig mindestens flankierend begleiten wird. les Klanglabor verwandelt und in viele verschiedene Jugendzimmer verlagert. Die Hör.Forscher!-Plattform kann weiterhin besucht werden. Bei Interesse: kontakt@jungeohren.de Für das Projektleitungsteam begann ein Weg durch bisher nicht kartografiertes Gelände: Wie stellt man Anna Peters ist beim NJO für die organisatorische die digitale Kommunikation zwischen Komponist*in, Leitung von Klangradar zuständig. Lehrkraft und Lerngruppe sicher? Wie sind Aufgaben und Übungen zu designen, um die Schüler*innen konti- nuierlich für die Projektarbeit zu motivieren? Wie ent- Hör.Forscher! ist ein gemeinsames Programm des steht in der Vereinzelung ein Gefühl des Miteinanders? Netzwerk Junge Ohren und der Stiftung Zuhören in Welches Format hat eine Abschlussveranstaltung im Kooperation mit der PwC-Stiftung. hoer-forscher.de „Corona-Style“? 17
Best of Magazin #7 Kultur öffnet Welten
Um praxisorientierte Antworten auf diese Fragen zu finden, wurde das Programm Kultur öffnet Welten im Jahr 2015 durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien ins Leben gerufen und ist seit 2017 Teil des Kompetenzverbundes KIWiT. Als das Netzwerk Junge Ohren (NJO) im Gründungs- jahr die Koordinierungsstelle für Kultur öffnet Welten übernahm, war es erklärtes Ziel der Initiative, sparten- übergreifend Akteur*innen zu vernetzen und sichtbar zu machen, wie sie für eine vielfältige Kulturlandschaft in Deutschland eintreten. Auf mehr als 700 professio- nelle Teilnehmende ist Kultur öffnet Welten seither gewachsen. Sie bilden das größte Netzwerk für Diver- sität im Kulturbereich. Durch Beratung zu Förder- und Kooperationsmöglichkeiten und Hilfe bei der Projekt- Diver- entwicklung ermutigt, berät und unterstützt Kultur öffnet Welten Akteur*innen und Institutionen in ihrem Engagement. Dadurch konnten im gesamten Bundes- gebiet unterschiedlichste Initiativen und Projekte reali- siert werden. sität Kultur öffnet Welten hat auch das NJO verändert: Die Themen Kulturelle Teilhabe und Diversität sind in neu- en Projektzuschnitten aber auch intern zu wichtigen Leitmotiven geworden, die das Team in seinen Denk- Vom Konzept und Handlungsweisen prägen. Dazu gehört auch das selbstkritische Reflektieren über Ausschlüsse in der zur gelebten eigenen Institution, und zwar durchaus eigennützig: Schließlich wissen Forschende schon länger, dass Teams mit ausgeprägter Diversität nicht nur schnellere Realität und kreativere Lösungen finden, sondern auch erfolg- reicher sind! Stellen Sie sich ein Ensemble-Foto einer beliebigen Auch wenn die Förderung für das Programm Kultur öff- professionellen Ballettcompagnie, eines Orchesters net Welten Ende des Jahres 2020 ausläuft, werden wir oder Chores aus Deutschland vor, bei dem die Gesich- die in diesem Projekt gewonnenen Erfahrungswerte ter von Menschen nicht-deutscher Herkunft entfernt auch künftig in unsere Arbeit integrieren. Und wir sind worden sind. Und? Noch alle da? Sicher nicht. Schnell weiterhin für Sie da, wenn Sie Beratungsbedarf zu den würden hier Leerstellen sichtbar, denn längst sind bei Themen Kulturelle Teilhabe und Vielfalt haben. den sicht- und/oder hörbaren Ausführenden des Kul- turbetriebs unterschiedliche nationale Herkünfte aner- Bleiben Sie mit uns in Verbindung über kannte Realität. Falsch jedoch ist die Annahme, dass kontakt@jungeohren.de. dies schon die reale Vielfalt der deutschen Gesellschaft abbilden würde, die weit über nationale Zugehörigkeit kultur-oeffnet-welten.de hinausgeht. Und ganz sicher ist die Vielfalt auf der facebook.com/kulturoeffnetwelten Bühne eine andere, als die dahinter, beispielsweise instragram.com/kulturoeffnetwelten in der Theaterverwaltung. Ist das also wirklich schon twitter.com/kultur_welten alles, was der Kulturbetrieb in der Lage ist, an Inklusion und Diversität abzubilden? Wie können Inklusion und Diversität in den Bereichen Publikum, Personal, Pro- gramm und Partner*innen gelebte Realität werden? 19
Best of Magazin #7 Kultur öffnet Welten Webinar #02 Angeklickt Digitale Teilhabe?! – Vom Konzept zum Projekt Webinarreihe Das nächste Thema gestaltete sich in Resonanz auf das vorangegangene Webinar. Die wichtigen Aspekte Souveränität des Publikums und Barrierefreiheit sowie deren Einbindung in die digitalen Logiken stellten da- bei den Diskussionsfaden dar. Wichtige Anreize und Empfehlungen hierzu gaben der Direktor der Akademie für Theater und Digitalität Kay Voges und Christian Lölkes, Künstler und Hacker von Entropia e.V. CCC Karlsruhe. Webinar #03 Wem gehört Kunst und Kultur im Netz? Urheberrecht und Datenschutz Das Frühjahr 2020 brachte auch für die Akteur*innen Vom einfachen Klick bis zum Download kommt niemand des bundesweiten Netzwerks Kultur öffnet Welten an den Themen Urheberrecht und Datenschutz vorbei. viele Fragen und neue Themen mit sich. In seiner kos- Ganz gleich ob als Publikum oder als Akteur*innen tenfreien Webinarreihe lotet Kultur öffnet Welten seit erwarten uns im Netz nicht nur neue Potenziale son- April gemeinsam mit Expert*innen das Potenzial für dern auch neue Umgangsformen, Verpflichtungen und mehr Zugänglichkeit, Vielfältigkeit und Nachhaltigkeit Konsequenzen für alle Beteiligten. Die Rechtsanwältin sowohl im Netz als auch in analog angelegten Projek- und Fachanwältin für IT-Recht Prof. Dr. Mandy Risch- ten und Kultureinrichtungen aus. Die Teilnehmenden Kerst gab Einblicke in Grundlagen zum Datenschutz- bekommen die Gelegenheit, ihre Fragen zu wechseln- und Urheberrecht und beantwortete ausführlich die im den, möglichst breit angelegten Themenschwerpunk- Vorfeld eingereichten rechtlichen Fragestellungen. ten sowohl im Vorfeld, als auch während des Webinars an die Speaker*innen zu richten. Die Webinare finden simultan auf Zoom und Facebook statt und stehen Webinar #04 online zum Nachschauen auf dem YouTube-Kanal des Anders ist normal! Kultur- Netzwerk Junge Ohren zur Verfügung. betrieb inklusiv gestalten Webinar #01 Um Institutionen vor, auf und hinter der Bühne für eine diverse Gesellschaft zu öffnen, braucht es ein neues Kulturprojekte digitalisieren! Verständnis von Inklusion. Die Erkenntnis, dass Barriere- Aber wie? freiheit mehr bedeutet als das Einrichten von Fahr- stühlen oder Leichter Sprache ist längst da. Aber wie Die Premiere der Webinarreihe behandelte die großen können Institutionen daraus inklusive Strategien ent- Fragen der Stunde: Wie kann ich mein Projekt digitali- wickeln und Teilhabe aktiv gestalten? Die Schauspiele- sieren? Auf welche Ressourcen kann ich zurückgreifen rin Jana Zöll vom mixed-abled Ensemble Un-Label gab und wie fange ich an? Der BTHVN2020 Musikfrachter gemeinsam mit Melanie Zimmermann, Referentin für war im März als Tourprojekt coronabedingt gestoppt das europaweite Inklusionsprogramm „Europe Beyond worden und hatte sein Programm in den Digitalen Raum Access“ auf Kampnagel Einblicke in persönliche wie in- verlegt. Crewmitglied Benthe Betz und Projektmanager stitutionelle Perspektiven und lieferte Anregungen zu Sebastian Steube gaben Einblicke in die Umsetzung. Inklusion für Kulturinstitutionen. 20
richtig, aus vielen Perspektiven auf die Konzeption und Durchführung von kulturellen Teilhabeangeboten zu blicken. Gerade daraus ergibt sich häufig der innova- tive Zuschnitt freier Projekte, jedoch sind sie allzu oft temporär und dadurch nicht nachhaltig. Für die Bezie- Freie hung zu unseren Teilnehmenden, die sich auf diese An- gebote einlassen und damit identifizieren, ergibt sich dadurch ein ständiges „On/Off“, das nicht zur Stabili- sierung beiträgt. Szene Wenn die Teilhabe einer vielfältigen Öffentlichkeit an Kunst und Kultur – an Gesellschaft! – wirklich erwünscht ist, muss das Prinzip der Kulturfinanzierung mit Blick auf die bestehenden Angebote für neue Zielgruppen Wann werden überdacht und neu strukturiert werden. Denn: Es ist ja schön, wenn jetzt auch ein Konzerthaus mal etwas mit Hip Hop macht oder die Education-Abteilung eines Teilhabe & Öffnung Orchesters eine*n Rapper*in einlädt. Aber vielleicht ist es an der Zeit zu erkennen, dass auch andere Bereiche des kulturellen Lebens auf die Agenda der öffent- „Mainstream“? lichen Förderung gehören? Nur strukturelle Sicherheit > Mit Blick auf eine vielfältige und sich wandelnde Gesellschaft werden „Teilhabe & Öffnung“ zur vielbe- schworenen Formel vieler Kulturinstitutionen, die ihren Platz sichern und erhalten möchten. Kunst und Kultur kommt eine tragende Rolle in der Auseinandersetzung mit Vielheit zu, die Ressource und Herausforderung zugleich ist. Der „Mainstream“ der großen und öffent- Ata lich geförderten Institutionen darf nicht darüber hin- wegtäuschen, dass der Kulturbereich in weiten Teilen Anat eben von freien Kulturträgern und Institutionen gestal- tet wird. „Rap for Refugees“ ist ein Verein, der jungen Menschen mit Fluchthintergrund oder aus prekären Geboren in Istanbul und aufgewachsen in Düssel- Verhältnissen die Möglichkeit bietet, mit den Mitteln dorf verschrieb sich Ata Anat dem Dasein als von Hip Hop ihre Erfahrungen und Geschichten künst- Fußballtrainer und engagierte sich für ehrenamtliche lerisch zum Ausdruck zu bringen und sich sozial zu interkulturelle Projekte. Vor knapp zehn Jahren nahm stabilisieren. er sich vor, die interkulturelle Musikszene um sein Privatfeld zu beleben und Künstler*innen aus dem Wie bei fast allen freien Kulturinstitutionen sind in In- und Ausland Konzerte zu ermöglichen. Nach unserer Arbeit inhaltlich-kuratorische Zielsetzungen einer Privatinsolvenz aufgrund einer Krebserkran- meist untrennbar mit der Frage nach dem „Wie?“ ver- kung mit 27 Jahren und darauffolgenden Jobs, zahl- bunden: Mit welchen Mitteln werden Veranstaltungen, reichen Städten, abgebrochenen Ausbildungen Projekte und Programme möglich, die vielen Men- und Studiengängen, landete er vor vier Jahren in schen kulturelle Teilhabe ermöglichen? Wir stehen in Hamburg. Seither baut er den Verein „Rap for ständiger Abwägung unserer ideellen Vorstellungen, Refugees“ auf und arbeitet als Projektmanager der Antizipation von Wünschen unserer Teilnehmen- im Mentorenprojekt „Yoldaş“ der BürgerStiftung den und den Erwartungen, die Sponsoren an unsere Hamburg sowie als Jugendfußballtrainer. Arbeit richten. Wir erarbeiten Kompromisse mit dem Ziel, möglichst viel Gestaltungsspielraum für uns und rapforrefugees.org unsere Teilnehmenden zu gewinnen. Es ist sinnvoll und 21
Best of Magazin #7 Kultur öffnet Welten wird dazu führen, dass die Vielfalt unseres kulturellen begeistern und so den Zauber von Hip Hop in Reinform Lebens wirklich sichtbar wird. Denn so lange sich wieder entdecken. Und genau darum muss es in einer Teilhabeprozesse für bestimmte Gruppierungen nur demokratischen Kulturförderung gehen: Auch das un- temporär oder in Nischen abspielen, ändert sich nicht terstützen, was nicht nur die Massen erreicht. wirklich etwas. Es ist sozusagen der „Mainstream“, der diverser werden muss. Wir sind gerade alle in besonderem Maße gefordert. Ja, wir haben bei „Rap for Refugees“ zum Teil erhebliche Der Hip Hop selbst steht für diese Problematik. In die- finanzielle Ausfälle durch die Pandemie und wir wissen ser Musik gibt es viele starke, auch politische Stimmen, nicht genau, was uns in den kommenden Monaten und die jedoch in der Szene gar nicht so breit wahrge- Jahren erwartet. Und es bedrückt mich zu wissen, dass nommen werden. Künstler*innen, die sich vom „Major unsere teilnehmenden Kids, die es in ihrem Leben nicht Deal“ abwenden, haben es meist schwer – werden gerade leicht haben, in den vergangenen drei Monaten teilweise sogar systematisch unterdrückt. Um diese die Workshopangebote nicht zur Ablenkung nutzen Stimmen hörbar zu machen, bedarf es einer Künstler* konnten. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir als Verein innenförderung jenseits des Mainstreams, die nicht nur Wege finden, um „Rap for Refugees“ durch die Krise Verkaufszahlen oder Reichweiten im Blick hat. Vielleicht zu bringen. Aber wir haben das Glück in einem Land zu ist die Corona-Pandemie in dieser Hinsicht sogar ganz leben, in dem wir überleben können. Dafür bin ich dank- heilsam: Wenn die großen Mega-Events mit tausenden bar. Dankbar auch dafür, dass niemand aus unserem von Menschen nicht mehr stattfinden können, kommen Umfeld krank geworden ist. Seit Juni können endlich wir vielleicht zurück auf das Elementare. Wir können unsere Workshops wieder stattfinden und das ist ein uns auch im kleinen Club für exzellenten Sprechgesang erster Schritt nach vorne. 22
Snabel fand im Rahmen der Opernfestspiele Heidenheim an Teilhabe und vier Orten in der Region statt. Mit einem Leiterwagen zogen ein Sänger, zwei Musiker und Jugendliche durch die Straßen und erzählten vom Anderssein, von Macht regionale und Auflehnung und von dem Spiegel, den Georg Elser uns vorhält. Diese Produktion blieb die einzige Premiere Identität durch der Opernfestspiele Heidenheim in dieser Festspiel- Saison, von der die Presse begeistert als eine „fulmi- nante Elser-Hommage in Opernform“ schrieb. Eine Sprache Wiederaufnahme in der nächsten Saison ist durch die Festspiele fix eingeplant. Kulturelle Teilhabe im ländlichen Raum und die vielfäl- Die Burgfestspiele Mayen wurden in dieser Saison tige Landschaft deutscher Dialekte zusammenzuden- komplett abgesagt, so konnte auch die Premiere von ken ist das erklärte Ziel von Snabel. Nach der durch das „Zuckertoni“ nicht realisiert werden. In einer Vorab- NJO begleiteten Entwicklungsphase im Frühjahr 2020 Präsentation werden aber die Akteur*innen – die gingen die Projektpartner*innen in Pellworm, Mayen, Bürgerinnen und Bürger der Region – die Ergebnisse Heidenheim und Freising in die Produktion – und wur- ihrer Arbeit mit der Zuckertoni-Puppe noch im Herbst den von den Pandemie-Auswirkungen gleich wieder präsentieren. gestoppt. Denn das Singen in Schulen, das gemein- same Proben und die Aufführung von Produktionen Die beiden Schulprojekte „Pop op Platt“ auf Pellworm, schienen unmöglich. Ein Vernetzungstreffen aller bei dem Schüler*innen Texte von Pop-Songs ins Platt- Akteur*innen musste in den Digitalen Raum verlegt deutsche übertragen werden, und „Hans im Glück“ in und die ursprünglich geplanten Festival-Auftritte bei Freising liegen derzeit wegen der besonderen Bedin- den Burgfestspielen Mayen und den Opernfestspielen gungen an Schulen noch auf Eis. Aber Varianten sind Heidenheim zunächst abgesagt werden. Nach der ersten bereits vorbereitet, wenn es nicht zu den erhofften „Schockstarre“ und mit einer Verlängerung der Projekt- Live-Präsentationen kommen kann. laufzeit eröffneten sich doch noch Möglichkeiten. Snabel wird gefördert vom Bundesministerium für Die corona-konforme Pop-Up-Oper „Nau bens halt I“, in Ernährung und Landwirtschaft in seinem Programm deren Zentrum der Hitler-Attentäter Georg Elser steht, LandKULTUR. 23
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