INSEKTENATLAS Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft 2020 - Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen

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INSEKTENATLAS Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft 2020 - Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen
INSEKTENATLAS
Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge   2020
in der Landwirtschaft
INSEKTENATLAS Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft 2020 - Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen
IMPRESSUM
Der Insektenatlas 2020 ist ein Kooperationsprojekt von
Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
und Le Monde Diplomatique.

Inhaltliche Leitung:
Christine Chemnitz, Heinrich-Böll-Stiftung (Projektleitung)
Christian Rehmer, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.
Katrin Wenz, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.

Projektmanagement, Grafikrecherche: Dietmar Bartz
Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar

Insekten-Illustrationen: Lena Ziyal (Infotext GbR)
Bildbearbeitung: Roland Koletzki

Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger
Dokumentation und Schlussredaktion: Andreas Kaizik, Sandra Thiele (Infotext GbR)

Mit Originalbeiträgen von Silvia Bender, Christine Chemnitz, Alexandra-Maria Klein,
Christian Rehmer, Hanni Rützler, Maureen Santos, Christoph Scherber,
Mute Schimpf, Peter Schweiger, Anke Sparmann, Valerie Stull, Teja Tscharntke,
Henrike von der Decken, Daniela Wannemacher, Katrin Wenz, Heiko Werning

Wir danken Roel van Klink für seine hilfreichen Auskünfte.

Cover-Copyright: Collage © Ellen Stockmar unter Verwendung eines Fotos von GordZam/istockphoto.com

Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht aller beteiligten Partnerorganisationen wieder. Die Flächenfarben der
Landkarten zeigen die Erhebungsgebiete der Statistik an und treffen keine Aussage über eine politische Zugehörigkeit.

V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung

1. Auflage, Januar 2020

ISBN 978-3-86928-215-2

Produktionsplanung: Elke Paul, Heinrich-Böll-Stiftung

Druck: Druckhaus Kaufmann, Lahr
Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier.

Dieses Werk mit Ausnahme des Coverfotos steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung –
4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar.
Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen.
Sie können die einzelnen Infografiken dieses Atlas für eigene Zwecke nutzen, wenn der Urhebernachweis
Bartz/Stockmar, CC BY 4.0 in der Nähe der Grafik steht (bei Bearbeitungen: Bartz/Stockmar (M), CC BY 4.0.

BESTELL- UND DOWNLOAD-ADRESSEN
Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin, www.boell.de/insektenatlas
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin, www.bund.net/insektenatlas
INSEKTENATLAS Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft 2020 - Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen
INSEKTENATLAS
 Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft

                              2020
INSEKTENATLAS Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft 2020 - Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen
INHALT

    02 IMPRESSUM                                            18 PESTIZIDE
                                                               ZWISCHEN KAHLSCHLAG
    06 VORWORT                                                 UND LETZTER HILFE
                                                               Gegen viele Lebewesen, die die Ernten mindern
                                                               könnten, werden Agrarchemikalien eingesetzt.
                                                               Ihre Wirkung wird immer genauer. Trotzdem
                                                               kommt immer mehr davon auf die Felder.

                                                            20 FLEISCH
                                                               VON TIERFUTTER UND VIEHWEIDEN
    08 ZWÖLF KURZE LEKTIONEN                                   Der weltweite Hunger auf Fleisch setzt
       ÜBER INSEKTEN, LANDWIRTSCHAFT                           eine Kettenreaktion von Rodungen, Mono-
       UND DIE WELT                                            kulturen und Chemieeinsatz in Gang. Wo die
                                                               Insekten besonders artenreich sind, geht
    10 GRUNDLAGEN                                              die Naturzerstörung besonders schnell voran.
       SECHS BEINE SOLLT IHR SEIN
         Es gibt sie zu Lande, zu Wasser und in der         22 KLIMAWANDEL
         Luft, sie fressen und dienen selbst als Nahrung,      ZEIT FÜR NEUE PLAGEN
         sie bestäuben Pflanzen, lockern Böden                  Die globale Erwärmung schadet vielen
         und beseitigen Laub – Insekten sind aus               Insektenarten. Wenigen hilft sie, doch
         Ökosystemen nicht wegzudenken.                        von denen werden manche auf die Felder
                                                               gelockt. Durch höhere Fraßschäden
    12 LANDWIRTSCHAFT                                          erwarten Fachleute erhebliche Ernteverluste.
       MIT VIELFALT ZUR ERNTE
         Durch ihre Bestäubungsleistung und die             24 NÜTZ- UND SCHÄDLINGE
         Verbesserung der Böden sind Insekten für die          FRESSEN UND GEFRESSEN WERDEN
         Landwirtschaft unabdingbar, aber durch                Um den Schaden gering zu halten, den
         sie auch stark gefährdet. Mehr Schutz der             Insekten an Kulturpflanzen anrichten, sind deren
         Artenvielfalt in Agrarlandschaften ist nötig.         natürliche Feinde gefragt – meist andere Insekten.
                                                               Diese biologische Schädlingsbekämpfung
    14 INSEKTENSTERBEN GLOBAL                                  gelingt umso besser, je größer die Vielfalt ist.
       EINE KRISE OHNE ZAHL
         Der Rückgang von Insektenpopulationen              26 DÜNGUNG
         und -arten ist vielfach belegt. Die Wissenschaft      KUHFLADEN UND PFERDEÄPFEL
         ist sich auch über den negativen Einfluss              Käfer und Fliegen auf den Dunghaufen der
         der Landwirtschaft einig. Unklar ist, welche          Weidetiere zeigen an, wie intakt oder
         Aussagen sich verallgemeinern lassen.                 geschädigt ein Agrarsystem ist. Oft leidet die
                                                               Artenvielfalt unter dem Einsatz von zu viel
    16 INSEKTENSTERBEN IN DEUTSCHLAND                          Kunst- und tierischem Dünger.
       ABWÄRTS IM TREND
         Ob Langzeituntersuchungen, einzelne                28 NAHRUNGSMITTEL
         Studien oder Rote Listen – das Ergebnis ist           FÜR VIELE EIN ALLTAGSGERICHT,
         immer dasselbe: Insgesamt sind Anzahl und             FÜR MANCHE EIN HYPE
         Artenzahl der Insekten rückläufig. Daran               Mit dem Verzehr von Insekten wird weltweit
         ändern auch die Forschungsdefizite nichts.             manches Nahrungsproblem gelöst. Umstritten

4   INSEKTENATLAS 2020
ist, wie nützlich oder gefährlich eine           40 BIOLANDBAU
   industrielle Massenproduktion wäre.                 MEHR BESUCH AN DEN BLÜTEN,
                                                       WENIGER ÖDNIS AUF DEM FELD
30 TIERFUTTER                                         Der ökologische Landbau setzt auf den Erhalt
   RECHNUNG MIT UNBEKANNTEN                           der Bodenfruchtbarkeit und die biologische
   Wirtschaftlich ist Tierfutter aus                  Vielfalt. Für eine insektenfreundliche Zukunft
   Insekten bisher ein Nischenprodukt. Wenn           muss sich aber die gesamte Agrarlandschaft
   damit auch Hühner und Schweine                     ändern.
   gemästet werden dürfen, wird der Markt
   boomen. Unklar ist, ob dies                      42 GENTECHNIK
   auch ökologisch verträglich geht.                   AUS DEN LABOREN AUF DIE ÄCKER
                                                      Wer resistent ist, bringt mehr Ertrag: Nach
32 IMKEREI                                            diesem Prinzip erhalten Nutzpflanzen
   EIN LEBEN FÜR POLLEN UND HONIG                     neue Eigenschaften gegen Herbizide und
   Bienen erzeugen Honig, Wachs und                   Schadinsekten. Doch die Insekten bilden
   Gelée Royale, sorgen für die Bestäubung von        ihrerseits neue Resistenzen. Jetzt geraten sie
   Nutzpflanzen und für Einkommen aus                  selbst ins Blickfeld der Gentechnik.
   der Imkerei. Aber viele Arten sind gefährdet –
   sofern man überhaupt etwas über sie weiß.        44 WELT OHNE INSEKTEN
                                                       WENN DIE TECHNIK HELFEN SOLL
34 GENDER                                             Verschwände die Vielfalt der Insekten,
   MIT „MINI-VIEH“ GEGEN DIE ARMUT                    ginge uns Existenzielles verloren. Die Natur
   In armen Ländern bietet das Sammeln,               und unsere Ernährung würden sich
   Verarbeiten und Verkaufen nahrhafter               ändern, doch Bestäubungsroboter könnten
   Insekten den Frauen ein Zusatzeinkommen.           diesen Verlust nicht kompensieren.
   Doch wenn zu viele der Tiere gesammelt
   werden, ist das nicht nachhaltig.                46 KULTURGESCHICHTE
                                                       URALTE SCHICKSALSGEMEINSCHAFT
36 POLITIK                                            Das Verhältnis von Mensch zu Insekt
   VOLLMUNDIGE VERSPRECHEN                            war lange getrübt. Die Geschichte
   UND UNZULÄNGLICHE TATEN                            der Landwirtschaft ist eine der Schädlings-
   Das dramatische Insektensterben und                bekämpfung. Für einen Wandel sorgte
   seine möglichen Auswirkungen auf Mensch            erst das neuzeitliche Wissen um Bestäubung.
   und Natur sind wissenschaftlich belegt.
   Doch die Politik reagiert nur zögerlich und
   scheut zu häufig den Konflikt mit der
   Agrarindustrie.

38 ÖKONOMIE
   MIT ODER OHNE PREISSCHILD
   Ob sich der Wert der Natur in Geld               48 AUTORINNEN UND AUTOREN,
   ausdrücken lässt, ist umstritten. Versucht          QUELLEN VON DATEN, KARTEN
   wird es, um Regierungen von der                     UND GRAFIKEN
   Notwendigkeit des Handelns zu überzeugen.
   Doch sehr erfolgreich ist das nicht.             50 ÜBER UNS

                                                                                                 INSEKTENATLAS 2020   5
VORWORT

    W
              ürden wir sie zählen, so kämen auf
              jeden Menschen dieser Erde rund
              1,4 Milliarden Insekten aus geschätz-
                                                      „      Ein sehr großer Teil
                                                             der Pflanzenwelt
                                                      ist auf die fleißige Bestäubung
    ten 5,5 Millionen unterschiedlichen Arten.        der Insekten angewiesen.
    Es gibt eine schier unvorstellbare Menge und
    Vielfalt an sechsbeinigen Tieren, mit denen
    wir uns die Welt teilen. Manche Exemplare         Umso deutlicher hat die Öffentlichkeit auf
    sind für Menschen wunderschön, andere fast        die alarmierenden wissenschaftlichen
    gruselig mit ihren großen Beißwerkzeugen.         Erkenntnisse zum Insektensterben aus dem
    Insekten fliegen, krabbeln, buddeln, beißen.       Jahr 2017 reagiert. Weil ihnen die Politik
    Sie sind Künstler des Versteckens, und sie sind   nicht schnell genug handelt, schließen
    in fast jedem Ökosystem dieser Welt zu Hause.     sich vielerorts Bürgerinnen und Bürger,
                                                      Umweltverbände, Landwirtinnen
    Trotzdem sind sie massiv bedroht. Es mag          und Landwirte sowie Parteien zusammen
    an dieser unerschöpflich scheinenden Masse         und starten Initiativen zum Schutz
    liegen, dass das Ausmaß der Gefahr viel           der Insekten, so in Brandenburg und
    zu lange kaum Beachtung fand. Oder daran,         Baden-Württemberg. In Bayern haben
    dass eine langfristige Forschung darüber,         1,75 Millionen Menschen das Referendum
    wie sich ihre Bestände entwickeln, kaum vor-      für mehr Naturschutz unterstützt. Auch
    handen ist. Gerade auf der südlichen Welt-        eine Europäische Bürgerinitiative mit
    halbkugel sind Langzeitstudien Mangelware.        der Forderung „Save Bees and Farmers“ im
    Vielleicht liegt es aber auch daran, dass         Namen wurde auf den Weg gebracht.
    viele Menschen – zumindest in westlichen

                                                      D
    Industrieländern – mit Insekten wenig                    ie industrielle Landwirtschaft mit
    Positives verbinden. Übertragen sie nicht                ihren immer größeren Feldern,
    Krankheiten und zerstören Ernten? Schon                  Pestiziden und monotonen Land-
    die Bibel beschreibt Insekten als Plagen und      schaftsstrukturen stellt eine der größten
    nicht als diejenigen, die die ökologischen        Bedrohungen für Insekten dar. Deshalb führt
    Systeme dieses Planeten am Laufen halten.         kein Weg daran vorbei – beim Schutz
                                                      der Insekten muss die Landwirtschaft Teil

    D
          abei ist ein sehr großer Teil der Pflan-     der Lösung werden. Nicht nur, weil die
          zenwelt auf die fleißige Bestäubung          Gesellschaft es so will, auch um der Landwirt-
          der Insekten angewiesen. Bienen             schaft selbst willen. Denn sie braucht
    besuchen etwa zehn Millionen Pflanzen,             die Insekten. Dennoch reihten sich Ende
    um Nektar für etwa ein halbes Kilo Honig zu       November 2019 in Berlin Trecker an Trecker,
    sammeln. So tragen sie die Pollen von Blüte       als tausende Bäuerinnen und Bauern
    zu Blüte. Außerdem räumen Insekten unsere         ihrem Unmut über strengere Gesetze zum
    Welt auf. Sie zersetzen Dung und abgestor-        Schutz der Umwelt Luft verschafften.
    bene Pflanzen oder Tiere. Auf diese Weise          Der Ärger ist Resultat einer über Jahrzehnte
    verbessern sie die Qualität unserer Böden.        verfehlten Agrarpolitik.

6   INSEKTENATLAS 2020
Schon beim Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro
hat sich Deutschland dem Schutz der
Biodiversität verpflichtet. Seitdem hätte
                                                 „      Beim Schutz der Insekten
                                                        muss die Landwirtschaft
                                                 Teil der Lösung werden, denn sie
die Politik in die richtige Richtung weisen      braucht die Insekten.
können. Aber es ist nichts passiert. Dabei
hätten die Bäuerinnen und Bauern eine
gute Politik verdient: eine, die die richtigen   können – sehr zum Leidwesen der hiesigen
Anreize für die Zukunft setzt. Eine              Bäuerinnen und Bauern sowie der Insekten.
insektenfreundliche Landwirtschaft muss
gefördert werden. Unterstützen heißt in          Daher muss die Politik auch international
diesem Fall, sie konkret finanziell zu fördern.   tätig werden. Während der 15. Weltnatur-
                                                 schutzkonferenz 2020 in China wird

I
   nsektenschutz zahlen wir nicht an der         Deutschland den Vorsitz im Rat der
   Ladenkasse. Die Bäuerinnen und Bauern         Europäischen Union innehaben. Die Bundes-
   bekommen ihn nicht entlohnt. Genau            republik könnte also eine wichtige Rolle
das muss aber passieren – am besten, indem       spielen und den Schutz der Insekten ganz
die EU die fast 60 Milliarden Euro jährlich,     oben auf die Agenda setzen.
mit denen sie die europäische Landwirt-

                                                 M
schaft unterstützt, zielgerichtet für eine               it den Daten und Fakten in diesem
insekten- und klimafreundliche Landwirt-                 Atlas möchten wir zur lebendigen
schaft einsetzt. Nur wenn dieses Geld für                Debatte rund um Landwirtschaft und
Vorhaben ausgegeben wird, die uns als            Insekten beitragen. Zugleich wollen wir
Gesellschaft wichtig sind, können wir solche     darstellen, wie vielfältig, bunt und schützens-
Summen langfristig gesellschaftlich recht-       wert die Welt der Insekten ist. Unser
fertigen.                                        Anliegen ist zu zeigen, dass Landwirtschaft
                                                 und Insektenschutz eine ambitionierte
Ein Blick auf die Felder vor unserer Haustür     Politik brauchen – nicht nur in Deutschland
reicht dabei nicht. Die importierten             und Europa, sondern weltweit. Die
Futtermittel für die vielen Millionen Nutz-      Herausforderungen sind groß, und damit
tiere, die den weltweiten Hunger                 sie bewältigt werden können, müssen
auf billiges Fleisch befriedigen, wachsen        wir nach gemeinsamen Lösungen suchen.
vor allem in Südamerika. Dort, in den
artenreichsten Regionen der Welt, werden
Millionen Hektar Wald gerodet gerodet            Barbara Unmüßig
und für die Soja- und Fleischproduktion          Heinrich-Böll-Stiftung
nutzbar gemacht. Nun verhandelt die
                                                 Olaf Bandt
EU ein Freihandelsabkommen mit den
                                                 Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
„Mercosur“-Staaten Lateinamerikas, damit
noch mehr günstige Agrarprodukte ohne            Barbara Bauer
Handelsbeschränkungen zu uns kommen              Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe

                                                                                               INSEKTENATLAS 2020   7
12 KURZE LEKTIONEN

           ÜBER INSEKTEN, LANDWIRTSCHAFT
           UND DIE WELT
                         1   Gut 90 Prozent aller Tierarten weltweit sind Insekten.
                             Sie sind die ARTENREICHSTE GRUPPE aller Lebewesen und
                             in allen Ökosystemen dieser Welt zu Hause.

                                      2   Insekten bestäuben drei Viertel der wichtigsten
                                          Kulturpflanzen und STEIGERN ihren Ertrag,
                                          BEDROHEN aber auch die Ernten und Vorräte.

                         3   Landwirtschaft und Ernährung sind untrennbar mit dem Vorkommen von
                             Insekten verbunden. Sie verbessern die BODENQUALITÄT, bauen abgestorbene
                             Pflanzen und Tiere ab und BESTÄUBEN die Nutzpflanzen weltweit.

                             4 Intensive Landwirtschaft, MONOTONE FELDER und Pestizide
                               bedrohen Insekten – sowohl ihre Vielfalt als auch
                               ihre Menge nehmen besonders in Agrarlandschaften ab.

                                                       5   Landwirtschaft und Insektenschutz sind
                                                           nicht leicht zu verbinden. Aber ES LOHNT SICH.
                                                           Die weltweite Bestäubung hat einen Wert
                                                           von Hunderten Milliarden US-Dollar.

                                      6   Der ÖKOLOGISCHE LANDBAU ohne Pestizide
                                          und synthetischen Dünger, aber mit
                                          mehr Fruchtfolgen bietet Insekten bessere
                                          Lebensbedingungen.

8   INSEKTENATLAS 2020
INSEKTENATLAS 2020 / STOCKMAR, ZIYAL
    7 Insekten werden in über 130 Ländern
      gegessen. Ihre VIELEN NÄHRSTOFFE
      wirken gegen Mangelernährung.

                       8   Weltweit dienen Insekten als EINKOMMENSQUELLE
                           FÜR ARME BÄUERINNEN. Wenn sie kein Land besitzen,
                           sammeln sie die Insekten in den Wäldern. Werden
                           die Märkte lukrativer, übernehmen Männer die
                           Vermarktung.

    9   WENIGER FLEISCHKONSUM schützt Insekten. Das Sojafutter
        für die intensive Tierhaltung stammt aus südamerikanischen Staaten,
        die dafür artenreiche Landschaften in Monokulturen verwandeln.

10 Als Tierfutter sind Insekten bisher ein Nischenprodukt. Wenn
   HÜHNER und SCHWEINE damit gemästet werden dürfen, wird
   geklärt werden müssen, ob dies auch ökologisch verträglich geht.

                       11 Der KLIMAWANDEL schädigt die Lebensräume von Insekten
                          besonders dort, wo es heute warm ist. In gemäßigten
                          Klimazonen wird sich das Verhältnis von Nützlingen und
                          Schädlingen ändern und die Ernten bedrohen.

                12 Die weltweite Staatengemeinschaft
                   hat sich seit Jahrzehnten zum
                   Insektenschutz verpflichtet.
                   Doch gehandelt wird kaum, und
                   alle INTERNATIONALEN ZIELE
                   wurden bislang verfehlt.

                                                                               INSEKTENATLAS 2020                                   9
GRUNDLAGEN

     SECHS BEINE SOLLT IHR SEIN
     Es gibt sie zu Lande, zu Wasser und in der                                                                     tig für einen stabilen und biegsamen Körper sorgt. Insekten
     Luft, sie fressen und dienen selbst als                                                                        haben keine Lunge, sondern atmen über ein Röhrensystem
     Nahrung, sie bestäuben Pflanzen, lockern                                                                        (Tracheen), das sich durch den ganzen Körper zieht.
                                                                                                                        Mit haarähnlichen Sinnesorganen, die über den Körper
     Böden und beseitigen Laub – Insekten
                                                                                                                    verteilt sind, können Insekten Gerüche, Schwingungen, Tem-
     sind aus Ökosystemen nicht wegzudenken.                                                                        peraturen und Feuchtigkeit wahrnehmen. Mit ihren Fühlern
                                                                                                                    riechen, schmecken und tasten sie. Sie besitzen ein einfaches

     D
            ie Welt der Insekten ist erstaunlich und vielfältig.                                                    Nervensystem, und ihre inneren Organe sind von Blut um-
            Keine andere Tiergruppe hat eine solch enorme Ar-                                                       spült. Die Mundwerkzeuge sind je nach Art und Nahrung
            tenvielfalt entwickelt. Sie begegnet uns in den unter-                                                  sehr vielfältig. Wanzen oder Käfer haben scharfe Instrumen-
     schiedlichsten Formen und Größen. Die auch als „Kerbtiere“                                                     te, um andere Tiere oder Schalen von Pflanzen zu stechen
     bezeichneten Lebewesen schillern in vielen verschiedenen                                                       und sie so auszusaugen. Schmetterlinge hingegen verfügen
     Farben und sind mikroskopisch klein bis handflächengroß.                                                        über lange, ausrollbare Rüssel, um damit flüssige Nahrung
     Immer haben sie drei Beinpaare. Daher auch ihr wissen-                                                         aus Früchten oder Wasser aus Pfützen aufzunehmen.
     schaftlicher Name: Sechsfüßer oder Hexapoden.                                                                      Weltweit hat die Wissenschaft etwa 1,8 Millionen Ar-
         Oft werden Insekten mit anderen krabbelnden Tieren                                                         ten von Tieren, Pflanzen und Pilzen beschrieben – über die
     verwechselt – zum Beispiel mit Milben, Zecken oder Asseln.                                                     Hälfte davon sind Insekten. Sie stellen gut 70 Prozent der
     Das gilt auch für die Hundert- oder Tausendfüßer, bei denen                                                    Tierarten weltweit und sind damit die artenreichste Grup-
     bereits der Name darauf hinweist, dass es sich nicht um In-                                                    pe aller Lebewesen. Die meisten Insekten sind noch nicht
     sekten handelt. Auch Spinnen werden oft dazu gezählt,                                                          entdeckt. Schätzungen gehen davon aus, dass es neben der
     doch sie haben eben acht Beine. Mit ihren zehn Füßen gehö-                                                     Million bisher entdeckten bis zu 4,5 Millionen weitere Arten
     ren auch die Krebse nicht zu den Hexapoden.                                                                    gibt – angeführt von allein 1,5 Millionen Käfern. In Deutsch-
         Insekten haben noch mehr gemeinsame Merkmale. Ihr                                                          land gibt es mehr als 33.300 Insektenarten. Drei Viertel aller
     Körper besteht aus drei Abschnitten: einem Kopf (Caput)                                                        hiesigen Tierarten zählen zu ihnen – beispielsweise Bienen,
     mit den Mundwerkzeugen und tausenden Einzelaugen (Fa-                                                          Käfer, Schmetterlinge, Libellen, Heuschrecken, Ameisen
     cettenaugen), einer Brust (Thorax) mit den drei Beinpaaren                                                     und Fliegen.
     und – im Falle von Fluginsekten – auch Flügeln sowie einem                                                         Lebensweise und Ansprüche einzelner Arten an Lebens-
     Hinterleib (Abdomen) mit den Fortpflanzungs- und Ver-                                                           räume, Klima oder Nahrung sind vielfältig. Neben den so-
     dauungsorganen. Insekten besitzen kein Skelett. Ihr Körper                                                     genannten Generalisten, die bei ihrer Ernährung flexibel
     wird von einer dünnen, hornigen Chitin-Schicht umschlos-                                                       sind, gibt es bei den Insekten auch Spezialisten, die auf eine
     sen, die die kleinen Tiere gegen Nässe schützt und gleichzei-                                                  ganz bestimmte Pflanzen- oder Tierart oder einen bestimm-
                                                                                                                    ten Lebensraum angewiesen sind. Die Glänzende Nattern-
                                                                                                                    kopf-Mauerbiene (Osmia adunca) sammelt beispielsweise
                                                                                                                    ausschließlich Pollen an Pflanzen der Gattung Natternkopf
        SCHNELLER TOD
                                                                                                                    (Echium). Andere Arten sind eng an bestimmte Baumarten
        Entwicklungsstadien und übliche Verluste der Population
        des Karierten Schwalbenschwanzes (Papilio demoleus)                                                         angepasst oder auf Totholz angewiesen. Insekten sind von
        Tiere
                                                                                                                    der Meeresküste bis ins Hochgebirge zu finden. Einzig im
        3.500                                                                                                       offenen Meer sucht man sie vergeblich.
                3.261
                                                                                                                        Insekten durchlaufen verschiedene Entwicklungsstu-
        3.000                                                                                                       fen, die zum Teil völlig unterschiedliche Ansprüche an ihre
                                                                                                                    Lebensräume haben – sowohl, was deren Struktur, Ausstat-
        2.500
                                                                                                                    tung und Vernetzung betrifft als auch deren Nahrungsquel-
                                                                                                                    len. Zur Fortpflanzung legen die meisten von ihnen Eier ab,
        2.000
                                                                                                                    die sich über mehrere Larvenstadien mit oder ohne Verpup-
                                                 Der südostasiatische                                               pung weiterentwickeln. Ohne Puppe entstehen Libellen,
                                                 Schmetterling ist ein Schädling
                                                                                                                    Heuschrecken oder Wanzen, mit ihr entwickeln sich Hum-
        1.500                                    in tropischen Zitrusplantagen.
                                                 Die Todesrate bis zu den adulten                                   meln, Schmetterlinge oder Käfer.
                                                 Tieren wurde an 210 Mandarinen-
                                                                                                                        Insekten spielen in den Ökosystemen verschiedene Rol-
        1.000                                    büschen in Malaysia untersucht.
                                                                                     INSEKTENATLAS 2020 / SUWARNO

                                                                                                                    len. Das gilt auch für die vom Menschen geprägte Kultur-
                                                                                                                    landschaft: Viele Arten erbringen wichtige Leistungen für
         500

                                                                            70
            0
                  Eier    1     2        3        4        5    verpuppt                                            Am Ende überleben ein bis vier Prozent – Regen, Spinnen,
                                    Raupenstadien                     ausgewachsen                                  Fangschrecken und Vögel dezimieren die Eier,
                                                                                                                    Larven und Puppen des Karierten Schwalbenschwanzes

10   INSEKTENATLAS 2020
INSEKTENATLAS 2020 / STORK, WIKIPEDIA
  WELT VOLLER INSEKTEN
  Geschätzte Zahl von Spezies nach biogeografischen Regionen und Verteilung der benannten Insekten auf wichtigen Ordnungen

                                                                                                         520.000
                                    120.000

                                    Nearktis                                                                 Paläarktis

                                                                                          730.000                                          190.000

                                                    980.000                                     Orientalis             720.000
                                                                                                                                            Ozeanis

 2.230.000                   Neotropis

                                                                                                                          Australis
                                                        Afrotropis

                                                                     Zweiflügler, u. a. Mücken      Schnabelkerfe, u. a. Wanzen
     Bekannte Insekten nach Ordnungen                                 und Fliegen (Diptera)          und Läuse (Hemiptera)                andere
                                                                                                                                  24.000
                          387.000                              157.000              155.000                  117.000       104.000       80.000
     1.024.000
                     Käfer (Coleoptera)                     Schmetterlinge                    Hautflügler, u. a. Bienen           Heuschrecken
                                                             (Lepidoptera)                  und Ameisen (Hymenoptera)             (Orthoptera)

                                                                                            Von vermutlich über fünf Millionen Insektenarten
die Landwirtschaft. Eine Hummel kann beispielsweise bis zu                              ist erst eine Million beschrieben. Vielen Spezies droht
3.800 Blüten pro Tag bestäuben. Insekten bekämpfen auch                                      das Aussterben als Unbenannte und Unbekannte
Schädlinge, fast 90 Arten werden im biologischen Pflanzen-
schutz eingesetzt. Darüber hinaus sind Insekten Nahrungs-
grundlage für andere Tiere, bauen organische Masse ab, rei-                  liebt. Räuberische Exemplare wie Käfer oder Netzflügler, die
nigen Gewässer und erhalten die Bodenfruchtbarkeit.                          andere Insekten verzehren, können als Nützlinge auf dem
    Insekten ernähren sich sowohl von tierischer als auch                    Acker hilfreich sein.
von pflanzlicher Kost. Fast alle Schmetterlingsraupen sind                        Einige Kerbtiere wie Ameisen, Termiten oder Heuschre-
Pflanzenfresser und daher im Ackerbau als Schädling unbe-                     cken bilden riesige Gemeinschaften. Der Staat in einem
                                                                             Ameisennest in Jamaika kann bis zu 630.000 Tiere umfas-
                                                                             sen. In einem südamerikanischen Termitennest wurden
Zu den Blütenbesuchern gehören auch Fledermäuse,                             über drei Millionen Individuen gefunden, und Heuschre-
Vögel und Reptilien – aber unter den Tieren übernehmen                       ckenschwärme können aus bis zu einer Milliarde Tieren be-
Insekten die hauptsächliche Bestäubungsarbeit                                stehen.

  VIELE WEGE FÜHREN ZUM ZIEL
  Bestäubung zur Aufnahme des Pollens an den Staubbeuteln                                  Windbestäubung
  und zur Abgabe an den Stempeln, allgemeine Darstellung                                    (Anemophilie)

                                                                                                                              Nachbarbestäubung
                                                                                                                                (Geitonogamie)

      Selbstbestäubung                                         Fremdbestäubung
         (Autogamie)                                              (Xenogamie)
                                                                                                                                                      INSEKTENATLAS 2020 / IPBES

                                                                                                                                        INSEKTENATLAS 2020                                    11
LANDWIRTSCHAFT

     MIT VIELFALT ZUR ERNTE
     Durch ihre Bestäubungsleistung und die                                                                                                zum Samenansatz bei Wild- und Nutzpflanzen. Drei Vier-
     Verbesserung der Böden sind Insekten für                                                                                              tel der weltweit wichtigsten landwirtschaftlichen Kultur-
     die Landwirtschaft unabdingbar, aber durch                                                                                            pflanzen profitieren in ihrem Ertrag von Bestäubern und
                                                                                                                                           garantieren damit rund ein Drittel der Produktion von Nah-
     sie auch stark gefährdet. Mehr Schutz der
                                                                                                                                           rungsmitteln. In Deutschland kann die Förderung der Wild-
     Artenvielfalt in Agrarlandschaften ist nötig.                                                                                         bienen – meist sind sie wichtigere Bestäuber als die Honig-
                                                                                                                                           bienen – den Ertrag an Erdbeeren und Kirschen verdoppeln.

     D
            amit Ökosysteme funktionieren können, brauchen                                                                                     Insekten können auch schädlich sein. Fressen sie nicht
            sie Insekten. Pflanzenfresser, die an Blättern nagen                                                                            Beikräuter, sondern Nutzpflanzen, können weitreichende
            oder deren Säfte saugen, gehören ebenso dazu wie                                                                               Schäden entstehen. Weltweit sind Insekten für 17 bis 30
     räuberische Insekten, die Artgenossen vertilgen oder gar                                                                              Prozent der Ernteverluste verantwortlich, insbesondere in
     – wie die parasitischen Wespen – ihre Nachkommen in ei-                                                                               Ländern, die von Hunger und Armut geprägt sind. Insek-
     nem Wirt entwickeln lassen, um diesen am Ende zu töten.                                                                               ten spielen auch eine große Rolle bei Verlusten nach der
     Aas- und Dungfresser fördern die Beseitigung toter Organis-                                                                           Ernte, die in Entwicklungsländern rund 40 Prozent betra-
     men. Streuzersetzer schließen abgestorbene Pflanzen auf,                                                                               gen können.
     sodass Mikroben sie schneller abbauen können.                                                                                             So wie Insekten die Landwirtschaft beeinflussen, be-
         Pflanzen sind untrennbar mit der Landwirtschaft ver-                                                                               einflusst die Landwirtschaft auch Insektenpopulationen.
     bunden. Die Bestäuber anderer Gewächse der gleichen Art                                                                               Neben Klimawandel und Lichtverschmutzung gilt die
     leisten einen Beitrag zur genetischen Durchmischung und                                                                               Ausweitung und Intensivierung der Landwirtschaft als die
                                                                                                                                           mit Abstand wichtigste Ursache des weltweiten Artenrück-
                                                                                                                                           gangs. Agrarlandschaften werden durch die Intensivierung
                                                                                                                                           der Landwirtschaft strukturell einfacher. Überdüngung
        DAS GROSSE FRESSEN
                                                                                                                                           führt zu monotonen Pflanzengesellschaften, die nur we-
        Befall mit dem weltweit verbreiteten Kornkäfer (Sitophilus granarius)
        in einem Maisspeicher in Homa Bay, Westkenia,                                                                                      nigen Insektenarten einen Lebensraum bieten. So sind in
        nach Art der Aufbewahrung sowie mit und ohne Einsatz                                                                               Deutschland 71 Prozent der Ackerwildkrautarten pro Acker
        der Insektizide Actellic Super (Puder) und Phostoxin (Gas),                                                                        seit 1950 verschwunden.
        in Prozent der geschädigten Maiskörner                                                                                                 Außerdem tragen Pestizide direkt und indirekt zum In-
                                                                                                                                           sektensterben bei. Der häufige Einsatz von Herbiziden – den
                       gewobener Polypropylen-Sack, ohne Insektizide
                       gewobener Polypropylen-Sack, mit Actellic
                                                                                                                                           Giften gegen Beikräuter – führt zu einer Verarmung der
                       dichter Super Grain Bag*, ohne Insektizide                                                                          Pflanzenwelt und den davon abhängigen Nahrungsnetzen
                       dichtes Metallsilo, ohne Insektizide                                                                                für Insekten. Insektizide töten Insekten meist direkt. Beson-
                       dichtes Metallsilo, mit Actellic                                                                                    ders fatal aber sind die zunächst nicht tödlichen Wirkun-
                       dichtes Metallsilo, mit Phostoxin                                                                                   gen: die verringerte Vitalität und Reproduktion, die vermin-
                                                                                                                                           derte Fähigkeit, sich zu orientieren, oder auch die erhöhte
         100
                                                                                                                                           Anfälligkeit für Krankheiten.
         90
                                                                                                                                               Seit den 1930er-Jahren hat der chemische Pflanzen-
                                                                                                                                           schutz in vielen Industrieländern schrittweise zugenom-
         80                                                                                                                                men. In Lateinamerika, Asien und Ozeanien steigt er bis
                                                                                                                                           heute. Noch in den 1960er-Jahren hatte die Pflanzenschutz-
         70                                                                                                                                industrie einen Wert von weniger als zehn Milliarden US-
                                                                                                                                           Dollar, und den Landwirtinnen und Landwirten standen
         50
                                                                                                                                           rund 100 Wirkstoffe zur Verfügung. Heute hat die Branche
         30
                                                                                                                                           einen Wert von über 50 Milliarden Dollar, und die Landwirt-
                                                                                                                                           schaft kann weltweit zu rund 600 Wirkstoffen greifen.
         40                                                                                                                                    Die Menge der weltweit verwendeten Stoffe nimmt wei-
                                                                                                                                           ter zu. Damit werden auch die negativen Auswirkungen auf
         30                                                                                                                                die Insektenwelt immer spürbarer. Sie aber sind nicht allein
                                                                                                   INSEKTENATLAS 2020 / DE GROOTE ET AL.

                                                                                                                                           darauf zurückzuführen, dass immer mehr Stoffe eingesetzt
         20
                                                                                                                                           werden. Die Mittel werden auch immer wirksamer und kön-
                                                                                                                                           nen gezielter eingesetzt werden.
          10

          0
          1. Monat        2. Monat       3. Monat        4. Monat        5. Monat       6. Monat                                           Im Kampf gegen die hohen Nachernteverluste in
        * aus patentierter Folie, Luft herausgedrückt, von einem Polypropylen-Sack umgeben                                                 Getreidelagern sind nicht Insektizide, sondern
                                                                                                                                           bissfeste und luftdichte Behältnisse entscheidend

12   INSEKTENATLAS 2020
WELTWEITER NUTZEN
  Wert der Agrarproduktion, die durch Bestäuber ermöglicht wird,
  in US-Dollar pro Hektar*
                                                                                                                                       Ostasien

                                                                                westliches Europa

                                                                          USA

                                                                                                                                       Ostaustralien und Neuseeland

          über 1.500
          251–1.500
          101–250
          61–100
          26–60

                                                                                                                                                                                        INSEKTENATLAS 2020 / LAUTENBACH ET AL.
          11–25
          unter 10

          nicht verwertet             mittleres Südamerika
          keine Daten                                                                                                         zwischen Balkan und Zentralasien

  * inflations- und kaufkraftbereinigt, auf das Jahr 2000 standardisiert

                                                                                                                  Die in Geld ausgedrückte Bestäubungsleistung von
    Die Art der landwirtschaftlichen Produktion und die                                                          Tieren – überwiegend Insekten – zeigt, wie lohnend
Struktur der Agrarlandschaft können schädliche Insekten                                                                 selbst teure Schutzmaßnahmen sein können
zurückdrängen und Nützlinge fördern. Schädlinge profitie-
ren von großen Monokulturen und davon, dass die immer
gleichen Pflanzen auf dem Acker stehen. Eine Diversifizie-                                       schaften haben einige wenige Hecken und Blühstreifen eine
rung mit vielen Kulturarten, langen Fruchtfolgen und klei-                                     positivere Wirkung auf die Insektenvielfalt als in bunten, di-
nen Feldern hilft, die Vielfalt der Insekten zu erhalten und                                   versen Landschaften, in denen solche Strukturelemente oh-
damit ein für die Landwirtschaft günstigeres Gleichgewicht                                     nehin zuhauf zu finden sind. Da sich die Zusammensetzung
zwischen Schädlingen und Nützlingen sicherzustellen.                                           der Insektenpopulation von einer Region zur anderen deut-
    Auch ein Vergleich von acht Regionen in Europa und                                         lich ändert, sind Schutzmaßnahmen für die Insektenvielfalt
Nordamerika zeigt, dass eine Verkleinerung der Ackerflä-                                        über alle Regionen hinweg erforderlich.
chen zu einer stark erhöhten Artenvielfalt führt, weil auf
diese Weise viele Insekten-, Vogel- und Pflanzenarten unter-
schiedliche Ressourcen nutzen können. Gerade die Feld-
                                                                                                    FÜR UNSER ESSEN UNERSETZBAR
ränder sind wichtig, weil sie die Lebensräume der Insekten                                          Drohender Rückgang der Ernte von 107 pflanzlichen Nahrungsmitteln*
vernetzen. Wird die durchschnittliche Feldgröße von rund                                            beim Wegfall tierischer Bestäubung, Zahl der Früchte und Beispiele
5 auf 2,8 Hektar verkleinert, hat das den gleichen positiven
Effekt auf die Biodiversität, als würde der Anteil naturnaher                                           Rückgang um                                    Wassermelone Kürbis
Lebensräume von 0,5 Prozent auf 11 Prozent vergrößert.                                                    über 90 Prozent                                   Paranuss Kakao
                                                                                                          40–90 Prozent
    Bedeutend für die Insektenvielfalt in Agrarlandschaf-
                                                                                                          10–40 Prozent                      9
ten ist die Gestaltung der Landschaft in ihrer Gesamtheit                                                 1–40 Prozent                                13
                                                                                                                                       7
und nicht nur die Bewirtschaftung einzelner Felder, weil                                                  keiner
die meisten Insektenpopulationen in großen Landschafts-                                                   unbekannt                                                          Gurke
räumen, also nicht kleinräumig, leben. Beispielsweise be-                                                                         21                           30          Pflaume
                                                                                                         Pfeffer                                                           Kirsche
herbergen Kalkmagerrasen ein Drittel mehr Arten, wenn sie
                                                                                                         Tomate                                                              Apfel
in einer durchmischten statt in einer von Äckern geprägten                                               Kidneybohne                                                        Mandel
                                                                                                                                                                                        INSEKTENATLAS 2020 / IPBES

Landschaft liegen. In monotonen, ausgeräumten Land-                                                                                           27
                                                                                                         Papaya
                                                                                                         Zitrone
                                                                                                                                  Feige Erdbeere Kokosnuss
                                                                                                                                     Sonnenblume Kaffee
                              Ungefähr ein Achtel der für die Menschen
                             wichtigsten pflanzlichen Agrargüter hängt                               * für den menschlichen Verzehr und auch auf dem Weltmarkt gehandelt

                                in sehr hohem Maße von Bestäubern ab

                                                                                                                                                                          INSEKTENATLAS 2020                                     13
INSEKTENSTERBEN GLOBAL

     EINE KRISE OHNE ZAHL
     Der Rückgang von Insektenpopulationen und                                                                                      Prozent der globalen Insektenbiomasse. Die meisten der
     -arten ist vielfach belegt. Die Wissenschaft                                                                                   ausgewerteten Untersuchungen kommen aus Europa, ei-
     ist sich auch über den negativen Einfluss                                                                                       nige aus Nordamerika, die wenigsten aus Asien, Afrika oder
                                                                                                                                    Lateinamerika. Diese Lücken stießen auf Kritik. Außerdem
     der Landwirtschaft einig. Unklar ist, welche
                                                                                                                                    seien Untersuchungen zu wenig berücksichtigt, die über
     Aussagen sich verallgemeinern lassen.                                                                                          eine positive Entwicklung von Insekten berichten. Dem
                                                                                                                                    Weltbiodiversitätsrat IPBES zufolge ist der Anteil der be-

     V
            erglichen mit Säugetieren, Pflanzen, Vögeln und Fi-                                                                      drohten Insektenarten weltweit eine unbekannte Größe.
            schen sind Insekten kaum erforscht. Erst ein kleiner                                                                    Anhand der vorhandenen Daten schätzt er die bedrohten
            Teil weltweit ist überhaupt klassifiziert. Besonders                                                                     Arten vorsichtig auf zehn Prozent.
     wenig untersucht sind Vorkommen und Entwicklung über                                                                               Studien belegen, dass in Europa und Nordamerika die
     einen längeren Zeitraum außerhalb der USA und Europas.                                                                         Vielfalt und die Menge von Nachtfaltern (Motten), Schmet-
         Einig ist sich die Wissenschaft über den Rückgang eini-                                                                    terlingen, Käfern, Wildbienen und anderen Insekten regio-
     ger gut erforschter Arten wie zum Beispiel dem Monarch-                                                                        nal unterschiedlich, aber deutlich zurückgehen. Einzelne
     falter, einiger Motten- und Schmetterlingsgruppen und                                                                          Analysen aus anderen Teilen der Welt beschreiben densel-
     einigen Arten von Bienen und Käfern – vor allem in West-                                                                       ben Trend. So weist eine Untersuchung nach, dass auf der
     europa und Nordamerika. Wissenschaftlicher Konsens ist                                                                         Karibikinsel Puerto Rico über einen Zeitraum von 36 Jah-
     auch, dass die Artenvielfalt in vielen Regionen der Welt ab-                                                                   ren die Biomasseverluste von Arthropoden im Regenwald
     nimmt, während sich die Anzahl und das Gewicht der Tiere                                                                       zwischen 78 Prozent und 98 Prozent lagen; zu den Arthro-
     sehr verschieden entwickeln, abhängig von Region, klima-                                                                       poden gehören nicht nur Insekten, sondern auch Spinnen,
     tischer Veränderung, Landnutzung und der Anpassungsfä-                                                                         Skorpione und Tausendfüßer. Auch Studien aus Madagaskar
     higkeit der Art.                                                                                                               und Neuseeland sowie die Roten Listen der UN-Weltnatur-
         Eine wissenschaftlich belegte Zahl zum globalen Insek-                                                                     schutzunion (IUCN) zeigen, dass Insektenarten weltweit be-
     tenrückgang gibt es nicht. Eine erste Überblicksstudie der                                                                     droht sind. Gleichzeitig weisen Arbeiten vor allem aus kälte-
     Universität Sydney aus dem Jahr 2018 trug die Ergebnis-                                                                        ren Regionen darauf hin, dass dort die Menge der Insekten
     se regionaler Forschungen zusammen. Demnach nimmt                                                                              zunimmt. So geht aus Untersuchungen in Russland hervor,
     die Population von 41 Prozent der Insektenarten ab, und                                                                        dass die Anzahl der Springschwänze in der Tundra mit stei-
     ein Drittel aller Insektenarten ist vom Aussterben bedroht.                                                                    genden Temperaturen zugenommen hat.
     Unter dem Vorbehalt einer noch relativ dünnen Datenlage                                                                            Insekten verschwinden vor allem von Äckern, Feldern
     errechneten die Forscher einen jährlichen Verlust von 2,5                                                                      und intensiv genutzten Wiesen. In Neuseeland ist seit den
                                                                                                                                    frühen 1960er-Jahren die Mottenpopulation in Grasland-
                                                                                                                                    schaften um 60 Prozent zurückgegangen, bei intensiver
                                                                                                                                    Nutzung mit hoher Tierdichte sogar um 90 Prozent. In
        JE KLEINER, DESTO STÄRKER GEFÄHRDET
                                                                                                                                    Deutschland, so schreibt die Deutsche Akademie der Natur-
        Arten von Laufkäfern (Carabidae) und Käfern in Neuseeland
        im Vergleich, jeweils in Prozent nach Eigenschaften                                                                         forscher Leopoldina in Halle (Saale), nahm die Häufigkeit
                                                                                                                                    von Arten in Agrarlandschaften um etwa 30 Prozent ab. In
                                                          bedroht             nicht bedroht                                         Wäldern, Feuchtgebieten und Siedlungsräumen blieb die
        nach Mobilität
                                                                                                                                    Zahl hingegen stabil oder stieg sogar wieder an.
                                                                 flugunfähige Käfer                                                      Wissenschaftlicher Konsens ist, dass die Landwirtschaft
             66,7
                                                                                                                                    einen negativen Einfluss auf Insekten hat. Landwirtschaftli-
                                                (flugfähige) Laufkäfer                                                               che Flächen werden weltweit immer intensiver genutzt. Um
             42,2
                                                                                                                                    mehr Ertrag pro Hektar zu erwirtschaften, stieg der Einsatz
                                                                                                                                    von Düngemitteln und Pestiziden weltweit deutlich. Vor
        nach Körpergröße in Millimetern*                                                                                            allem aber wandelte sich die Art der Nutzung der Landflä-
                          über 30                                                                                                   chen. In nur 300 Jahren, zwischen etwa 1700 und 2007, ist
             15,9                                                                                                                   der Anteil von Acker- und Weideland weltweit jeweils um
                                 20–29                                                                                              das Fünffache gestiegen, wobei die Flächen vor allem im
             25,0
                                                                                              INSEKTENATLAS 2020 / LESCHEN ET AL.

                                                                                                                                    19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgeweitet wur-
                                       10–19                                                                                        den. Die Menschen rodeten Wälder, legten Feuchtgebiete
             31,8                                                                                                                   trocken, verwandelten Steppen und Savannen in Äcker und
                                           unter 10
             36,4
                                                                                                                                    Die neuseeländischen Laufkäfer sind vor
        * alle untersuchten Käferarten, Anteil Laufkäferarten: 40,9 Prozent                                                         allem durch die Ausdehnung der
                                                                                                                                    Viehweiden für die Milchwirtschaft bedroht

14   INSEKTENATLAS 2020
INSEKTENATLAS 2020 / SÁNCHEZ-BAYO/WYCKHUYS
  DER STOFF, AUS DEM DAS WISSEN IST
  Aussagen über den Insektenrückgang in 73 Studien (Stand 2019)
                                                                                                     erdbewohnend
                                                                                                                                 28          38 56
        bedroht                 abnehmend           Zahl der Studien                                 wasserbewohnend
                                                                                                                                       33           44 17
       Insekten
                                         31             41 73                                        Käfer (Coleoptera)
                                                                                                                                        34                49 12
                                                                                                     Eintagsfliegen (Ephemeroptera)
     Geografische Verteilung der Studien                                                                                 27       37               3
                                                                                                     Hautflügler (Hymenoptera)
                                                                                                                                                44 46 21
                                                                                                     Schmetterlinge (Lepidoptera)
                    1                                                                                                           34                             53 17
                                              43
          18                                                                    2
                                                                    2                                Libellen (Odonata)
                        1                                                                                    13                              37 6
                                                                            1                        Heuschrecken (Orthoptera)
         1                                                                                                                                                49   1
                            1                                                                        Steinfliegen (Plecoptera)
                                                                                     1                                     29            35 7
                                                    1
                                                                                                     Köcherfliegen (Trichoptera)
                                                                                         1                                                                               63 68 1

                                                                                                                   Viele Studien über Insekten sind artspezifisch und
Weiden. Die Tier- und Pflanzenarten, die unberührte Le-                                                     räumlich sehr spezialisiert. Globale Aussagen sind oft nicht
bensräume benötigen, gingen zurück oder starben aus.                                                                sinnvoll. Aber Trends sind eben doch zu erkennen
    Aber auch noch zwischen 1980 und 2000 entstand mehr
als die Hälfte der neuen landwirtschaftlichen Nutzflächen
in den Tropen durch die Abholzung von Wäldern, zwischen                                             für Rinder, Plantagen für die Palmölproduktion und Roh-
2000 und 2010 waren es sogar geschätzte 80 Prozent. Zwei                                            stoffvorkommen dicht unter der Oberfläche.
Länder, Indonesien und Brasilien, waren für über 50 Pro-                                                Weltweit steigt die Nachfrage nach Agrarprodukten.
zent dieses Tropenwaldverlustes verantwortlich. Dabei ist                                           Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft
gerade in den tropischen Ländern Asiens und Lateiname-                                              spricht von 60 Prozent bis 2050. Damit einher gehe eine
rikas die Anzahl und Vielfalt der Insekten besonders hoch.                                          Ausweitung der Agrarflächen – abhängig von den zuneh-
Wichtigste Gründe für die Abholzung: neue Weideflächen                                               menden Erträgen pro Hektar – um bis zu 100 Millionen
                                                                                                    Hektar. Diese Entwicklung muss aber nicht so kommen.
                                                                                                    Wenn in Industrieländern weniger Fleisch gegessen wird
Mehr als die Hälfte aller Fachveröffentlichungen                                                    und Agrarprodukte nicht weiter als Treibstoff verwendet
nennt die Veränderung des Lebensraumes als wichtigste                                               werden, könnte das den Druck auf die Flächen entschei-
Ursache dafür, dass Insekten seltener werden                                                        dend verringern.

  AUF DIE HABITATE KOMMT ES AN
  Hauptursachen des Insektenrückgangs                               genetische Variationen                   5,0 Erwärmung
  entsprechend der Fachliteratur,
  Verteilung in Prozent                                                Krankheiten
                                                                                                     1,3
                                                                                                    1,9                               Intensivlandwirtschaft
                                               biologische Gründe 15,8
                                                                                                                       23,9
                                                                                             12,6                                       53,5 Veränderung des Lebensraums
                                                                                                                                                                                     INSEKTENATLAS 2020 / SÁNCHEZ-BAYO/WYCKHUYS

      Strategien gegen die Hauptursachen           ökologische Eigenarten
      sollten kombiniert werden, schlagen
      die Bearbeiter einer Metastudie vor:                                               3,1                                                 Verstädterung
      Der wirksamste Weg, den Abwärts-
                                                    andere Schadstoffe
      trend bei den Insekten umzudrehen,                                             10,1                                     10,7           Entwaldung
      ist die Wiederherstellung ihrer
      Lebensräume in Verbindung mit            Umweltbelastung 25,8
                                                                                                                                        Trockenlegung
      drastisch reduziertem Einsatz von                                                         12,6             6,3   8,8
      Agrochemikalien und einer Änderung                        Kunstdünger                                   1,9
      der Bewirtschaftungsform hin zu
                                                                                                                                      Brände
                                                                                                           1,9
      weniger intensiver Landwirtschaft.                                 Pestizide
                                                                                                                              eingewanderte Arten

                                                                                                                                                                       INSEKTENATLAS 2020                                         15
INSEKTENSTERBEN IN DEUTSCHLAND

     ABWÄRTS IM TREND
     Ob Langzeituntersuchungen, einzelne                                                            faltern, Wildbienen und Zikaden. Alle Datenreihen belegen
     Studien oder Rote Listen – das Ergebnis ist                                                    einen Rückgang der Artenvielfalt und bestätigen eine teil-
     immer dasselbe: Insgesamt sind Anzahl und                                                      weise dramatische Abnahme der Populationsdichte. Bei den
                                                                                                    Schmetterlingen gehen vor allem die Spezialisten verloren.
     Artenzahl der Insekten rückläufig. Daran
                                                                                                    Hierzu zählen Tagfalter, deren Larven auf bestimmte Futter-
     ändern auch die Forschungsdefizite nichts.                                                      pflanzen angewiesen sind. Langzeiterfassungen in mehre-
                                                                                                    ren Regionen Deutschlands halten dauerhafte Verluste von

     E
           rkenntnisse der Insektenkunde erreichen selten ein                                       über 70 Prozent der Arten fest.
           großes Publikum. Diese Nachricht jedoch ging um die                                          Unter den Wildbienen zeigt knapp die Hälfte der 561
           Welt: Mehr als 75 Prozent der Gesamtmasse an Flug-                                       Arten Rückgänge. Neben dem Verlust der Habitate könnte
     insekten sind aus Teilen Deutschlands verschwunden. Die                                        die weite Verbreitung der hochwirksamen Neonicotinoi-
     Studie, veröffentlicht im Oktober 2017, beruhte auf Daten                                      de aus der Gruppe der Insektizide beigetragen haben, dass
     des Entomologischen Vereins Krefeld. Dessen Mitglieder                                         die Wildbienen so stark zurückgegangen sind. Über einen
     hatten über einen Zeitraum von 27 Jahren das Vorkommen                                         Zeitraum von 46 Jahren sank auf der Schwäbischen Alb
     von Fluginsekten an über 60 Standorten erforscht, die meis-                                    die Zahl der Nester einer Schmalbienenart um 95 Prozent.
     ten davon in Schutzgebieten in Nordrhein-Westfalen. Auch                                       In den Isarauen im bayerischen Dingolfing sind drei Vier-
     wenn die Studie verschiedentlich wegen methodischer Män-                                       tel der Wildbienenarten im Verlauf nur eines Jahrzehnts
     gel kritisiert wurde, liefert sie erstmals lange Datenreihen                                   verschwunden. Aber auch andere Insektengruppen sind
     zur Bestandsentwicklung ganzer Gruppen von Insekten –                                          dezimiert. Zikadenpopulationen auf Trockenrasen in Ost-
     und die wurden weltweit so noch nie erhoben. Die Daten
     wurden in verschiedenen Bundesländern gesammelt und
     zeigen einen deutlichen Trend.                                                                                        Von den langfristig (seit 50 bis 150 Jahren)
         In Deutschland gibt es neben dieser „Krefelder Studie“                                                 schrumpfenden Insektengruppen nahm fast die Hälfte
     Langzeituntersuchungen etwa zu den Beständen von Tag-                                                         auch kurzfristig (in den letzten 10 bis 25 Jahren) ab

        FAST ÜBERALL VERLUSTE
        Rote Listen der Insekten in Deutschland, akute Trends bei den langfristig rückläufigen Insektengruppen, Verteilung in Prozent der Arten

                                                             Abnahme          gleichbleibend         Zunahme           Daten ungenügend
                    Insektengruppen und Zahl der Arten

                   Schwebfliegen             176
                       Tanzfliegen           622
                      Raubfliegen            45
           Schmetterlingsmücken             12
                           Gnitzen          34
                   Dunkelmücken             3
                   Tastermücken             10
                          Tagfalter         115
                       Eulenfalter          186
              Spinnenartige Falter          146
                           Spanner          152
                     Zünslerfalter          103
                    Köcherfliegen            294
                            Bienen          233
                          Ameisen           65
                  Pflanzenwespen             150
                         Laufkäfer          252
                      Wasserkäfer           114
                           Zikaden          322
                   Heuschrecken             41
                                                                                                                                                                          INSEKTENATLAS 2020 / RIES

                          Schaben           4
                       Ohrwürmer            3
            Insektenarten gesamt            3.082*
                                                         0    5     10   15   20   25   30     35     40   45     50   55   60   65   70   75   80   85   90   95   100

        * ohne invasive Arten, Wespen, Büschelmücken und Fransenflügler

16   INSEKTENATLAS 2020
ES GEHT AUCH ANDERS
  Typen mitteleuropäischer Agrarlandschaften                              extensiv bewirtschaftet                  Naturschutzfläche, Biotope                            Naturweg
  im Wandel                                                               intensiv bewirtschaftet                  angelegte Blühstreifen, -flächen                      befestiger Weg

                        trockene Kuppen,                                                      Nivellierung durch                                                                       Felder auch als
                         feuchte Senken                                                      bessere Landtechnik                                                                     Insektenkorridore

                                                                                                                                                                keine weitere
                                                                                                                                                                Asphaltierung

                                           artenreiche Feldränder
                                                                                                           Wegfall der Stoppelbrache

                                                                                                                                                                                                         INSEKTENATLAS 2020 / OPPERMANN ET AL.
                                            und Saumstrukturen               größere Felder
    Erd- und Graswege

       artenreiche                                                  Einsatz von Pestiziden
    Wiesen und Äcker                                                  und Kunstdünger
                                                                                                                                       wieder extensivierte Flächen
                                                      50 m                                                                50 m                                                             50 m

       extensive Nutzung                                               intensive Nutzung                                                  Nutzung mit Naturmanagement

                                                                                                                                           Um Insektenpopulationen zu erhalten
deutschland nahmen über 40 bis 60 Jahre um 54 Prozent ab.                                                                        oder wiederherzustellen, sind auf und neben den
Im Feuchtgrünland in Niedersachsen betrugen die Verluste                                                                              Feldern viele kleine und große Schritte nötig
sogar 78 Prozent.
    Insgesamt zeigen die Untersuchungen in Deutschland,
dass die Verluste nicht regional begrenzt, sondern bundes-                                              rückstände im Kraftfutter, die mit dem Kot von Nutztieren
weit zu bemerken sind. Betroffen sind Spezies mit unter-                                                ausgeschieden werden – um dann ihre tödliche Wirkung
schiedlichsten Lebensweisen und Lebensräumen. Die mit                                                   bei den nützlichen Käfern zu entfalten.
Abstand höchsten Insektenverluste weisen in unseren Brei-                                                   In einer neuen Untersuchung schlüsseln Krefelder
ten die offenen Regionen der Landschaft auf. Hierzu zählen                                              Fachleute den Rückgang nach Gruppen und Arten auf. Bei
Ackerflure und Wiesen. Einem internationalen Forscher-                                                   den Schwebfliegen – neben den Bienen die wichtigsten Be-
team unter Leitung der Technischen Universität München                                                  stäuber – sank die Zahl der Exemplare an sechs Standorten
zufolge hat sich zwischen 2008 und 2017 die Insektenbio-                                                in einem nordrhein-westfälischen Schutzgebiet zwischen
masse auf Grünlandflächen um zwei Drittel verringert. Über                                               1989 und 2014 von knapp 17.300 auf rund 2.700 – ein Ver-
den gleichen Zeitraum untersuchte Wälder wiesen Verluste                                                lust von 84 Prozent. Von den ehemals 143 Spezies fanden
von 40 Prozent der Biomasse von Insekten auf.                                                           sich 25 Jahre später nur noch 104. Weitere Erkenntnisse
    Die umfangreichste Sammlung zum Gefährdungssta-                                                     verspricht das Projekt „DINA – Diversität von Insekten in Na-
tus einzelner Spezies stellen die Roten Listen dar. Das Bun-                                            turschutzgebieten“, das 2019 begann. Vier Jahre lang erfor-
desamt für Naturschutz bringt sie seit 40 Jahren heraus. Sie                                            schen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so genau
werden kontinuierlich erweitert und bilden die Entwick-                                                 wie möglich, welche Faktoren zum Insektensterben beitra-
lung der Bestände von rund 15.000 Insektenarten über                                                    gen – und wie wichtig sie sind, damit Prioritäten für eine
einen Zeitraum von 50 bis 150 Jahren ab. Damit stellen sie                                              Umkehrung des Trends gesetzt werden können.
die Lage von knapp der Hälfte der über 33.000 hierzulande
etablierten Spezies dar. Die Lücken erklären sich dadurch,
dass zahlreiche Spezies schwierig zu bestimmen sind
                                                                                                             ERFINDERIN DER VIEHHALTUNG
und es an Fachleuten fehlt, die ihre Bestände fortlaufend
                                                                                                             Nahrung von Waldameisen (Formica) nach Komponenten, in Prozent
dokumentieren. Die Listen zeigen, dass bundesweit fast
jede zweite erfasste Art zurückgeht. Nur ein Bruchteil
der Spezies – etwa zwei Prozent – nimmt zu. In den ver-                                                       Tierleichen, Pilze 0,3 % 0,2 % Samen
gangenen Jahrzehnten fallen besonders die Verluste bei
den Ameisen auf. Mehr als 90 Prozent der insgesamt 107                                                                Baumsäfte 4,5 %
Arten, mit denen die Familie hierzulande vertreten ist,
sind rückläufig.
    Eine Vielzahl von Käfern ist inzwischen unter Schutz ge-
stellt worden, weil sie bedroht sind. Das Fehlen von Dung-                                                         Insekten         33 %
käfern ist am Zustand von Kuhfladen abzulesen. Vielerorts                                                                                                   62 %           Honigtau
                                                                                                                                                                                                         INSEKTENATLAS 2020 / WELLENSTEIN

zersetzen sie sich nicht mehr. „Betonfladen“ heißt das Phä-
nomen inzwischen. Als eine der Ursachen gelten Insektizid-                                                         Zu den Bedrohungen der Ameisen in Deutschland gehört die Landwirtschaft,
                                                                                                                   auch durch überdüngte Weiden. Dabei gelten die Ameisen selbst als die
                                                                                                                   „Erfinder“ der Viehzucht: Sie halten sich Läuse, schützen sie vor Fraßräubern
                                                                                                                   und melken sie dafür. Die „Milch“ ist Honigtau, ein Sekret der Läuse. Ein Volk
                   Es liegt nicht an der Nahrung, sondern am                                                       mit einer Million Ameisen melkt etwa 200 Liter im Jahr, ergänzt um 11 Millionen
                                                                                                                   vertilgte Insekten mit 28 Kilo Gewicht.
     schwindenden Lebensraum: Keine andere Insektengruppe
               in Deutschland ist so bedroht wie die Ameisen

                                                                                                                                                                                      INSEKTENATLAS 2020                                         17
PESTIZIDE

     ZWISCHEN KAHLSCHLAG
     UND LETZTER HILFE
     Gegen viele Lebewesen, die die Ernten                                                                                             den US-Dollar um, gefolgt von Syngenta mit 9,4 Milliarden
     mindern könnten, werden Agrarchemikalien                                                                                          und BASF sowie DowDuPont mit je 7 bis 8 Milliarden Dollar.
     eingesetzt. Ihre Wirkung wird immer                                                                                               Inklusive Saatgut liegen die Zahlen noch deutlich höher.
                                                                                                                                           Pestizide sind eine der Hauptursachen für das Sterben
     genauer. Trotzdem kommt immer mehr
                                                                                                                                       der Insekten, weil sie in ganze Ökosysteme eingreifen. Je
     davon auf die Felder.                                                                                                             nach ihrem Ziel werden sie grob in Insektizide, Herbizide,
                                                                                                                                       Fungizide und weitere eingeteilt. Insektizide vernichten

     W
              eltweit ist die Menge der eingesetzten Pestizide seit                                                                    Schadinsekten an Kulturpflanzen, immer leiden aber auch
              1950 um das Fünfzigfache gestiegen. Während                                                                              andere Gewächse unter ihrer Anwendung. So schaden Neo-
              der ökologische Anbau weitestgehend ohne sie                                                                             nicotinoide, die inzwischen weltweit am häufigsten einge-
     auskommt, werden in der konventionellen Landwirtschaft                                                                            setzt werden, vielen Arten, darunter Bienen und Hummeln.
     weltweit pro Jahr etwa vier Millionen Tonnen chemische                                                                            Sie schädigen das Nervensystem, Bienen verlieren dadurch
     Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Der weltweite Umsatz lag                                                                          die Orientierung und Hummeln sogar den Geruchssinn.
     2018 bei 56,5 Milliarden Euro. Prognosen zufolge könnte er                                                                            Herbizide richten sich gegen Beikräuter. Selektive Her-
     bis 2023 auf 82 Milliarden Euro steigen.                                                                                          bizide wirken gegen bestimmte Pflanzen, Totalherbizide
         Vier Chemiekonzerne teilen sich zwei Drittel des globa-                                                                       gegen fast alle botanische Lebewesen. Glyphosat ist der
     len Marktes: BASF und Bayer aus Deutschland, Syngenta aus                                                                         weltweit am meisten benutzte Totalherbizid-Wirkstoff,
     der Schweiz – aber in chinesischem Besitz – sowie der Bör-                                                                        dessen Verkäufe so stark zugenommen haben, weil er in
     senneuling Corteva in den USA, zuvor die Agrarchemiespar-                                                                         Kombination mit gentechnisch veränderten Pflanzen – vor
     te von DowDuPont. Der Industrieländerorganisation OECD                                                                            allem Soja – eingesetzt wird. Diese Pflanzen sind gegen das
     zufolge setzte 2017 Bayer allein mit Pestiziden 11,2 Milliar-                                                                     Gift, das während des Aufwuchses gespritzt wird, resistent;
                                                                                                                                       alle anderen Gewächse sterben. Die Folge: Insekten finden
                                                                                                                                       weniger Blüten und verlieren damit ihre Nahrungsgrund-
                                                                                                                                       lage. Auch direkte Auswirkungen sind bekannt. Versuche
        WENN DIE GUTEN DIE OPFER SIND
                                                                                                                                       an der Universität von La Plata in Argentinien zeigen, dass
        Überlebensraten von zwei Florfliegenarten der Gattung Chrysopa
        beim Einsatz verschiedener Pestizide, Larve bis ausgewachsenes Tier,                                                           Glyphosat auch Florfliegen töten kann, die Blattläuse lieben
        in Prozent                                                                                                                     und daher Nützlinge sind.
                         Chrysoperla carnea         Chrysoperla johnsoni                                                                   Weltweit werden in Asien pro Hektar die meisten Pes-
                                                                                                                                       tizide ausgebracht, insbesondere in China, Indien und Ja-
            0                                                                                                                          pan. Chinesische Landwirtinnen und Landwirte greifen
              Novaluron
            0                                                                                                                          inzwischen zum Dreifachen des globalen Durchschnitts.
                                                                                                                                       Auf Asien folgt Amerika, wobei in Nordamerika, Brasilien
            0
              Lambda-Cyhalothrin                                                                                                       und Argentinien insgesamt die größte absolute Menge an
            0
                                                                                                                                       Pestiziden verbraucht wird. In Afrika sind es nur etwa zwei
            7
                                                                                                                                       Prozent der weltweiten Menge.
                      Cyantraniliprol                                                                                                      Es fehlt an Langzeitstudien, wie sich Pestizide auf die
            13
                                                                                                                                       Biodiversität und die Insekten in Afrika und Lateinamerika
            20                                                                                                                         auswirken. Pestizide könnten dort einen großen Anteil am
                                  Chlorantraniliprol
            27                                                                                                                         Insektensterben haben, wo ihr Einsatz hoch und die Zulas-
                                                                                                                                       sung nur schwach reguliert ist. So werden im Weinanbau
            33                                                                                                                         in Südafrika oder in der Gemüseproduktion in Kenia Pes-
                                            Spinetoram
            40                                                                                                                         tizide verwendet, die in der EU seit Jahrzehnten verboten
                                                                                                                                       sind. Bayer, so kam es auf der Jahreshauptversammlung
                                                                                           INSEKTENATLAS 2020 / AMARASEKARE, SHEARER

            87                                                                                                                         2019 des Konzerns zur Sprache, vertreibt in Brasilien zwölf
                                      Wasser (Kontrollgruppe)
            80                                                                                                                         Wirkstoffe, die in der EU nicht mehr erlaubt sind, darunter
                                                                                                                                       das Insektizid Thiodicarb, das gegen Schadschmetterlinge
             Florfliegen der Gattung Chrysopa heißen auch Blattlauslöwen, weil sie
                                                                                                                                       wirkt.
             eine große Menge Schädlinge fressen. In den USA wurden zwei dieser
             Arten, die für Obst- und Walnussgärten typisch sind, fünf dort verbreiteten
             Pestizidwirkstoffen ausgesetzt. Die Folgen waren für die Nützlinge so
             verheerend, dass Sekundärplagen auftraten, weil es zu wenige Florfliegen
             gab, die die überlebenden Schädlinge hätten vertilgen können.                                                             Für den Integrierten Pflanzenschutz, der so wenig Chemie
             Konsequenz: mehr Pestizide, die auch noch mehr Nützlinge ausrotten.
                                                                                                                                       wie möglich einsetzt, sind Pestizide, die Nütz-
                                                                                                                                       und Schädlinge zugleich töten, ein großes Problem

18   INSEKTENATLAS 2020
SIEGESZUG DER ACKERGIFTE
  Weltweiter Einsatz von Pestizidwirkstoffen nach Ländern und Kontinenten,
  Jahresdurchschnitt 1990–2017 in Tonnen, weltweiter Anstieg in Millionen Tonnen
                                                                                                                                       68.000
                                                                                                           89.000
                                                                                                                                           Japan
                                                                               50.000                      Russland

                                                                              Ukraine
                                               83.000

                                             Frankreich
                USA
 407.000
                                            77.000
                                                                                                                              China          1.391.000
                                            Italien

             53.000
           Kolumbien                            Tonnen landesweit
                                                   bis 60
                                                   60 bis 2.500
                                                   2.500 bis 50.000
                                                                               5
                                                   über 50.000
             216.000                               keine Angaben              4                Welt

                                                                                                                                                                INSEKTENATLAS 2020 / FAO
                                                                              3
                                                                                                        davon China
                                                                               2
              Brasilien                    124.000                             1
                                                                              0
                                         Argentinien                           1990     1995   2000 2005   2010 2015 2017

                                                                                               China bringt etwa ein Drittel der globalen Pestizide
    Europäische zivilgesellschaftliche Organisationen for-                                          aus. Syngenta in der Schweiz, in den Top 3 der
dern, dass Pestizide, die in der EU aufgrund ihrer negativen                                    Agrarchemie-Konzerne, ist in chinesischem Besitz
ökologischen Wirkungen verboten sind, auch nicht in Ent-
wicklungs- und Schwellenländer exportiert werden dürfen.
Mit dem Rotterdamer Übereinkommen, das 2004 in Kraft                         matische, registrieren zu lassen. Damit müssen sie in die
trat, existiert ein internationales Vertragswerk zum Import                  Zulassungsverfahren einfließen und dürfen nicht mehr zu-
und Export von gefährlichen Chemikalien, das auch Pestizi-                   rückgehalten werden. Die Risiken von Pestiziden können
de abdeckt. Es erlaubt deren Importe erst, wenn das Zielland                 nun möglicherweise besser eingeschätzt werden, und der
über die Risiken dieser Stoffe für die menschliche Gesund-                   Schutz von Menschen und Umwelt rückt mehr in den Vor-
heit und die Umwelt informiert wurde und der Einfuhr zu-                     dergrund.
gestimmt hat. Ratifiziert wurde das Übereinkommen von
160 Ländern. Insgesamt sind 36 Pestizide gelistet, doch es
bleiben Lücken. Längst nicht alle Unterzeichnerländer ha-
                                                                                   UNSICHTBARE LAST
ben den Import der aufgeführten Substanzen untersagt – so
                                                                                   Giftigkeit von Pestiziden für Bienen nach Ländern und Feldfrüchten,
hat China beispielsweise DDT nicht gebannt.                                        in Prozent der Zahl registrierter oder benutzter Pestizide
    Die Debatten um das Insektensterben und die Verluste
an Biodiversität nehmen zu und setzen die Agrarindustrie
                                                                                         hochtoxisch
unter Druck. Lange wurden Wechselwirkungen zwischen                                      moderat toxisch
Pestiziden und Insekten kaum berücksichtigt. Oft fehlen                                  fast nicht toxisch                 46,0            47,0
Daten über Kombinations- oder Langzeitwirkungen ver-
schiedener Produkte. In der Vergangenheit beauftragten                                             Kenia (Kaffee, Kürbisse,          7,0
die Hersteller der Pestizide die Studien selbst, während un-                                       Gartenbohnen, Tomaten)
abhängige wissenschaftliche Forschung in den Zulassungs-
verfahren nicht berücksichtigt werden mussten.                                                                                             15,0
    Die EU hat es im Jahr 2019 per Gesetzesänderung zur
                                                                                                            33,0                                  9,5
                                                                                                                                                                INSEKTENATLAS 2020 / IPBES

Pflicht erklärt, alle Forschungsergebnisse, auch proble-                                         59,5
                                                                                                                              75,5
                                                                                       Brasilien                                            Niederlande
                                                                                                              7,5
                                                                                       (Melonen,                                               (Äpfel,
                     In den armen Ländern Kenia und Brasilien                          Tomaten)                                              Tomaten)
             sind die eingesetzten Pestizide für Bienen deutlich
                giftiger als in den wohlhabenden Niederlanden

                                                                                                                                                  INSEKTENATLAS 2020                         19
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