Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der BBAW German Stem Cell Network (GSCN) Daniel Besser, Hannah Schickl Whitepaper
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der BBAW German Stem Cell Network (GSCN) Daniel Besser, Hannah Schickl Whitepaper Organoide - von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie : Stand der Forschung, Kernaussagen und politische Handlungsempfehlungen zur Organoidtechnologie = Organoids - from stem cells to future technologies : state of research, core statements and political recommendations for action on organoid technology Berlin, November 2020 Persistent Identifier: urn:nbn:de:kobv:b4-opus4-34362 Die vorliegende Datei wird Ihnen von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (cc by-nc-sa 4.0) Licence zur Verfügung gestellt.
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie White Paper Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie Stand der Forschung, Kernaussagen und politische Handlungsempfehlungen zur Organoidtechnologie Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der BBAW und German Stem Cell Network (GSCN) and the German Stem Cell Network (GSCN) Interdisciplinary Research Group Gene Technology Report of the BBAW White Paper | Organoids – from stem cells to future technologies State of research, core statements and political recommendations for action on organoid techonology to future technologies Organoids – from stem cells White Paper
November 2020 is freely available under the terms of the Creative Commons License (CC-BY-NC-SA). The content of the White Paper „Organoids – from stem cells to future technologies“ This publication appears with the support of the Friede Springer Stiftung. Circulation: 1.600 Print: Medialis Design & Layout: unicom Werbeagentur GmbH Baker & Company Translation: GSCN, Sina Bartfeld, Stefan Liebau Photos: IMPRESSUM Andreia Sofia Batista Rocha, IMBA, Vienna Graphics: Herausgeber: German Stem Cell Network (GSCN) e.V. Stefanie Mahler, GSCN Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht, Daniel Besser, GSCN ein Drittmittelprojekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie Philipp Graf, BIOCOM AG der Wissenschaften (BBAW) Hannah Schickl for the Interdisciplinary Research Group Gene Technology Report Editors: Gesamtverantwortung: Daniel Besser (Geschäftsführer GSCN) Daniel Besser (Managing Director GSCN) Responsibility: Redaktion: Hannah Schickl für die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht of Sciences and Humanities Philipp Graf, BIOCOM AG a third-party funded project of the Berlin-Brandenburg Academy Daniel Besser, GSCN Interdisciplinary Research Group Gene Technology Report, Stefanie Mahler, GSCN German Stem Cell Network (GSCN) e.V. Publisher: Grafiken: Andreia Sofia Batista Rocha, IMBA, Wien IMPRINT Fotos: GSCN, Sina Bartfeld, Stefan Liebau Übersetzung: Baker & Company Design & Layout: unicom Werbeagentur GmbH Druck: Medialis Auflage: 1.600 Die Publikation erscheint mit Unterstützung der Friede Springer Stiftung. Der Inhalt des White Papers „Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie“ ist unter den CC-BY-NC-SA Bedingungen der Creative Commons Lizenz frei verfügbar. November 2020
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie Prolog Die Organoidforschung ist trotz ihrer engen Verknüpfung mit der Stammzellforschung in Deutsch- land nur wenig im Bewusstsein der breiten Bevölkerung angekommen. Sie wird bisher im deutsch- sprachigen Raum überwiegend in naturwissenschaftlich orientierten Fachkreisen diskutiert. Or- ganoide sind dreidimensionale, aus Stammzellen in vitro entwickelte Zellstrukturen, die Organe nachbilden und diesen hinsichtlich ihrer ellzusammensetzung und Funktion ähneln. Sie k nnen für die Grundlagenforschung eingesetzt werden und sind vielversprechend für verschiedenste Be- reiche der Medizin, z. B. für Medikamentenscreenings und To izitätstest, aber auch zur Vorhersa- ge individueller Arzneimittelreaktionen. Die IAG Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgi- schen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und das German Stem Cell Network (GSCN) m chten mit dem vorliegenden White Paper einen Beitrag dazu leisten, das Forschungsgebiet bekannter zu machen und einen interdisziplinären und gesellschaftlichen Diskurs darüber ansto en. Der GSCN-Report zu Organoiden bietet in diesem Sinn einen berblick über neue ntwicklungen des Forschungsfeldes und seine Anwendungsm glichkeiten. Hierbei kommen unterschiedliche For- scherinnen und Forscher sowie Stakeholder aus aktuellen Projekten und Unternehmen innerhalb der Organoidforschung zu Wort. Danach folgen von der IAG verfasste ernaussagen zu Organoiden sowie daraus abgeleitete Handlungsempfehlungen für den Umgang mit der Organoidtechnologie. Parallel zu diesem White Paper erscheinen der Themenband der IAG Gentechnologiebericht „Organoide. Ihre Bedeutung für Forschung, Medizin und Gesellschaft“ (herausgegeben von Sina Bartfeld, Hannah Schickl, Cantas Alev, Bon- young oo, Anja Pichl, Angela Osterheider und Lilian Mar -St lting) sowie eine Sonderausgabe des Journals of Molecular Medicine unter dem Titel „ D Organoids“, herausgegeben von Sina Bartfeld, Cantas Alev und Bon- young oo. Wir freuen uns über die fruchtbare Zusammenarbeit und danken allen Mitwirkenden an diesem White Paper sehr herzlich, insbesondere allen beteiligten Autorinnen und Autoren und Interview- ten. Die IAG ist der Friede Springer Stiftung für die finanzielle F rderung und der BBAW für die langjährige Unterstützung zu Dank verp ichtet. Das GSCN dankt für die finanzielle Unterstützung durch das Berlin Institute of Health (BIH). in herzliches Dankesch n gilt auch Philipp Graf von der BIOCOM AG und den Mitarbeitenden der beiden Geschäftsstellen der IAG und des GSCN für die Realisierung dieser gemeinsamen Publikation. Boris Fehse Daniel Besser Sprecher der interdisziplinären Arbeitsgruppe Geschäftsführer des Gentechnologiebericht der Berlin-Branden- German Stem Cell Network (GSCN) burgischen Akademie der Wissenschaften Hamburg, im Oktober 2020 Berlin, im Oktober 2020 1
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie Inhalt Winzige Stellvertreter – die Ära der Organoide 4 (German Stem Cell Network) Stammzellbasierte Mini-Werkzeuge für die biomedizinische Forschung Neue rankheitsmodelle Viren, rebs und rbkrankheiten auf der Spur Wegbereiter für eine personalisierte Medizin Von Testsystemen, Wirksto suchen und regenerativen Therapien 20 ukunftsperspektiven Die nächste Organoidgeneration 2 Kernaussagen und Handlungsempfehlungen zu Organoiden 28 (Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der BBAW) ernaussagen zur Organoidtechnologie 2 Handlungsempfehlungen für den Umgang mit der Organoidtechnologie Mitglieder der interdisziplinären Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht 42 u likationen der in erdis i lin ren Ar ei sgru e Gentechnologiebericht 44 3
November 2020 R PORT Winzige Stellvertreter – die Ära der Organoide Wie die stammzellbasierten 3D-Modelle die Biomedizin erobern ie sind gerade ein al so gro ie en rner doc inner al eniger a re sind sie u ars der Gesund ei s orsc ung a ancier : rganoide i il e ra nier er Ge e ekul ur ec ni- ken lassen sic aus a ellen in ak e odelle on Ge irnen r en oder er en c - en Auc in eu sc land egeis er sic die a ell orsc erge einde r das T e a enn o o l rganoide eniger ko le sind ko en sie i ren gro en or ildern in der a ur so na e dass sic an diesen odells s e en en icklungs iologisc e Grundlagen a er auc rank ei en au neue eise er orsc en lassen Corona ande ie re s oder r krank ei- en rganoide sind erei s an ielen ron en der edi in als erk euge i insa ie ini rgane sind nic nur Tes s s e e r neue irks o e Auc r iagnostik und regenerati e T era ien ergen sie enor es o en ial in rei ug durc die ak uelle rganoid orsc ung in eu sc land und seinen euro isc en ac arn Wenn ina ar eld ihre wenige Tage alten Mini-Mägen im Stereomikroskop betrachtet, ist sie immer wieder aufs Neue entzückt. „Die Organoide sind einfach so sch n“, freut sich die Biologin, die am Institut für Molekulare Infektionsbiologie der Universität Würzburg eine Nachwuchsfor- schergruppe leitet. aum einen halben Millimeter messen die filigranen Hohlkugeln aus einer einlagigen ellschicht, an ihren Rändern knospen kleinere Bläschen ab. „Hierin sitzen neben ver- schiedenen di erenzierten elltypen die Stammzellen, die ständig für Nachschub an ellen sor- gen“, sagt Bartfeld. Bis zum leinstmagen dauert es keine zwei Wochen. Bartfeld geh rt zu einer rasant wachsenden Schar von Forschenden, die dabei sind, mit Orga- noiden die Biomedizin zu verändern. Ob winzige Därme, Bauchspeicheldrüsen, Herzen, Lebern, Lungen oder Gehirne, in den Laboren der ellzüchter weltweit gedeihen derzeit nahezu sämtliche Organe des menschlichen rpers im Miniaturformat. Nicht nur äu erlich erinnern die In-vitro- Winzlinge an ihre leibhaftigen Vorbilder in Menschen oder Tieren. Auch biologische Prozesse lau- fen in Organoiden erstaunlich realitätsnah ab. „ s ist faszinierend, wie komple diese Strukturen sind und was sie über das echte Leben verraten“, sagt Bartfeld. Dieser Report als Teil des White Paper Organoide beleuchtet, wie aktuell weltweit und insbeson- dere in Deutschland, sterreich und der Schweiz an Organoiden geforscht wird. s ist ein Streif- zug durch eine äu erst dynamische Forschungslandschaft. In den Stammzelllaboren entsteht 4
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie er rganoid ikrokos os Mithilfe von Stammzellen lassen sich für nahezu jedes menschliche Organ Organoide herstellen. Die wenige Millimeter gro en D- ellgebilde sind faszinierend komple . derzeit ein beeindruckender D-Mikrokosmos. Um ihn zu erschlie en, setzen Forschende die derzeit wohl leistungsfähigsten Technologien der Biowissenschaften ein. Organoide als Modelle schlie en eine Lücke in der biomedizinischen Forschung, und bereiten so den Weg hin zu neuen Therapieansätzen, innovativen Medikamenten und einer Gesundheitsforschung, die wom glich mit weniger Tierversuchen auskommt. Stammzellbasierte Mini-Werkzeuge für die biomedizinische Forschung Organoide sind aus Stammzellen hergestellte, dreidimensionale ellverbände, die vom Au au her einem Organ im Miniaturformat ähneln. Sie sind mikroskopisch klein – und doch spiegeln sie Archi- tektur und viele Funktionen ihrer gro en Pendants sehr gut wider. D- ellkulturen sind dabei gar kein neuer Trend. Gewebeingenieurinnen und -ingenieure e perimentieren seit ahrzehnten mit D-Aggregaten, die aus verschiedenen elltypen zusammengesetzt sind. Dennoch Die entschei- denden Durchbrüche für die Organoidforschung wurden vor etwas mehr als zehn ahren erzielt. s gelang, die in den ellaggregaten schlummernde Fähigkeit zur Selbstorganisation zu erwecken. Die zwei Wege zum Organoid Stammzellen sind als Zellquelle die Schlüsselkomponenten für den Bau von Organoidkulturen. Die Welt der Organoidforschenden lässt sich in zwei Lager mit unterschiedlichen Technologien ein- teilen Die eine Technik basiert auf adulten Stammzellen – und damit den Regenerationsmecha- nismen des rpers. Diese Gewebestammzellen sorgen bei Verschlei oder Verletzung beständig 5
November 2020 für Nachschub an neuen ellen. Die andere ell uelle sind pluripotente Stammzellen, also ellen, die sich in fast alle der mehr als 200 elltypen des rpers entwickeln k nnen. Dazu zählen emb- ryonale Stammzellen ( S- ellen) und auch induzierte pluripotente Stammzellen (iPS- ellen), die aus ausdi erenzierten Hautzellen gewonnen werden k nnen, wenn man sie mit einem berühm- ten uartett von Transkriptionsfaktoren umwandelt – das von dem japanischen Forscher in a Yamanaka entwickelte, nobelpreisgekrönte Prinzip der Zellreprogrammierung. Adulte Stammzellen zurück im Rampenlicht Vor ihrer jetzigen Station an der Universität Würzburg hatte Sina Bartfeld im holländischen Ut- recht als Postdoktorandin am Hubrecht Institut in der Arbeitsgruppe von ans Cle ers gearbeitet – der niederländische Stammzellforscher gilt als einer der Pioniere und Ausl ser des jüngsten ellkultur-Booms. Von der aderschmiede des Hubrecht-Instituts aus hat die Organoidtechnolo- gie inzwischen viele Forschungslabore in aller Welt erobert. „Mit der Technik aus dem Labor von Hans Clevers wird die Nische der adulten Stammzellen in der Petrischale nachgebaut“, erläutert Bartfeld. 200 war Tos iro a o im Labor von Hans Clevers das unststück erstmals bei Dünndarmgewebe gelungen. in Schlüssel zum rfolg Mit dem Protein LGR hatte das Team einen wichtigen Stammzell-Ober ächenmarker gefunden, mit dessen Hil- fe adulte Stammzellen leicht aus bei Operationen entferntem Darmgewebe zu isolieren waren. Auch in anderen Bereichen des rpers lassen sich mit diesem Marker adulte Stammzellen auf- spüren, wo diese ellen für Nachschub an neuem Gewebe sorgen. inen weiteren Fortschritt brachten verfei- nerte ellkulturtechniken Durch ugabe von Matrigel, einem gelartigen Sekret aus Tumor- zellen der Maus, lie sich die unmittelbare Umgebung von adulten Stammzellen – ihre Nische – sehr gut nachstellen. ingebettet in diese D-Matri finden die ellen ein optima- les Umfeld vor. Die ugabe von Wachstums- faktoren und einiger weiterer elltypen ge- nügte – die adulten Stammzellen begannen in der Petrischale, das zu tun, was sie auch in einer echten Darmwand tun sich selbst erneuern und sich organisieren in Bereiche, die den otten oder rypten entsprechen. In der Petrischale wuchs ein sehr vereinfachter Humane Magenorganoide „Mini-Darm“ heran. 6
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie Nach den 200 in Nature ver entlichten ntdeckungen sei das Feld e plodiert, so Bartfeld. Die adulten Stammzellen, um die es im Zeitalter der iPS-Zellen ruhiger geworden war, rückten wieder zurück ins Rampenlicht. In Utrecht hätten sich fortan viele ihrer olleginnen und ollegen jeweils ein eigenes Organsystem herausgepickt. „Das Faszinierende ist, dass sich die Organoide selbstständig organisieren und weiterwachsen“, so Bartfeld. „Wir ahmen die Signale und die Umgebung des rpers in der ulturschale nach, den Rest machen die Stammzellen ganz von selbst.“ in gro er Vorteil „Mit dieser ulturtechnik gibt es eine unersch p iche uelle von humanen ellen eines bestimmten Gewebes. Noch dazu sind die ellen nicht gentechnisch verändert.“ in weiteres Plus Die Gewinnung der ellen und die ulturtechnik sind leicht zu erlernen, noch dazu sind die Organoide leicht zu handhaben. „ infrieren, auftauen, verschicken – alles kein Problem.“ iologisc es odells s e in n c s er e u ensc en Organoide als experimentelle 3D-Zellkultur-Modelle überbrücken die Lücke zwischen Tiermodellen – wie Fadenwurm, Tau iege, ebrafisch, Maus – und Mensch. Trotzdem geraten die Organoidbauer mit adulten Stammzellen an Grenzen. So spiegeln manche Organoide bisher nicht das vollständige Spektrum an elltypen wider. „Die Haupteinschränkung ist, dass wir ausschlie lich pithelzellen züchten k nnen“, sagt Vorreiter Hans Clevers. pithelge- webe kleidet im rper innere und äu ere Ober ächen aus und kommt so etwa auf der Haut, im Magen-Darm-Trakt oder in der Lunge vor. Die drei weiteren Gewebearten des rpers sind damit für Arbeiten mit adulten Stammzellen bisher nicht zugänglich Binde- und Stützgewebe wie no- chen und Fett, Muskelgewebe inklusive Herzmuskelgewebe und Nervengewebe. 7
November 2020 Pluripotente Stammzellen – die Alleskönner schließen die Lücken in Manko, das ellbiologinnen und -biologen beheben k nnen, die mit pluripotenten Stammzel- len im Labor arbeiten. Denn mit dem jeweils passenden Cocktail aus Wachstumsfaktoren lassen sich sowohl iPS- ellen als auch S- ellen in nahezu jeden elltyp des menschlichen rpers ver- wandeln. iner der ersten, der die Bildung von D-Organoiden aus pluripotenten Stammzellen beschrieb, war der früh verstorbene japanische Forscher Yoshiki Sasai. Seine 200 im Fachjournal Cell Stem Cell ver entlichte Beobachtung rlaubte er embryonalen Stammzellen, vor der Di erenzierung in Nervenzellen einen ellklumpen zu bilden, fing das Gebilde an, sich von selbst zu einer Struktur zu organisieren, die frühen ntwicklungsstadien von Gehirnbereichen ähnelte. Auch hier bildete eine gelartige D-Matri den Schlüssel zum rfolg. Das war für ntwicklungsbiologinnen und -biologen weltweit der Startschuss für die ntwicklung von D- ellkulturen für verschiedenste Organsysteme, neben Strukturen des zentralen Nerven- systems unter anderem auch der Niere oder der Bauchspeicheldrüse. Doch kein Organoid hat wohl in den vergangenen ahren mehr Aufsehen erregt als die erbsengro en Gehirnmodelle, die im Labor von rgen no lic vom Institut für Molekulare Biotechnologie der sterreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) in Wien von der Forscherin adeline ancas er hergestellt wurden. Aus iPS- ellen gewonnene neuronale Vorläuferzellen begannen, sich wie von selbst zu sogenannten zerebralen Organoiden zusammenzuschlie en. Die neuralen Gewebebällchen äh- neln sowohl äu erlich als auch molekularbiologisch den Strukturen eines embryonalen Gehirns. Humane Gehirnorganoide 8
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie Das üchten von Hirnorganoiden aus iPS- ellen ist auch eine Spezialität von Agnies ka R ak Wolf. Die Biologin leitet die neu gescha ene Organoid-Technologiepla orm am Ma -Delbrück- Centrum (MDC), die am Standort in Berlin-Mitte angesiedelt ist. „Die Stammzellen lagern sich in ulturgefä en zu dreidimensionalen ellaggregaten zusammen. Diese werden dann mit einem speziellen Mi von Wachstumsfaktoren dazu gebracht, sich in neuronale ellen zu di erenzieren“, beschreibt sie die ersten Schritte. Bettet man den ellhaufen nun in eine D-Matri ein, so lässt sich auch hier die faszinierende Selbstorganisation beobachten. „Bilden sich neuroepitheliale Rin- ge, die ein bisschen wie Blütenstrukturen aussehen, ist das ein gutes eichen“, erklärt Rybak-Wolf. Nun hei t es warten, bis die Organoide zu der Gr e einer rbse heranreifen und eine komple- ere Gewebeorganisation erreichen. Das kann drei Monate und länger dauern. „Typischerweise entspricht das Gehirnalter der Organoide in etwa der 2 . bis 2 . Schwangerschaftswoche“, sagt Rybak-Wolf. ine eitspanne, die auch Herausforderungen für die Forschenden birgt Da pluripotente Stamm- zellen auf dem Weg zum Organoid einen viel längeren ntwicklungsweg als adulte Stammzellen zurücklegen müssen, sind die Mini-Gehirne im Labor untereinander oft sehr unterschiedlich. Diese Variabilität wird noch verstärkt, weil Hirnorganoide von verschiedenen pluripotenten Stammzelllinien abgeleitet werden k nnen. ine weitere Schwierigkeit ist die Nährsto versor- gung der D-Gewebekulturen. Wachsen sie zu stark, werden die erbsengro en ügelchen im ernbereich mangels eines Gefä systems weder mit Sauersto noch mit Nährsto en versorgt und das Gewebe stirbt ab. Bioanalytische Hightechmethoden im Einsatz Um die ntwicklung ihrer Organoide in der ulturschale detailliert zu untersuchen, k nnen For- schende auf modernste Hightechmethoden der Biowissenschaften zurückgreifen. Um die ellbiologie im Detail zu durchleuchten, kommt modernste Lichtmikroskopie oder hoch- au sende Fluoreszenzmikroskopie zum insatz. udem ist die Genome- diting-Technologie ein unverzichtbares molekularbiologisches Werkzeug geworden. Mithilfe von Designernukleasen wie dem 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichneten System CRISPR Cas lässt sich das Ge- nom der ellen, aus denen das Organoid hergestellt wird, gezielt verändern. So lassen sich die ekte spezifischer Mutationen untersuchen. u den Feldern mit der derzeit wohl spannendsten ntwicklung in der Biotechnologie zählt die inzelzellanalyse. Se uenziertechniken der neuesten Generation erlauben es, selbst geringe Spu- ren rbsubstanz oder Proteine aus einer elle zu erfassen. Ihr prominentester Vertreter ist die inzelzell-RNA-Se uenzierung. Mit dieser Methode lässt sich über die vorhandenen Boten-RNA- Moleküle (mRNAs) messen, welche Gene zu einem bestimmten eitpunkt in einer einzelnen elle aktiv sind. So lässt sich die spezifische Signatur, das molekulare Profil einer elle, ermitteln. 9
November 2020 Wie gut sich die vielen neuen elltechnologien verbinden lassen, um die ntwicklungsbiologie von Geweben und die Organogenese zu studieren, haben die ntwicklungsbiologin ar ara Treu lein und ihr Team eindrucksvoll am Beispiel von Organoiden gezeigt Die Forschenden wollten wissen, wie gut Organoide, die auf der Basis von iPS-Zellen gewonnen werden, die molekularen Prozesse der Organentwicklung in der Natur widerspiegeln. „Gehirn- wie auch Leberorganoide spiegeln die Gene pressionsmuster sehr gut wider“, berichtet Treutlein. „Sie ähneln allerdings mehr Organgewebe in der embryonalen ntwicklung und nicht den ausgewachsenen Organen.“ Für die Forscherin er net sich aus der ombination von inzel- zellgenomanalyse und den stammzellbasierten Organoiden ein spannendes neues Forschungs- feld. „Da die Organoide noch zusätzlich mithilfe von Genome- diting genetisch verändert werden k nnen, k nnen wir ntwicklungsmechanismen der menschlichen Organogenese in bisher un- erreichtem Detail durchleuchten“, schwärmt Treutlein, die kürzlich vom Leipziger Ma -Planck- Institut für volutionäre Anthropologie an die TH ürich in das Department für Biosysteme in Basel wechselte und dort Professorin für uantitative ntwicklungsbiologie ist. Die ombination aus Organoidtechnologie und inzelzellanalyse wird auch unter dem Dach des Berlin Institute of Health (BIH) sehr aktiv ausgebaut. An dieser Forschungseinrichtung für Transla- tionale Medizin wird mit Unterstützung der Berliner Charit und des Ma -Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) die dafür notwendige pertise gebündelt. Da Organoide das Potenzi- al besitzen, die Medizin disziplinenübergreifend zu revolutionieren, wurde am BIH für das Thema „Organoide und Cell- ngineering“ ein eigener Translations-Hub aufgebaut. Hier vernetzt sich die BIH-Forschungscommunity, um innovative Technologien und Methoden zu entwickeln. Das MDC-Forschungszentrum Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) in Berlin-Mitte widmet sich gezielt der Weiterentwicklung von inzelzelltechnologien und ihrer Interpretation durch Anwendung künstlicher Intelligenz. Hier ist auch die Organoid-Technologiepla orm von Agnieszka Rybak-Wolf angesiedelt. Die Pla orm baut dabei auf einer umfangreichen pertise am MDC sowie der Charit zu Stammzellmethoden und Ansätzen der Genomeditierung auf und wird eng mit dem Labor von BIMSB-Gründungsdirektor ikolaus Ra e sk zusammenarbeiten. r ist Spezialist für neuartige Se uenzierungstechnologien. Ein Zellatlas für humane Organoide inen umfassenden ellatlas menschlicher Organoide für die biomedizinische Forschung will ein im Sommer 2020 gestartetes U-Forschungsprojekt erstellen „HCA Organoid“ ist der europä- ische Beitrag zum internationalen Mega-Forschungsprojekt „Human Cell Atlas“ (HCA). In dem onsortium wollen Forschende aus Ländern eine Referenzdatenbank zusammentragen, in der die Genaktivität aller menschlichen elltypen in nie dagewesener Au sung erfasst werden soll. 10
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie Mit dem ellatlas aus molekularen Referenzkarten soll eine einzigartige entliche Ressource entstehen, eine Art Google Maps der humanen ellbiologie. Finanziell unterstützt wird das ambi- tionierte Projekt von der philanthropischen Chan- uckerberg-Initiative. In HCA Organoid arbeiten führende Organoidforschende aus sterreich, den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz an einem frei zugänglichen „Organoid Cell Atlas“. Das onsortium wird von der U mit Millionen uro unterstützt. oordiniert vom IMBA in Wien, sind als hiesi- ge Forschungseinrichtungen das Deutsche rebsforschungszentrum (DF ) und das ebenfalls in Heidelberg angesiedelte uropean Bioinformatics Institut ( MBL- BI) beteiligt. Im Rahmen des Projektes sollen zunächst von jeweils hundert Personen sowohl Gehirnorganoide als auch Darm- organoide erzeugt werden. Diese Organmodelle sollen anschlie end mit inzelzellanalysen cha- rakterisiert werden, um die genetische Vielfalt des Menschen abzubilden und eine umfassende Referenz für die Gesundheitsforschung zu etablieren. Organentwicklung in bisher unerreichtem Detail erforschen Der Wiener Stammzellforscher rgen no lic ist überzeugt Humane Organoide stellen eine neue Generation biologischer Modellsysteme dar, mit denen sich die menschliche Organentwick- lung und rkrankungen in bisher unerreichtem Detail erforschen lassen. „Humane Organoide überbrücken als e perimentelle Modelle die Lücke zwischen Tiermodellen und dem Menschen“, sagt noblich. Traditionell setzen ntwicklungsbiologinnen und -biologen auf Modellorganismen wie Fadenwurm, ebrafisch oder Maus, um Stammzellbiologie und grund- legende Schritte in der Organentwicklung zu verstehen. Doch klar ist Diese Tiere spiegeln weder Gewebearchitektur noch Genetik und Physiologie des Menschen hinreichend wider. Die Organoidtechnologie scha e nun die M glichkeit, rasch und mit beherrschbarem techni- schem Aufwand die menschliche Organentwicklung in der ulturschale nachzuvollziehen. „Gera- de für e perimentell bisher schwer zugängliche Organsysteme wie das Gehirn net sich hier ein neues Fenster.“ Die stammzellbasierten Hirnorganoide, die die Wiener Biotechnologinnen und -technologen heranzüchten, sind vor allem geeignet, die frühe Hirnentwicklung im Detail zu stu- dieren. Die erbsengro en Gewebekugeln stellen nicht nur aus genetischer Sicht die Verhältnisse im Menschen besser dar. Auch das Timing stimmt Die Organoide wachsen und entwickeln sich in der ulturschale gemä den zeitlichen Abläufen der menschlichen mbryonalentwicklung. Für Stammzellforscher noblich sind Organoide daher ideale Studienobjekte, um zu verstehen, wie neuronale Stammzellen und Vorläuferzellen in dieser hochkomple en Umgebung eine gro e An- zahl an unterschiedlichen Neuronen entstehen lassen – und wie sie sich untereinander vernetzen. Tatsächlich entstehen in den zerebralen Gewebemodellen synaptische Verbindungen. In mehreren Laboren weltweit wurde sogar neuronale Netzwerkaktivität, sogenannte Oszillationen, gemessen. 11
November 2020 noblich mahnt bei der Interpretation dieser Beobachtungen jedoch zur Vorsicht Die igenschaf- ten und die Relevanz dieser Daten müsse noch weiter untersucht werden. Bisher lie en sich mit Organoidsystemen immer nur winzige Teile des menschlichen rpers in der ulturschale nach- stellen – nicht aber das usammenspiel verschiedener rperregionen. Die hochkomple e Gewe- bearchitektur und räumliche Organisation eines Gehirns werde in den Hirnorganoiden keinesfalls erreicht. „ s ist auch nicht das iel des Feldes, hier hochgeordnete Gehirnfunktion nachzubauen“, sagt noblich. Au erdem fehlten den Gewebe- nsembles wichtige elltypen, etwa Mikrogliazel- len sowie andere Immunzellen und Blutgefä e. Gehirnorganoide werfen ethische Fragen auf Zusammen mit dem Münsteraner Stammzellforscher ans c ler, dem amtierenden Präsidenten des German Stem Cell Network (GSCN), leitet noblich derzeit eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, zum Thema Hirnorganoide. Sie geht unter anderem der Frage nach, ob die komple en Gehirnmodelle im Labor künftig so etwas wie Schmerzempfinden oder ein Bewusstsein entwickeln k nnen. „In unseren Diskussionsrunden waren die versammelten perten einhellig der Ansicht, dass wir meilenweit entfernt sind von einer Struktur, die in irgendeiner Art und Weise kognitive Prozesse nachbilden k nnte.“ Die ethische Debatte zu Aspekten der Organoidforschung steht laut anna c ickl auf nationa- ler bene noch am Anfang. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) hat sie den aktuellen Themenband „Organoide. Ihre Be- deutung für Forschung, Medizin und Gesellschaft“ der interdisziplinären Arbeitsgruppe Gentech- nologiebericht koordiniert und hierbei besonders den ethischen und rechtlichen Diskurs verfolgt. Die ernaussagen und die politischen Handlungsempfehlungen aus dem Themenband sind Be- standteil dieses White Papers. Die Frage, ob zukünftige komple ere Hirnorganoide potenziell so etwas wie ein Bewusstsein ent- wickeln k nnten, hält die analytische Philosophin und Bioethikerin für „vage“. Bei dem Diskurs seien thikerinnen und thiker sowie Philosophinnen und Philosophen derzeit zum einen auf das Werkzeug des Gedankene periments angewiesen. um anderen sei der komple e Begri des Be- wusstseins sowohl in den Neurowissenschaften als auch in der Philosophie nicht scharf definiert. Solange das Phänomen des Bewusstseins theoretisch derart unbestimmt bleibt und praktisch auch nicht messbar ist, bleibt wohl auch die Debatte um die Bewusstseinsfähigkeit von Hirnorga- noiden im Ungefähren. ine konkretere Frage stelle sich vor dem Hintergrund, dass die menschliche Hirnentwicklung im usammenhang mit rechtlichen Regelungen zu mbryonen, z. B. den deutschen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch oder auch der internationalen -Tage-Regel, als normatives riteri- um diskutiert wird. „Das hat entweder in uss auf die ethische und rechtliche Bewertung von 12
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie menschlichen Hirnorganoiden – und zwar nicht erst von zukünftigen, sondern bereits von beste- henden – oder auf die inschätzung der menschlichen Hirnentwicklung als normatives riterium. Der Fall von Hirnorganoiden macht dabei wieder einmal deutlich, dass ein Schutz basierend auf potenziellen Fähigkeiten nicht konsistent durchzuhalten ist und diese daher als Schutzkriterien – zumindest für einen starken Schutz – aufgegeben werden sollten zugunsten aktualer Fähigkeiten, wie z. B. der mpfindungsfähigkeit oder der Bewusstseinsfähigkeit.“ In jedem Fall müsse diese Frage ethisch und rechtlich geprüft werden, so Schickl. Der rechtliche Status von Gehirnorganoiden ist in Deutschland bereits Gegenstand von rechts- wissenschaftlicher Forschung Seit dem vergangenen ahr untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der uristischen Fakultät der Universität Passau den Rechtsrahmen für ge- genwärtige und zukünftig denkbare Szenarien der Organoidforschung. Das Team um Hans-Georg Dederer ist Teil des Forschungsverbunds „Interaktion humaner Gehirnzellen“ (ForInter), der vom Freistaat Bayern mit insgesamt vier Millionen uro gef rdert wird. Welche bestehenden Gesetze setzen den Rahmen für die Organoidforschung Wo fehlen Bestimmungen zur Regulierung thera- peutischer Anwendungen Muss ein Gehirnorganoid rechtlich geschützt werden – und wenn ja, in welchem Umfang Diese Fragen will das Team um Dederer klären und im Falle von Regelungs- lücken und Unzulänglichkeiten Anpassungsvorschläge für den Gesetzgeber erarbeiten. Embryoide: Internationale Debatte ist in vollem Gange Für ethisch und rechtlich brisanter hält Schickl allerdings sogenannte mbryoide. Diese Gebilde entstehen, wenn pluripotente Stammzellen unter speziellen ulturbedingungen beginnen, per Selbstorganisation eine D-Struktur zu formen, die mbryonen ähnelt – sowohl hinsichtlich der entstehenden elltypen als auch der Gewebeorganisation. mbryoide werden in Anlehnung an die Synthetische Biologie auch als synthetische mbryonen bezeichnet – entstanden nicht aus der Verschmelzung von Spermium und izelle, sondern aus einem nsemble von Stammzellen in der ulturschale. s sei noch o en, wie mbryoide ontologisch einzustufen sind – als menschliche mbryonen oder als neue ntitäten – und welcher normative Status ihnen zugeschrieben werden muss, so Schickl. Inzwischen wurden bereits entwicklungsfähige mbryoide im Tiermodell erzeugt und pluripo- tente Stammzellen sind – entgegen weitverbreiteter Ansicht – unter bestimmten Umständen of- fenbar zur Totipotenz fähig, aus ihnen kann also ein vollständiger Organismus hervorgehen. Vor dem Hintergrund, dass Totipotenz in vielen rechtlichen Regelungen und Richtlinien als zentrales Schutzkriterium angesehen wird, seien das nicht zu unterschätzende Forschungsergebnisse. „In- ternational ist die ethische und rechtliche Debatte hier bereits in vollem Gange.“ Und auch hier- zulande müssten klare rechtliche Rahmenbedingungen für die mbryoidforschung gescha en und bestehende Regelungen zu menschlichen mbryonen in vitro überdacht werden. 13
November 2020 Neue Krankheitsmodelle: Viren, Krebs und Erbkrankheiten auf der Spur Organoide erm glichen nicht nur neue inblicke in entwicklungsbiologische Prozesse. Sie er - nen v llig neue Spielräume für die rforschung von rankheitsmechanismen. Das Spektrum reicht von Infektionskrankheiten, rebs, rbkrankheiten bis hin zu neurodegenerativen rkrankungen. Seitdem die iPS-Technologie die Stammzellforschung revolutioniert hat, erhalten Biomedizine- rinnen und -mediziner erstmals direkten ugang zu „authentischem“ humanen ellmaterial von gesunden Menschen sowie von Patientinnen und Patienten und das in nahezu unersch p ichen Mengen. Mit molekularen Scheren wie dem Genome- diting-Werkzeug CRISPR Cas lassen sich zudem präzise Veränderungen im rbgut der Stammzellen vornehmen. Somit k nnen die ellen der rankheitsmodelle im Labor genetisch ma geschneidert werden. So werden Organoidkulturen zu In-vitro-Stellvertretern, gleichsam zellbiologische „Avatare“ einer Patientin oder eines Patienten. Die ellensembles k nnten – so die Ho nung – auf Medikamente genauso oder ähnlich reagieren wie das echte Organ im menschlichen rper. So lie e sich die Wirkung von Medikamenten e zienter als bisher modellieren und testen, ohne dass Patientin- nen und Patienten unn tigen Nebenwirkungen ausgesetzt werden. Das erlaubt zuverlässigere Vorhersagen darüber, ob eine Patientin oder ein Patient mit einer rkrankung auf eine bestimmte Therapie anspricht. Das ideale rgebnis wäre eine auf die zellulären igenschaften der individuel- len rankheit zugeschnittene Behandlung. Pandemieforschung: Wie Zika und COVID-19 im Körper wüten Auch wenn Organoide eine recht neue ntwicklung sind Sie haben sich in den vergangenen ah- ren bereits als wertvolle Werkzeuge bei der rforschung neuer Infektionskrankheiten und pan- demischer Viren erwiesen. Als im ahr 20 das von Stechmücken übertragene ika-Virus auf- tauchte, rätselten Medizinerinnen und Mediziner sowie Virologinnen und Virologen lange, wie der rreger im Mutterleib schwere Fehlbildungen des Gehirns von Ungeborenen verursacht. Die Babys litten unter einer sogenannten Mikrozephalie – ihre pfe waren viel zu klein entwickelt. Mit aus pluripotenten Stammzellen abgeleiteten Hirnorganoiden kamen die Biomedizinerinnen und -mediziner dem Virus auf die Spur. An den In-vitro-Gewebemodellen lie sich studieren, dass das ika-Virus neurale Stammzellen befällt und wie dadurch Mikrozephalie entsteht. Nicht nur das Wirksto screenings an den mit ika infizierten Gehirnmodellen f rderten eine Reihe schlag- kräftiger Medikamente zutage. Auch bei der rforschung des Coronavirus SARS-CoV-2 stehen Organoide zurzeit als Modelle an vorderster Front im ampf gegen die COVID- -Pandemie. Als wichtigste ingangspforte in den rper standen die Atemwege hierbei zunächst im Fokus. 14
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie erk euge der ande ie orsc ung Organoide als Infektionsmodelle helfen zu verstehen, was Viren wie SARS-CoV-2 oder ika im rper anrichten und wie man die Ausbreitung der rreger mit Arzneien stoppen kann. Ob Corona oder In uenza – wie diese hochansteckenden Viren lebendes Lungengewebe attackie- ren und was sie hier anrichten, untersucht das Team um Andreas ocke mit modernsten mole- kularbiologischen und bildgebenden Verfahren. Der Infektionsforscher von der Berliner Charit ist ein Vorreiter bei der ntwicklung von Alternativen zum Tierversuch. Vor mehr als zehn ahren hat er erfolgreich ein D-Lungengewebemodell entwickelt. s basiert auf menschlichem Lungen- gewebe, welches an der Charit bei Operationen anfällt. Mittlerweile ist es fester Bestandteil der hiesigen Translationsforschung geworden. Der Haken Die Gewebestücke sind kurzlebig und nur in begrenzten Mengen verfügbar. Deshalb e perimentiert Hockes Team seit anderthalb ahren an Lungenorganoiden aus adulten Stammzellen. „Sie sind einfach zu vermehren, lange kultivierbar und spiegeln den zellulären on- te t gut wider. So k nnte man sogar chronische rankheitsgeschehen abbilden“, sagt Hocke. Mitt- lerweile ist es seinem Team gelungen, die Lungenorganoide im Labor mit SARS-CoV-2 zu infizieren und mehr darüber zu erfahren, welche elltypen das Virus in der Lunge ansteuert. Im Fokus steht dabei der Rezeptor AC 2. Wie das 200 beschriebene Coronavirus SARS-CoV- nutzt auch SARS- CoV-2 diesen Rezeptor an der Ober äche von ellen, um an diese anzudocken und sein rbmate- rial einzuschleusen. „Unsere Analysen untermauern die Beobachtung, dass die Viren die ellen in den Lungenbläschen weniger befallen als zunächst angenommen und vielmehr systemische nt- zündungsreaktionen initiiert werden, die indirekt zerst rerisch auf die Lungen wirken“, sagt Hocke. Obwohl auch Hocke fasziniert ist von Organoiden, so wei er um deren Grenzen „ in Lungenor- ganoid spiegelt sehr gut Grundfunktionen wider – aber es kann nicht atmen“, sagt Hocke. „Den- noch haben wir hiermit eine rgänzung zu unseren bisherigen Modellen und sie helfen, Tierver- suche zu reduzieren.“ 15
November 2020 Den Atemwegen galt anfangs die volle Aufmerksamkeit der Anti-Corona-Allianzen weltweit. Doch schon bald verdichteten sich die Hinweise, dass COVID- auch viele weitere Organsyste- me des rpers betri . Dazu zählen Gehirn, Nieren, Darm, Leber, Herz und Bauchspeicheldrüse oder die Plazenta. Sind es tatsächlich neue Virus-Schlachtfelder im rper – oder nur Folgeschä- den einer fehlgeleiteten Immunantwort Wie geht das Virus im rper vor Schnell begannen Organoidforschende auf der ganzen Welt, ihre 3D-Zellkulturen mit dem pandemischen Virus zu- sammenzubringen. Das rgebnis Der COVID- - rreger befällt nicht nur ellen in Organoiden von Lunge, Leber und Niere. twa 0 Prozent der COVID- -Patientinnen und -Patienten zeigen Durchfallerkrankungen und das Virus kann aus dem Stuhl bei manchen Patientinnen und Patien- ten isoliert werden. Neben ans Cle ers in Utrecht studiert auch Steeve Boulant am Deutschen rebsforschungszentrum (D F ) in Heidelberg die Interaktion des Virus mit den menschlichen Darmzellen an Darmorganoiden. Auch Blutgefä organoide wie die aus dem Labor von ose Penninger vom Life Science Institute an der kanadischen University of British Columbia werden direkt von SARS-CoV-2 infiziert. a Go alakris nan vom Institut für Humangenetik in ln unter- sucht zusammen mit Forschenden aus Paris, ln, Münster und Bonn, wie das SARS-CoV-2 neuro- nale ellen in Hirnorganoiden befällt. Neue Allianz entwickelt Organoidinfektionsmodelle „ s ist immer noch unklar, inwiefern SARS-CoV-2 weitere Organsysteme direkt infizieren und schädigen kann oder ob diese Schädigungen indirekt durch das Immunsystem ausgel st werden“, sagt Andreas Hocke. Die Vielfalt der humanen Organoidmodelle biete eine ideale Pla orm für die Infektionsforschung. Das soll in einem neuen bundesweiten Forschungsverbund unter dem Dach des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gef rderten Netzwerks der Universitätsmedizin zur Bekämpfung von COVID- erprobt werden. In der Allianz namens „Or- gano-Strat“ haben sich Partnerinnen und Partner aus neun Standorten zusammengetan, um eine ganze Reihe unterschiedlicher Organoidinfektionsmodelle zu entwickeln. Charit -Forscher Andreas Hocke koordiniert den Verbund. Auch die Würzburger Gruppe von Sina Bartfeld und der D F -Forscher Steeve Boulant sind mit im Boot. Weitere Partnerinnen und Part- ner sind an den Hochschulmedizinstandorten in Würzburg, ena, Heidelberg, Tübingen, Münster, Marburg, Hamburg und Aachen. Auch wenn SARS-CoV-2 im Fokus steht – die gescha enen Or- ganoidmodelle sollen künftig als Pandemieforschungspla orm eingesetzt werden, wenn neue rreger auftreten. „ udem werden wir die Organoidinfektionsmodelle in präklinischen Tests ein- setzen, um potenziell wirksame, antivirale Substanzen zu identifizieren“, sagt Hocke. in weiteres vom BMBF gef rdertes Corona-Forschungsprojekt mit Lungenorganoiden aus iPS- ellen läuft derzeit an der Ruhr-Universität Bochum. Unter dem Projek tel „Organ-Sars“ wollen die Virologin Stephanie Pfänder und der Molekularbiologe T ors en ller mithilfe von Orga- 16
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie noiden ein zuverlässiges Modell für den insatz in Hochdurchsatzanalysen entwickeln. Für die perimente lässt Pfänder das Corona-Virus grün leuchten Dazu wurde das SARS-CoV-2-Genom mit einer Se uenz für das grün uoreszierende Protein ausgestattet. „Mit hochau sender Mi- kroskopie werden wir die Interaktionen zwischen Virus und Organoid und die Mechanismen der Infektion untersuchen“, so Pfänder. Au erdem will das Bochumer Team das Modellsystem für Wirksto ests mit antiviralen Substanzen einsetzen. „Mini-Tumore“ für die individualisierte Krebsmedizin Auch in der rebsforschung spielen die stammzellbasierten D-Modellsysteme eine immer wich- tigere Rolle. An ihren „Mini-Mägen“ untersucht die Würzburger Organoidforscherin ina ar eld z. B. die ntstehung von Magenkrebs. napp die Hälfte aller Magengeschwüre werden durch In- fektionen mit einem von zwei Pathogenen ausgel st Das Bakterium Helicobacter pylori ist für bis zu 0 Prozent der Fälle verantwortlich, das pstein Barr Virus ( BV) für bis zu 0 Prozent. In bei- den Fällen versteht man aber noch nicht, wie die Infektion zur rebsentstehung beiträgt. „Wenn wir die Organoide im Labor e perimentell infizieren, k nnen wir die Wechselwirkung der rreger mit den humanen Wirtszellen simulieren und genauer ergründen.“ In ihren perimenten hat sie beobachtet, dass verschiedene elltypen unterschiedlich auf die Infektion reagieren. Derzeit versucht Bartfelds Team zu enträtseln, ob Helicobacter pylori sich an alle elltypen im Magen anheftet oder ob es eine bestimmte ielzelle gibt. Auch die rebsentste- hung durch BV ist hochinteressant. „Bisher ist gar nicht klar, wie dieser rreger die Schleimhaut- zellen im Magen genau infiziert“, betont Bartfeld. Langfristig m chte sie gerne besser verstehen, warum einige Patientinnen und Patienten an rebs erkranken, während andere gesund bleiben. Organoide bergen zudem interessantes Anwendungspotenzial für die personalisierte Medizin. In diesem onzept wird versucht, anhand der molekularbiologischen Informationen und der klini- schen Situation einer Patientin oder eines Patienten die jeweils beste Therapie zu finden. Bartfeld ist es z. B. gelungen, Organoide nicht nur von gesundem Gewebe, sondern auch von Tumorgewe- be von Patientinnen und Patienten herzustellen, denen der Magen aufgrund einer rebserkran- kung entfernt worden war. „Die perimente haben gezeigt, dass man diese Organoide im Prinzip zu Medikamententests verwenden kann. Andere Gruppen verfolgen jetzt, ob Medikamententests an Organoiden eine gewisse Vorhersagekraft für die Reaktion einer Patientin oder eines Patienten haben k nnten. s besteht die Ho nung, dass in ukunft an solchen patientenspezifischen Tu- mororganoiden getestet werden könnte, welche Medikamente wirksam sind, und welche nicht. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg“, sagt Bartfeld. Gro e Sammlungen von rebsorganoiden machen die riesige und komple e Vielfalt von rebs- erkrankungen für Labore perimente zugänglich. Die Tumororganoide k nnen sogar eingefroren, 17
November 2020 gelagert und bei Bedarf wieder aufgetaut werden, um sie zu vermehren. s entstehen „lebende Biobanken“. in solches gro es Turmororganoidarchiv ist etwa am Hubrecht Organoid Technology (HUB) in den Niederlanden entstanden. Das ellmaterial sowie damit verknüpfte molekularbiolo- gische und klinische Daten stehen der Wissenschaftscommunity frei zur Verfügung. Wie wertvoll diese Tumororganoide für die Wirksto suche und die Präzisionsmedizin tatsächlich sind, muss sich allerdings erst noch erweisen. Dazu wurden bereits zahlreiche klinische Beobachtungsstudi- en gestartet. Mit Henner Farin, der am Frankfurter Georg-Speyer-Haus eine Nachwuchsgruppe im Rahmen des Deutschen onsortiums für Translationale rebsforschung (D T ) leitet, hat neben Sina Bartfeld ein weiterer Schützling aus der niederländischen Organoidschmiede von Hans Clevers den Weg zurück nach Deutschland gefunden. In der Mainmetropole erzeugt Farin Darmtumororganoide und erforscht daran rebsentstehungsmechanismen. „Der klassische Weg, Tumorzellen von Pa- tienten zu isolieren und in ultur zu nehmen, liefert elllinien, die mit dem Originaltumor nicht mehr viel gemeinsam haben“, so Farin. Die individuellen Schwachstellen eines Tumors ermitteln üchte man hingegen Organoide aus dem rebsgewebe, so k nne man den Tumor genetisch sehr stabil nachbilden. „Damit k nnen wir die genetischen Unterschiede zwischen individuellen Tumoren detailliert untersuchen und herausfinden, was das für ihre igenschaften bedeutet.“ ürzlich haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe der molekularen Schere CRISPR Cas in Organoiden gezielt sogenannte Tumorsuppressorgene ausgeschaltet. „Geneti- sche Screens erlauben uns in ukunft, die individuellen Schwachstellen eines Tumors zu identifi- zieren, gegen die sich eine erfolgreiche Therapie richten kann.“, erklärt Farin. in Spezialist für die Herstellung von rebsorganoiden aus Patientengewebe ist der Stammzellfor- scher ai re sc ar. Auch er ist vor urzem aus dem Clevers-Labor in Utrecht nach Deutschland gewechselt und baut seit Anfang 2020 eine Nachwuchsgruppe am Universitätsklinikum Würzburg auf. Als Postdoktorand hat retzschmar daran gefeilt, die Protokolle für die Gewinnung von rebs- Organoiden zu optimieren. So gelingt es immer besser, Teile der sogenannten Mikroumgebung – also den ell-Mi in direkter Nachbarschaft der entarteten ellen – nachzustellen. „ ombiniert man Darmkrebsorganoide in der ulturschale mit Immunzellen, so lässt sich ihre Wechselwirkung gut studieren“, sagt retzschmar. Damit seien neue Modelle für Medikamen- tentests grei ar „An diesen okulturen k nnte man langfristig auch neuartige Immuntherapien auf ihre Wirksamkeit testen.“ Am Mildred-Scheel-Nachwuchszentrum (MSN ) für rebsforschung will sich retzschmar nun dem pithel der Mundschleimhaut widmen und wird mithilfe der Orga- noidtechnologie die ntstehung von opf-Hals- rebs modellieren. 18
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie Neuer Blick auf neurodegenerative Erkrankungen Bahnbrechend sind organoidbasierte rankheitsmodelle für die rforschung von neurodegenera- tiven rkrankungen. Die menschlichen D- ellkulturen bieten ein viel realistischeres Modell als die bisher üblichen Zellkulturrasen in der Petrischale oder Tiermodelle. Das Team um ans c ler vom Ma -Planck-Institut für biomolekulare Medizin studiert an Gehirn- organoiden unter anderem Mechanismen der Parkinson- rkrankung. ulia ade ig am Hector Ins- titute of Translational Brain Research in Mannheim untersucht an den Gehirnmodellen molekulare und zellbiologische Ursachen und therapeutische Angri spunkte bei psychischen rkrankungen wie Autismus und Schizophrenie. udem lassen sich an den ellhäufchen in der Petrischale auch Psychopharmaka erproben. Beate Winner vom Universitätsklinikum rlangen versucht der nt- stehung seltener neuraler rkrankungen an den hirnähnlichen ellkulturmodellen auf die Spur zu kommen. Und am LIF & BRAIN entrum in Bonn untersucht das Forscherteam um li er r s le gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mittels zereb- raler Organoide den Sto wechsel von Arzneimitteln im zentralen Nervensystem ( NS). Zerebrale Organoide dienen dem Team um Benedikt Berninger vom Institut für Physiologische Chemie an der Universität Mainz zudem für die rprobung neuer, vielversprechender Ansätze der Regenerativen Medizin. ine Strategie für den rsatz von verlorengegangenen Nervenzellen im Gehirn ist die direkte Umwandlung von sogenannten Gliazellen. „Wir nutzen die Mini-Gehirne als Pla orm, um die Umprogrammierung von Gliazellen in Nervenzellen zu studieren“, erläutert Berninger. Auch das Team um agdalena G vom Helmholtz entrum München widmet sich mithilfe von Hirnorganoiden intensiv der rforschung dieser Strategie. Die stammzellbasierten D- rankheitsmodelle für die Neuroforschung werden immer komple er und ausgereifter Das Team von ina Gouti am Ma -Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) hat vor urzem ein Verfahren entwickelt, mit dem es äu- erst weit entwickelte und funktionsfähige neuromuskuläre Organoide erzeugen kann. Die aus pluripotenten Stammzellen abgeleiteten Gebilde formten von selbst Nervenzellen, Skelettmus- keln und sogar motorische ndplatten. Das sind die ontaktstellen von Nervenzellen und Muskeln und der bertragungsort für Signale, die zu Bewegungen führen. ur Verblü ung der Forscherin bildeten die selbstorganisierenden ellstrukturen funktionale Netzwerke aus. Und nach 0 Tagen brachten die Motoneuronen in den Organoiden tatsächlich die Muskeln dazu, zu kontrahieren. Für Gouti er net das D- ellkulturmodell ganz neue Ansätze, um rkrankungen zu untersuchen, die zum Absterben von Motoneuronen führen. Dazu zählt die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), eine bisher nicht heilbare rkrankung, die zu Muskelschwäche und Lähmungserscheinungen führt. Aus iPS- ellen von ALS-Patientinnen und -Patienten wird das Team um Gouti nun neuro- muskuläre Organoide züchten. Sie nen ein neues Fenster, um bereits den Beginn der rankheit in der Petrischale zu beobachten und die Wirkung von Arzneien zu erproben. 19
November 2020 Wegbereiter für eine personalisierte Medizin: Von Testsystemen, Wirkstoffsuchen und regenerativen Therapien Als Modelle für menschliche rankheitsprozesse sind Organoide inzwischen zu äu erst gefragten Werkzeugen für die medizinische Translation geworden, also die berführung von innovativen Ansätzen aus dem Labor in die klinische Pra is. Als Stellvertreter im Labor k nnen die stecknadelkopfgro en ellhäufchen – so die Ho nung – auf Medikamente genauso oder ähnlich reagieren wie das echte Organ im menschlichen rper. Das gro e Plus Dank moderner Stammzelltechnologien lassen sich von jeder Patientin und jedem Patienten individuelle rankheitsmodelle herstellen. So er nen sich neue M glichkeiten für die Pharmaforschung. An den 3D-Gewebemodellen lassen sich Substanzen testen und auf ihre Wirk- samkeit erproben. Sie ebnen den Weg für eine personalisierte Medizin. ision u an on a C i ber Mikrokanäle auf einem Chip lassen sich immer mehr Mini-Organsysteme miteinander verknüpfen. Die Multi-Organ-Chips eignen sich für Wirksto ests in der Pharmaindustrie. Testsysteme für die Pharmaforschung In einem bestimmten Fall haben organoidgestützte Medikamententests sogar schon inzug in die klinische Routine gehalten bei Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose. Die auch Cystische Fibrose genannte Sto wechselerkrankung tritt auf, weil vor allem in der Lunge, aber auch in der Bauchspeicheldrüse oder im Darm ein genetisch veränderter Membrankanal den Wasser- und Salzhaushalt der pithelzellen nicht richtig reguliert und deshalb zäh üssige Sekrete entstehen. Die Fehlfunktion des Transportkanals kann auf eine gro e Bandbreite unterschiedlicher und teils seltener Genmutationen zurückgehen, weshalb sich der rfolg einer Medikamentenbehandlung bisher oft nicht vorhersagen lie . 20
White Paper | Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie Wie ein Team holländischer inderärztinnen und -ärzte in ooperation mit dem Labor von Hans Cle ers jedoch gezeigt hat, kann der Therapieerfolg recht sicher abgeschätzt werden, wenn man die Medikamente an patientenspezifischen Organoidkulturen aus der nddarmschleimhaut tes- tet. „Seit vergangenem ahr bezahlen die niederländischen rankenversicherungen die individua- lisierte Organoiddiagnostik“, berichtet Clevers. Denn die Gewebetests erm glichen einen gezielte- ren insatz der teuren Mukoviszidose-Medikamente. „Für Mukoviszidose sind Organoide bereits ein integraler Bestandteil des niederländischen Gesundheitssystems geworden“, so Clevers. Innovative Ansätze für die Testung und das Screening neuer Wirksto e auf der Basis von D- ell- kulturen sind bereits in den Fokus von medizinischen Translationszentren in Deutschland gerückt. Dazu zählt das Hector Institute for Translational Brain Research (HITBR), eine gemeinsame in- richtung des entralinstituts für Seelische Gesundheit ( I) in Mannheim und des D F in Heidel- berg. Das iel des HITBR-Teams neue therapeutische Angri spunkte für schwere psychiatrische St rungen identifizieren und für die ntwicklung neuer Psychopharmaka validieren. In München-Planegg beschäftigt sich das Translationsunternehmen ISAR Bioscience GmbH mit Stammzell- und Organoidtechnologien für das Wirksto screening. Und in sterreich hat sich im ahr 20 das Biotechnologieunternehmen a head als Spin-o des IMBA ausgegründet. s will zerebrale Organoide als Pla orm für die Wirksto suche für neue Therapien zur Behandlung von Gehirnerkrankungen etablieren. Auch im Fall von Tumororganoiden wird das gro e diagnostische Potenzial der D- ellkulturen zunehmend in der Gesundheitswirtschaft genutzt. Beispielsweise durch die dänisch-deutsche Fir- ma 2cure . Sie setzt auf Tumoroide von Patientinnen und Patienten, um damit rebsmedikamen- te vorab auf ihre Wirkung zu testen. So lässt sich herausfinden, auf welche Medikamente oder welche ombination von Wirksto en der Tumor am besten ansprechen dürfte. Solche In-vitro- Tests sollen Arztentscheidungen auf eine bessere Basis stellen, Nebenwirkungen reduzieren und schneller zum Therapieerfolg beitragen. Mit Organ-on-a-Chip-Technologie mehr Kontrolle gewinnen Sollten sich Organoide als Arzneimitteltestsysteme auszeichnen, k nnten sie künftig eine Art Vor- stufe zu den gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuchen darstellen Nur diejenigen Wirksto e, die sich im Organoid bewähren, würden tatsächlich im Tierversuch geprüft werden. Das allein würde die Anzahl der perimente an Ratten und Mäusen drastisch reduzieren. Für den insatz in Tests müssen die lebenden D- ellkultursysteme jedoch noch robuster und einheitlicher werden, damit man sie untereinander besser vergleichen kann. Viele Teams tüfteln bereits an der Organoidtechnologie der nächsten Generation. twa indem sie Stammzelltechno- logien mit Organ-on-a-Chip-Ansätzen verknüpfen. Dafür werden Organoide auf kleinen Objekt- 21
Sie können auch lesen