Feiern 2019 sehen-und-handeln .ch - Sehen und Handeln

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feiern 2019
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Inhaltsverzeichnis

3        Editorial                                                         Die Ökumenische Kampagne –
4        Ökumenischer Familiengottesdienst
                                                                           gelebte Solidarität
7        Ökumenischer Gottesdienst
                                                                          Fastenopfer (katholisch) und Brot für alle (reformiert)
10       Jugendgottesdienst 		                                            führen dieses Jahr zum 50. Mal die Ökumenische
                                                                          Kampagne in den sechs Wochen vor Ostern durch.
12       Versöhnungsfeier                                                 Seit 1994 beteiligt sich auch Partner sein, das Hilfs-
                                                                          werk der christkatholischen Landeskirche. Das Ziel
14       Hinführung Hungertuch
                                                                          der Ökumenischen Kampagne ist es heute – wie vor
                                                                          50 Jahren –, die breite Öffentlichkeit zu sensibilisieren
Predigtanregungen:                                                        und auf die Ungerechtigkeiten aufmerksam zu ma-
                                                                          chen, die dazu führen, dass 800 Millionen Menschen
16       zum Hungertuch
                                                                          in Hunger und Armut leben müssen.
17       zu Spr 31,10–32
                                                                          Nicht das Wissen um diese Ungerechtigkeiten verän-
18       zu Mt 1,1–31                                                     dert die Welt, aber unser Handeln. Erst durch einen
                                                                          grundsätzlichen Wandel, den wir alle miteinander an-
19       zu Joh 20,1–18                                                   gehen müssen, gestalten wir eine bessere Welt. Sei
20       zum Gründonnerstag                                               es, dass wir das eigene Konsumverhalten verändern,
                                                                          Projekte für Menschen im globalen Süden mit einer
21       zur Konzernverantwortungsinitiative                              Spende unterstützen oder an einer Aktion mithelfen –
                                                                          das macht die Ökumenische Kampagne zum Inbe-
22       Gebete                                                           griff der gelebten Solidarität.

23       Weitere Angebote                                                 www.sehen-und-handeln.ch

                                                                          Ökumenische Kampagne 2019:
                                                                          Aschermittwoch, 6. März, bis Ostersonntag,
                                                                          21. April 2019

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Impressum
Werkheft feiern 2019

Redaktion       Rita Gemperle, Jan Tschannen
Mitarbeit       Siegfried Arends, Andreas Baumeister, Fabio Carrisi,
                Marie Cénec, Salome Eisenmann, Ulrike Henkenmeier,
                Noemi Honegger, Judith von Rotz, Nassouh Toutoungi,
                Rolf Zaugg, Michaela Zurfluh
Lektorat        Mirjam Weiss und Franziska Landolt
Gestaltung      ComMix AG, Kehrsatz/Bern
Druck           Stämpfli AG, Bern
Papier          Cyclus Offset, 100 % Recyclingpapier

© Brot für alle, Bern/Fastenopfer, Luzern, Herbst 2018

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Editorial

Liebe Gottesdienst-                              genommen. Palmöl aus grossen Plan-               sie und Kreativität. In dieser Kampagne
verantwortliche                                  tagen ist nicht mehr selbstverständlich.         richten wir den Blick vor allem auf die
                                                 Die 50-er Suppe, die im ökumenischen             Frauen. Wenn es darum geht, dem gu-
Gemeinsam mit Ihnen und vielen ande-             Gottesdienst (S. 7–9) gekocht wird, er-          ten Leben auf die Sprünge zu helfen,
ren in den Pfarreien und Kirchgemein-            innert auf kreative Art an die Inhalte           können Frauen besonders erfinderisch
den engagieren sich Fastenopfer und              und Erfolge der 50-jährigen Zusam-               und ausdauernd sein. Ihre Geschichten
Brot für alle in Zusammenarbeit mit              menarbeit. Sie hält den Appetit nach             finden wir – oft etwas versteckt – in der
Partner sein für eine gerechtere Welt.           Gerechtigkeit wach. Nach einer Welt,             Bibel, bei unseren Partnerinnen und
Und dies seit 50 Jahren! Einiges konnte          in der alle Menschen Leben in Fülle              Partnern im Weltsüden oder auch im
in dieser Zeit erreicht werden: Der Faire        erfahren.                                        Nachbardorf. Einige dieser Geschich-
Handel ist nicht mehr wegzudenken.               Um diese Welt zu schaffen, braucht es            ten wollen wir im vorliegenden Heft er-
Elektronikfirmen werden in die Pflicht           Beharrlichkeit und Engagement, Fanta-            zählen.

                                                 Jan Tschannen                                    Rita Gemperle
                                                 Bildung und Theologie                            Sensibilisierung und Pastoral
                                                 Brot für alle                                    Fastenopfer

v.l.n.r. Salome Eisenmann, Jan Tschannen, Ulrike Henkenmeier, Fabio Carrisi, Rita Gemperle, Rolf Zaugg,
Michaela Zurfluh, Andreas Baumeister, Siegfried Arends. Auf dem Bild fehlen: Judith von Rotz, Noemi Honegger
                                                                                                                                         3
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Ökumenischer Familiengottesdienst

    Was geht
    mich das an?

Rolf Zaugg		                                                 Einleitung
Reformierter Pfarrer, Brugg                                  Was geht mich das an? – Diese Frage stelle ich, wenn von
                                                             kleinen oder grossen Katastrophen in der Welt berichtet
Rita Gemperle                                                wird. Was geht es mich an, wenn der Wasserspiegel rund
Fastenopfer                                                  um die pazifischen Inseln immer weiter steigt? Was geht es
                                                             mich an, wenn in Afrika die Menschenrechte mit Füssen
Beharrlichkeit, der Wille zum Helfen und der Einsatz         getreten werden? Was geht es mich an, wenn mein Klas-
für Gerechtigkeit können die Welt verändern. Das             sengspändli immer wieder ausgelacht wird?
zeigt uns die Erzählung der hartnäckigen Witwe (Lk           «Was geht mich das an?» Diese Frage hat noch eine grössere
18,2ff.). «Es geht uns etwas an – kommt, wir wollen          Schwester. Sie heisst: «Da kann man ja doch nichts machen!»
etwas tun!» heisst die Lösung.                               Diese beiden Sätze verführen uns dazu, Unrecht gleichgültig
                                                             hinzunehmen. Heute wollen wir uns nicht mit diesen beiden
Den vollständigen Gottesdienst finden Sie unter              mutlosen Sätzen begnügen. Wir suchen neue und mutige
www.sehen-und-handeln.ch/feiern                              Sätze.

Vorbereitungen                                               Lied
Für die Symbolhandlung braucht es 1 Schale rohe Kartof-      Rise up plus 060, Meine engen Grenzen oder
feln, 1 Schale Rosinen, 1 Schale mit Wasser und Frühlings-   KG 184/RG 832/CG 879, Manchmal kennen wir Gottes
blumen                                                       Willen

Liturgischer Gruss                                           Kyrie mit Zwischenrufen
Im Namen Gottes, Schöpfer des Lebens:                        «Was geht mich das an?» und «Da kann man ja doch nichts
Quelle, die belebt                                           machen!» halten uns davon ab, etwas zu tun. Doch in un-
Im Namen Jesu Christi:                                       serm Herzen wissen wir: «Es geht mich etwas an!» Und:
Wahrheit, die befreit                                        «Ich möchte etwas tun!»
Im Namen des Heiligen Geistes:                               Die Kinder hier im Gottesdienst haben es schon gemerkt:
Kraft, die erneuert.

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Ökumenischer Familiengottesdienst

Es geht uns etwas an! Wir wollen etwas tun! Das dürft ihr     ne grosse Ölmühle. Sie war schon letztes Jahr defekt. Aber
nun auch rufen. Ihr schliesst jede Strophe unseres Gebetes    er hat nichts repariert. Und heute Abend ist es geschehen.
ab, indem ihr so laut wie möglich ruft: «Es geht uns etwas    Der alte Balken ist gebrochen, heruntergefallen und hat
an!» Und ihr dürft auch gleich uns Erwachsene einladen:       deinen Mann erschlagen. Gott hat ihn zu sich genommen.»
«Kommt, wir wollen etwas tun!»                                Noemi und ihre beiden Kinder waren sehr traurig, und es
                                                              begann für sie eine schwere Zeit. Die Beerdigung musste
Wir überlegen vor Gott, was uns etwas angeht:                 organisiert und bezahlt werden. Womit sollte Noemi jetzt
Kinder werden ausgelacht und geplagt – auch auf unserem       das Essen bezahlen? Und womit das Holz zum Feuern?
Schulhausplatz.                                               Noemi ging zu Obed. War der nicht eigentlich schuld am
«Es geht uns etwas an! Kommt, wir wollen etwas tun!»          Tod ihres Mannes? Aber Obed wollte nichts bezahlen. Er
                                                              fand, dass Noemis Mann selber schuld gewesen sei. Er
Manche Jugendliche kommen nicht zurecht mit der Schule        hätte einfach besser aufpassen müssen. Er sagte: «Dein
und finden nicht die Hilfe, die sie brauchen.                 Mann ist tot, da kann man nichts mehr tun. Es tut mir leid,
                                                              Gott hat es so bestimmt.»
Frauen tragen in vielen Haushalten immer noch die Haupt-      Noemi ging nach Hause und beriet sich mit ihren Eltern.
last und haben entscheidende Rollen im Hintergrund, er-       Aber auch von ihnen erhielt Noemi keine Unterstützung.
halten aber dafür kaum Anerkennung.                           Sie meinten: «Da kann man nichts machen. Gott hat es so
                                                              bestimmt. Such dir einen neuen Mann, der sich um dich
Manche unserer Kleider werden von Kindern zusammen-           und die Kinder kümmert.» Noemi protestierte: «Das kann
genäht, die nicht zur Schule gehen können, weil sie arbei-    doch nicht sein! Ich will keinen neuen Mann, ich will Ge-
ten müssen.                                                   rechtigkeit!»
                                                              Am nächsten Tag ging Noemi in aller Frühe zum Markt-
Arbeiterinnen und Arbeiter werden krank, weil sie gezwun-     platz, wo der Richter Jonathan seinen Beruf ausübte. Sie
gen sind, mit giftigen Chemikalien zu arbeiten.               wollte die Erste sein. Sie berichtete ihm von ihrer Not und
                                                              vom reichen Obed, der nicht zahlen wollte. «Was willst du
Menschen werden von ihrem Land vertrieben, weil auf ih-       hier?», fuhr sie der Richter an. «Du kommst hierher wie ein
rem Land Rohstoffe für unsere Handys abgebaut werden.         Mann und willst, dass ich Recht spreche für dich? Das
                                                              steht dir als Frau nicht zu! Geh nach Hause und versorge
Biblische Geschichte                                          deine Kinder!»
Es geht mich etwas an! Wir wollen etwas tun! – Aber was       Die Marktfrauen waren gerade dabei, ihre Stände aufzu-
denn? Ist es nicht oft so, dass man wirklich nichts tun       bauen. Als sie hörten, was der Richter zu Noemi gesagt
kann? Und gibt es nicht auch Dinge, die mich nichts ange-     hatte, bekamen sie Mitleid mit ihr und waren sich einig:
hen?                                                          «Das ist nicht recht! Der reiche Obed muss doch zahlen.
Jesus hat dazu eine Geschichte erzählt. Sie steht im 18.      Aber da ist halt nichts zu machen, eine Frau hat vor Gericht
Kapitel des Lukasevangeliums (Lk 18,2ff.). Ich erzähle        nichts zu suchen. So sind die Regeln.»
euch, wie sich diese Geschichte zugetragen haben könnte.      Die Marktfrauen steckten Noemi verdeckt etwas Gemüse,
                                                              ein wenig Getreide und eine Handvoll Rosinen zu. Aber sie
In einer kleinen Stadt in Judäa war Jonathan Richter. Wenn    wagten nicht, Noemi offen zu unterstützen.
zwei Menschen Streit miteinander hatten, kamen sie zu Jo-     Am nächsten Morgen geschah etwas Überraschendes.
nathan. Er hörte sich an, was die beiden zu sagen hatten,     Noemi kam wieder zu Jonathan und verlangte von ihm:
und dann entschied er. Niemand wagte, sein Urteil infrage     «Du kennst meinen Fall. Verschaffe mir Recht und zwinge
zu stellen. Die Leute sagten: «Er lässt sich weder von Men-   Obed zu zahlen!» Jonathan fluchte und schimpfte so laut,
schen noch von Gott beeindrucken.»                            dass man es im hintersten Winkel der Stadt hörte. «Willst
In dieser Stadt lebte auch Noemi. Sie war verheiratet und     du mich für dumm verkaufen? Oder willst du mich lächer-
hatte zwei Kinder. Ihr Mann arbeitete beim Bauern Obed.       lich machen?» Noemi ging über den Markt nach Hause zu-
Der Lohn reichte grad so knapp für das Leben der Familie.     rück. Diesmal wurde ihr nichts zugesteckt. Alle hatten
Eines Abends kam Noemis Mann nach der Arbeit nicht            Angst, den Richter Jonathan noch mehr zu verärgern.
nach Hause. Sie machte sich Sorgen.                           Ein paar Marktfrauen brachten ihr später etwas Essen
Spät in der Nacht klopfte es an der Tür. Draussen stand ein   nach Hause. «Noemi, bitte lass das, da kann man nichts
Arbeitskollege ihres Mannes. Er berichtete: «Noemi, es ist    tun», sagten sie zu ihr. Aber auch am nächsten Morgen er-
schrecklich. Wir haben heute Oliven gepresst, um Öl zu        schien Noemi auf dem Markt. Wieder wurde sie vom Rich-
machen. Du weisst doch, auf dem Hof von Obed hat es ei-       ter Jonathan mit lautem Fluchen weggejagt. Das Gleiche

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Ökumenischer Familiengottesdienst

geschah auch in den folgenden Tagen und Wochen.                  Hilfe der Marktfrauen hätte Noemi die lange Zeit nicht
Einige Leute machten sich lustig über Noemi. Andere fan-         überlebt, bis sie endlich Recht bekommen hat.
den es ungerecht, dass der reiche Bauer Obed seine Ver-          Nehmt den Korb mit den Rosinen und gebt denen davon
antwortung nicht wahrnahm. Die Marktfrauen hatten Mit-           zu essen, die ihr daran erinnern wollt, dass Hilfe und Soli-
leid mit Noemi und steckten ihr weiterhin Gemüse und             darität in der Not überlebenswichtig sind.
Früchte zu. Aber sie waren überzeugt, dass man sonst
nichts für Noemi tun könne.                                      Die Blümchen hier in der Schale stehen für das Recht. Die
Mit der Zeit kam der Richter Jonathan trotzdem ins Grü-          Blüten sind ganz leicht und weich. Sie sind biegsam und
beln. Vielleicht schlief er schlechter, vielleicht spürte er     passen sich bei Berührung der Haut an. Wie die Blüm-
auch die abschätzigen Blicke der Marktfrauen. «Eigentlich        chen, so ist auch das Recht verletzlich.
hat die Frau ja recht», begann er zu überlegen. «Aber ich        Nehmt die Schale mit den Blümchen und gebt all denen ei-
kann nichts tun. Eine Frau vor Gericht, das ist ja lächerlich.   nes, die ihr daran erinnern wollt, dass das Recht verletzlich
Da werde ich als Richter zum Gespött im ganzen Land.             ist und dass es auf der Seite der Verletzlichen stehen soll.
Gott hat bestimmt, dass Frauen vor Gericht nichts zu su-
chen haben.» Jonathan grübelte weiter: «Ist das wirklich         Gegenstände von den Kindern verteilen lassen. Dazu Musik
so? Will Gott, dass Noemi nicht recht bekommt, nur weil
sie eine Frau ist?»                                              Fürbitten mit Lied
                                                                 Rise up plus 274, Danos un corazon oder
Fortsetzung der Geschichte siehe Webversion                      KG 418/RG 813/CG 886, Ubi Caritas

Lied                                                             Beharrlichkeit, der Wille zum Helfen und der Einsatz für Ge-
Rise up plus 091/KG 218/RG 321/CG 445,                           rechtigkeit können die Welt verändern. Wie die Witwe dem
Aus vielen Körnern                                               Richter, so wollen wir mit unseren Bitten Gott in den Ohren
                                                                 liegen:
Symbolhandlung und Vertiefung
Vorne in der Kirche stehen drei Schalen bereit mit:              Wir bitten dich für alle, die Unrecht erfahren. Schenk ihnen
• Kartoffeln als Zeichen für Beharrlichkeit                     die nötige Kraft, sich zu wehren und beharrlich für ihre
• Rosinen als Zeichen für den Willen zu helfen                  Rechte einzustehen.
• Blümchen als Zeichen für das verletzliche Recht
Kinder nach vorne bitten.                                        Wir bitten dich für die Menschen, die sich mutig auf die
                                                                 Seite der Rechtlosen stellen, weil sie wissen: Es geht mich
Die Geschichte von Noemi und dem Richter Jonathan                etwas an. Zeige ihnen Wege, wie sie helfen können.
zeigt, dass Gott nicht will, dass Unrecht geschieht. Er steht
auf der Seite von Noemi, und er bringt den Richter Jonat-        Wir bitten dich für Frauen und Männer, die über Recht und
han dazu, nachzudenken.                                          Unrecht entscheiden. Hilf ihnen, Ungerechtigkeiten zu be-
Es braucht drei Dinge, damit Noemi zu ihrem Recht kommt          nennen, auch wenn das geltende Recht Menschen be-
und die Geschichte gut ausgeht.                                  nachteiligt.

Erstens braucht es Beharrlichkeit. Noemi hat beharrlich um       Wir bitten dich für uns selber. Schenke uns den Mut, die
ihr Recht gestritten. Für die Beharrlichkeit steht hier die      Not zu sehen, zu benennen und zu beseitigen. Denn wir
Kartoffel. Sie ist ganz langsam gewachsen, unsichtbar in         wissen: Es geht mich an. Wir können etwas tun.
der Erde. Eine Kartoffel kann man auch nicht einfach es-
sen. Sie ist hart, man muss sie zuerst kochen, erst dann         Unser Vater
wird sie geniessbar. Eine Kartoffel braucht Geduld und Be-
harrlichkeit. Geduld von der Bäuerin, die ihr Zeit lässt zum     Lied
Wachsen, aber auch von jenen, die sie essen wollen und           Rise up plus 170/KG 229/RG 835/CG 896, Gib uns Weisheit
die Kartoffeln zuerst kochen und zubereiten.
Nun nehmt den Korb mit den Kartoffeln und gebt allen eine        Segen
Kartoffel, denen ihr Beharrlichkeit mitgeben wollt.              Der lebendige Gott segne uns.
                                                                 Er schütze den Funken aufglühenden Mutes.
Die süssen Rosinen hier stehen für den Willen zu helfen,         Er stärke unsere Bereitschaft zum Handeln
wie die Marktfrauen es getan haben. Ohne die spontane            und lasse uns zu einem Segen für andere werden.

6
Ökumenischer Gottesdienst

1973                 1984                   1989          1990                1992                  1994

1997                 2001                   2009          2013                 2015                 2017

Zu Gast bei Maria und Martha
Siegfried Arends                                          Eingangswort
Reformierter Pfarrer, Laufen am Rheinfall                 «Besser ein Gemüsegericht mit Liebe als ein gemästetes
                                                          Rind mit Hass.» (Spr 15,17)
Ulrike Henkenmeier
Christkatholische Pfarrerin, Hellikon                     Lied
                                                          RG 841/KG 575/CG 909, Gott gab uns Atem
Im Gottesdienst wird eine symbolische oder echte
Suppe gekocht, in der die Zutaten der vergangenen         Gebet
50 Jahre Ökumenische Kampagne enthalten sind.             Guter Gott,
Diese «Solidaritätssuppe» wird verbunden mit der          so vieles bleibt uns unverständlich und unbegreiflich
Geschichte von Martha und Maria (Lk 10,38 ff), in der     Wir haben zu essen
es um die Verbindung von Hören und Tun, Glauben           und viele haben nichts
und Handeln geht.                                         Wir haben einen reich gedeckten Tisch
                                                          und so viele nicht einmal ein Stück Brot
Den vollständigen Gottesdienst finden Sie unter           Wir haben ein Zuhause
www.sehen-und-handeln.ch/feiern                           und so viele leiden unter Hitze und Kälte
                                                          Wir sitzen zusammen
Vorbereitungen                                            und viele sind allein
Für die 50er-Suppe braucht es einen grossen, sichtbaren   Wir greifen die Fülle des Lebens
Topf mit symbolischem Feuer oder mit einem Platten-       und so viele greifen ins Nichts
rechaud, Schürzen und folgende Zutaten: Wasser, Gemü-     Tief in uns schreit es:
se, Linsen, Kräuter und Gewürze.                          Sei du, was du versprochen hast
                                                          ein Gott, der da ist
                                                          ein Vater, der für alle sorgt
                                                          eine Mutter, die alle nährt
                                                          ein Haus, in dem alle geborgen sind.
                                                                                                                  7
Ökumenischer Gottesdienst

Die 50er-Suppe                                                 Das Fleisch in der Suppe fällt aus. Denn der Fleischkon-
In einem möglichst grossen Topf wird eine symbolische          sum, daran erinnerte die Kampagne 2015, ist fatal fürs Kli-
oder reale Suppe gekocht. Zwei oder mehrere Personen           ma und sorgt für leere Teller der anderen (Plakatmotiv
fügen unterschiedliche «Zutaten», die für die grossen The-     2015, «Weniger für uns, genug für alle»). Dafür gibt es Lin-
men aus den vergangenen 50 Jahren stehen, hinzu.               sen, natürlich fair gehandelt (Linsen zum Topf). Keine Ge-
                                                               rechtigkeit ohne Fairen Handel (Plakatmotiv 1997: «Fair
Variante A: Die Zutaten werden neben den Topf gestellt         handeln»).
und bleiben sichtbar.
                                                               Für den nötigen Geschmack sorgen die Kräuter: Sie ste-
Variante B: Die Suppe wird tatsächlich in einer Pfanne auf     hen für die Bewahrung der Schöpfung, den Schutz der be-
einem Plattenrechaud sichtbar für alle gekocht.                drohten Natur (Kräuter zum Topf). «Die Zeit drängt», hiess
                                                               es schon in den 80er-Jahren (Plakatmotiv 1989). Durch den
Parallel zum folgenden Dialog werden die entsprechenden        Klimawandel und seine Auswirkungen besonders im Welt-
Plakatmotive aus früheren Kampagnen projiziert.                süden ist dieses Problem noch drängender geworden:
                                                               «Weil das Recht auf Nahrung ein gutes Klima braucht» (Pla-
Eine PowerPoint-Präsentation mit Plakatmotiven steht auf       kat 2009).
der Website zum Download bereit.
                                                               Mit Pfeffer und Chili erhält die Suppe ihre Würze (Pfeffer
Seit 50 Jahren engagieren sich Menschen im Rahmen der          und Chili). Besonders pikant wird es immer dann, wenn es
Ökumenischen Kampagne für eine bessere Welt. An vielen         ums Geld geht. Zum Beispiel wenn «Geld und Geist» zu-
Orten kochen sie eine Suppe, die nach Gerechtigkeit            sammenkommen (Plakat 1984). Oder wenn wie in 2001 die
schmeckt. Was braucht es dafür eigentlich?                     Forderung erklingt: «Neue Noten braucht das Land» (Plakat
Eine gerechte Welt kann nur durch den gemeinsamen Ein-         2001) oder wenn es heisst: «Geld gewonnen, Land zerron-
satz von Männern und Frauen entstehen (beteiligte Frauen       nen» (Plakat 2017).
und Männer ziehen Schürzen an). Dass Frauen einen ent-
scheidenden Beitrag im Kampf gegen Hunger und Armut            Die Solidaritätssuppe entsteht in Gemeinschaft. Wir möch-
leisten, darauf haben frühere Kampagnen hingewiesen            ten nicht jede und jeder unser eigenes Süppchen kochen,
(Plakatmotive 1994 und 2012 projizieren). An die Rolle der     gemeinsam wollen wir das Salz in der Suppe dieser Welt
Frauen, die gemeinsam mit Männern für den notwendigen          sein (Salz zum Topf).
Wandel sorgen, erinnert auch die diesjährige Kampagne          Seit 50 Jahren kochen wir an der Suppe für eine gerechte
(Plakatmotiv 2019).                                            Welt. Hat sie irgendjemanden satt gemacht? Wurde etwas
                                                               erreicht? Vieles wurde erreicht: Der Faire Handel ist nicht
«Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtig-        mehr wegzudenken. Fair produzierte Kleidung gibt es in
keit wie ein nie versiegender Bach», heisst es bei den Pro-    vielen Läden. Elektronikfirmen werden in die Pflicht ge-
pheten der Bibel (Am 5,24). Die Grundlage für jede Kampa-      nommen, da zahlreiche Rohstoffe der Elektroindustrie von
gnensuppe ist das Wasser der Gerechtigkeit. Sie ist die        Kindern in Minen unter Tage abgebaut werden. Palmöl aus
Basis für unser Gericht (grossen Krug mit Wasser zum           grossen Monokulturen wird von Konsumentinnen und Kon-
oder in den Topf). «Gerechtigkeit für alle» hiess das Motto    sumenten hinterfragt. Viele kleine Schritte, die dazu beitra-
bereits Anfang der 70er-Jahre (Plakatmotiv von 1973 proji-     gen, dass die Armut auf der Welt in den vergangenen 50
zieren). Oder: «Gerechtigkeit befreit», zwanzig Jahre später   Jahren verringert wurde. Vor allem aber hält die Ökumeni-
(Plakatmotiv 1990).                                            sche Kampagne den Appetit auf Gerechtigkeit wach: den
                                                               Hunger nach einer Welt, in der alle Menschen Leben in Fül-
Für eine nahrhafte Suppe brauchen wir Früchte der Erde,        le haben. Den himmlischen Geschmack dieser Suppe wol-
Gemüse wie Kartoffeln, Rüebli und dergleichen (Gemüse          len wir auch in Zukunft nicht missen. Wir werden nicht satt,
zum Topf). Sie stehen für das Land, auf dem die Nahrung        uns dafür einzusetzen!
wächst. Keine Gerechtigkeit ohne eine faire Verteilung von
Land. Der Zugang zu Land war schon in den 90er-Jahren          Musik
ein wichtiges Thema: «Land in Sicht» (Plakatmotiv von 1992).
Der Kampf gegen Land Grabbing bleibt bis heute aktuell:        Lesung
siehe die Kampagne «Ohne Land kein Brot» von 2013 (Pla-        Lukas 10,38–42 (Maria und Martha)
katmotiv 2013).

8
Ökumenischer Gottesdienst

Aktualisierende Nacherzählung: Martha und Maria                 beiten: Es geht um zwei Facetten des Glaubens, und es
beim Suppentag                                                  gibt eine Zeit für beides. Die beiden Schwestern wohnen
Die Kirchgemeinde von Bethanien war weit über die Ge-           unter einem Dach. Nicht nur ihre Namen gleichen einander,
meindegrenzen hinaus als besonders aktiv bekannt. Zu            sondern sie gehören zusammen.
verdanken war dies, darin waren sich alle einig, nicht zu-      Der mittelalterliche Mystiker und Theologe Meister Eckhart
letzt dem engagierten Geschwisterpaar Martha und Maria.         stellt unser Evangelium überraschend vom Kopf auf die
Ohne die Schwestern lief praktisch nichts, weshalb die bei-     Füs­se. Er liest den Vergleich von Maria und Martha gegen
den mit einer Mischung aus Bewunderung und leiser Ironie        den Strich der landläufigen Auslegung und sagt: «Bewuss-
von vielen auch als M&M bezeichnet wurden.                      tes Wirken nenne ich das, wo man lebendige Wahrheit mit
                                                                fröhlicher Gegenwärtigkeit in guten Werken verbindet. Wer
Fortsetzung der Erzählung siehe Webversion                      in fröhlicher Gegenwart gute Werke vollbringt, da bringen
                                                                uns diese Werke ebenso nahe zu Gott und sind uns ge-
Auslegung zu Lukas 10,38–42                                     nauso förderlich wie alles verzückte Schwelgen Marias.»
Maria und Martha – die eine, die kocht und tut und in der       In der Ökumenischen Kampagne, im Einsatz für eine ge-
Küche herumwirbelt, die andere, die zu Füssen Jesu sitzt        rechte Welt, kommt beides zusammen: Engagement, das
und seinem Reden zuhört. Gastfreundschaft ist Martha            sich aus dem Glauben nährt. Glaube, der aktiv wird. Maria
heilig, doch irgendwann wird ihr die ungleiche Aufteilung       und Martha finden zueinander. Das war so zu Beginn der
dann doch zu viel. Wie gekränkt und ermüdet muss sie            Ökumenischen Kampagne, vor 50 Jahren. Das bleibt so,
sein, wenn sie Jesus fragt, doch bitte Partei für sie zu er-    solange Menschen glauben und handeln.
greifen. Jesus mischt sich ein, aber dann doch nicht so,
wie Martha es sich erhoffte. Maria, sagt er, habe den bes-      Musik
seren Teil gewählt.
Hier droht der Konflikt zu eskalieren. Erst stellt Martha Ma-   Fürbitten + Unser Vater
ria bloss, dann umgekehrt Jesus Martha. Es gibt wenige
Texte des Evangeliums, die dermassen provozieren. Vor al-       Kollekte
lem Frauen, die im Hintergrund den Haushalt aufrechter-         In Anlehnung an das 50-Jahr-Jubiläum kann angeregt wer-
halten und viel Schattenarbeit ungesehen verrichten, är-        den, eine 50-er Note zu spenden.
gern sich über diesen Text.
Die Spannung zwischen Hören und Tun, zwischen Inspira-          Lied
tion und Aktion spielt auch im kirchlichen Handeln für eine     RG 795/KG 509/CG 822, Sonne der Gerechtigkeit
gerechte Welt immer wieder eine Rolle. Der Schwestern-
konflikt hat ein Echo in vielen Kirchgemeinden – vielleicht     Segen
so, wie in der aktualisierenden Nacherzählung von Martha        Gott segne euch
und Maria beim Suppentag (siehe oben): Auf der einen Sei-       mit allem, was dem Leben dient.
te stehen die Aktivistinnen und Macher, die mit konkreten       Gott lasse die Gerechtigkeit strömen wie Wasser,
Projekten oder politischen Aktionen etwas bewirken wol-         mächtig und stark.
len. Eben mal die Welt retten. Auf der anderen Seite dieje-     Gott gebe euch einen langen Atem
nigen, die finden, dass es doch vor allem um das Hören          und lenke euren Schritt auf den Weg des Friedens.
auf die gute Botschaft und um den Glauben geht. In ihrer
Einseitigkeit haben beide Haltungen ihre Beschränkung.
Während die Macherinnen und Aktivisten irgendwann er-
schöpft oder resigniert aufgeben, findet manch ein «From-
mer» vor lauter Zuhören mitunter gar nicht bis zum Tun.
Was zusammengehört, fällt auseinander. Und manchmal
stehen die beiden Parteien einander auch in der Kirche
feindlich gegenüber: Die sozial Engagierten hier und die
Hüter und Hüterinnen der Tradition dort.
Die hörende und lernende Maria und die handelnde
Martha – im Lukas-Evangelium verkörpern sie zwei Haltun-
gen, die in Wirklichkeit nicht ohne einander sein können.
Hören und Tun, Aktion und Kontemplation, Beten und Ar-

                                                                                                                        9
Jugendgottesdienst

     Herz Schritt Macher

Michaela Zurfluh				                                         weisst, was kommt, vertraust du darauf, dass es geht. Im
Pastoralassistentin, Kriens                                  ersten Moment erscheint dir das vor dir liegende Hindernis
                                                             vielleicht wie eine unüberwindbare Felswand. Du kommst dir
Fabio Carrisi                                                gegenüber dem riesigen Felsen mikroskopisch klein vor. Un-
Reformierter Pfarrer, Nidau                                  mut und Trägheit lähmen deinen Kopf und Körper.

Ganz verschiedene Menschen setzen sich für eine              Die Aufforderung Jesu an die Jünger und Jüngerinnen in
bessere Welt ein. Ihre Biografien inspirieren, und im        Mk 11,22–24 geschieht gerade in so einem Moment. Jesus
Gespräch darüber lässt sich entdecken, was Ju-               fordert mit griffigen Worten und Bildern die Jünger auf:
gendliche aus diesen Geschichten für sich selbst             Glaubt daran! Gar Berge sollen ins Tal hinabstürzen. Wenn
mitnehmen können.                                            sie sich nur mit Glauben aufmachen. Wenn sie schlicht auf
                                                             Gottes Zuspruch vertrauen.
Den vollständigen Gottesdienst finden Sie unter
www.sehen-und-handeln.ch/feiern                              Es ist so, als ob Jesus seinen Jüngern und Jüngerinnen
                                                             sagen wollte: Wechsle vom Mikro-Modus in den Mak-
Ablauf                                                       ro-Modus. In die Vogelperspektive. Aus der Luft, das wis-
Vorbereitend auf den Gottesdienst hin besteht die Möglich-   sen wir, sieht der majestätischste aller Berge weit winziger
keit, eine Chatbesinnung durchzuführen. Die Anleitung da-    aus, als wenn er vor unserer Nase steht. Mit dem Auge des
zu finden Sie auf der Website.                               Herzens einen Schritt zu tun, heisst, nicht das Hindernis zu
                                                             fokussieren, sondern – wie viele Erfinder und Visionärinnen
Der Jugendgottesdienst besteht aus den hier aufgeführten     zuvor – aus der Vogelperspektive heraus die Topografie
Sequenzen. Die einzelnen Sequenzen dürfen in der Rei-        des Lebens zu betrachten.
henfolge vertauscht, ersetzt oder auch weggelassen wer-
den. Der Jugendgottesdienst braucht eine Moderation. Es      Porträts
steht der Moderation frei, die Übergänge zu den einzelnen    Es kann mit einer oder mit mehreren Biografien gearbeitet
Sequenzen selbst zu gestalten.                               werden. Auch Gruppenarbeiten zu den drei Personen sind
                                                             möglich.
Input zu Mk 11,22–24
Glaube ist, mit Mut im Moment des Zögerns und Zweifelns      Es gibt immer wieder Menschen, die vor Schwierigkeiten
trotzdem einen Schritt zu tun. Du greifst dir ans Herz und   nicht zurückschrecken, sondern hinstehen und sagen: Hey,
machst einen ersten Schritt ins Ungewisse. Obwohl du nicht   wir können etwas tun! Wir engagieren uns für eine lebens-

10
Jugendgottesdienst

werte Welt. Wir sind Teil des Wandels. Drei dieser Men-            bessern. Das ist nicht einfach, braucht Mut und Hartnä-
schen sind hier porträtiert.                                       ckigkeit. Sie findet: Es lohnt sich nicht, auf einen Helden zu
                                                                   warten. Tun wir selbst die Schritte, die es braucht.
Sœur Nathalie Kangaji
Als Anwältin kämpft die Ordensschwester Nathalie Kangaji in        Portrait von Juliette Li
der Demokratischen Republik Kongo für die Rechte von Men-          www.sehen-und-handeln.ch/50-frauen
schen, die unter den Folgen des Kobalt- und Kupferabbaus
leiden. Warum sie diese Arbeit tut, erklärt sie gleich selber:     Reportage über Schulungsprogramme für Näherinnen
«Ich bin Rechtsanwältin und Leiterin unseres Zentrums in           (englisch), 7’30
Kolwezi. In Kolwezi gibt es bedeutende Kobalt- und Kup-            www.bit.ly/2CX2EmT
ferminen. Unser Zentrum besteht aus einer Gruppe von
Anwältinnen und Anwälten und bietet notleidenden Men-              Kurzfilm Zusammenhänge der Textilproduktion
schen professionelle Rechtsauskunft und Rechtshilfe an.            (deutsch), 7’10
Wir arbeiten seit einigen Jahren für die Rechte der Men-           www.bit.ly/2Nd4y7F
schen, die rund um die Minen leben und in Konflikten mit
den grossen Minenkonzernen stehen. Es geht um ihre                 Xiuthezcatl Martinez
Rechte auf eine saubere Umwelt, um das Recht auf ihre              Xiuthezcatl Martinez ist ein 17-jähriger Umweltaktivist mit
persönliche Gesundheit und um ihr Land. Die Bewohnerin-            Wurzeln in der indigenen Mexica-Tradition Nordamerikas.
nen und Bewohner dieser Gebiete sind meist sehr arm und            Er engagierte sich schon früh für Umweltschutz und gegen
verfügen über zu wenig Bildung, um ihre Rechte selber ein-         die Ausbeutung und Verschmutzung der Erde durch die
zufordern. Wir begleiten sie.                                      Rohstoffindustrie. Als jüngster Redner war er 2016 in die
Im Moment unterstütze ich eine Gruppe von Frauen, deren            UNO zur Diskussion der Klimaziele 2030 eingeladen wor-
Felder durch die Folgen des Rohstoffabbaus zerstört wur-           den. Denn Xiuthezcatl engagiert sich zusammen mit ande-
den. Die Leiterin des verantwortlichen Unternehmens ge-            ren Earth Guardians für einen Wandel und den Klima-
hört der Familie des Präsidenten an. Wir wurden gerufen,           schutz. Er sagt: «Als Menschen sind wir Teil der Erde. Sie
und ich wollte mit einer Untersuchung der Situation begin-         ist unsere Mutter. Wir haben nur diese eine.» Er glaubt,
nen. Als wir auf die Felder gingen, war ich plötzlich von          dass die heutige Jugend eine wichtige Rolle in der Gestal-
schwer bewaffneten Soldaten der Präsidentengarde um-               tung der Zukunft hat, und meint, dass Entscheidungen, die
zingelt. Sie waren über mich und meine Organisation gut            jetzt gefällt werden, von grosser Bedeutung sind für die
informiert und bedrängten mich: «Woher nimmst du dir das           Welt von morgen. Denn es geht um den Wandel hin zu ei-
Recht, hier zu sein? Was tust du hier?» Ich antwortete: «Ich       ner lebenswerten Zukunft für alle. Eine Mut-mach-Biogra-
bin allein, ich bin überdies eine Frau, ihr seid viele, dazu be-   fie, die sagt: Obwohl ich jung bin, kann ich die Welt verän-
waffnet. Können wir nicht ohne Waffen sprechen?»                   dern. Zusammen verändern wir das Gesicht der Welt.

Den vollständigen Text zu Sœur Nathalie finden Sie in der          Reportage über Xiuthezcatl Martinez (deutsch), 7’10
Webversion.                                                        www.bit.ly/2CS6FJg

Porträt von Sœur Nathalie                                          Talk
www.sehen-und-handeln.ch/50-frauen                                 Mögliche Fragen:
                                                                   Was gefällt mir, wenn ich diese kurzen Lebensläufe höre?
Ausführliches Interview mit Sœur Nathalie                          Wofür schlägt mein Herz? Was bewegt mich? Was lässt
www.bit.ly/2Qs25Eh                                                 mich Schritte tun? Was hindert mich gleichzeitig daran, ei-
                                                                   nen ersten Schritt zu wagen – hin zur Veränderung? Was
Juliette Li                                                        könnte mir helfen, dennoch den Schritt zu tun?
Juliette Li ist 41 Jahre alt. Sie engagiert sich für eine faire
Kleiderproduktion in China. Genauer für die Rechte der Ar-         Vorschläge zur Strukturierung der Diskussion und gemein-
beiter und Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie. Sie          same Handlungsmöglichkeiten, um die thematisierten Pro-
hilft mit Schulungen, Ausbeutung und Gewalt gegenüber              bleme gemeinsam mit den Jugendlichen anzugehen, fin-
den Näherinnen und Nähern unserer Kleider zu verhindern.           den Sie in der Webversion.
Sie ist überzeugt, dass man zusammen als Gruppe für die
Rechte einstehen und so die Welt verändern kann. Mitein-           Musik
ander in kleinen Schritten können wir alltägliche Dinge ver-       www.bit.ly/2mGNdTm

                                                                                                                              11
Versöhnungsfeier

     Verstehen
     statt verurteilen

Salome Eisenmann                                              Gebet
Reformierte Pfarrerin, Landiswil                              Guter Gott, Worte können töten wie Steine, die wir auf an-
                                                              dere Menschen werfen. Wer kann ein Wort zurücknehmen,
Andreas Baumeister                                            das einen andern, eine andere im Herzen getroffen hat?
Pastoralassistent, Aesch BL                                   Worte und Blicke, die verurteilen, sind wie Steine, die wir
                                                              auf andere Menschen werfen. Wer kann ein unüberlegtes
Fixe Rollenzuweisungen führen zu Vorurteilen und              Wort, einen verächtlichen Blick ungeschehen machen?
verletzen Menschen. Ein gutes Miteinander braucht             Guter Gott, behüte unseren Mund, bewahre unsere Lip-
unseren offenen und wertschätzenden Blick fürein-             pen, richte unseren Blick auf Dich, damit wir uns bereit ma-
ander. So wie Jesus der Ehebrecherin, können auch             chen für diese Feier. Durch Jesus Christus, Deinen göttli-
wir einander befreiend begegnen.                              chen Sohn und unseren Bruder und Freund.

Den vollständigen Gottesdienst finden Sie unter               Lesung
www.sehen-und-handeln.ch/feiern                               Johannes 8,1–11

Vorbereitungen                                                Dialog zu Johannes 8,2–11
• Der Gottesdienst wird gemeinsam von einer Frau und ei-     Erzählperson: Nachdem Jesus, der von seinen Mitmen-
   nem Mann gefeiert. Dadurch wird sichtbar, dass wir uns     schen damals Jeshua genannt wurde, die Nacht am Öl-
   als Frauen und Männer Versöhnung zusprechen und            berg verbracht hat, geht er am frühen Morgen wieder in
   voneinander empfangen wollen.                              den Tempel, um zu lehren. Das ganze Volk versammelt
• Für den Dialog ist neben der Frauen- und der Männer-       sich. Darunter auch Mordechai, ein frommer Mann, der wie
   stimme eine Erzählstimme nötig.                            jeden Morgen in den Tempel gekommen ist, um zu beten.
• Material für das Versöhnungsritual: 2 Körbe mit Steinen,   Plötzlich entsteht eine grosse Unruhe. Pharisäer und
   1 Kreuz, 1 Schale mit Sand und (handgeschriebene)          Schriftgelehrte zerren eine Frau zu Jesus und beschuldi-
   Kärtchen/Zettelchen mit Zuspruch für alle Teilnehmenden    gen sie des Ehebruchs.

Einführung                                                    Mordechai: Diese Frau kenne ich. Endlich bringen sie die-
Im Licht des Evangeliums wollen wir in dieser Feier die ei-   se Yael zum Tempel. Nun bekommt sie ihre gerechte Stra-
genen Schatten wahrnehmen und Versöhnung zugespro-            fe, wie es das Gesetz verlangt.
chen bekommen.
                                                              Yael: Was geschieht mit mir? Wo ist ….., holen sie ihn
Lied                                                          auch? Da vorne ist dieser Rabbi Jeshua, von dem alle re-
RG 213/KG 544/CG 895, Ich steh vor dir mit leeren Hän-        den. Sie werden mich steinigen.
den, Herr

12
Versöhnungsfeier

M: Ha! Da zeigen sie es diesem Jeshua. Predigt immer von        Besinnung
Nächstenliebe. Er kann sich nicht über das Gesetz stellen       Worte und Blicke sind wie Steine, die wir auf andere Men-
und diese Frau laufen lassen. Aber wenn er die Frau nicht       schen werfen und sie damit verletzen.
verschont, würde er ja seine eigene Lehre verraten.             Fragen zur Besinnung siehe Webversion

Erzähler: Mordechai steht schon ungeduldig bereit mit           Musik
dem Stein in der Hand. Auch die anderen Männer um ihn
herum warten nur auf ein Zeichen, um ihre Sterne zu wer-        Kyrie
fen. Die Spannung ist spürbar. Alle Augen sind auf Jesus        Wir erinnern uns an Jesus, der uns Vorbild ist für unsere
gerichtet. Da geschieht etwas Unvorhergesehenes. Jesus          Spiritualität, unser Leben und unser Handeln. Nach jeder
bückt sich und schreibt mit dem Finger in den Sand. Es          Bitte antworten wir mit dem Kyrieruf.
wird still.                                                     Kyriebitten siehe Webversion
(Pause)
                                                                Lied
M: (flüstert): Komm, Jeshua, sprich endlich dein Urteil. Bist   RG 195/KG 70/CG 430, Kyrie
du etwa zu feige …?
                                                                Versöhnungsritual
E: Jetzt richtet Jesus sich auf: Er hat keinen Stein in der     Der Blick von Jesus spricht uns Vergebung und Heilung zu
Hand. Er durchbricht die Stille und sagt: «Wer unter euch       und befreit von belastenden Erinnerungen und Verletzun-
ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein.»                  gen. Das wird sichtbar, wenn wir die Steine unter das
                                                                Kreuz legen. Wenn wir den Stein abgelegt haben, haben
M: Was soll das?                                                wir unsere Hände frei, um einen Zuspruch und vergebende
                                                                Worte zu empfangen.
E: Die Ältesten und nach und nach alle anderen lassen ihre
Steine fallen und gehen weg!                                    Die Mitfeiernden kommen mit ihrem Stein nach vorne und
                                                                legen ihn in eine Schale mit Sand, die unter dem Kreuz
M: Was ist das denn? Das sind alles Sünder? Dann sind ja        steht. Rechts und links neben dem Kreuz stehen die Litur-
alle Sünder. Und ich? (Pause) Hm, ja da war mal was, aber       gin und der Liturge und überreichen den nach vorne Tre-
… Na gut.                                                       tenden ein (handgeschriebenes) Kärtchen/Zettelchen mit
                                                                einem Zuspruch aus dem Evangelium wie: «Jesus Christus
E: Mordechai legt den Stein zurück in den Sand und ent-         spricht: Ich verurteile dich nicht.» oder «Geh und lebe als
fernt sich. Yael bleibt mit Jesus allein zurück.                befreiter und befreiender Mensch.» Alternativ kann der Zu-
                                                                spruch auch mündlich gemacht und mit einer Geste be-
Y: Meine Knie zittern. Eben war ich zum Tode verurteilt,        gleitet werden.
und jetzt liegen die Steine da auf dem Boden neben mir.
Nur Jeshua ist noch da. Er schaut mich an. Sein Blick … er      Musik
trifft mich mitten ins Herz. Er meint mich! (Yael atmet tief
und hörbar auf.)                                                Fürbitten mit Antwort
                                                                Als Antwort auf die Fürbitten singen wir
E: Jesus sagt zu Yael: «Ich verurteile dich nicht. Geh, und
sündige von jetzt an nicht mehr.»                               Lied
Pause                                                           RG 813/KG 418/CG 88, Ubi caritas et amor
                                                                Fürbitten siehe Webversion
E: Das sind Worte, die aus der Gefangenschaft von Schuld
und Verurteilung befreien. Jesus schaut nicht auf das per-      Unser Vater
sönliche Scheitern, sondern richtet auf und ermutigt zum
Neuanfang.                                                      Lied
                                                                RG 343/KG 147/CG 503, Komm, Herr, segne uns
Musik
                                                                Sendung und Segen

                                                                                                                        13
Hinführung zum Hungertuch

Mensch, wo bist du?
Rita Gemperle                                                    von Geschlecht und Herkunft, ist die gleiche Würde eigen.
Fastenopfer                                                      Für das Haus-Symbol im Ring wurde Erde vom Garten
                                                                 Gethsemane getrocknet. Die ungeformte Erde umgibt das
«Die Frage ist nicht, wo Gott ist,                               Haus. Das Haus selbst aber ist von Menschenhand ge-
sondern wo der Mensch ist.»                                      macht, begrenzt und gleichzeitig auch offen gehalten. In
Uwe Appold                                                       seiner Begrenzung vermittelt das Haus Sicherheit und ist
                                                                 Heimat. In seiner Offenheit lädt es uns ein, am unfertigen
«Wo bist du?» (Gen 3,9) Mit dieser Frage sucht Gott die ers-     Haus unserer gemeinsamen Erde zu arbeiten.
ten Menschen im Paradies. Nachdem sie vom Baum der Er-           Beim genauen Hinschauen stutzt man: Ring und Haus bil-
kenntnis gegessen haben, verstecken sie sich voller Scham        den nicht die geometrische Mitte des Bildes, sie sind leicht
im Garten. Sie sind orientierungslose Menschen, die ihren        nach links verschoben, also ver-rückt. Denn die Harmonie
Platz in der Schöpfung verloren haben – weil sie glaubten,       zwischen Menschen, Gott und Natur ist gestört. Wie lässt
alles bestimmen zu können, Gott werden zu können. Adam           sich diese Ver-rückung wieder einmitten?
und Eva müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Und die
Suche Gottes nach den Menschen und ihrer Verantwortlich-         Die abstrakten Schriftzeichen in der linken unteren Ecke
keit ist geblieben: Wo stehst du? Wofür stehst du auf in einer   wecken Neugier und wollen entziffert werden. Sie beziehen
Welt, die sich in rasantem Tempo verändert, in der sich Un-      sich auf Christus, symbolisiert durch das rote Kreuz links
gleichheiten verstärken, Gletscher schmelzen und Meere           und das weisse Namenszeichen von Jesus Christus, IX,
steigen? Fragen, die in den Kern der Verantwortung eines         auf der rechten Seite. In Christus sind Anfang und Ende,
jeden Menschen zielen.                                           Himmel und Erde. Der Schriftzug endet mit einer aufrecht
                                                                 gestellten liegenden Acht als Zeichen der Unendlichkeit –
Wo bist du, Mensch? Wo bist du in der Welt mit ihren vielfäl-    Ausdruck dafür, dass Gott uns als aufrechte Menschen will.
tigen Herausforderungen? Für den Künstler Uwe Appold ist
dies die Ausgangsfrage des Bildes. Er hat die Frage mit der      «Mensch, wo bist du?», war Gottes Frage. Das Bild zeigt
Gestaltung des Bildes auf seine Art beantwortet und lädt         uns den Menschen in der Gestalt unten rechts. Sie ist rot-
uns ein, im Entdecken und Entschlüsseln seines Bildes un-        blau bekleidet. Der Mensch ist also nicht mehr nackt, wie
sere eigenen Antworten zu finden.                                im Paradies, aber damit auch nicht mehr unschuldig. In die

Vom Sehen zum Handeln
Auf blauem Grund breitet sich dunkle Erde aus. Von oben
nach unten schmaler werdend, steht sie mit dem Ring und
dem Haus in einer vertikalen Achse. Das Erdfeld ist zerklüf-
tet. Dunkle Gipfel ragen wie Inseln aus dem helleren Oze-
                                                                                                                       Künstler
an. Der Künstler hat dafür Erde aus dem Garten Gethse-
                                                                 © Dieter Härtl/Misereor

mane verwendet. Mit der so entstandenen Höhen- und                                                                    Uwe Appold ist Designer,
Tiefenstruktur erinnert uns das Erdreich an die Erde als                                                              Bildhauer und Maler. Er
Heimat für alle Geschöpfe und als Lebensraum, der uns                                                                 lebt und arbeitet in Nord-
anvertraut ist. Zwölf grössere, aus der Erde gesiebte Steine                                                          deutschland. Grundlage
wurden eingearbeitet und in Rot und Gold gefasst. Sie ste-                                                            für seine Werke sind phi-
hen symbolisch für die zwölf Stämme Israels, die das von                                                              losophische und religiöse
Gott verheissene Land bebauten, und für die Männer und                                                                Schriften, darunter die
Frauen, die Jesu Botschaft weitersagten.                                                   Bibel, Dichtung und Musik. In seinen Arbeiten sucht
                                                                                           er nach Wegen der «Verkündigung mit anderen Mit-
Über dieser Erde schwebt ein markanter goldener Ring. Er                                   teln». Unter seinen Werken finden sich auch zahlrei-
bildet die optische Mitte des Bildes. Der Ring ist ein Sym-                                che Glasfenster für Kirchen und Sakralräume.
bol für den Kern unseres Glaubens: die Zusage Gottes,                                      www.uwe-appold.de
dass seine Liebe allen gilt. Allen Menschen, unabhängig

14
Hinführung zum Hungertuch

Misereor-Hungertuch 2019: «Mensch, wo bist du?» von Uwe Appold © Misereor

geschwungene Linie aus Edelstahl ist der Name Jesu                   Wir tragen die Verantwortung für unsere Erde, unser ge-
Christi eingekerbt. Im Kontakt mit dem Boden am Bildrand             meinsames Haus. Dabei bleiben uns auch Leiderfahrungen
und mit zum Himmel hin geöffneten Armen scheint die Ge-              nicht erspart. Wie ein Echo auf dieses «Mensch, wo bist
stalt bereit zu sein, sich in den Dienst von Gott und Men-           du?» kann dann die Gegenfrage auftauchen: «Gott, wo bist
schen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen. «Wo                du?» Der Künstler hat in das Erdfeld und den Goldring rote
bist du, Mensch?» – «Hier bin ich!»                                  Farbe gemischt: Ausdruck von Gottes Passion für die Men-
                                                                     schen. Com-Passion, Leidensweg und Leidenschaft zu-
Wo seid ihr?                                                         gleich.
Nach der eingangs gestellten Frage stellt Gott eine zweite
Frage: «Kain, wo ist dein Bruder?» (Gen 4,9) Mit dem Wahn            Ein neues Haus, ein neuer Himmel und eine neue Erde
vom Sein-wollen-wie-Gott beginnt eine Kette von Fehlern,             können Wirklichkeit werden! Eine neue Gemeinschaft, ein
die dazu führt, dass das Blut der Geschwister vergossen              gutes Miteinander aller Menschen, ein anderes Verständnis
wird. Die beiden Fragen Gottes klingen auch heute nach:              von Fortschritt mit Raum für das Ewige, für Gottes Prä-
Wo stehen wir Gott gegenüber, und wie stehen wir zuein-              senz. «Mensch, wo bist du?» – «Hier bin ich!», «Gott, wo
ander? Eine Kultur des Sich-Wohlfühlens und die Ideologie            bist du?» – «Mensch, hier bin ich.»
des unendlichen Wachstums lullen die Menschen heute
ein. Sie bieten aber keine Antwort auf Gottes Fragen. Sie
machen taub für die Schreie der Armen und der Schöp-                   	Das Hungertuch ist als Stoffdruck in Gross- und Klein-
fung. Und lassen uns in Seifenblasen leben, die zwar                     format und als A4-Papierdruck mit Kurzbeschrieb auf
schön, aber nicht mehr als schillernde Illusion sind.                    der Rückseite erhältlich. Die Texte von Hildegard Aepli
                                                                         im Meditationsheft «Neu werden» schaffen in leichter
Die Zerstörung der Lebensgrundlagen ist Tatsache, und eine               Sprache einen unmittelbaren Zugang zu den Bildele-
Politik des «Weiter so!» kaum möglich. Die globalen Krisen               menten des Hungertuchs. Eine Predigt zum Hungertuch
verlangen nach gemeinsamem Handeln für unsere Welt, für                  finden Sie auf der folgenden Seite (S. 16). Das Hun-
das «eine gemeinsame Haus» (Laudato si`, Papst Franzis-                  gertuch und einzelne Bildausschnitte stehen zum
kus). Die Frage «Wo bist du?» wird zum «Wo seid ihr?».                   Download bereit unter
                                                                         www.sehen-und-handeln.ch/hungertuch.

                                                                                                                              15
Predigtanregung zum Hungertuch

Die goldene Mitte
                                          Lassen wir uns weiter treiben durch
                                          das Blau und die Weiten des Him-
                                          mels und des Meeres, so treffen wir
                                          auf Salomo. Er weiht den ersten Tem-
                                          pel ein, den das Volk Israel seinem
                                          Gott gebaut hat. Salomo spricht Gott
Rolf Zaugg                                an und schaut dabei in den Himmel.         Und immer wieder taucht die Frage
Reformierter Pfarrer, Brugg               Dort vermutet er Gott, und er bittet       auf, wofür der goldene Ring in der
                                          ihn, dass er auch in diesem Haus,          Mitte stehen könnte.
                                          das Menschen für ihn gebaut haben,
Ein kräftiges Blau bestimmt das Hun-      Wohnung nehme. Salomo erkennt,             Ist er ein Zeichen der Heiligung der
gertuch – und mittendrin ein goldener     dass der unendlich weite blaue Him-        Schöpfung, ein Heiligenschein für die
Ring. Das Blau erinnert an den Him-       mel bis zur Erde reicht: Gott also nicht   Welt sozusagen? Oder der goldene
mel oder das Meer. Himmel und             nur unendlich weit entfernt, sondern       Pfad durch die Wogen des Roten
Meer, beide zeichnen sich durch           gleichzeitig ganz nah ist (1 Kön 8).       Meeres, Gottes Beistand für sein
grosse Weite und das weitgehende                                                     Volk? Oder Gottes Glanz auf seiner
Fehlen von Struktur aus. Himmel ist       Wird dies mit dem Symbol des Hau-          Wohnstätte auf Erden, das Licht, das
Himmel, manchmal wird der Blick           ses im Zentrum angedeutet? Und             den Tempel umleuchtet? Oder ist er
von ein paar Wölkchen verstellt, Meer     was ist der goldene Ring?                  schlicht ein güldener Rettungsring im
ist Meer, einfach viel Wasser, manch-                                                Sturm auf dem Wasser, auch oder
mal ruhiger, manchmal etwas gewellt.      Auf den Spuren der blauen Farbe in         gerade für den, der zweifelt?
Ich lasse mich von diesem Blau er-        der Bibel erreichen wir den See Ge-
greifen und blättere in der Bibel.        nezareth. Die Jüngerinnen und Jün-         Der Ring sitzt im Zentrum des Bildes.
Schon das Licht des ersten Schöp-         ger von Jesus sind allein mit dem          Die Geschichten der Bibel erzählen
fungstages leuchtet blau. Am zweiten      Schiff unterwegs und ein Sturm zieht       von Gott, aber sie kreisen dabei nicht
Tag schafft Gott den blauen Himmel,       auf. «Himmel, Erde, Jesus!», schreien      um ein einziges Zentrum. Es ist eben
am dritten das blaue Meer. (Gen 1)        sie in höchster Not. Und tatsächlich,      nicht einfach Gott, der in ihrem Zent-
Ich schaue das Bild an und frage          er kommt ihnen auf dem Wasser ent-         rum hockt. Es sind verschiedene Din-
mich: Und wofür steht der goldene         gegen – vielleicht leuchtet er dun-        ge, welche die Bibel ins Zentrum
Ring?                                     kelblau durch die Nacht, – jedenfalls      rückt. Mal die Schöpfung, mal ein
                                          denken die Jünger, er sei ein Ge-          ver­folgtes Volk, mal einen weisen Kö-
Das Blau holt mich zurück aus mei-        spenst.                                    nig, mal einen unverschämt glau-
nen Gedanken, zurück zu den Erzäh-        Ist es die Figur in der unteren Ecke,      bensgewissen Jünger. Und immer
lungen der Bibel. Etwa als die Israeli-   die übers Wasser geht? Und der gol-        erst aus dieser ganz spezifischen
ten aus Ägypten durch das Meer            dene Ring?                                 Sicht heraus wird dann auch Gott er-
flüchten, das sich für das Volk Gottes                                               kennbar. Und genauso offen bleibt
teilt und dann über dem Heer des          Nachdem sich Jesus den Jüngerin-           die Bedeutung dieses Rings in der
Pharaos zusammenschlägt. (Ex 14)          nen und Jüngern zu erkennen gege-          Mitte.
Stellen die braunen Flecken in der        ben hat, könnte alles gut sein, aber
Mitte des Bildes den Meeresgrund          Petrus muss das Schicksal heraus-          Worum dreht sich Ihr Leben? Was
dar? Und wofür steht dann der gol-        fordern. Er bittet darum, auch auf         setzen Sie ins Zentrum des Bildes?
dene Ring?                                dem Wasser gehen zu dürfen. Jesus
                                          fordert ihn auf, und tatsächlich, der
                                          Glaube trägt Petrus ins Blaue. Aller-
                                          dings nur bis zur ersten Welle, da
                                          weicht das Vertrauen und Petrus hat
                                          Angst zu versinken (Mt 14).

16
Predigtanregung

Eine sprichwörtlich gute Frau
Predigttext: Spr 31,10–31

                                            Erstens: Sie verausgabt sich nicht im
                                            Tun, sondern verwirklicht sich darin.

                                            Nichts ermüdet sie und ihre Kraft
                                            scheint zu wachsen, während sie sich
                                            ihren verschiedenen Aufgaben widmet.        Ihr Umfeld anerkennt ihre Kraft, ihre Ta-
Marie Cénec                                 Sie schreitet mit vollem Körpereinsatz      lente und ihre Fähigkeiten. Sie ist der
Pfarrerin, Genf                             zur Tat, «gürtet ihre Hüften mit Kraft      Stolz ihres Mannes, der ihr vollständig
                                            und macht ihre Arme stark». Sie gestal-     vertraut. Ein Vertrauen, das auch ihr
                                            tet die Welt, die sie umgibt, mit ihren     gleichermassen innewohnt, weil «ihr für
Das Buch der Sprüche schliesst mit          Händen. Das Wort Hand wird in die-          ihr Haus nicht vor dem Schnee bangt»
der Lobrede auf eine Frau von kraftvol-     sem Text sieben Mal genannt. Sie ist        und sie «der drohenden Zukunft spot-
ler Stärke. In der Übersetzung der Sep-     also eine selbstständige Gestalterin –      tet». Weder die Kälte des Schnees
tuaginta wird die Frau vorgestellt als      keine unterwürfige Dienerin.                noch die des Todes erfüllen die mit
«männliche und mutige Frau». Ein inter-     Sie pflanzt einen Weinberg, sie leitet      Schrecken, deren «Gewand Kraft und
essanter Aspekt, dass diese ideale          die Hausgemeinschaft, macht Kunst-          Würde sind»: Sie stellt sich dem Verlauf
Frau als «männlich» qualifiziert wird. In   handwerk mit Freuden und treibt er-         des Tages und der Vergänglichkeit der
der Tat, welche Kraft und welche Vitali-    folgreich Handel. Eine umtriebige, ge-      Zeit mit Gelassenheit.
tät sie ausstrahlt! Der erste Eindruck      schickte und erfolgreiche Frau – aber
deutet darauf hin, dass sie alles kann,     nicht nur im Haushalt!                      Diese Frau ist kein realer Mensch. Aber
alle Qualitäten hat und alle anderen        Sogar bevor die Sonne aufgeht, wird         eine Figur, die dazu einlädt, sich zu en-
übertrifft.                                 sie tätig. Und wenn die Nacht herein-       gagieren. Sie kann besonders inspirie-
Die Form des Textes drückt denn auch        bricht und es nötig ist, bleibt ihre Lam-   rend sein, wenn jeder Sinn verloren ge-
die Absicht aus, Vollkommenheit und         pe angezündet. Ihr Einsatz scheint          glaubt wird und die Lähmung des
Vollständigkeit zu vermitteln: Jeder        wirklich unermüdlich.                       eigenen Handelns droht.
Vers beginnt mit einem anderen Buch-                                                    Diese kluge Frau lässt uns fast bis zur
staben des hebräischen Alphabets.           Zweitens: All ihr Tun steht im Zeichen      Verrücktheit daran glauben, dass
Das zeigt, dass die Verfasserschaft ein     des Teilens und der Weisheit.               nichts unmöglich ist für die, die sich im
umfassendes Bild zeichnen wollte.                                                       Namen ihres Glaubens für etwas ein-
                                            Ihre Hand «greift nach der Spindel»,        setzen! Für Frauen genauso wie für
Es geht hier also nicht um einen realen     öffnet sich für die Bedürftigen und         Männer. Denn wenn sie so viel kann,
Menschen, vielmehr um ein idealisier-       streckt sich den Armen entgegen. In-        diese Frau, ist es nicht, weil sie es will,
tes Bild einer Frau. Dieses Idealbild ist   dem sie Kleider für ihre Familie und ihr    sondern weil sie offen ist für eine Kraft,
die Verkörperung der «Gottesfurcht»         Geschäft webt, knüpft sie auch Bezie-       die grösser ist als sie selbst.
und Vorbild des gerechten und weisen        hungen. Sie geniesst nicht nur das
Handelns. Drei Aspekte stechen dabei        Glück, handeln zu können, sondern
heraus:                                     lebt eine Ethik, in der Worte und Taten
                                            einen Sinn ergeben. Die Werke ihrer
                                            Hände und ihrer Seele sind eins. Sie
                                            «öffnet ihren Mund in Weisheit» und ih-
                                            re «Unterweisung erfolgt in Güte».

                                            Drittens: Das Verbinden von Weisheit
                                            und Tat macht sie stark, und sie wird
                                            dafür von allen geschätzt.

                                                                                                                                17
Predigtanregung

Ungeahnte Menschwerdungen Gottes
Predigttext: Mt 1,1–32

                                           Rahab, eine Prostituierte, hat in Jericho
                                           gelebt. Sie beherbergte Spione, die
                                           von Josua in die Stadt geschickt wor-
                                           den waren.
                                           Ruth wurde die Frau von Boas, nach-
                                           dem sie sich an einem Sommerabend
Nassouh Toutoungi                          heimlich in sein Bett geschlichen hatte.
Christkatholischer Priester,               Batseba schliesslich hat David in ihren      Das Leben aber ist ein unteilbares
Neuenburg                                  Bann gezogen. Und dieser hat keine           Ganzes und die Sorge darum steht an
                                           Sekunde gezögert, ihren Mann Urija an        erster Stelle. So setzt Gott selbst vor-
                                           die vorderste Frontlinie in der Schlacht     aus, dass jede und jeder genug zum
In einer Gesellschaft, in der Frauen we-   gegen die Ammoniter, also in den si-         Leben hat. Die heute weitverbreitete
nige Rechte und viele Pflichten hatten,    cheren Tod zu schicken, um sie dann          Perspektive, in der die Wirtschaft in
hat die Bibel einige aussergewöhnliche     selbst heiraten zu können.                   erster Linie nach persönlichem Profit
Frauenporträts geschaffen. Mit Ab-                                                      strebt und auf der Isolierung der Indivi-
sicht, denn diese Frauen sind wunder-      Diese Frauen versuchen, in einer Män-        duen beruht, entspricht dem nicht. Es
bar, hartnäckig, manchmal schlau oder      nerwelt auf sich allein gestellt, zu über-   ist das komplette Gegenteil davon, was
einfallsreich und passen sich damit in     leben. Auch wenn sie manchmal unge-          die Mutter Gottes im Magnifikat be-
das Projekt Gottes ein, dessen Ziel es     wöhnliche Mittel anwenden, liegt ihnen       singt: «Die Hungernden beschenkt er
ist, Leben zu ermöglichen – selbst da,     immer das Wohlergehen ihrer Nächs-           mit seinen Gaben und lässt die Rei-
wo man es für unmöglich hält.              ten am Herzen: Rahab fordert von den         chen leer ausgehen.»
                                           Israeliten, auch ihre Familie zu schüt-
Dass einige von ihnen in der Genealo-      zen; Ruth verlässt Noemi, ihre Schwie-       Die Genealogie von Matthäus zeigt uns
gie Jesu am Anfang des Matthäus            germutter, nicht; Tamar möchte unbe-         unerwartete Aspekte Gottes: überra-
Evangeliums vorkommen, kann uns er-        dingt Nachkommen, weil sie nur als           schend, exzentrisch, unermüdlich und
staunen. Denn Genealogien sollen auf-      Mutter als vollwertiges Mitglied der Ge-     treu zu allen Zeiten. Und seine Treue ist
zeigen, wie wichtig ein Abkömmling ist.    sellschaft gilt. Deshalb macht sie alles,    nicht passiv: Er wartet nicht darauf,
Normalerweise werden bekannte und          um Kinder zu bekommen.                       dass sein Volk zu ihm zurückkommt.
wichtige Personen darin aufgeführt.                                                     Es ist eine tätige und vorausschauende
Und die, die als Schandfleck gelten,       Diese Frauen sorgen für sich selbst          Treue, die Treue dessen, der seine
werden stillschweigend weggelassen.        ebenso wie für andere. Das ist ihre Art,     Schöpfung so sehr liebt, dass er sich
Die Frauen in dieser Genealogie Jesu       sich zu engagieren, damit die Welt, in       schliesslich ganz in sie hineingibt. Und
gehören zu dieser zweiten Kategorie.       der sie leben, eine bessere wird. Lange      die Frauen spielen dafür – mit ihrem
Ihre Namen lauten: Tamar (Gen 38,1–        wurden Entwicklung und Fortschritt           kreativen Engagement – eine entschei-
30), Rahab (Jos 2,6), Ruth (Buch Ruth),    nur aus der Perspektive der Rentabili-       dende Rolle.
Batseba (2 Sam 11–12) und Maria.           tät betrachtet. Dabei wurden weder die
                                           nicht bezahlte Arbeit der Frauen noch
Tamar ist eine junge Frau, die sich bei    die ökologische Zerstörung berück-
ihrem Schwiegervater Judas als Prosti-     sichtigt. Die Trennung in Kultur und Na-
tuierte ausgibt, um ihrem verstorbenen     tur, Öffentlichkeit und Privates, Vernunft
Mann die Nachkommenschaft zu si-           und Intuition und deren Zuschreibung
chern. Dies gelingt ihr so gut, dass sie   in männlich und weiblich haben zur Ab-
gar Zwillinge bekommt.                     wertung des Beitrages der Frauen in
                                           der Gesellschaft geführt. Das eine wird
                                           höher bewertet als das andere. Kultur
                                           ist in diesem Verständnis mehr wert als
                                           Natur, Fortschritt wichtiger als Sorgfalt
                                           gegenüber Mensch und Umwelt.
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