Jan Scheunemann: "Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte". Zur Darstellung der Arbeiterbewegung in den Heimatmuseen der frühen DDR.
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Jan Scheunemann: „Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte“. Zur Darstellung der Arbeiterbewegung in den Heimatmuseen der frühen DDR. In: Susanne Muhle, Hedwig Richter und Juliane Schütterle (Hg.): Die DDR im Blick. Ein zeithistorisches Lesebuch. Berlin: Metropol 2008, S. 249 – 259. © 2021 Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Autor/-in, alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk wurde vom Autor/von der Autorin für den Open-Access freigegeben. Andere Nutzungen, insbesondere Vervielfältigung und Veröffentlichung, sind nur mit Genehmigung der o. g. Rechteinhaber zulässig. Bitte kontaktieren Sie:
JAN SCHEUNEMANN „Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte“ Zur Darstellung der Arbeiterbewegung in den Heimatmuseen der frühen DDR Als Rudolf Donnerhack im Januar 1951 die Leitung des noch stark kriegs- zerstörten Museums im vogtländischen Plauen übernahm, hatte er sich hohe Ziele gesteckt. Nicht weniger als eine zusammenhängende Darstellung von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart wollte er bieten und dabei besonders die „Entwicklung des Sozialismus und der Arbeiterbewegung im Vogtland“ be- rücksichtigen. Aus dem, was für viele Menschen „eine Verbindung von Staub, Antiquitäten und unverständlicher Gelehrsamkeit“ darstellte, sollte „eine Pflegestätte heimatlicher Werte, eine Quelle der Kraft für den Neuaufbau und die neue sozialistische Ordnung“ entstehen.1 Mit diesem Vorsatz stand Donnerhack am Beginn der fünfziger Jahre allein in einer Museumslandschaft, die sich gerade von den Auswirkungen des Krieges erholte, nun aber mehr und mehr den geschichtspolitischen Regle- mentierungen der SED folgen musste. Dabei gewann besonders ein Thema an Bedeutung: die „Geschichte der Arbeiterbewegung“. Dass Donnerhack der Erste in der DDR sein würde, der eine derartige Museumsschau gestaltet, daran mochte er 1951 kaum geglaubt haben. Dass er die Ausstellung ausgerech- net im Juni 1953 fertigstellte, gehört zur Ironie des Geschehens. Geschichte besaß für die SED eine besonders herausgehobene Funktion. Als Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart ließen sich mit ihr aktu- elle politische Handlungsweisen rechtfertigen und historisch begründen. Nach 1 Rudolf Donnerhack, Gedanken über die Um- und Neugestaltung des Kreismuseums vom 4. 1. 1951, Museumsarchiv Plauen, Ordner: Pläne I/9, unpag.
250 Jan Scheunemann keinem Ereignis war dies mehr der Fall, als nach dem Volksaufstand des 17. Juni 1953. Die Macht der SED war bedrohlich ins Wanken geraten. Doch trat die Einheitspartei nach der gewaltsamen Niederschlagung der Erhebung gestärkt aus der Krisensituation hervor. Sie verstand sich auch weiterhin als „Vorhut der Arbeiterklasse“ und beanspruchte unter Berufung auf vermeintlich historische Entwicklungsgesetze ihre Führungsrolle in allen Gesellschaftsbereichen. Vor diesem Hintergrund avancierte die „Geschichte der Arbeiterbewegung“ zu ei- nem nahezu staatstragenden Forschungsgegenstand. Sie dominierte ab Mitte der fünfziger Jahre ganze Zweige der universitären und parteiinstitutionellen Forschung und bot zugleich eine Projektionsfläche, auf der sich symbolisch Herrschaft und Autorität der SED abbilden ließen. Wollte man aus ihr aber eine tatsächliche politische Wirkung in der breiten Masse ableiten, bedurfte es ei- ner mythischen Aufladung, volkspädagogischer Inszenierung und vor allem einer flächendeckenden Vermittlung im öffentlichen Raum. Um das Leit- bild der „führenden Rolle der Partei“ noch in den letzten Winkel der DDR zu tragen, waren hierzu auch solche Felder und Institutionen geschichtspolitisch zu erobern, die scheinbar nur wenig oder gar nichts mit der Herrschaftsdurch- setzung zu tun hatten. Dies betraf zweifellos den Bereich der Heimatmuseen. In der Tradition der deutschen Heimatbewegung des 19. Jahrhunderts stehend und zumeist aus bildungsbürgerlichen Geschichts-, Altertums- und Museums- vereinen entsprungen, sahen sich diese Einrichtungen zunehmend einer inhaltlichen Verpflichtung auf Themen der Arbeiterbewegung ausgesetzt. Doch gerade die Engführung auf die Marx’sche Weltveränderungslehre von „Klassengegensätzen“ und „revolutionären Kämpfen“ provozierte erheblichen Widerstand beim konservativen Museumspersonal. Ansätze, die Arbeiterbewegung geschichtspropagandistisch zu nutzen, reichen bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurück. Mit seinen Darlegungen auf der 1. Kulturkonferenz der KPD umriss Anton Ackermann schon im Februar 1946 ein Geschichtsbild, in dem nur das „Fortschrittliche, Edle und Große“ zur Geltung kommen dürfe, das „Reaktionäre, Widerwärtige und Schädliche“ je- doch auszublenden sei. Er erklärte ferner, es sei künftig nicht mehr vertretbar, die „Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ohne die Entwicklung der Arbei- terbewegung und des wissenschaftlichen Sozialismus“ zu behandeln. Damit war die „wirklich arbeitende Klasse“ zwar ins Zentrum gerückt, doch lief die Umsetzung der nunmehr geforderten „gegenwartsbezogenen“
„Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte“ 251 und „zeitnahen“ Ausstellungen in den regionalen Museen nur schleppend an. Einerseits befand sich das Museumswesen in der Sowjetisch Besetzten Zone noch immer im Wiederaufbau. Von den einst 381 hier vorhandenen Museen hatte 1947 nicht einmal die Hälfte ihre Arbeit wieder aufgenommen. Ande- rerseits zeigten die mit der Zerschlagung des überkommenen Vereinswesens vorgenommenen Einschnitte in die Organisationsstruktur der Museen ihre Wirkung. Die Behinderung und spätere Auflösung der traditionellen Vereine aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Nähe zum Nationalsozialis- mus entzog den Museen anfangs nicht nur ihre finanzielle, sondern vor allem ihre ideelle Basis. Trotz einer regional zum Teil rigoros vorgenommenen Ent- nazifizierung – in Thüringen behielten beispielsweise von 103 Museumsleitern lediglich 28 ihr Amt – blieb ein grundsätzlicher Personalwechsel aus. Wie die Altersstruktur der Museumsbeschäftigten belegt, gab es bis in die sechziger Jahre hinein Tendenzen zur „Überalterung“ mit Geburtsjahrgängen um 1890. Der Anteil an Museumsleitern „bürgerlicher Herkunft“ wird für die fünfziger Jahre mit 80 bis 90 Prozent angegeben. Diese „heimatbewegten Traditionalis- ten“ entzogen sich nicht nur dem staatlichen Geschichtsdirigismus. Sie trugen ihre Arbeitspraktiken und Wertevorstellungen der nunmehr ideologisch sus- pekten Heimatbewegung in die 1950 gegründete Kommission der Natur- und Heimatfreunde innerhalb des Kulturbundes. Der im Jahr 1945 unter Leitung von Johannes R. Becher gegründete Kulturbund sollte ursprünglich bürgerliche Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle für eine „demokratische Erneue- rung Deutschlands“ gewinnen. Spätestens mit der im Januar 1949 vollzogenen Zwangseingliederung letzter Vereinsstrukturen fungierte er aber als Sammel- becken für alle möglichen heimatlich engagierten Kräfte.2 Bereits auf der zweiten Konferenz der Natur- und Heimatfreunde im Oktober 1951 in Quedlinburg deuteten sich Versuche einer stärkeren Poli- tisierung an. Wesentliche Punkte der dort verabschiedeten „14 Leitsätze“ orientierten sich darauf, die „Reste des alten konservativen Vereinslebens zu überwinden“, aus den Museen „Bildungsstätten unserer Werktätigen“ entstehen 2 Vgl. Willi Oberkrome, „Durchherrschte“ Heimat? Zentralismus und Regionalismus im organisierten Heimatschutz der frühen DDR. Das Beispiel Thüringens, in: Habbo Knoch (Hrsg.), Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945, Göttingen 2001 (Veröffentlichungen des Arbeitskreises des Landes Niedersachsen nach 1945; Bd. 18), S. 252–274, hier S. 256 ff.
252 Jan Scheunemann zu lassen und die Orts- und Heimatgeschichte einer „gründlichen, kritischen Durchsicht“ zu unterziehen. Letztere sollte sich verstärkt der Aufbauperiode nach 1945 und der „Geschichte der Arbeiterbewegung“ widmen. Damit hatte auch die Heimatgeschichtsschreibung ihren Beitrag zur Herausbildung jener handlungsbezogenen Grundüberzeugungen zu leisten, die in den Beschluss der 7. Tagung des ZK der SED vom 20. Oktober 1951 eingingen. Die Staatspartei forderte die Historiker auf, „die wissenschaftliche Ausarbeitung der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung“ vom „Standpunkt des Mar- xismus-Leninismus“ voranzutreiben sowie Erinnerungsstätten für die Führer der Arbeiterbewegung, allen voran Marx, Engels, Lenin und Stalin, zu schaffen. Die von der Partei postulierte „ideologische Offensive“ stieß in den Mu- seen allerdings an ihre Grenzen. Als das „gründliche Studium der Theorie des Marxismus-Leninismus“ auf einer Museumsleitertagung des Landes Bran- denburg im Dezember 1951 in einer verbindlichen Arbeitsentschließung als „wichtigste Voraussetzung“ künftiger Museumsarbeit festgeschrieben werden sollte, mochten nicht alle Tagungsteilnehmer in das verordnete Horn blasen. Der Leiter des Museums in Angermünde wandte ein, er habe in seinem langen Leben viele Museen von Weltruf besucht, die auch ohne den Marxismus- Leninismus große Leistungen vollbracht hätten.3 Es bedurfte einer groß angelegten Kampagne, um die Heimatforscher und Museumsleiter von der Notwenigkeit methodischer Weltanschauungs- festlegungen zu „überzeugen“. Mit dem auf der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 verkündeten „Zwickauer Plan“ bahnten sich dann unübersehbar parteilich sanktionierte Bemühungen auf dem Gebiet des regionalen Muse- umswesens an. Walter Ulbricht proklamierte hier nicht nur den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ in der DDR, er rief auch dazu auf, die „revolutionären Kämpfe“ der deutschen Arbeiterbewegung in die Geschichtsbetrachtung einzubeziehen. Daraufhin versprach die Kreisleitung der SED Zwickau die Ein- richtung eines Museums zur Geschichte des Kreises nach den Grundsätzen der marxistisch-leninistischen Geschichtsforschung. Im Februar 1953 überprüfte das SED-Bezirksorgan Freie Presse die Ein- lösung dieser Pläne und zeigte sich enttäuscht angesichts des „durcheinander 3 Aktennotiz von Paul Gruson, Landesverwaltung für Kunstangelegenheiten Brandenburg, Abt. Bildende Kunst und Museen, vom 21. 12. 1951, Privatarchiv Scheunemann, Nachlass Martin Schumacher, Teltow, Nr. 1, Bl. 13.
„Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte“ 253 gewürfelte[n] Sammelsurium[s] von Gegenständen“ im Zwickauer Museum. Nichts war zu sehen von den „revolutionären Kämpfen der Arbeiterklasse“, noch gab es Hinweise auf die „Produktionskräfte“ oder die „Produktionsver- hältnisse“. Für Rudolf Donnerhack, der die Reorganisation seines Plauener Hauses als „ideologische Durcharbeitung“ und „Parteiauftrag“ begriff, konnten diese Feststellungen nur den Ansporn bedeuten, sein Museum an die vorderste Front heimatmusealer Arbeit zu rücken. Wenige Tage später kündigte er in der Freien Presse fast beiläufig die Einrichtung einiger Ausstellungsräume zur „Ge- schichte der Arbeiterbewegung“ an.4 Donnerhack nutzte die 30-Jahrfeier des Museums am 1. Juli 1953, um die neuen Abteilungen zu eröffnen. Es war seine politische Überzeugung, die ihn auch in Krisenzeiten als „pflichtbewußten Genossen“ hinter der Partei stehen ließen. „Ich habe in der Zeit um den 17. Juni“, schrieb er an die Kreisleitung der SED Plauen, „als andere Museumsleiter zu mir mit der Frage kamen, ob sie noch in der augenblicklichen Situation eine Karl-Marx-Ausstellung durchfüh- ren könnten, mit dem Aufbau und der Einrichtung der vorläufigen Räume der Arbeiterbewegung angefangen.“ Anerkennung für eine solche Standfestigkeit erhielt er von den Funktionären jedoch nicht. Offenkundig fand die Ausstel- lung wenige Wochen nach dem Aufstand nicht das Interesse der Partei. Zur Eröffnung seien unter den Gästen nur 10 Prozent Genossen gewesen, stellte der Museumsleiter ernüchtert fest, eine „bedauerliche Tatsache, als schließlich doch die Eröffnung von Räumen der ‚Geschichte der Arbeiterbewegung‘ eine Angelegenheit der Arbeiterpartei ist“.5 Wie recht Donnerhack hatte! Bald wurde deutlich, dass die „Geschichte der Arbeiterbewegung“ gleichsam als Gegengewicht zu den Sommerereignis- sen des Jahres 1953 erhöhte historiografische Relevanz gewann. Zur Festigung ihrer Macht bedurfte die SED einer breiten Legitimationsbasis, die es histo- risch zu unterfüttern galt. Die Einrichtung einer eigenen Geschichtsabteilung am Marx-Engels-Lenin-Stalin-Institut beim ZK der SED, dem späteren Institut für Marxismus-Leninismus (IML), war nur ein Indiz für das neue Verhältnis der SED zur Vergangenheit. Ulbricht erwies seinem Drittberuf als Historiker 4 Werner Eckert, Diskussion um unser Zwickauer Museum, in: Freie Presse, Ausgabe Plauen vom 28. 2. 1953, S. 5; Neuerungen in unserem Museum, in: ebenda vom 12. 3. 1953, S. 4. 5 Schreiben von R. Donnerhack an die Kreisleitung der SED Plauen vom 31. 7. 1953, Muse- umsarchiv Plauen, Nr. 30, SED-Kreisleitung Plauen, unpag.
254 Jan Scheunemann schon frühzeitig Ehre, als er 1953 eigene Reden und Aufsätze unter dem Ti- tel „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ in drei voluminösen Bänden publizierte. Mit der Einrichtung einer Fachstelle für Heimatmuseen in Halle innerhalb des neu gegründeten Ministeriums für Kultur im Jahre 1954 waren schließ- lich die administrativen Voraussetzungen erfüllt, nun auch die über 460 regi- onal- und lokalgeschichtlichen Museen der DDR den geschichtspolitischen Ansprüchen der Partei zu unterwerfen. Der sogenannte Geschichtsbeschluss des SED-Politbüros vom 5. Juli 1955 sowie eine darauf zugeschnittene „An- ordnung über die Arbeit in Heimatmuseen“, die die „Beschäftigung mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der revolutionären Tradition unseres Volkes“ rechtsverbindlich zur vornehmlichen Aufgabe erklärte, bildeten den Ausgangspunkt der angestrebten Museumsreform. Nun war das Verkünden einer solchen Programmatik das eine, ihre Ver- wirklichung in der Praxis das andere. Denn die althergebrachten Methoden und Darstellungsthemen der Museen ließen sich nicht von heute auf morgen überwinden. Die staatlich verordnete Zielsetzung kollidierte nicht nur mit dem tradierten professionellen Selbstverständnis der Museumsleiter, die den Len- kungsanspruch der Fachstelle nur unwillig akzeptierten. Sie brach sich auch an den überlieferten Sammlungen, die kaum sinnfällige Ausstellungsstücke zu den örtlichen Traditionen einer organisierten Arbeiterschaft, geschweige denn zur Gründung „revolutionärer Parteien“ enthielten. Gerade aber die konzep- tionelle Anlage der „Geschichte der Arbeiterbewegung“ als reine Geschichte und Vorgeschichte der SED erwies sich in den Museen als Bremsklotz. Der partei- und vor allem nationalhistorische Ansatz konnte nur schwerlich mit dem Heimatmuseum als einer Institution in Einklang gebracht werden, die die Vergangenheit per se aus einer lokalhistorischen Perspektive befragte und deren Betrachtungshorizont zumeist um 1850 endete. Die Ausstellungspraxis bot dann auch alle Varianten fehlgeschlagener Musealisierungsversuche. Selbst Donnerhack musste sich nun Vorhaltungen gefallen lassen. Wenn er dazu aufrief, Ferdinand Lassalle in den Museen als „Vater des Opportunismus“ und die Führer der Sozialdemokratie als Verräter an der Sache des Sozialismus zu brandmarken, selbst aber dem sozialistischen Vogtland-Rebellen und 1920 aus der KPD ausgeschlossenen Max Hoelz einen Ausstellungsraum widmete, fand das kaum die Anerkennung der Parteihisto-
„Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte“ 255 riker. Für den Leiter des Hauses der Heimat in Freital war die „Geschichte der Arbeiterbewegung“ ein „besonders heikles Problem“, an das er „nur sehr zö- gernd herangehe“, da die Geschichte der Stadt eng mit der SPD verknüpft und deren Rolle durchaus positiv zu bewerten sei. In Zeulenroda wiederum hatte man gewagt, Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens in die Ausstellung zu integrieren, um den „Lebensrahmen der Menschen“ zu veranschaulichen. Konnte man nicht erahnen, dass dadurch der „Kampf der Arbeiterklasse“ zur „Nebensache“ geriet?6 Um die Forschungen zur Parteigeschichte auch regional anzuschieben, entstanden bei den Bezirks- und Kreisleitungen der SED „Kommissionen zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung“. Als „Hilfsorgane der Partei“ sollten sie auch der musealen Umgestaltung Nachdruck verleihen. In die gleiche Richtung zielte der beim Kulturbund gegründete „Arbeitskreis für Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung“, dessen Verflechtungsgrad mit der SED sich allein darin offenbarte, dass der Vorsitzende Heinrich Gemkow Mitarbeiter am Ost-Berliner IML war. Als Gemkow im Juni 1956 daran ging, die Fortschritte auf dem Feld der „Geschichte der Arbeiterbewegung“ kritisch zu prüfen, war das Resultat wenig erhebend. Weder sei es der Partei gelungen, flächendeckend entsprechende Kommissionen auszubilden, noch habe man es verstanden, „wirklich die treibende und führende Kraft bei der Popularisierung der örtlichen Traditionen zu werden“. Vielmehr machten sich ringsum „sektie- rerische Einstellungen“ nach der Devise „‚Laßt die Finger weg von der Partei- geschichte‘“ bemerkbar.7 Auch im Jahr 1957 war man noch weit davon entfernt, die Heimat- museen als Orte bürgerlicher Sinnwelten nachhaltig mit einer Klassenkampf- Ikonografie zu besetzen. Nicht „jede rote Ecke mit einem Thälmannbild“ stelle eine Museumsabteilung zur „Arbeiterbewegung“ dar, polterte der Direktor der Fachstelle für Heimatmuseen, Heinz Arno Knorr, noch seien Treppenaufgänge mit langweiligen Texttafeln dazu angetan, „das Neue überzeugend parteilich 6 Protokoll der Zentralen Museumsleitertagung des Ministeriums für Kultur und der Fachstelle für Heimatmuseen zur Darstellung der Geschichte der Arbeiterbewegung in den Heimatmu- seen der DDR in Plauen am 22. und 23. 11. 1955, Museumsarchiv Plauen, Nr. 1, unpag. 7 Bericht von Heinrich Gemkow über die Realisierung der Empfehlungen der Hallenser Konferenz zu Fragen der Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung vom 12. 6. 1956, SAPMO-BArch DY30/IV/2/9.07/56, Bl. 157–165.
256 Jan Scheunemann und ausdrucksvoll zu propagieren“. Diese wichtigen Inhalte dürften nicht „einfach formal ‚angeklatscht‘ werden, ohne daß die Thematik mit der Ge- samtkonzeption der historischen Abteilung überprüft“ worden sei. Der „Wir- kungsgrad“ der Ausstellungen blieb auch deshalb weit hinter den Erwartungen zurück, weil der „ideologische Stand des Bewußtseins der Museumsleiter“ kaum befriedigen konnte und das Festhalten an unverfänglichen Themen der Heimatgeschichte „mehr individuellen Wünschen oder romantischen Vorstel- lungen als wirklichen Bedürfnissen“ gehorchte.8 Als man im Jahr 1958 dem 40. Jahrestag der Novemberrevolution ent- gegensah, wurde deutlich, dass es bei der musealen Verarbeitung der „Arbei- terbewegung“ nicht nur darum ging, die bisher im geschichtspolitischen Organisationsgefüge eher randständigen Heimatmuseen in das Fahrwasser der staatliche Legitimationsstrategien zu lenken. Mochten es die Museums- leiter bisher auch verstanden haben, sich der geschichtspolitischen Observanz erfolgreich zu entziehen, kann das Jahr 1958 als Zäsur gelten. Das Jubiläum bot in seiner engen thematischen Eingrenzung die willkommene Möglichkeit zu einer durchgreifenden inhaltlichen Umprägung der Museen und war zugleich Prüfstein für die weltanschauliche Verfasstheit ihrer Leiter. Mit einem ungeheuren Kraftaufwand sollte nun gelingen, was bisher nur in Ansätzen vorhanden war. Hand in Hand mit den Parteikommissionen galt es, in den Museen neue Traditionsbilder zu verankern, um mit ihrer Hilfe die „sozialistische Bewußtseinsbildung“ zu fördern. Dreh- und Angelpunkt der gesamten SED-Argumentation um die Geschichte der Novemberrevolution bildete die KPD. Ihre späte Gründung 1918/19 beweise, dass alle Opferbereit- schaft der Arbeiter umsonst war, solange eine organisatorisch geschlossene marxistisch-leninistische Partei fehlte. Allein deshalb könne auch keine Rede von einer „sozialistischen“ oder „proletarischen“ Revolution sein. In ihrer „klassenmäßigen Einschätzung“ war stattdessen das umständliche Begriffs- konstrukt einer „bürgerlich-demokratischen Revolution“ zu gebrauchen, „die in gewissem Umfange mit proletarischen Mitteln und Methoden durchgeführt wurde“. So legte es Walter Ulbricht persönlich fest und fegte die „falschen 8 Heinz A. Knorr, Museum und Ausstellung. Die museale Ausstellung, ihr Wert und Anteil an den Aufgaben der kulturellen Massenarbeit, undat. (1957), BArchB DR1/8068, Bl. 1–31, hier Bl. 12, 25; ders., Zur Neugestaltung des Schausammlungen in den Heimatmuseen, in: Neue Museumskunde 1 (1958) 1, S. 14–20, hier S. 18.
„Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte“ 257 „Im November 1918 erhebt sich die deutsche Arbeiterschaft zum Kampf für Frieden, Demokratie und Sozialismus. Die Grundaufgaben der Revolution werden nicht gelöst, da zum Zeitpunkt eine wirklich revolutionäre Partei fehlt.“ Vogtländisches Kreismuseum Plauen, Ausstellungsabteilung zur „Geschichte der Arbeiterbewegung“ um 1955. Quelle: Bildarchiv Vogtlandmuseum Plauen Auffassungen“ einiger „Genossen Historiker“, die für einen „sozialistischen Charakter“ plädiert hatten, vom Tisch. Ulbrichts Grundsatzentscheidung über den „richtigen“ Charakter der Novemberrevolution war mitten in die heiße Phase der Ausstellungsvorberei- tungen gefallen und hatte nicht nur dort erhebliche Verunsicherung gestiftet. Es überraschte nicht, dass die in Fragen der Parteigeschichte gänzlich uner- fahrenen Heimatmuseumsleiter „theoretische Kenntnisse“ zur „Bedeutung der Rolle der Volksmassen und vor allen Dingen der Rolle der revolutionären Partei“ vermissen ließen, was sich in „objektivistischen Darstellungen“ zeigte. In Görlitz hatte der Museumsleiter die „Machtfrage“ nicht richtig herausgear- beitet, stattdessen aber „die Dokumente der KPD und der rechtssozialistischen SPD-Führer fein säuberlich nebeneinander ausgebreitet“. Geradezu skandalös
258 Jan Scheunemann aus Sicht der Geschichtswächter gestaltete sich die Situation in Köthen. Die Ausstellung war „lieblos hingehauen“, enthielt „schwerwiegende Mängel“ und musste kurz nach ihrer Eröffnung geschlossen werden. Robert Leibrand vom IML tobte noch im Januar 1959: „Da liegt ein Aufruf zur Mobilmachung, ‚Die Russen sind schuld am Kriege‘, darum für Gott, Kaiser und Vaterland. Dazu gibt es in Köthen kein Wort zu sagen. Kommentarlos liegen die Dokumente der Reaktion. Eine Bildtafel trägt die Überschrift ‚Konterrevolution‘; unter der Überschrift befinden sich die Bilder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg schwarz umrändert. Aber auch die sich anschließenden Bilder der Noske-Truppe sind schwarz umrändert. Die Mörder und die Ermordeten auf einer Tafel und beide schwarz umrändert.“9 Erst mit dem 1963 von Ulbricht autorisierten „Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ lag dann ein Gradmesser für die Partei- geschichtsschreibung vor, der auch „eine den politischen Erfordernissen entsprechende Darstellung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung in den Heimatmuseen“ ermöglichte.10 Nicht zuletzt der Mitte der sechziger Jahre einsetzende personelle Umbruch in den Museen begünstigte schließlich die Durchsetzung dieses Themas. Abgesehen von einigen regionalen Museen, die ab den späten siebzi- ger Jahren versuchten, Aspekte einer proletarischen Alltagskultur in ihre Ausstellungen zu integrieren, blieb das offizielle Postulat, in den Museen eine einheitlich organisierte und kämpferische „Arbeiterbewegung“ zu präsen- tieren, bis zum Ende der DDR aufrechterhalten. Sozialhistorische Fragen, die 9 Arbeitsberatung mit den Vorsitzenden und Sekretären der Bezirkskommissionen zur Er- forschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung in Auswertungen der Aktio- nen zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution am 13. 1. 1959 in Berlin, SAPMO-BArch DY/30/IV/2/9.07/58, Bl. 63; Ausstellungen „40. Jahrestag der November-Revolution“, un- dat. (1958), BArchB DR1/8058, Bl. 124–135, hier Bl. 130. 10 Aktennotiz von Hans Maur (IML, Sektor Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung) vom 29. 4. 1963, SAPMO-BArch DY30/IV A 2/9.07/252, unpag. Grundlegend zur gesam- ten Problematik vgl. Siegfried Lokatis, Der rote Faden. Kommunistische Parteigeschichte und Zensur unter Walter Ulbricht, Köln 2003 (= Zeithistorische Studien; Bd. 25), be- sonders S. 212–216.
„Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte“ 259 eine Anknüpfung an gesellschaftliche Realitäten in der DDR erlaubt hätten, wurden bewusst übergangen, wohlwissend, dass „der Hausrat einer armseligen Proletarierküche trotz klassenkämpferischer Texte“ von den Museumsbesu- chern „mit dem größten nostalgischen Vergnügen ‚konsumiert‘ wurde“.11 Das Mobilisierungspotenzial der „Arbeiterbewegung“ hielt sich auch deshalb in Grenzen, weil eine eindimensional auf die Parteigeschichte ausgerichtete Sichtweise kaum Identifikationsmöglichkeiten bot. Die „Geschichte der Arbeiterbewegung“ erwies sich letztendlich als untaugliche Agitationsvokabel. 11 Ernst Hofmann, Zum kommunikativen Wert musealer Objekte im Geschichtsmuseum, in: Informationen für die Museen in der DDR 22 (1990) 3/4, S. 5–12, hier S. 8.
Die DDR im Blick Ein zeithistorisches Lesebuch Herausgeben von Susanne Muhle, Hedwig Richter und Juliane Schütterle im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
ISBN 978-3-940938-04-6 © 2008 Metropol Verlag Ansbacher Str. 70 · 10777 Berlin www.metropol-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Druck: Aalexx Druck, Großburgwedel
Inhalt Einleitung von Susanne Muhle, Hedwig Richter und Juliane Schütterle ......................................... 11 Herrschaft im Alltag – Alltag der Herrschaft ....................................................... 17 MICHAEL BIENERT Wie demokratisch muss es aussehen? Die SED und die Inszenierung der „Volkswahlen“ 1950 in der DDR .................................................................................................................................................................. 19 MICHAEL PL OENUS Zweifelnde Hasen im ideologischen Pfeffer Anmerkungen zum Pflichtstudium des Marxismus-Leninismus, seiner Tiefenwirkung und seinen Verfechtern ..................................................................... 29 TILMANN SIEBENEICHNER Vom Mythos einer kämpferischen Klasse Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse und „der Schutz der sozialistischen Errungenschaften“ ..................................................................................................... 39 JULIANE SCHÜ T TERLE Die toten Helden der Arbeit Das Grubenunglück auf Schacht 250 im Uranerzbergbau Wismut am 16. Juli 1955 ..................................................................................................................................................... 51
Inhalt RALPH KASCHKA Oberbaukrise! Die SED, die Deutsche Reichsbahn und das Gleisnetz der DDR in den fünfziger Jahren .................................................................................................................................. 59 MICHAEL HEINZ Die Geschichte der individuellen Kuh Private landwirtschaftliche Produktion in der DDR ................................................... 69 HEDWIG RICHTER Rechtsunsicherheit als Prinzip Die Herrnhuter Brüdergemeine und wie der SED-Staat seine Untertanen in Schach hielt ........................................................................................................................ 77 D OROTHÉE B ORES „Wenn man ihn kalt stellt und ihn echt isoliert“. Wolf Biermann als Mitglied des DDR-PEN ........................................................................... 87 Aufbrüche und Ausbrüche ................................................................................................................... 97 FABIAN KL ABUNDE Überreden als Strategie Die Mauer war nicht genug ...................................................................................................................... 99 ANDREAS STIRN Mit dem Rollschinken nach Utopia Die „Fritz Heckert“ als sozialistisches Traumschiff und realsozialistischer Albtraum .................................................................................................................... 109 ANNA PELKA Wie der Pop in den Osten kam Mode in der DDR und in Polen in den sechziger Jahren ......................................... 119
Inhalt PETER WURSCHI „Mir ist so langweilig!“ Jugend, Alltag und die sozialistische Provinz ....................................................................... 129 ANGELIKA Z AHN Die Ruine der Dresdner Frauenkirche im Widerstreit der DDR-Öffentlichkeit .............................................................................................................................. 139 DANIEL SCHWANE Eine Geschichte des Scheiterns im Kalten Krieg Das „Berliner Wirtschafts-Blatt“ und der West-Ost-Handel .............................. 149 Grenzüberschreitungen ............................................................................................................................. 157 SUSANNE MUHLE Mit „Blitz“ und „Donner“ gegen den Klassenfeind Kriminelle im speziellen Westeinsatz des Ministeriums für Staatssicherheit ..................................................................................................... 159 SVEN SCHULTZE Auftrag „Grüne Woche“ Die Landwirtschaftsausstellung als Angelegenheit deutsch-deutscher Systemkonkurrenz .......................................................................................... 169 PATRICIA F. ZECKERT „Eine Versammlung von Sehnsucht“ Die Internationale Leipziger Buchmesse und die Leser in der DDR .......... 179 JENS NIEDERHU T „… das geistige Symbol der Einheit des deutschen Volkes“ 1964 kamen in Weimar Wissenschaftler aus beiden Teilen Deutschlands zusammen ............................................................................................................................ 189
Inhalt U TA ANDREA BALBIER „Flaggen, Hymnen und Medaillen“ Die gesamtdeutsche Olympiamannschaft und die kulturelle Dimension der Deutschlandpolitik ..................................................................... 201 SUSANNE TIMM Vorherrschaft statt Solidarität Das Kinderheim Bellin für namibische Flüchtlingskinder von 1979 bis 1990 ................................................................................................................................................ 211 Reflexionen und Wahrnehmungen ....................................................................................... 219 JENS HÜ T TMANN So sah die DDR im Jahr 2000 einmal aus Mutmaßungen über die Zukunft der SED-Diktatur in der Bundesrepublik vor 1989 .......................................................................................................... 221 DANIEL FRIEDRICH STURM Mailand statt Magdeburg Viele Westdeutsche zeigten wenig Interesse an der DDR. Von einer staatlichen Einheit mochte die Politik nicht einmal mehr träumen ........... 229 KATHLEEN SCHRÖTER „… reif für eine West-Mission“ Bildende Kunst aus der DDR in der Bundesrepublik Deutschland ............ 239 JAN SCHEUNEMANN „Laßt die Finger weg von der Parteigeschichte“ Zur Darstellung der Arbeiterbewegung in den Heimatmuseen der frühen DDR ..................................................................................................................................................... 249 CHIARA MARMUGI Wolf Biermann und sein Meister Brecht ............................................................................... 261
Inhalt UD O GRASHOFF Selbsttötung oder durch die Staatssicherheit verschleierter Mord? Vier Beispiele aus den achtziger Jahren ...................................................................................... 269 BET TINA GREINER Der Preis der Anerkennung Zur Erinnerungsliteratur über die Speziallagerhaft ..................................................... 281 NINA LEONHARD Gewinner und Verlierer der Vereinigung Berufsbiografische Bilanzen zweier ehemaliger NVA-Offiziere ...................... 291 Essay ............................................................................................................................................................................................ 301 RALPH JESSEN Eine Vorschau auf die Rückschau ................................................................................................... 303 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................................................... 311 Register ........................................................................................................................................................................................ 315 Danksagung ........................................................................................................................................................................... 319 Die Autorinnen und Autoren ........................................................................................................................... 321
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