Was leistet Mobile Jugendarbeit?
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Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit/Streetwork Baden-Württemberg e.V.
Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit Baden-Württemberg
Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg, Landesjugendamt
Was leistet
Mobile Jugendarbeit?
Ein Portrait Mobiler Jugendarbeit in Baden-Württemberg
„… die sind halt wirklich für mich da!“
(Ein Jugendlicher über die Mitarbeiter/innen der Mobilen Jugendarbeit)
Unterstützt durchImpressum
Was leistet Mobile Jugendarbeit?
Ein Portrait Mobiler Jugendarbeit in Baden-Württemberg
Herausgegeben von:
Landesarbeitsgemeinschaft
Mobile Jugendarbeit/Streetwork
Baden-Württemberg e.V.
Landesarbeitsgemeinschaft
Mobile Jugendarbeit/Streetwork Baden-Württemberg e.V.
Heilbronner Straße 180
70191 Stuttgart
Tel. 0711 1656-222
servicestelle@lag-mobil.de
www.lag-mobil.de
LAG JuGendsoziALArbeit
Baden-Württemberg
Landesarbeitsgemeinschaft
Jugendsozialarbeit Baden-Württemberg
AK Mobile Jugendarbeit
Heilbronner Straße 180
70191 Stuttgart
Tel. 0711 1656-317
keppeler.s@diakonie-wuerttemberg.de
Kommunalverband für
Jugend und Soziales
Baden-Württemberg
Landesjugendamt
Lindenspürstraße 39
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Gefördert von:
Ministerium für Arbeit und Sozialordnung,
Familie, Frauen und Senioren
Baden-Württemberg
Schellingstraße 15
70174 Stuttgart
Tel. 0711 123-0
www.sozialministerium-bw.de
Gestaltung:
Genter & Partner Werbeagentur GmbH
Neckarstraße 240
70190 Stuttgart
Fotos:
Christian Metzler und Daniel Weisser, Pforzheim/ Fotoprojekt "Störbild"
Michael Glück, MJA Reutlingen Innenstadt
MJA Allmersbach im Tal
Stuttgart
Erstausgabe 2005
Zweite, überarbeitete und aktualisierte Auflage 2011
2Inhalt
1 Einleitung 5
2 Zur Entstehung Mobiler Jugendarbeit in den 60er Jahren 6
3 Datenbasis und Entstehung des Berichts 8
4 Auftrag und Ziele der Mobilen Jugendarbeit 11
4.1 Gesetzliche Vorgaben / Rahmenbedingungen 11
4.2 Ziele 12
5 Wen erreicht Mobile Jugendarbeit? 15
5.1 Altersgruppen 15
5.2 Zentrale Themen der Zielgruppen 17
6 Arbeitsformen der Mobilen Jugendarbeit 20
6.1 Streetwork 20
6.2 Individuelle Beratung und Unterstützung 22
6.3 Angebote für Cliquen und Gruppen 23
6.4 Gemeinwesenorientierte Arbeit 25
7 Arbeitsprinzipien der Mobilen Jugendarbeit 27
8 Was leistet Mobile Jugendarbeit? 31
9 Wer finanziert Mobile Jugendarbeit? 33
10 Was braucht Mobile Jugendarbeit? 35
10.1 Verlässliche Finanzierung durch das Land, Landkreise, Städte und Gemeinden 35
10.2 Fachliche Offenheit zu Weiterentwicklung des Arbeitsansatzes 36
10.3 Qualitätsentwicklung und Wirkungsorientierung 38
10.4 Gremienstrukturen – politische Vertretung 39
11 Ausgewählte Literatur zur Mobilen Jugendarbeit 40
Autor/innen 45
12 Standorte 46
31. Einleitung
Auch in Baden-Württemberg, einem relativ reichen Diese Reintegration kann allerdings nicht alleine Aufga-
Bundesland, leben viele Kinder und Jugendliche unter be der örtlichen Jugendhilfe sein. Die Zielgruppen hal-
schwierigen Lebensbedingungen. Diese haben ver- ten sich einerseits nicht nur in ihren örtlichen Bezügen
schärfte Auswirkungen, weil sich Jugendliche zuneh- auf, sondern wandern häufig auch in Ballungszentren
mend verschulden, einige sind von Obdachlosigkeit be- ab. Auch liegt die Entstehung von Brennpunkten nicht
troffen oder leiden unter steigender Armut und Ar- alleine in kommunaler Hand. Daher ist Mobile Jugend-
beitslosigkeit. Ein großer Teil der von Mobiler Jugend- arbeit nach wie vor eine Unterstützungsaufgabe des
arbeit begleiteten jungen Menschen ist auf eine Landes, das gemäß § 82, Abs. 2 SGB VIII i.V.m. §§ 14,
individuelle Unterstützung und Hilfe angewiesen, da 15 LKJHG Baden-Württemberg auf den gleichmäßigen
sie weder auf ein stützendes Elternhaus zurückgreifen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hinzuwirken
können, noch das Vertrauen in traditionelle Institutio- hat. Die Jugendämter benötigen die Unterstützung
nen der Jugendhilfe besteht. Cliquen und Szenen stellen durch das Land, um die Lebenssituation der Jugendli-
für Jugendliche wesentliche Orte des sozialen Lernens chen und jungen Erwachsenen positiv und nachhaltig
und gegenseitiger Stabilisierung bei der Bewerkstelli- zu beeinflussen.
gung ihres Alltags dar. Zur Bewältigung der Risiken der
Jugendphase benötigen zunehmend auch jüngere Ju-
gendliche sowie junge Erwachsene die Unterstützung Mobile Jugendarbeit wird in Deutschland seit über 40
durch verlässliche erwachsene Vertrauenspersonen. Jahren umgesetzt und weiterentwickelt. Die Ursprünge
liegen in Baden-Württemberg, wo das Konzept seit En-
de der 1960er Jahre praktisch erprobt und wissenschaft-
Mitarbeiter/innen aus dem Arbeitsfeld der Mobilen Ju- lich entwickelt wurde. Zur historischen Vergewisse-
gendarbeit verfügen über örtliche Kenntnisse und Er- rung des Arbeitsansatzes stellt Walther Specht im näch-
fahrungen bezüglich der Lebenslagen junger Menschen. sten Kapitel die Anfänge der Mobilen Jugendarbeit dar.
Die Arbeitsformen (Streetwork/aufsuchende Arbeit; Im Anschluss wird dargestellt, was Mobile Jugendarbeit
individuelle Unterstützung und Beratung, Angebote in Baden-Württemberg aktuell leistet: Der Bericht be-
für Cliquen und Gruppen; gemeinwesenorientierte Ar- schreibt die Lebenslagen der Zielgruppen sowie Auftrag
beit) sowie die akzeptierende Haltung der und Ziele, Arbeitsformen und -prinzipien, Leistungen
Mitarbeiter/innen der Mobilen Jugendarbeit bieten und Rahmenbedingungen Mobiler Jugendarbeit. Ab-
Möglichkeiten, einen tragfähigen Kontakt zu Jugendli- schließend werden Handlungs- und Entwicklungsbe-
chen, die von Ausgrenzung betroffen sind, herzustellen. darfe formuliert.
Die Mobile Jugendarbeit begleitet Jugendliche im Le-
bensalltag und bewahrt sie durch die unterstützende
Tätigkeit vor einem Abrutschen. Wenn Jugendliche in
ihren Biographien Brüche, Verletzungen und Ableh-
nung erfahren haben und diese negativen Prägungen ge-
genüber einer Anerkennung und einem positiven
Selbstwertgefühl dominieren, brauchen sie Zeit, um ih-
re eigenen Werte und Wege zu finden. Mobile Jugendar-
beit gibt dieser Zielgruppe die Chance, die in ihnen
steckenden Fähigkeiten und Möglichkeiten wieder zu
entdecken und sich mit den bisherigen Erfahrungen
und neu dazu Gelerntem zurechtzufinden.
52.
3. Zur
Walther
Entstehung
Specht: Zur Entstehung
Mobiler Jugendarbeit in den 60er Jahren
„Im Herbst 1967
Im Herbst 1967 erhielt
erhielt ich
ich als
als noch
noch relativ
relativ frisch
frisch gradu-
gradu- durch
ders ideelle und finanzielle
um Jugendliche, dieHilfen
in entscheidend unter-
der Öffentlichkeit
ierter
ierter Sozialarbeiter
Sozialarbeiter vonvon meinem
meinem Arbeitgeber,
Arbeitgeber, der der stützt hat, suchte
als „auffällig“, ich auf den
„gefährlich“ Straßen
oder und Baustellen
„gefährdet“ bezeichnetin
Evangelischen Gesellschaft Stuttgart,
Evangelischen Gesellschaft Stuttgart, Abteilung Abteilung Ju- Freiberg nach Jugendlichen. Es ging dabei
wurden. Rasch wurde mir dabei klar, dass ich an besonders
gendhilfe,
Jugendhilfe,diedie
Anfrage,
Anfrage,obobichich
bereit
bereit wäre, in in
wäre, demdem gera-
ge- um Jugendliche,etikettierte
solchermaßen die in der Öffentlichkeit
Jugendliche nurals „auffällig“,
herankam,
de neu entstehenden Stuttgarter Stadtteil Freiberg
rade neu entstehenden Stuttgarter Stadtteil Freiberg ei- eine „gefährlich“
wenn ich mich auf ihre Lebenswelt, ihrenwurden.
oder „gefährdet“ bezeichnet Alltag
offene Form
ne offene Formevangelischer Jugendhilfe
evangelischer Jugendhilfeim Stadtteil
im Stadtteilzu Rasch
einließ.wurde mir klar, dass
Dies bedeutete, ihreich an solchermaßen
Aufenthalts- etiket-
und Trefforte
beginnen. Im Rahmen meines Studiums
zu beginnen. Im Rahmen meines Studiums an der an der Evange- tierte Jugendlicheund
herauszufinden nur herankam, wenn ich michStraßen,
sie dort aufzusuchen. auf ihre
lischen Fachhochschule
Evangelischen für Sozialwesen
Fachhochschule Hannover,Han-
für Sozialwesen das Lebenswelt,
Plätze, KneipenihrenundAlltag einließ. Dies
Baustellen warenbedeutete, ihre
meine ersten
ich ein das
nover, Jahrichzuvor abgeschlossen
ein Jahr hatte und hatte
zuvor abgeschlossen währendund Aufenthalts-
Kontaktorte und– und Trefforte
dies zu herauszufinden und Jugend-
Zeiten, die von den sie dort
meines
während anschließenden sechsmonatigen
meines anschließenden Studienaufent-
sechsmonatigen Studi- aufzusuchen.
lichen bestimmt Straßen,
wurden: Plätze,
nachKneipen und und
Schulschluss Baustellen
Feier-
haltes in den USA
enaufenthaltes in (School
den USA of Social
(SchoolWork,
of University
Social Work, of waren meine ersten Kontaktorte –
abend, spätabends und an den Wochenenden.und dies zu Zeiten,
Minnesota
University St.of Paul), hatte ich
Minnesota St. erstmals von dem
Paul), hatte profes-
ich erstmals die von den Jugendlichen bestimmt wurden: nach
Als Alternative zu selbst- und fremdzerstörerischem
sionellen
von demKonzept des Streetwork
professionellen Konzept in den
des USA erfahren.
Streetwork in Schulschluss und Feierabend, spätabends und an den
Verhalten entwickelte ich zusammen mit den Jugend-li-
Bis
denzu diesem
USA Zeitpunkt
erfahren. Bis zugab es in der
diesem Bundesrepublik
Zeitpunkt gab es in Wochenenden.
chen ein attraktives Freizeitprogramm mit erlebnis-
Deutschland keine professionell
der Bundesrepublik Deutschlandausgewiesene Street-
keine professionell
pädagogischen Inhalten im Rahmen einer entstehenden
work-Praxis.
ausgewieseneInStreetwork-Praxis.
der damaligen deutschen In derJugendhilfe-
damaligen
Clubarbeit,
Diese bot aber
neue Form auch individuelle
der aufsuchenden Einzelberatung
sozialen Arbeit auf
praxis war auch der Begriff Streetwork
deutschen Jugendhilfepraxis war auch der Begriff weitestgehend
bei alltagsbezogenen Problemen an. Auseinanderset-
der Straße gelang! Es entstanden ganz langsam vertrau-
unbekannt. Die Sozialarbeit
Streetwork weitestgehend mit „gefährdeten“
unbekannt. oder
Die Sozialarbeit
zungen im
ensvolle Stadtteil, Gesetzesbrüche
Beziehungen zwischen mir und und den
Konflikte mit
Jugendli-
„verwahrlosten“ Jugendlichen konzentrierte
mit „gefährdeten“ oder „verwahrlosten“ Jugendlichen sich auf die
der Polizei reduzierten sich dabei in dem Maße,
chen. Als Alternative zu selbst- und fremdzerstöreri- wie es
Heimerziehung.
konzentrierte sich Eine
aufoffene, ambulante oder
die Heimerziehung. Eine stadtteil-
offene,
gelang,Verhalten
schem den Jugendlichen
entwickeltegegenüber
ich zusammenInteresse, Wert-
mit den Ju-
bezogene
ambulante oder stadtteilbezogene Sozial- oder
Sozial- oder Jugendarbeit mit Cliquen oder
schätzung und damit das Gefühl von Beheimatung
gendlichen ein attraktives Freizeitprogramm mit erleb- zu
Jugendbanden
Jugendarbeit mit – und nur inoder
Cliquen diesem Zusammenhang
Jugendbanden – undist
vermitteln. Sie bestimmten
nispädagogischen Inhalten im dabeiRahmenim Wesent-
einer
Streetwork in seinem Ursprungsland USA
nur in diesem Zusammenhang ist Streetwork in seinem entwickelt
lichen, was unter ihnen oder durch sie im Stadtteil
entstehenden Clubarbeit, bot aber auch individuelle sich
worden – fand inUSA
Ursprungsland Westdeutschland
entwickelt wordennicht statt.
– Formen
fand in
immer mehr positiv
Einzelberatung veränderte (Gemeinwesenarbeit).
bei alltagsbezogenen Problemen an.
der Jugendsozialarbeit waren damals primär
Westdeutschland nicht statt. Formen der Jugendsozial- auf Ju-
Ich verstand mich dabei lediglich als ihr
Auseinandersetzungen im Stadtteil, Gesetzesbrüche anwaltlicher
gendwohnen
arbeit warenund Jugendberufshilfen
damals gerichtet.
primär auf Jugendwohnen und
Berater.
und Konflikte mit der Polizei reduzierten sich in dem
Jugendberufshilfen gerichtet.
Maße,
Die sichwielangsam
es gelang,sehr
den Jugendlichen gegenüberMobile
positiv entwickelnde Inter-
Als nun
Als nunimimHerbst
Herbst19671967 der Stuttgarter
der Stuttgarter Stadtteil
Stadtteil Frei- esse, Wertschätzung und damit das–Gefühl
Jugendarbeit im Stadtteil Freiberg damalsvon Behei-
noch eher
Freiberg mit öffentlichen Schlagzeilen wie „wachsende
berg mit öffentlichen Schlagzeilen wie „wachsende Ju- matung zuBegrifflichkeit
vermitteln. Sie der
bestimmten
unter der „sozialendabei im Wesent-
Gruppenarbeit“
Jugendkriminalität“,
gendkriminalität“, „Gewalt
„Gewalt undund Zerstörung
Zerstörung durchdurch
Ju- lichen, was unter ihnen oder durchbekannt
sie im Stadtteil
oder der „sozialen Jugendarbeit“ – führte sich
da-
Jugendliche“, Alkoholprobleme und anderes
gendliche“, Alkoholprobleme und anderes auf sich auf- auf sich immer mehr positiv veränderte (Gemeinwesenarbeit).
zu, dass die Lebenslage von Kindern und Jugendlichen
aufmerksam
merksam machte
machte und und die dortige
die dortige Evangelische
Evangelische Kir-
Kirchen- Ich
auchverstand mich lediglich
in den beiden als ihr anwaltlicher
Nachbarstadtteilen Rot undBerater.
Mönch-
chengemeinde
gemeinde sich ansich
diean die Evangelische
Evangelische Gesellschaft
Gesellschaft gewandtge-
feld immer mehr in den Blickpunkt geriet. In Stuttgart-
wandtkam
hatte, hatte,
diekam die erwähnte
erwähnte Anfrage Anfrage
an mich.anIchmich. Ich
zögerte Rot hatte es sich insbesondere unter dort ausgegrenz-
zögerte nicht lange und sagte ziemlich rasch
nicht lange und sagte ziemlich rasch zu. Hier bot sich zu. Hier Die sich im Verlauf von 1967 bis 1970 positiv entwik-
ten Jugendlichen rasch herumgesprochen, dass es in
botmich
für sich ein
für offenes,
mich einwenngleich
offenes, wenngleich unstruktu-
unstrukturiertes, aber kelnde Mobile Jugendarbeit im Stadtteil Freiberg – da-
Freiberg im Evangelischen Gemeindehaus, also im
riertes, aber besonders spannendes Arbeitsfeld
besonders spannendes Arbeitsfeld an. Mit dem Rük- an. Mit mals noch eher unter der Begrifflichkeit der „sozialen
Club 67, relativ attraktive Freizeitangebote gab, so dass
dem Rückenwind
kenwind der Evangelischen
der Evangelischen Kirchengemeinde
Kirchengemeinde Freiberg, Gruppenarbeit“ oder der „sozialen Jugendarbeit“ be-
immer mehr Jugendliche aus Rot nach Freiberg kamen
Freiberg, die einen starken Problemdruck
die einen starken Problemdruck verspürte, der Evange- verspürte, kannt – führte dazu, dass die Lebenslage von Kindern
und damit auch die dort entstehende Mobile Jugendar-
der Evangelischen
lischen Gesellschaft,Gesellschaft, meinem und
meinem Arbeitgeber, Arbeitgeber,
dem Ju- und Jugendlichen auch in den beiden Nachbarstadttei-
beit konfrontierten. Da zwischenzeitlich das Interesse
gendamt der Stadt Stuttgart, das die damals fürdamals
und dem Jugendamt der Stadt Stuttgart, das die Stutt- len Rot und Mönchfeld immer mehr in den Blickpunkt
an der Arbeit der Mobilen Jugendarbeit auch in der ka-
für Stuttgart
gart entstehendeentstehende
Mobile Mobile Jugendarbeit
Jugendarbeit – wenn – wenn
auch geriet. In Stuttgart-Rot hatte es sich insbesondere unter
tholischen Kirchengemeinde in Freiberg
auch noch unter anderer Begrifflichkeit –
noch unter anderer Begrifflichkeit – von Anfang an von Anfang dort ausgegrenzten Jugendlichen rasch herumgespro-
gewachsen war, führte dies dazu, dass die beiden
an durch ideelle und finanzielle Hilfen entscheidend
Freiberger Pfarrer (evangelisch und katholisch) 1969 ih-
unterstützt hat, suchte ich auf den Straßen und Baustel-
re Kollegen in Stuttgart-Rot mit der Überlegung
len in Freiberg nach Jugendlichen. Es ging dabei beson-
6
6chen, dass es in Freiberg im Evangelischen Gemeinde- Jugendarbeit. Die durch die Universität Tübingen schon
haus, also im Club 67, relativ attraktive Freizeitangebo- 1982 begonnene Serie von internationalen Symposien
te gab, so dass immer mehr Jugendliche aus Rot nach zur weltweiten Entwicklung Mobiler Jugendarbeit
Freiberg kamen und damit auch die dort entstehende wurde 1992 von der Internationalen Gesellschaft für
Mobile Jugendarbeit konfrontierten. Da zwischenzeit- Mobile Jugendarbeit (ISMO), einem Fachverband des
lich das Interesse an der Arbeit der Mobilen Jugendar- Diakonischen Werkes der EKD, aufgenommen und in
beit auch in der katholischen Kirchengemeinde in Frei- Kooperation mit dem Institut für Erziehungswissen-
berg gewachsen war, führte dies dazu, dass die beiden schaft weitergeführt, so dass 2003 bereits das 8. Sympo-
Freiberger Pfarrer (evangelisch und katholisch) 1969 ih- sium zur Mobilen Jugendarbeit in Kenia durchgeführt
re Kollegen in Stuttgart-Rot mit der Überlegung an- werden konnte. Kenianische und Vertreter anderer afri-
sprachen (ein Jahr später auch die Kirchengemeinde in kanischer Länder zeigten ebenfalls sehr großes Interesse
Mönchfeld), sich zur Gründung eines gemeinsamen, an dem europäischen Produkt Mobile Jugendarbeit.
ökumenischen Trägers zusammen zu tun. Dies klappte 2008 fand unter der Schirmherrschaft der Bundeskanz-
und führte unter Einbeziehung und fachlicher Anlei- lerin Angela Merkel in Stuttgart das 9. Internationale
tung der Caritas Stuttgart und der Evangelischen Ge- Symposium zur Mobilen Jugendarbeit mit Vertretern
sellschaft Stuttgart 1970 zur Gründung der „Gesell- aus 39 Ländern der Erde statt. Im Rahmen dieser Kon-
schaft für soziale Jugendarbeit Stuttgart“. Das neu ent- ferenz kam es zur Bildung eines Europäischen Netz-
standene Trägergebilde hatte nun eine wesentlich brei- werkes für Mobile Jugendarbeit.
tere und vor allem eine ökumenische Basis gewonnen:
In einem gemeinsamen christlichen Auftrag entwickel-
ten sechs Kirchengemeinden und die beiden lokalen Gegenwärtig ist ISMO sowohl in der Russischen Föde-
kirchlichen Wohlfahrtsverbände nicht nur eine starke ration und in der Ukraine als auch in mehreren anderen
Trägergemeinschaft, sondern auch ein neues, modernes zentral- und südosteuropäischen Ländern dabei, Quali-
und bis heute hochaktuelles Jugendhilfekonzept. fizierungsmaßnahmen im Bereich Mobile Jugendarbeit
anzubieten und Netzwerke aufzubauen. Seit 2010 liegen
bei ISMO auch Anfragen aus China und anderen asiati-
Der Erfolg der „Gesellschaft für soziale Jugendarbeit schen Ländern vor. Diese nationale und internationale
Stuttgart“ führte in den folgenden Jahren dazu, dass bis Entwicklung in der Mobilen Jugendarbeit ist letztlich
heute in zahlreichen (insgesamt 16) Stadtregionen Stutt- Ausdruck dafür, dass es nach wie vor entsprechende
garts Ansätze Mobiler Jugendarbeit praktiziert werden. Bedürfnislagen unter Kindern und Jugendlichen gibt,
Auch über Stuttgart hinaus, in Baden-Württemberg, in aber auch humane, effektive und kostensparende Ant-
anderen Bundesländern und seit der politischen Ost- worten der europäischen oder kosmopolitischen Ju-
West-Wende auch in den neuen Bundesländern, ent- gendsozialarbeit.
standen und entstehen neue Projekte Mobiler Jugend-
Walther Specht
arbeit. Diese haben längst nicht mehr nur kirchliche,
sondern auch andere freie und kommunale Träger ge-
funden. Dies alles war allerdings nur möglich, weil par-
allel zur relativ positiven Praxisentwicklung und zur
Prof. Dr. Walther Specht (geb. 1938) ist Honorar-
politisch wahrgenommenen hohen gesellschaftlichen
professor an der Universität Tübingen, Vorsitzender
Produktivität dieses Konzeptes von Beginn an eine
der Internationalen Gesellschaft für Mobile Jugend-
theoretische Auseinandersetzung geführt beziehungs-
arbeit (ISMO) und ehemaliger Direktor im Diako-
weise gesucht wurde. Dieser Zuwachs von vielen hun-
nischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutsch-
dert neuen aufsuchenden Ansätzen in der deutschen Ju-
land. Nach dem Studium der Sozialen Arbeit in
gendhilfelandschaft führte noch vor dem Ende des 20.
Deutschland und den USA übernahm er eine Vor-
Jahrhunderts zu Gründungen von zwölf Landesarbeits-
reiterrolle bei der praktischen Erprobung und wis-
gemeinschaften Mobiler Jugendarbeit in fast allen Re-
senschaftlichen Ausarbeitung des Konzepts Mobile
gionen Deutschlands, zum Beispiel auch in Baden-
Jugendarbeit.
Württemberg (1986), und 1997 konsequenterweise zu
einer Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile
73. Datenbasis und Entstehung des Berichts
Seit 2002 finden zweimal jährlich Fachgespräche zur
Mobilen Jugendarbeit im Sozialministerium statt, an
denen Vertreter/innen der Landesarbeitsgemeinschaft
Mobile Jugendarbeit/Streetwork Baden-Württemberg
e.V., der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit
und des Landesjugendamtes teilnehmen. In diesem
Rahmen entstand das Vorhaben, Konzept und Wirkung
Mobiler Jugendarbeit in einem Bericht darzustellen.
Der Bericht wurde in der ersten Fassung 2005 veröf-
fentlicht und für die zweite Auflage 2011 vollständig
überarbeitet und aktualisiert. An dieser Stelle bedanken
wir uns bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so-
wie Trägern für ihre Unterstützung.
Grundlagen für den Bericht sind:
■ die Auswertung von 16 ausführlichen Dokumenta-
tionen von Einrichtungen der Mobilen Jugendarbeit
über typische Problemstellungen, Leistungen, Wirkun-
gen und Prozessverläufe in der Arbeit mit Einzelnen,
Gruppen/Cliquen sowie in der gemeinwesenorientier-
ten Arbeit,
■ die fortlaufende Einarbeitung der Ergebnisse von
Fachdiskussionen im Rahmen regelmäßiger Arbeitstref-
fen und Fachtagungen,
■ die Auswertung der vorliegenden Fachliteratur zur
Mobilen Jugendarbeit.
In Zahlen:
Einrichtungen Mobiler Jugendarbeit im
Jahr 2009:
■ 112 Einrichtungen mit 279 Mitarbeiter/innen
(ca. 210 Personalstellen)
■ Träger: 51 öffentliche Träger, 37 freie Träger
Quelle: Landesweite Erhebung, Landesarbeitsge-
meinschaft Mobile Jugendarbeit/Streetwork Baden-
Württemberg e.V.
84. Auftrag und Ziele der Mobilen Jugendarbeit
Mobile Jugendarbeit ist ein professionelles Handlungs- gendarbeit eine Form der Jugendsozialarbeit, die nach
konzept mit dem Ziel, die Lebenssituation besonders § 13 SGB VIII zum Ausgleich sozialer Benachteiligun-
benachteiligter junger Menschen zu verbessern und sie gen oder zur Überwindung individueller Beeinträchti-
in ihrer Entwicklung zu fördern. Mobile Jugendarbeit gungen von jungen Menschen beitragen soll, die in er-
erreicht diese jungen Menschen, weil sie auf einem Ver- höhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind. Zu
trauensverhältnis basiert und langfristige tragfähige Be- den Zielgruppen, für die Angebote der Jugendsozialar-
ziehungen zwischen den jungen Menschen und den beit nach § 13 SGB VIII bedarfsgerecht zu entwickeln
Mitarbeiter/innen ermöglicht. Sie knüpft direkt an der sind, gehören nach Struck (in Wiesner u.a., SGB VIII, 3.
Lebenswelt der Jugendlichen an und kann ohne Vor- Aufl. München 2006, § 13 RdNr. 4) insbesondere
aussetzungen von den jungen Menschen in Anspruch
■ Junge Menschen mit besonderen Schwierigkeiten
genommen werden. Ausgehend von Streetwork reali-
beim Übergang von der Schule in den Beruf: Haupt-
siert Mobile Jugendarbeit individuelle Unterstützung,
und Sonderschüler/innen mit schlechtem oder ohne
Gruppen- und Cliquenarbeit sowie gemeinwesenorien-
Abschluss, Schul- und Ausbildungsabbrecher/innen,
tierte Angebote.
Jugendliche ohne Ausbildung und Arbeit,
■ Jugendliche mit Sozialisationsdefiziten, mit abwei-
4.1 Gesetzliche Vorgaben / chenden Karrieren oder Suchtproblemen,
Rahmenbedingungen ■ junge Menschen mit Migrationshintergrund,
■ junge Menschen, deren Familien in sozialen Brenn-
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Förderung punkten räumlich konzentriert leben,
der individuellen Entwicklung der Persönlichkeit. Die ■ Mädchen und junge Frauen, die von erhöhter Ar-
Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe sollen dazu beitslosigkeit betroffen sind und spezieller Förderung
beitragen, Benachteiligungen zu überwinden und abzu- bedürfen.
bauen sowie positive Lebensbedingungen zu schaffen
(§ 1 SGB VIII). Mobile Jugendarbeit hat sich als eigen-
ständiges Arbeitsfeld etabliert, um diese Zielrichtungen Das Nebeneinander und im Idealfall sich ergänzende
der Jugendhilfe für besonders benachteiligte und ge- Miteinander von Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit
fährdete Jugendliche und junge Erwachsene zu verfol- findet sich eher im städtischen Raum. Im ländlichen
gen. Mobile Jugendarbeit in Baden-Württemberg fin- Raum lässt sich aus Kapazitätsgründen bezogen auf die
det ihre gesetzliche Grundlage überwiegend in § 11 und Anzahl der Jugendlichen und aus ökonomischen Grün-
§ 13 SGB VIII (in Verbindung mit § 14 und § 15 den hinsichtlich kommunaler Finanzierungen oft nur
LKJHG Baden-Württemberg). einer der Arbeitsansätze (Offene Jugendarbeit oder
Mobile Jugendarbeit oder Jugendreferatsarbeit) reali-
sieren. Mobile Jugendarbeit wird dann als bedarfsge-
Mobile Jugendarbeit ist im gesetzlichen Sinne des SGB rechter Ansatz im ländlichen Raum gewählt, wenn eine
VIII sowohl ein Arbeitsansatz der Jugendarbeit nach Sozialraumanalyse belegt, dass es in der Gemeinde bzw.
§ 11 als auch der Jugendsozialarbeit nach § 13. Mobile im Gemeindeverbund Problemgebiete oder Gruppie-
Jugendarbeit realisiert im Sinne von § 11 SGB VIII Ju- rungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen
gendarbeit für Jugendliche, die über andere Angebote gibt, vor allem im Alter von 14 bis 26 Jahren, bei denen
der Jugendarbeit nicht erreicht werden. Während sich eine gezielte Intervention und Unterstützung notwen-
Jugendarbeit prinzipiell an alle Jugendlichen richtet, dig ist. Die Besonderheiten Mobiler Jugendarbeit im
um ihre Entwicklung durch Freizeit- und Gruppenpäd- ländlichen Raum sind in einem Positionspapier der
agogik, außerschulische Bildungsangebote, gemeinwe- Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit/Street-
senbezogene Angebote und Jugendberatung zu för- work zusammenfassend dargestellt (s. Literaturver-
dern, setzt Mobile Jugendarbeit dies für „schwer er- zeichnis).
reichbare“ Jugendliche um. Gleichzeitig ist Mobile Ju-
11Hilfen nach § 11 und § 13 SGB VIII richten sich unmit- Dabei geht es u.a. darum,
telbar an junge Menschen, während Adressaten der Hil-
fen zur Erziehung nach §§ 27 ff SGB VIII die Personen- ■ ihr Selbstbewusstsein zu stärken,
sorgeberechtigen sind. Hilfen nach § 13 SGB VIII haben
kein Erziehungsdefizit zum Gegenstand, sondern die ■ mit ihnen neue Ideen zu entwickeln, wie ihr Leben
gesellschaftliche Integration junger Menschen, die in er- „besser“ gelingend verlaufen könnte,
höhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind. So-
lange ein erzieherischer Bedarf im Sinne des § 27 SGB ■ ihnen neue Erfahrungen zu ermöglichen, aus denen
VIII vorliegt, hat diese Hilfe Vorrang, der junge Mensch heraus sie neue Verhaltensweisen lernen und entwickeln
muss jedoch den Willen für diese Unterstützungsform können,
aufbringen.
■ ihnen Möglichkeiten für Treffen und Freizeitaktivitä-
ten zu schaffen,
Die Aufgaben Integration und Ausgleich sozialer Be-
nachteiligung reichen bei weitem über die Zuständigkeit ■ mit ihnen Wege aus riskantem oder verfestigtem Kon-
der Jugendhilfe hinaus. Auch andere Ressorts wie insbe- sum von Drogen zu entwickeln,
sondere Arbeitsverwaltung, Sozialämter, Polizei und
Wirtschaft stehen für diese Entwicklungen in der Ver- ■ ihnen bei der Bewältigung von Konflikten in ihrer Fa-
antwortung. milie oder Beziehung zu helfen,
■ mit ihnen Wege aus dem Erleiden oder Ausüben von
4.2 Ziele Gewalt zu finden,
Mobile Jugendarbeit verfolgt das Ziel, die Lebenssitua-
■ Wohnraum zu finden oder ihre Wohnsituation zu ver-
tion dieser jungen Menschen nachhaltig zu verbessern
bessern,
und sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Sie setzt dabei
auf verschiedenen Ebenen an:
■ sie (in Kooperation mit der Jugendhilfe im Strafver-
fahren und der Bewährungshilfe) bei der Bewältigung
■ Lebensweltliches Verstehen: mit dem Ziel, verschie-
von Strafverfahren zu unterstützen,
dene lebensweltliche Stile und Sichtweisen zu erkennen,
wahrzunehmen, in ihrem Eigensinn zu verstehen und
■ ihnen bei der Bewältigung von schulischen Proble-
somit milieusensible Zugänge zu schaffen,
men oder des Ausschlusses aus der Schule zu helfen,
■ Lebenssituation jeder/jedes Einzelnen: mit dem Ziel,
■ sie bei der Berufsorientierung und der Suche von Ar-
individuelle Ressourcen zu erschließen, Handlungs-
beits- und Ausbildungsplätzen zu unterstützen,
spielräume zu erweitern, die Persönlichkeitsentwick-
lung zu fördern und bei der Alltagsbewältigung zu un-
■ sie bei der Regulierung von Schulden zu begleiten,
terstützen,
■ ihnen Zugang zu bestehenden Angeboten der Ju-
■ spezifische Situation von Cliquen und Gleichaltrigen-
gendhilfe zu vermitteln und ihre sozialen Netzwerke
gruppen: mit dem Ziel, gruppenbezogene Lernprozesse
auszubauen,
solidarischen Handelns und gegenseitiger Unterstüt-
zung auszulösen und zu begleiten,
■ sie bei der Bewältigung verschiedenster Anforderun-
gen des Alltags (etwa Behördenkorrespondenz, Bewer-
■ strukturelle Lebensbedingungen: mit dem Ziel, die
bungen) zu unterstützen.
Rahmenbedingungen, die die jungen Menschen vorfin-
den, zu verbessern.
1213
14
5. Wen erreicht Mobile Jugendarbeit?
Die Mobile Jugendarbeit richtet sich an gesellschaftlich, ■ Keine verlässlichen zwischenmenschlichen Beziehun-
sozial und familiär benachteiligte Jugendliche und junge gen
Erwachsene beiderlei Geschlechts. Häufig haben junge ■ Hausverbote im Jugendhaus und in anderen Freizeit-
Menschen, deren subjektive und objektive Lebensper- einrichtungen
spektiven verstellt und oft aussichtslos sind, der Ar- ■ Arrest- und Hafterfahrung
beitswelt, der Schule und teils auch ihren Familien den ■ Konflikte mit Autoritätsträgern und in der Öffent-
Rücken gekehrt. Konventionelle Angebote vor Ort er- lichkeit
reichen diese Jugendlichen nicht oder nur ungenügend. ■ Wohnungslosigkeit
Die Verlagerung des Lebensmittelpunktes hin zu ausge- ■ Drogenkonsumerfahrung
grenzten Cliquen und Szenen ist verbunden mit dem ■ Medikamentenmissbrauch
Risiko einer biografischen Weichenstellung in Richtung ■ Alkoholmissbrauch
eines gesellschaftlichen und sozialen Abstiegs. Street- ■ Verschuldung
work ermöglicht den Zugang zu diesen Jugendlichen ■ Psychische Belastungen, auch im familiären Umfeld
und jungen Erwachsenen und bildet den Ausgangs- ■ Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung
punkt für vielfältige Unterstützungsleistungen für Ein- ■ Gewalterfahrungen (als Täter und Opfer)
zelne und Gruppen. Gleichzeitig richtet Mobile Ju- ■ Probleme bei der Verselbstständigung
gendarbeit den Blick immer auch auf das Gemeinwe- ■ Junge Elternschaft, auch mit der Anforderung des
sen, um die Lebensbedingungen für junge Menschen in Alleinerziehens
ihrem Lebensumfeld zu verbessern und den Bedürfnis-
sen der Jugendlichen Gehör zu verschaffen. Dieses gilt 5.1 Altersgruppen
insbesondere für Mobile Jugendarbeit in ländlichen Ge-
meinden. Aufgrund der sozialstrukturellen Bedingun- Wie die jährlichen landesweiten Statistiken zu den Ziel-
gen im ländlichen Raum sind im Hinblick auf die Ver- gruppen der Mobilen Jugendarbeit in Baden-Württem-
besserung der Lebenssituation und der Integration be- berg zeigen, erreicht Mobile Jugendarbeit vor allem
nachteiligter junger Menschen auch weniger gefährdete junge Menschen zwischen 14 und 20 Jahren. Vermehrt
Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe anzu- sind auch unter 14jährige auf der Straße anzutreffen.
sprechen. Nur durch das Einbeziehen von Jugendlichen Mobile Jugendarbeit ist dann herausgefordert, ihnen in
beispielsweise aus Vereinen kann es gelingen, bestehen- Einzelfällen Unterstützung zu vermitteln oder den Auf-
den und drohenden Ausgrenzungsprozessen entgegen- bau zusätzlicher eigenständiger Angebote zu initiieren.
zuwirken. Außerdem nehmen junge Menschen zwischen 21 und
26 Jahren die Unterstützung durch Mobile Jugendarbeit
Der Alltag vieler Adressatinnen und Adressaten der zunehmend in Anspruch. Hierbei stoßen die Mitarbei-
Mobilen Jugendarbeit ist durch verschiedene belastende ter/innen bezüglich der Hilfeleistungen an besondere
oder ausgrenzende Faktoren gekennzeichnet. Häufig Grenzen. Gerade die jungen Erwachsenen befinden sich
kommen dabei mehrere zusammen: häufig in einem Hilfevakuum. Hilfen zur Erziehung
■ Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen oder kulturellen sollen nur in Ausnahmefällen gemäß § 41 SGB VIII er-
Gruppen, Szenen oder Gangs, die als Randgruppen folgen. Es muss hier nachgewiesen werden, dass der
ausgegrenzt werden junge Volljährige aufgrund der individuellen Situation
■ Marginalisierte Wohnquartiere Unterstützung benötigt, die in der Regel bis zur Voll-
■ Migrationserfahrung/Migrationshintergrund endung des 21. Lebensjahres gewährt wird. In den
■ Unregelmäßiger (oder gar kein) Schulbesuch Übergangsphasen der Vollendung des 18. Lebensjahres
■ Schulverweise, auch zum wiederholtem Male sowie der Vollendung des 21. Lebensjahres kommt es
■ Keine Ausbildungsangebote, Arbeitslosigkeit häufig zu langen Bearbeitungsphasen der Einzelfälle in
■ Armut den Jugendämtern und eine Anschlussfinanzierung
■ Geringe Unterstützung durch das Elternhaus kann zunächst oft nicht sichergestellt bzw. gewährleis-
151,15% Polen 12,61% Andere aus 98 weiteren Ländern
1,34% Serbien
1,45% Libanon
1,46% Kroatien
1,89% Griechenland 35,43% Deutschland
2,26% Kosovo
3,15% Albanien
4,33% Kasachstan
5,98% Italien
6,45% Russland
22,50% Türkei
n = 20.579 Jugendliche
Nationalität der Zielgruppen
der Mobilen Jugendarbeit in Baden-Württemberg
im Jahr 2009
Quelle: Landesweite Erhebung, Landesarbeitsgemeinschaft
Mobile Jugendarbeit/Streetwork Baden-Württemberg e.V.
16tet werden, obwohl die Jugendhilfe bezüglich der Hil- Häufig benötigen junge Menschen aufgrund sprachli-
fen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierig- cher Defizite Unterstützung in der Schule, Begleitung
keiten (§§ 67ff SGB XII) bei Konkurrenz der Leis- bei Besuchen in Ämtern oder bei der Suche nach Aus-
tungstatbestände vorrangig zu bewerten ist. Auch bei bildungsplätzen. Mädchen brauchen dabei andere Un-
den Hilfen zur beruflichen und sozialen Integration für terstützung als Jungen. Streetworker/innen bemühen
junge Menschen unter 25 Jahren (U 25) kommt es vie- sich auf Wunsch von Mädchen auch um den Kontakt
lerorts zu Lücken infolge von mangelnder Abstimmung zur Herkunftsfamilie, um sie in ihrer eigenen Berufsfin-
der Leistungen nach SGB II, III und VIII. Weiterhin be- dung zu unterstützen. Jugendliche, deren Familie über
steht hoher Bedarf an spezifischen Angeboten für be- keine Arbeitserlaubnis verfügt, sind besonders von Ar-
nachteiligte und gefährdete junge Erwachsene sowie an mut und Ausgrenzung betroffen. Ist der Aufenthaltssta-
der Gestaltung von fließenden Übergängen zwischen tus zudem noch ungeklärt und unterliegen sie einer
bestehenden Leistungen. Duldung, so besteht keine Schulpflicht.
5.2 Zentrale Themen der Belastungen der Herkunftsfamilien
Zielgruppen Häufig sind beide Eltern berufstätig oder ein Elternteil
ist alleinerziehend und mit vielfältigen eigenen Proble-
Im Folgenden werden zentrale Themen der jungen men konfrontiert, etwa mit Suchtproblematiken oder
Menschen näher beschrieben, mit denen die Mitarbei- Arbeitslosigkeit. Sie haben weniger Zeit, sich ihren Er-
ter/innen der Mobilen Jugendarbeit landesweit kon- ziehungsaufgaben zu widmen. Viele junge Menschen
frontiert sind. Dabei sind die Jugendlichen nicht gleich- unter 16 Jahren verbringen einen Großteil ihrer Zeit auf
zeitig von allen Faktoren betroffen. der Straße. Die Familiensituation lässt wenig Raum, um
die Jugendlichen bei der Bewältigung ihres Alltages zu
unterstützen. Die konstruktive Konfliktbewältigung in
Migrationshintergrund diesen Familien ist oft schwach ausgeprägt. Konflikte
Mobile Jugendarbeit erreicht verschiedene Gruppen zwischen den Personensorgeberechtigten und den Ju-
von Migrantinnen und Migranten: gendlichen eskalieren schneller, so dass die Jugendli-
chen in akuten Krisensituationen häufig von zu Hause
■ Kinder zugewanderter Arbeitnehmer und Jugendli- fliehen und sich weigern, dorthin zurückzugehen.
che, die mit Migrationshintergrund in Deutschland auf-
wachsen, junge Menschen verschiedener ethnischer Zu-
gehörigkeiten innerhalb und außerhalb der EU, Der Lebensstandard der Familien liegt im Allgemeinen
■ Jugendliche mit Migrationshintergrund, aber deut- deutlich unter dem Durchschnitt der Bevölkerung. Feh-
scher Staatsbürgerschaft, lende Schul- und Berufsqualifikationen ermöglichen
■ Flüchtlinge/Asylbeantragende/Menschen mit unge- nur ein sehr geringes Einkommen. Die Gefahr, in die
klärtem Aufenthaltsstatus, Duldungsstatus, gewährtem Arbeitslosigkeit abzugleiten, ist hoch. Lohnersatzleis-
Asylstatus oder Fiktionsbescheinigung, tungen sind in der Regel sehr niedrig und es muss zu-
■ Spätaussiedler/innen. sätzlich Sozialhilfe in Anspruch genommen werden.
Für die verschiedenen Gruppen gelten unterschiedliche
Wohnungslosigkeit
gesetzliche Bestimmungen für Einreise, Aufenthalt, Be-
endigung des Aufenthalts und Partizipationsmöglich- Viele Jugendliche, die sich vom Elternhaus bereits ent-
keiten an sozialen Leistungen der Bundesrepublik fernt haben oder aus Jugendhilfeeinrichtungen geflüch-
Deutschland. Um Jugendliche gezielt unterstützen zu tet sind, haben keinen stabilen Wohnsitz. Ihre materielle
können, sind umfassende Kenntnisse über die rechtli- Existenzsicherung ist nicht gewährleistet. Niedrig-
chen Grundlagen und kulturellen Hintergründe erfor- schwellige Notschlafstellen für junge Menschen existie-
derlich. Manche Jugendliche sind direkt von Abschie- ren selten. Die Mobile Jugendarbeit wird hier häufig um
bung bedroht und befinden sich somit in besonders un- Hilfe angefragt, um einerseits kurzfristig Übernach-
sicheren Lebenssituationen. Viele Jugendliche mit Mi- tungsmöglichkeiten zu schaffen und andererseits lang-
grationshintergrund erleben Spannungen zwischen dem fristig gemeinsam mit dem Jugendamt beziehungsweise
kulturellen Hintergrund ihrer Herkunftsfamilie und dem Sozialamt für eine Unterkunft zu sorgen. Schwie-
den in Deutschland geltenden Normen. rigkeiten ergeben sich dabei in den letzten Jahren infol-
17ge der Neuregelung des SGB II, durch die eine Über- Bildungsbenachteiligung
nahme der Mietkosten für allein lebende Menschen un-
Die Bildungsforschung belegt, dass Kinder und Jugend-
ter 25 Jahren deutlich erschwert wurde.
liche aus sozial benachteiligten Familien über schlechte-
re Bildungschancen verfügen und keine Chancengleich-
Soziale Integration und Delinquenz heit für eine Teilhabe an der Gesellschaft für diese Ju-
gendlichen besteht. Schüler/innen und Auszubildende
Viele Jugendliche, die als Zielgruppe der Mobilen Ju-
mit mittleren bis schlechten Schulleistungen bitten Mit-
gendarbeit beschrieben werden, sind nur unzureichend
arbeiter/innen der Mobilen Jugendarbeit um Unterstüt-
in Schule, Berufsleben, Vereine und Freizeitgestaltung
zung bei den Hausaufgaben, beim Lernen für Klassen-
in ihrem Gemeinwesen integriert. Sie stehen aufgrund
arbeiten und auch um Hilfen bei der Erstellung von Be-
ihrer schlechten Schulleistungen, persönlicher Über-
werbungsunterlagen. Sie erfahren bei Schwierigkeiten
schuldung, Kriminalität oder Konsum von Betäubungs-
in der Schule wenig oder keine Unterstützung durch das
mitteln bereits am Rande der Gesellschaft. Die Jugend-
Elternhaus. Die Abschlusszeugnisse sind entsprechend
lichen und ihre Familien erfahren durch die Mehrheits-
schlecht und bieten nur geringe Chancen auf dem Ar-
bevölkerung Ausgrenzungen. Sie wohnen in belasteten
beitsmarkt. Diese Jugendlichen und jungen Erwachse-
Quartieren und beengten Wohnverhältnissen.
nen fallen vielerorts aufgrund einer mangelnden Ab-
stimmung der Unterstützungsleistungen nach SGB II,
III und VIII durch das Netz der Angebote zur berufli-
Mobile Jugendarbeit erreicht männliche Jugendliche,
chen Integration für junge Menschen unter 25 Jahren.
die durch Schwierigkeiten mit Polizei und Justiz auffal-
Sie benötigen individuelle Unterstützung, passgenaue
len, bereits strafrechtlich verurteilt sind, unter gerichtli-
Angebote und niedrigschwellige Zugänge.
chen Weisungen oder Bewährungsauflagen stehen oder
bereits Haftstrafen verbüßt haben. Manche zählen zu
den so genannten jugendlichen Intensivstraftätern. An-
Mobile Jugendarbeit begleitet zudem Jugendliche, die
dere Jugendliche fallen durch aggressives Auftreten,
die Haupt- oder Förderschule ohne Abschluss verlas-
Ausgrenzung aus bestehenden Einrichtungen und An-
sen, auch nach dem Absolvieren eines berufsvorberei-
geboten sowie Gewaltbereitschaft auf, erfahren unter
tenden Jahres (BVJ). Diese Gruppe bedarf einer beson-
Umständen auch selbst Gewalt in ihren eigenen Famili-
deren Unterstützung. Für Jugendliche ohne Schulab-
en oder in ihrer Peergroup. Manche Jugendliche wen-
schluss gibt es nahezu keine Ausbildungsmöglichkeiten
den auch Gewalt gegen sich selbst – zu nennen sind
und sie haben sehr geringe Chancen am Arbeitsmarkt.
hier autoaggressive Verhaltensweisen wie Selbstverlet-
Manche Jugendliche können in Fernschulprojekten den
zungen oder Essstörungen.
Schulabschluss nachholen. Die Plätze hierfür sind aber
rar und die Kosten werden nicht immer von der Jugend-
hilfe übernommen. Für die Zielgruppen der Mobilen
Konsum legaler und illegaler Drogen
Jugendarbeit fehlt es insgesamt an Arbeitsmöglichkei-
Die meisten Jugendlichen, die durch Mobile Jugendar- ten, die einen niedrigschwelligen Einstieg in die Ar-
beit unterstützt und begleitet werden, sind mit einer beitswelt ermöglichen.
Vielzahl von Drogen mit unterschiedlichen Wirkungen
und Gefahren konfrontiert, verbunden mit verschie-
densten Risiken von gesundheitlicher Beeinträchtigung Verschuldung
oder Abhängigkeit. Zum Teil hat sich eine Abhängigkeit
Die Mitarbeiter/innen der Mobilen Jugendarbeit
von Alkohol oder anderen Drogen bereits verfestigt
stellen fest, dass auch Jugendliche ihrer Zielgruppen von
und zieht vielfältige Probleme in ihren sozialen Bezie-
Überschuldung betroffen sind. Ein früher Eingriff in
hungen und bei der Integration in die Arbeitswelt nach
Schuldenkreisläufe ist notwendig, um einer Multi-
sich. Es ist zu beobachten, dass der Konsum von illega-
plizierung der Problematik vorzubeugen. Schuldnerbe-
len Muskelaufbaupräparaten bei männlichen Jugendli-
ratungsstellen haben aber häufig wenig Erfahrung in
chen und jungen Männern steigt. Gleichzeitig werden
der Beratung von Jugendlichen. Die Wartezeiten sind
die Nebenwirkungen und die Folgeschäden des Kon-
für Jugendliche extrem lang (vier bis sechs Monate).
sums von Steroiden bagatellisiert, ignoriert oder sie sind
Aufgrund der relativ geringen Verschuldungssumme
gar nicht bekannt.
der Jugendlichen besteht im Vergleich zu den sonstigen
erwachsenen hoch verschuldeten Klienten zunächst
auch weniger Handlungsbedarf. Mobile Jugendarbeit
18leistet deshalb Beratung und individuelle Unterstüt- ■ rechtsradikal orientierte Jugendliche,
zung, um die angefallenen Schulden mit den Jugend- ■ Jugendgangs: Vermehrt treten in Baden-Württem-
lichen zu regulieren. berg überregional organisierte Gangs und Banden in
Erscheinung, die jugendliche Mitglieder akquirieren.
Die Mitglieder oder Anwärter sind ein bedeutender Teil
Negatives Selbstbild der Zielgruppe Mobiler Jugendarbeit. Nahezu aus-
Mädchen und Jungen sehen sich mit hohen gesellschaft- schließlich männliche Jugendliche und junge Erwachse-
lichen Anforderungen konfrontiert. Mitarbeiter/innen ne schließen sich diesen Gruppierungen aus verschie-
der Mobilen Jugendarbeit berichten, dass die Jugendli- densten Gründen an oder bewerben sich um eine Auf-
chen und jungen Erwachsenen, mit denen sie arbeiten, nahme.
es zumeist als persönliches Versagen erleben, wenn sie
diesen Anforderungen aus ihrer Sicht nicht gerecht wer- Mit dem Arbeitsansatz der Mobilen Jugendarbeit ist es
den können. Ihr Selbstwertgefühl ist häufig gering, auch möglich, zu diesen besonders ausgegrenzten jungen
bezogen auf die Geschlechterrollenerwartungen. Mit Menschen einen tragfähigen Kontakt aufzubauen und
geschlechterdifferenzierenden Ansätzen kann das umfangreiche Unterstützung durch Angebote für Ein-
Selbstwertgefühl gesteigert und ein positives Selbstbild zelne sowie Cliquen und Gruppen anzubieten, um die
gefördert werden. Chancen für eine Integration zu verbessern. Mobile Ju-
gendarbeit bietet jungen Menschen auf andere Weise
das, was sie in solchen Szenen suchen: Halt, Anerken-
Besondere Ausgrenzungen nung, Stabilität, Beziehungen und Struktur. Sie kann
Die Mobile Jugendarbeit hat in den verschiedenen Städ- junge Menschen, die an der Schwelle zu solchen Szenen
ten und Gemeinden in Baden-Württemberg Kontakt zu stehen, erreichen und ihnen andere Perspektiven und
Cliquen und Szenen, die in ihrem Umfeld als extrem Wege aufzeigen und anbieten.
„auffällig“, „schwierig“ und „unerreichbar“ stigmati-
siert werden und isoliert sind, beispielsweise
■ Jugendliche und junge Erwachsene mit „Straßenkar-
rieren“, die bereits im Alter zwischen 14 und 16 Jahren
ihre Familien oder Jugendhilfeeinrichtungen sowie
Schulen verlassen haben und ohne festen Wohnsitz auf
der Straße leben,
196. Arbeitsformen der Mobilen Jugendarbeit
Um ihre Ziele zu erreichen, spielen für alle Einrichtun-
gen der Mobilen Jugendarbeit diese vier Arbeitsformen Arbeitsformen der Mobilen Jugendarbeit –
eine zentrale Rolle. In welchem Umfang die verschiede- im Überblick:
nen Arbeitsformen von den Mitarbeiter/innen einge- ■ Streetwork
setzt werden, wird jeweils nach den aktuellen Bedarfen ■ Individuelle Beratung und Unterstützung
der jungen Menschen entschieden. Einige typische In- ■ Angebote für Cliquen und Gruppen
halte und Effekte werden im Folgenden beschrieben. ■ Gemeinwesenorientierte Arbeit
6.1 Streetwork
den Jugendlichen, die sonst zumeist nur als störend,
Inhalte
auffällig oder gefährlich wahrgenommen werden. Die
Kontaktaufbau und -pflege sowie das ständige Vertie- Jugendlichen können schrittweise eine vertrauensvolle
fen und Aktualisieren der Kenntnisse über die Lebens- und tragfähige Beziehung zu ihnen aufbauen, können
welt der Zielgruppen steht im Mittelpunkt von Street- sie für Fragen und zur Unterstützung in Anspruch neh-
work, bei der die Mitarbeiter/innen die jungen Men- men. Sie können erkennen: Da ist ein Erwachsener, der
schen regelmäßig an ihren Orten und zu ihren Zeiten sie nicht verjagen will, weil sie Schmutz machen oder
aufsuchen. Sie verhalten sich als Gäste und bieten bei laut sind, sondern, der sich dafür interessiert, wie es ih-
Bedarf dort direkt Beratung und Information an. nen geht; jemand, der nicht kommt, um ihnen zu sa-
Über regelmäßiges Streetwork entwickeln die Mitar- gen, was sie nicht dürfen, sondern mit ihnen neue Mög-
beiter/innen die für ihre Arbeit notwendige Nähe zu lichkeiten erschließt, der verlässlich Zeit für sie einge-
Selbstredend …
Junge Erwachsene über die Mobile Jugendarbeit
„Die machen mit Jugendlichen verschiedene Sachen „Das sind halt irgendwie so Aktionen, wo man halt
und Projekte, helfen einem, hören zu und beraten. sonst einfach nicht so auf die Idee kommt, das mal zu
Die sind halt für Dich da.“ machen.“
„Ich kenne Sozialpädagogen seit meinem sechzehnten „Es hat mir Spaß gemacht mit den ganzen Leuten,
Lebensjahr. Aber ich hielt nichts von denen, da das die man sonst einfach nur so sieht und meistens zum
alles Moralprediger waren, die keine Ahnung vom Saufen geht, mal irgendwas richtiges zu machen, ja
Leben hatten. Mittlerweile weiß ich, dass es aber mal was anderes zu machen und halt auch mit den
auch welche gibt, die sich um Dich kümmern und Streetworkern also nicht nur irgendwie Probleme zu
Dich in jeder Situation unterstützen, auch wenn Du erzählen so – wie oft – und rumzudiskutieren, son-
Scheiße baust – egal, ob Du männlich oder weiblich dern mit denen mal einfach was zu machen, zu un-
bist oder woher Du kommst und so.“ ternehmen so…“
„Also eigentlich greif` ich immer auf sie zurück, wenn „Und es hat auch Spaß gemacht, irgendwie mit ein
ich irgendwas brauche, wenn ich irgendwas nich´ paar Leuten was zu machen und es hat einfach ir-
versteh oder irgendwie auf so `ner Basis.“ gendwie in der Gruppe die Zusammengehörigkeit
gefördert, find ich.“
„Sie helfen mir halt bei Sachen, wo ich halt selber
manchmal so nicht genau weiß, wie ich das erledigen
soll, bei Ämtergängen (…).“
20Zum Beispiel …
Es ist schon dunkel und sehr kalt, als wir zur Ein- gend einen Job. Wir verabreden einen Termin im Bü-
kaufspassage kommen. Schon von weitem hören wir ro, um ihn zu beraten. Dann ist da noch Heinz, der
das Stimmengewirr mehrerer Jugendlicher. Groß ist seit einem halben Jahr im Betreuten Jugendwohnen
das „Hallo“, als wir zu ihnen herantreten. Sie hatten außerhalb des Stadtbezirks lebt. Wir freuen uns, ihn
uns schon erwartet. „Und? Wie geht’s? Alles klar?“ einmal wieder zu sehen. Er erzählt, wie es ihm geht
sind die Standardfloskeln, die uns begegnen. Schnell und was er sich für die Zukunft vorgenommen hat.
wird deutlich, dass die Jugendlichen auch ernste The- Die Mädchen sprechen von den Neuigkeiten im
men mit uns zu besprechen haben. Einige berichten, Stadtteil. Gerne würden sie mal wieder was unter-
dass sie von den Kollegen des Jugendhauses ein Haus- nehmen mit uns. Nur sie, ohne die Jungs. Am nächs-
verbot erhalten haben. Sie wollen, dass wir „ein gu- ten Tag können wir dies besprechen, teilen wir ihnen
tes Wort“ für sie einlegen, damit sie noch einmal eine mit, bevor es allen zu kalt wird und sie in die Stra-
Chance bekommen. Ein anderer erzählt, dass er ganz ßenbahn einsteigen.
dringend Geld braucht und deswegen ebenso drin-
plant hat, um ihnen zuzuhören und sich mit ihnen und ■ Die Streetwork-Zeiten und Streetwork-Orte sind an
ihrer Sicht der Dinge auseinanderzusetzen; jemand, der das aktuelle Freizeitverhalten, die Treffpunkte und die
sich mit ihnen um Antworten auf ihre Fragen bemüht, Bedürfnisse der Jugendlichen angepasst.
der gemeinsam mit ihnen Ideen entwickelt. ■ Streetwork im ländlichen Raum erstreckt sich häufig
auch über mehrere Teilorte und Treffpunkte Jugendli-
cher in der Region.
Effekte ■ Die Mitarbeiter/innen machen ihre Funktion trans-
Die Mitarbeiter/innen sind nicht selten die einzigen Er- parent.
wachsenen, mit denen die Jugendlichen einen tragfähi- ■ Die Mitarbeiter/innen verhalten sich als Gäste an den
gen Kontakt haben. Sie sind für sie Zuhörer, Berater, Trefforten der Jugendlichen.
Übersetzer, Informationsgeber und Vermittler. Die Ju- ■ Begründete Interventionen behalten sie sich bei aku-
gendlichen erleben Wertschätzung und Interesse von ei- ter Selbst- oder Fremdgefährdung vor.
nem Erwachsenen, können sich mit ihm auseinander- ■ Die Mitarbeiter/innen leisten niedrigschwellige Be-
setzen in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Die ratung sofort und an Ort und Stelle.
Mitarbeiter/innen übernehmen so oft die Funktion ei- ■ Die Mitarbeiter/innen werten die während der
ner „Brücke“ zur Welt der Erwachsenen. Zugleich ge- Streetworkzeiten gewonnenen Erkenntnisse über die
winnen sie Erkenntnisse über die Lebenssituation der Bedürfnisse der Jugendlichen regelmäßig und systema-
Jugendlichen, ihre Ressourcen und Schwierigkeiten, die tisch aus und planen auf dieser Grundlage die gemein-
ihnen helfen, die Jugendlichen angemessen unterstüt- wesenorientierte Arbeit sowie Angebote für Einzelne,
zen zu können, die sie aber auch in Prozesse der Pla- Gruppen oder Cliquen.
nung oder Optimierung der sozialen Infrastruktur ein-
bringen können.
Strukturelle Standards
■ Für Streetwork stehen finanzielle Mittel zur Verfü-
Fachliche Standards gung.
■ Die Mitarbeiter/innen kennen die Treffpunkte und ■ Für die Bewältigung längerer Distanzen beispielswei-
Aufenthaltsorte von Jugendlichen (Plätze, Straßenzüge, se in ländlichen Gemeinden steht ein Dienstfahrzeug
Schulhöfe, Jugendhäuser, Kneipen ...) und suchen sie zur Verfügung.
regelmäßig dort auf. ■ Für jede/n Mitarbeiter/in steht ein Diensthandy zur
■ Wenn die Jugendlichen es wollen, suchen die Mitar- Verfügung.
beiter/innen sie auch zu Hause oder in anderen Stadt- ■ Jede/r Mitarbeiter/in kann sich per Dienstausweis
teilen auf. ausweisen.
216.2 Individuelle Beratung
und Unterstützung Die Begleitung der Mitarbeiter/innen der Mobilen Ju-
gendarbeit bei wichtigen Ämtergängen, das gemeinsame
Vorbereiten von entscheidenden Gesprächen oder Tele-
Inhalte
fonaten und das Herstellen eines Kontakts zu anderen
Die Mitarbeiter/innen bieten Hilfen zur Lösung aller Institutionen sind oft ein wesentlicher Beitrag für die
individuellen Probleme an, die die Jugendlichen mit ih- weiteren Zukunftsperspektiven randständiger Jugendli-
nen bearbeiten wollen. Dies beinhaltet insbesondere cher. Die vielfältigen Formen der individuellen Unter-
■ Beratung, die niedrigschwellig auf der Straße oder bei stützung durch Mobile Jugendarbeit tragen maßgeblich
gemeinsamen Aktionen beginnt, aber auch längere Ge- dazu bei, dass diese Ausbildungs- oder Arbeitsstellen
spräche im Büro umfassen kann, erhalten, Wohnungen finden, massive Konflikte in der
■ Unterstützung und Begleitung, zum Beispiel bei Fra- Familie bewältigen können, nicht von der Schule ver-
gen der Ausbildungs- oder Wohnungssuche oder beim wiesen werden, sich psychisch wieder stabilisieren, den
Zugang zu institutionellen Hilfeangeboten, Ausstieg aus einer kriminellen Karriere finden, ihr ris-
■ Vermittlung und Herstellung von Kontakt zu beste- kantes Alkohol- oder Drogenkonsumverhalten verän-
henden Hilfeangeboten, die darauf abzielen, diese für dern oder den Zugang zu einer Therapie oder anderen
die jungen Menschen (eventuell wieder) nutzbar und Hilfeangeboten finden. Nicht selten gerät dadurch das
zugänglich zu machen. gesamte Szene- und Familienumfeld – Freund/innen,
Eltern, Geschwister – in Bewegung und beginnt eben-
Form und Inhalt dieser Hilfen und Unterstützungsleis- falls, individuelle Beratung und Unterstützung in An-
tungen für Einzelne sind vielfältig und folgen keiner fe- spruch zu nehmen.
sten Ablaufstruktur. Der zeitliche Umfang kann je nach
Bedarf zu bestimmten Zeiten wenige Minuten oder ei-
nige Stunden pro Woche umfassen. Zeitliche Flexibili-
Fachliche Standards
tät, verlässliche Erreichbarkeit durch feste Bürozeiten, ■ Jede/r Jugendliche hat das Recht auf Beratung – und
Anrufbeantworter und Mobiltelefon sowie die Vernet- das Recht, Beratung abzulehnen.
zung mit allen Institutionen, die für die Jugendlichen ■ Das erste Beratungsgespräch erfolgt entweder sofort
hilfreich sein können, sind wichtige Anforderungen zur oder wird verbindlich innerhalb von wenigen Tagen
Realisierung dieser Hilfen. vereinbart.
■ Krisengespräche erfolgen sofort.
Effekte ■ Die Mitarbeiter/innen sind zeitlich so flexibel, dass
sie bei Bedarf kurzfristig mehrere Stunden am Stück für
Oft gibt es einen fließenden Übergang von Gesprächen
die Begleitung und Unterstützung Einzelner investieren
auf der Straße oder am Rande von Gruppenangeboten
können.
zu intensiven Beratungsgesprächen, an deren Ende kon-
■ Die Orte der Beratung werden gemeinsam festgelegt.
krete Veränderungspläne stehen können („Ich möchte
■ Jede/r Jugendliche kann sich die/den Berater/in aus-
an meinem Drogenkonsum etwas ändern.“; „Ich möchte
suchen.
einen festen Wohnsitz haben.“; „Ich möchte mich gegen
■ Die Mitarbeiter/innen sind zunächst für alle The-
die Gewalt meines Freundes wehren können.“; „Ich
menbereiche der Jugendlichen zuständig.
möchte nicht aus der Schule fliegen.“). Häufig bildet
■ Die Weitervermittlung an Fachdienste erfolgt bei
auch der Wunsch nach konkreten Leistungen („Kannst
Notwendigkeit in Absprache mit der/dem Jugendli-
Du mir diesen Brief erklären?“; „Könnt Ihr mir helfen,
chen. Die Mitarbeiter/innen stehen weiterhin als An-
eine Bewerbung zu schreiben?“) den Ausgangspunkt für
sprechpartner/innen zur Verfügung.
eine umfassende Beratung, bei der die Jugendlichen die
■ Die Mitarbeiter/innen kennen und haben Kontakt zu
Sichtweise und Einschätzung einer neutralen Vertrau-
relevanten Einrichtungen, Behörden und sozialen Diens-
ensperson suchen. Auch junge Menschen, die Hinweise
ten im Einsatzgebiet. In kleineren Gemeinden stehen
von Erwachsenen sonst eher grundsätzlich ablehnen,
nicht alle Dienste vor Ort oder der näheren Umgebung
begegnen hier kritischen Nachfragen der Mitarbeiter/in-
zur Verfügung. Die Begleitung Jugendlicher erstreckt
nen meist konstruktiv und können ermutigt werden,
sich dabei auch auf die Region.
trotz auftretender Widerstände Ziele weiterhin zu ver-
folgen. Manchmal wenden sich Jugendliche in akuten
Krisensituationen aber auch plötzlich an die Mitarbei-
ter/innen, die sie vorher nur „von weitem“ kannten.
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