JUGENDLICHE - SUCHTMAGAZIN
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Jugendliche 5/2021 Lebenswelt und Werte Tabak und Cannabis Fokus: Digitale Welt Leid, Wut und Engagement Cannabiskonsum und ein LGBTIQ-Feindlichkeit Aktuelle Herausforderungen geeigneter Jugendschutz Sexismus im Internet Drei junge Frauen erzählen Jugend und E-Zigaretten Digitale Drogenräume der Suchtarbeit und Suchtpolitik Interdisziplinäre Fachzeitschrift
Inhalt 6 Zwischen Leid und Wut: Lebenswelten, Herausforderungen und Werte Jugendlicher in der Schweiz Sandro Cattacin, Marianne Mischler 11 Jugendliche erzählen: aufwachsen zwischen Ausgang, Freundschaft und der Corona-Pandemie Fachgespräch mit drei Jugendlichen 18 Jugend und E-Zigaretten: Lifestyle, Einstiegsdroge ins Rauchen, ins Nur-Dampfen? Heino Stöver, Bernd Werse, Jennifer Martens 24 Ist eine Alterslimite als Jugendschutz wirklich sinnvoll? Daniele F. Zullino, Sandro Cattacin 29 Sexismus und LGBTIQ-Feindlichkeit im Internet bei jungen Menschen Lea Stahel 34 Digitale Drogenräume – Schadensminderung bei jungen Freizeitdrogenkonsumierenden Koni Wäch, Michel Käppeli, Sevan Roggensinger 40 Fazit. ForschungsSpiegel von Sucht Schweiz Die Konfrontation der 16- bis 19-jährigen Jugendlichen mit Alkohol – offline und online 46 Newsflash 47, 48 Bücher 49 Veranstaltungen 50 Fotoserie: «Bro» Silas Zindel
JUGENDLICHE Ist eine Alterslimite als Jugend- schutz wirklich sinnvoll? 2021-5 Minderjährige sind von den Schweizer Cannabis-Pilotversuchen ausgeschlos- Jg. 47 sen. Der Cannabis-Gebrauch durch Jugendliche wird allerdings durch Verbote S. 24 - 27 nachweislich nicht verhindert. So stellt sich im Hinblick auf eine gesundheits- orientierte Drogenpolitik weniger die Frage nach Verboten, sondern vielmehr jene nach der Regelung des Zugangs zum Risikoprodukt. Da nur bereits konsumierende Personen an den Versuchen teilnehmen, kommt der Risikominderung der Viersäulenpolitik eine besondere Bedeutung zu. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, Adoleszente hiervon auszuschliessen. DANIELE F. ZULLINO Prof. Dr. med., Chefarzt, Service d’addictologie, Hôpitaux Universität Genf, Grand Pré 70, CH-1202 Genf, Tel. +41 (0)22 372 55 60, daniele.zullino@hcuge.ch SANDRO CATTACIN PhD, Sozialwissenschaftler, Direktor des Instituts de recherches sociologiques, Universität Genf, Bd. du Pont d’Arve 40, CH-1211 Genf 4, Tel. +41 (0)22 379 07 20, sandro.cattacin@unige.ch, https://tinyurl.com/2m3drfjr Seit dem 15. Mai 2021 ist in der Schweiz dete und daher auch eine besonders von einem erziehungsberechtigten Er- eine Änderung des Betäubungsmittel- schützenswerte Bevölkerungsgruppe. wachsenen begleitet sein. So ist in der gesetzes (Artikel 8a BetmG) in Kraft Früher Cannabis-Konsum, und hierbei Schweiz z. B. der Verkauf alkoholischer getreten, welches Pilotversuche mit der insbesondere regelmässiger Konsum, Getränke an unter 16-Jährige verboten, kontrollierten Abgabe von Cannabis zu korreliert mit verschiedensten negativen der Zugang zu alkoholischen Getränken nicht medizinischen Zwecken zulässt. Folgeerscheinungen, wie z. B. schlechte- durch die Eltern aber nicht. Diese Studien sollen insbesondere «Er- ren exekutiven Funktionen, schlechteren Damit Jugendschutz-Massnahmen kenntnisse über die Auswirkungen eines schulischen Leistungen, reduziertem auch wirklich greifen können, gilt es al- kontrollierten Zugangs zu Cannabis auf verbalem IQ sowie Konsum weiterer lerdings auch stets zwischen repressiven die physische und psychische Gesund- Suchtmittel (Anderson et al. 2015). Massnahmen und solchen, die der För- heit der Konsumierenden und das Kon- Auch scheint die Suchtentwicklung bei derung Jugendlicher im Umgang mit den sumverhalten liefern» (BAG 2021). Jugendlichen im Vergleich mit erwach- spezifischen Risiken dienen, abzuwägen. Obschon von wissenschaftlicher senen Konsument:innen beschleunigt Ein sich lediglich auf ein gesetzliches Seite, aus Kreisen der Prävention und (Anderson et al. 2015). Verbot verlassender Jugendschutz trägt teilweise auch von politischer Seite ein Der Begriff Jugendschutz bezeichnet ausserdem der Tatsache ungenügend Einschluss von 16- bis 18-jährigen Ju- im Allgemeinen rechtliche Regelungen Rechnung, dass Jugendliche nicht etwa gendlichen empfohlen wurde,1 sind auf- und Massnahmen zum Schutz von Min- willenlose, zu keiner Entscheidung fä- grund der entsprechenden Verordnung derjährigen vor bestimmten (gesund- hige Personen sind, sondern handelnde (BetmPV2) Minderjährige von einer heitlichen, sittlichen u. a.) Gefahren. Subjekte, welche ohne Weiteres auch mit Teilnahme an einer solchen Studie aus- Hierbei bestehen unterschiedlichste Vor- geltendem Recht im Widerspruch ste- geschlossen. Das Ausschlusskriterium stellungen darüber, wovor Jugendliche hende Entscheidungen treffen können. Minderjährigkeit wird hierbei hauptsäch- zu schützen sind und bis zu welchem Die Fähigkeit, Risiken bis zu einem lich mit der Notwendigkeit des Jugend- Alter dieser Schutz durch den Staat gewissen Mass abzuwägen und daraus schutzes begründet. Im Folgenden soll garantiert werden muss. Diese Vorstel- Entscheidungen ableiten zu können, hier die Stichhaltigkeit dieses Argumen- lungen sind nur selten wissenschaftlich wird eher durch Massnahmen unter- tes untersucht werden. begründet und fussen grösstenteils auf stützt, die den Umgang mit Risiken gegenwärtig vorherrschenden Denk- und sowie die Risikokompetenz fördern. Wieso bedürfen Jugendliche beson- Verhaltensmustern in der jeweiligen Ge- Solche Massnahmen sollten insbeson- derer Aufmerksamkeit? sellschaft. Für gewisse Risiken gelten dere bereits konsumierende Jugendliche Jugendliche sind in Bezug auf die mit zudem die Alters- und/oder Zugangs- zu einem Konsum befähigen, der mit Cannabiskonsum assoziierten Gesund- beschränkungen nur eingeschränkt. möglichst geringen Risiken für die Ge- heitsrisiken eine besonders gefähr- Z. B. kann der Zugang zur Risikoquelle sundheit und die weitere Entwicklung 24
SUCHTMAGAZIN 5/2021 einhergeht. Hierzu muss ihnen der Zu- Die meisten Konsumierenden haben Privilegs, wenn sich das Verbot nur auf gang zu geeigneten evidenzbasierten zudem keine verlässlichen Informatio- Jugendliche bezieht, aber nicht auf Er- Informationen über weniger schädliche nen über die Eigenschaften und die Ge- wachsene (wie im Falle des limitierten Konsumformen und weniger schädliche sundheitsrisiken der erworbenen Canna- Zugangs zu den Pilotprojekten). Wenn Cannabisprodukte erleichtert werden. bisprodukte. Eine besonders bedenkliche schliesslich gleichzeitig zur Alterslimite Der Zugang zu dieser Information muss Entwicklung in diesem Zusammenhang das Verhalten als «verantwortungsbe- nicht nur niederschwellig, sondern auch ist das Auftauchen synthetischer Can- wusstes Konsumieren» deklariert wird attraktiv und akzeptabel für die Konsu- nabinoide (Spice usw.), deren Wirkung (z. B. drink responsibly), verstärkt es mierenden gestaltet sein. nicht unbedingt identisch mit der des den Privileg-Effekt, indem das Verhalten Ein wirksamer Jugendschutz bezieht pflanzlichen Cannabis ist. Aufgrund selbst grundsätzlich positiv besetzt wird. idealerweise alle Ebenen der Prävention der im Allgemeinen deutlich erhöhten Ein mit dem Verbotene-Frucht-Mo- mit ein. Er zielt im Sinne der Primär- Potenz synthetischer Wirkstoffe hat ihr tiv assoziierbarer Beweggrund für den prävention auf die Verhinderung oder Konsum auch häufiger schwere Neben- Konsum eines verbotenen Produkts ist zumindest Verzögerung des Konsum- wirkungen zur Folge. Deren Risiko kön- zudem das Konformitätsmotiv, d. h. die beginns hin und umfasst im Sinne der nen die Konsumierenden aufgrund der Tendenz, sich an den Normen und Ver- Sekundär- und Tertiärprävention die fehlenden Information über die wirkli- halten der Bezugsgruppe oder (Sub-) Verhinderung einer Suchtentwicklung, che Zusammensetzung des Produkts nur Kultur zu orientieren. Das Persönlich- die Früherkennung problematischer selten zuverlässig abschätzen. keitsmerkmal Konformität ist insbe- Konsumformen, die Verhinderung von sondere bei Jugendlichen regelmässig Folgeerscheinungen (inklusive Krimi- Verbotene-Frucht-Motiv als signifikanter prädiktiver Faktor für nalisierung), das Überführen zu risiko- Drogenkonsum ist stets auch das Re- problematischen Cannabis-Konsum ärmerem Konsum, die Erleichterung des sultat einer Wechselwirkung zwischen festgestellt worden (z. B. Bresin & Me- Kontaktes mit Beratung sowie eventuell Identitätsentwicklung und Kultur, res- kawi 2019; Cornel et al. 2014; Chabrol et Therapie und die Förderung des Aus- pektive Subkultur (Golub et al. 2005). al. 2005; Anderson et al. 2015). Früher stiegs. Die vorherrschende Kultur und Sub- Konsum scheint besonders stark durch kulturen beeinflussen die Popularität Konformitätsmotive geprägt zu sein Bietet die Prohibition einen wirksa- von Drogen, indem sie ihrem Konsum (Dash & Anderson 2015). men Jugendschutz? eine bestimmte Bedeutung verleihen. Dass sich der Konsum Jugendlicher Das Motiv «Rebellion» ist in diesem Zu- Erhöht die regulierte Freigabe den durch die Repression nicht verhindern sammenhang bei Jugendlichen wieder- Konsum Jugendlicher? lässt, dürfte derzeit unumstritten sein. holt als signifikanter Prädiktor sowohl Die Liberalisierung des Cannabiskon- So ist in der Schweiz die 30-Tage-Prä- für den Cannabis-Konsum als auch für sums kann theoretisch den Konsum über valenz des Cannabiskonsums in der Cannabis-induzierte Probleme hervor- mehrere Mechanismen beeinflussen: Gruppe der 15- bis 19-Jährigen, und dies gehoben worden (Lee et al. 2007). Etwas Veränderungen der wahrgenommenen trotz des Verbotes, 9.4 %, die Jahresprä- Verbotenes zu tun, Regeln zu brechen, Schädlichkeit, der sozialen Normen, der valenz gar 20.8 % (Gmel et al. 2017).3 kann an sich Vergnügen bereiten und Preise, der potenziellen rechtlichen Kon- Das durchschnittliche Einstiegsalter mag gleichzeitig, insbesondere bei Ju- sequenzen, des Erwerbsaufwandes. liegt bei ca. 16 Jahren, und in der Gruppe gendlichen, identitätsstiftend sein (Fil- Sollte der legale Zugang zu Can- der 18- bis 19-jährigen Cannabiskonsu- ley 1999). nabis den Konsum erhöhen, sind die mierenden haben ca. 35 % vor dem 18. Solch eine Verbotene-Frucht-Haltung volksgesundheitlichen Auswirkungen Lebensjahr erstmalig konsumiert (Gmel ist bei Jugendlichen ein signifikanter davon abhängig, ob die Erhöhung auch et al. 2017). Prädiktor für verschiedene Suchtver- zu problematischeren Konsummustern Die aktuelle Cannabisprohibition halten (Sussman et al. 2010; Binder et führt. Dies wäre im Falle einer Zunahme trägt dagegen zu den Gesundheits- al. 2020; Bijvank et al. 2009) und kor- jugendlicher Konsument:innen nicht risiken bei (Fischer & Rehm 2017). Sie reliert mit dem Persönlichkeitsmerk- auszuschliessen, auch wenn von den zwingt u. a. jugendliche Konsumierende mal «Sensation-Seeking»4 (Bushman & Auswirkungen des Gebrauchs illegalen dazu, Cannabis vom Schwarzmarkt zu Stack 1996), seinerseits ein Risiko-Fak- (insbesondere hochpotenten) Canna- beziehen, wo es wahrscheinlich mind. tor für Suchtentwicklung. Verschiedene bis, nicht unbedingt auf jene eines nach genauso leicht erhältlich und zugänglich Hypothesen versuchen den Verbotene- gesundheitlichen Aspekten regulierten ist, wie es auf legalen, aber regulierten Frucht-Effekt zu erklären. Eine Erste Cannabis extrapoliert werden kann. Märkten der Fall wäre. Der Schwarz- schlägt vor, dass das durch ein Verbot In den US-Staaten, die eine Locke- markt privilegiert im Allgemeinen aus begründete Tabu eine positive Erregung rung der Cannabis-Regulierung bereits wirtschaftlichen Gründen hochpotente und Erwartungshaltung auslöst (sog. eingeführt haben, hat der Konsum unter und hochriskante Cannabis-Produkte, da Forbidden-Fruit-Reaction) (Pechmann den Erwachsenen im Allgemeinen in den sowohl deren Transport als auch deren & Shih 1999). Gemäss einer weiteren ersten Monaten zugenommen (Zvonarev Konsum heimlicher erfolgen kann (Her- These wird das Verhalten (beispielsweise et al. 2019). Im Kontrast hierzu gibt es zig et al. 2019). das Rauchen) zu einem Indikator eines hingegen bis anhin keine Hinweise auf 25
JUGENDLICHE eine signifikante Zunahme des Konsums Schädigungen des Gehirns sowie andere lich auch der Pilotprojekte) ist, dass so- unter Minderjährigen (Laqueur et al. Gesundheitsschäden nachweislich in wohl der THC- und CBD-Gehalt als auch 2020; Smart & Pacula 2019a). In einigen nicht unbeträchtlichem Masse vorkom- Kontaminanten in den zur Verfügung dieser Staaten hat die Prävalenz Canna- men (Bunc et al. 2017; Anderson et al. gestellten Produkten kontrolliert werden bis-konsumierender Adoleszenter, ins- 2019). können. besondere jüngerer Teenager, gar abge- Es handelt sich bei den Cannabis- Daten aus den USA zeigen auf, dass nommen (Zvonarev et al. 2019). Hierbei Produkten um Risikoprodukte, deren legale Kommerzialisierung den verfüg- muss allerdings hervorgehoben werden, Gebrauch nicht verhindert werden baren Cannabis-Produktmix und die dass alle diese Staaten eine Alterslimite kann, deren Auswirkungen dennoch ent- Verbrauchsmuster in erheblichem Mass von 18 oder gar 21 Jahren mit eingeführt gegengewirkt werden sollte. Dies gilt im beeinflusst (Smart & Pacula 2019b). So hatten. Interessant ist, dass der Konsum besonderen Masse für die hiermit ver- nimmt z. B. im Allgemeinen in Staaten durch Jugendliche auch in Staaten abge- bundenen Risiken der minderjährigen mit legalisiertem Cannabis-Zugang so- nommen hat, welche lediglich Zugang zu Bevölkerung. So stellt sich im Hinblick wohl bei Erwachsenen als auch bei Ju- medizinischem Cannabis erlauben, hier- auf eine gesundheitsorientierte Drogen- gendlichen der Konsum mit Vaporizern für aber keine Alterslimite kennen. politik weniger die Frage, ob und für wen (Verdampfern) zu. In einigen Staaten, welche die Pro- der Zugang zu diesen Produkten ver- Veränderungen der Drogenpolitik hibition bisher beibehalten haben (z. B. boten sein sollte, sondern vielmehr die können sich aber auch signifikant auf Nebraska und Idaho), ist es interessan- Frage nach der Regelung eines solchen Konsummotive auswirken (Mitchell terweise im gleichen Zeitraum gar zu Zugangs. et al. 2016). Insbesondere könnte mit einer Zunahme des Marihuanakonsums einem regulierten Zugang zu Cannabis unter Jugendlichen gekommen (Zvona- Der Ansatz der Schadensminderung dem Verbotene-Frucht-Effekt entgegen- rev et al. 2019). ist wesentlich gewirkt werden. Der Effekt auf die Kon- Eine Erklärung für die Abnahme des Die Schweizer Viersäulenpolitik schliesst summotive Jugendlicher unter veränder- Konsums Minderjähriger mag sein, dass die Schadensminderung oder Risikomi- ter Gesetzeslage ist im Übrigen eine der Cannabis nach der Regulierung für Ju- nimierung ein. Da ausschliesslich bereits derzeit wichtigsten Studienfragen. gendliche weniger leicht zugänglich ist konsumierende Personen an den Pilot- Der Schadensminderungsansatz be- als noch in einem durch hauptsächlich versuchen teilnehmen dürfen, kommt darf allerdings eines zumindest teilweise illegale Dealer bedienten Markt. dieser Säule somit eine besondere Be- gebilligten Zugangs zum Risiko-Pro- deutung zu. Es gibt keinen ersichtlichen dukt. Der unter strikten Bedingungen Welche Alterslimite ist nun am Grund, Adoleszente von dieser Viersäu- straffreie Zugang zu legalem Cannabis sinnvollsten? lenpolitik auszuschliessen, insbesondere würde so u. a. die Wahrscheinlichkeit So gestellt, lässt sich diese Frage auf- angesichts der besonderen Vulnerabilität des Kontaktes der Jugendlichen mit dem grund der bestehenden Wissenslage dieser Altersgruppe. Schwarzmarkt reduzieren. nicht beantworten, da ein legaler Markt, Die Alterslimite von 18 Jahren wird In Anlehnung an die Regelungen, welcher Zugang zu Cannabis für Minder- minderjährige Konsumierende weiterhin welche für Alkohol gelten, könnten auch jährige mit einschliesst, nicht erforscht zwingen, sich auf dem Schwarzmarkt besondere Bedingungen für Minder- werden konnte. Die Frage als solche ist einzudecken und sich folglich weiter- jährige definiert werden. So könnte die aber in der Form auch eher unpassend hin den hiermit einhergehenden Risiken Menge von Cannabis, welche 16- bis gestellt. Die Cannabisdebatte ist häufig auszusetzen. Auch entfällt der mögliche 18-Jährige erwerben dürften, stärker um eine falsche Dichotomie organisiert: Kontakt mit den präventiven und scha- limitiert werden als für volljährige Kon- verbieten oder vollkommen frei geben, densbegrenzenden Massnahmen der sumierende. Auch könnte der Zugang auf obschon zahlreiche Mittelwege eines ge- Pilotprojekte. In der Gruppe der 15- bis risikoärmere Produkte beschränkt sein, regelten Zugangs zum Produkt Cannabis 19-jährigen Cannabiskonsumierenden in z. B. mit einer tieferen maximalen THC- möglich wären (Kilmer 2019). der Schweiz weisen immerhin 17.6 % ei- Konzentration. Schliesslich könnte der So ist auch die Neuausrichtung der nen problematischen Konsum auf (Gmel Verkauf verpflichtend an eine Beratung Cannabis-Regulierung, wie sie durch die et al. 2017). gekoppelt werden und einer Einwilligung Pilotprojekte getestet werden soll, nicht Die Verlagerung des bereits be- durch Erziehungsberechtigte bedürfen. gleichzusetzen mit dem Versuch einer stehenden Cannabiskonsums auf einen Für diejenigen Jugendlichen, denen totalen Liberalisierung. legalen Markt bringt nicht nur staats- ein risikoarmer Umgang mit Cannabis Basierend auf der Logik, wonach ökonomische Vorteile (höhere Steuer- nicht gelingt, sollte selbstverständ- Risiko-Verhalten, und in unserem Fall einnahmen, geringere Ausgaben für die lich ein früher, schneller und für sie Risiko-Verhalten von Adoleszenten, Strafverfolgung), sondern erlaubt auch akzeptabler Zugang zu Beratungs- und durch gesetzlich verankerte Repression eine deutliche Verbesserung des Ver- Therapieangeboten im Sinne der Früh- vorzubeugen sei, müssten auch gewisse braucherschutzes (sichereres und kon- erkennung und Frühintervention ge- Sportarten wie Eishockey oder Fussball sistenteres Produkt) (Smart & Pacula währleistet sein. für Jugendliche kategorisch verboten 2019b). Ein wesentlicher Vorteil eines werden, da hierdurch schwerwiegende staatlich geregelten Marktes (und folg- 26
SUCHTMAGAZIN 5/2021 Literatur Dash, G.F./Anderson, K.G. (2015): Marijuana Smart, R./Pacula, R.L. (2019a): Early evidence Anderson, G.R./Melugin, H.P./Stuart, M.J. use, motives, and change intentions in ado- of the impact of cannabis legalization on (2019): Epidemiology of injuries in ice hockey. lescents. Journal of psychoactive drugs 47: cannabis use, cannabis use disorder, and the Sports Health 11: 514-519. 100-106. use of other substances: Findings from state Anderson, K.G./Sitney, M./White, H.R. (2015): Filley, D. (1999): Forbidden fruit: When prohi- policy evaluations. American Journal of Drug Marijuana motivations across adolescence: bition increases the harm it is supposed to and Alcohol Abuse 45: 644-663. Impacts on use and consequences. Substan- reduce. The Independent Review 3: 441-451. Smart, R./Pacula, R.L. (2019b:) Early evidence ce Use & Misuse 50: 292-301. Fischer, B./Rehm, J. 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Lieferbare Nummern Bestellungen 2021 2020 2019 abo@suchtmagazin.ch Alle verfügbaren Ausgaben 1 Leistungsgesellschaft 1 Rituale 1 Wohnen, Wohnungsnot, Sucht finden Sie unter 2 Mann und Sucht 2 Frau und Sucht 2 Digitalisierung www.suchtmagazin.ch 3 Suchtpolitik der Zukunft 3 Phänomenolgie des Konsums 3 Arbeit am Sozialen (Doppelnummer 3&4/2021) 4 Jugend heute 4 Genetik 5 Jugendliche 5 Die Klientel der Zukunft 5 Sucht im Alter 6 Sucht-Perspektiven 6 Schadensminderung, Sucht- politik, Suchthilfe konkret 2018 2017 2016 1 Human Enhancement 1 Freizeit 1 Rückfälle 2 Verhalten und Sucht 2 Suchthilfe im deutsch- 2 Sterben und Tod 3 Vulnerable Jugendliche sprachigen Raum 3 Gesundheitsförderung 4 Lebenskompetenzen (Doppelnummer 2&3/2017) 4 Internationale Suchtpolitik 5 Chancengleichheit 4 Alkohol 5 Behandlung 6 Rauchstopp, Digitalisierung, 5 Diversität 6 Sport, Soziale Arbeit, Prävention 6 Konsum, Prävention, Motivational Interviewing, Behandlung Alkoholabgabe Impressum Erscheinungsweise Abonnemente Redaktionsleitung Layout 6 Ausgaben pro Jahr, 47. Jahrgang abo@suchtmagazin.ch Walter Rohrbach Roberto Da Pozzo www.suchtmagazin.ch Druckauflage Jahresabonnement Redaktionskomitee Druck/Vertrieb 1000 Exemplare CHF/€ 90.– Sandra Bärtschi, Annette Fahr, Werner Druck & Medien AG Rainer Frei, Stefanie Knocks, 4001 Basel Unterstützungsabonnement Marcel Krebs, Markus Meury, Kontakt CHF/€ 120.– Christina Rummel, Corina Salis Redaktion, Walter Rohrbach, Gross Bankverbindung Telefon +41(0)31 385 00 16, Kollektivabonnement Gesundheitsstiftung Radix, info@suchtmagazin.ch, (ab 5 Exemplaren) Infodrog, CH-8006 Zürich, www.suchtmagazin.ch CHF/€ 70.– Gestaltung PostFinance, Mingerstrasse 20, Stefanie Knocks, Sandra Bärtschi, CH-3030 Bern Einzelnummer Walter Rohrbach Kto-Nr. 85-364231-6 Herausgeber Print: CHF/€ 18.– (exkl. Porto) IBAN CH9309000000853642316 Infodrog, Eigerplatz 5, PDF: CHF/€ 15.– BIC POFICHBEXXX CH-3007 Bern Rubrik «Fazit» Clearing: 09000 Sucht Schweiz, Kündigungsfrist fazit@suchtschweiz.ch Inserate 1 Monat, Kündigung jeweils Sabine Dobler, Gerhard Gmel, ISSN www.suchtmagazin.ch/inserate auf Ende Kalenderjahr Markus Meury, Monique Port- 1422-2221 info@suchtmagazin.ch ner-Helfer Inserateschluss Ausgabe 6/2021, Lektorat 25. November 2021 Sandra Bärtschi, Gabriele Wolf
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