Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? - Dying, Surviving or Thriving Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungs-marktes
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Dying, Surviving or Thriving Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungs- marktes
Inhalt Editorial 3 1 Executive Summary 4 2 Studiendesign 6 3 Ausgangslage 8 3.1 Das Schweizer Gesundheitssystem 9 3.1.1 Ungebremster Kostenanstieg 9 3.1.2 Zunehmende Belastung privater Haushalte 12 3.2 Der Schweizer Krankenversicherungsmarkt 14 3.2.1 Gesättigter Markt und intensiver Wettbewerb 14 3.2.2 Politik als zentrale Einflussgrösse 15 3.2.3 Verschärfte Regulierung 15 3.2.4 Geschäftsmodell der Krankenversicherer infrage gestellt 16 4 Ausgangspunkt: die Grundbedürfnisse der Versicherten 18 4.1 Gesund leben 20 4.2 Gesund werden 22 4.3 Mit der Krankheit leben 24 5 Verändertes Kundenverhalten im Umgang mit Gesundheitsdaten 26 5.1 Datenaustausch: Bereitschaft und Bedenken der Versicherten 27 5.2 Chancen des intelligenten Datenmanagements 32 5.3 Neue Akteure im Gesundheitsmarkt 33 6 Strategische Optionen: Evolution oder Revolution? 34 6.1 Evolutive Strategien («Surviving») 36 6.1.1 Der hocheffiziente Krankenversicherer 36 6.1.2 Der differenzierte Krankenversicherer 37 6.2 Revolutionäre Strategien («Thriving») 38 6.2.1 Der Allbranchen-Krankenversicherer 39 6.2.2 Der Gesundheitsdaten-Manager 40 6.2.3 Der spezialisierte Krankheitspartner 41 6.2.4 Der integrierte Gesundheitspartner 42 7 Fazit 44 8 Kontakte 46 9 Quellen 47 2 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Editorial Vor einem halben Jahr haben wir mit der Studie «Dying, Surviving or Thriving» unsere Reihe strate- gischer Analysen des Versicherungsmarktes lanciert. Damit möchten wir den Versicherern praktische und provokative Denkanstösse für ihre strategische Positionierung vermitteln. Während in der ersten Untersuchung die gemeinsamen strategischen Herausforderungen aller Versicherer im Fokus standen, widmet sich unsere erste sektorspezifische Studie den Schweizer Krankenversicherern. Im Krankenversicherungsmarkt erachten wir den strategischen Druck als besonders hoch: Zusammen mit den Gesundheitskosten steigen die Prämien praktisch ungebremst und der Ruf nach staatlichen Interventionen wird lauter. Gleichzeitig liefert sich die Branche einen heftigen Verdrängungswettbewerb und ist einem einzigartigen politischen, regulatorischen, demografischen und technologisch-medizinischen Wandel ausgesetzt. Trotz der hohen Dynamik entwickeln sich die Krankenversicherer strategisch nur zaghaft weiter. In dieser Studie nehmen wir eine strategische Lagebeurteilung vor und zeigen auf, wie die Kranken- versicherer ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln können. Über ihre betrieblichen Kosten hinaus müssen sie die Effizienz im Gesundheitswesen erhöhen und neue Wachstumspotenziale erschliessen. Ausgehend von ihren heutigen strategischen Vorteilen wie Kundennähe oder operativen Effizienzen und Fähigkeiten sind die Krankenversicherer mehr denn je gefordert, ökonomische Mehrwerte für die Versicherten zu schaffen – und abzuschöpfen. Ansonsten drohen weitere staatliche Interventionen bis hin zu einem erneuten Aufflammen der Debatte um die Einheitskasse. Die Krankenversicherer sollten also handeln, bevor gehandelt wird. Der Zeitpunkt, neue Geschäftsmodelle zu evaluieren, ist unserer Meinung nach günstig – im Moment noch. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Digitalisierung zu: Bisher ungeahnte Datenmengen und -analysen verbessern Prävention, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten grundlegend. Der Fokus der Unternehmen kann sich deshalb von der Kasse für Kranke hin zu eigentlichen Gesund- heitspartnerschaften verschieben. Allerdings ruft dieses Innovationspotenzial auch branchenfremde Anbieter auf den Plan. Diese Disruption kann die Krankenversicherer strategisch zusätzlich in Zugzwang bringen. Insgesamt ermutigen wir die Krankenversicherer, ihre strategischen Möglichkeiten systematisch zu evaluieren und entschlossen zu nutzen. Denn nur so bleibt unser Gesundheitswesen langfristig finanzierbar. Rolf Bächler Dr. Alexander Lacher Yamin Gröninger Co-Leiter Krankenversicherung Co-Leiter Krankenversicherung Leiterin Insurance Business Development Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 3
1 Executive Summary Die Schweizer Krankenversicherer müssen ihre strategischen Positionen systematisch überprüfen und schärfen. Darauf müssen sie ihre Geschäftsmodelle konsequent aus- richten. Nur so bleiben sie angesichts des politischen, regulatorischen, demografischen und medizinisch-technologischen Wandels im Gesundheitswesen mittel- bis langfristig kompetitiv. «Dying, Surviving or Thriving» tentreiber sind der medizinisch-technologische Fortschritt, die Die Krankenversicherer haben die Wahl zwischen drei strate- Zunahme chronischer Erkrankungen sowie die Überalterung gischen Grundvarianten: der Gesellschaft. Damit reduziert sich die Kaufkraft der privaten Haushalte signifikant. Ein Grossteil der Bevölkerung wird die Prä- 1) Sie tun nichts und gefährden sich und das heutige Kranken- mien der obligatorischen Krankenversicherung nicht mehr tragen versicherungswesen mittel- bis langfristig («Dying») können. Bund und Kantone – also letztlich die Steuerzahler – 2) Sie optimieren ihre etablierten Geschäftsmodelle evolutiv müssen diese Löcher stopfen. und überleben («Surviving») 3) Sie transformieren ihre Geschäftsmodelle fundamental Ausrichtung auf die Grundbedürfnisse der Versicherten («Revolution») und erschliessen neue Ertragspotenziale Es liegt im Interesse aller Akteure des Schweizer Gesundheits- («Thriving») wesens, dessen hohe Qualität zu sichern und gleichzeitig den Kostenanstieg zu dämpfen. Wenn sich die Krankenversicherer Verdrängung und beschränkte Innovations- und konsequent auf die Grundbedürfnisse der Versicherten (gesund Wertschöpfungsmöglichkeiten leben, gesund werden und mit der Krankheit leben) ausrichten, Das Schweizer Gesundheitswesen ist hoch reguliert, was Innovati- werden sie dieser Interessensymmetrie gerecht. Gelingt dies onen und unternehmerische Spielräume für die Krankenversiche- nicht, schafft sich das Gesundheitssystem mangels Finanzierbar- rer beschränkt. Zudem sind Gewinne in der Grundversicherung keit selber ab. nicht erlaubt und in der Zusatzversicherung nur in engen Band- breiten zulässig. Gleichzeitig liefern sich die Krankenversicherer Digitale Gesundheitsdaten und -technologien eröffnen einen heftigen Verdrängungswettbewerb. Schliesslich bindet neue Angebotsmöglichkeiten der noch umfangreiche Grundleistungskatalog den Grossteil der Für diese Ausrichtung auf die fundamentalen Bedürfnisse der Ver- Krankenversicherungsprämien. Um in diesem anspruchsvollen sicherten eröffnen sich dank technologischen Innovationen völlig Umfeld langfristig profitabel zu wachsen, benötigen die Unterneh- neue Möglichkeiten: So erhöhen Wearables (tragbare Geräte zur men Innovationskraft sowie Klarheit über Absicht und Auftrag. Messung von Gesundheitsdaten), Apps und Sensoren die verwert- baren Gesundheitsdaten exponentiell. Knapp die Hälfte der Ver- Die Kosten- und Prämienexplosion gefährdet sicherten in der Schweiz zeichnet bereits heute Gesundheitsdaten das Gesundheitswesen auf, wie eine EY-Befragung zeigt. 60 Prozent der Befragten sind Innovationen sind auch angesichts des ungebremsten Kostenan- bereit, ihre Daten mit dem Krankenversicherer zu teilen, falls sie im stiegs im Gesundheitswesen dringend notwendig. Von 2014 bis Gegenzug finanzielle oder andere Vorteile erhalten. Damit lassen 2030 steigen die Gesundheitskosten in der Schweiz voraussicht- sich neuartige Präventions- und Behandlungsformen entwickeln. lich um 60 Prozent auf 116 Mrd. CHF. Die Prämien der Grundver- Dies lockt branchenfremde Unternehmen ins Gesundheitswesen; sicherung würden somit von heute durchschnittlich 396 CHF pro diese «Disruptoren» bringen die etablierten Krankenversicherer Person und Monat bis 2030 auf 826 CHF steigen. Primäre Kos- strategisch zusätzlich in Zugzwang. 4 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Evolution oder Revolution des Geschäftsmodells? Die Krankenversicherer müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin in ihrem angestammten Markt tätig sein oder aber ihr Geschäfts- modell grundlegend neu ausrichten wollen. Im einen Fall können sie die Kostenführerschaft oder mit innovativen Services eine Differenzierung anstreben (Evolution). Im andern Fall schaffen sie unter Nutzung vorhandener Stärken neue Produkte und Dienstleistungen oder stossen in neue Geschäftsfelder vor (Revo- lution). Hier kommen vier strategische Optionen in Betracht: 1) Ausweitung der Versicherungspalette auf Sparten wie Schaden- oder Lebensversicherung; 2) Aggregation, Analyse, Aufbereitung und Angebot von Gesundheitsdaten; 3) Spezialisierung auf ausgewählte Krankheiten; 4) lebenslange Begleitung der Versicherten als Gesundheits- partner. Jetzt ist die Zeit zu handeln Unabhängig von der gewählten Option: Die Krankenversicherer benötigen eine logische und konsistente Strategie und müssen diese zeitnah und konsequent umsetzen. Intelligente Kooperatio- nen mit Leistungserbringern oder Technologiekonzernen können die Umsetzung dieser Strategien beschleunigen. Trotz des anhal- tenden politischen und regulatorischen Drucks haben die Kran- kenversicherer genügend Spielraum, um ihre Geschäftsmodelle und Produkte weiterzuentwickeln. Aber Tempo ist gefragt: Noch kontrollieren die Krankenversicherer die Kundenschnittstelle und verfügen über umfangreiche Gesundheitsdaten. Diese Ausgangs- lage sollten sie im Sinn eines «First Mover»-Vorteils und unter Beizug modernster Technologien aktiv nutzen. Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 5
2 Studiendesign Diese Studie konzentriert sich auf die Schweizer Krankenver- Titus Kretzschmar (1abtik) und Ricardo García (EY) sowie sicherer, obwohl auch Politik, Staat, Leistungserbringer und Manuel Heuer und Lukas Ammann (Dacadoo). die Versicherten das Schweizer Krankenversicherungswesen wesentlich prägen. Was den Kostenanstieg im Gesundheitswesen Obschon gesetzliche und regulatorische Auflagen den strategi- betrifft, haben die Krankenversicherer, die Versicherten, der schen Spielraum der Krankenversicherer ganz erheblich definie- Staat und die Politik symmetrische Interessen. Demgegenüber ren, stehen diese Aspekte in dieser Studie nicht im Vordergrund. haben die Leistungserbringer, zumindest kurzfristig, keinen Die Untersuchung beschränkt sich darauf, absehbare und strate- unmittelbaren Anreiz, das Kostenwachstum zu bremsen. So liegt gierelevante Entwicklungen und Szenarien darzustellen, darunter die Spitaldichte in der Schweiz über dem internationalen Durch- die Ausdünnung des Grundleistungskatalogs, die Einführung ein- schnitt und Generika kosten in der Schweiz fast doppelt so viel kommensabhängiger Prämien, die kürzlich vom Parlament ver- wie im angrenzenden Ausland. langte Erhöhung von Franchisen und Selbstbehalten oder die Wiederaufnahme der Debatte um die Einheitskasse. Methodisch basiert die vorliegende Studie auf hypothesenge- stützten Untersuchungen durch Branchenexperten und Analysten In Kapitel 3 wird das Schweizer Gesundheits- und Krankenver- von EY. Umfangreiche Datenmengen wurden ausgewertet, darun- sicherungssystem im Sinn einer strategischen Lagebeurteilung ter die Jahresberichte von Krankenversicherern sowie Statistiken analysiert. Kapitel 4 zeigt auf, wie die Krankenversicherer mit des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), des Bundesamtes für der Bedienung der grundlegenden Bedürfnisse der Versicherten Sozialversicherungen (BSV) und der Eidgenössischen Finanz- neue Wertschöpfungsmöglichkeiten erschliessen können. marktaufsicht (FINMA). Zur Bereitschaft, Gesundheitsdaten auf- Kapitel 5 beleuchtet ausführlich die strategischen Chancen der zuzeichnen und mit Krankenversicherern zu teilen, hat EY eine Digitalisierung, bevor in Kapitel 6 die Erkenntnisse der vorange- Befragung von rund 450 Personen durchgeführt. Weiter sind gangenen Kapitel zu handlungsrelevanten Aussagen verdichtet Erkenntnisse und Erfahrungen aus Prüfungs- und Beratungsman- und konkrete strategische Optionen erläutert werden. Das Fazit daten von EY im Schweizer Krankenversicherungsmarkt einge- verdeutlicht schliesslich, weshalb der Zeitpunkt für Schweizer flossen. Aus Interviews mit Führungskräften führender Schweizer Krankenversicherer günstig ist, Innovationen zu lancieren und Krankenversicherer wurden schliesslich ebenfalls wesentliche die Wertschöpfung nachhaltig zu steigern. Erkenntnisse gewonnen. Unser besonderer Dank gilt den Herren 6 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
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3 Ausgangslage Das Schweizer Gesundheitssystem erbringt zwar Spitzenleistungen, ist aber hoch reguliert und teuer. In der Grundversicherung verfügen die Kranken- versicherer über keine Wertschöpfungs- möglichkeiten, in der Zusatzversicherung sind diese gesetzlich eng begrenzt. Gleichzeitig treiben regulatorische, politische, medizinisch-technologische und gesellschaftliche Entwicklungen die Gesundheitskosten unaufhaltsam in die Höhe. Dieser Kostenanstieg bringt das Schweizer Gesundheitssystem an die Grenzen seiner Finanzierbarkeit. 8 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
3.1 Das Schweizer Gesundheitssystem Die Kosten des Gesundheitssystems wachsen ungebremst. Die 3.1.1 Ungebremster Kostenanstieg Belastung für die privaten Haushalte ist gross. Steigen die Prä- mien weiter, wird es grossen Teilen der Schweizer Bevölkerung in Das Schweizer Gesundheitssystem ist zwar qualitativ unbestritten Zukunft nicht mehr möglich sein, die Prämien der obligatorischen hochwertig, aber stark reguliert und im Vergleich mit anderen Krankenversicherung zu tragen – von Zusatzversicherungen ganz Industrieländern teuer. Die Kostensteigerung ist massiv: Von zu schweigen. 1990 bis 2014 stiegen die Gesundheitskosten von 26,9 Mrd. auf 71,2 Mrd. CHF, was einem Anstieg um 165 Prozent entspricht. Im gleichen Zeitraum wuchs die Wirtschaftsleistung nur um 90 Pro- zent und die Bevölkerung um 23 Prozent. Überproportionale Zunahme der Gesundheitskosten Anstieg der Gesundheitskosten nach Verwendung (in %, indexiert 1990) (in Mio. CHF) Zunahme Totale Zunahme seit 2010 Zunahme seit 1990 seit 2010 +13,88% +165% 71 167 170 69 226 160 67 533 64 574 150 62 495 140 130 31 880 +12,4% 31 312 120 29 138 31 162 28 364 110 100 90 80 70 60 23 694 24 860 +22,2% 21 455 22 214 20 335 50 40 30 7304 7334 7447 7316 7321 +0,2% 20 2042 2167 2298 2385 2483 +21,6% 10 1471 1443 1451 1536 1605 +9,1% 2979 3037 2960 2983 3018 0 +1,3% 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2010 2011 2012 2013 2014 Gesundheitskosten (nominal) Stationäre Behandlung Verkauf Gesundheitsgüter Bevölkerung Ambulante Behandlung Andere Leistungen BIP (nominal) Prävention Verwaltung Quelle: BFS1. Quelle: BFS2. Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 9
3 Ausgangslage Der grösste Kostenanstieg ist bei den ambulanten Spitalbehand- 20 Prozent der Gesundheitskosten durch ein effizienteres lungen zu beobachten: Zwischen 2010 und 2014 legten diese Gesundheitssystem eingespart werden könnten.3 um 22 Prozent auf 24,9 Mrd. CHF zu. Im gleichen Zeitraum stie- gen die Kosten der stationären Behandlung um 12 Prozent auf Neben den strukturellen Ineffizienzen im Gesundheitssystem 31,9 Mrd. CHF. Die Verlagerung hin zu ambulanten Spitalleistun- lassen sich drei weitere Haupttreiber des Kostenanstiegs identifi- gen beruht unter anderem auf neuen medizinischen Möglichkei- zieren: der medizinisch-technologische Fortschritt, die Zunahme ten sowie auf Anreizen aus der Spitalfinanzierung. Gemäss dieser chronischer Erkrankungen sowie die Überalterung der übernehmen die Krankenversicherer und die Kantone die Kosten Gesellschaft. für die stationären Leistungen seit dem 1. Januar 2012 gemein- sam, für ambulante Spitalleistungen kommen die Krankenversi- Teurer medizinisch-technologischer Fortschritt cherer hingegen alleine auf. Seit Jahren ist der technologische Fortschritt im Gesundheits- sektor eindrücklich. Doch anders als etwa in der IT-Branche, wo Generell bestehen im schweizerischen Gesundheitswesen erhe- steigende Rechenleistungen mit Preissenkungen einhergehen, bliche Ineffizienzen, etwa wegen mangelnder Koordination der treiben medizinische Verbesserungen die Kosten nach oben. Versorgung, Überversorgung mit nicht notwendigen Leistungen Während etwa die Preise für Smartphones zwischen 2012 und oder einer überhöhten Nachfrage der Versicherten. Der Bundes- 2015 weltweit um 20 Prozent sanken, sind die Kosten für Stents, rat geht in seinem Bericht «Gesundheit2020» davon aus, dass computertomografische Untersuchungen oder Darmspiegelun- Chronische Krankheiten der Schweizer Wohnbevölkerung (Anteil in % der Schweizer Wohnbevölkerung ab 15 Jahre) 16% 15% 14% 14% 13% 12% 12% 11% 11% 8% 8% 7% 6% 5% 4% 4% 4% 3% 3% 2% Bluthochdruck Allergien Arthrose, Rheuma Depression Migräne Krebsgeschwulst Diabetes 1997 2007 2012 Quellen: BFS , Hacking Healthcare . 5 6 10 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Das Effizienzpotenzial im Schweizer Gesundheitswesen ist beträchtlich: Die Versicherten müssen noch mehr Eigen- verantwortung übernehmen. Und es braucht andere Anreize, damit die Leistungserbringer keine unnötigen oder unwirksamen Behandlungen durchführen. gen gestiegen. Meist sind selbst inkrementelle Verbesserungen weniger als 52 Mrd. CHF (80 Prozent) auf die Behandlung chro- mit kräftigen Aufpreisen verbunden. Zudem führen die verbesser- nischer Krankheiten.7 Bei den ambulanten Behandlungen beträgt ten Diagnosemöglichkeiten zu Mengenausweitungen und damit zu ihr Anteil inzwischen 87 Prozent, mit steigender Tendenz. einem Kostenanstieg. Überalterung der Gesellschaft Zunahme chronischer Krankheiten Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) sieht heute für Erwach- Mehr Menschen denn je leiden an Bluthochdruck, Allergien, sene ab 26 Jahren altersunabhängige Prämien vor. Damit leisten Arthrose und Rheuma, Depression, Migräne, Krebs und Diabetes. jüngere Versicherte einen Solidaritätsbeitrag an die Kosten der Bereits ein Drittel der Schweizer Bevölkerung weist mindestens älteren Versicherten, deren Gesundheitskosten die erbrachten eine dieser chronischen Krankheiten auf.4 Die Zunahme dieser Prämien übersteigen. Die steigende Lebenserwartung bei tiefen nichtübertragbaren Krankheiten hängt zum einen mit der demo- Geburtenraten akzentuiert diese Umverteilung. Angesichts dieser grafischen Alterung zusammen und ist zum anderen Folge eines wachsenden Belastung der jungen Generationen bei der obligato- veränderten Lebensstils, der von Bewegungsmangel und unaus- rischen Krankenversicherung wird in der Politik über Entlastungs- gewogenen Essgewohnheiten geprägt ist. massnahmen debattiert, z.B. Prämiensenkungen für junge Erwachsene oder höhere Prämienverbilligungen für Kinder. Die Auswirkungen auf die Kosten sind erheblich: Von den jähr- lichen Gesamtkosten des Gesundheitssystems entfallen nicht Entwicklung der Altersstruktur in der Schweiz (1971–2015) Jahre 104 96 88 80 72 64 56 48 40 32 24 16 8 Personen 80 000 60 000 40 000 20 000 0 20 000 40 000 60 000 80 000 1971 1990 2015 Quelle: BFS . 8, 9 Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 11
3 Ausgangslage 3.1.2 Zunehmende Belastung privater Haushalte Kostenbeteiligungen und über direkte Auslagen («Out of Pocket») der Versicherten (24,5 Prozent). 2014 betrug diese Die privaten Haushalte bezahlen zwei Drittel der Gesundheits- Belastung der privaten Haushalte gesamthaft 48 Mrd. CHF, was kosten: in Form von Krankenkassenprämien (36,6 Prozent für die im Durchschnitt 493 CHF pro Person und Monat entspricht. Grund- und 7,2 Prozent für die Zusatzversicherung) sowie über Finanzierung der Gesundheitskosten nach Quellen Prämien- und Lohnentwicklung bis 2030 (2008–2014) (in Mio. CHF) (in %, indexiert 1996, projiziert mit CAGR 1996–2014) Effektive Entwicklung Prognose 80 000 280 2030: Prämien von 826 CHF 70 000 240 60 000 200 63% durch 50 000 private 160 2014: Prämien Haushalte von 396 CHF 40 000 120 30 000 80 20 000 37% durch Staat und Unterneh- 40 10 000 men 0 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 1996 2000 2004 2008 2012 2016 2020 2024 2028 Private Haushalte: Lohnanstieg Prämienanstieg sonstige Finanzierung Quellen: BAG11, BFS12, EY. Private Haushalte: Kostenbeteiligung KVG, VVG und «out of pocket» Private Haushalte: Aufwand VVG-Versicherungsprämien Private Haushalte: Aufwand KVG-Versicherungsprämien Unternehmen: Beiträge soziale Sicherheit Staat: Zahlungen für soziale Sicherheit (inklusive Prämienverbilligung, bedarfs- abhängige Sozialleistungen ab 2008) Staat: Zahlungen und Leistungen Quelle: BFS10. 12 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Kaufkraftverlust der privaten Haushalte Einkommens zu begrenzen. Die Gesundheitskosten steigen Da die Löhne seit Jahren langsamer als die Gesundheitskosten gemäss EY-Analysen bis 2030 um über 60 Prozent auf 116 Mrd. wachsen, hat sich die individuelle Kaufkraft der privaten Haus- CHF. Werden zudem die Out-of-Pocket-Ausgaben der privaten halte zum Teil signifikant verringert. 2015 haben 2,2 Mio. Perso- Haushalte berücksichtigt, ist der effektive Kaufkraftverlust noch nen oder 27 Prozent aller Versicherten in der Schweiz einen grösser. Zuschuss zu den Krankenkassenprämien erhalten.13 Die öffentli- che Hand wendete über 4 Mrd. CHF für Prämienverbilligungen Hält das Prämienwachstum unvermindert an, wird es grossen auf. Diese Umverteilung würde noch höher ausfallen, hätten die Teilen der Schweizer Bevölkerung in Zukunft nicht mehr möglich Kantone ihre Beiträge über die letzten Jahre nicht gekürzt. sein, die Prämien der obligatorischen Krankenversicherung zu tragen – von Zusatzversicherungen ganz zu schweigen. Werden Bislang sind keine Anzeichen auszumachen, dass der Kosten- nicht einschneidende Gegenmassnahmen eingeleitet, ist ein und Prämienanstieg abflacht oder gar umkehrt. Bis 2030 wird die finanzieller Kollaps der Grundversicherung mittelfristig nicht aus- durchschnittliche Prämienbelastung auf 11 Prozent des Einkom- zuschliessen. In diesem Fall würde der Ruf nach Einflussnahme mens steigen; 2014 betrug sie erst 6 Prozent.14 Dies wird deutlich des Staates lauter, in Form von regulatorischen und Marktinter- über dem mit der Prämienverbilligung verfolgten Ziel des Bundes ventionen bis hin zur Einheitskasse. liegen, die maximale Belastung auf 8 Prozent des steuerbaren Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 13
3 Ausgangslage 3.2 Der Schweizer Krankenversicherungsmarkt Die Schweizer Krankenversicherer liefern sich einen heftigen Ver- kampf. Wechselbewegungen zwischen Krankenversicherern drängungswettbewerb. Gleichzeitig wird das Marktumfeld mass- werden zudem durch Vergleichsportale wie Comparis gefördert. geblich durch Politik und Regulierung geprägt. Das schränkt die Wertschöpfungsmöglichkeiten der Unternehmen empfindlich ein. Zusatzversicherungen werden von 54 Gesellschaften angebo- ten.17 Wie in der Grundversicherung konzentriert sich auch hier das Gros des Geschäfts oligopolistisch auf wenige Anbieter: Die 3.2.1 Gesättigter Markt und intensiver Wettbewerb zehn grössten Unternehmen haben einen Marktanteil von 80 Pro- zent. Im Unterschied zur Grundversicherung steigt jedoch die Die Schweiz verfügt weltweit über eine der höchsten Versiche- Anzahl der Krankenzusatzversicherer. Es bestehen namentlich rungsdichten. Vom gesamten Haushaltseinkommen werden Anzeichen, dass vermehrt Privatversicherer auch Krankenzusatz- 9,2 Prozent für Nichtlebensversicherungsprämien ausgegeben.15 versicherungen anbieten wollen. Aktuelle Beispiele hierfür sind Davon entfallen 63 Prozent auf die Grundversicherung und AXA und Zurich, die bereits wichtige Anbieter von Krankentag- 16 Prozent auf Zusatzversicherungen nach dem Versicherungs- geldversicherungen sind. Denkbar sind darüber hinaus Marktein- vertragsgesetz (VVG). tritte von branchenfremden Anbietern. Insgesamt werden solche Neueintritte den Wettbewerb im Markt weiter intensivieren. In der Krankenversicherungsbranche stehen einige grosse Unter- nehmen vielen relativ kleinen Anbietern mit regionalem oder gar Im Unterschied zur Grundversicherung wird der Wettbewerb in lokalem Tätigkeitsfeld gegenüber. Der Konzentrationsgrad ist der Krankenzusatzversicherung nicht nur über Services, sondern hoch: Von den 57 Krankenversicherern, welche die obligatorische auch über die Produktegestaltung ausgetragen. Allerdings setzt Krankenpflegeversicherung anbieten, beherrschen die grössten die präventive Produktkontrolle durch die FINMA Innovationen zehn fast 90 Prozent des Marktes; 17 Krankenversicherer weisen relativ enge Grenzen. Damit soll der Versichertenschutz gewähr- hingegen weniger als 10 000 Versicherte auf.16 leistet werden, da die private Krankenversicherung einen sozial- versicherungsähnlichen Charakter hat und die Versicherten ab Der Wettbewerb unter den Grundversicherern ist heftig, denn einem gewissen Alter oder mit einer Krankheitsgeschichte den einerseits ist das Versicherungsprodukt gesetzlich geregelt und Zusatzversicherer de facto nicht mehr wechseln können, ohne zu somit homogen, zum andern ist der Aufwand, den Grundversiche- riskieren, keinen oder keinen gleichwertigen Versicherungsschutz rer zu wechseln, gering. Das führt namentlich zu einem Preis- mehr zu finden. 14 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Die regulatorischen Anforderungen an Krankenversicherer steigen ständig. Dies erhöht den Verwaltungsaufwand und setzt die Krankenversicherer empfindlichen Compliance-Risiken aus. 3.2.2 Politik als zentrale Einflussgrösse 3.2.3 Verschärfte Regulierung Angesichts der ständig steigenden Gesundheitskosten reissen Der regulatorische Druck auf die Schweizer Krankenversicherer die politischen Diskussionen über das Gesundheitswesen nicht ab. hält an und stellt wie die Politik eine strategierelevante Einfluss- Politik und Gesetzgebung bleiben somit zentrale Determinanten grösse dar. Die Krankenversicherer sehen die zunehmende Regel- des strategischen Umfelds der Schweizer Krankenversicherer. dichte sowie die duale Aufsicht von BAG und FINMA als zentrale strategische Herausforderung.18 So befasst sich der Bundesrat in seiner Strategie «Gesund- heit2020» mit möglichen Massnahmen zur Dämpfung der Neue Erlasse wie das Krankenversicherungsaufsichtsgesetz Gesundheitskosten. Diese hätten erheblichen Einfluss auf die (KVAG) oder die geplanten FINMA-Rundschreiben zu Corporate Krankenversicherer. Trotz mehrmaligem Scheitern an der Urne Governance stellen höhere aufsichtsrechtliche Ansprüche an die wird auch die Idee einer Einheitskasse immer wieder aufgebracht. Krankenversicherer. Ein konkretes Beispiel sind die gestiegenen Eher unwahrscheinlich sind derzeit Kürzungen des KVG-Leis- Eigenmittelanforderungen für Grundversicherer: Während 2015 tungskatalogs, da dies unweigerlich mit einer sogenannten zwei Krankenversicherer die Anforderungen des KVG-Solvenz- Zweiklassenmedizin verbunden wird. Im Gegenteil wird der Kata- tests nicht erfüllten, wiesen 2016 bereits 14 Versicherer Solvenz- log sukzessive ausgeweitet, beispielsweise 2009 mit der Auf- quoten von unter 100 Prozent aus. In der Zusatzversicherung nahme der Komplementärmedizin. Schliesslich wird derzeit die schränken die erhöhten Anforderungen der FINMA an Rabattie- Einführung einer obligatorischen Pflegekostenversicherung als rung und Tarifierung die Wertschöpfungsmöglichkeiten der Versi- 4. Säule erwogen. cherer ein. Weitere Anforderungen ergeben sich für die Kranken- zusatzversicherer aus der Selbstbeurteilung der Risikosituation Politisch diskutiert werden auch Eingriffe, die direkt bei den Ver- und des Kapitalbedarfs (ORSA), der Pflicht zur Erstellung eines sicherten ansetzen. So strebt das Parlament aktuell eine Erhö- Berichts über die Finanzlage und der Einführung einer unabhängi- hung der Mindestfranchise an. Dies soll die Versicherten zu mehr gen Compliance-Funktion. Eigenverantwortung animieren und sie davon abhalten, wegen Bagatellen den Arzt oder das Spital aufzusuchen. Erwogen wer- Hinzu kommt eine Verschärfung der FINMA- und BAG-Aufsicht- den auch einkommensabhängige Prämien oder Steuererhöhun- spraxis für bisher tolerierte Sachverhalte und Usanzen der Bran- gen zur Finanzierung der steigenden Gesundheitskosten. che, was die Krankenversicherer erhöhten Compliance-Risiken aussetzt, verbunden mit empfindlichen Strafen und negativer Publizität. Die Regulatoren haben insbesondere die Marktführer im Blickfeld. Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 15
3 Ausgangslage 3.2.4 Geschäftsmodell der Krankenversicherer und mittlere Krankenversicherer wollen trotz des Regulierungs- infrage gestellt und Compliance-Drucks so lange als möglich unabhängig bleiben. Dies dürfte an den eher schwach ausgeprägten Eigentumsverhält- Die Grundversicherung macht volumenmässig zwar den Grossteil nissen bzw. am fehlenden Druck profitorientierter Aktionäre des Schweizer Krankenversicherungsgeschäfts aus. Dies liegt vor liegen. allem am umfangreichen Grundleistungskatalog des KVG. Inner- halb des KVG-Obligatoriums herrscht jedoch ein intensiver Ver- Nullsummenspiel in der Grundversicherung drängungswettbewerb: Organisches Wachstum gelingt nur auf Eine weitere, strategierelevante Eigentümlichkeit der sozialen Kosten anderer Anbieter. Krankenversicherung ist der Risikoausgleich. Dieser soll einer Entsolidarisierung zwischen «Jungen und Gesunden» und «Alten Das Potenzial, über Zusammenschlüsse und Übernahmen in der und Kranken» entgegenwirken. Die sogenannte Jagd auf gute Grundversicherung zu wachsen, ist begrenzt. Denn viele kleinere Risiken lohnt sich in der Tat nicht mehr. So bezahlte beispiels- Grundversicherungsmarkt: Wachstum versus Risikoausgleich CAGR Anzahl Versicherte 2010–15 (in %) 20 Groupe Mutuel 15 10 KPT Assura 5 Helsana Concordia Visana SWICA Sympany 0 CSS Sanitas −5 −500 −250 0 250 500 750 Ø jährliche Risikoausgleichszahlung pro versicherte Person (Ø 2010–15) (in CHF) Kreisgrösse entspricht Anzahl Versicherter 2015 Nettoempfänger Nettozahler Quellen: BAG19, EY (Gruppenbetrachtung). 16 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
weise die Assura zwischen 2010 und 2015 pro Jahr und Versi- Magere Ertrags- und Wachstumspotenziale in der cherten im Schnitt über 500 CHF in den Ausgleich, während Zusatzversicherung Helsana im Gegenzug rund 300 CHF daraus erhielt. Bis 2019 wird Ähnlich limitiert zeigen sich auch die Ertrags- und Wachstumspo- der Risikoausgleich schrittweise weiter verfeinert, wobei künftig tenziale in der ebenfalls stark regulierten Krankenzusatzversiche- auch die Medikamentenkosten und die Krankheitsgeschichte rung nach VVG. Allerdings spielt hier die Umverteilung von den berücksichtigt werden. Diese Umverteilung hebelt die Möglichkeit jungen zu den älteren Versicherten: Nur wenn die Krankenversi- aus, als Krankenversicherer mit geringen Risiken tiefere Prämien cherer junge Versicherte in die Zusatzversicherung aufnehmen, anzubieten, um so Marktanteile zu gewinnen. So wird der Risiko- sind sie in der Lage, ausreichend Alterungsrückstellungen zu ausgleich zum Nullsummenspiel. bilden. Prämieneinnahmen der zehn grössten Krankenversicherer, Anteile KVG und VVG (in Mio. CHF) 6000 27% 20% 15% 4000 37% 36% 10% 2000 73% 80% 85% 28% 24% 16% 63% 90% 64% 72% 76% 84% 30% 70% 0 Helsana CSS Groupe Mutuel SWICA Visana Assura Sanitas Concordia KPT Sympany KVG VVG Quellen: BAG20,FINMA21, Geschäftsberichte, EY (Gruppenbetrachtung). Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 17
4 Ausgangspunkt: die Grund- bedürfnisse der Versicherten Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle der Kranken- versicherer bilden die grundlegenden Bedürfnisse der Versicherten. Diese lassen sich künftig mit datengestützten Innovationen noch besser bedienen. Um die damit verbundenen Mehrwerte abzuschöpfen, müssen die Krankenver- sicherer eine aktive Rolle übernehmen. 18 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Die hohe Qualität des Schweizer Gesundheitswesens sichern Grundbedürfnisse im Gesundheitswesen und gleichzeitig den Anstieg der Gesundheitskosten dämpfen: Das wollen die öffentliche Hand, Krankenversicherer und Ver- sicherte. Diese Interessensymmetrie zeigt sich insbesondere bei den drei Grundbedürfnissen der Versicherten: gesund leben, gesund werden und mit der Krankheit leben. Gelingt es den Krankenversicherern, diese Bedürfnisse besser zu bedienen, Gesund können sie den Anstieg der Gesundheitskosten dämpfen und leben gleichzeitig neue Wertschöpfungsmöglichkeiten erschliessen. Zahlreiche Beispiele aus der Schweiz – und noch vielmehr aus dem Ausland – belegen diese Neuausrichtung. Grund- bedürfnisse Mit der Gesund Krankheit werden leben Quelle: EY. Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 19
4 Ausgangspunkt: die Grundbedürfnisse der Versicherten 4.1 Gesund leben Kostenkontrolle beginnt bei der Gesundheitsprävention. In der Eine zentrale Bedeutung kommt der prädiktiven Risikoanalyse Schweiz werden hierfür allerdings nur gerade 2,2 Prozent der zu. Auf der Basis umfangreicher Daten lassen sich künftige Krank- gesamten Gesundheitskosten aufgewendet. Entsprechend gross heitsrisiken erkennen, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Störungen ist der Bedarf für Innovationen. Den Krankenversicherern eröff- oder Typ-2-Diabetes, die vielfach mit dem Lebensstil zusammen- nen sich mit technologischen Neuerungen und Datenanalysen hängen. ungeahnte Möglichkeiten, individualisierte Gesundheitsberatun- gen anzubieten. Neue Erkenntnisse aus der Verhaltenswissenschaft und der soge- nannten Gamification, dem Einbringen spielerischer Elemente wie Punktesysteme oder Ranglisten, können die Wirksamkeit der Grundbedürfnis Gesundheitsberatung verbessern. Im Fokus stehen dabei Ernäh- «Gesund leben» rung und Bewegung: Eine gesunde Ernährung und regelmässige körperliche Betätigung reduzieren nicht bloss die Gesundheits- kosten, sie steigern auch direkt das Wohlbefinden der Versicher- ten. Mentale Beratungen erhöhen zudem die Chance, psychische Störungen zu verhindern oder frühzeitig zu erkennen und zu Ernährungs- Bewegungs- behandeln. beratung beratung Das bedingt allerdings, dass persönliche Gesundheitsdaten erfasst und analysiert werden. Eine EY-Umfrage zeigt, dass die Schweizer Versicherten durchaus bereit sind, ihre Daten mit dem Gesund Krankenversicherer zu teilen – wenn sie entsprechende Vorteile leben erhalten (siehe Kapitel 5). Prädiktive Mentale Risikoanalyse Beratung Quelle: EY. 20 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Fallstudien sicherten der CSS mittels elektronischer Schrittzähler zu mehr Die App Headspace fördert das tägliche Meditieren und erlaubt Bewegung und soll so die Eigenverantwortung stärken. Die Bewe- es Anwendern, ihre mentale Gesundheit zu verbessern. Head- gungsdaten werden der CSS täglich übermittelt. Erreichen die space nutzt Gamification-Funktionen sowie Social Media, um die Teilnehmenden die vereinbarten Ziele (7500 oder 10 000 Anwender zu motivieren. Schritte pro Tag), erhalten sie eine Gutschrift auf ihr Gesund- heitskonto. Der zur CSS gehörende Online-Versicherer Sanagate Mit der digitalen Ernährungsberatung von Zipongo erhalten arbeitet daran, das digitale Präventionsangebot von Dacadoo für Anwender in Echtzeit personalisierte Menüempfehlungen. Er- seine Kunden anzubieten. arbeitet werden die Ratschläge auf der Basis biometrischer Daten, persönlicher Vorlieben, von Ernährungsbedürfnissen Ähnlich funktioniert die Gesundheitsplattform Benevita von sowie des täglichen Angebots umliegender Kantinen und Restau- Swica: Deren Nutzer erhalten personalisierte Ratschläge zu rants. Das Programm stellt zudem Tools zur Mahlzeitenplanung Bewegung, Ernährung und Wohlbefinden, die sich am Lebens- sowie Einkaufslisten zur Verfügung. zyklus orientieren. Zudem können die Versicherten von Prämien- rabatten profitieren, vorausgesetzt sie pflegen einen gesunden Auch in der Schweiz haben Krankenversicherer Dienstleistungen Lebensstil. in ihr Angebot aufgenommen, um Versicherte zu einem gesunden Lebensstil zu bewegen. CSS myStep animiert die Zusatzver- Pay as you live (PAYL) Ähnliche Produkte werden in Australien angeboten. Der Ver- sicherer Medibank gibt Wearables kostenlos an Kunden ab, Vom persönlichen Lebensstil abhängige Krankenkassenprä- die sich an dem Gesundheitsprogramm beteiligen. Medibank mien: Das verspricht das Konzept «Pay as you live» (PAYL). entschädigt ihre Versicherten nicht nur für körperliche Aktivi- Über Smartphones und Wearables erfasste Gesundheitsdaten tät, sondern auch für den Einkauf von Gemüse und Früchten. werden ausgewertet, um die Krankenversicherten zu einem gesünderen Lebensstil zu bewegen. Damit lassen sich Gesund- Die australische Airline Qantas bietet zusammen mit dem heitskosten reduzieren, wovon ein Teil als Prämienrabatt an Versicherer NIB eine eigene Krankenversicherung an. Bei die Versicherten weitergegeben wird. Qantas Assure werden Kunden, die sich häufig bewegen, mit Bonuspunkten belohnt. Das Versicherungsangebot zeichnet Fallstudien sich dadurch aus, dass es gezielt Vielflieger anspricht, eine Ausländische Krankenversicherer nutzen PAYL-Modelle Kundengruppe, die ohnehin positiv auf Bonusprogramme bereits aktiv. So erfasst der US-Versicherer John Hancock reagiert. Fitnessdaten seiner Versicherten. Wer sich regelmässig bewegt, erhält Prämienrabatte auf die Lebensversicherung. In der Schweiz sind PAYL-Angebote nur im Bereich der Zusatz- Und wer jährlich einen Gesundheitscheck durchführt und nicht versicherung möglich, wobei die Höhe der Rabatte begrenzt raucht, profitiert von weiteren Entschädigungen. ist. Wollen Versicherer darüber hinaus Vergünstigungen anbieten, müssen sie den versicherungstechnischen Effekt Oscar, ein digitaler Krankenversicherer in den USA, nutzt von Lebensstiländerungen belegen. In der öffentlichen Diskus- Online-Tools zur Antragstellung und bietet eine Ärzteplattform sion wird gegen PAYL eingewendet, dass die Solidarität unter sowie verschiedene Telemedizin-Leistungen an. Oscar setzt den Krankenversicherten abnimmt und körperlich Benachtei- Fitness-Tracker ein und entschädigt die Versicherten mit ligte bestraft werden; so werden zum Beispiel Gehbehinderte Amazon-Gutscheinen, wenn sie eine gewisse Schrittzahl von Modellen mit Schrittzählern ausgeschlossen. Die damit zurücklegen. Und wer sich gegen Grippe impfen lässt, erhält verbundenen Reputationsrisiken müssen Krankenversicherer Prämienrabatte. sorgfältig abwägen. Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 21
4 Ausgangspunkt: die Grundbedürfnisse der Versicherten 4.2 Gesund werden Werden Versicherte krank, wollen sie klarerweise nur eines: Vermeidung gesundheitlicher Risiken. Entstehen Kosten, erwar- schnell wieder gesund werden. Die medizinische Versorgung soll ten die Versicherten, dass die Krankenversicherer diese rasch und zeitlich und örtlich flexibel sein; stationäre Behandlungen sind unkompliziert übernehmen. hingegen möglichst zu vermeiden. Die Behandlungen selbst sol- len permanent verfügbar, topmodern und bequem sein. Experten- Indem Krankenversicherer Einfluss auf die Leistungserbringung wissen wird als selbstverständlich betrachtet, ebenso die nehmen, können sie die Kosten besser kontrollieren. Möglich wäre dies über die Aufhebung des Vertragszwangs oder über ergebnisabhängige Verträge mit Ärzten oder Spitälern. Damit würden innovative, wirksame und effiziente Behandlungen Grundbedürfnis gefördert. «Gesund werden» Fallstudien Es lassen sich insbesondere in den USA zahlreiche Start-ups beobachten, die sich das Ziel gesetzt haben, Behandlungen respektive deren Kosten zu optimieren. So hat der US-Fahrdienst Kosten- Flexible Uber mit dem Pilotprojekt UberHealth gezeigt, wie mit der Haus- übernahme Versorgung lieferung von Grippeimpfungen Personen erreicht werden kön- nen, die sich sonst nicht hätten impfen lassen. Der Service basiert auf einer mobilen Plattform, über die sich diverse medizinische Dienstleistungen, von Medikamentenzustellungen bis zu Patien- Gesund tentransporten, abwickeln lassen. werden Oscar, ein digitaler Krankenversicherer in den USA, operiert mit Online-Tools zur Antragstellung, einer Ärzteplattform und ver- schiedenen Telemedizin-Angeboten. Zudem unterhält das Unter- nehmen Partnerschaften mit Spitälern und Medikamentenhänd- Optimale Behandlung lern. Dadurch kann die Kosteneffizienz gesteigert werden. Quelle: EY. 22 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Der Anstieg der Gesundheitskosten ist nicht zu vermeiden. Doch er lässt sich dämpfen. Mit dem Präventionsprogramm des US-Unternehmens Omada Cholesterinsenker «Repatha» und mit Eli Lilly für das Diabetes- Health können Krankenversicherer und Arbeitgeber die Gefahr medikament «Trulicity» getroffen. chronischer Erkrankungen und damit die Behandlungskosten sen- ken. Dazu stellt Omada Health individuelle Massnahmen zusam- Schweizer Krankenversicherer ziehen mit men und stattet die Teilnehmer mit Wearables aus. Persönliche Auch Schweizer Krankenversicherer haben Dienstleistungen lan- Gesundheitscoachs, eine Online-Bezugsgruppe für tägliche Feed- ciert, um die Behandlungskosten zu optimieren. Die CSS will mit backs und laufende Unterstützung sollen das Engagement der Medgate-App die telemedizinische Beratung verbessern. sicherstellen. Dabei wird nicht nur die Kontaktaufnahme erleichtert, über das Smartphone lassen sich auch Medikamente bestellen oder Fotos Die beiden US-Krankenversicherer Cigna und Aetna haben ergeb- von Haut- und Augenveränderungen zur Kontrolle übermitteln. nisabhängige Verträge mit Novartis abgeschlossen. Zeigt das Bei dem Versicherungsmodell Medpharma, das SWICA mit sei- Medikament «Entresto», das bei Herzerkrankungen eingesetzt nen TopPharm-Partnerapotheken anbietet, verpflichten sich die wird, nicht die erhoffte Wirkung (gemessen an der Reduktion der Versicherten, für eine Erstkonsultation zunächst entweder eine Hospitalisierungsrate), gewährt der Pharmahersteller den Versi- der über hundert TopPharm-Apotheken in der Schweiz aufzusu- cherern einen Preisnachlass. Vergleichbare Abmachungen hat chen oder eine telefonische Gesundheitsberatung durch Sante24 der US-Krankenversicherer Harvard Pilgrim mit Amgen für den in Anspruch zu nehmen. Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 23
4 Ausgangspunkt: die Grundbedürfnisse der Versicherten 4.3 Mit der Krankheit leben Chronische Krankheiten sind für einen grossen Teil der Gesund- prädiktives Monitoring. Je besser chronisch kranke Patienten heitskosten verantwortlich (siehe Kap. 3.1.1). Mit der Langlebig- überwacht und betreut werden, desto eher lassen sich Kosten für keit der Gesellschaft und dem heutigen Lebensstil nimmt ihre Notfall- und Langzeitbehandlungen vermeiden. Bedeutung weiter zu. Umso wichtiger ist es, mit innovativen Ansätzen die Behandlungskosten für chronische Krankheiten zu Innovative Geschäftsmodelle: Vermeiden von Notfällen reduzieren. Dazu zählen digital unterstützte Therapien und Die Digitalisierung verändert die Behandlung chronischer Erkran- kungen grundlegend. Mit dem intelligenten Einsatz von Sensoren und der Datenanalyse kann die Lebensqualität der Patienten ver- bessert und die Kosten für Notfälle reduziert werden. Den Kran- Grundbedürfnis kenversicherern bietet sich damit die Chance, über individuelle «Mit der Krankheit leben» Beratungs- und Unterstützungsleistungen Mehrwerte für die Ver- sicherten zu schaffen und einen Beitrag zur Senkung der Gesund- heitskosten zu leisten. Basis für digitales Monitoring ist eine intel- ligente Aggregation und Analyse aller verfügbaren Daten. Krankheits- Monitoring Fallstudien beratung Der von der North Carolina State University entwickelte Health and Environmental Tracker (HET) misst mittels Sensoren an einem Armband neben den medizinischen Daten des Anwenders Mit der diverse Umweltfaktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Ozon- Krankheit konzentration oder flüchtige organische Verbindungen. Mittels leben prädiktiver Algorithmen lassen sich dadurch Asthmaanfälle vor- aussagen und Anwender frühzeitig warnen, damit diese ihr Ver- halten ändern oder den Ort wechseln. Wirksame und Erfahrungs- effiziente austausch Mit dem Proteus Discover, einem von Proteus Digital Health Behandlung entwickelten Sensor, lässt sich verfolgen, wann Patienten ihre Arzneimittel einnehmen. Der sandkorngrosse Sensor wird mit Quelle: EY. 24 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
Werden chronische Patienten intelligent betreut, können gefährliche und kostspielige Notfälle vermieden werden. dem Medikament verbunden, und nach der Einnahme werden sollen schwere Anämien und kostspielige Behandlungen verhin- Uhrzeit sowie persönliche Daten wie Puls und körperliche Aktivi- dert werden. tät des Patienten übermittelt. Damit können Ärzte überwachen, ob Patienten die vorgeschriebenen Einnahmezeiten einhalten und Auch in der Schweiz werden digitale Monitorings angewendet. ob das Medikament wirkt. Die US-Gesundheitsbehörde hat den Das Gesundheitsprogramm Care4Cardio des Krankenversiche- Sensor in Kombination mit einem Bluthochdruckmittel zugelas- rers Sanitas unterstützt Menschen mit Herzschwäche in ihrem sen. Die Technologie hilft, die Compliance von Medikationen zu Alltag. Um Frühwarnzeichen schnell und zuverlässig zu erkennen, erhöhen, und trägt zu einer wirksameren Behandlung chronischer erfassen die Patienten täglich ihr Gewicht und ihre körperliche Krankheiten bei. Es wird geschätzt, dass allein in den USA jährlich Befindlichkeit. Sind die elektronisch übermittelten Daten auffällig, Gesundheitskosten von 100 bis 300 Mio. USD entstehen, weil werden die Patienten von einer Fachperson kontaktiert. Patienten ihre Medikamente nicht wie vorgeschrieben ein- nehmen.22 Eine auf Diabetespatienten ausgerichtete digitale Lösung bietet das Unternehmen Dexcom an. Ein am Bauch getragenes Mess- gerät erfasst rund um die Uhr den Glukosespiegel, ein Smart- phone empfängt die Daten und warnt den Patienten vor einer drohenden Unterzuckerung. Der von der US-Gesundheitsbehörde zugelassene Service wird in zahlreichen Ländern vertrieben, auch in der Schweiz. Das Medtech-Unternehmen Vifor Fresenius Medical Care Renal Pharma setzt den Fokus auf Patienten, die an einer chronischen Nierenkrankheit leiden. Mitte 2017 lanciert das Unternehmen einen Algorithmus, um Patienten vor einer bevorstehenden Anämie (Blutarmut) zu warnen. Ziel ist ein integrierter Gesund- heitsservice, der pharmazeutische Produkte, Dialyse und klini- sche Services mit vorhersagenden Algorithmen umfasst. Damit Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 25
5 Verändertes Kunden- verhalten im Umgang mit Gesundheits- daten Rund 60 Prozent der von EY befragten Versicherten zeigen eine hohe bis sehr hohe Bereitschaft, ihre Gesundheitsdaten mit dem Krankenversicherer zu teilen, falls dieser attraktive Anreize setzt. Heute zeichnet knapp die Hälfte der Krankenversicherten Gesundheitsdaten auf. Somit liesse sich die vorhandene Datenbasis der Krankenversicherer noch- mals signifikant ausbauen. Dies ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil bei der Entwicklung innovativer Angebote. 26 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
5.1 Datenaustausch: Bereitschaft und Bedenken der Versicherten Bereits heute stehen den Krankenversicherern umfangreiche Krankenversicherer müssen sich darüber klar werden, welche Gesundheits- und Personendaten aus verschiedenen Quellen zur Daten sie strategisch nutzen wollen. Dabei liegt die Schlüssel- Verfügung (z.B. Alter, Geschlecht, Kundenzufriedenheit oder kompetenz künftig weniger darin, Daten zu generieren, als beanspruchte medizinische Leistungen). Die Kunden können via vielmehr, diese zu aggregieren und gezielt zu analysieren. Hier Wearables, Apps und andere Technologien umfangreiche Gesund- können Krankenversicherer auf Dienstleistungen Dritter zurück- heitsinformationen zu diesem Datenbestand beisteuern. Schliess- greifen. Eine entscheidende Rahmenbedingung stellt zudem der lich lassen sich auch über Internet und Social Media indirekt Datenschutz dar: Wiederum sind innovative juristische Ansätze gesundheitsrelevante Daten wie das Kaufverhalten erheben und gefragt, um im Dialog mit den Versicherten die Rechtmässigkeit aufbereiten. von Big Data jederzeit sicherzustellen. Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes | 27
5 Verändertes Kundenverhalten im Umgang mit Gesundheitsdaten Datenaufzeichnung ist beliebt Fast 50 Prozent der Befragten zeichnet Daten auf, um eine Über- Die Kunden seien noch nicht bereit, ihre Gesundheitsdaten mit sicht über sportliche Leistungen zu erhalten. 46 Prozent davon den Krankenversicherern zu teilen: Dieses Argument wird häufig tun dies aus blosser Neugier und 42 Prozent, um ein Fitnessziel gegen datenbasierte Innovationen im Gesundheitswesen vorge- zu erreichen. 36 Prozent überwachen damit ihren bracht. Doch die Realität ist eine andere, wie eine EY-Befragung* Gesundheitszustand. zeigt. Warum zeichnen gewisse Personen keine Daten auf? 48 Prozent Knapp die Hälfte der Befragten zeichnet bereits Gesundheitsda- sehen keinen Nutzen darin, 32 Prozent fehlt die Zeit dazu und ten auf. Am häufigsten werden Schritt- und Fitnessdaten gemes- 23 Prozent haben datenschutzrechtliche Bedenken. sen. Andere medizinisch relevante Informationen wie Blutdruck- oder Cholesterinwerte werden hingegen noch kaum erhoben. Derzeit persönlich aufgezeichnete Gesundheitsdaten Motive der Datenaufzeichnung (Mehrfachnennungen möglich) (Mehrfachnennungen möglich) Schrittdaten 32% Übersicht über Sportleistung 50% Fitnessdaten 26% Neugier 46% Erreichung eines Fitnessziels Pulsdaten 12% 42% oder Gewinn einer «Challenge» Überwachen des Schlafrhythmus 8% 36% Gesundheitszustandes Blutdruck 4% Prävention von Krankheiten 11% Vergleichen der Blutzucker 1% 10% Sportleistung mit anderen Cholesterinspiegel 1% Andere 7% Andere Daten 6% Quelle: EY (n = 250). Quelle: EY (n = 418). Hauptargumente gegen Gesundheitsdaten-Aufzeichnung (Mehrfachnennungen möglich) Kein Nutzen ersichtlich 48% Keine Zeit 32% Andere 26% Datenschutzbedenken 23% * Von September bis Oktober 2016 wurden rund 450 Personen aus der Messgeräte zu teuer 9% Deutschschweiz online befragt. 61 Prozent der Teilnehmenden waren 20- bis 34-jährig, 39 Prozent waren 35-jährig und älter. 52 Prozent der Befragten waren männlich, 48 Prozent weiblich. Quelle: EY (n = 224). 28 | Kasse für Kranke? Oder Partner für Gesundheit? Strategische Analyse des Schweizer Krankenversicherungsmarktes
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