Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Prof. Dr. Dr. Anton Ziegenaus: Der Mensch auf der Suche nach Wahrheit 35 Historiker von hohem Rang im Dienst der Kirche – Würdigung zum 90. Geburtstag von Walter Kardinal Brandmüller 45 Prof. Dr. Manfred Spieker: Er hat den Stimmlosen eine Stimme geben 48 Katholisches Wort in die Zeit 50. Jahr Februar 2019 DER FELS 2/2019 33
Liebe Leser, der Passion auch um seine Erlö- sung geht. Unsere Welt bietet ein kaum Christen leben ihre Zeit be- noch überschaubares Angebot wusst – ohne Angst und Furcht, an interessantem Zeitvertreib. aber in der Gewissheit, dass Theater, Konzerte, Museen, Fit- der Herr einmal kommen wird. nesseinrichtungen, Reisen und Überlegungen dazu sind immer Kreuzfahrten über die Weltmee- re. Wer ständig auf den gepack- INHALT zeitgemäß, auch im schon begon- nenen Jahr 2019. ten Koffern sitzt, fragt der sich Der Philosoph und Schriftstel- noch, was seine Seele braucht? Prof. Dr. Dr. Anton Ziegenaus: ler Arthur Schopenhauer sagt in Seele? Ist das nicht ein vergesse- Der Mensch auf der Suche seiner Schrift „Über Schriftstel- ner und unverständlicher Begriff nach Wahrheit . ...................................... 35 lerei und Stil“: „Zuvörderst gibt geworden, der vielen so wenig es zweierlei Schriftsteller, solche bedeutet wie „Erlösung von der P. Dr. Dr. Andreas Hirsch FSSP: Sünde“? Wir kennen das Wort Maria – Hilfe der Christen ...................... 42 die der Sache wegen und solche, die des Schreibens wegen schrei- noch vom Sprachgebrauch, wenn Diakon Raymund Fobes: ben. Jene haben Gedanken ge- wir sagen, einer Sache eine Seele Jesus Christus steht im Zentrum habt oder Erfahrungen gemacht, geben und meinen damit das Ei- der Weltgeschichte................................. 44 gentliche, das Wesentliche. die ihnen mitteilenswert erschei- Historiker von hohem Rang im Dienst nen. Diese brauchen Geld, und Und wenn das Leben hedonis- der Kirche – Würdigung zum deswegen schreiben sie für Geld tisch ausgekostet ist und Krank- 90. Geburtstag von Walter ... sobald man es merkt, soll man heit und Pflegebedürftigkeit die Kardinal Brandmüller.............................. 45 das Buch wegwerfen: Denn die Fortsetzung des bisherigen Le- Geistesschärfe, pointierte Antworten, Zeit ist edel.“ bensstils nicht mehr erlauben, treffsichere Argumentation...................... 46 Ein überdenkenswerter Satz, bleibt uns dann noch die Kraft gerade in einer Zeit, in der wir umzusteuern? Um diese Frage Prof. Dr. Manfred Spieker: zu beantworten, hat Martha von Er hat den Stimmlosen von einem Tsunami an Informa- tionen überschwemmt werden. Jesinsky zwei Wochen lang in eine Stimme geben . .............................. 48 „Die Zeit ist edel d.h. wertvoll einem Alters- und Pflegeheim in Ursula Zöller: – und sie ist begrenzt“. Scho- Zürich die Insassen beobachtet Reformer und Wegbereiter in der Kirche: und befragt. Sie kam zum Ergeb- Bruder Paulus Moritz.............................. 50 penhauer verstand sich nicht als Christ. Aber auch Christen nis: „Die meisten Menschen mei- Der Islam hat ein anderes Gottesbild .... 51 fordert das Evangelium auf, das ner Zielgruppe waren leicht bis geschenkte Leben zu nutzen. Das schwer depressiv, beklagten sich Mit christlicher Haltung Orientierung geben . ................................................... 52 ist kein Aufruf zu rastloser und über den Verlust ihrer körper- hektischer Aktivität, möglichst lichen Kräfte und zeigten (fast) Hubert Gindert: kein Interesse an Ereignissen der Wie die Hintergründe der kirchlichen bis ins hohe Alter. Unser gan- zes Leben steht unter dem Wort: Gegenwart. Auch Religion und Entwicklung verschleiert werden ........... 54 Glaube interessierten sie wenig“ „Denkt um und glaubt an das Jürgen Liminski: Evangelium.“ Die Forderung an (SKS, 9.12.18, S.11). Paris auf dem Prüfstand die Kirche, sich ständig zu refor- Wir sollten die wesentlichen der Gelbwesten ..................................... 56 mieren, d.h. zur ursprünglichen Dinge des Lebens, vor allem die Form zurückzukehren, gilt natür- persönliche Beziehung zu Gott, lich für jeden Christen. Was heißt nicht für „zuletzt“ aufschieben. Auf dem Prüfstand ................................. 60 aber, sich um eine neue Gesin- Es gibt auch ein anderes Bild Bücher.................................................... 62 nung zu bemühen? von Kranken, Behinderten und Impressum „Der Fels“ Februar 2019 Seite 63 Wer in die Kirche oder in ein Alten, die nicht mehr am „akti- Redaktionsschluss ist jew. der 5. des Vormonats Konzerthaus geht, um die Pas- ven Leben“ teilnehmen können, Titelbild: Darstellung Jesu im Tempel; sion Christi von Johannes Se- nämlich der gelassenen Zuver- aus: Jungfrau der Armen,Nr. 1/ 59 Jahrg. 15.1.1994; bastian Bach zu hören, kann sie sicht. Das Geheimnis? Die Ge- Titelbildbeschreibung S. 62 borgenheit in Gott! evtl. mit der Partitur in der Hand Fotonachweise: mitverfolgen und am Ende eine 35 wikipedia: Carl Van Vechten (1880–1964); 36 Eric perfekte Leistung der Chöre und Gaba (User:Sting), July 2005. Louvre; 37 links: David Monniaux; rechts: Kirche in Not; 39 Kunstschätze des Sänger, gewissermaßen einen Vatikans, D. Redig de Campos, Dt. Bücherbund Stutt- musikalischen Leckerbissen, kon- gart, S. 32; 41 links: F. Papafava: Vatican,Edizioni Musei statieren. Wenn er aber vom Ge- Vaticani, S. 52; rechts: wikimedia commons: Source Bonhams 42-43 Informationszentrum Berufe der Kirche, schehen, das dargestellt wurde, Ich rufe dich bei deinem Namen, Tafeln 1, 2, 4, 5, 10; 43 innerlich unberührt bleibt und so (oben) wikimedia, The Yorck Project (2002); 45 privat; aus dem Konzert herausgeht, wie 46-47, 52-53 Forum Deutscher Katholiken; 48 Archiv; Mit den besten Wünschen 49 Christa Petri; 50 U. Zöller; 51 Bistum Regensburg; er hineingegangen ist, schrammt Quelle S. 64: Helmut Moll in Martyrologium „Zeugen er an seinem Lebensziel vorbei. aus Kaufering für Christus“ I S.235 – 239. Er hat nicht erfasst, dass es bei Ihr Hubert Gindert 34 DER FELS 2/2019
Anton Ziegenaus: Der Mensch auf der Suche nach Wahrheit Gott spricht zu ihm durch seinen Sohn In unserem Alltag kommen wir nie ohne die Frage aus, was Recht und Wahrheit ist, was stimmt. Menschen ohne Wahrheitsverhältnis Jede Unterschrift, die am Bankschal- Josef Pieper1 widmet den Men- ter geleistet wird, steht als Bestäti- schen ohne Wahrheitsverhältnis eine gung für die Wahrheit, dass wir Geld eigene Abhandlung. Gemeint ist die abgehoben oder einbezahlt haben. Gestalt des Kallikles im platonischen Jeder Richter sucht, oft unter dem Dialog Gorgias. Da ist noch ein ge- Aufgebot vieler Zeugen, den wah- wisser Polos, ein Sophistenschreiber, ren und wirklichen Sachverhalt. Na- der die Mächtigen bewundert. Sok- türlich gibt es Lüge und Trug, aber rates hält nichts von solchen Typen, dieser Missbrauch der Wahrheit stellt die tun können, was sie wollen, aber nicht die Tatsache in Frage, dass wir nicht das, was sie eigentlich sollen. im Verkehr ohne verlässliche Fahr- Deshalb sind sie letztlich auch nicht pläne der Bundesbahn oder ohne mächtig. Sokrates bringt den Polos stimmende Verkehrsschilder oder zu dem ihn selbst überraschenden ohne Angaben der richtigen Uhrzeit Eingeständnis, dass elendig ist, wer uns nicht im Leben zurecht finden. Unrecht tut, ohne dafür bestraft zu Evelyn Waugh *1903 - j1966 Niemand setzt sich ans Steuer sei- werden (479e). nes Autos, ohne sich vorher über den richtigen Weg orientiert zu haben. Dieses Ergebnis bringt nun den Bei all’ unserem Tun fragen wir also Kallikles in Rage. Er gibt sich als nach Wahrheit, Richtigkeit und Ver- Pragmatiker, als Realist, wie wir heu- lässlichkeit, nach Sinn und Ziel, und te sagen würden, und rät Sokrates, erst nach Klärung dieser Fragen kön- sein Philosophieren aufzugeben. Das nen wir an die Durchführung eines Stärkere ist das Bessere, während Vorhabens gehen. Sokrates erklärt: Unrecht tun ist un- schöner als Unrecht leiden (489a-b). Nicht nur bei Themen des irdi- Überlegen wir den Satz genau. An- schen Lebens, hier auf Erden, fragen gelogen zu werden, betrogen zu wer- wir, was stimmt. Auch im religiösen den, getötet zu werden ist demnach Leben stellen sich diese Fragen. Es weniger schlimm als zu lügen, zu gibt auch existentielle Wahrheiten betrügen, zu töten. Unrecht erleiden wie das richtige Leben vor Gott. ist besser als Unrecht tun. Kallikles, „Was muß ich tun, um das ewige Le- der Mann ohne Wahrheitsverhältnis, ben zu erlangen?“ (Lk 18,18), fragt versteht nicht, dass der Unrechttä- ein junger Mann Jesus. Schließlich ter das Böse an sich heranlässt und nehmen die Märtyrer, die Zeugen der in gewissem Sinn bejaht und daher Wahrheit Christi, einen hohen Rang schlimmer dran ist als der Unrecht ein im Glauben der Kirche. Für sie Erleidende. ist das Leben mit Christus wichtiger als das eigene Leben. Doch zeigt Evelyn Waugh, ein englischer ein Blick auf die Zeitgenossen, dass Schriftsteller und Konvertit hat einen solche Wahrheitsfragen nicht über- modernen Kallikles gezeichnet2. In all gestellt werden und anderes für seinem Roman „Auf Wiedersehn mit wichtiger befunden wird. Brideshed“ hat ein gewisser Moltram DER FELS 2/2019 35
die Absicht, ein schönes und reiches mehr gebraucht. Wenn die Wahrheit Stein ist geprägt von einer unermüd- Mädchen aus der katholischen Aris- nicht mehr gesucht wird, wird alles lichen Suche nach Wahrheit.“ Edith tokratie zu heiraten. Doch gibt es ein gleich-gültig. Kallikles bindet sich Stein war jüdischer Abstammung Hindernis: Er ist nicht katholisch. nicht an eine Wahrheit. Für ihn ist das und vom jüdischen Glauben der Um so größer die Freude, als er er- Gute mit dem Angenehmen identisch Mutter stark beeindruckt. Jedoch als klärt, katholisch werden zu wollen. (497d), ist eine Lust und Glückselig- fünfzehnjährige Schülerin beschließt Man empfiehlt ihm einen Jesuiten, keit (495a). Sokrates hält dem entge- sie, „nicht mehr zu beten“. Es be- der mit Konvertiten schon häufiger gen, dass dann auch das Kratzen bei ginnt ihre atheistische Lebensphase. Erfahrungen sammeln konnte. Juckreiz zum glücklichen Leben ge- Hinter diesem Entschluss steht der hört: „Sage mir nur zuerst, ob krätzig mangelnde Glaube an das Dasein sein und das Jucken haben, wenn man eines persönlichen Gottes, jedoch sich nur genug schaben kann und so nicht Gleichgültigkeit oder geisti- gekitzelt sein Leben hinbringen, ob ge Unbekümmertheit. Edith Steins das auch heißt, glückselig leben“ Drang, einer Sache auf den Grund zu (494c). Diese Gleichsetzung von gehen, ihre Lernbegierde, beweisen Lust und Glückseligkeit ergibt – so das Gegenteil. Da ihre Studienfreun- Sokrates –: „das Leben der Knaben- de im Ersten Weltkrieg eingezogen schänder ist nicht abscheulich und waren, meldete sie sich zum Pflege- schändlich und elend. Oder wirst du dienst in einem Lazarett. Edith ließ wirklich wagen zu behaupten, dass sich also in Anspruch nehmen. Ihre auch diese glückselig sind, wenn sie nur vollauf haben, wessen sie bedür- Doch nach einiger Zeit erklärt der fen?“ – „Schämst du dich nicht, So- Jesuit, Mr. Moltram sei der schwie- krates, die Rede auf solche Dinge zu rigste Fall, mit dem er je zu tun hat- bringen?“ – Sokrates: „Bringe ich sie te. Aber, er wolle doch in die Kirche etwa darauf, Bester, oder der, wel- aufgenommen werden. „Geben Sie cher so ohne weiteres behauptet, wer mir einfach ein Formular, und ich nur Lust habe, gleichviel wie er Lust werde auf der punktierten Linie un- habe, der sei glückselig, und keinen terschreiben.“ Unterschied angibt, welche Lust gut ist und welche schlecht?“ (495a). Dieser Mr. Moltram ist nicht Nach Sokrates ist eben die Lust und Glaubenslosigkeit wurde durch die dumm, auch nicht unaufrichtig. Es das Gute nicht dasselbe. „Es ist, Glaubensstärke einer Frau erschüt- fehlt ihm das Gespür für die persön- wie es scheint, dass eine Lust gut tert, die den Tod ihres Mannes, eines liche Verbindlichkeit der Wahrheit ist, andere schlecht.“ Sokrates zieht bzw. zwischen Wahrheit und Lüge den Schluss: „Um des Guten willen besteht bei ihm kein Unterschied. So also muss man alles Übrige und so verspricht man sich bei der Trauung auch das Angenehme tun, nicht aber lebenslange Treue und kann damit das Gute wegen des Angenehmen“ vereinbaren, dass man sich beim No- (500a). tar für den Fall des Scheiterns der Ehe Sokrates (*469 v. Chr. - 399 v. finanziell absichert. Warum dauern Das Traumbild des Lebens ist für Chr.) war ein für das abendlän- die zwischenstaatlichen diplomati- Kallikles ein Herrscher, der an nichts dische Denken unverzichtbarer schen Verhandlungen manchmal jah- gebunden ist. Am Schluss des Di- griechischer Philosoph relang? Man will feste Vereinbarun- alogs kehrt Sokrates zu den Thesen gen, aber nicht gebunden sein. Die des Anfangs zurück: Unrecht zu er- Macht will man nicht weggeben. leiden ist besser als Unrecht zu tun. Diese nur schwer erkennbare und Während jedes Wort eine Wahrheit noch schwerer im Leben durchzuhal- in Anspruch nimmt, sieht man hier tende geistige Einsicht entspringt der nicht mehr den Schein-Charakter des erzieherischen Absicht Platons. Gesprächs, das in Wirklichkeit ein Monolog ist3. Die Position des Geg- ners kann nicht durch Argumente er- Wahrheit als schüttert werden, weil sie nicht auf Bindungsbereitschaft Argumenten beruht. Denken Sie nur im Blick auf Edith Stein an die Dauerthemen in der Kirche wie Priesterweihe der Frau, die Sakra Bei der Seligsprechung Edith mente für wiederverheiratete Ge- Steins sagte Papst Johannes Paul II: schiedene. Argumente werden nicht „Der ganze Lebensweg von Edith 36 DER FELS 2/2019
Studienfreundes Ediths, in gläubiger geworden wäre, aber „katholisch“ ten, Juden und Muslime verehren Hoffnung trug. Das lange Tasten und war für die „versteinerte“ Familie so nur einen Gott. Sie gehören offen- Suchen fand überraschend ein Ende, etwas wie „auf den Knien rutschen“ sichtlich zu denen, die „nichts ande- als sie abends bei einer Freundin, und den „Priestern die Schuhe küs- res kennengelernt“ haben, die Jesus die wegen einer Verpflichtung weg- sen“. Christus, den ewigen Sohn Gottes, ging, ein Buch von der hl. Teresia nicht kennen und lieben oder in ihm von Avila aus dem Regal nahm und Diese Spannung wiederholte sich nur einen vorbildlich guten Men- die ganze Nacht durch las. „Das ist als Edith ins Kloster eintrat. Kurz vor schen sehen. Wir Christen verehren die Wahrheit“, stellte Edith am frü- dem Klostereintritt besuchte Edith den einen Gott, der in Ewigkeit Va- hen Morgen fest. Daraufhin ließ sie mit ihrer Mutter einen jüdischen ter des Sohnes ist, in dem Gott sich sich taufen. Später bemerkte sie im Gottesdienst. Auf dem Heimweg uns geoffenbart hat. Gott ist nicht Rückblick auf diese Zeit: „Meine kam es zu folgendem Zwiegespräch: einsam, sondern in sich und nach au- Sehnsucht nach der Wahrheit war ein „War die Predigt schön?“. Edith: „Ja ßen ewige Liebe zwischen Vater und einziges Gebet.“ – Man kann auch auf jüdisch fromm Sohn im Heiligen Geist. sein? – Gewiss, wenn man nichts an- Ediths Mutter war eine sehr tüchti- deres kennengelernt hat.“ – Nun kam Sokrates fragt nach der rechten ge und gläubige jüdische Frau. Edith es verzweifelt zurück: „Warum hast Weise zu leben. Kallikles plädiert da- hatte deshalb Angst, der Mutter ihren du es kennengelernt. Ich will nichts für, die Begierden nicht einzuzwän- Schritt zur katholischen Kirche mit- gegen ihn sagen. Er mag ein guter gen, sondern sie „so groß wie immer zuteilen, sie war sogar darauf gefasst, Mensch gewesen sein. Aber warum möglich lassen und ihnen, woher es mit Schimpf und Schande aus der Fa- hat er sich zu Gott gemacht.“ Mut- auch sei, Befriedigung bereiten“. milie verstoßen zu werden. Als Edith ter und Tochter, die sich in Liebe (492d). Im Dienen sieht er eine Ein- nach Breslau kam und zur Mutter zugetan sind, entzweit auf einmal schränkung des Glücks (491e). Edith sagte „Ich bin katholisch“, geriet Jesus Christus. Wer ihn kennt, muss Stein weil sie erkannt hat: Jesu Wort diese nicht in einen befürchteten hei- ihn lieben, so die Tochter, die Mutter „Ich bin das Leben“ ligen Zorn, sondern brach in Tränen wirft ihm vor, dass er sich neben dem aus. Die Frau, die nach dem Tod ih- einzigen Gott zu Gott gemacht habe. In der Sorge um die schwerkranke res Mannes das Geschäft souverän Zwischen beiden steht die Frage: Mutter schreibt Edith aus dem Kar- weiterführte, die Mutter von sieben Was hältst Du von Christus? mel in einem Brief, dass die Mutter, Kindern, die von ihnen nie in Tränen den Übertritt zum katholischen Glau- gesehen wurde, weinte. Nicht selten hört man das Schlag- ben und ihren Eintritt ins Kloster nie wort: Wir alle haben nur einen Herr- verstehen konnte, weil der Mutter Noch eher hätte die Familie ver- gott. Das heißt letztlich auch: Alle wie den meisten Juden, der Glaube an standen, wenn Edith evangelisch Religionen sind gleich, denn Chris- ein ewiges Leben geschwunden sei. Ein andermal schreibt Edith Juden können sich mit Energie für ein Ziel einsetzen, aber bei einem Misserfolg Teresa von Avila (*1515 - j1582) laufen sie Gefahr, sich selbst das Le- gründete in Spanien zahlreiche ben zu nehmen. Sie können nicht in neue Klöster der neuen strengen Sr. Benedicta a Cruce Edith Stein der Hoffnung auf das ewige Leben Observanz (sog. „unbeschuhte (*1891 - j1942 im KZ Auschwitz): eine irdische Not durchstehen. Edith Karmeliter“, Männer- und Frau- Zur Wahrheit fand sie durch die vergleicht eine jüdische Beerdigung, enorden). Besondere Bedeutung Lektüre des Buches „Die Seelen- bei der nur von den Verdiensten des hat ihr Werk „Die Seelenburg“. burg“ von Teresa von Avila. Verstorbenen gesprochen wird, mit einem katholischen Leichenbegäng- nis, das vom Trost des ewigen Le- bens durchdrungen sei. Tatsächlich ist nach Paulus (1 Kor 15,14) der Glaube ohne Auferstehung sinnlos und der jüdische Kanon des AT, das nun die sog. protokanonischen Bü- cher umfasst, weiß wenig vom Leben nach dem Tod. Jesus ist nicht nur das Leben, son- dern auch der Weg. Edith Stein oder – im Klosternamen – Teresia Bene- dicta a Cruce ist den Weg wie Jesus gegangen, den Weg des Kreuzes und zwar nicht nur in dem Sinn, dass sie DER FELS 2/2019 37
einen gewaltsamen Tod erlitt, son- für meine Angehörigen, lebende und bedeuten. Wie verschieden sind im dern dass sie ihn als Sühne angebot. tote, und alle, die mir Gott gegeben konkreten Leben die Religionen! Beim Klostereintritt hat E. Stein hat, dass keiner von ihnen verloren selbst um diesen Namen gebeten. gehe.“ Nach Ediths Mutter sollte jeder Sie schreibt: „Der tiefste Sinn (des bei der Religion bleiben, in die er hi- Zusatzes zum Namen: a Cruce) ist Vergleichen Sie die Hingabebe- neingeboren wurde. Die Frage nach doch der, dass wir eine persönliche reitschaft und die Kreuzesnachfolge der Wahrheit stellt sich bei diesem Berufung haben, im Sinn bestimm- Teresia Benedictas a Cruce mit der Standpunkt nicht. Aber kann sie für ter Geheimnisse zu leben“4. E. Stein Herrsch- und Geltungssucht und das ganze Leben unterdrückt wer- bot sich mehrmals Gott zur Sühne Leidenschaftlichkeit des Kallikles. den? an: z.B. bittet sie am 24.3.1939 die Teresia Benedicta hat bis zu ihrem Priorin um die Erlaubnis, „mich dem Tod die Wahrheit gesucht und ist ge- Diese Vielfalt der Religionen wachsen in der Liebe zu dem, der die führt in der Konsequenz zu einem Wahrheit ist. Wahrheitssuche gelingt Relativismus, zu ihrer Privatisierung nur in der Bindungsfähigkeit, die wir und inneren Auflösung. Konversi- bei Moltram und Kallikles vergeblich onen gelten dann als überholt oder suchen. Edith Stein hat sich selbst an als Fanatismus. Wenn es stimmt, Jesus Christus gebunden, auch an dass der Mensch als fragendes, ver- sein Kreuz, und das freiwillig und nunftbegabtes Wesen religiösen Fra- „mit Freude“. gen wie Leben nach dem Tod, Ver- antwortung vor Gott als Herrn, oder Schuld, Sühne und Gerechtigkeit, Gott offenbart sich nicht ausweichen kann – außer er in seinem Sohn beschränkt sein Denken –, lässt sich auch die Lösung vorstellen: Nicht Bei der Frage, ob es Gott gibt, der Mensch schafft Gott nach seinem verweisen der römische Staatsmann Bild und Gutdünken, sondern Gott Cicero und schon früher Platon auf offenbart sich den Menschen. Das ist die Tatsache, dass es kein Volk ohne der Standpunkt der Offenbarungsre- Herzen Jesu als Sühnopfer für den Religion und Tempel gebe. Religion ligionen (Judentum, Christentum): wahren Frieden anzubieten: dass gehört zum Menschen. Atheismus ist Gott beruft den Abraham, führt sein die Herrschaft des Antichrists, wenn nicht natürlich, sondern ein künstli- möglich, ohne einen neuen Weltkrieg ches Gemächte. zusammenbricht und eine neue Ord- nung aufgerichtet werden kann. Ich Aber die Frage stellt sich präziser: möchte es heute noch, weil es die Wie ist dieser Gott, wie verhält er 12. Stunde ist. Ich weiß, dass ich ein sich zum Menschen und wie dieser Nichts bin, aber Jesus will es, und er zu ihm? wird in diesen Tagen noch viele an- dere dazu rufen“5. In der Seelsorge habe ich oft mit Menschen, die weit in der Welt he- Schließlich sei noch eine Passa- rumgekommen sind, etwa mit Mon- ge aus dem Testament6 vom 9. Juni teuren großer Firmen, darüber dis- 1942, also aus Ediths Todesjahr, zi- kutiert. Sie stellten verwundert fest: tiert: „Schon jetzt nehme ich den Überall gibt es Tempel als Zeichen Volk durch Mose und die Prophe- Tod, den Gott mir zugedacht hat, in der Gottesverehrung, aber überall ten. Er sieht über die Zeit der Un- vollkommener Unterwerfung unter zeigt diese ein anderes Gesicht. Die wissenheit hinweg (vgl. Apg 17,30) seinem heiligsten Willen mit Freude Menschen suchen Gott und beten und sendet nach den Propheten als entgegen. Ich bitte den Herrn, dass er ihn an, ihr Leben ist von der Religi- höchsten Boten seinen Sohn (Hebr mein Leben und Sterben annehmen on geprägt, aber überall anders. Z.B. 1,1ff). Der Sohn ist der Offenbarer möge zu seiner Ehre und Verherrli- praktizieren die Azteken in Mexiko des Vaters, der Sohn allein kennt chung, Heiligung und Vollendung oder die Phönizier Menschenopfer, ihn: „Niemand hat Gott je gesehen; unseres heiligen Ordens, namentlich Kinder wurden dem Gott Molach ge- dieser eingeborene Sohn, der an der des Kölner und Echter Karmels, zur opfert (vgl. 2 Kg 23,10). Dtn 18,10 Brust des Vaters ruht, er hat Kunde Sühne für den Unglauben des jüdi- verbietet solche Opfer7. gebracht“ (Joh 1,18). Ähnlich Joh schen Volkes und damit der Herr von 6,46. „Alles ist mir übergeben von den Seinen aufgenommen werde und Ein weiteres Beispiel: An heid- meinem Vater. Niemand kennt den sein Reich komme in Herrlichkeit, nischen Tempeln boten oft Huren Sohn als der Vater und auch den Va- für die Rettung Deutschlands und ihre Dienste an, weshalb im AT Göt- ter kennt niemand als der Sohn, und den Frieden der Welt, schließlich zendienst und Hurerei oft dasselbe wem es der Sohn offenbaren will“ 38 DER FELS 2/2019
(Mt 11,27). Hier wird sehr klar die innige und ausschließliche Lebens- gemeinschaft zwischen Vater und Sohn (kennen!) ausgesprochen. Die Stimme vom Himmel weist Jesus als „geliebten Sohn“ aus, an dem der Vater sein „Wohlgefallen“ hat (Mk 1,11; 8,7; Mt 3,17; 17,5; Lk 3,23; 9,34; 2 Petr 117): Auf ihn sol- len wir hören. Dieser Jesus ist unser „Herr“ (1 Ko 8,6). Er soll „allen Völ- kern“ verkündet werden (Mt 28,10; Mk 16,15; Apg 1,8). Die Frage lautet: Weshalb soll dieser Jesus von Naza- reth für alle und jeden Einzelnen der bestimmende Bezugspunkt sein. Mit anderen Worten: Weshalb ist Jesus Christus die einmalige Person für alle, singulär und universell. Warum Der Philosoph als Sucher nach der Wahrheit. Er will erkennen, was „die also Jesus Christus? Welt im Innersten zusammenhält“(Goethe, Faust). Die einen würden sagen, und es wurde in der Geschichte auch so gesagt, Jesus hätte eine großartige Lehre (siehe Bergpredigt) gebracht Sie sind alle gleich wahr. Jede hat der Halt im Leiden und im Sterben. und ist deshalb einmalig. Aber – so ihre Vor- und Nachteile. Es ist wie Mahatma Gandhi soll einmal gesagt muss man einwenden – eine Lehre, auf einer Wiese mit vielerlei Blumen. haben, von allen Religionen wisse auch eine besondere Lehre zielt dar- Dadurch – und nicht durch eine ein- keine Überzeugendes zum Leid zu auf, eingesehen und angenommen zu zige schöne Blume – wird die Wiese sagen außer das Christentum. Die werden. Ist sie aber verstanden, wird schön. Erst durch die Vielfalt kann Sr. Benedicta a Cruce verstand den der Initiator oder erste Entdecker sich der Reichtum des Religiösen Zusatz zu ihrem Namen als Adels- bzw. Verkünder überflüssig, genauso manifestieren. Gott ist und entzieht bezeichnung. Der Segen kommt vom wie der pythagoräische Lehrsatz gül- sich in seiner Transzendenz, sein We- Kreuz, das Kreuz bringt Segen. tig bleibt, wenn Pythagoras nicht ge- sen ist nicht fassbar. Wir Menschen lebt und den Lehrsatz nicht entdeckt können jeweils nur diese oder jene hätte. Ein Lehrsatz kann auch unab- Aspekte oder Seiten von ihm erken- Die Veflochtenheit von hängig vom Griechen Pythagoras in nen, aber nicht ihn selbst. Diese Sicht Vernunft und Glaube einem anderen Kulturkreis, etwa in erübrigt die Frage nach der Wahrheit China, wieder erkannt werden. Die einer Religion. Die Wahrheit gibt es In der abendländischen Geistes- Lehre Jesu ist gültig, auch wenn Je- nicht und wird privatisiert. Jeder hat geschichte hat sich das Bewusstsein sus nicht gelebt hätte. oder – so an- seine eigene Religion und seine eige- von zwei Erkenntnisordnungen he- dere – das Besondere an Jesus liegt, ne Wahrheit. Allerdings können dann rausgebildet: Vernunft und Glaube, weshalb er für alle die bestimmende manchmal tiefgreifende Einschnitte, ratio et fides, wie eine Enzyklika Jo- Gestalt ist, in einer außerordentlichen etwa ein Todesfall oder eine Krank- hannes Pauls II. heißt8. Der Mensch Naturbegabung, etwa in einer religiö- heit, zu tieferen Fragen anregen: Was ist ein Wesen, das mit seiner Vernunft sen oder altruistischen Genialität, so ist nun wirklich, was ist wahr? nach Wahrheit strebt. Aber diese Ver- wie Mozart eine musikalische besaß nunft, wenn sie tatsächlich auf das Oder: Die frühen Christen hätten das Wir können zusammenfassend von Ganze zielt, kann nicht ausschließen, Beste aus allen Religionen der Um- diesen Voraussetzungen ausgehen: dass es eine absolute Wahrheit gibt. welt herausgefiltert, das Christentum Jesus ist der vom Vater bestätigte ge- So ist der Mensch mit seiner Ver- sei also die Essenz oder der Extrakt liebte Sohn, Gott von Gott, wahrer nunft immer auch ein Fragender und aller Religionen. Bei dieser Argu- Gott vom wahren Gott. Jesus kennt Hörender. mentation muss man allerdings fra- den Vater. gen, warum eine religiöse Naturbega- Wenn jedoch das Ziel der Philo- bung nicht ein zweites Mal auftreten Als Gott ist er als Offenbarer un- sophie nicht in vielem Einzelwissen könnte. Dann wäre die Singularität überbietbar; intensiver, verlässlicher besteht – dann wäre der Mensch ein und Universalität Jesu Christi aufge- als der Sohn kann niemand Gott of- wandelndes Lexikon –, sondern in hoben und beseitigt. Wieder andere fenbaren. Deshalb ist auch seine Of- der Liebe zur Weisheit, die auch die bejahen die Vielheit der Religionen. fenbarung wahr. Er ist auch tragen- Frage nach dem Woher und Wozu DER FELS 2/2019 39
umfasst, dann muss die Philosophie Gespür für das Geheimnis, für das 14,5) ist, das wahre Brot (Joh 6,22), auch das Ganze im Auge behalten, rational nicht Erklärbare verloren. der wahre Weinstock (Joh 15,1). also auch Metaphysik betreiben, will Diese Religion der Vernunft strich sie nicht von vornherein ihren Blick vor allem metaphysische Themen Freilich, dieses „wahre Licht“ (Joh verengen. Man darf mit W. Dilthey wie Sinn des Leidens, Kreuz, Auf- 1,9) kam in die Welt, aber das Seine sagen, dass, zu keiner Zeit die Macht erstehung, Erlösung weg. Diese Ge- nahm ihn nicht auf (Joh 1,11). Damit der Metaphysik so groß war als in heimnisse galten als Aberglaube. Es die Aufnahme gelingt, bedarf es des jenen Jahren, in denen sie mit der kommt nicht von ungefähr, dass sich Geschenkes der Gnade. Als Paulus Theologie und der Kirche verbun- erst in der Aufklärungszeit das Theo- nach Philippi kam, heißt es von der den war.“ In der Reformation ging dizeeproblem, d.h. das Problem der Purpurhändlerin Lydia: „Der Herr diese Verbindung von Philosophie/ Rechtfertigung eines guten Gottes öffnete ihr das Herz“ (Apg 16,14). Metaphysik/Vernunft und Glaube angesichts des Übels und des Leids Ohne Gnade kommt kein Mensch in der Welt, in aller Schärfe stellte. zum Glauben. Natürlich richtet sich Die Aufklärung entsprang dem Be- die Gnade immer an den freien Willen dürfnis nach Klärung entscheidender des Menschen, der zustimmen muss. Fragen des Menschen angesichts ei- Einen wesentlichen Anteil bei der ner Pattsituation in der Wahrheits- Aufnahme des Wortes Gottes hat der frage bei den Konfessionen nach der Heilige Geist. Wie notwendig er ist Reformation. Alle Vernunftsysteme – für die Verkündiger ebenso wie für haben also durch den Zwiespalt der die Hörer –, sehen wir an der Weisung Konfessionen profitiert. Jesu an seine Jünger, vor der Geist- sendung nicht von Jerusalem weg- Der Erkenntnisweg des Glaubens zugehen zur Verkündigung (vgl. Apg löst zwar nicht die Geheimnisse alle- 1,4). „Der Geist der Wahrheit wird samt rational auf, lässt aber doch ihre auch hinführen zur vollen Wahrheit ... Sinnhaftigkeit annähernd erkennen, Er wird mich verherrlichen und von so das Geheimnis des Menschen in dem Meinen wird er nehmen und es verloren. Sie kennen das Wort Lu- seinem Woher und Wohin. Johan- euch verkünden“ (Joh 16,13ff). thers von der Hure Vernunft. Doch nes Pul II. führt in seiner Enzyklika damit nahm auch die Wirkmacht des Fides et Ratio aus: „Wo sonst als in Die Apostel, vom Heiligen Geist anderen Pendants, des Glaubens, ab. dem Licht, das vom Geheimnis der erleuchtet und geführt, zogen hinaus Die Folge der Skepsis gegen die Ver- Passion des Todes und der Auferste- und bezeugten – wie auch die vielen nunft war nämlich der Fideismus, die hung ausstrahlt, könnte der Mensch Märtyrer, – den Auferstandenen, die Position des Nur-Glaubens oder des die Antwort auf so dramatische Fra- Wahrheit, die Jesus Christus ist. Die- Glaubens allein oder des unbegrün- ge suchen, wie die des Schmerzes, ser Geist führt die Kirche durch die deten Dezisionismus. Z. B.: Auf die des Leidens Unschuldiger und des Jahrhunderte bis heute. Heute wird Frage, warum sie sich an Jesus Chris- Todes?“ (a. 112). Blaise Pascal sagte diese Wahrheit bezeugt und weiter- tus halten, antwortet man häufig: dasselbe, aber im verallgemeinenden gegeben in der katholischen Kirche. Weil es mir woanders nicht so aufge- Sinn9: „Ohne Jesus Christus wissen Gegen das Gerede vom Christentum, gangen ist. Hier fehlt das Argument. wir weder was unser Leben, noch das als solches nicht greifbar ist und Der Subjektivismus blüht! was unser Tod, noch was Gott ist, nur in den Ausprägungen diverser noch was wir selbst sind.“ Also auch Konfessionen begegnet und gegen Sank hier aus dem Bereich der Gott, dessen Dasein durch die Ver- eine unbekümmert ökumenische Of- Theologie schon die Achtung vor nunft erkennbar ist, bliebe ohne die fenheit in der Wahrheitsfrage darf das dem Wert der Metaphysik zur Vor- Offenbarung so sehr im Geheimnis Zweite Vatikanum zitiert werden: bereitung der Theologie, so kam verborgen, dass er geradezu aus der „Der einzige Mittler Christus ein weiterer Schlag gegen die Meta- Wirklichkeit verschwinden würde, hat seine heilige Kirche, die physik aus dem Bereich der Aufklä- wie die Gottesvorstellungen der ver- Gemeinschaft des Glaubens, rungsphilosophie: Der Engländer To- schiedenen Religionen belegen kön- der Hoffnung und der Liebe, land († 1722) leugnete jede von der nen. Hier gilt das schon zitierte Wort hier auf Erden als sichtbares Vernunft unabhängige Autorität der Jesu (Mt 11,27): „Niemand kennt den Gefüge verfasst und trägt sie Offenbarung und forderte die Entfer- Sohn als der Vater, und auch den Va- als solches unablässig ... Dies nung jedes der Vernunft unzugängli- ter kennt niemand als der Sohn, und ist die einzige Kirche Christi, chen Geheimnisses. Einem Buch gab wem es der Sohn offenbaren will.“ die wir im Glaubensbekennt- er den Titel: Christianity not myste- Ähnlich Joh 1,18: „Niemand hat Gott nis als die eine, heilige, katho- rious. – Das Christentum frei vom je gesehen; der eingeborene Sohn, lische und apostolische beken- Geheimnis. Unter diesen damals von der an der Brust des Vaters ruht, er nen. Sie zu weiden, hat unser vielen akzeptierten Voraussetzun- hat Kunde gebracht.“ So kann Chris- Erlöser nach seiner Aufer- gen, die Religion nur im Rahmen der tus der Sohn von sich sagen, dass stehung dem Petrus übertra- Vernunft gelten zu lassen, ging das er die Wahrheit und das Leben (Joh gen (Joh 21,17), ihn und den 40 DER FELS 2/2019
Nicht nur in der Kindheitsgeschichte auch am Anfang „Durch den Tod wird die Seele vom Leib getrennt; in des öffentlichen Wirkens Jesu bei der Taufe durch Jo- der Auferstehung aber wird Gott unserem verwandel- hannes offenbart sich Gott als die Dreifaltigkeit. ten Leib das unvergängliche Leben geben, indem er ihn wieder mit unserer Seele vereint.“ Der Bischof stirbt, versehen mit dem Sakrament der Krankensal- bung und begleitet mit den Gebeten der Kirche. Der Engel rettet die Seele im Kampf mit dem Teufel. übrigen Aposteln hat er ihre das Wort des Hebräerbriefes (13,8) Leib und Seele, stoßen wir auf die Ausbreitung und Leitung an- gültig: „Christus gestern, heute und abendländische Sicht. vertraut (vgl. Mt 28,18ff), für in Ewigkeit“. Die beiden Ordnungen immer hat er sie als „Säule der Erkenntnis bilden eine Einheit, So ist der Mensch immer in Bewe- und Feste der Wahrheit“ er- weil die Schöpfung und die Offen- gung auf der Suche nach der Wahr- richtet (1 Tim 3,15). Diese barung auf einen einzigen Ursprung heit und nach dem, was ihm Halt Kirche, in dieser Welt als Ge- zurückgehen, nämlich Gott. gibt. Halt kann nur geben, was fest sellschaft verfasst und geord- ist. Auf wackligem Grund kann man net, ist verwirklicht in der ka- Der geschichtliche Wandel der nicht stehen und leben. q tholischen Kirche (subsistit in Kultur und der Lebensbedingungen ecclesia catholica)“. des Menschen kann den Eindruck 1 Tradition als Herausforderung, Kemp- Es gibt also nur eine Kirche, und erwecken, dass auch die Wahrheit ten 1963, S. 256-268. diese existiert konkret in der katholi- geschichtlich ist und sich ändert. Je- 2 Vgl. Pieper, a.a.O. 268. schen Kirche und diese ist von Jesus doch: Was wahr ist, bleibt wahr. Doch 3 Pieper, a.a.O. 265 Christus gegründet. kann sich der Zusammenhang im Ge- 4 Werke IX, 24. füge des Ganzen ändern. Z.B. meint 5 Vgl. A. Ziegenaus, Judentum und Chris- Auch wenn es zwei Erkenntniswe- Nephesch (Seele) im Hebräischen tentum, in: ders., Verantworteter Glaube. ge gibt, gibt es nicht zwei Wahrhei- den ganzen Menschen, mit Leib und Theologische Beiträge 1, Buttenwiesen ten. Angesichts des Historizismus, Seele, im Griechischen und in der 1999, 239. 6 Werke X, 148f. der Verzeitlichung und Vergeschicht- abendländischen Philosophie einen 7 Vgl. Der Kleine Paul, 3, s.v. Moloch lichung der Wahrheit drängt sich Teil des Menschen, der aus Leib und 8 Vgl. Leo Cardinal Scheffczyk, Zur nicht selten der Eindruck auf, die Seele bestehe. In der Bezeichnung Christozentrischen Anthropologie der Wahrheit unterliege einem Wandel „Seelsorge“ wirkt das hebräische Enzyklika „Fides et ratio“, FS A. Ziegen- und es gäbe eine doppelte Wahrheit. Verständnis bei uns noch fort, in der aus, Regensburg 2006, 17f. Bei allem Wechsel der Zeiten bleibt Definition: Tod ist die Trennung von 9 Pensees, Fragment 548 DER FELS 2/2019 41
P. Andreas Hirsch FSSP: Maria – Hilfe der Christen W ir kennen viele Dar- Schritte gehen können: unsere Sün- seist Du Maria, voll der Gnade, der stellungen der allerse- den in der heiligen Beichte bekennen Herr ist mit Dir (Lk 1,28). ligsten Jungfrau und und unser Leben nach den Gesetzen Gottesmutter Maria als Gottes täglich neu ausrichten. Wir Maria bringt Jesus zu den Men- Schutzmantelmadonna. Dazu passt dürfen in jeder Not Maria um ihre schen, etwa wenn sie ihre Base Elisa- das sehr schöne Lied „Maria, breit mächtige Fürsprache mit folgendem beth besucht, die Maria unter Führung den Mantel aus“. Die ganze Chris- Gebet anflehen: Maria, stelle Dich des Heiligen Geistes als Mutter des tenheit steht sicher unter dem Schutz- bitte mit Deiner heiligen Reinheit vor Herrn anredet (Lk 1,43). Herr steht mantel der Gottesmutter: Wir sehen uns und erflehe uns bei Deinem Sohn in der Heiligen Schrift für Gott! Der dort den Papst, Bischöfe, Priester, heilige Gedanken und ein heiliges zuvor von Elisabeth ausgesprochene Kaiser, Könige, Fürsten und die ein- Wollen. Die Dankbarkeit sollte dabei Lobpreis Du bist gebenedeit unter den fachen Gläubigen. Sie alle erfuhren nie außer Acht bleiben. In vielen Ma- Frauen und gebenedeit ist die Frucht und erfahren den Schutz der Patro- rienwallfahrtsorten ist der Dank der Deines Leibes ist auch Teil des AVE nin, die voller Güte und Barmherzig- Menschen an Jesus und Seine Mutter MARIA geworden. Johannes hüpft keit ist. Jedes Kind sucht Schutz un- auf kleinen Votivtafeln sichtbar aus- vor Freude im Leib seiner Mutter Eli- ter der Obhut seiner Mutter. Suchen gedrückt. Geben wir unsere Dankbar- sabeth (Lk 1,44) – ihm wird von Jesus auch wir diesen Schutz bei Maria keit an Gott, die Gottesmutter und die die Erbschuld genommen: Johannes mit dem schönen Gebet Unter dei- Mitmenschen weiter, indem wir eifrig wird dadurch erfüllt mit der Liebe des nen Schutz und Schirm fliehen wir, o beten und die Nächstenliebe üben. dreifaltigen Gottes wie wir bei der heilige Gottesgebärerin. Verschmähe Taufe. Durch die Vermittlung Mariens nicht unser Gebet in unseren Nöten, Durch Maria kommen wir zu Je- werden Elisabeth und Johannes mit sondern erlöse uns jederzeit aus allen sus. Selbstverständlich dürfen, ja der Gnade Jesu Christi, unseres Herrn Gefahren. O, du glorwürdige und ge- sollen wir uns immer auch direkt an und Gottes, reich beschenkt. benedeite Frau, unsere Mittlerin, un- Jesus wenden – Er ist unser Herr und sere Fürsprecherin. Versöhne uns mit Gott. Jesus liebt es aber, wenn wir Maria selbst lobt Gott und dankt deinem Sohne, empfiehl uns deinem Seine Mutter ehren, unter deren Herz Ihm für Ihre Auserwählung und die Sohne und stelle uns vor deinen Soh- Er neun Monate gewohnt hat und de- Erlösung mit dem Magnificat, das die ne. Amen. Gott, der gütige und milde ren Sorge Er sich als Kind anvertraut Priester und Ordensleute jeden Tag Vater, schenkt uns Barmherzigkeit, hat. Maria sagte ihr JA zum Heilsplan am Schluss der Vesper beten. Die Got- wenn wir voller Reue umkehren und Gottes, den ihr der Erzengel Gabriel in tesmutter preist Gott für Seine Größe, unter dem Mantel Mariens Zuflucht Nazaret verkündet hat (Lk 1,26). Die Seine Heiligkeit und Sein Erbarmen. und Schutz suchen. Der Herr gewährt Verkündigung des Herrn betrachten Sie prophezeit ihre Seligpreisung über uns die Gnade dazu und Maria ist un- wir in jedem AVE MARIA, wenn wir alle Zeiten hinweg, die in den vielen sere Fürsprecherin am Throne Gottes, die Gottesmutter mit den Worten des Gebeten, Liedern, Gotteshäusern und damit wir in aller Demut die weiteren Erzengels Gabriel anreden: Gegrüßet Wallfahrtsorten des ganzen Erdkreises 42 DER FELS 2/2019
durch die Gläubigen ihr dargebracht kümmert Er selbst sich um die in je- tätig. Rufen wir sie immer wieder an werden. Damit stimmen wir in den der Hinsicht Benachteiligten durch und vergessen wir auch nicht, ihr und Lobgesang Mariens mit ein. Wenn wir gute Menschen, die Engel und die ihrem Sohn innig zu danken. Maria ehren, so preisen wir Gott und Gottesmutter sowie durch Seine Gna- danken Ihm für Sein reinstes und hei- den und Seinen Frieden, den Er uns in Bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2) ligstes Geschöpf. Im Magnificat be- die Herzen einsenkt, wenn wir Ihn nur vermittelt Maria das erste Wunder singt die Gottesmutter den Sturz der darum bitten: Vater, im Namen Deines Jesu. Sie sagt voller Vertrauen zu den Mächtigen, Reichen und Hochmüti- geliebten Sohnes Jesus Christus bitten Dienern Was Er euch sagt, das tut. gen von ihren Thronen sowie die Sor- wir Dich um Frieden in unseren Her- Die Diener gehorchen Jesus und fül- ge Gottes um die Armen. Damit sind zen und in der Welt. len die Krüge mit Wasser und wissen nicht nur diejenigen gemeint, die kaum später, woher der Wein kommt. Auch etwas oder nichts haben, sondern auch An dem von Maria im Magnificat die Jünger glauben an Jesus. Folgen die Demütigen, die wissen, dass sie in besungenen Erlösungsweg ist sie an wir diesen Beispielen und bitten die ihrer Armut alles Gott verdanken. Gott den wesentlichen Stationen mit ihrem Gottesmutter, dass sie uns Glaube, erfüllt Seine Versprechen mit unfehl- Sohn Jesus Christus innig vereint: Hoffnung und Liebe bei ihrem Sohn barer Sicherheit und schenkt uns Sei- Maria zeigt in Bethlehem den Hirten Jesus Christus erflehe. ne Gnaden, wenn es am besten für uns (Lk 2) und den Weisen aus dem Mor- ist. Dafür bedarf es der Geduld. Nach genland ihr göttliches Kind. Diese fal- Maria geht den Kreuzweg ihres der Sünde Adams musste die Mensch- len nieder und beten Jesus an (Mt 2). Sohnes mit und steht (Joh 19,25-27) heit sehr lange auf den Erlöser warten Bei der Darstellung Jesu im Tempel unter Seinem Kreuz. Sie wird durch – aber Er ist gekommen: Gott selbst (Lk 2,22ff) dürfen Simeon und Han- Johannes auf den Wunsch Jesu auch wird Mensch in Jesus Christus und na durch die Vermittlung des Heiligen unsere Mutter, die sich um uns sorgt tilgt unsere Sünden durch Sein Lei- Geistes den göttlichen Erlöser Jesus und immer für uns am Thron ihres den und Seinen Tod am Kreuz. Zuvor Christus sehen, den Seine Mutter Ma- Sohnes eintritt. Grüßen wir Maria oft führte Gott Sein Volk durch Mose und ria zu ihnen bringt. Nachdem Maria mit dem folgenden am Anfang schon die Propheten auf Seinen Wegen. Jetzt Jesus im Tempel gefunden hatte (Lk erwähnten Gebet: Liebe Gottesmutter, bleibt Er bei uns durch die Sakramen- 2,41ff), bewahrt sie alles, was sie er- nimm uns mit in Deine Reinheit und te – besonders in der heiligen Messe fahren hatte, demütig in ihrem Herzen Heiligkeit. Beschütze uns und erflehe und durch Seine heiligen Worte. Jesus und vertraut sich ganz der liebenden uns ein heiliges Denken und ein hei- Christus wird wiederkommen zu rich- Führung Gottes an. Nehmen wir uns liges Wollen bei Gott, unserem Vater. ten die Lebenden und die Toten. Aber die Gottesmutter zum Vorbild und bit- Amen. Sind wir gut zueinander, wie Er hat eine unendliche Geduld mit uns ten sie immer wieder um diese Gna- es uns Jesus ans Herz gelegt hat und Sündern – wir können Sein zweites de und ihren Schutz als die Hilfe der wie es Jesus und Maria bis heute zu Kommen nicht herbeizwingen und Christenheit. Damals wie heute ist uns sind, damit wir in der Gottes- und das ist gut so. In der Zwischenzeit Maria unermüdlich für die Menschen Nächstenliebe wachsen. q DER FELS 2/2019 43
Diakon Raymund Fobes: Jesus Christus steht im Zentrum der Weltgeschichte Hugo Rahner – ein zu Unrecht vergessener Theologe Karl Rahner (1904-1984) gehört wohl zu den meistzitierten und -rezipierten Theo- schichte erschließt sich nach Rahner, wenn sie von dem menschgeworde- nen Gott Jesus Christus her betrach- Die Verkündigung soll sich durch Klarheit und Einfachheit auszeich- nen und durch eine „von der Traditi- logen der Gegenwart. Weit weniger tet wird – wenn sie diese Menschwer- on geheiligte und konsekrierte Spra- ist heute sein Bruder Hugo bekannt, dung ernst nimmt, die nicht nur den che“. der ebenfalls Jesuit war und sich in Beginn der Kirche ausmacht, sondern Dabei habe die Verkündigung die der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Zentrum der Weltgeschichte als Aufgabe, den Zusammenhang der vor allem als Patristiker (Theologie solcher wird. In den Jahrtausenden christlichen Wahrheiten zu verdeut- der Kirchenväter der ersten christli- vor der Menschwerdung zielt die Ge- lichen. Sie solle die Welt als „Päda- chen Jahrhunderte) und Kirchenhis- schichte auf Christus hin – nach der gogie auf Christus“ hin erschließen. toriker einen Namen gemacht hatte. Auferstehung und Himmelfahrt liegt So geht es darum, die Welt durch Während dieser Zeit war Hugo Rah- ihr Wesen darin, dass nun in ihr das Christus und die Kirche heim zu ner – geboren 1900 – auch ein durch- gnadenhaft gegebene und doch freie Gott, dem Vater, zu holen – immer im aus bekannter Theologe, zuweilen Ja des Menschen zu Christus mög- Blick auf das Ende der Welt, wo sie sogar bekannter als sein Bruder Karl. lich wird. Hugo Rahner entdeckt in wieder endgültig und vollkommen Dass er heute allerdings weitgehend der griechischen Philosophie bereits „Reich Gottes“ ist, also unter Gottes vergessen ist, ist mehr als bedauer- entscheidende Gedanken über Gott liebevoller Herrschaft steht. Für Rah- lich, denn Hugo Rahner hat Weg- und die Welt, die durch das Chris- ner ist entscheidend, dass Christus weisendes in seiner Zeit gesagt und tentum zur Fülle gelangen – durch in Seiner Kirche konkret wirkt – so geschrieben, was auch in heutiger Christus geheiligt werden. Vorah- in den Sakramenten. Eine wichtige Theologie und Verkündigung seinen nungen aus dem antiken Heidentum Rolle spielt für ihn in diesem Zu- Platz haben sollte. Am 21. Dezember werden in Christus Wirklichkeit. Mit sammenhang auch das Priestertum, 2018 jährte sich sein Todestag zum der Menschwerdung Jesu Christi be- denn im Priester, der in der Person 50. Mal. ginnt in unserem Abendland durch Christi handelt, ist der fleischgewor- Hugo Rahners Werke sind heu- die Vereinigung jüdischen und grie- dene Logos präsent. Der Priester hat te kaum erhältlich – allenfalls sein chisch-heidnischem Denkens in der Anteil an der Inkarnation. Zur pries- Buch „Der spielende Mensch“, das Person Christi etwas Neues. Konkret terlichen Persönlichkeit gehört aber allerdings nur einen Bruchteil sei- erschließt sich nun durch Christus auch das existentielle Erfülltsein von ner umfassenden Theologie darstellt. das bereits zuvor erahnte Drama der der Größe und Schönheit Gottes und Deutlich mehr erfährt man über Menschheitsgeschichte: Der paradie- den Wahrheiten des Glaubens, damit den Theologen in der Dissertation sische Urzustand wurde durch die auch die Hörer der Verkündigung von von Pfarrer Johannes Holdt „Hugo Sünde des Menschen (die Haltung ihr berührt werden. Rahner – sein geschichts- und sym- weg von der Gottesliebe hin zur ego- Kurz vor seinem 60. Geburtstag boltheologisches Denken“ aus den istischen Selbstliebe) zerstört. Gott erkrankte Hugo Rahner schwer an 1990er Jahren. Betreut wurde diese aber wendet dann durch Christus al- Parkinson. So zog er sich in den letz- Doktorarbeit von dem emeritierten les zum Guten, sodass am Ende für ten acht Jahren seines Lebens immer Augsburger Dogmatiker Prälat Prof. den Menschen guten Willens wieder mehr zurück. Wahrscheinlich liegt Dr. Anton Ziegenaus, dem Modera- das Paradies steht. auch darin der Grund, dass er heute tor der Theologischen Augsburger Hugo Rahner war auch ein Theo- nicht so bekannt ist wie sein Bruder. Sommerakademie. loge, der sich viele Gedanken über Dabei wäre es sicherlich für die heu- Zu Rahners großen Verdiensten die Verkündigung des Glaubens tige Theologie ein Gewinn, würde gehört sein Nachdenken über das We- machte. Seine Überlegungen sind sie sich mehr mit ihm beschäftigen sen der Geschichte. Er sah seine Auf- ganz im Kontext seiner Geschichts- – gerade auch deshalb, weil er ei- gabe als historischer Theologe nicht theologie zu sehen, die ja ihren Sinn nen Weg der Verkündigung aufzeigt, in erster Linie darin, für die Kirche und ihr Ziel darin hat, dass die Welt der sowohl dem Menschen Freude relevante historische Ereignisse zu durch die Kirche auf Gott hin steuert. am Glauben vermittelt als auch fest reflektieren, sondern fragte nach dem Entscheidend ist daher, dass sich die verwurzelt ist in dem in der Bibel of- Sinn der Geschichte für den gläubi- Verkündigung an der Bibel und an fenbarten und der Kirche tradierten gen Christen. Dieser Sinn der Ge- der kirchlichen Tradition orientiert. Christusgeheimnis. q 44 DER FELS 2/2019
Historiker von hohem Rang im Dienst der Kirche Würdigung zum 90. Geburtstag von Walter Kardinal Brandmüller Im Rückblick auf 90 Jahre darf Kardinal Walter Brandmül- ler sich dankbar an seine Kindheit für die Menschen und hier beson- ders für die Kirche, hat sich Prälat Prof. Dr. Walter Brandmüller eine Jahrhundert fort. Er legte das Funda- ment zur Konziliengeschichte und brachte sie ein gewaltiges Stück vo- und Jugendzeit in seiner Heimat er- Lebensaufgabe gegeben, „Licht und ran. innern und an eine lange Zeit wissen- Schatten“ – so heißt eines seiner Bü- Wenn er bei Kongressen auftrat, schaftlicher Arbeit. 1929 wurde er in cher – in der Geschichte der Kirche wusste er die Zuhörer mit seinen Vor- Ansbach geboren. Er wurde in der aufzuzeigen und die antikatholische trägen zu faszinieren. Walter Brand- evangelischen Konfession getauft, Geschichtsschreibung zu entlarven. müller spürt als Historiker, dass die aber katholisch erzogen. Nach sei- Objektivität, Genauigkeit und aus- Kirche neue Aufbrüche braucht. Er nem Abitur studierte er katholische gewogenes Urteil fern von jeder ist ein Freund von klaren Aussagen Theologie und empfing 1953 in Bam- Parteinahme, Emotion und Aggres- und scheut sich nicht, Kritik zu üben, berg die Priesterweihe. Anschließend sion bestimmen sein Forschen und wenn er die Einheit im katholischen war er in der Seelsorge tätig. Schreiben. Ein Kirchenhistoriker, Glauben gefährdet sieht. Er war so dokumentiert er es in seinen Wer- seit 1981 Mitglied der Päpstlichen Freigestellt zur wissenschaftlichen Kommission der historischen Wis- Arbeit wurde er 1963 mit einer Ar- ü l ler, Gründungsmi senschaften, seit 1998 Präsident des m tgli beit zum Thema Das Wiedererstehen ra nd ed Päpstlichen Komitees für Geschichts- B de katholischer Gemeinden in den Fürs- tl er s wissenschaft in Rom und von 1998 tentümern Ansbach und Bayreuth bis 2006 Präsident der Internatio- IK Wa -A promoviert. 1967 habilitierte er nalen Kommission für verglei- al ug din sich mit einer Arbeit über das chende Kirchengeschichte. Der sbu Kar Konzil von Pavia-Siena. 1969 Historiker von hohem Rang im rg wurde er als Professor an Dienst der Kirche unterstützte die damalige Philosophisch- selbstlos neue Gemeinschaf- Theologische Hochschule ten, initiierte die Theologi- Dillingen berufen. Nach sche Sommerakademie in der deren Auflösung wurde er Diözese Augsburg, ist Mit- 1970 in Augsburg Ordinari- begründer des IK-Augsburg us für Kirchengeschichte, wo und stand diesem lange Zeit er bis zu seiner Emeritierung mit Rat und Tat zur Seite. Das 1997 lehrte. Während dieser Forum Deutscher Katholiken ist Zeit betreute er die Pfarrei Mariä ihm dankbar für seine Vorträge rg un Himmelfahrt in Walleshausen. Die beim Kongress „Freude am Glau- bu Ge gs d Themen der Promotion und Habilita- rha - Au ben“, die Mitarbeiter des „Fels“ dan- rd S K tion wiesen schon auf die künftigen tumpf, es I ken ihm für seine Beiträge. Alle, die Vorsitzender d Schwerpunkte seiner wissenschaftli- im Forum Deutscher Katholiken, im chen Forschung hin. ken, muss über theologisches und Fels und in der Aktionsgemeinschaft philosophisches fundiertes Wissen mit den ihr angeschlossenen Initi- Geschichte ist für ihn nichts Ver- verfügen, seine Sprache muss an der ativkreisen mitarbeiten, wünschen staubtes, in Archiven abgelegt, dem klassischen Literatur geschult sein. Kardinal Walter Brandmüller Gottes Vergessen überlassen. Die Geschich- Sein Faktenwissen ist verbunden mit reichsten Segen für die Zukunft, für te lebt, ist in den Generationen veran- den grundlegenden Einsichten in die sein weiteres, wie man sicherlich kert und braucht doch den Historiker, Seele des Menschen und in die Kräf- erwarten darf, unermüdliches Arbei- der sie universal einordnet, ihre Ver- te der Politik. Der verantwortungs- ten und Forschen, für sein priesterli- ästelungen überblickt und in Mono- bewusste Historiker Brandmüller ches Wirken und viel Freude an den graphien gewissermaßen punktuell führte das siebenbändige Standard- Früchten seiner Arbeit. erfasst und den Lesern lebendig vor werk „Kirchengeschichte Bayerns“ Augen führt. Von der Komplexität von R. Bauerreis mit drei gewaltigen Die Redaktion des „Fels“, das Fo- der Geschichte fasziniert, wissend Bänden (Handbuch der Bayerischen rum Deutscher Katholiken, die theo- um die Bedeutung der Geschichte Kirchengeschichte) zum 19. und 20. logische Sommerakademie Augsburg DER FELS 2/2019 45
Geistesschärfe, pointierte Antworten, treffsichere Argumentation Ein Interview mit Walter Kardinal Brandmüller als Dokumentation PAUL BADDE: Warum sind Kon- Wie kamen Konservative denn in Blut und Tränen die großen Revolu- servative so hart und unbarm- den Ruf, Dunkelmänner zu sein tionen über die Menschen gebracht herzig, Herr Kardinal? – im Gegensatz zu den liberalen haben! Auch die Nazis sahen sich als KARDINAL WALTER BRAND- Lichtgestalten? Revolutionäre. Revolutionäre sind MÜLLER: Sind sie das? Ich habe Soll ich darüber lachen? Dunkel- Brandstifter. noch keinen Menschen erlebt, der un- männer sind Schießbudenfiguren aus barmherzig war, weil er konservativ der Mottenkiste sogenannter Auf- Aber schauen Konservative nicht ist. Es gibt barmherzige und unbarm- klärer. Es sind Vorurteile, die jeder gern nach hinten, wo Liberale herzige Liberale und Konservative. vernünftigen Begründung entbehren. tatsächlich nach vorn und in die Aber ist der Arzt barmherzig, der ei- Als Finsterlinge wurden schon vor Zukunft blicken? Warum? nem Patienten die rettende Operation über 200 Jahren alle verleumdet, die Ich bin Historiker. Die Vergangen- erspart und ihm Alkohol und Nikotin sich dem Fortschrittswahn und dem heit ist der Stoff der Erfahrung und nach Belieben erlaubt? Der einem Di- Zeitgeist widersetzten. Als Lichtge- sehr konkret. Die Zukunft ist das abetiker eine Sachertorte mitgibt? Aber reden Konservative nicht eher von der Sünde, wo Liberale von Vergebung und Barmherzig- keit sprechen? Das ist mir neu. Woher wissen Sie das? Aus der Zeitung? Auch Liberale reden von Sünde. Doch sie verstehen meist etwas anderes darunter, das stimmt. Bei ihnen sind es eher Park- sünder und Diätsünden. Was ist also Sünde? Bitte sagen Sie es. Sünde ist eine sittlich minder- wertige Haltung oder Handlung, mit denen Menschen sich selbst und anderen schaden. Dabei haben wir doch alle schon erfahren, dass es uns schlecht geht, wenn wir das Schlech- te und Falsche tun; dass Betrug, Ehe- bruch, Mord etc. noch keinen Men- schen wirklich glücklicher gemacht hat. Dostojewski hat ganze Romane über dieses dunkle Geheimnis ge- stalten haben sich hingegen damals Reich der Träume und Verführer. Da schrieben. schon die Jakobiner gern selbst sti- lässt sich ungeprüft leicht alles be- lisiert, als sie für den Fortschritt die haupten und versprechen. Nur auf Aber haben Konservative nicht Köpfe rollen ließen. der sicheren Basis geschichtlicher dennoch eher Angst, wo Liberale Erfahrung lässt sich Zukunft bauen. mutiger sind? Warum sind viele Liberale aber Woher das denn? Reden wir hier auch 200 Jahre später vom Be- Warum hat sich der Streit zwi- vielleicht von den Elefanten, die mu- griff der Revolution noch so fas- schen Konservativen und Libera- tig in den Porzellanladen stapfen? ziniert? len heute denn ausgerechnet am Vorsicht im Umgang mit kostbarsten Das müssen Sie die Liberalen fra- Thema der Familie entzündet? Gefäßen würde ich nie mit Ängst- gen. Mich fröstelt bei dem Begriff. Ideologien, die Mensch und Ge- lichkeit verwechseln. Vergessen wir doch nicht, wie viel sellschaft verändern wollen, fangen 46 DER FELS 2/2019
Sie können auch lesen