Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels

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Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
P. Dr. Johannes Nebel FSO:
                                  Das Sakrament der Sündenvergebung
                                  und die Zukunft des Christentums            35

                                  Pfr. Michael Theuerl:
                                  „Gott nahe zu sein ist mein Glück“          44

                                  Jürgen Liminski:
                                  Die Natur des Menschen auf der Kippe        52

Katholisches Wort in die Zeit                   52. Jahr Februar 2021

   DER FELS 2/2021                                                       33
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
INHALT
                                                                Liebe Leser,                         Natur fähig ist, wie Sexualdelik-
                                                                                                     te, Völkermord und Verbrechen
                                                                                                     jeder Art. Er wird auch darüber
 P. Dr. Johannes Nebel FSO:                                     In der Nacht vom Faschings-          staunen, was verfolgte Christen
 Das Sakrament der Sündenvergebung                              dienstag auf Aschermittwoch          in China, Pakistan oder Nigeria
 und die Zukunft des Christentums ......... 35                  wurde früher der Fasching            ihres Glaubens wegen auf sich
                                                                „beerdigt“, um zum Ausdruck          nehmen.
 Diakon Raymund Fobes:                                          zu bringen, dass jetzt eine an-      Wem aufgegangen ist, dass Gott
 Die Weisheit des Alters ......................... 42                                                ihn ansieht im Kind von Betle-
                                                                dere Zeit im Kalender beginnt.
                                                                Ein solches Tun würden in der        hem, als Lehrer auf den Stra-
 Pfr. Michael Theuerl:
 „Gott nahe zu sein ist mein Glück“ ......... 44                heute säkularisierten Zeit vie-      ßen von Galiläa und im Antlitz
                                                                le nicht mehr verstehen. Für sie     des Gekreuzigten auf Golgatha,
 Rektor Pfr. Georg Alois Oblinger:                              ist Aschermittwoch ein normaler      dem wird klar, dass nur eine in-
 Hungern und Fasten –                                           Wochentag.                           nere Umkehr den Einzelnen und
 Sinn, Unsinn und Grenzen ..................... 48              „Wir brauchen einen missiona-        auch unsere Kirche rettet. Dies
                                                                rischen Aufbruch“, wie Pfar-         beschreibt P. Dr. Johannes Ne-
 Prof. Dr. Hubert Gindert:                                      rer Erich Maria Fink auf dem         bel FSO in seinem Vortrag ein-
 Hinausbeten! ......................................... 50      letzten Kongress geäußert hat.       drucksvoll.
                                                                Dringend! Aber wir sollten am        Er wird die Gebote als notwen-
 Gerhard Stumpf:                                                                                     dige Stütze in seinem Leben ver-
                                                                Hauptproblem der Kirche anset-
 Reformer und Wegbereiter in der Kirche:                                                             stehen, weil er die Schwäche der
 Pater Reinhard Bottner OSB ................. 51                zen. Das sind nicht die hundert-
                                                                tausende Kirchenaustritte, das       menschlichen Natur, auch seine
 Jürgen Liminski:                                               Fehlen der Gläubigen bis zu 95%      eigene, kennt. Deswegen wird
 Die Natur des Menschen                                         am sonntäglichen Gottesdienst        er die sakramentalen Hilfsmittel
 auf der Kippe ......................................... 52     oder die 99%, die nicht mehr den     der Kirche annehmen.
                                                                Beichtstuhl aufsuchen. Sie zeigen    Dem bewusst gewordenen Chris-
 Edith Missal:                                                  die religiöse Haltung auf. Aber      ten wird nichts im Leben erspart
 Aus dem Leben einer Christin                                   das sind nur die Folgen dieser       bleiben: Krankheit, Enttäuschung
 in der DDR ............................................. 55    Einstellung. Die Ursachen liegen     jeder Art, der Tod. Er wird trotz-
                                                                tiefer. Die eigentlichen Fragen,     dem Freude am Glauben erfah-
 Interview von Simone Zwikirsch                                                                      ren, weil er weiß, was ihn erwar-
                                                                denen wir uns stellen müssen,
 mit Prof. Ralf Lankau:                                                                              tet: Das Leben bei Gott.
 Der digitalen Entmündigung                                     lauten: Gibt es einen Gott? Was
 widerstehen! .......................................... 56     sind seine Eigenschaften? Was        Wir gehen auf Ostern zu. Es sind
                                                                hat er mit meinem Leben zu tun?      40 Tage. Das schließt ein: den
 Franz Salzmacher:                                              Aus den Antworten erklären sich      Palmsonntag, den Gründonners-
 Pajazzo, die Maske und der                                     die Folgen, die wir zurecht bekla-   tag, Karfreitag, schließlich die
 Freiheitsbaum ........................................ 58      gen.                                 Auferstehung des Herrn. Wir ge-
                                                                Was uns Jesus Christus und die       hen dem entscheidenden Ereig-
 Pastoralreferent Alfons Zimmer:                                Kirche zu diesen Fragen sagen,       nis der Menschheitsgeschichte
 Kamel und Christenmensch .................. 60                 ist schlüssig. Das heißt nicht,      entgegen. Machen wir uns das
                                                                dass diese Antworten von den         wieder bewusst!
 Auf dem Prüfstand ................................. 61
                                                                Zuhörern angenommen werden.
 Leserbriefe ............................................. 63                                               mit den besten Wünschen
                                                                Der freie Wille bleibt. Die Ant-
                                                                wort von Joseph Ratzinger auf                          aus Kaufering
 Impressum „Der Fels“ Februar 2021 Seite 63                     die Frage, wie viele Wege es zu
 Redaktionsschluss ist jew. der 5. des Vormonats                Gott gibt: „so viele als es Men-
                                                                schen gibt“, heißt zugleich, dass
 Titelbild: Büßender heiliger Hieronymus                        die Menschen ebenso viele Wege
 Quelle: Öl auf Holz, Raveningham Hall, Collection              beschreiten können, die von ihm
 Sir Edmund Bacon, M. Mende: Albrecht Dürer,                    wegführen.
 Pawlik Verlag, 1976, Abb. 15
 Titelbeschreibung S. 62
                                                                Wer die Antworten Jesu und der
 Foto- und Quellennachweise: Seite 62                           Kirche verinnerlicht hat, wird
                                                                nicht nur erschreckt vor dem                     Ihr Hubert Gindert
                                                                stehen, wozu die menschliche                und das Redaktionsteam

34                                                                                                                DER FELS 2/2021
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
P. Johannes Nebel FSO:

                                        Das Sakrament der
                                        Sündenvergebung und die
                                        Zukunft des Christentums
                                            1 Einstieg:                          nis zum riesigen wissenschaftlichen
                                              Blick in die Zeit                  und publikatorischen Aufwand der
                                                                                 letzten Jahrzehnte.
                                           Seit dem 20. Jahrhundert haben           ¡ Ein ganz anderes Beispiel für
                                        wir westlichen Katholiken uns einen      äußere Änderungen: Seit dem Ersten
                                        Umgang mit Glaube und Kirche an-         Weltkrieg wandte sich die Gestaltung
Der Vortrag lässt auf das Bußsakra-     geeignet, der sich unterscheidet von     der Gotteshäuser von dem Ideal einer
ment ein neues Licht fallen, indem      früheren Jahrhunderten. Die Vorstel-     Schönheit ab, die jeden Raumpunkt
Aspekte der Zeitlage aus historischer   lung hat an Breitenwirkung gewon-        ausgestaltet; stattdessen ging man
Zusammenschau kurz in den Blick         nen, das Überleben des Christentums      zunehmend über zu Nüchternheit,
genommen werden. Zentral wird           hänge maßgeblich davon ab, dass          Kargheit, ja Funktionalität. Das Bis-
dabei der Aspekt der Umkehr: Wel-       man an seiner äußeren Erscheinung        herige wurde tendenziell als überla-
che Bedeutung hat sie im Zeugnis        spürbare Änderungen vornehme.            den empfunden und abqualifiziert.
des Neuen Testaments? Dies muss         Vorgeprägt ist diese Überzeugung            ¡ Äußere Wandlungen betreffen
für das heutige Verständnis vom         vor allem in den Idealen der abend-      auch die heilige Liturgie. Diese wur-
Bußsakrament neu fruchtbar ge-          ländischen Aufklärung des 18. Jahr-      de bis zur Morgenröte des 20. Jahr-
macht werden. Die Umkehr selbst         hunderts, die weniger von der Offen-     hunderts auch von Päpsten als unan-
braucht aber klare Fundamente.          barungsgrundlage ausging, sondern        tastbar angesehen. Unbestreitbar war
Dafür muss das Sündenbewusstsein        menschliche Vernunft und Ethik           freilich ein gewisser Reformbedarf;
ein griffiges Profil erhalten, wozu     als obersten Maßstab auch für das        die Frage war aber, bis zu welchem
auch Gedanken des heiligen John         Christsein ansah. Dies bekam aber        Ausmaß dies nötig war. Jedenfalls
Henry Newman (1801-1890) heran-         erst im Laufe des 20. Jahrhunderts       wurde seit Papst Pius X. – dem ers-
gezogen werden: Was ist eine Sün-       Breitenwirkung, mitausgelöst von         ten Präzedenzfall – die römische Li-
de, was ist ein Fehler, in welchem      der Katastrophe der beiden Welt-         turgie in mehreren Anläufen pastoral
Verhältnis stehen beide zueinander?     kriege. Schlaglichtartig will ich vier   motivierten äußeren Änderungen un-
Der Gottesbezug ist entscheidend,       ganz unterschiedliche Phänomene          terzogen.
um hier persönlich Klarheit erhal-      herausgreifen – ohne Anspruch auf           ¡ Ein letztes Beispiel, das ich ganz
ten zu können. Mit der Theologie        Vollständigkeit:                         kurz anreißen möchte, ist der äuße-
von Kardinal Leo Scheffczyk (1920-         ¡ Die Theologie geriet seit der       re Wandel im Verhältnis zur Kirche,
2005) kann aufgezeigt werden, wie       zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts      deren hierarchische Struktur auch als
segensreich das Bußsakrament auch       in die Enge einer Verteidigungsposi-     Glaubensbasis bis weit ins 20. Jahr-
im Umgang mit Alltagssünden ist.        tion. Das konnte auf Dauer so nicht      hundert hinein fraglos bejaht wurde.
Denn in jedem Fall schenkt es eine      bleiben. Doch nur Wenigen, wie           Das musste keine Verengung sein, da
ganz besondere Begegnung mit Je-        z.B. im 19. Jahrhundert dem großen       schon im 19. Jahrhundert etwa der
sus Christus; daraus aber fließt eine   Kölner Theologen Matthias Joseph         heilige John Henry Newman dies in
erneuernde Kraft – nicht nur für den    Scheeben oder im 20. Jahrhundert         einer ganzheitlichen Sicht der Kir-
Beichtenden, sondern auch für Kir-      Kardinal Leo Scheffczyk, ist eine Er-    che neu begründet hat. Doch in der
che und Welt. Hier liegt eine Chan-     neuerung in organischem Anschluss        zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
ce, die freigesetzt werden muss; Mo-    an die Vergangenheit gelungen. An-       passt sich das Verhältnis zur Kirche
tivationen zur Beichte werden neu       sonsten entstand vielfach ein Drang,     und zum Glauben dem Wandel des
erkennbar. Einerseits gibt es die ob-   aus traditionellen Denkvorgaben zu       gesellschaftlichen Empfindens im-
jektive Wirkung der Lossprechung,       grundlegenden Neuansätzen aus-           mer mehr an. Dies führt zu stets neu
andererseits Reue als Voraussetzung     zubrechen, vielfach in einem Jahr-       anbrandenden demokratischen und
und Umkehr als persönliche Konse-       hunderte überspringenden Rückgriff       soziologischen Hinterfragungen. Es
quenz. Wie fließt dies in die Auswir-   auf die Bibel und die frühe Kirche.      betrifft dann gerade auch die Auffas-
kung dieses Sakraments ein?             Manche geistigen Leistungen blei-        sung von Brennpunkten wie z.B. der
                                        ben freilich bahnbrechend. Aber ein      Sexualmoral.
                                        Durchbruch zur Erneuerung der Her-
                                        zen im Glauben ist nur teilweise ge-        All dies – und manches mehr –
                                        lungen und steht in keinem Verhält-      soll jetzt nicht gewertet werden;

DER FELS 2/2021                                                                                                     35
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
immer wird man Positives und Ne-        des heiligen Jean Eudes, oder den       21. Jahrhunderts zu sein. In jüngerer
gatives voneinander unterscheiden       Einfluss des heiligen Vinzenz von       Zeit wurde häufig in der äußeren Än-
müssen. Es gibt aber bei alldem ei-     Paul denken – so unterschiedlich all    derung als solcher bereits Erneue-
nen gemeinsamen Grundzug, näm-          diese Phänomene auch sind – gera-       rung gesucht. So avancierte das, was
lich christliche Neuwerdung in äuße-    de auch im Stellenwert des Äußeren      vormals das Zweite war, zum Ersten
ren Veränderungen zu suchen, ja hier    –, gemeinsam ist ihnen ein Abzielen     und Entscheidenden. Was vormals
sogar bisweilen von einem Erneue-       auf das Innere: dass nämlich Erneu-     jedoch das Erste war, das vertiefte
rungsdruck oder Reformstau auszu-       erung des kirchlichen Lebens zu tun     und zeitgemäße Aufleben des Inne-
gehen. In der heutigen Zeit sind wir    hat mit Besinnung auf den Glauben,      ren, die tatsächliche Umkehr, hat
damit konfrontiert, wie derartigem      mit einer Umkehr im Blick auf das       unter manchen neuerdings erdachten
Druck auch in kirchlichen Leitungs-     Verhältnis zur Welt, da das christli-   und erkämpften äußeren Ausgangs-
positionen nachgegeben wird.            che Leben in irgendeiner Weise von      punkten keine echte Chance, keine
   Frühere Jahrhunderte jedoch –        ihr vereinnahmt, nachlässig oder        breite kirchenprägende Kraft mehr.
vom Einfluss der Reformation sehen      oberflächlich geworden war. Erneu-
wir jetzt einmal ab – sind binnen-      erung wurde also in einer der jewei-
kirchlich weitgehend anders mit dem     ligen Zeit entsprechenden Besinnung         2 Das Bußsakrament im
Anliegen christlicher Erneuerung        auf das Wesentliche des Glaubens              Panorama seiner
umgegangen. Wenn wir etwa Bewe-         und der Liebe angestrebt.                     Bedeutungen
gungen wie Cluny im 10. Jahrhun-           Äußere Änderungen mögen dabei
dert, die Gregorianische Reform im      Anknüpfungspunkt gewesen sein –            Unter diese Beobachtungen möch-
11. Jahrhundert, die zisterziensische   mehr oder weniger –, aber sie stan-     te ich das eigentliche Thema meines
Erneuerung im 12. Jahrhundert, die      den nie als Primäres im Vordergrund,    Vortrages stellen, nämlich die Be-
franziskanische Armutsbewegung im       sondern sind als Zweites aus dem        deutung des Bußsakraments. Was
13. Jahrhundert, oder die von Jesui-    Inneren hervorgewachsen oder ha-        eben im Zeitüberblick skizzenhaft
ten ausgehende Exerzitienbewegung       ben wenigstens dem Inneren direkt       beleuchtet wurde, darf freilich nicht
der frühen Neuzeit in den Blick neh-    aus den Startlöchern geholfen. Das      als direkte Ursache für die Krise die-
men, oder wenn wir an den segens-       genau scheint mir ein grundlegender     ses Sakraments missverstanden wer-
reichen Einfluss der École française    Unterschied zu maßgeblichen Vor-        den. Es geht mir vielmehr darum, das
im 16. Jahrhundert und das Wirken       gängen des 20. und des beginnenden      Bußsakrament in einen viel umfas-
                                                                                senderen Horizont des Denkens und
                                                                                der Wahrnehmung zu stellen. Viel
                                                                                – zu viel – ist seit Jahrzehnten über
       Paulus ist der größte Missionar der Kirche. Die Menschen, die offen      den Verfall der Bußpraxis gejam-
       waren für das Wort Gottes, hingen an seinem Mund.                        mert und geklagt worden. Größere
                                                                                Initiativen, etwa durch den Umgang
                                                                                Johannes Pauls II. mit der Jugend
                                                                                oder die Initiative von Papst Franzis-
                                                                                kus „24 Stunden für den Herrn“, in
                                                                                denen Kirchen stundenlang gerade
                                                                                auch für das Sakrament der Versöh-
                                                                                nung offenstehen, bringen hie und da
                                                                                wertvolle Impulse der Erneuerung.
                                                                                Ein Gesamtumdenken im Blick auf
                                                                                dieses Sakrament jedoch steht noch
                                                                                aus. Genau deshalb ist es mir ein
                                                                                Anliegen, über das Bußsakrament in
                                                                                einem Gesamthorizont kirchlicher
                                                                                Entwicklungen nachzudenken.
                                                                                   Im Blick auf die eben dargestell-
                                                                                ten Unterschiede zwischen dem 20.
                                                                                (und beginnenden 21.) Jahrhun-
                                                                                dert im Vergleich zu vormaligen
                                                                                Schwerpunkten rückt nämlich ein
                                                                                Aspekt des Bußsakraments ins Zen-
                                                                                trum unserer Aufmerksamkeit: der
                                                                                Aspekt der Umkehr. Man kann den
                                                                                Vergleich von eben nämlich auch
                                                                                auf diesen Punkt bringen: Stand vor-
                                                                                mals Erneuerung jeweils unter einer
                                                                                Zentralität des Umkehrgedankens,
                                                                                scheint demgegenüber in den jünge-
                                                                                ren Jahrzehnten der Erneuerungsge-
                                                                                danken vielfach losgelöst vom Ideal

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Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
der Umkehr. Auch das Bußsakrament
von der Umkehr her aufzufassen, ist
heute alles andere als selbstverständ-
lich. Vielfach stehen nämlich andere
Aspekte in unserem Empfinden im
Vordergrund,
   ¡ etwa der Aspekt der Beichte,
dass man also persönliche Sünden
gegenüber dem Priester offen aus-
spricht,
   ¡ oder der Aspekt der Vergebung,
dass man also in sakramentaler Si-
cherheit von Sündenlasten befreit ist,
   ¡ oder der wichtige Aspekt der
Versöhnung, also dass dieses Sakra-             Jesus sagt zum Pharisäer: „Ihr sind viele Sünden vergeben, weil sie
ment unser Verhältnis zu Gott und               viel Liebe gezeigt hat“ (Lk 7,47). Dann sprach Jesus zur reuigen Sün-
zu den Mitmenschen auf eine neue                derin: „Deine Sünden sind dir vergeben“ (Lk 7,48).
Grundlage stellt; ergreifend sind hier
Worte des heiligen John Henry New-
man: „Welch ein alles durchdringen-          3 Zur Bedeutung der Umkehr           Evangeliums „Er kam in sein Ei-
der, herzbezwingender Friede … ist             im Neuen Testament                 gentum, aber die Seinen nahmen ihn
wesentlich und beinahe greifbar über                                              nicht auf. Allen aber, die ihn aufnah-
die Seele ausgegossen …, wenn der           Als Jesus, unser Herr, sein öffent-   men, gab er Macht, Kinder Gottes zu
büßende Sünder sich erhebt: er ist       liches Wirken in Galiläa begann,         werden“ (1,11f.). Dem Nikodemus
mit Gott versöhnt, seine Sünden sind     steht im Zentrum sein Ruf „Kehrt         gegenüber erklärt Jesus dann: „Jeder,
für immer weggewälzt“.1                  um! Denn das Himmelreich ist             der Böses tut, hasst das Licht und
   ¡ Oder denken wir schließlich         nahe!“ (Mt 4,17) – so gemäß dem          kommt nicht zum Licht, damit seine
an den Aspekt der Buße, der darin        Matthäusevangelium. Mit anderen          Taten nicht aufgedeckt werden. Wer
besteht, im Priester die sakramen-       Worten bezeugt der Evangelist Mar-       aber die Wahrheit tut, kommt zum
tale Autorität zu erkennen, der es       kus das Gleiche: „Nachdem Johan-         Licht, damit offenbar wird, dass sei-
zusteht, ein Zeichen der büßenden        nes ausgeliefert worden war, ging        ne Taten in Gott vollbracht sind“ (Joh
Wiedergutmachung aufzuerlegen,           Jesus nach Galiläa; er verkündete das    3,20f.).
das man dann freilich möglichst          Evangelium Gottes und sprach: Die           Wenden wir uns auch kurz der
rasch erfüllt.                           Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist   Apostelgeschichte zu. Petrus stellt
                                         nahe. Kehrt um und glaubt an das         in seiner Pfingstpredigt ebenfalls den
   All dies sind gewiss wichtige und     Evangelium!“ (1, 14f.). Auch Lukas       Ruf zur Umkehr ins Zentrum: „Kehrt
wahre Aspekte, die bleibende Bedeu-      drückt dies unmissverständlich aus,      um und jeder von euch lasse sich auf
tung für unseren Umgang mit diesem       wenn er ganz an den Beginn des Wir-      den Namen Jesu Christi taufen zur
Sakrament haben. Aber zwei Ge-           kens Jesu seinen Auftritt in Nazareth    Vergebung eurer Sünden; dann wer-
sichtspunkte sind hierbei noch nicht     stellt, wo Er den Einwohnern seiner      det ihr die Gabe des Heiligen Geistes
genannt worden: Jener der Reue,          Heimatstadt zu verstehen gab: „In        empfangen“(Apg 2,38). Nochmals
der überhaupt an der Wurzel des          Israel gab es viele Witwen in den Ta-    sagt Petrus auf dem Tempelplatz:
Sündenbekenntnisses steht, und der       gen des Elija, als der Himmel für drei   „Also kehrt um und tut Buße, damit
Aspekt der Umkehr, der die eigent-       Jahre und sechs Monate verschlossen      eure Sünden getilgt werden“ (Apg
liche Konsequenz dieses Sakraments       war und eine große Hungersnot über       3,19). Zentral ist die Umkehr dann
sein soll. Reue und Umkehr bilden        das ganze Land kam. Aber zu keiner       auch im Christuszeugnis des Petrus
sozusagen den umfassenden Rah-           von ihnen wurde Elija gesandt, nur       vor dem Hohen Rat: „Ihn hat Gott als
men, innerhalb dessen alle zuvor         zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon.     Anführer und Retter an seine rechte
genannten Aspekte ihren je eigenen       Und viele Aussätzige gab es in Israel    Seite erhoben, um Israel die Umkehr
Ort haben. Wir bezeichnen dieses         zur Zeit des Propheten Elischa. Aber     und Vergebung der Sünden zu schen-
Sakrament zwar als Sakrament der         keiner von ihnen wurde geheilt, nur      ken“ (Apg 5,31). Entscheidend ist
„Beichte“, der „Vergebung“, der          der Syrer Naaman“ (Lk 4,24-27),          die Umkehr auch im Leben des hei-
„Versöhnung“, der „Buße“, kaum           und wenig später bezeugt Lukas,          ligen Paulus, als dieser vor Damas-
jedoch als Sakrament der „Reue“          wie Jesus den Pharisäern gegenüber       kus zu Boden geworfen wurde. Noch
oder der „Umkehr“. Diese äuße-           seine Sendung zusammenfasst in der       viele Jahre später bezeugte Paulus
re Umklammerung verdient daher           Aussage „Ich bin nicht gekommen,         offen, dass die damalige Begegnung
einmal, in den Mittelpunkt unserer       um Gerechte, sondern Sünder zur          mit dem Auferstandenen in ihm vor
Aufmerksamkeit gestellt zu werden.       Umkehr zu rufen“ (Lk 5,32).              allem den Willen zur Umkehr her-
Inspiriert sind diese Akzentsetzun-         Auch der Evangelist Johannes          vorgerufen hat: „Ich sagte: Herr,
gen übrigens auch von Anliegen von       geht – wenn auch in anderen Worten       was soll ich tun?“ (Apg 22,10). Den
Julia Verhaeghe (1910-1997), der         und Gedanken – von einer Zentral-        Athenern gegenüber fasst Paulus im
Gründerin der geistlichen Familie        stellung der Umkehr aus. So lesen        Areopag seinen Blick auf die ganze
„Das Werk“, der ich angehöre.            wir zunächst im Prolog des vierten       Heilsgeschichte Gottes zusammen in

DER FELS 2/2021                                                                                                     37
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
den Worten: „Gott, der über die Zei-   geraumer Zeit im Gottesvolk tief ver-    unablässig dieses Sakrament ange-
ten der Unwissenheit hinweggesehen     wurzelt sein dürfte. Es geht um eine     boten wird, gehen große Kräfte des
hat, gebietet jetzt den Menschen,      Mentalität, in der das Bußsakrament      Segens und der Erneuerung in alle
dass überall alle umkehren sollen“     – sofern es praktiziert wird – einen     Teile Europas aus. Für diese echten
(Apg 17,30).                           relativ bequemen Umgang mit eige-        Bekehrungsfälle dürfen wir von Her-
   Brechen wir hier den Überblick      nen Sünden garantieren soll. Gewiss,     zen dankbar sein; in ihnen wird die
über neutestamentliche Aussagen        eine vorausgehende Herzenserfor-         wahre Macht und Größe des Bußsak-
ab. Im Umgang mit Jesus Christus       schung verlangt einen Augenblick         raments bezeugt.
ist Umkehr keine Nebensache, son-      der Selbstbesinnung, der Gang zur           Aber eine allgemein vorherr-
dern steht geradezu im Mittelpunkt.    Kirche kostet etwas Zeit, das verbale    schende Mentalität im Umgang mit
Im Bußsakrament aber begegnen          Bekenntnis bereitet vielleicht spon-     der gewöhnlichen Beichte wird da-
wir persönlich Jesus, und zwar an-     tan etwas Mühe, je nach Gewohnheit.      durch noch nicht automatisch geän-
gesichts unserer Fehler und Sünden.    Dann aber ist alles sehr rasch vorbei:   dert. Wir dürfen nicht auf den Segen
Muss dann nicht gerade der Aspekt      Der Priester spricht einige trösten-     großer Bekehrung verweisen, um
der Umkehr ins Zentrum unserer         de und aufbauende Worte, gibt eine       damit abzulenken von dem Umgang
Perspektive rücken? Wir dürfen doch    möglichst gut erfüllbare Buße auf,       mit diesem Sakrament angesichts oft
den klaren biblischen Aussagen nicht   erteilt die Lossprechung. Die Sünden     eher kleiner Alltagssünden, der viel-
widersprechen!                         können nun vergessen werden (was         leicht auch uns selbst betrifft. Wenn
                                       auch so sein soll); die Buße wird ver-   dieses Sakrament in echten Bekeh-
                                       richtet. Das Sakrament ist erledigt.     rungsfällen wahrhaft „Umkehrsakra-
      4 Beichtpraxis heute             Das Leben geht weiter – bis man          ment“ ist – warum dann nicht auch
        vor dem Anspruch Gottes        dann wieder einmal beichten geht.        wenigstens ansatzweise im gewöhn-
                                          Mit diesem Blick soll nicht in Ab-    lichen Beichtgang? Warum soll hier
   Wie aber sieht denn vielfach die    rede gestellt werden, dass es auch in    mit zweierlei Maß gemessen wer-
Beichtpraxis faktisch aus? Im Fol-     unserer Zeit viele tiefgreifende Be-     den? Das biblische Zeugnis, das wir
genden stehen natürlich keine ein-     kehrungen und Neuwerdungen gera-         eben gesehen haben, spricht doch
zelnen Gläubigen im Blick; vielmehr    de im Bußsakrament gibt. Besonders       eine andere Sprache.
soll eine allgemeine Tendenz ins       von manchen geistlichen Zentren,            Will Gott uns durch den Priester
Auge gefasst werden, die schon seit    zu denen Gläubige strömen und wo         die Sünden nur deshalb vergeben,
                                                                                damit wir für einen Augenblick uns
                                                                                im Herzen erleichtert und im Gewis-
                                                                                sen entlastet fühlen können? Das ist
                                                                                freilich auch der Fall, wird von der
                                                                                Kirche so gelehrt und ist auch gut so.
                                                                                Aber darf sich unsere Motivation zum
                                                                                Empfang des Bußsakraments darin
                                                                                erschöpfen? Können wir so mit Gott
                                                                                umgehen? Ja, Gott muss ins Zentrum
                                                                                unserer Perspektive gestellt werden!
                                                                                Die Verniedlichung des Bußsakra-
                                                                                ments hat ihre Wurzeln darin, immer
                                                                                nur die persönlichen punktuellen Be-
                                                                                dürfnisse zum Ausgangs- und Ziel-
                                                                                punkt zu nehmen. Julia Verhaeghe,
                                                                                die Gründerin des „Werkes“, sagt
                                                                                einmal: „In der Beichte soll man die
                                                                                Sünden … vor Gott und vor seiner
                                                                                heiligen Kirche aufrichtig beken-
                                                                                nen. … Ja, die innere Erkenntnis von
                                                                                Sünden und Fehlern sucht … Gottes
                                                                                barmherzige Vergebung, … um das
                                                                                  erkannte Übel zu beseitigen und
                                                                                       es vor Gott und der Mutter Kir-
                                                                                       che, der Familie Gottes, wieder
                                                                                       gut zu machen.“
                                                                                         Erst wenn Gott ins Zentrum
                                                                                     meines Sündenbewusstseins tritt,
                                                                                     hat auch die Umkehr die Chance,
                                                                                    entscheidend zu werden für den
                                                                                   Umgang mit dem Bußsakrament.
                                                                                   Erst wenn Gott im Zentrum steht,
                                                                                  wird der innerste Lebensnerv der
                                                                                  sakramentalen Ordnung der Kir-

38                                                                                               DER FELS 2/2021
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
che respektiert, nämlich unserer in-
nersten Erlösung zu dienen und uns
so auf die Ehre Gottes auszurichten.
Durch den Empfang der Sakramente
sollen wir immer Gott verherrlichen
und der Kirche dienen.

    5 Der Unterschied
      zwischen Fehler und Sünde

   Bei den Sünden, die wir beken-
nen sollen, geht es aber nicht darum,
angesichts irgendwelcher Fehler,
die uns unterlaufen sind, in emoti-            Christen pilgern zeit ihres Lebens auf ihr Ziel hin: das Leben mit Gott.
onalen Frieden zu kommen. Alle                 Manchmal, soweit die Schuhe tragen.
Sünden sind zwar auch Fehler, aber
nicht alle Fehler sind auch Sünden.
Es gibt schmerzliche und ärgerli-
che Fehler, die uns passieren, die         Es gibt also den Irrtum, Fehler für       6 Der Empfang des
uns auch belasten, die aber für sich    Sünden zu halten, die in Wirklichkeit          Bußsakraments als Segen
genommen nicht wirklich als Sün-        keine Sünden sind. Aber es gibt nicht          für die ganze Kirche
de aufgefasst werden dürfen. Die        weniger den umgekehrten Irrtum,
Sünde betrifft immer nur dasjenige,     Sünden zu bloßen Fehlern zu erklären,       Aber muss man denn auch kleine
wovon ich schmerzlich einsehe: Es       obwohl sie tatsächlich echte Sünden      Alltagssünden unbedingt beichten?
war Gott gegenüber nicht richtig,       sind. Nochmals kann hier Kardinal        Von einem Muss kann freilich kei-
und ich hätte es wirklich vermeiden     Newman zu Wort kommen in seiner          ne Rede sein; dies gilt nur für Sün-
können oder wenigstens mehr gegen       Warnung, „dass die Sünde als solche      den, die wissentlich und willentlich
die Versuchung ankämpfen können,        … nur noch als eine zu entschuldigen-    eine schwerwiegende Angelegenheit
habe es aber nicht getan. Auch wenn     de Nachlässigkeit betrachtet [wird]      betreffen. Dennoch ist es in höchs-
es (wie häufig) um Mitmenschliches      und so das moralisch Schlechte den       tem Maße sinnvoll und segensreich,
geht: als Sünde genommen, betrifft      Namen des Mangels an Vollkom-            auch alltägliche Sündigkeit immer
es unser Gottesverhältnis. Und weil     menheit erhält … Die Religion als        wieder zum Anlass für den Empfang
es unser Gottesverhältnis betrifft,     solche ist dann auf dem besten Wege,     des Bußsakraments zu machen. Ein
betrifft es auch unser Verhältnis       aus dem Bewusstsein der Menschheit       großer Theologe, der auch für den
zu dem Tempel Gottes: zu Gottes         gänzlich zu verschwinden, und an ihre    Kongress „Freude am Glauben“ hohe
Tempel im Kleinen, der wir kraft        Stelle setzt man bloß eine kühle welt-   Verdienste hat, war Kardinal Leo
der Taufgnade selbst sind, sowie zu     liche Ethik, ein entgegenkommendes       Scheffczyk (1920-2005). Mehrmals
Gottes Tempel im Großen, also zur       Rücksichtnehmen auf die Ansprüche        hat er bei diesem Kongress wichtige
umfassenden Gemeinschaft der Kir-       der Gesellschaft, die Pflege freund-     Referate gehalten. Am 21. Februar
che. Das alles wird durch Sünden        schaftlicher Beziehungen und eine        2020 wäre er 100 Jahre alt geworden.
belastet, auch durch ganz kleine und    gespielte Freundlichkeit und Höflich-    Kardinal Scheffczyk hat dem Bußsa-
unscheinbare Sünden, aber auch nur      keit. … Das ist die Entwicklung und      krament eine eigene bedeutende Ab-
durch Sünden, nicht etwa durch alle     der Ausgang des Unglaubens, obwohl       handlung gewidmet, in der er nach
möglichen Fehler, die halt passiert     er mit Dingen beginnt, die die Welt      der spezifischen Wirkung dieses Sa-
sind und mich eher deshalb belas-       als Kleinigkeiten bezeichnet.“2 So-      kraments fragt.3 Wir können seine
ten, weil ich unterschwellig perfekt    weit der heilige John Henry Newman       gründlichen theologischen Reflexio-
sein will und nicht bereit bin, mich    in Einsichten, die er übrigens bereits   nen hier nicht ausbreiten. Sie laufen
selbst anzunehmen, wenn ich mei-        1834, also noch in seiner anglikani-     aber auf Folgendes hinaus: Im Emp-
nem Perfektionswillen eben nicht        schen Zeit, geäußert hat. Wer echte      fang des Bußsakraments begegnen
entspreche. Wenn dagegen Gott im        Sünden, und seien sie noch so klein      wir Jesus Christus selbst in einem
Zentrum der Gewissenserforschung        und als noch so harmlos empfunden,       spezifischen Sinne, nämlich insofern
steht, wird es viel einfacher, zwi-     rein menschlich entschuldigt, obwohl     als er Sühne für die Sünden der Welt
schen bloßen Fehlern und echten         es vor Gott doch Sünden sind, der        geleistet hat. Um den Kardinal ein-
Sünden zu unterscheiden. Ange-          dient demzufolge dem Unglauben; er       mal kurz zu zitieren: „Im sakramen-
sichts der unerschöpflichen Barm-       fördert die Selbstsäkularisierung des    talen Drama der Buße ereignet sich
herzigkeit und der allmächtigen         Christentums.                            … nichts Geringeres, als dass der
Weisheit Gottes fällt es uns auch          Fehler also ist Fehler, aber Sünde    Sünder sich dem leidenden Christus
leichter, bloße Fehler uns selbst zu    ist Sünde. Je mehr der barmherzige       anschließt, dass er in die Gesinnung
verzeihen, und echte Sünden – auch      und gerechte Gott im Zentrum der         und in das Werk des sühnenden Er-
kleine Sünden – vor Gott zu bereuen     eigenen Gewissenserforschung steht,      lösers eingeht“.4 Was Jesus einst am
und Ihm im Bekenntnis vertrauens-       umso leichter wird die klare Unter-      Kreuz für uns erduldet hat, wird also
voll zu übergeben.                      scheidung fallen.                        im Augenblick der Lossprechung im

DER FELS 2/2021                                                                                                    39
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
reumütigen Herzen wirksam, ja von         der einmal beichten zu gehen, um        Punkt. Dem sühnenden Christus zu
uns sogar kraft der Reue mitgetragen.     dadurch Segen auch auf die Kirche       begegnen, ruft uns zu irgendeiner
   Und Kardinal Scheffczyk führt          herabzuziehen, die in ihren Gliedern    Änderung, ja das ist der eigentliche
weiter aus, dass diese spezifische        leidet. Beichten gehen nützt der gan-   Sinn der Christusbegegnung. Ge-
persönliche Begegnung mit Christus        zen Kirche! Ist das nicht eine kaum     meint ist nicht unbedingt eine große
nicht nur individualistisch jeweils       bekannte und sehr gute Motivation,      Lebensumstellung, vielleicht nicht
uns allein gilt, sondern immer auch       das Bußsakrament zu empfangen?          einmal etwas Äußerliches. Manch-
Segen für die gesamte Welt bedeutet,                                              mal ist es nur etwas, was wir infolge
„weil die Tilgung von Sünde immer                                                 der ehrlich erweckten Reue und der
ein überindividuelles, soziales Ereig-        7 Bußsakrament                      Vergebung in unserem Herzen mit-
nis ist“.5 Gewissenhaft zur Beichte             und Umkehr                        nehmen in den Alltag, ein Gedanke,
gehen, darf also maßgeblich auch                                                  eine Orientierung, die wir empfangen
von der Motivation beseelt sein, da-         Was aber bedeutet es, im Augen-      haben, eine Einsicht. Manchmal ist
durch der Menschheit und der Welt         blick der priesterlichen Lossprechung   es nur das Vertrauen in die Kraft der
etwas Gutes zu tun. Wir dürfen nicht      auf diese Weise Christus begegnen zu    empfangenen Lossprechung, das uns
immer nur allein an uns selbst den-       dürfen? Denken wir zurück an den        auch dann noch tragen soll, wenn wir
ken. Wir müssen das Ganze im Blick        heiligen Apostel Paulus, als dieser     wieder in irgendeine Sünde gefallen
behalten, das durch unsere Sünden         einst vor den Toren von Damaskus zu     sein sollten. In so großem und wei-
in Mitleidenschaft gezogen wird und       Boden geworfen wurde. Seine Fra-        tem Horizont dürfen wir also das An-
umgekehrt durch die Christusbegeg-        ge an den Auferstandenen war doch:      liegen der Umkehr verstehen. Aber
nung im Bußsakrament Segen emp-           „Herr, was soll ich tun?“ Wir können    in ebendieser Umkehr verankert sich
fängt. Wenn das aber für die Welt         Jesus nicht glaubwürdig begegnen,       unsere Motivation, im Empfang die-
gilt, gilt es dann nicht erst recht und   ohne diese Frage zutiefst im Herzen     ses Sakraments wirklich Gott ehren
zunächst für die Kirche? Wenn man         zu haben. Sie wird nicht beantwor-      zu wollen. Kardinal Scheffczyk sagt
mit schmerzlichen Missständen der         tet mit dem Bußzeichen, das wir im      hierzu: „[E]ine personale Entschei-
Kirche konfrontiert wird, kann man        Auftrag des Priesters verrichten sol-   dung gegen Gott kann nicht aufge-
doch der Versuchung zu Ärger, Kri-        len, sondern mit der tatsächlichen      hoben werden ohne eine ebensolche
tik oder Resignation entgehen, in-        Umkehr, und sei es auch nur in einem    ernste und ganzheitliche personale
dem man den Entschluss fasst, wie-        ganz kleinen konkreten alltäglichen     Rückwendung zu diesem Gott.“6
                                                                                     Kommen wir nun zurück zum Aus-
                                                                                  gangspunkt unserer Erwägungen. Wir
        Saulus erreichte der Ruf Gottes vor Damaskus. Er wurde zu einem           leiden heutzutage unter mancherlei
        „auserwählten Werkzeug“, um den Namen Jesus zu den Völkern zu             größeren und kleineren Umwälzun-
        tragen (vgl. Apostelgeschichte 9,15).                                     gen im Leben der Kirche, die Verun-
                                                                                  sicherungen verursachen und Verein-
                                                                                  samung fördern. Sie stehen aber samt
                                                                                  und sonders unter dem Vorzeichen,
                                                                                  dadurch irgendeine Erneuerung zu
                                                                                  bewirken – so illusorisch dies im Ein-
                                                                                  zelfall auch immer sein mag. Der im
                                                                                  20. Jahrhundert durchgesetzte Vorzug
                                                                                  äußerer Änderung vor innerer Besin-
                                                                                  nung hat ein Bild von Erneuerung
                                                                                  bewirkt, das vielfach das Innere ver-
                                                                                  kümmern ließ. Der lebendige Glaube
                                                                                  ist einem Erosionsprozess ausgesetzt.
                                                                                     Wenn wir jetzt aber das Bußsak-
                                                                                  rament erneuert auffassen, nämlich
                                                                                  als „Umkehrsakrament“? Wenn wir
                                                                                  also im Empfang dieses Sakraments
                                                                                  bewusst den Aspekt der Umkehr be-
                                                                                  tonen? Dann machen wir aus diesem
                                                                                  Sakrament eine Gegenkraft gegen die
                                                                                  zersetzenden Tendenzen des derzei-
                                                                                  tigen kirchlichen Lebens. Dann wird
                                                                                  von Gott her, durch unser für Ihn en-
                                                                                  gagiertes Gewissen, ein neuer Weg
                                                                                  eröffnet! Dieser Weg ist stärker als
                                                                                  alle noch so mächtigen Zeiterschei-
                                                                                  nungen. Man darf auf illusorische
                                                                                  liberale    Erneuerungsbestrebungen
                                                                                  nicht nur auf der äußeren Ebene, also
                                                                                  durch entsprechende Gegenerklärun-

40                                                                                                 DER FELS 2/2021
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
gen, reagieren. So verdienstvoll und
meinungsbildend derartige Positi-
onierungen im Einzelfall auch sein
mögen – wenn man sich auf sie be-
schränkt, wird genau der gleiche Vor-
rang des Äußeren vor dem Inneren
nochmals bekräftigt. Der wirksame
Gegenakzent muss tiefgehender an-
setzen. Wir müssen der Kirche durch
einen guten Empfang des Bußsakra-
ments – als „Umkehrsakrament“ ver-
standen – von innen her neue Lebens-
kräfte schenken.

                                                  Der barmherzigen Vatergott: Der verlorene Sohn „machte sich auf
    8 Bedeutung der Umkehr                        ... Er war noch weit entfernt, da sah ihn sein Vater. Und von Mitleid
      für die Wirkung des                         gerührt, ging er ihm eilends entgegen und umarmte ihn“ (Lk 15,20).
      Bußsakraments

   Im Blick auf die Umkehr können            Statt über den Rückgang der               krament verstanden, hat dieses Sa-
wir die Wirkung dieses Sakraments so      Beichtpraxis zu klagen, sollten wir          krament auch die Kraft, eine allge-
fassen: Durch die Vergebung und Ver-      die Kraft dieses Sakraments bezeu-           meine geistige Wende grundzulegen,
söhnung, durch das erneute Eingehen       gen. Das tun wir in dem Maße, als            zu siegen etwa über die immer noch
in Gottes barmherzige Liebe, wird der     wir in unserem eigenen Umgang da-            nachwirkenden geistigen Folgen der
innerste Kern unseres Wesens befreit      mit die Umkehr betonen und umset-            beiden Weltkriege, über schwere
von allem, was tatsächlicher Umkehr       zen: Dann nämlich legt unser Leben           ideologische Belastungen unserer
hindernd im Wege steht. Nach dem          Zeugnis für die Wirkmacht dieses             Gesellschaft, über dämonische Ein-
gültigen Empfang dieses Sakraments        Sakraments ab. Seit urchristlichen           flüsse, die unsere Zivilisation lähmen
haben wir also vor Gott kein Gegen-       Zeiten sind ja lebendige Zeugen das          und zersetzen. Je großherziger wir
argument parat, mit dem wir uns vor       Zünglein an der Waage: Alles, wo-            uns neu auf dieses Sakrament ein-
der Umkehr drücken könnten, sei es        für es Zeugen gibt, wächst – so auch         lassen, umso mehr wird diese Kraft
auch nur wenigstens vor irgendeinem       wieder die Beichtpraxis!                     freigesetzt. Mag vielleicht sein, dass
kleinen Anzeichen von Umkehr. Im             Jeder ehrliche und gültige Emp-           diese sieghafte Kraft nur im kleinen
Gegenteil: Der sühnende Christus hält     fang des Bußsakraments ist objektiv          Bereich wirkt; doch Sieg ist Sieg,
Einzug in unser Innenleben und prägt      von Segen nicht nur für uns, son-            und alles Große muss klein beginnen.
es – ja, er will es prägen in dem Maße,   dern für die ganze Kirche inmitten              Das Bußsakrament – als Umkehr-
als wir es zulassen. Mit seiner Sühne     der Zeitlage. Das ist die objektive          sakrament aufgefasst – ist daher der
am Kreuz hat Christus den Ruf zur         Wirkung der Lossprechung. Aber               verborgene Angelpunkt dafür, eine
Umkehr, mit dem er sein öffentliches      wenn ich den Sakramentsempfang               kirchliche Binnenkultur zu fördern,
Wirken begonnen hatte, persönlich         auch persönlich auf den Aspekt der           in der dann auch wieder gesunde
vollkommen eingelöst, nicht für sich      Umkehr ausrichte, trage ich dazu             christliche Ehen und Familien, gute
selbst (da er ja keiner Umkehr be-        bei, dass die objektive sakramenta-          Theologie, schöne sakrale Gottes-
durfte), sondern in Stellvertretung für   le Wirkung umso mehr freigesetzt             häuser oder würdige Liturgie zum
die sündige Menschheit. Die für die       wird. Denn von der Umkehr her auf-           Regelfall werden können. Manchmal
gesamte Menschheit nötige Umkehr-         gefasst, stelle ich die Verherrlichung       wirken diese Zielsetzungen heute ge-
kraft ist also im sühnenden Christus      Gottes ins Zentrum des Sakraments-           radezu utopisch. Das Sakrament der
anwesend! Und daran bekommt man           empfangs. Je mehr Gott verherrlicht          Umkehr aber bringt das Jesajawort
im Augenblick der Lossprechung            wird, umso mächtiger ist der Segen,          in Erfüllung, dass sogar ein Baum-
Anteil. Die Kraft zur Umkehr ist im       der daraus fließt – gemäß dem latei-         stumpf „heiliger Same“ wird (Jes
Innersten also da – aber die Entschei-    nischen Wort benedictio, was sowohl          6,13).                             ¢
dung zu einer tatsächlichen Umkehr        Lobpreis als auch Segen bedeutet.
nimmt uns Gott niemals ab: Das ist           Die Wirkung des Bußsakraments                      Vortrag vorgesehen für den
die unveräußerliche Würde unseres         reicht deshalb über unser eigenes                 Kongress „Freude am Glauben“
freien Willens, gerade auch unseres       Leben weit hinaus. Als Umkehrsa-                     am 12. 6. 2020 in Ingolstadt
im Bußsakrament von der Sündenlast
neu befreiten Willens. Daher ist das      1
                                            J. H. Newman, Lectures on the Present Position of Catholics in England, London
Bußsakrament eigentlich auch das Sa-      61889, 351-352 (1851); zit. n. Mysterium der Kirche (hg. v. Internationalen Zentrum
krament wahrer christlicher Mündig-       der Newmanfreunde), Rom (Privatdruck; ohne Jahr), 73
keit; es befreit uns zu dieser Mündig-    2
                                            J. H. Newman, Parochial and Plain Sermons Bd. 2, 317f. [14.12.1834]; zit. nach Mys-
keit Gott gegenüber; es erneuert unser    terium der Kirche, 67
durch Sünden geschwächtes Engage-         3
                                            Vgl. L. Scheffczyk, Die Heilswirkung der Buße, in: ders., Glaube als Lebensinspiration
ment für Gott. Genau das braucht die      (Gesammelte Schriften [Bd. 2]), Einsiedeln 1980, 331-346
Kirche.                                   4
                                            Ebd., 340         5
                                                                Ebd., 340       6
                                                                                  Ebd., 343

DER FELS 2/2021                                                                                                               41
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
Raymund Fobes:

                                          Die Weisheit des Alters
                                          Begegnung der Generationen während
                                          der Darstellung Jesu im Tempel

Das          Fest der „Darstellung des
             Herrn“ am 2. Februar er-
innert an den Besuch der Heiligen
                                          Israels warteten“ (Lk 2, 36-38). Si-
                                          meons Worte hingegen kennen wir
                                          genau: Vor allem prophezeit er Vie-
                                                                                     Der heilige Papst Johannes Paul II.
                                                                                     hat in seinem Brief an die Senioren
                                                                                     aus dem Jahr 1999 die ältere Ge-
Familie im Tempel von Jerusalem           les über das Leben Jesu Christi: Er        neration als „Hüter des kollektiven
40 Tage nach der Geburt Jesu. Sie         wird das Licht für die Heiden sein,
erfüllten damit das jüdische Gesetz,      einer, der die einen aufrichtet, die an-
dass jeder Erstgeborene einer Fa-         deren zu Fall bringt und schließlich
milie Gott geweiht werden musste.         wird Jesus ein Zeichen sein, dem wi-
Da die Mutter nach dem jüdischen          dersprochen wird. Der Gottesmutter
Gesetz auch als unrein galt, musste       aber wird ein Schwert durch die See-
sie nach einem Tieropfer von einem        le dringen.
Priester für rein erklärt werden. Auch
dies geschah bei diesem Besuch im            Die heilige Familie hört staunend
Tempel, weshalb das Fest auch bis         zu und ahnt, dass da einer spricht, der
zur Reform des liturgischen Kalen-        über große Glaubenserfahrung ver-
ders 1969 „Mariä Reinigung“ heißt.        fügt. Und tatsächlich ersehnte dieser
Und schließlich trägt das Fest den        Simeon die Ankunft des Messias und
Namen „Mariä Lichtmess“, weil             die Rettung Israels sein Leben lang
dem Jesuskind bei diesem Anlass           und spürte nun, dass dieser Jesus der
von dem weisen Simeon verheißen           ersehnte Retter ist. Diese Sehnsucht
wurde, es werde das Licht sein, das       nach dem Messias bewegte die Men-
die Heiden erleuchtet.                    schen Israels und Simeon setzte sich
                                          wohl damit lebenslang auseinander,
   Dieses Ereignis der Darstellung        er verfügte über ein großes Maß an
des Herrn ist ein Treffen der Gene-       Lebenserfahrung.
rationen: die heilige Familie mit dem
kleinen Jesuskind und der wohl noch           Gerade in der Tradition Israels
sehr jungen Mutter Maria; über das        spielte der Respekt vor der älteren
Alter des heiligen Josef schweigt         Generation eine wichtige Rolle. In
die Heilige Schrift sich aus. Und         dem „Schma Jisrael – Höre Israel“ in
dann trifft die heilige Familie dort      Dtn 6, einem der wichtigsten Gebe-
den weisen Simeon und die 84-jäh-         te des Judentums, erhalten die Väter
rige Prophetin Hanna. Über Simeons        den Auftrag, ihren Söhnen die grund-
Alter sagt die Schrift nichts aus, die    legende Glaubensaussage, dass Gott
Tradition sieht ihn aber zumeist auch     Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten
als mindestens 60 Jahre alten Mann,       befreit hat und es als Sein Volk in
wohl weil er deutlich macht, nun          seinen Dienst nimmt, weiterzutra-
könne er beruhigt sterben, da er den      gen. Die ältere Generation besitzt
Messias gesehen habe.                     also die Weisheit, verantwortungs-
                                          voll und kompetent den Glauben an
  So lädt dieses Fest auch dazu ein,      die Jüngeren weiterzugeben. Diese
über das Miteinander und Füreinan-        Kompetenz hat sie sich dadurch er-
der der Generationen aus der christli-    worben, dass sie die Grundlagen des
chen Perspektive nachzudenken. Da-        Glaubens verinnerlicht hat, je länger
bei ist bemerkenswert, dass Hanna         umso besser. Altersweisheit ist dann
und Simeon sehr weise Worte spre-         wirkliche Weisheit, wenn wir uns auf
chen. Leider ist nicht überliefert, was   die Fragen des Lebens ehrlich einge-
Hanna genau sagte. Lukas schreibt         lassen haben – und sie ist eine religi-
nur, „sie pries Gott und redete von       öse Weisheit, wenn sie diese Fragen
ihm zu allen, die auf die Erlösung        von Gott her deutet und beantwortet.

42                                                                                                  DER FELS 2/2021
Gedächtnisses und daher bevorzug-        wirklich Krisen bewältigt haben. Im       Gerade jetzt in der Corona-Zeit ist
te Interpreten jener Gesamtheit von      Krieg waren sie oft Grenzsituatio-     es gut, auf Leute schauen zu können,
gemeinsamen Idealen und Werten,          nen ausgesetzt, mussten immer wie-     die Schlimmeres erlebt und bewältigt
die das Zusammenleben in der Ge-         der damit rechnen, selbst z.B. durch   haben. Der Glaube, das Vertrauen der
sellschaft tragen und leiten“ (10)       Bomben umzukommen. Zum ande-           Kriegsgeneration kann dabei auch
bezeichnet. Deshalb „sind die Se-        ren waren viele auch dem Naziterror    als Beleg für die Wirklichkeit Gottes
nioren dazu imstande, den Jungen         ausgesetzt; ein falsches Wort konnte   angesehen werden. Durch ihr festes
wertvolle Ratschläge und Lehren zu       lebensgefährlich werden. Und doch      Vertrauen haben sie bezeugt, dass
erteilen.“                               gab es nicht wenige, die Widerstand    Gott existiert. Oft haben sie auch
                                         leisteten, indem sie gegen das Un-     diesen Glauben dann sehr konkret
   Papst Johannes Paul II. hatte den     recht des Regimes sprachen oder        gelebt, durch den Besuch der heili-
Zweiten Weltkrieg und das Regime         auch ganz konkret jüdischen Mit-       gen Messe, durch das Gebetsleben,
der Nationalsozialisten miterlebt.       menschen halfen. Oft taten sie dies    dadurch, dass sie ihr Leben auf Gott
Gerade von dieser Generation, die        aus der Haltung ihres christlichen     ausrichteten. So verfügen viele die-
heute allmählich ausstirbt, kann die     Glaubens, der ihnen auch half, Not,    ser Generation über eine reiche Glau-
junge Generation viel lernen, zumal      Bedrängnis und Entbehrungen aus-       benserfahrung.
die meisten der Älteren in dieser Zeit   zuhalten.
                                                                                   Gerade hier wird auch der Wert
                                                                                und die Würde des Alters deutlich.
                                                                                In einer Gesellschaft, in der oft nur
                                                                                die Leistung zählt und alte Menschen
                                                                                häufig überflüssig oder als Last er-
                                         Gebet für die Familie                  scheinen, ist es nötig, gerade dies
                                         Papst Benedikt XVI. emeritus,          deutlicher zu betonen – auch um dem
                                         anlässlich des V. Welttreffens der     entgegenzuwirken, dass sich Betagte
                                         Familien in Valencia am 8.8.2006       selbst wertlos vorkommen und dann
                                                                                vielleicht sogar darüber nachdenken,
                                         O Gott, der du uns in der Heiligen     um Sterbehilfe zu bitten.
                                         Familie ein vollkommenes Modell
                                         des Familienlebens geschenkt              Wenn wir nun noch einmal auf
                                         hast, das im Glauben und im Ge-        Simeon schauen, so beeindruckt er
                                         horsam deinem Willen gegenüber         auch durch seine Offenheit für Neu-
                                         gelebt wurde, hilf uns, Vorbild des    es. Anders als die Juden seiner Zeit
                                         Glaubens und der Liebe zu deinen       sah er im Jesuskind den Messias. Die
                                         Geboten zu sein.                       Offenheit für Neues bedeutet nicht,
                                                                                sich mit dem Zeitgeist zu verheira-
                                         Hilf uns bei unserem Auftrag, den      ten, sondern darauf zu vertrauen, dass
                                         Glauben an unsere Kinder weiter-       Gott auch in neuen und vielleicht zu-
                                         zugeben.                               nächst fremden Ideen und Impulsen
                                         Öffne ihre Herzen, damit in ihnen      wirkt. Papst Johannes Paul II. hat
                                         der Same des Glaubens wachse,          in seinem Apostolischen Schreiben
                                         den sie in der Taufe empfangen         zum Abschluss des Heiligen Jahres
                                         haben.                                 2000 „Novo Millenio ineunte“ dazu
                                                                                aufgerufen, auch die Stimme der
                                         Stärke den Glauben unserer Ju-         jungen Generation ernst zu nehmen:
                                         gendlichen, damit sie in der           „Bezeichnend ist, woran der heilige
                                         Kenntnis Jesu wachsen.                 Benedikt den Abt des Klosters er-
                                         Stärke die Liebe und die Treue in      innert, wenn er ihn auffordert, auch
                                         allen Ehen, besonders in jenen,        die jüngsten Mitglieder zu befragen:
                                         die Momente des Leidens und            »Der Herr offenbart oft einem Jünge-
                                         Schwierigkeiten durchmachen.           ren, was das Bessere ist“ (46).
                                         Vereint mit Josef und Maria bitten
                                         wir dich durch Jesus Christus, dei-       Ein Miteinander der Generationen
                                         nen Sohn unsern Herrn.                 ist also wirklich hilfreich für den ge-
                                                                    Amen       lebten Glauben, wenn es denn getra-
                                                                                gen ist von der Unterscheidung der
                                                                                Geister, die ist dann möglich, wenn
                                         Begegnung der Generationen im          man offen für Gottes Willen ist.
                                         Jerusalemer Tempel: Das Jesus-         Dazu gehören aber auch immer der
                                         kind, Maria und Josef sowie Han-       Respekt und die Offenheit der jungen
                                         na und Simeon. Die Darstellung         Generation gegenüber den Erfahrun-
                                         des Herrn, Gemälde von Remb-           gen derer, die auf ein langes Leben
                                         rand van Rijn                          zurückblicken können.               ¢

DER FELS 2/2021                                                                                                    43
Michael Theuerl:

                   „Gott nahe zu sein ist mein Glück“
                                                                                         (Ps 73,28)
                   Das Herz des monastischen Lebens auf dem Berg Athos

E   nde Oktober 2020 durfte ich den
    Heiligen Berg Athos besuchen.
Die Legende erzählt, dass die Mut-
                                          (Visum) beantragen. Normalerweise
                                          dürfen am Tag 100 orthodoxe und 10
                                          nicht-orthodoxe (und nur Männer)
                                                                                  Fähre, auf der einige Autos Platz fan-
                                                                                  den, auch für die Arbeit zur Befes-
                                                                                  tigung der Straßen und für die Ver-
tergottes mit einigen Aposteln mit        zu den Mönchen einreisen – jetzt we-    sorgung). Am Ufer sah ich manche
dem Schiff unterwegs war. Von der         gen Corona viel weniger. Man darf       Klostergebäude, die verfallen wa-
Schönheit dieser griechischen Halb-       drei Nächte bleiben, kann von einem     ren. Manches blieb Ruine; aber ich
insel Chalkidiki erfreut, bat sie ihren   Kloster in das nächste wandern und      konnte auch bemerken, dass neues
Sohn Jesus Christus, ihr dieses schöne    bekommt Essen und Unterkunft un-        Leben eingezogen war. Inmitten der
Stück Land als Garten zu schenken.        entgeltlich. Man fliegt bis Thessalo-   Ruinen – oder daneben – erwuchsen
   Viele Einsiedler kamen dort hin;       niki, dann mit dem Auto bis Oura-       neue Klöster; man baute direkt in den
und vor über 1000 Jahren begann           nopolis, wo sich der Hafen befindet,    zerfallenen Gebäuden einige Behau-
man große Klöster zu bauen – viele        und gelangt nur mit dem Schiff zu       sungen für Mönche – ich musste an
tausend Mönche lebten dort. Heute         dem Haupthafen der Mönchsrepub-         unsere westliche zerfallene Kirche
gibt es auf der Halbinsel die Auto-       lik, Dafni.                             denken, wo auf dem Fundament

Der Berg Athos mit der orthodoxen Mönchsrepublik befindet sich auf dem
östlichen Finger der Halbinsel Chalkidikí in Griechenland.

nome Mönchsrepublik Athos mit 20             Eine Fähre und ein Schnellboot       Christi punktuell neues geistliches
Großklöstern (im Durchschnitt je 40       fahren mehrmals täglich um die          Leben oder sogar Gemeinschaften
bis 50 Mönche; das russische Pante-       Halbinsel, die ca. 50 km lang und       wachsen – während alles, was sich
leimon-Kloster mit über 100 Mön-          12/15 km breit ist. An einigen Hal-     der „Zeit“ anpasst, – mit der Zeit
chen), vielen kleinen Klöstern und        testellen besteht die Möglichkeit,      geht – Ruine wird, was manche als
unzähligen Einsiedeleien.                 ein- oder auszusteigen. So kann man     ganz schön empfinden.
                                          die wunderschönen altehrwürdigen
  In der Hauptstadt Karyes in der         Klöster am Ufer und auf den Bergen        Das Leben der Mönche fasziniert
Mitte der Mönchsrepublik, wo alle         bewundern – Zeugen eines radikal        mich: 8 Stunden Gebet, 8 Stunden
Großklöster einen Abgesandten ha-         auf Gott ausgerichteten Lebens. Bis     Arbeit, 8 Stunden Ruhe. Man be-
ben – die Regierung –, muss man lan-      zum Hafen Dafni brauchten wir mit       merkt einen großen Unterschied:
ge vor der Pilgerfahrt eine Erlaubnis     der Fähre etwa 1 ½ Stunden (eine        Unterkunft, Kleidung, Essen – das
44                                                                                                 DER FELS 2/2021
Die Klöster der orthodoxen Mönchsre-
                                                                                   publik auf dem Berg Athos in Griechen-
                                                                                     land sind Teil des UNESCO-Welterbes.
                                                                    Esphigmenou
                                                                              Cape Theodoroi
                                                 Chilandariou
                                                                                    Vatopedion

                                                           Zográphou
                                                          Konstamonitou                     Pantokratoros

                                                              Dochiariou       Karyes         Stavronikita
äußerlich sichtbare Leben – ist sehr                           Xenofontos                     Koutloumousiou
arm, spartanisch, armselig; aber im                       Aghios Panteleimon                      Iviron
Gottesdienst und in der Kirche spürt                               Xiropotamou                     Philotheou
                                                                                  Dafni
man die Freude, die Schönheit, den                                                                      Karakallou
Reichtum des göttlichen Lebens. Die
äußerlichen Dinge des Lebens sind                                    Simonos Pétras
                                                                                                        Megistri Lavra
für die Mönche unwichtig geworden                                       Osiou Gregoriou
– sie haben der Welt entsagt, sind der    Golf Singitikós Kólpos                Dionysiou
Welt gestorben, weil sie bereits in                                            Agiou Pavlou
einer neuen Welt leben, der zukünf-                                                                   Mt Athos
tigen, ewigen, göttlichen. Ihre Ge-
wänder sind alt und abgetragen, ei-                                                                                 Cape
nen Friseur braucht man nicht; wenn                                                                              Akrathos
man hinter den Mönchen die Stufen                                                       Cape Pinnes

                                         Innenhof des Klosters Moni Koutloumousiou wurde der Verklärung Christi
                                         gewidmet.

in die Kirche hinaufgeht, dann sieht     Erbsen, immer Gemüse, sonntags              se äußeren „Unannehmlichkeiten“
man die ausgetretenen, oft zu großen,    Fisch, niemals Fleisch), daneben ein        am Anfang einer solchen Pilgerfahrt
notdürftig geflickten oder zusam-        Blechtopf mit Wasser, ein Apfel oder        haben in mir manchmal einen inne-
mengebastelten Schuhe. Das Essen,        eine Pflaume, Brot – für alle das glei-     ren Widerstand hervorgerufen und
das wir Gäste immer zusammen mit         che. Die Unterkünfte sind entweder          die Sehnsucht nach einem gemütli-
den Mönchen im festlich mit Ikonen       Schlafsäle oder Zimmer mit Bett und         chen Leben zuhause geweckt.
geschmückten Speisesaal bei feierli-     Stuhl (oder nicht), alt und abgenutzt.
chem Tischgebet und mit Tischlesung      Ich habe gemerkt, wie man mit der              Aber es ist wohl so, dass man das
schweigend einnahmen, ist mehr als       Zeit sehr „verwöhnt“ ist und habe           alles deshalb als einschränkend und
dürftig: auf jedem Platz steht schon     mir – wenn ich konnte – mit meinem          fremd empfindet, als Mangel, wenn
in einer Blechschüssel eine fertige      Bett einen Schlafplatz irgendwo auf         man – verweltlicht – noch nicht den
Portion Essen (weiße Bohnen oder         einer Couch außerhalb gesucht. Die-         inneren Reichtum der göttlichen Ge-
DER FELS 2/2021                                                                                                            45
genwart verkostet hat. So wie wenn          Mahlzeit (auch sonntags) ist gleich-         Im Laufe der Gebetsstunden wird
man Liebende fragen würde, ob das           sam in das Gebet eingebettet, das um      es in der Kirche immer heller und man
nicht ein zu großes Opfer ist, mit dem      16 Uhr beginnt – um 18.30 Uhr mit         bekommt eine Ahnung davon, dass
anderen das Leben zu teilen. Die Ein-       dem kurzen Essen unterbrochen wird        Christus – die Sonne der Gerechtig-
schränkungen spürt man umso mehr,           – und dann in das ca. eine Stunde         keit, der strahlende Morgenstern, das
je weniger einem die Liebe und das          dauernde Nachtgebet einmündet. Je-        Licht der Welt – einmal wiederkommt
Ziel vor Augen stehen – und man             des Mal, wenn der Klostervorsteher        und alle Dunkelheit der Welt zur hel-
spürt sie weniger, je mehr man von          mit Glockenzeichen die Tischlesung        len Freude der Auferstehung führt.
Liebe und Sinn erfüllt ist.                 unterbricht, wird die kurze Mahlzeit      Wachen und Beten, das ganze Sein
                                            mit Gebet beendet. Alles bleibt ste-      auf den wiederkommenden Herrn
   Die Kirche und Gottesdienste sind        hen. Es ist aber offensichtlich erlaubt   ausrichten – das tun die Mönche auch
die Mitte des Lebens der orthodoxen         – wie wir bei einigen Mönchen sehen       stellvertretend für die vielen, die im
Mönche auf dem Athos. Morgens um            konnten –, sich einen Apfel oder ein      Diesseits schon eingeschlummert
3 Uhr beginnen bei wunderschönem            Stück Brot in die Tasche zu stecken.      sind. Das stundenlange Beten in einer
Sternenhimmel die langen Gottes-                                                      fremden Sprache führt in eine tiefere
dienste. Und sie enden, wenn man um            Das Herz des monastischen Lebens       Dimension. Es gibt keine aktuellen
7.30 Uhr bei strahlendem Sonnen-            auf dem Athos ist die intensive Chris-    Überlegungen, denen man nachgehen
schein aus der Kirche herauskommt.          tusbeziehung, das Gebet, der Gottes-      könnte, auch der im Westen so übliche
Gegenüber der Kirche befindet sich          dienst. Wenn man in den nächtlichen       Gedanke: ‚wo komme ich hier vor,
der Speisesaal – das eucharistische         Gottesdienst kommt, taucht man ein        wie fühle ich mich, wo kann ich mich
Mahl soll seine Fortsetzung im Bru-         in eine tiefgläubige Atmosphäre, ja       wiederfinden, mich einbringen?‘ hat
dermahl finden, die Kommunion mit           in die spürbare Gegenwart Gottes.         im Laufe der Stunden keine Chance
dem Herrn trägt ihre Früchte in der         Die feierlichen himmlischen Gesän-        zu überleben. Es bleibt die schlichte
Kommunion untereinander. Gemein-            ge, die Gegenwart so vieler Heiliger      Anwesenheit in der Größe der Gött-
schaft und Einheit kann man nicht           in den kostbaren, reich mit Gold ver-     lichen Majestät, ein unverzwecktes
‚machen‘! Nur wo es eine gemeinsa-          zierten Ikonen, die im Kerzenschein       Dasein – die Freude des Geliebten
me Mitte (Christus) gibt, kann auch         ihre überirdische Herrlichkeit er-        beim unendlich größeren Liebenden

Das Kloster des Hl. Pantaleon, bekannter als Rossikon, ist ein russisch-
orthodoxes Kloster

eine Gemeinschaft untereinander             strahlen lassen, die Mönche, die mit      zu verweilen: sprachlos, staunend, be-
entstehen. Das ist ja auch sonst so im      ihrer Lebenshingabe bezeugen, dass        schenkt. So, wie es wahrscheinlich im
Leben.                                      Gott so groß ist, dass es sich lohnt,     Himmel sein wird.
                                            ihm sein ganzes Leben zu schenken,
  Wir Gäste haben den Mönchen ge-           der reichlich verwendete Weihrauch,          So wie das Beten ist, vollzieht sich
dankt für ihre freundliche Einladung        der die Anwesenheit Gottes in den         das gesamte Leben: es ist reine An-
zur Agape. Allerdings wurden wir            Ikonen verehrt und auch in den Gläu-      wesenheit; man muss nichts leisten,
korrigiert, dass es sich nicht um ein       bigen als Ikone und Abbild Gottes,        sich nicht beweisen. Das Leben trägt
Frühstück handelt, sondern um das           das alles ist schon der Himmel auf        seinen Wert in sich – man ist von
Mittagessen. Niemals in meinem Le-          Erden – aufgestrahlt in der noch auf-     Gott geschaffen, von Christus erlöst,
ben war ich bereits um 8.30 Uhr mit         erlegten Begrenzung von Raum und          der Hl. Geist wohnt mit seiner göttli-
dem Mittagessen fertig! Die zweite          Zeit.                                     chen Liebe im Herzen.
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