Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
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P. Dr. Johannes Nebel FSO: Das Sakrament der Sündenvergebung und die Zukunft des Christentums 35 Pfr. Michael Theuerl: „Gott nahe zu sein ist mein Glück“ 44 Jürgen Liminski: Die Natur des Menschen auf der Kippe 52 Katholisches Wort in die Zeit 52. Jahr Februar 2021 DER FELS 2/2021 33
INHALT Liebe Leser, Natur fähig ist, wie Sexualdelik- te, Völkermord und Verbrechen jeder Art. Er wird auch darüber P. Dr. Johannes Nebel FSO: In der Nacht vom Faschings- staunen, was verfolgte Christen Das Sakrament der Sündenvergebung dienstag auf Aschermittwoch in China, Pakistan oder Nigeria und die Zukunft des Christentums ......... 35 wurde früher der Fasching ihres Glaubens wegen auf sich „beerdigt“, um zum Ausdruck nehmen. Diakon Raymund Fobes: zu bringen, dass jetzt eine an- Wem aufgegangen ist, dass Gott Die Weisheit des Alters ......................... 42 ihn ansieht im Kind von Betle- dere Zeit im Kalender beginnt. Ein solches Tun würden in der hem, als Lehrer auf den Stra- Pfr. Michael Theuerl: „Gott nahe zu sein ist mein Glück“ ......... 44 heute säkularisierten Zeit vie- ßen von Galiläa und im Antlitz le nicht mehr verstehen. Für sie des Gekreuzigten auf Golgatha, Rektor Pfr. Georg Alois Oblinger: ist Aschermittwoch ein normaler dem wird klar, dass nur eine in- Hungern und Fasten – Wochentag. nere Umkehr den Einzelnen und Sinn, Unsinn und Grenzen ..................... 48 „Wir brauchen einen missiona- auch unsere Kirche rettet. Dies rischen Aufbruch“, wie Pfar- beschreibt P. Dr. Johannes Ne- Prof. Dr. Hubert Gindert: rer Erich Maria Fink auf dem bel FSO in seinem Vortrag ein- Hinausbeten! ......................................... 50 letzten Kongress geäußert hat. drucksvoll. Dringend! Aber wir sollten am Er wird die Gebote als notwen- Gerhard Stumpf: dige Stütze in seinem Leben ver- Hauptproblem der Kirche anset- Reformer und Wegbereiter in der Kirche: stehen, weil er die Schwäche der Pater Reinhard Bottner OSB ................. 51 zen. Das sind nicht die hundert- tausende Kirchenaustritte, das menschlichen Natur, auch seine Jürgen Liminski: Fehlen der Gläubigen bis zu 95% eigene, kennt. Deswegen wird Die Natur des Menschen am sonntäglichen Gottesdienst er die sakramentalen Hilfsmittel auf der Kippe ......................................... 52 oder die 99%, die nicht mehr den der Kirche annehmen. Beichtstuhl aufsuchen. Sie zeigen Dem bewusst gewordenen Chris- Edith Missal: die religiöse Haltung auf. Aber ten wird nichts im Leben erspart Aus dem Leben einer Christin das sind nur die Folgen dieser bleiben: Krankheit, Enttäuschung in der DDR ............................................. 55 Einstellung. Die Ursachen liegen jeder Art, der Tod. Er wird trotz- tiefer. Die eigentlichen Fragen, dem Freude am Glauben erfah- Interview von Simone Zwikirsch ren, weil er weiß, was ihn erwar- denen wir uns stellen müssen, mit Prof. Ralf Lankau: tet: Das Leben bei Gott. Der digitalen Entmündigung lauten: Gibt es einen Gott? Was widerstehen! .......................................... 56 sind seine Eigenschaften? Was Wir gehen auf Ostern zu. Es sind hat er mit meinem Leben zu tun? 40 Tage. Das schließt ein: den Franz Salzmacher: Aus den Antworten erklären sich Palmsonntag, den Gründonners- Pajazzo, die Maske und der die Folgen, die wir zurecht bekla- tag, Karfreitag, schließlich die Freiheitsbaum ........................................ 58 gen. Auferstehung des Herrn. Wir ge- Was uns Jesus Christus und die hen dem entscheidenden Ereig- Pastoralreferent Alfons Zimmer: Kirche zu diesen Fragen sagen, nis der Menschheitsgeschichte Kamel und Christenmensch .................. 60 ist schlüssig. Das heißt nicht, entgegen. Machen wir uns das dass diese Antworten von den wieder bewusst! Auf dem Prüfstand ................................. 61 Zuhörern angenommen werden. Leserbriefe ............................................. 63 mit den besten Wünschen Der freie Wille bleibt. Die Ant- wort von Joseph Ratzinger auf aus Kaufering Impressum „Der Fels“ Februar 2021 Seite 63 die Frage, wie viele Wege es zu Redaktionsschluss ist jew. der 5. des Vormonats Gott gibt: „so viele als es Men- schen gibt“, heißt zugleich, dass Titelbild: Büßender heiliger Hieronymus die Menschen ebenso viele Wege Quelle: Öl auf Holz, Raveningham Hall, Collection beschreiten können, die von ihm Sir Edmund Bacon, M. Mende: Albrecht Dürer, wegführen. Pawlik Verlag, 1976, Abb. 15 Titelbeschreibung S. 62 Wer die Antworten Jesu und der Foto- und Quellennachweise: Seite 62 Kirche verinnerlicht hat, wird nicht nur erschreckt vor dem Ihr Hubert Gindert stehen, wozu die menschliche und das Redaktionsteam 34 DER FELS 2/2021
P. Johannes Nebel FSO: Das Sakrament der Sündenvergebung und die Zukunft des Christentums 1 Einstieg: nis zum riesigen wissenschaftlichen Blick in die Zeit und publikatorischen Aufwand der letzten Jahrzehnte. Seit dem 20. Jahrhundert haben ¡ Ein ganz anderes Beispiel für wir westlichen Katholiken uns einen äußere Änderungen: Seit dem Ersten Umgang mit Glaube und Kirche an- Weltkrieg wandte sich die Gestaltung Der Vortrag lässt auf das Bußsakra- geeignet, der sich unterscheidet von der Gotteshäuser von dem Ideal einer ment ein neues Licht fallen, indem früheren Jahrhunderten. Die Vorstel- Schönheit ab, die jeden Raumpunkt Aspekte der Zeitlage aus historischer lung hat an Breitenwirkung gewon- ausgestaltet; stattdessen ging man Zusammenschau kurz in den Blick nen, das Überleben des Christentums zunehmend über zu Nüchternheit, genommen werden. Zentral wird hänge maßgeblich davon ab, dass Kargheit, ja Funktionalität. Das Bis- dabei der Aspekt der Umkehr: Wel- man an seiner äußeren Erscheinung herige wurde tendenziell als überla- che Bedeutung hat sie im Zeugnis spürbare Änderungen vornehme. den empfunden und abqualifiziert. des Neuen Testaments? Dies muss Vorgeprägt ist diese Überzeugung ¡ Äußere Wandlungen betreffen für das heutige Verständnis vom vor allem in den Idealen der abend- auch die heilige Liturgie. Diese wur- Bußsakrament neu fruchtbar ge- ländischen Aufklärung des 18. Jahr- de bis zur Morgenröte des 20. Jahr- macht werden. Die Umkehr selbst hunderts, die weniger von der Offen- hunderts auch von Päpsten als unan- braucht aber klare Fundamente. barungsgrundlage ausging, sondern tastbar angesehen. Unbestreitbar war Dafür muss das Sündenbewusstsein menschliche Vernunft und Ethik freilich ein gewisser Reformbedarf; ein griffiges Profil erhalten, wozu als obersten Maßstab auch für das die Frage war aber, bis zu welchem auch Gedanken des heiligen John Christsein ansah. Dies bekam aber Ausmaß dies nötig war. Jedenfalls Henry Newman (1801-1890) heran- erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde seit Papst Pius X. – dem ers- gezogen werden: Was ist eine Sün- Breitenwirkung, mitausgelöst von ten Präzedenzfall – die römische Li- de, was ist ein Fehler, in welchem der Katastrophe der beiden Welt- turgie in mehreren Anläufen pastoral Verhältnis stehen beide zueinander? kriege. Schlaglichtartig will ich vier motivierten äußeren Änderungen un- Der Gottesbezug ist entscheidend, ganz unterschiedliche Phänomene terzogen. um hier persönlich Klarheit erhal- herausgreifen – ohne Anspruch auf ¡ Ein letztes Beispiel, das ich ganz ten zu können. Mit der Theologie Vollständigkeit: kurz anreißen möchte, ist der äuße- von Kardinal Leo Scheffczyk (1920- ¡ Die Theologie geriet seit der re Wandel im Verhältnis zur Kirche, 2005) kann aufgezeigt werden, wie zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deren hierarchische Struktur auch als segensreich das Bußsakrament auch in die Enge einer Verteidigungsposi- Glaubensbasis bis weit ins 20. Jahr- im Umgang mit Alltagssünden ist. tion. Das konnte auf Dauer so nicht hundert hinein fraglos bejaht wurde. Denn in jedem Fall schenkt es eine bleiben. Doch nur Wenigen, wie Das musste keine Verengung sein, da ganz besondere Begegnung mit Je- z.B. im 19. Jahrhundert dem großen schon im 19. Jahrhundert etwa der sus Christus; daraus aber fließt eine Kölner Theologen Matthias Joseph heilige John Henry Newman dies in erneuernde Kraft – nicht nur für den Scheeben oder im 20. Jahrhundert einer ganzheitlichen Sicht der Kir- Beichtenden, sondern auch für Kir- Kardinal Leo Scheffczyk, ist eine Er- che neu begründet hat. Doch in der che und Welt. Hier liegt eine Chan- neuerung in organischem Anschluss zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ce, die freigesetzt werden muss; Mo- an die Vergangenheit gelungen. An- passt sich das Verhältnis zur Kirche tivationen zur Beichte werden neu sonsten entstand vielfach ein Drang, und zum Glauben dem Wandel des erkennbar. Einerseits gibt es die ob- aus traditionellen Denkvorgaben zu gesellschaftlichen Empfindens im- jektive Wirkung der Lossprechung, grundlegenden Neuansätzen aus- mer mehr an. Dies führt zu stets neu andererseits Reue als Voraussetzung zubrechen, vielfach in einem Jahr- anbrandenden demokratischen und und Umkehr als persönliche Konse- hunderte überspringenden Rückgriff soziologischen Hinterfragungen. Es quenz. Wie fließt dies in die Auswir- auf die Bibel und die frühe Kirche. betrifft dann gerade auch die Auffas- kung dieses Sakraments ein? Manche geistigen Leistungen blei- sung von Brennpunkten wie z.B. der ben freilich bahnbrechend. Aber ein Sexualmoral. Durchbruch zur Erneuerung der Her- zen im Glauben ist nur teilweise ge- All dies – und manches mehr – lungen und steht in keinem Verhält- soll jetzt nicht gewertet werden; DER FELS 2/2021 35
immer wird man Positives und Ne- des heiligen Jean Eudes, oder den 21. Jahrhunderts zu sein. In jüngerer gatives voneinander unterscheiden Einfluss des heiligen Vinzenz von Zeit wurde häufig in der äußeren Än- müssen. Es gibt aber bei alldem ei- Paul denken – so unterschiedlich all derung als solcher bereits Erneue- nen gemeinsamen Grundzug, näm- diese Phänomene auch sind – gera- rung gesucht. So avancierte das, was lich christliche Neuwerdung in äuße- de auch im Stellenwert des Äußeren vormals das Zweite war, zum Ersten ren Veränderungen zu suchen, ja hier –, gemeinsam ist ihnen ein Abzielen und Entscheidenden. Was vormals sogar bisweilen von einem Erneue- auf das Innere: dass nämlich Erneu- jedoch das Erste war, das vertiefte rungsdruck oder Reformstau auszu- erung des kirchlichen Lebens zu tun und zeitgemäße Aufleben des Inne- gehen. In der heutigen Zeit sind wir hat mit Besinnung auf den Glauben, ren, die tatsächliche Umkehr, hat damit konfrontiert, wie derartigem mit einer Umkehr im Blick auf das unter manchen neuerdings erdachten Druck auch in kirchlichen Leitungs- Verhältnis zur Welt, da das christli- und erkämpften äußeren Ausgangs- positionen nachgegeben wird. che Leben in irgendeiner Weise von punkten keine echte Chance, keine Frühere Jahrhunderte jedoch – ihr vereinnahmt, nachlässig oder breite kirchenprägende Kraft mehr. vom Einfluss der Reformation sehen oberflächlich geworden war. Erneu- wir jetzt einmal ab – sind binnen- erung wurde also in einer der jewei- kirchlich weitgehend anders mit dem ligen Zeit entsprechenden Besinnung 2 Das Bußsakrament im Anliegen christlicher Erneuerung auf das Wesentliche des Glaubens Panorama seiner umgegangen. Wenn wir etwa Bewe- und der Liebe angestrebt. Bedeutungen gungen wie Cluny im 10. Jahrhun- Äußere Änderungen mögen dabei dert, die Gregorianische Reform im Anknüpfungspunkt gewesen sein – Unter diese Beobachtungen möch- 11. Jahrhundert, die zisterziensische mehr oder weniger –, aber sie stan- te ich das eigentliche Thema meines Erneuerung im 12. Jahrhundert, die den nie als Primäres im Vordergrund, Vortrages stellen, nämlich die Be- franziskanische Armutsbewegung im sondern sind als Zweites aus dem deutung des Bußsakraments. Was 13. Jahrhundert, oder die von Jesui- Inneren hervorgewachsen oder ha- eben im Zeitüberblick skizzenhaft ten ausgehende Exerzitienbewegung ben wenigstens dem Inneren direkt beleuchtet wurde, darf freilich nicht der frühen Neuzeit in den Blick neh- aus den Startlöchern geholfen. Das als direkte Ursache für die Krise die- men, oder wenn wir an den segens- genau scheint mir ein grundlegender ses Sakraments missverstanden wer- reichen Einfluss der École française Unterschied zu maßgeblichen Vor- den. Es geht mir vielmehr darum, das im 16. Jahrhundert und das Wirken gängen des 20. und des beginnenden Bußsakrament in einen viel umfas- senderen Horizont des Denkens und der Wahrnehmung zu stellen. Viel – zu viel – ist seit Jahrzehnten über Paulus ist der größte Missionar der Kirche. Die Menschen, die offen den Verfall der Bußpraxis gejam- waren für das Wort Gottes, hingen an seinem Mund. mert und geklagt worden. Größere Initiativen, etwa durch den Umgang Johannes Pauls II. mit der Jugend oder die Initiative von Papst Franzis- kus „24 Stunden für den Herrn“, in denen Kirchen stundenlang gerade auch für das Sakrament der Versöh- nung offenstehen, bringen hie und da wertvolle Impulse der Erneuerung. Ein Gesamtumdenken im Blick auf dieses Sakrament jedoch steht noch aus. Genau deshalb ist es mir ein Anliegen, über das Bußsakrament in einem Gesamthorizont kirchlicher Entwicklungen nachzudenken. Im Blick auf die eben dargestell- ten Unterschiede zwischen dem 20. (und beginnenden 21.) Jahrhun- dert im Vergleich zu vormaligen Schwerpunkten rückt nämlich ein Aspekt des Bußsakraments ins Zen- trum unserer Aufmerksamkeit: der Aspekt der Umkehr. Man kann den Vergleich von eben nämlich auch auf diesen Punkt bringen: Stand vor- mals Erneuerung jeweils unter einer Zentralität des Umkehrgedankens, scheint demgegenüber in den jünge- ren Jahrzehnten der Erneuerungsge- danken vielfach losgelöst vom Ideal 36 DER FELS 2/2021
der Umkehr. Auch das Bußsakrament von der Umkehr her aufzufassen, ist heute alles andere als selbstverständ- lich. Vielfach stehen nämlich andere Aspekte in unserem Empfinden im Vordergrund, ¡ etwa der Aspekt der Beichte, dass man also persönliche Sünden gegenüber dem Priester offen aus- spricht, ¡ oder der Aspekt der Vergebung, dass man also in sakramentaler Si- cherheit von Sündenlasten befreit ist, ¡ oder der wichtige Aspekt der Versöhnung, also dass dieses Sakra- Jesus sagt zum Pharisäer: „Ihr sind viele Sünden vergeben, weil sie ment unser Verhältnis zu Gott und viel Liebe gezeigt hat“ (Lk 7,47). Dann sprach Jesus zur reuigen Sün- zu den Mitmenschen auf eine neue derin: „Deine Sünden sind dir vergeben“ (Lk 7,48). Grundlage stellt; ergreifend sind hier Worte des heiligen John Henry New- man: „Welch ein alles durchdringen- 3 Zur Bedeutung der Umkehr Evangeliums „Er kam in sein Ei- der, herzbezwingender Friede … ist im Neuen Testament gentum, aber die Seinen nahmen ihn wesentlich und beinahe greifbar über nicht auf. Allen aber, die ihn aufnah- die Seele ausgegossen …, wenn der Als Jesus, unser Herr, sein öffent- men, gab er Macht, Kinder Gottes zu büßende Sünder sich erhebt: er ist liches Wirken in Galiläa begann, werden“ (1,11f.). Dem Nikodemus mit Gott versöhnt, seine Sünden sind steht im Zentrum sein Ruf „Kehrt gegenüber erklärt Jesus dann: „Jeder, für immer weggewälzt“.1 um! Denn das Himmelreich ist der Böses tut, hasst das Licht und ¡ Oder denken wir schließlich nahe!“ (Mt 4,17) – so gemäß dem kommt nicht zum Licht, damit seine an den Aspekt der Buße, der darin Matthäusevangelium. Mit anderen Taten nicht aufgedeckt werden. Wer besteht, im Priester die sakramen- Worten bezeugt der Evangelist Mar- aber die Wahrheit tut, kommt zum tale Autorität zu erkennen, der es kus das Gleiche: „Nachdem Johan- Licht, damit offenbar wird, dass sei- zusteht, ein Zeichen der büßenden nes ausgeliefert worden war, ging ne Taten in Gott vollbracht sind“ (Joh Wiedergutmachung aufzuerlegen, Jesus nach Galiläa; er verkündete das 3,20f.). das man dann freilich möglichst Evangelium Gottes und sprach: Die Wenden wir uns auch kurz der rasch erfüllt. Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist Apostelgeschichte zu. Petrus stellt nahe. Kehrt um und glaubt an das in seiner Pfingstpredigt ebenfalls den All dies sind gewiss wichtige und Evangelium!“ (1, 14f.). Auch Lukas Ruf zur Umkehr ins Zentrum: „Kehrt wahre Aspekte, die bleibende Bedeu- drückt dies unmissverständlich aus, um und jeder von euch lasse sich auf tung für unseren Umgang mit diesem wenn er ganz an den Beginn des Wir- den Namen Jesu Christi taufen zur Sakrament haben. Aber zwei Ge- kens Jesu seinen Auftritt in Nazareth Vergebung eurer Sünden; dann wer- sichtspunkte sind hierbei noch nicht stellt, wo Er den Einwohnern seiner det ihr die Gabe des Heiligen Geistes genannt worden: Jener der Reue, Heimatstadt zu verstehen gab: „In empfangen“(Apg 2,38). Nochmals der überhaupt an der Wurzel des Israel gab es viele Witwen in den Ta- sagt Petrus auf dem Tempelplatz: Sündenbekenntnisses steht, und der gen des Elija, als der Himmel für drei „Also kehrt um und tut Buße, damit Aspekt der Umkehr, der die eigent- Jahre und sechs Monate verschlossen eure Sünden getilgt werden“ (Apg liche Konsequenz dieses Sakraments war und eine große Hungersnot über 3,19). Zentral ist die Umkehr dann sein soll. Reue und Umkehr bilden das ganze Land kam. Aber zu keiner auch im Christuszeugnis des Petrus sozusagen den umfassenden Rah- von ihnen wurde Elija gesandt, nur vor dem Hohen Rat: „Ihn hat Gott als men, innerhalb dessen alle zuvor zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon. Anführer und Retter an seine rechte genannten Aspekte ihren je eigenen Und viele Aussätzige gab es in Israel Seite erhoben, um Israel die Umkehr Ort haben. Wir bezeichnen dieses zur Zeit des Propheten Elischa. Aber und Vergebung der Sünden zu schen- Sakrament zwar als Sakrament der keiner von ihnen wurde geheilt, nur ken“ (Apg 5,31). Entscheidend ist „Beichte“, der „Vergebung“, der der Syrer Naaman“ (Lk 4,24-27), die Umkehr auch im Leben des hei- „Versöhnung“, der „Buße“, kaum und wenig später bezeugt Lukas, ligen Paulus, als dieser vor Damas- jedoch als Sakrament der „Reue“ wie Jesus den Pharisäern gegenüber kus zu Boden geworfen wurde. Noch oder der „Umkehr“. Diese äuße- seine Sendung zusammenfasst in der viele Jahre später bezeugte Paulus re Umklammerung verdient daher Aussage „Ich bin nicht gekommen, offen, dass die damalige Begegnung einmal, in den Mittelpunkt unserer um Gerechte, sondern Sünder zur mit dem Auferstandenen in ihm vor Aufmerksamkeit gestellt zu werden. Umkehr zu rufen“ (Lk 5,32). allem den Willen zur Umkehr her- Inspiriert sind diese Akzentsetzun- Auch der Evangelist Johannes vorgerufen hat: „Ich sagte: Herr, gen übrigens auch von Anliegen von geht – wenn auch in anderen Worten was soll ich tun?“ (Apg 22,10). Den Julia Verhaeghe (1910-1997), der und Gedanken – von einer Zentral- Athenern gegenüber fasst Paulus im Gründerin der geistlichen Familie stellung der Umkehr aus. So lesen Areopag seinen Blick auf die ganze „Das Werk“, der ich angehöre. wir zunächst im Prolog des vierten Heilsgeschichte Gottes zusammen in DER FELS 2/2021 37
den Worten: „Gott, der über die Zei- geraumer Zeit im Gottesvolk tief ver- unablässig dieses Sakrament ange- ten der Unwissenheit hinweggesehen wurzelt sein dürfte. Es geht um eine boten wird, gehen große Kräfte des hat, gebietet jetzt den Menschen, Mentalität, in der das Bußsakrament Segens und der Erneuerung in alle dass überall alle umkehren sollen“ – sofern es praktiziert wird – einen Teile Europas aus. Für diese echten (Apg 17,30). relativ bequemen Umgang mit eige- Bekehrungsfälle dürfen wir von Her- Brechen wir hier den Überblick nen Sünden garantieren soll. Gewiss, zen dankbar sein; in ihnen wird die über neutestamentliche Aussagen eine vorausgehende Herzenserfor- wahre Macht und Größe des Bußsak- ab. Im Umgang mit Jesus Christus schung verlangt einen Augenblick raments bezeugt. ist Umkehr keine Nebensache, son- der Selbstbesinnung, der Gang zur Aber eine allgemein vorherr- dern steht geradezu im Mittelpunkt. Kirche kostet etwas Zeit, das verbale schende Mentalität im Umgang mit Im Bußsakrament aber begegnen Bekenntnis bereitet vielleicht spon- der gewöhnlichen Beichte wird da- wir persönlich Jesus, und zwar an- tan etwas Mühe, je nach Gewohnheit. durch noch nicht automatisch geän- gesichts unserer Fehler und Sünden. Dann aber ist alles sehr rasch vorbei: dert. Wir dürfen nicht auf den Segen Muss dann nicht gerade der Aspekt Der Priester spricht einige trösten- großer Bekehrung verweisen, um der Umkehr ins Zentrum unserer de und aufbauende Worte, gibt eine damit abzulenken von dem Umgang Perspektive rücken? Wir dürfen doch möglichst gut erfüllbare Buße auf, mit diesem Sakrament angesichts oft den klaren biblischen Aussagen nicht erteilt die Lossprechung. Die Sünden eher kleiner Alltagssünden, der viel- widersprechen! können nun vergessen werden (was leicht auch uns selbst betrifft. Wenn auch so sein soll); die Buße wird ver- dieses Sakrament in echten Bekeh- richtet. Das Sakrament ist erledigt. rungsfällen wahrhaft „Umkehrsakra- 4 Beichtpraxis heute Das Leben geht weiter – bis man ment“ ist – warum dann nicht auch vor dem Anspruch Gottes dann wieder einmal beichten geht. wenigstens ansatzweise im gewöhn- Mit diesem Blick soll nicht in Ab- lichen Beichtgang? Warum soll hier Wie aber sieht denn vielfach die rede gestellt werden, dass es auch in mit zweierlei Maß gemessen wer- Beichtpraxis faktisch aus? Im Fol- unserer Zeit viele tiefgreifende Be- den? Das biblische Zeugnis, das wir genden stehen natürlich keine ein- kehrungen und Neuwerdungen gera- eben gesehen haben, spricht doch zelnen Gläubigen im Blick; vielmehr de im Bußsakrament gibt. Besonders eine andere Sprache. soll eine allgemeine Tendenz ins von manchen geistlichen Zentren, Will Gott uns durch den Priester Auge gefasst werden, die schon seit zu denen Gläubige strömen und wo die Sünden nur deshalb vergeben, damit wir für einen Augenblick uns im Herzen erleichtert und im Gewis- sen entlastet fühlen können? Das ist freilich auch der Fall, wird von der Kirche so gelehrt und ist auch gut so. Aber darf sich unsere Motivation zum Empfang des Bußsakraments darin erschöpfen? Können wir so mit Gott umgehen? Ja, Gott muss ins Zentrum unserer Perspektive gestellt werden! Die Verniedlichung des Bußsakra- ments hat ihre Wurzeln darin, immer nur die persönlichen punktuellen Be- dürfnisse zum Ausgangs- und Ziel- punkt zu nehmen. Julia Verhaeghe, die Gründerin des „Werkes“, sagt einmal: „In der Beichte soll man die Sünden … vor Gott und vor seiner heiligen Kirche aufrichtig beken- nen. … Ja, die innere Erkenntnis von Sünden und Fehlern sucht … Gottes barmherzige Vergebung, … um das erkannte Übel zu beseitigen und es vor Gott und der Mutter Kir- che, der Familie Gottes, wieder gut zu machen.“ Erst wenn Gott ins Zentrum meines Sündenbewusstseins tritt, hat auch die Umkehr die Chance, entscheidend zu werden für den Umgang mit dem Bußsakrament. Erst wenn Gott im Zentrum steht, wird der innerste Lebensnerv der sakramentalen Ordnung der Kir- 38 DER FELS 2/2021
che respektiert, nämlich unserer in- nersten Erlösung zu dienen und uns so auf die Ehre Gottes auszurichten. Durch den Empfang der Sakramente sollen wir immer Gott verherrlichen und der Kirche dienen. 5 Der Unterschied zwischen Fehler und Sünde Bei den Sünden, die wir beken- nen sollen, geht es aber nicht darum, angesichts irgendwelcher Fehler, die uns unterlaufen sind, in emoti- Christen pilgern zeit ihres Lebens auf ihr Ziel hin: das Leben mit Gott. onalen Frieden zu kommen. Alle Manchmal, soweit die Schuhe tragen. Sünden sind zwar auch Fehler, aber nicht alle Fehler sind auch Sünden. Es gibt schmerzliche und ärgerli- che Fehler, die uns passieren, die Es gibt also den Irrtum, Fehler für 6 Der Empfang des uns auch belasten, die aber für sich Sünden zu halten, die in Wirklichkeit Bußsakraments als Segen genommen nicht wirklich als Sün- keine Sünden sind. Aber es gibt nicht für die ganze Kirche de aufgefasst werden dürfen. Die weniger den umgekehrten Irrtum, Sünde betrifft immer nur dasjenige, Sünden zu bloßen Fehlern zu erklären, Aber muss man denn auch kleine wovon ich schmerzlich einsehe: Es obwohl sie tatsächlich echte Sünden Alltagssünden unbedingt beichten? war Gott gegenüber nicht richtig, sind. Nochmals kann hier Kardinal Von einem Muss kann freilich kei- und ich hätte es wirklich vermeiden Newman zu Wort kommen in seiner ne Rede sein; dies gilt nur für Sün- können oder wenigstens mehr gegen Warnung, „dass die Sünde als solche den, die wissentlich und willentlich die Versuchung ankämpfen können, … nur noch als eine zu entschuldigen- eine schwerwiegende Angelegenheit habe es aber nicht getan. Auch wenn de Nachlässigkeit betrachtet [wird] betreffen. Dennoch ist es in höchs- es (wie häufig) um Mitmenschliches und so das moralisch Schlechte den tem Maße sinnvoll und segensreich, geht: als Sünde genommen, betrifft Namen des Mangels an Vollkom- auch alltägliche Sündigkeit immer es unser Gottesverhältnis. Und weil menheit erhält … Die Religion als wieder zum Anlass für den Empfang es unser Gottesverhältnis betrifft, solche ist dann auf dem besten Wege, des Bußsakraments zu machen. Ein betrifft es auch unser Verhältnis aus dem Bewusstsein der Menschheit großer Theologe, der auch für den zu dem Tempel Gottes: zu Gottes gänzlich zu verschwinden, und an ihre Kongress „Freude am Glauben“ hohe Tempel im Kleinen, der wir kraft Stelle setzt man bloß eine kühle welt- Verdienste hat, war Kardinal Leo der Taufgnade selbst sind, sowie zu liche Ethik, ein entgegenkommendes Scheffczyk (1920-2005). Mehrmals Gottes Tempel im Großen, also zur Rücksichtnehmen auf die Ansprüche hat er bei diesem Kongress wichtige umfassenden Gemeinschaft der Kir- der Gesellschaft, die Pflege freund- Referate gehalten. Am 21. Februar che. Das alles wird durch Sünden schaftlicher Beziehungen und eine 2020 wäre er 100 Jahre alt geworden. belastet, auch durch ganz kleine und gespielte Freundlichkeit und Höflich- Kardinal Scheffczyk hat dem Bußsa- unscheinbare Sünden, aber auch nur keit. … Das ist die Entwicklung und krament eine eigene bedeutende Ab- durch Sünden, nicht etwa durch alle der Ausgang des Unglaubens, obwohl handlung gewidmet, in der er nach möglichen Fehler, die halt passiert er mit Dingen beginnt, die die Welt der spezifischen Wirkung dieses Sa- sind und mich eher deshalb belas- als Kleinigkeiten bezeichnet.“2 So- kraments fragt.3 Wir können seine ten, weil ich unterschwellig perfekt weit der heilige John Henry Newman gründlichen theologischen Reflexio- sein will und nicht bereit bin, mich in Einsichten, die er übrigens bereits nen hier nicht ausbreiten. Sie laufen selbst anzunehmen, wenn ich mei- 1834, also noch in seiner anglikani- aber auf Folgendes hinaus: Im Emp- nem Perfektionswillen eben nicht schen Zeit, geäußert hat. Wer echte fang des Bußsakraments begegnen entspreche. Wenn dagegen Gott im Sünden, und seien sie noch so klein wir Jesus Christus selbst in einem Zentrum der Gewissenserforschung und als noch so harmlos empfunden, spezifischen Sinne, nämlich insofern steht, wird es viel einfacher, zwi- rein menschlich entschuldigt, obwohl als er Sühne für die Sünden der Welt schen bloßen Fehlern und echten es vor Gott doch Sünden sind, der geleistet hat. Um den Kardinal ein- Sünden zu unterscheiden. Ange- dient demzufolge dem Unglauben; er mal kurz zu zitieren: „Im sakramen- sichts der unerschöpflichen Barm- fördert die Selbstsäkularisierung des talen Drama der Buße ereignet sich herzigkeit und der allmächtigen Christentums. … nichts Geringeres, als dass der Weisheit Gottes fällt es uns auch Fehler also ist Fehler, aber Sünde Sünder sich dem leidenden Christus leichter, bloße Fehler uns selbst zu ist Sünde. Je mehr der barmherzige anschließt, dass er in die Gesinnung verzeihen, und echte Sünden – auch und gerechte Gott im Zentrum der und in das Werk des sühnenden Er- kleine Sünden – vor Gott zu bereuen eigenen Gewissenserforschung steht, lösers eingeht“.4 Was Jesus einst am und Ihm im Bekenntnis vertrauens- umso leichter wird die klare Unter- Kreuz für uns erduldet hat, wird also voll zu übergeben. scheidung fallen. im Augenblick der Lossprechung im DER FELS 2/2021 39
reumütigen Herzen wirksam, ja von der einmal beichten zu gehen, um Punkt. Dem sühnenden Christus zu uns sogar kraft der Reue mitgetragen. dadurch Segen auch auf die Kirche begegnen, ruft uns zu irgendeiner Und Kardinal Scheffczyk führt herabzuziehen, die in ihren Gliedern Änderung, ja das ist der eigentliche weiter aus, dass diese spezifische leidet. Beichten gehen nützt der gan- Sinn der Christusbegegnung. Ge- persönliche Begegnung mit Christus zen Kirche! Ist das nicht eine kaum meint ist nicht unbedingt eine große nicht nur individualistisch jeweils bekannte und sehr gute Motivation, Lebensumstellung, vielleicht nicht uns allein gilt, sondern immer auch das Bußsakrament zu empfangen? einmal etwas Äußerliches. Manch- Segen für die gesamte Welt bedeutet, mal ist es nur etwas, was wir infolge „weil die Tilgung von Sünde immer der ehrlich erweckten Reue und der ein überindividuelles, soziales Ereig- 7 Bußsakrament Vergebung in unserem Herzen mit- nis ist“.5 Gewissenhaft zur Beichte und Umkehr nehmen in den Alltag, ein Gedanke, gehen, darf also maßgeblich auch eine Orientierung, die wir empfangen von der Motivation beseelt sein, da- Was aber bedeutet es, im Augen- haben, eine Einsicht. Manchmal ist durch der Menschheit und der Welt blick der priesterlichen Lossprechung es nur das Vertrauen in die Kraft der etwas Gutes zu tun. Wir dürfen nicht auf diese Weise Christus begegnen zu empfangenen Lossprechung, das uns immer nur allein an uns selbst den- dürfen? Denken wir zurück an den auch dann noch tragen soll, wenn wir ken. Wir müssen das Ganze im Blick heiligen Apostel Paulus, als dieser wieder in irgendeine Sünde gefallen behalten, das durch unsere Sünden einst vor den Toren von Damaskus zu sein sollten. In so großem und wei- in Mitleidenschaft gezogen wird und Boden geworfen wurde. Seine Fra- tem Horizont dürfen wir also das An- umgekehrt durch die Christusbegeg- ge an den Auferstandenen war doch: liegen der Umkehr verstehen. Aber nung im Bußsakrament Segen emp- „Herr, was soll ich tun?“ Wir können in ebendieser Umkehr verankert sich fängt. Wenn das aber für die Welt Jesus nicht glaubwürdig begegnen, unsere Motivation, im Empfang die- gilt, gilt es dann nicht erst recht und ohne diese Frage zutiefst im Herzen ses Sakraments wirklich Gott ehren zunächst für die Kirche? Wenn man zu haben. Sie wird nicht beantwor- zu wollen. Kardinal Scheffczyk sagt mit schmerzlichen Missständen der tet mit dem Bußzeichen, das wir im hierzu: „[E]ine personale Entschei- Kirche konfrontiert wird, kann man Auftrag des Priesters verrichten sol- dung gegen Gott kann nicht aufge- doch der Versuchung zu Ärger, Kri- len, sondern mit der tatsächlichen hoben werden ohne eine ebensolche tik oder Resignation entgehen, in- Umkehr, und sei es auch nur in einem ernste und ganzheitliche personale dem man den Entschluss fasst, wie- ganz kleinen konkreten alltäglichen Rückwendung zu diesem Gott.“6 Kommen wir nun zurück zum Aus- gangspunkt unserer Erwägungen. Wir Saulus erreichte der Ruf Gottes vor Damaskus. Er wurde zu einem leiden heutzutage unter mancherlei „auserwählten Werkzeug“, um den Namen Jesus zu den Völkern zu größeren und kleineren Umwälzun- tragen (vgl. Apostelgeschichte 9,15). gen im Leben der Kirche, die Verun- sicherungen verursachen und Verein- samung fördern. Sie stehen aber samt und sonders unter dem Vorzeichen, dadurch irgendeine Erneuerung zu bewirken – so illusorisch dies im Ein- zelfall auch immer sein mag. Der im 20. Jahrhundert durchgesetzte Vorzug äußerer Änderung vor innerer Besin- nung hat ein Bild von Erneuerung bewirkt, das vielfach das Innere ver- kümmern ließ. Der lebendige Glaube ist einem Erosionsprozess ausgesetzt. Wenn wir jetzt aber das Bußsak- rament erneuert auffassen, nämlich als „Umkehrsakrament“? Wenn wir also im Empfang dieses Sakraments bewusst den Aspekt der Umkehr be- tonen? Dann machen wir aus diesem Sakrament eine Gegenkraft gegen die zersetzenden Tendenzen des derzei- tigen kirchlichen Lebens. Dann wird von Gott her, durch unser für Ihn en- gagiertes Gewissen, ein neuer Weg eröffnet! Dieser Weg ist stärker als alle noch so mächtigen Zeiterschei- nungen. Man darf auf illusorische liberale Erneuerungsbestrebungen nicht nur auf der äußeren Ebene, also durch entsprechende Gegenerklärun- 40 DER FELS 2/2021
gen, reagieren. So verdienstvoll und meinungsbildend derartige Positi- onierungen im Einzelfall auch sein mögen – wenn man sich auf sie be- schränkt, wird genau der gleiche Vor- rang des Äußeren vor dem Inneren nochmals bekräftigt. Der wirksame Gegenakzent muss tiefgehender an- setzen. Wir müssen der Kirche durch einen guten Empfang des Bußsakra- ments – als „Umkehrsakrament“ ver- standen – von innen her neue Lebens- kräfte schenken. Der barmherzigen Vatergott: Der verlorene Sohn „machte sich auf 8 Bedeutung der Umkehr ... Er war noch weit entfernt, da sah ihn sein Vater. Und von Mitleid für die Wirkung des gerührt, ging er ihm eilends entgegen und umarmte ihn“ (Lk 15,20). Bußsakraments Im Blick auf die Umkehr können Statt über den Rückgang der krament verstanden, hat dieses Sa- wir die Wirkung dieses Sakraments so Beichtpraxis zu klagen, sollten wir krament auch die Kraft, eine allge- fassen: Durch die Vergebung und Ver- die Kraft dieses Sakraments bezeu- meine geistige Wende grundzulegen, söhnung, durch das erneute Eingehen gen. Das tun wir in dem Maße, als zu siegen etwa über die immer noch in Gottes barmherzige Liebe, wird der wir in unserem eigenen Umgang da- nachwirkenden geistigen Folgen der innerste Kern unseres Wesens befreit mit die Umkehr betonen und umset- beiden Weltkriege, über schwere von allem, was tatsächlicher Umkehr zen: Dann nämlich legt unser Leben ideologische Belastungen unserer hindernd im Wege steht. Nach dem Zeugnis für die Wirkmacht dieses Gesellschaft, über dämonische Ein- gültigen Empfang dieses Sakraments Sakraments ab. Seit urchristlichen flüsse, die unsere Zivilisation lähmen haben wir also vor Gott kein Gegen- Zeiten sind ja lebendige Zeugen das und zersetzen. Je großherziger wir argument parat, mit dem wir uns vor Zünglein an der Waage: Alles, wo- uns neu auf dieses Sakrament ein- der Umkehr drücken könnten, sei es für es Zeugen gibt, wächst – so auch lassen, umso mehr wird diese Kraft auch nur wenigstens vor irgendeinem wieder die Beichtpraxis! freigesetzt. Mag vielleicht sein, dass kleinen Anzeichen von Umkehr. Im Jeder ehrliche und gültige Emp- diese sieghafte Kraft nur im kleinen Gegenteil: Der sühnende Christus hält fang des Bußsakraments ist objektiv Bereich wirkt; doch Sieg ist Sieg, Einzug in unser Innenleben und prägt von Segen nicht nur für uns, son- und alles Große muss klein beginnen. es – ja, er will es prägen in dem Maße, dern für die ganze Kirche inmitten Das Bußsakrament – als Umkehr- als wir es zulassen. Mit seiner Sühne der Zeitlage. Das ist die objektive sakrament aufgefasst – ist daher der am Kreuz hat Christus den Ruf zur Wirkung der Lossprechung. Aber verborgene Angelpunkt dafür, eine Umkehr, mit dem er sein öffentliches wenn ich den Sakramentsempfang kirchliche Binnenkultur zu fördern, Wirken begonnen hatte, persönlich auch persönlich auf den Aspekt der in der dann auch wieder gesunde vollkommen eingelöst, nicht für sich Umkehr ausrichte, trage ich dazu christliche Ehen und Familien, gute selbst (da er ja keiner Umkehr be- bei, dass die objektive sakramenta- Theologie, schöne sakrale Gottes- durfte), sondern in Stellvertretung für le Wirkung umso mehr freigesetzt häuser oder würdige Liturgie zum die sündige Menschheit. Die für die wird. Denn von der Umkehr her auf- Regelfall werden können. Manchmal gesamte Menschheit nötige Umkehr- gefasst, stelle ich die Verherrlichung wirken diese Zielsetzungen heute ge- kraft ist also im sühnenden Christus Gottes ins Zentrum des Sakraments- radezu utopisch. Das Sakrament der anwesend! Und daran bekommt man empfangs. Je mehr Gott verherrlicht Umkehr aber bringt das Jesajawort im Augenblick der Lossprechung wird, umso mächtiger ist der Segen, in Erfüllung, dass sogar ein Baum- Anteil. Die Kraft zur Umkehr ist im der daraus fließt – gemäß dem latei- stumpf „heiliger Same“ wird (Jes Innersten also da – aber die Entschei- nischen Wort benedictio, was sowohl 6,13). ¢ dung zu einer tatsächlichen Umkehr Lobpreis als auch Segen bedeutet. nimmt uns Gott niemals ab: Das ist Die Wirkung des Bußsakraments Vortrag vorgesehen für den die unveräußerliche Würde unseres reicht deshalb über unser eigenes Kongress „Freude am Glauben“ freien Willens, gerade auch unseres Leben weit hinaus. Als Umkehrsa- am 12. 6. 2020 in Ingolstadt im Bußsakrament von der Sündenlast neu befreiten Willens. Daher ist das 1 J. H. Newman, Lectures on the Present Position of Catholics in England, London Bußsakrament eigentlich auch das Sa- 61889, 351-352 (1851); zit. n. Mysterium der Kirche (hg. v. Internationalen Zentrum krament wahrer christlicher Mündig- der Newmanfreunde), Rom (Privatdruck; ohne Jahr), 73 keit; es befreit uns zu dieser Mündig- 2 J. H. Newman, Parochial and Plain Sermons Bd. 2, 317f. [14.12.1834]; zit. nach Mys- keit Gott gegenüber; es erneuert unser terium der Kirche, 67 durch Sünden geschwächtes Engage- 3 Vgl. L. Scheffczyk, Die Heilswirkung der Buße, in: ders., Glaube als Lebensinspiration ment für Gott. Genau das braucht die (Gesammelte Schriften [Bd. 2]), Einsiedeln 1980, 331-346 Kirche. 4 Ebd., 340 5 Ebd., 340 6 Ebd., 343 DER FELS 2/2021 41
Raymund Fobes: Die Weisheit des Alters Begegnung der Generationen während der Darstellung Jesu im Tempel Das Fest der „Darstellung des Herrn“ am 2. Februar er- innert an den Besuch der Heiligen Israels warteten“ (Lk 2, 36-38). Si- meons Worte hingegen kennen wir genau: Vor allem prophezeit er Vie- Der heilige Papst Johannes Paul II. hat in seinem Brief an die Senioren aus dem Jahr 1999 die ältere Ge- Familie im Tempel von Jerusalem les über das Leben Jesu Christi: Er neration als „Hüter des kollektiven 40 Tage nach der Geburt Jesu. Sie wird das Licht für die Heiden sein, erfüllten damit das jüdische Gesetz, einer, der die einen aufrichtet, die an- dass jeder Erstgeborene einer Fa- deren zu Fall bringt und schließlich milie Gott geweiht werden musste. wird Jesus ein Zeichen sein, dem wi- Da die Mutter nach dem jüdischen dersprochen wird. Der Gottesmutter Gesetz auch als unrein galt, musste aber wird ein Schwert durch die See- sie nach einem Tieropfer von einem le dringen. Priester für rein erklärt werden. Auch dies geschah bei diesem Besuch im Die heilige Familie hört staunend Tempel, weshalb das Fest auch bis zu und ahnt, dass da einer spricht, der zur Reform des liturgischen Kalen- über große Glaubenserfahrung ver- ders 1969 „Mariä Reinigung“ heißt. fügt. Und tatsächlich ersehnte dieser Und schließlich trägt das Fest den Simeon die Ankunft des Messias und Namen „Mariä Lichtmess“, weil die Rettung Israels sein Leben lang dem Jesuskind bei diesem Anlass und spürte nun, dass dieser Jesus der von dem weisen Simeon verheißen ersehnte Retter ist. Diese Sehnsucht wurde, es werde das Licht sein, das nach dem Messias bewegte die Men- die Heiden erleuchtet. schen Israels und Simeon setzte sich wohl damit lebenslang auseinander, Dieses Ereignis der Darstellung er verfügte über ein großes Maß an des Herrn ist ein Treffen der Gene- Lebenserfahrung. rationen: die heilige Familie mit dem kleinen Jesuskind und der wohl noch Gerade in der Tradition Israels sehr jungen Mutter Maria; über das spielte der Respekt vor der älteren Alter des heiligen Josef schweigt Generation eine wichtige Rolle. In die Heilige Schrift sich aus. Und dem „Schma Jisrael – Höre Israel“ in dann trifft die heilige Familie dort Dtn 6, einem der wichtigsten Gebe- den weisen Simeon und die 84-jäh- te des Judentums, erhalten die Väter rige Prophetin Hanna. Über Simeons den Auftrag, ihren Söhnen die grund- Alter sagt die Schrift nichts aus, die legende Glaubensaussage, dass Gott Tradition sieht ihn aber zumeist auch Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten als mindestens 60 Jahre alten Mann, befreit hat und es als Sein Volk in wohl weil er deutlich macht, nun seinen Dienst nimmt, weiterzutra- könne er beruhigt sterben, da er den gen. Die ältere Generation besitzt Messias gesehen habe. also die Weisheit, verantwortungs- voll und kompetent den Glauben an So lädt dieses Fest auch dazu ein, die Jüngeren weiterzugeben. Diese über das Miteinander und Füreinan- Kompetenz hat sie sich dadurch er- der der Generationen aus der christli- worben, dass sie die Grundlagen des chen Perspektive nachzudenken. Da- Glaubens verinnerlicht hat, je länger bei ist bemerkenswert, dass Hanna umso besser. Altersweisheit ist dann und Simeon sehr weise Worte spre- wirkliche Weisheit, wenn wir uns auf chen. Leider ist nicht überliefert, was die Fragen des Lebens ehrlich einge- Hanna genau sagte. Lukas schreibt lassen haben – und sie ist eine religi- nur, „sie pries Gott und redete von öse Weisheit, wenn sie diese Fragen ihm zu allen, die auf die Erlösung von Gott her deutet und beantwortet. 42 DER FELS 2/2021
Gedächtnisses und daher bevorzug- wirklich Krisen bewältigt haben. Im Gerade jetzt in der Corona-Zeit ist te Interpreten jener Gesamtheit von Krieg waren sie oft Grenzsituatio- es gut, auf Leute schauen zu können, gemeinsamen Idealen und Werten, nen ausgesetzt, mussten immer wie- die Schlimmeres erlebt und bewältigt die das Zusammenleben in der Ge- der damit rechnen, selbst z.B. durch haben. Der Glaube, das Vertrauen der sellschaft tragen und leiten“ (10) Bomben umzukommen. Zum ande- Kriegsgeneration kann dabei auch bezeichnet. Deshalb „sind die Se- ren waren viele auch dem Naziterror als Beleg für die Wirklichkeit Gottes nioren dazu imstande, den Jungen ausgesetzt; ein falsches Wort konnte angesehen werden. Durch ihr festes wertvolle Ratschläge und Lehren zu lebensgefährlich werden. Und doch Vertrauen haben sie bezeugt, dass erteilen.“ gab es nicht wenige, die Widerstand Gott existiert. Oft haben sie auch leisteten, indem sie gegen das Un- diesen Glauben dann sehr konkret Papst Johannes Paul II. hatte den recht des Regimes sprachen oder gelebt, durch den Besuch der heili- Zweiten Weltkrieg und das Regime auch ganz konkret jüdischen Mit- gen Messe, durch das Gebetsleben, der Nationalsozialisten miterlebt. menschen halfen. Oft taten sie dies dadurch, dass sie ihr Leben auf Gott Gerade von dieser Generation, die aus der Haltung ihres christlichen ausrichteten. So verfügen viele die- heute allmählich ausstirbt, kann die Glaubens, der ihnen auch half, Not, ser Generation über eine reiche Glau- junge Generation viel lernen, zumal Bedrängnis und Entbehrungen aus- benserfahrung. die meisten der Älteren in dieser Zeit zuhalten. Gerade hier wird auch der Wert und die Würde des Alters deutlich. In einer Gesellschaft, in der oft nur die Leistung zählt und alte Menschen häufig überflüssig oder als Last er- Gebet für die Familie scheinen, ist es nötig, gerade dies Papst Benedikt XVI. emeritus, deutlicher zu betonen – auch um dem anlässlich des V. Welttreffens der entgegenzuwirken, dass sich Betagte Familien in Valencia am 8.8.2006 selbst wertlos vorkommen und dann vielleicht sogar darüber nachdenken, O Gott, der du uns in der Heiligen um Sterbehilfe zu bitten. Familie ein vollkommenes Modell des Familienlebens geschenkt Wenn wir nun noch einmal auf hast, das im Glauben und im Ge- Simeon schauen, so beeindruckt er horsam deinem Willen gegenüber auch durch seine Offenheit für Neu- gelebt wurde, hilf uns, Vorbild des es. Anders als die Juden seiner Zeit Glaubens und der Liebe zu deinen sah er im Jesuskind den Messias. Die Geboten zu sein. Offenheit für Neues bedeutet nicht, sich mit dem Zeitgeist zu verheira- Hilf uns bei unserem Auftrag, den ten, sondern darauf zu vertrauen, dass Glauben an unsere Kinder weiter- Gott auch in neuen und vielleicht zu- zugeben. nächst fremden Ideen und Impulsen Öffne ihre Herzen, damit in ihnen wirkt. Papst Johannes Paul II. hat der Same des Glaubens wachse, in seinem Apostolischen Schreiben den sie in der Taufe empfangen zum Abschluss des Heiligen Jahres haben. 2000 „Novo Millenio ineunte“ dazu aufgerufen, auch die Stimme der Stärke den Glauben unserer Ju- jungen Generation ernst zu nehmen: gendlichen, damit sie in der „Bezeichnend ist, woran der heilige Kenntnis Jesu wachsen. Benedikt den Abt des Klosters er- Stärke die Liebe und die Treue in innert, wenn er ihn auffordert, auch allen Ehen, besonders in jenen, die jüngsten Mitglieder zu befragen: die Momente des Leidens und »Der Herr offenbart oft einem Jünge- Schwierigkeiten durchmachen. ren, was das Bessere ist“ (46). Vereint mit Josef und Maria bitten wir dich durch Jesus Christus, dei- Ein Miteinander der Generationen nen Sohn unsern Herrn. ist also wirklich hilfreich für den ge- Amen lebten Glauben, wenn es denn getra- gen ist von der Unterscheidung der Geister, die ist dann möglich, wenn Begegnung der Generationen im man offen für Gottes Willen ist. Jerusalemer Tempel: Das Jesus- Dazu gehören aber auch immer der kind, Maria und Josef sowie Han- Respekt und die Offenheit der jungen na und Simeon. Die Darstellung Generation gegenüber den Erfahrun- des Herrn, Gemälde von Remb- gen derer, die auf ein langes Leben rand van Rijn zurückblicken können. ¢ DER FELS 2/2021 43
Michael Theuerl: „Gott nahe zu sein ist mein Glück“ (Ps 73,28) Das Herz des monastischen Lebens auf dem Berg Athos E nde Oktober 2020 durfte ich den Heiligen Berg Athos besuchen. Die Legende erzählt, dass die Mut- (Visum) beantragen. Normalerweise dürfen am Tag 100 orthodoxe und 10 nicht-orthodoxe (und nur Männer) Fähre, auf der einige Autos Platz fan- den, auch für die Arbeit zur Befes- tigung der Straßen und für die Ver- tergottes mit einigen Aposteln mit zu den Mönchen einreisen – jetzt we- sorgung). Am Ufer sah ich manche dem Schiff unterwegs war. Von der gen Corona viel weniger. Man darf Klostergebäude, die verfallen wa- Schönheit dieser griechischen Halb- drei Nächte bleiben, kann von einem ren. Manches blieb Ruine; aber ich insel Chalkidiki erfreut, bat sie ihren Kloster in das nächste wandern und konnte auch bemerken, dass neues Sohn Jesus Christus, ihr dieses schöne bekommt Essen und Unterkunft un- Leben eingezogen war. Inmitten der Stück Land als Garten zu schenken. entgeltlich. Man fliegt bis Thessalo- Ruinen – oder daneben – erwuchsen Viele Einsiedler kamen dort hin; niki, dann mit dem Auto bis Oura- neue Klöster; man baute direkt in den und vor über 1000 Jahren begann nopolis, wo sich der Hafen befindet, zerfallenen Gebäuden einige Behau- man große Klöster zu bauen – viele und gelangt nur mit dem Schiff zu sungen für Mönche – ich musste an tausend Mönche lebten dort. Heute dem Haupthafen der Mönchsrepub- unsere westliche zerfallene Kirche gibt es auf der Halbinsel die Auto- lik, Dafni. denken, wo auf dem Fundament Der Berg Athos mit der orthodoxen Mönchsrepublik befindet sich auf dem östlichen Finger der Halbinsel Chalkidikí in Griechenland. nome Mönchsrepublik Athos mit 20 Eine Fähre und ein Schnellboot Christi punktuell neues geistliches Großklöstern (im Durchschnitt je 40 fahren mehrmals täglich um die Leben oder sogar Gemeinschaften bis 50 Mönche; das russische Pante- Halbinsel, die ca. 50 km lang und wachsen – während alles, was sich leimon-Kloster mit über 100 Mön- 12/15 km breit ist. An einigen Hal- der „Zeit“ anpasst, – mit der Zeit chen), vielen kleinen Klöstern und testellen besteht die Möglichkeit, geht – Ruine wird, was manche als unzähligen Einsiedeleien. ein- oder auszusteigen. So kann man ganz schön empfinden. die wunderschönen altehrwürdigen In der Hauptstadt Karyes in der Klöster am Ufer und auf den Bergen Das Leben der Mönche fasziniert Mitte der Mönchsrepublik, wo alle bewundern – Zeugen eines radikal mich: 8 Stunden Gebet, 8 Stunden Großklöster einen Abgesandten ha- auf Gott ausgerichteten Lebens. Bis Arbeit, 8 Stunden Ruhe. Man be- ben – die Regierung –, muss man lan- zum Hafen Dafni brauchten wir mit merkt einen großen Unterschied: ge vor der Pilgerfahrt eine Erlaubnis der Fähre etwa 1 ½ Stunden (eine Unterkunft, Kleidung, Essen – das 44 DER FELS 2/2021
Die Klöster der orthodoxen Mönchsre- publik auf dem Berg Athos in Griechen- land sind Teil des UNESCO-Welterbes. Esphigmenou Cape Theodoroi Chilandariou Vatopedion Zográphou Konstamonitou Pantokratoros Dochiariou Karyes Stavronikita äußerlich sichtbare Leben – ist sehr Xenofontos Koutloumousiou arm, spartanisch, armselig; aber im Aghios Panteleimon Iviron Gottesdienst und in der Kirche spürt Xiropotamou Philotheou Dafni man die Freude, die Schönheit, den Karakallou Reichtum des göttlichen Lebens. Die äußerlichen Dinge des Lebens sind Simonos Pétras Megistri Lavra für die Mönche unwichtig geworden Osiou Gregoriou – sie haben der Welt entsagt, sind der Golf Singitikós Kólpos Dionysiou Welt gestorben, weil sie bereits in Agiou Pavlou einer neuen Welt leben, der zukünf- Mt Athos tigen, ewigen, göttlichen. Ihre Ge- wänder sind alt und abgetragen, ei- Cape nen Friseur braucht man nicht; wenn Akrathos man hinter den Mönchen die Stufen Cape Pinnes Innenhof des Klosters Moni Koutloumousiou wurde der Verklärung Christi gewidmet. in die Kirche hinaufgeht, dann sieht Erbsen, immer Gemüse, sonntags se äußeren „Unannehmlichkeiten“ man die ausgetretenen, oft zu großen, Fisch, niemals Fleisch), daneben ein am Anfang einer solchen Pilgerfahrt notdürftig geflickten oder zusam- Blechtopf mit Wasser, ein Apfel oder haben in mir manchmal einen inne- mengebastelten Schuhe. Das Essen, eine Pflaume, Brot – für alle das glei- ren Widerstand hervorgerufen und das wir Gäste immer zusammen mit che. Die Unterkünfte sind entweder die Sehnsucht nach einem gemütli- den Mönchen im festlich mit Ikonen Schlafsäle oder Zimmer mit Bett und chen Leben zuhause geweckt. geschmückten Speisesaal bei feierli- Stuhl (oder nicht), alt und abgenutzt. chem Tischgebet und mit Tischlesung Ich habe gemerkt, wie man mit der Aber es ist wohl so, dass man das schweigend einnahmen, ist mehr als Zeit sehr „verwöhnt“ ist und habe alles deshalb als einschränkend und dürftig: auf jedem Platz steht schon mir – wenn ich konnte – mit meinem fremd empfindet, als Mangel, wenn in einer Blechschüssel eine fertige Bett einen Schlafplatz irgendwo auf man – verweltlicht – noch nicht den Portion Essen (weiße Bohnen oder einer Couch außerhalb gesucht. Die- inneren Reichtum der göttlichen Ge- DER FELS 2/2021 45
genwart verkostet hat. So wie wenn Mahlzeit (auch sonntags) ist gleich- Im Laufe der Gebetsstunden wird man Liebende fragen würde, ob das sam in das Gebet eingebettet, das um es in der Kirche immer heller und man nicht ein zu großes Opfer ist, mit dem 16 Uhr beginnt – um 18.30 Uhr mit bekommt eine Ahnung davon, dass anderen das Leben zu teilen. Die Ein- dem kurzen Essen unterbrochen wird Christus – die Sonne der Gerechtig- schränkungen spürt man umso mehr, – und dann in das ca. eine Stunde keit, der strahlende Morgenstern, das je weniger einem die Liebe und das dauernde Nachtgebet einmündet. Je- Licht der Welt – einmal wiederkommt Ziel vor Augen stehen – und man des Mal, wenn der Klostervorsteher und alle Dunkelheit der Welt zur hel- spürt sie weniger, je mehr man von mit Glockenzeichen die Tischlesung len Freude der Auferstehung führt. Liebe und Sinn erfüllt ist. unterbricht, wird die kurze Mahlzeit Wachen und Beten, das ganze Sein mit Gebet beendet. Alles bleibt ste- auf den wiederkommenden Herrn Die Kirche und Gottesdienste sind hen. Es ist aber offensichtlich erlaubt ausrichten – das tun die Mönche auch die Mitte des Lebens der orthodoxen – wie wir bei einigen Mönchen sehen stellvertretend für die vielen, die im Mönche auf dem Athos. Morgens um konnten –, sich einen Apfel oder ein Diesseits schon eingeschlummert 3 Uhr beginnen bei wunderschönem Stück Brot in die Tasche zu stecken. sind. Das stundenlange Beten in einer Sternenhimmel die langen Gottes- fremden Sprache führt in eine tiefere dienste. Und sie enden, wenn man um Das Herz des monastischen Lebens Dimension. Es gibt keine aktuellen 7.30 Uhr bei strahlendem Sonnen- auf dem Athos ist die intensive Chris- Überlegungen, denen man nachgehen schein aus der Kirche herauskommt. tusbeziehung, das Gebet, der Gottes- könnte, auch der im Westen so übliche Gegenüber der Kirche befindet sich dienst. Wenn man in den nächtlichen Gedanke: ‚wo komme ich hier vor, der Speisesaal – das eucharistische Gottesdienst kommt, taucht man ein wie fühle ich mich, wo kann ich mich Mahl soll seine Fortsetzung im Bru- in eine tiefgläubige Atmosphäre, ja wiederfinden, mich einbringen?‘ hat dermahl finden, die Kommunion mit in die spürbare Gegenwart Gottes. im Laufe der Stunden keine Chance dem Herrn trägt ihre Früchte in der Die feierlichen himmlischen Gesän- zu überleben. Es bleibt die schlichte Kommunion untereinander. Gemein- ge, die Gegenwart so vieler Heiliger Anwesenheit in der Größe der Gött- schaft und Einheit kann man nicht in den kostbaren, reich mit Gold ver- lichen Majestät, ein unverzwecktes ‚machen‘! Nur wo es eine gemeinsa- zierten Ikonen, die im Kerzenschein Dasein – die Freude des Geliebten me Mitte (Christus) gibt, kann auch ihre überirdische Herrlichkeit er- beim unendlich größeren Liebenden Das Kloster des Hl. Pantaleon, bekannter als Rossikon, ist ein russisch- orthodoxes Kloster eine Gemeinschaft untereinander strahlen lassen, die Mönche, die mit zu verweilen: sprachlos, staunend, be- entstehen. Das ist ja auch sonst so im ihrer Lebenshingabe bezeugen, dass schenkt. So, wie es wahrscheinlich im Leben. Gott so groß ist, dass es sich lohnt, Himmel sein wird. ihm sein ganzes Leben zu schenken, Wir Gäste haben den Mönchen ge- der reichlich verwendete Weihrauch, So wie das Beten ist, vollzieht sich dankt für ihre freundliche Einladung der die Anwesenheit Gottes in den das gesamte Leben: es ist reine An- zur Agape. Allerdings wurden wir Ikonen verehrt und auch in den Gläu- wesenheit; man muss nichts leisten, korrigiert, dass es sich nicht um ein bigen als Ikone und Abbild Gottes, sich nicht beweisen. Das Leben trägt Frühstück handelt, sondern um das das alles ist schon der Himmel auf seinen Wert in sich – man ist von Mittagessen. Niemals in meinem Le- Erden – aufgestrahlt in der noch auf- Gott geschaffen, von Christus erlöst, ben war ich bereits um 8.30 Uhr mit erlegten Begrenzung von Raum und der Hl. Geist wohnt mit seiner göttli- dem Mittagessen fertig! Die zweite Zeit. chen Liebe im Herzen. 46 DER FELS 2/2021
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