Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
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Impressum Herausgeber: Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu), Auf dem Hunnenrücken 3, 50668 Köln Konzept: Jan Walter Redaktion: Sigrid Künzel, Jan Walter, Björn Weber Gestaltungskonzept, Layout, Illustration: Irina Rasimus Kommunikation, Köln Druck: Spree Druck Berlin GmbH Gefördert durch: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages Alle Rechte vorbehalten. Köln 2020 Die Beiträge liegen inhaltlich in alleiniger Verantwortung der Autorinnen und Autoren und spiegeln nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wider. Diese Veröffentlichung wird kostenlos abgegeben und ist nicht für den Verkauf bestimmt. Diese Publikation wurde auf Recyclingpapier (100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel) und klimaneutral gedruckt (die Emissionen aus der Druckproduktion werden durch die Förderung zertifizierter Klimaschutzprojekte ausgeglichen). ISBN 978-3-88118-662-9 9 783881 186629
Inhalt CORNELIA RÖSLER Vorwort 5 JAN WALTER, BJÖRN WEBER Spielräume und Möglichkeiten für kommunale Investitionen in den Klimaschutz 6 BERTRAM FLECK Der Weg von einer strukturschwachen Region zum Energiegewinner – Wertschöpfungseffekte durch Investitionen in die Energiewende 14 JAN SCHWARZ Divestment und Re-Investment durch Kommunen: Die Zeit ist reif?! – Gesammelte Erfahrungen aus der Arbeit eines Städtenetzwerks im Klimaschutz 26 RALF GROSSE EXKURS > Nachhaltige Beschaffung und Klimaschutz: Voraussetzungen und Informationen zur Umsetzung 36 HENRIK SCHELLER Klimaschutzmaßnahmen in finanzschwachen Kommunen: Probleme, Herausforderungen und Chancen 38 JÜRGEN GÖRRES EXKURS > Stadtinternes Contracting für den Klimaschutz 46 ANDREA FISCHER-HOTZEL, ANNA-LENA DEUERLING Als Kommune in den Klimaschutz investieren: Finanzierung und Förderung von Klimaschutzprojekten 48 BJÖRN WEBER IM INTERVIEW MIT TIM BAGNER UND CARSTEN KÜHL Kommunaler Klimaschutz – Was kostet die Welt? Vom „Sich-leisten-können“ zur Investition mit „Return on Invest“ 56 Zusammenfassung und Fazit 64 Neue Impulse im kommunalen Klimaschutz: Unterstützungspaket für Einsteiger und Fortgeschrittene 70 Bildnachweis 72 3
CORNELIA RÖSLER Vorwort D as Klimaschutzabkommen von Paris, das Aktionspro- gramm und der Klimaschutzplan der Bundesregierung und das nun vorliegende Klimaschutzgesetz sind da- rauf ausgerichtet, die durch Treibhausgase verursachte Erd- erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Dafür sind auch in den Kommunen entsprechende Entscheidungen zu treffen, Kon- zepte zu entwickeln und Maßnahmen umzusetzen, die zum Klimaschutz vor Ort einen Beitrag leisten. Für die Kommunen ist dies Herausforderung und Chance zugleich. In vielen Kommunen haben erfolgreich realisierte Projekte be- reits zu beachtlichen CO2-Einsparungen geführt. Dabei zahlen sich Investitionen in den Klimaschutz gleich mehrfach aus: Sie CORNELIA RÖSLER helfen dem Klima, entlasten langfristig die kommunalen Haus- halte und erhöhen zugleich die Lebensqualität in den Städten, Leiterin des Bereichs Landkreisen und Gemeinden. In der Publikationsreihe „Themen- Umwelt im Deutschen hefte“ greift das Deutsche Institut für Urbanistik nach und nach Institut für Urbanistik (Difu) Schnittstellen des Klimaschutzes zu verschiedenen kommunalen Handlungsfeldern auf. Es werden Ziele, Aufgaben und Inhalte Seit 1991 wissenschaftliche Mit- des jeweiligen Themenbereichs aufbereitet und konkrete Erfah- arbeiterin im Difu. Koordinati- rungen aus der Praxis unterschiedlicher Kommunen und Institu- on des Arbeitsbereichs Umwelt tionen dargestellt. Denn Erfahrungen und positive Praxisbei- am Standort Berlin von 1993 spiele sollen weiteren Kommunen Mut machen, selbst die bis 2001. Wechsel zum Difu- Initiative zu ergreifen und eigene Maßnahmen zu verwirklichen. Standort Köln im Jahr 2001. Seit Die Notwendigkeit des Klimaschutzes ist inzwischen insge- 2009 Leiterin des Bereichs Um- samt in der Öffentlichkeit angekommen. Sein Erfolg in den Kom- welt. Initiierung, Durchführung munen ist jedoch auch abhängig von drei Faktoren: erstens über- und Leitung einer Vielzahl von zeugte und überzeugende Kommunalpolitik, zweitens motivierte Projekten zum kommunalen und qualifizierte Mitarbeiterschaft und drittens finanzielle Spiel- Umweltschutz. Vertreterin des räume für Zukunfts-Investitionen in den Klimaschutz. Auch Difu im Umweltausschuss, in wenn der Erhalt unserer Lebensgrundlagen letztlich „jeden Preis der Fachkommission Umwelt wert“ sein sollte, zeigt das vorliegende Heft eindrücklich, dass es und im Arbeitskreis Energiepo- Wege im Klimaschutz gibt, die sich sogar „rechnen“. litik des Deutschen Städtetages, Wir danken dem Bundesministerium für Umwelt, Natur- in den bundesweiten Umwelt- schutz und nukleare Sicherheit für die Förderung im Rahmen amtsleiterkonferenzen sowie der Nationalen Klimaschutzinitiative, ohne die dieses The- Koordinatorin und Sprecherin menheft nicht möglich gewesen wäre. Und wir danken allen der kommunalen Bank im Ak- Autorinnen und Autoren, die mit ihrem wertvollen Erfahrungs- tionsbündnis Klimaschutz der schatz einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Veröf- Bundesregierung. fentlichung geleistet haben. n 5
JAN WALTER, BJÖRN WEBER Spielräume und Möglichkeiten für kommunale Investitionen in den Klimaschutz D ie aktuelle Debatte zum Klimaschutz in vor dem Hintergrund knapper Kassen muss es in der Bevölkerung, den Kommunen sowie diesem Spannungsverhältnis gelingen, Synergien auf Landes- und Bundesebene macht die zu schaffen und die verfügbaren Finanzmittel klug Dringlichkeit des Handelns in allen Sektoren un- einzusetzen, um nicht nur den Klimaschutz, son- übersehbar. Die vielen jungen Menschen, die mit dern auch andere Bereiche, wie beispielsweise der „Fridays for Future“-Bewegung für größere Erhalt und Umbau der städtischen Infrastrukturen Anstrengungen im Klimaschutz streiken, verlei- mit zum Teil erheblichem Investitionsbedarf, zu hen dem Thema ebenfalls eine positive Dynamik. bedienen. Die Unterstützung durch die Verwal- tungsspitze und deren Bekenntnis zum Klima- schutz ist dabei von großer Bedeutung. Entschei- Herausforderungen bei der Finanzierung dungen und Beschlüsse können jedoch nur dann in kommunalen Klimaschutz wirkungsvoll umgesetzt werden, wenn sie für eine effiziente ressortübergreifende Zusammenar- Um die nationalen Klimaschutzziele zu errei- beit der Verwaltung operationalisiert werden. chen, müssen die Aktivitäten von der Bundes- über die Landes- bis hin zur kommunalen Ebene weiter verstärkt und verstetigt werden. Städten, Finanzierungsmodelle Landkreisen und Gemeinden kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, Zusätzlich zur Finanzierung durch Eigenmittel denn der kommunale Einflussbereich erstreckt können Kommunen mit Fördermitteln, Zuschüs- sich über viele öffentliche und private Klima- sen und Krediten ihre Möglichkeiten bei der Um- schutzmaßnahmen. Viele Kommunen haben sich setzung von Klimaschutzmaßnahmen erheblich eigene – zum Teil ehrgeizige – Klimaschutzziele ausweiten. Die Inanspruchnahme von Fördermit- gesetzt und führen bereits eine Vielzahl erfolgrei- teln, die nicht zurückgezahlt werden müssen, ist cher Projekte und Maßnahmen zur Energieein- für viele Kommunen besonders interessant. Die sparung und Verringerung von Treibhausgasemis- Höhe des zu erbringenden Eigenanteils ist je nach sionen durch. Aufgrund der Vorbildrolle von Förderprogramm unterschiedlich. Es hat sich ge- kommunalen Verwaltungen liegen hier große Po- zeigt, dass es für viele Kommunen ohne Förder- tenziale für den kommunalen Klimaschutz insge- mittel deutlich schwieriger wäre, Projekte umzu- samt. Das Erreichen der Klimaschutzziele ist setzen, bzw. es wird die Investitionsentscheidung zwangsläufig mit Investitionen in Maßnahmen durch die Verfügbarkeit von Fördermitteln erleich- zur Energieeinsparung und in weitere Maßnah- tert. Häufig lösen Förderungen eine Initialzün- men zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes dung für viele weitere Aktivitäten rund um den verbunden. Die angespannte Haushaltssituation Klimaschutz in Kommunen aus [1]. erschwert jedoch Investitionen in den Klima- Einige Kommunen ergänzen die eigenständige schutz in vielen Kommunen. Somit besteht eine Finanzierung durch den kommunalen Haushalt Konkurrenzsituation zwischen Investitionen in mit der Nutzung von Fördermitteln und Krediten den Klimaschutz und anderen Bereichen, in die sowie durch Contracting. Beim Energie-Contrac- ebenfalls investiert werden muss. Insbesondere ting übernimmt ein Dienstleister (der Contractor) 6
zum Beispiel die Energielieferung, die Planung waltung jedoch gleichzeitig einen Teil ihrer von Energieeffizienzmaßnahmen, den Bau und Verantwortung, ihrer Steuerungsmöglichkeit und die Inbetriebnahme von Anlagen oder den Betrieb ihres finanziellen Gewinns durch rentable Ener- der Energieanlagen. Es wird zwischen Energielie- giesparmaßnahmen ab. fer- und -einspar-Contracting unterschieden. Beim Intracting ist eine Sonderform der Finanzie- Energieliefer-Contracting wird der Contractor mit rung von Energieeffizienzmaßnahmen aus eige- der Planung, Errichtung, Finanzierung sowie dem nen Haushaltsmitteln. Sie bietet durch ver- Betrieb und der Instandhaltung der Anlage be- waltungsinternes Contracting die Möglichkeit, traut. In diesen Fällen sind Energieversorger häu- Maßnahmen umzusetzen, ohne dabei auf externe fig Contractingpartner. Beim Einspar-Contracting Partner angewiesen zu sein. Dieses Modell wird obliegt es dem Contractor, die Gebäudetechnik häufig bei der Modernisierung kommunaler Lie- und den Betrieb der Anlagen zu optimieren, also genschaften eingesetzt. Mit den dadurch entste- den Verbrauch zu senken und die Effizienz zu henden Kosteneinsparungen können die Investiti- steigern. Ziel ist es, notwendige Investitionen aus onen verwaltungsintern refinanziert werden [2]. den Kosteneinsparungen durch reduzierten Ener- Häufig ist es sinnvoll, unterschiedliche Finan- gieverbrauch zu finanzieren. Der Contractor ga- zierungsarten miteinander zu kombinieren. So rantiert vertraglich eine Reduktion der Energie- können durch Kombination von klassischen In- kosten über eine gewisse Laufzeit. strumenten, wie dem Intracting, Contracting oder Die Vorteile dieses Finanzierungsmodells lie- Anreizmodellen, zum Beispiel mit Krediten und gen in einem reduzierten Anteil der kommunalen Investitionen einer Bürgergenossenschaft weitere Eigenmittel und in der Einbindung externen Wis- Möglichkeiten der Finanzierung geschaffen wer- sens sowie der Übertragung des Arbeitsaufwands den, die es Kommunen erleichtern, Klimaschutz- auf den Contractor. Damit gibt die Kommunalver- maßnahmen umzusetzen. 7
KLIM A SC HUTZ & FINA NZEN tungen, welche die baulichen Maßnahmen um- setzen, bis hin zu den Wartungsarbeiten. Im Er- gebnis entsteht so regionale Wertschöpfung. Entscheidend für die Höhe der Wertschöpfung ist, wie stark zum Beispiel die Sanierungsaktivitä- ten sind und wie viele der beteiligten Wirtschafts- akteure aus der Region stammen. Je höher beide Werte, desto höher fällt auch die regionale Wert- schöpfung aus. Die Wertschöpfung vor Ort setzt sich aus Un- ternehmensgewinnen, Beschäftigteneinkommen und kommunalen Steuereinnahmen zusammen. Dabei spielen neben der direkten Wertschöpfung auch sogenannte Zweit- und Drittrundeneffekte eine Rolle. Werden beispielsweise über die An- siedlung von Windenergieanlagen höhere Steu- ereinnahmen generiert, kann mit diesen zusätzli- Wertschöpfung durch Investition in chen Einnahmen zum Beispiel ein Fördertopf für erneuerbare Energien, Energieeffizienz Bürgerinnen und Bürger, die sich an ein neues und Energieeinsparung erneuerbar betriebenes Nahwärmenetz anschlie- ßen lassen, eingerichtet werden. Damit können Nicht nur, dass Klimaschutz kurz- wie langfristige diese sich rechnerisch zum Nulltarif anschließen. positive finanzielle Effekte für durchführende Ak- So geschehen in den Gemeinden Neuerkirch und teure zeitigen kann: Ganz zentral ist die Überle- Külz und beschrieben im Themenheft „Klima- gung, dass immer dann, wenn Finanzmittel vor schutz & erneuerbare Wärme“ [3]. Auch die Ort reinvestiert werden, diese auch zusätzliche durch den Umstieg von Ölheizung auf EE- Wertschöpfung vor Ort erzeugen und damit die Nahwärmenetz mittel- und langfristig eingespar- Wirtschaftskraft lokal stärken. Durch Energieein- ten Finanzmittel stehen wiederum den Bürgerin- sparung, Energieeffizienz und die Nutzung er- nen und Bürgern vor Ort für andere Ausgaben neuerbarer Energien können Finanzmittel, die bzw. Investitionen zur Verfügung. Der Rhein- die Region verlassen, verringert und solche, die Hunsrück-Kreis und seine Gemeinden – Neuer- in der Kommune und der Region verbleiben, er- kirch-Külz ist hier nur ein Beispiel – zeigen auf, höht werden. Je höher das Aufkommen an öl- welche enormen Potenziale Klimaschutz und oder gasbetriebenen Feuerungsanlagen in einer Energiewende speziell für den ländlichen Raum Kommune beispielsweise ist, desto höher ist auch bereithalten. Der Beitrag auf S. 14 in diesem das Finanzvolumen, welches für den Öl- und Gas- Band zeigt dies ausführlich anhand des genann- einkauf aufgebracht wird und nicht mehr für an- ten Landkreises und zeichnet auch die Höhe der derweitige Ausgaben regionaler Akteure zur Ver- regionalen Wertschöpfungseffekte dort auf. Um fügung steht. es ganz anschaulich werden zu lassen, sei auf die Am Beispiel der Gebäudeenergieeffizienz Geschichte vom Bürgermeister der kleinen Ge- lässt sich dies veranschaulichen. So können meinde Mörsdorf im Rhein-Hunsrück-Kreis hin- durch Maßnahmen wie die Gebäudedämmung gewiesen. Sein Traum von einer Hängeseilbrücke und der Umbau der Wärmeversorgung von fossi- konnte durch Einnahmen aus der Windkraftpacht ler Feuerung auf erneuerbare Energien nicht nur realisiert werden. Die ursprünglich sehr arme Geld und klimaschädliche Treibhausgase einge- Gemeinde verzeichnete seitdem immer stärker spart werden. Die Investitionen der Gebäudeei- wachsende Touristenzahlen. Der damit einherge- gentümerinnen und -eigentümer lösen auch fi- hende wirtschaftliche Aufschwung wirkte der bis nanzielle Umsätze aus, an denen in aller Regel dato festzustellenden negativen demographi- lokale Wirtschaftsakteure beteiligt sind: von der schen Entwicklung vor Ort entgegen [4]. fachgerechten Planung über die Handwerksleis- 8
Einleitung desregierung bei anderen EU-Mitgliedstaaten Wertschöpfung – Beispiel Photovoltaik überschüssige Nicht-ETS-Emissionsrechte kau- (PV): fen. So entstehen Kosten für unterlassenen Klima- schutz, den am Ende die Steuerzahler aufwenden Auch wenn Module, Wechselrichter und Ka- müssen. bel nicht lokal oder regional produziert wer- Um die Klimaschutzziele 2030 zu erreichen, den, so stammen doch die Solarteurbetriebe, muss Deutschland seine Treibhausgasemissionen welche eine Anlage aufbauen, in der Regel in den nicht vom EU-Emissionshandel (ETS) er- aus der Region. Während nun die Module fassten Sektoren um 38 % gegenüber 2005 re- seit mittlerweile 20 Jahren und weiter fortlau- duzieren. In der EU-Verordnung von 2018 ist fend immer günstiger werden, ist der Kosten- das Emissionsbudget im Nicht-ETS-Bereich für anteil, der für Installation und Anschluss der Deutschland für das Jahr 2030 auf 296 Millionen Anlage aufgebracht werden muss, seitdem Tonnen CO2-Äquivalente (Mio. t CO2äq.) festge- kaum gesunken. Die enorme Kostendegres- legt. Zum Vergleich: Im Jahre 2017 lag dieser sion bei den Modulen, nicht aber der Instal- Wert bei 465 Mio. t CO2äq. Nun gibt es verschie- lation, macht beispielhaft deutlich, dass der dene Szenarien der Emissionsentwicklung bis Anteil der regionalen Wertschöpfung im Ver- 2030. Aus Berechnungen der Agora Energiewen- hältnis zu den abfließenden Mitteln bezogen de zeichnet sich jedoch eine Verfehlung der Ziele auf die installierte Leistung über die Jahre ab. Es wird davon ausgegangen, dass bei einer massiv gestiegen ist. Überdies sind die inzwi- jährlichen Einsparung von 4,5 Mio. t im Jahr schen sehr preiswerten erneuerbaren Ener- 2030 immer noch rund 400 Mio. t CO2äq. in gien mit weiter sinkenden Technologiekosten, den Nicht-ETS erfassten Sektoren emittiert also PV und Wind, bereits heute nicht nur, werden. Je nach Höhe des anzusetzenden was die Wertschöpfung, sondern auch, was CO2-Preises (z. B. 50 bis 100 € pro t) ist daher die Stromgestehungskosten angeht, günstiger von einem Kostenrisiko durch den Zukauf von als neu installierte fossile Kraftwerke. Emissionsrechten anderer EU-Staaten über die Jahre in Höhe von 30 bis 60 Mrd. € im Zeitraum bis 2030 auszugehen [5]. Zusätzlich zu diesen direkten Kosten, müssen auch indirekte finanzielle Belastungen berück- Kosten des Nicht-Handelns sichtigt werden. Die vergangenen Jahre haben die Verletzlichkeit unseres Systems durch Extrem- Die EU-Mitgliedstaaten müssen jährlich ihre je- ereignisse wie Starkregen und Dürren einmal weiligen Treibhausgasemissionen berichten und mehr deutlich gemacht. Viele Kommunen stehen regelmäßig umgesetzte und geplante Maßnah- zunehmend vor der Aufgabe, Risiken und Folge- men und Strategien zur weiteren Reduzierung kosten extremer Wettereignisse sowie durch ste- der Emissionen vorstellen. Überschreitet ein Mit- tige Klimaänderungen zu quantifizieren und in gliedstaat das ihm zugewiesene Emissionsbudget ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Neben eines Jahres, wird dieser Restbetrag zuzüglich den unmittelbaren Kosten, die durch die Behe- eines Faktors dem Budget des darauffolgenden bung von Schäden – zum Beispiel durch Überflu- Jahres aufaddiert. Die Einhaltung der Verpflich- tungen oder Stürme – entstehen, sind indirekte tungen auf europäischer Ebene und die Fort- Kosten, beispielsweise für das Gesundheitssys- schritte der einzelnen Mitgliedstaaten werden tem durch steigende Hitzebelastungen, deutlich durch die Kommission überprüft und bewertet. schwieriger zu beziffern. Darüber hinaus sind Reichen die Fortschritte auch nach Umsetzung weitere ökonomische Effekte – etwa durch Ernte- sofortiger Abhilfemaßnahmen nicht aus, kann ausfälle infolge vermehrt auftretender Dürren ein Vertragsverletzungsverfahren mit möglichen oder durch Umsatzeinbußen der lokalen Wirt- Sanktionszahlungen durch die EU-Kommission schaft, die Auswirkungen auf die kommunalen eingeleitet werden. Im Falle des Überschreitens Haushalte haben – häufig komplex und schwie- der jährlichen Emissionsbudgets muss die Bun- rig zu überblicken. Dies unterstreicht die Erfor- 9
KLIM A SC HUTZ & FINA NZEN figer verwendet als sein Vorgänger, da es kosten- günstiger und ökologischer ist. Genau dadurch werden aber eben nicht die vollen Effizienzpo- tenziale ausgeschöpft. Als indirekter Rebound wird der Effekt bezeichnet, wenn die an einer Stelle durch Effizienzgewinne eingesparten Fi- nanzmittel an anderer Stelle durch neuen zusätz- lichen Konsum verausgabt werden. So kann sich etwa die Anschaffung einer neuen energieeffizi- enten Kühl-Gefrier-Kombi mit der Energieeffizi- enzklasse A+++ oder eine durchgeführte Keller- deckendämmung bereits nach wenigen Jahren amortisieren. Werden die in den Folgejahren frei werdenden Mittel beispielsweise in eine zusätzli- che Urlaubsflugreise gesteckt, ist ein indirekter Rebound-Effekt zu konstatieren. Ist der Rebound- Effekt größer als 100 %, so spricht man von Back- derlichkeit des Handelns. Dabei sollten beide Maß- fire. In der Europäischen Union hat beispielswei- nahmenkomplexe mit hoher Priorität adressiert se die Einführung von Flachbildfernsehern, mit werden: Maßnahmen zum Klimaschutz, um der einem gegenüber alten Röhrenfernsehern deut- Ursache klimatischer Veränderungen zu begegnen, lich geringeren Energieverbrauch pro Quadrat- und Maßnahmen zur Klimaanpassung, um den be- zentimeter Bildschirmfläche, zu einer deutlichen reits unabwendbaren Änderungen zu begegnen. Es Zunahme des absoluten Strombedarfs durch muss davon ausgegangen werden, dass die Kosten Fernsehgeräte geführt. Hintergrund: Es kamen so- einer sich weiter verstärkenden ungebremsten an- wohl mengenmäßig mehr, aber vor allem auch thropogenen Klimaveränderung – auch weit über immer größere Fernseher auf den Markt und in den finanziell bezifferbaren Bereich hinaus – mit- die Haushalte, so dass der Energieverbrauch trotz tel- bis langfristig erheblich wären. der erhöhten Effizienz nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Eine Reduzierung oder Abfederung des Re- Risiko durch Rebound-Effekte bound-Effekts kann zum Beispiel dadurch ge- schehen, dass ordnungsrechtliche Vorgaben von Effizienzsteigerungen senken meist auch die Kos- vornherein so anspruchsvoll formuliert werden, ten für Produkte und Dienstleistungen. Wenn dass trotz prognostizierter Rebound-Effekte die dies zu verändertem Nutzerverhalten führt, also angestrebte Verringerung des Energieverbrauchs zu einer stärkeren Nutzung, können die ur- eintritt. Stark abmildern oder verhindern lässt sprünglichen Einsparungen zu einem Teil wieder sich der Rebound, wenn Kostensenkungen durch aufgehoben werden. Dieser Effekt wird Rebound Effizienzgewinne über erhöhte Abgaben auf den genannt [6]. Er ist so bedeutsam, dass er zwin- Umweltverbrauch ausgeglichen werden. Auch gend bei allen Klimaschutzbemühungen, die sich die Festlegung absoluter Obergrenzen für den auf Effizienzsteigerungen beziehen, bedacht wer- Verbrauch einer Ressource, wie es etwa bei den muss, um angestrebte Ziele auch tatsächlich Fischfang-Quoten geschieht, wäre denkbar. Mit zu erreichen. der Bepreisung nicht des direkten Verbrauchs, Von direktem Rebound spricht man, wenn sondern von Emissionen – wie beim EU-Treib- beispielsweise die Einführung von LED-Beleuch- hausgas-Emissionshandel und bei der nationalen tung dazu führt, dass die Beleuchtung häufiger, in Vorbereitung befindlichen Treibhausgas-Be- länger als notwendig, genutzt oder auch mehr preisung – können Rebound-Effekte abgemildert Leuchtmittel verbaut werden. Der Effekt kann so- werden [7]. wohl psychologisch als auch ökonomisch erklärt Solche Instrumente sollten auf nationaler und werden. Ein energiesparendes Produkt wird häu- EU-Ebene ansetzen. Dennoch kann als eines der 10
Einleitung leitenden Prinzipien der Energiewende und der auf der „grünen Wiese“ baut und damit den Flä- Klimaschutzbemühungen auch im kommunalen chenverbrauch reduziert, wenn sie beim Einkauf Kontext die Entwicklung einer Kultur nicht nur auf langlebige Produkte statt auf günstige Pro- der Effizienz, sondern auch der Einsparung und dukte mit „geplanter Obsoleszenz“ setzt, wenn der Suffizienz, entwickelt werden. Suffizienz sie für die eigene Mitarbeiterschaft Dienstfahr- steht für die Kultivierung eines genügsamen Le- räder anschafft, um Autofahrten zu reduzieren, bensstils, für die Frage, was für ein „gutes Leben“ oder bürgerschaftliche Initiativen für „nutzen notwendig ist und welche heutigen nicht-nach- statt besitzen“ fördert, kann sie einem suffiziente- haltigen, also nicht dauerhaft durchhaltbaren rem Lebensstil Vorschub leisten. Auch die klassi- Konsummuster und Lebensstile, einem guten Le- sche nutzerbasierte Energieeinsparung beim ben für alle – damit in allererster Linie für ein Energiemanagement ist eine Suffizienzstrategie. gutes Leben für die heute jüngeren Generationen In Frankreich hat die Stadt Grenoble 2015 sämtli- – entgegenstehen. Eine offene Frage und Gegen- che Werbung im öffentlichen Raum verboten, um stand zahlreicher Debatten ist, welche Stell- gezielt gegen Konsum und Verschwendung vor- schrauben im wirtschaftlichen Leben angepasst zugehen [8]; [9], und auch in Berlin gibt es eine werden können oder müssen, um eine Wirt- Bürgerinitiative, die sich für ein Werbeverbot schaftsweise, welche die planetaren Grenzen bzw. eine starke Einschränkung von Werbung im achtet und ein gutes Leben für alle ermöglicht, zu öffentlichen Raum einsetzt [10]. Als internationa- entwickeln. Dabei lässt sich das Thema Suffizi- les Vorbild für eine langfristige Suffizienzstrategie enz auch ganz kleinteilig und angewandt be- gilt die sogenannte 2000-Watt-Gesellschaft der trachten. Wenn eine Kommune im Bestand statt Stadt Zürich in der Schweiz [11]. 11
KLIM A SC HUTZ & FINA NZEN Definition von Suffizienz Zitiert aus dem KommunalWiki der Böll-Stif- tung [12]. „Der Begriff Suffizienz (von lat. sufficere, dt. ausreichen) steht in der Ökologie für das Bemü- Tipps zum Weiterlesen zu kommunaler Suffizienz: hen um einen möglichst geringen Rohstoff- und • Schneidewind, Uwe, und Angelika Zahrnt, Da- Energieverbrauch. In der praktischen Nachhal- mit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven tigkeitsdiskussion wird „Suffizienz“ komple- einer Suffizienzpolitik, München 2013 [13] mentär (ergänzend) zu „Ökoeffizienz“ und • BUND (Hrsg.), Kommunale Suffizienzpolitik. „Konsistenz“ gesehen. Der Begriff wird im Sin- Strategische Perspektiven für Städte, Länder ne der Frage nach dem rechten Maß sowohl in und Bund. Kurzstudie des Wuppertal Instituts Bezug auf Selbstbegrenzung, Konsumverzicht für Klima, Umwelt, Energie, Berlin 2016 [14] oder sogar Askese, aber auch Entschleunigung • Leuser, Leon, und Lars-Arvid Brischke (ifeu), und dem Abwerfen von Ballast gebraucht. In Suffizienz im kommunalen Klimaschutz. In: jedem Fall geht es um Verhaltensänderungen Knoblauch, D., und J. Rupp (Hrsg.), Klima- (insbesondere) als Mittel des Umweltschutzes schutz kommunal umsetzen. Wie Klimahan- – im Unterschied zu technischen Umwelt- deln in Städten und Gemeinden gelingen schutzstrategien wie eine gesteigerte Energie- kann, München 2017 [15] und Ressourceneffizienz oder dem vermehrten • Postwachstumsblog-Eintrag „Suffizienzpolitik Einsatz regenerativer Ressourcen (Konsistenz).“ – Kommunen machen sich auf den Weg“ [16] Quellenangaben [1] Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.), Klimaschutz trotz [6] s. a. UBA, Rebound-Effekte, 2019. Online unter: knapper Kassen – Ein Handbuch für die Kommunalverwal- www.umweltbundesamt.de/themen/abfall-ressourcen/ tung, Dessau-Roßlau 2013. Online unter: www.adelphi.de/ oekonomische-rechtliche-aspekte-der/rebound-effekte, de/system/files/mediathek/bilder/handbuch_klimaschutz- zuletzt abgerufen am 06.04.2020 trotz-knapper-kassen_online-version_1.pdf, zuletzt [7] s. a. UBA, ebenda abgerufen am 15.04.2020 [8] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. [2] Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der (BUND), Bitte keine Reklame! Grenoble schafft als erste Universität zu Köln (FiFo), Klimaschutz trotz knapper Stadt Europas Werbung im öffentlichen Raum ab, 2015. Kassen? Eine empirische Untersuchung zu Finanzierungs- Online unter: www.bund.net/themen/aktuelles/detail- modellen für Klimaschutzaktivitäten in Städten und aktuelles/news/bitte-keine-reklame-grenoble-schafft-als- Gemeinden, Bearb. Diekmann, Laura-Christin, Anna Jung erste-stadt-europas-werbung-im-oeffentlichen-raum-ab/, und Anna Rauch, FiFo Discussion Paper No. 14-1, Köln zuletzt abgerufen am 08.04.2020 2014. Online unter: www.fifo-koeln.org/ images/stories/ [9] Frankfurter Allgemeine Zeitung – FAZ.NET, Grenoble: fifo%20dp_14-01.pdf, zuletzt abgerufen am 21.04.2020. Bäume statt Werbetafeln, 2014. Online unter: www.faz. [3] Wichter, Volker, Anne Fitzgerald und Marc Meurer, net/aktuell/gesellschaft/grenobles-buergermeister-ersetzt- Klimaschutz im Hunsrück – die Entstehung des Nahwärme- werbung-durch-baeume-13285749.html, zuletzt abgeru- verbundes Neuerkirch-Külz. In: Difu (Hrsg.), Bearb. Jan fen am 08.04.2020 Walter, Themenheft Klimaschutz & erneuerbare Wärme, [10] Berlin Werbefrei, Volksentscheid Berlin Werbefrei, Köln 2017. Online unter: difu.de/11215 o. J. Online unter: https://berlin-werbefrei.de/, zuletzt [4] Zur Geschichte der Brücke s. a.: abgerufen am 08.04.2020 www.geierlay.de/haengeseilbruecke/brueckenbau, [11] Stadt Zürich, Gesundheits- und Umweltdepartement, zuletzt abgerufen am 24.05.2020. 2000-Watt-Gesellschaft, o.J. Online unter: www.stadt- [5] Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Die Kosten zuerich.ch/gud/de/index/umwelt_energie/ 2000-watt- von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshaushalt. gesellschaft.html, zuletzt abgerufen am 21.04.2020 Die Klimaschutzverpflichtungen Deutschlands bei Verkehr, [12] Heinrich-Böll-Stiftung e. V., KommunalWiki: Suffizienz, Gebäuden und Landwirtschaft nach der EU-Effort-Sharing- o.J. Online unter: http://kommunalwiki.boell.de/index. Entscheidung und der EU-Climate-Action-Verordnung, php/Suffizienz, zuletzt abgerufen am 08.04.2020 Berlin 2018. Online unter: www.agora-energiewende.de/ [13] Schneidewind, Uwe, und Angelika Zahrnt, fileadmin2/Projekte/2018/Non-ETS/142_Nicht-ETS-Papier_ Damit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven einer WEB.pdf, zuletzt abgerufen am 16.04.2020 Suffizienzpolitik, München 2013. Leseprobe unter: 12
Einleitung www.oekom.de/buch/damit-gutes-leben-einfacher-wird- Klimahandeln in Städten und Gemeinden gelingen kann, 9783865814418?p=1 München 2017. Online unter: www.ifeu.de/wp-content/ [14] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. uploads/Leuser_Brischke_Suffizienz-KommunalerKlima- (BUND (Hrsg.), Kommunale Suffizienzpolitik. Strategische schutz_Buchbeitrag12_2017.pdf, zuletzt abgerufen am Perspektiven für Städte, Länder und Bund. Kurzstudie des 18.04.2020 Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Berlin [16] Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), 2016. Online unter: www.bund.net/fileadmin/user_up- Blog Postwachstum, Eintrag von Leon Leuser: load_bund/publikationen/nachhaltigkeit/nachhaltigkeit_suf- Suffizienzpolitik – Kommunen machen sich fizienz_studie.pdf, zuletzt abgerufen am 08.04.2020 auf den Weg, 2015. Online unter: [15] Leuser, Leon, und Lars-Arvid Brischke (ifeu), Suffizienz www.postwachstum.de/suffizienzpolitik- im kommunalen Klimaschutz. In: Knoblauch, D., und J. kommunen-machen-sich-auf-den-weg-20151111, Rupp (Hrsg.), Klimaschutz kommunal umsetzen. Wie zuletzt abgerufen am 08.04.2020 JAN WALTER BJÖRN WEBER Wissenschaftlicher Teamleiter Bereich Umwelt, Mitarbeiter, Deutsches Institut Deutsches Institut für für Urbanistik (Difu) Urbanistik (Difu) Seit 2012 im Bereich Umwelt, Team Seit 2016 wissenschaftlicher Mitar- Umwelt- und Klimaschutz, Standort beiter im Bereich Umwelt am Köln. Arbeitsschwerpunkte: Energie, Standort Köln. Studium der Geo- Klimaschutz, nachhaltige Mobilität. graphie in Göttingen und Los Ange- U. a. Leitung von Projekten, les. Seit Mai 2018 Leiter des Teams Konzeption/fachliche Betreuung Umwelt- und Klimaschutz. Die von Publikationen, Entwicklung von Schwerpunkte seiner Arbeit liegen Umfragen, Online-Werkzeugen und in den Themenfeldern Klimaschutz Fachveranstaltungen, Moderation. und Energieeffizienz, umweltbezo- Zuvor am Institut für Energie- gener Gesundheitsschutz sowie und Umweltforschung Heidelberg, Anpassung an den Klimawandel in Fachbereich Energie. Studium zum Städten. Vor seiner Tätigkeit am Dipl.-Geograph (Universität Heidel- Difu war er Leiter des Ressorts Städ- berg), Interdisziplinärer Ergänzungs- tebau und Regionalentwicklung in studiengang Umweltwissenschaf- einem Planungs- und Beratungsun- ten. Weiterbildung zum Koordinator ternehmen und als wissenschaftli- erneuerbare Energien und Ener- cher Mitarbeiter am Climate Ser- giemanagement (Gesellschaft für vice Center Germany tätig. Nachhaltige Entwicklung). 13
BERTRAM FLECK Der Weg von einer strukturschwachen Region zum Energiegewinner – Wertschöpfungseffekte durch Investitionen in die Energiewende K limaschutz, erneuerbare Energien (EE) und Kreises liegt nur bei rund 20 % des Landesdurch- regionale Wertschöpfung gehören zusam- schnitts, und die Gemeinden haben in Summe men, denn sie bilden eine Einheit. Wenn 84 Mio. € Rücklagen, die sie für Zukunftsprojekte Kreise und Kommunen ihre Schlüsselrolle und Auf- einsetzen können. Die jährliche regionale Wert- gabe als geborene und strategische Partner von schöpfung aus der Installation der Erneuerbaren be- Bund und Ländern beim Ausbau der erneuerbaren trägt dank der guten Kooperation und eines wun- Energien wahrnehmen, entstehen Erfolgsgeschich- derbaren Netzwerkes aus Kreis, Kommunen, ten für ganze Landstriche und Regionen. Dass dies Genossenschaften, Privaten, Landwirten und Ge- grundsätzlich und überall in Deutschland ohne werbe ca. 44 Mio. €. Auf die Erneuerbaren zu set- großen Personaleinsatz und riesige Finanzmittel zen, bedeutete hier vor Ort, ein Wirtschaftsförde- möglich ist, eröffnet gerade in strukturschwachen rungsprogramm anzustoßen, das über einen ländlichen Räumen neben der Eindämmung der Zeitraum von 20 Jahren seinesgleichen sucht. Ne- Klimakrise ganz neue Chancen für die Regionalent- ben den laufenden Einnahmen aus der Energiepro- wicklung. Leider betrachtet trotzdem eine große duktion bestand der einmalige regionale Anteil am Anzahl von Kommunalverwaltungen dieses Thema Auftragsvolumen für die Errichtung der EE-Anlagen jenseits der sogenannten Pflichtaufgaben formal als über die vergangenen zwei Jahrzehnte 106 Mio. €, „freiwillige Aufgabe“ und sieht deshalb keinen oder der vor allem dem Handwerk zugutekam. Wo Mitte wenige Ansatzpunkte für ein Tätigwerden. Im Fol- des 19. Jahrhunderts tausende EW noch wegen der genden soll anhand des Beispiels des in Rheinland- Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit nach Brasilien Pfalz gelegenen Rhein-Hunsrück-Kreises (rund auswandern mussten, gibt es inzwischen zahlrei- 102.000 Einwohnerinnen und Einwohner (EW), che Gemeinden ohne Leerstände und keine freien verteilt auf 127 Gemeinden und Kleinstädte, 75 % Bauplätze mehr. In Städte ausgewanderte Einheimi- davon unter 500 EW) gezeigt werden, wie ab dem sche kehren sogar teils zurück. Tausende Besuche- Ende der neunziger Jahre Schritt für Schritt mit einer rinnen und Besucher aus über 50 Nationen – neu- nachhaltigen strategischen Ausrichtung, einem Kli- lich aus Fukushima in Japan – haben sich vor Ort maschutzkonzept und einem agilen Klimaschutz- schon umgeschaut, um Anregungen für Aktivitäten management nebst vielen Kooperationspartnern in ihrer Heimatregion mitzunehmen. Und genau so eine Erfolgsgeschichte für die Wohlstandsentwick- haben wir es selbst in vielen Gegenden Deutsch- lung der Region begann. lands gemacht: Mit Delegationen bestehende Pro- Damals gab es noch keine nennenswerte Pro- jekte besichtigen und davon lernen. Landrat, Klima- duktion erneuerbarer Energien, die Region gab ca. schutzmanager und einige Ortsbürgermeister sind 290 Mio. € für den Energieeinkauf (Strom, Wärme, längst gefragte Referenten im In- und Ausland und Verkehr) aus und hatte mit ökonomischen Schwä- geben ihre Erfahrungen gerne weiter. chen zu kämpfen. Heute produziert die Region mit Die Agentur für Erneuerbare Energien e. V. (AEE) ca. 1,3 Mrd. Kilowattstunden (kWh) Strom aus er- in Berlin hat neulich in einem Pressegespräch ange- neuerbaren Energien das Dreifache des eigenen regt, die Folgen des Kohleausstiegs und den er- Stromverbrauchs. Die öffentliche Verschuldung des zwungenen Strukturwandel in der Lausitz, im Mit- 14
Energiegewinner Rhein-Hunsrück-Kreis teldeutschen und Rheinischen Revier gerade auch von den Kohlesubventionen, Begünstigungen des im Hinblick auf das große Potenzial des Ausbaus Flugverkehrs über das Dieselprivileg bis zur Ent- von erneuerbaren Energien und damit einherge- fernungspauschale allein im Jahr 2012 auf sagen- hender Arbeitsplätze zu überprüfen und gelungene hafte 57 Mrd. € [4]. Diese Zahlen werden ebenso Transformationen von fossilen auf erneuerbare ausgeblendet wie die enormen regionalen Wert- Energiequellen als Vorbilder für diese Regionen zu schöpfungs- und Beschäftigungseffekte durch den nehmen. Bereits 2016 sollen in Brandenburg, Sach- Ausbau der erneuerbaren Energien. sen und Nordrhein-Westfalen mehr Menschen bei Nach einer Studie des Instituts für ökologische den Erneuerbaren beschäftigt gewesen sein als im Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin belief sich Bergbau und in Kohlekraftwerken zusammen [1]. dieser Wert schon im Jahre 2012 bundesweit auf rd. Das zeigt schon heute das enorme wirtschaftliche 17 Mrd. €, mit den indirekten Effekten aus den Vor- Potenzial von erneuerbaren Energien. leistungen anderer Wirtschaftszweige auf bis zu 25 Wenn auch seit der Europawahl im Mai 2019 Mrd. € [5]. Nach Angabe der Agentur für Erneuer- und verstärkt durch die Fridays for Future-Bewe- bare Energien waren im Jahre 2016 rd. 50 % der gung das Thema Klimaschutz mehr in den Mittel- insgesamt 690.000 Arbeitsplätze in der Energie- punkt der Berichterstattung auch führender Tages- wirtschaft auf Erneuerbare zurückzuführen [6]. zeitungen geraten ist, gibt es aber oft negative Während diese Tendenz steigend ist, verzeichnen Schlagzeilen: sei es zu Konfliktpotenzial durch die die konventionellen Energien weiter Rückgänge. Veränderung der Landschaft oder zu nachteiligen wirtschaftlichen Folgen bei den Zuschlägen zur Stromrechnung durch die EEG-Umlage nach dem Wertschöpfungskette erneuerbare Energien Erneuerbare-Energien-Gesetz mit circa 220 € pro Haushalt und Jahr. Dabei wäre es doch einmal ein Besonders interessant ist, dass die Wertschöpfung wirklich interessanter Ausgangspunkt, jenseits der nicht nur an wenigen Standorten stattfindet, sondern 220 € pro Haushalt und Jahr die wirklich belasten- dezentral und verteilt über das ganze Land. Damit de Steigerung der Energiekosten eines Privathaus- bietet die Energiewende gerade für den ländlichen haltes mit vier Personen zwischen 1992 und 2018 Raum mit den für die dezentrale Energieerzeugung zu beleuchten: Für den Bezug von Heizöl, Strom erforderlichen und vorhandenen Flächen neue und Kraftstoffen muss dieser Haushalt nämlich ca. Chancen und Zukunftsperspektiven. Umfangreiche 5.800 €, und damit rund 3.300 € mehr als 1992, Möglichkeiten vor Ort lassen lokale Wertschöpfung zahlen (+ 234 %, im gleichen Zeitraum Steigerung generieren, statt nur Kosten für Importenergie aufzu- der Lebenshaltungskosten um nur ca. 51 % [2]). wenden. Bundesweit betrugen die Importkosten für Diese Ausführungen zu den Ursachen dieser enor- Energie im Jahre 2012 etwa 92,7 Mrd. €, für Rhein- men Steigerung und der Möglichkeit, durch eige- land-Pfalz ca. 4 bis 6 Mrd. €, für den Rhein-Huns- ne Energieerzeugung den Kostensteigerungen ent- rück-Kreis mit 102.000 EW und wenig Industrie gegenzuwirken, fehlen in der Berichterstattung nach Berechnungen des Institutes für angewandtes häufig. Der Gestehungspreis von Strom hat einen Stoffstrommanagement (IfaS, Prof. Heck) des Um- sensationell niedrigen Stand durch die Produktion welt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier im- über die Erneuerbaren erreicht. Der hohe Endpreis merhin noch 290 Mio. € jährlich für Strom, Wärme für Verbraucherinnen und Verbraucher entsteht und Kraftstoffe. Ein Dorf mit 500 Einwohnerinnen durch Steuern und Abgaben, deren Verteilung zu- und Einwohnern trägt durchschnittlich noch etwa ungunsten der privaten Haushalte politisch festge- 1,2 Mio. € Energieimportkosten jährlich. legt wurde. Übrigens wurden Braun- und Stein- Dabei ist die Frage, ob diese enormen Geldab- kohle sowie die Atomenergie von 1970 bis 2010 flüsse in Wirtschaftskreisläufe meist außerhalb der mit knapp 550 Mrd. € direkt aus Bundesmitteln Bundesrepublik heute noch zielführend sind. Im unterstützt und gefördert – ohne dass es durch Rhein-Hunsrück-Kreis haben wir uns schon 1999 eine größere Öffentlichkeit damals und heute überlegt, welche Handlungsfelder wir gemeinsam wahrgenommen worden wäre [3]. Das Umwelt- entwickeln können, um durch Energieeffizienz bundesamt beziffert gar die Summe der umwelt- und Erneuerbare die monetären, sozialen und schädlichen direkten und indirekten Subventionen ökologischen Werte zu steigern. Während wir re- 15
Photovoltaik auf dem Dach eines Gesundheitszentrums, zum größten Teil für die Eigenversorgung des energieintensiven Betriebes gionale Wertschöpfungs- und Beschäftigungsef- noch die beschriebenen beachtlichen wirtschaftli- fekte erzielen, sparen wir Energiekosten, erzielen chen Effekte für die aktiven Regionen. Gewinne aus dem Verkauf von Energie, der Erzeu- gung von Brennstoffen sowie aus Steuer- und Pachteinnahmen, aus Aufträgen für Unternehmen Energieeffizienz und Gebäudecontrolling wie Handwerk, Gewerbe, Freiberuflerbüros (Pla- nung, Bau, Erschließung, Installation, Wartung, Nach dem Motto „ Die beste Energie ist die, die gar Instandhaltung, Betrieb); hiermit gehen Gewinn- nicht erst verbraucht wird“ haben wir uns im Jahre steigerungen, Einbindung von Dienstleistern, neue 1999 im Rahmen eines sogenannten Energiecon- Arbeitsplätze einher. Die Hauptanteile in der trollings durch den Einsatz von elektronischen Wertschöpfungskette gehen in der ersten Stufe im Messgeräten in allen Räumen mit den Energiever- Bereich „Produktion“ zwar an die meist außerhalb bräuchen unserer Verwaltungs- und Schulgebäude gelegenen Betriebsstandorte (zum Beispiel Wind- im Hinblick auf Heizung, Strom und Wasser be- kraftanlagen (WKA) in Norddeutschland, Photo- schäftigt. Mit zum Teil diffizilen Maßnahmen konn- voltaik (PV) meist im Ausland). Trotzdem beinhal- ten wir innerhalb von 15 Jahren die Heizkosten um ten die Stufen 2 bis 4 (Planung und Installation, 25 %, den Wasserverbrauch um 26 % und den Betrieb und Wartung, Betreibergesellschaft) immer Stromverbrauch um rechnerisch 25 % senken. Der 16
Energiegewinner Rhein-Hunsrück-Kreis letzte Wert ist rechnerisch, weil sich zur gleichen Riese wartet darauf, aufgeweckt zu werden, und Zeit erhebliche Mehrverbräuche durch die Einrich- mit Widerstand ist nicht zu rechnen. tung von energieintensiven Serverräumen, Mensen und Ganztagsschulbetrieben niederschlugen, was die Ersparnis auf 5 % reduzierte. Gleichzeitig sank Photovoltaik der CO2-Ausstoß um 9.500 Tonnen, und insgesamt konnte ein Betrag von 2 Mio. € eingespart werden. In der Folgezeit setzten wir verschiedene Maßnah- Die Aufträge gingen meistens an heimische Unter- men noch ohne formales Konzept um, zum Bei- nehmen. Ohne diese Maßnahmen hätten wir bei spiel das in Rheinland-Pfalz erste internetbasierte den enorm gestiegenen Energiekosten erhebliche „1000-Dächer-Photovoltaik-Programm“ in Zusam- Mehrausgaben gehabt. menarbeit mit den Volks- und Raiffeisenbanken, Alle Sanierungen und Neubauten wurden einer Firma mit Softwarelösungen zur Hebung von nicht nur im Passivhausstandard errichtet, sondern Energiepotenzialen und dem Landesamt für Ver- teilweise sogar im sogenannten EnergiePlus-Stan- messung. dard (zum Beispiel das Verwaltungsgebäude der Dank guter Bewerbung und Sonderkreditpro- Rhein-Hunsrück Entsorgung). Da nach einer EU- grammen der regionalen Banken waren es dann Richtlinie aus dem Jahre 2010 [7] die Mitglieds- sensationelle 3.300 private Mitmacher, inzwi- länder für alle neuen öffentlichen Gebäude schon schen hat sich die Zahl auf etwa 4.400 erhöht. ab 2019 und ab 2021 für alle Eigentümer das Diese Anlagen haben eine Leistung von etwa „Nearly zero-energy building“( =„Niedrigstener- 96 Megawatt (MW) und nehmen damit einen An- giegebäude“ mit einem zumindest bilanziell bei teil von 17,7 % an der Gesamtproduktion im Null liegenden Energiebedarf, NZEB) gesetzlich Landkreis ein (zum Vergleich Bund: ca. 6 %). Es festschreiben sollen, verwundert es, dass wir im versteht sich von selbst, dass der Kreis und die Jahr 2020 immer noch meilenweit mit unseren meisten Gemeinden mit ihren Gebäuden dabei Vorschriften hinterherhinken und Bauten mit weit sind und auch sonst mit leuchtendem Beispiel vo- schlechterem Standard munter weiter gefördert rangehen. An diese Photovoltaik-Aktive werden werden. Wie wollen wir eigentlich die Klima- jährlich 20,8 Mio. € Einspeisevergütung ausge- schutzziele für 2050 erreichen, wenn selbst die schüttet. In den frühen Jahren gab es aufgrund der neuesten Gebäude die Potenziale nicht ausschöp- höheren Kosten für PV auch eine wesentlich höhe- fen? Die geringen Mehrausgaben ließen sich wirt- re Einspeisevergütung als in den letzten Jahren. schaftlich gut darstellen. Weitere 2,8 Mio. € sind jährliche Wartungs- und Wenn man bei der Errichtung eines Gebäudes Serviceleistungen. In 20 Jahren also kreisweit ins- die oft im Mittelpunkt stehenden reinen Baukos- gesamt 472 Mio. €. Als einmaliger regionaler In- ten unter Einbeziehung der im Lebenszyklus von vestitionsanteil verbleiben rund 38 Mio. € für die angenommenen 80 Jahren anfallenden Betriebs- heimischen Unternehmen. Zunehmend werden und Instandsetzungskosten betrachtet, wird deut- heute Batteriespeicher zur besseren Nutzung des lich, dass die Baukosten in diesem Zeitraum nur Eigenstromverbrauchs eingebaut. einen Anteil von 20 bis 30 % ausmachen, Mehrin- vestment zur Energieeinsparung macht sich also mehr als bezahlt (eingesparte Kosten, freie Finanz- Klimaschutzkonzept mittel, regionale Wertschöpfung). Etwa 40 % des Gesamtenergieverbrauches gehen auf das Konto Im Jahre 2011 wurde unter Beteiligung von circa von Gebäuden, von denen über 70 % vor 1976, 300 Bürgerinnen und Bürgern in neun Workshops dem Verabschiedungsdatum des ersten Energie- ein vom IfaS-Institut konzipiertes integriertes Kli- einsparungsgesetzes [8], errichtet wurden. Nach maschutzkonzept erstellt. Neben einer Analyse den heutigen Anforderungen hätte das damalige des Ist-Zustandes und dem Aufzeigen verschiede- Gesetz diesen Namen gar nicht verdient. Es gibt ner Potenziale wurden 92 Maßnahmen in sieben also einen großen Sanierungsstau. „Energieeffizi- verschiedenen Kategorien vom Kreis verabschie- enz ist der schlafende Riese“, sagte schon der frü- det und ein Klimaschutzmanager eingestellt. Ein- here Umweltminister Professor Klaus Töpfer. Der gebunden waren das schon bestehende Netzwerk 17
Solarthermisch (1.400 m2) unterstützter Nahwärmeverbund für die Gemeinden Neuerkirch-Külz. Ortsbürgermeister Volker Wichter: „Die Einnahmen aus der Windkraft haben uns geholfen, unsere nachhaltigen Dorfentwicklungskonzepte für unsere Bürger zu realisieren.“ aus Land- und Forstwirten, Genossenschaften, die anteil mit ca. 3 Mio. € festzuhalten. Die Biomasse- lokale Geschäftswelt, die Schulen, öffentliche Ge- anlagen haben neben der Wärmeproduktion im sundheitseinrichtungen, Ortsgemeinden und an- Strombereich eine Leistung von 6,4 MW. dere öffentliche Verwaltungen. Inzwischen sind auch 17 Nahwärmenetze in kleinen Gemeinden in Bürgerhand entstanden. Meist werden Holzhackschnitzel in unterschied- Biomasseanlagen/Nahwärmeverbünde lichen technischen Kombinationen, in Neuer- kirch-Külz etwa mit ca. 1.400 m2 Solarthermie, in Die Errichtung von 18 Biomasseanlagen zur kombi- Kappel in Verbindung mit einer Biogasanlage [9], nierten Strom- und Wärmegewinnung, meist durch [10], die im Sommer – und unterstützend im Landwirte, folgte. Die jährliche regionale Wert- Winter – für das warme Wasser sorgen, genutzt. schöpfung für Maisbezug beträgt ca. 3,1 Mio. € In der Summe werden ca. 2,7 Mio. Liter Heizöl- sowie die jährliche EEG-Vergütung rd. 5,9 Mio. €, importe vermieden. Dies entspricht im Jahr 2018 in 20 Jahren also ca. 180 Mio. € für die Region. etwa 2 Mio. € und in 20 Jahren je nach Preisstei- Darüber hinaus ist der einmalige regionale Invest- gerung 50 bis 60 Mio. €. Das heißt, 50 bis 60 18
Energiegewinner Rhein-Hunsrück-Kreis Mio. € werden nicht für Heizöl- und Gasrech- Schulzentren verwandt (40 % des aufgearbeiteten nungen ins Ausland überwiesen, sondern die Be- Materials geht wegen der feinen Struktur als eine träge verbleiben in der Region. In der untenste- Art Kompost in die Landwirtschaft). henden Tabelle mit der Grobabschätzung der regionalen Wertschöpfung sind sie aber nicht er- fasst, weil diese sich nur auf die verschiedenen Windkraft Stromproduktionen bezieht. Der Kreis ist natürlich auch mit der ersten Hinzu kamen die Ausweisung von Flächen für Holzhackschnitzelanlage in einem Schulgebäude etwa 300 Windkraftanlagen (WKA) durch die Ge- mit dabei gewesen und später mit drei durch die meinden und deren Errichtung überwiegend auf Rhein-Hunsrück Entsorgung betriebenen Nahwär- gemeindeeigenen Flächen, meist durch Investoren meverbünden in drei Schulzentren des Kreises mit außerhalb des Kreises. Leider befinden sich nur ca. 38 Gebäuden (Investition rd. 7,1 Mio. €, Er- einzelne Anlagen in Bürgerhand. Die größten Be- sparnis ca. 680.000 Liter Heizöl pro Jahr, ent- träge der Einspeisevergütungen gehen hier an Ei- spricht in 20 Jahren einem Betrag von etwa 15 bis gentümer außerhalb des Kreises (meist Stadtwerke- 20 Mio. € vermiedenen Importkosten, je nach kooperationen, diese Beträge sind in der Tabelle Preissteigerung). Als Brennstoff wird ein Großteil auf dieser Seite nicht enthalten und nur nachricht- des auf 120 Sammelplätzen in Dörfern abgelager- lich erwähnt). Für die bisher 268 installierten ten privaten Baum- und Strauchschnittes genutzt, Windkraftanlagen erhalten die Gemeinden rd. 7,6 auf einem speziellen Aufbereitungsplatz als Brenn- Mio. € Pachteinnahmen jährlich (ca. 20.000 bis stoff hergerichtet und in den Heizzentralen der 100.000 € pro WKA und Jahr) sowie 2,2 Mio. € Konservative Grobabschätzung der regionalen Wertschöpfung aus den EEG-Anlagen im Rhein-Hunsrück-Kreis für das Jahr 2017 (Werte gerundet) Energieart Kumulierte Regionaler Jährliche Stromerzeugung Investitionssumme Investitionsanteil an regionale gesamt der kumulierten Wertschöpfung (1995 bis 2017) Investitionssumme (hier: 2017) durch: (jew. einmalig bei Anlagenerrichtung) Biomasse 29.550.000 € 2.955.000 € 3.073.000 € Maisbezug (18 Anlagen) 5.961.000 € EEG-Vergütung regional Photovoltaik 190.259.000 € 38.052.000 € 2.854.000 € Betriebskosten (ca. 4.400 Anlagen) 20.885.000 € EEG-Vergütung regional Windkraft am 1.068.800.000 € 84.750.000 € 1.608.000 € Betriebskosten Netz (268 Anlagen) 7.602.000 € Pachteinnahmen 2.192.000 € EEG-Vergütung regional Nachrichtlich: 77.673.000 € EEG-Vergütung nicht regional 1.288.609.000 € 125.757.000 € 44.175.000 € 19
KLIM A SC HUTZ & FINA NZEN EEG-Vergütung an die regionalen Eigentümer/Be- wie der Energiesparkampagnen. Die Berechnung treiber; rd. 1,6 Mio. € Wartungs- und Servicekos- der Beträge erfolgte nach dem Rechenmodell des ten bleiben ebenfalls in der Region, in der Summe erwähnten IÖW, das in Zusammenarbeit mit der 11,4 Mio. € jährlich für 20 Jahre, also in diesem Agentur für Erneuerbare Energien in Berlin seit Zeitraum insgesamt eine Summe von 228 Mio. €. 2009 mittlerweile über 30 EE-Wertschöpfungs- Der beim Bau der Anlagen nur einmalig anfallende ketten abgebildet hat: Links, hell unterlegt, die regionale Anteil an den Investitionskosten beträgt Gesamtinvestition in Höhe von ca. 1,3 Mrd. €, 84,7 Mio. €. Die Windkraftanlagen haben eine Ge- verteilt auf die verschiedenen Bereiche, dunkel samtleistung von 722 MW und erzeugen zusam- unterlegt auf der linken Seite der Spalte der antei- men mit den Photovoltaikanlagen und den Bio- lige, einmalige Investitionsanteil für die Region masseanlagen die schon oben erwähnte Summe in Höhe von rd. 126 Mio. € und rechts – auch von 1,3 Mrd. kWh Strom jährlich. dunkel unterlegt – der jährlich wiederkehrende Ein Teil der Wertschöpfung geht in der ersten und in die Region fließende Betrag von insgesamt Stufe im Bereich „Produktion“ an die Hersteller ca. 44,2 Mio. € für 20 Jahre = 884 Mio. €. Eine der Windkraftanlagen, meist in Norddeutschland, enorme Summe für einen wirtschaftsschwachen und bezüglich der Photovoltaik überwiegend an Landkreis! ausländische Hersteller. Trotzdem haben auch die Wertschöpfungsketten in den schon oben erwähn- ten Stufen 2 bis 4 enorme Auswirkungen. Erneuerbare Energien/Daseinsvorsorge Die ökonomische Teilhabe der betroffenen Bürgerinnen und Bürger hauptsächlich über die Für viele finanzschwache Gemeinden ergibt sich Pachteinnahmen ihrer Gemeinden und die mög- darüber hinaus eine interessante Verknüpfung von lichst hohe Beteiligung lokaler Unternehmen Einnahmen aus erneuerbaren Energien mit Maß- sind dabei ein nicht zu unterschätzender Faktor nahmen der Daseinsvorsorge im Sinne einer für die Akzeptanz der erneuerbaren Energien. Quersubventionierung. Der Ausbau einer alten Schule zu betreuten Wohnungen, der Neubau ei- nes Kindergartens, besondere Förderung der Ver- Weitere Aktivitäten eine, eine bessere DSL-Anbindung, die Anlage ei- nes Naturerlebnisraumes, die Einrichtung eines Abgerundet wurden diese Aktivitäten mit vom Bürgerbusses, Car-Sharing mit Elektroautos durch Kreis initiierten und konzipierten Energiespar- Gemeinden oder auch die kühne Hängeseilbrü- kampagnen für den Austausch von Umwälzpum- cke in Mörsdorf (das Dorf und das Umfeld wird pen und Kühlschränken, mit einem Sonderpro- zur Zeit durch den Besuch von jährlich über gramm unterstützt durch die Kreissparkasse für 200.000 Touristen „wiederbelebt“) wären ohne sozial Schwache, Energiesparrichtlinien in circa die Einnahmen aus erneuerbaren Energien nicht 40 Ortsgemeinden, Leuchtmittel-Tauschtagen, möglich gewesen und helfen, der negativen de- LED-Straßenbeleuchtung mit Photovoltaik und mographischen Entwicklung entgegenzuwirken. Batteriespeicher in Gemeinden, Pilotprojekten Besondere Effekte erzielen mittlerweile 40 wie Smart-Grid/Smart-Operator zum Ausgleich Ortsgemeinden mit Energiesparrichtlinien nach und zur Harmonisierung von Produktion und Ver- dem Modell der Ortsgemeinde Schnorbach (261 brauch von erneuerbaren Energien sowie mit der EW), mit denen sie energetische Aktivitäten ihrer Teilnahme am bundesweiten Pilotprojekt „Design- Bürgerinnen und Bürger bezuschussen. Beträge netz“, um nur einige Projekte zu nennen. aus der Gemeindekasse von Schnorbach in Höhe Die Darstellung auf Seite 19 enthält die zusam- von viermal 30.000 € haben Folgeinvestitionen mengefassten Wertschöpfungseffekte nur aus dem von rund 580.000 € ausgelöst. Für das Konzept Betrieb der stromerzeugenden EEG-geförderten hat die Gemeinde zu Recht einen bundesweiten Anlagen aus den Bereichen Biomasse, Photovolta- kommunalen Preis erzielt. Nicht alle Richtlinien ik und Windkraft. Hierzu addieren sich noch die in den 40 Ortsgemeinden haben den gleichen För- nicht abgebildeten Wertschöpfungseffekte aus derumfang, aber in jeder werden Wertschöpfungs- dem Betrieb der Erneuerbare-Wärme-Projekte so- effekte generiert, die in der obigen Aufstellung ge- 20
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