Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik

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Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
Klimaschutz
              &         Finanzen

      Kommunen investieren in eine
      lebenswerte Zukunft
Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
Klimaschutz
                &       Finanzen
     Kommunen investieren in eine
     lebenswerte Zukunft
Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
Impressum

Herausgeber: Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu), Auf dem Hunnenrücken 3, 50668 Köln

Konzept: Jan Walter
Redaktion: Sigrid Künzel, Jan Walter, Björn Weber
Gestaltungskonzept, Layout, Illustration: Irina Rasimus Kommunikation, Köln
Druck: Spree Druck Berlin GmbH
Gefördert durch: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages
Alle Rechte vorbehalten. Köln 2020

Die Beiträge liegen inhaltlich in alleiniger Verantwortung der Autorinnen und Autoren und spiegeln nicht
unbedingt die Meinung des Herausgebers wider.

Diese Veröffentlichung wird kostenlos abgegeben und ist nicht für den Verkauf bestimmt.

Diese Publikation wurde auf Recyclingpapier (100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel)
und klimaneutral gedruckt (die Emissionen aus der Druckproduktion werden durch die Förderung
zertifizierter Klimaschutzprojekte ausgeglichen).

ISBN 978-3-88118-662-9

9 783881 186629
Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
Inhalt

CORNELIA RÖSLER
Vorwort                                                                          5

JAN WALTER, BJÖRN WEBER
Spielräume und Möglichkeiten für kommunale Investitionen in den Klimaschutz		    6

BERTRAM FLECK
Der Weg von einer strukturschwachen Region zum Energiegewinner –
Wertschöpfungseffekte durch Investitionen in die Energiewende                   14

JAN SCHWARZ
Divestment und Re-Investment durch Kommunen: Die Zeit ist reif?! –
Gesammelte Erfahrungen aus der Arbeit eines Städtenetzwerks im Klimaschutz      26

RALF GROSSE
EXKURS > Nachhaltige Beschaffung und Klimaschutz:
Voraussetzungen und Informationen zur Umsetzung                                 36

HENRIK SCHELLER
Klimaschutzmaßnahmen in finanzschwachen Kommunen:
Probleme, Herausforderungen und Chancen                                         38

JÜRGEN GÖRRES
EXKURS > Stadtinternes Contracting für den Klimaschutz                          46

ANDREA FISCHER-HOTZEL, ANNA-LENA DEUERLING
Als Kommune in den Klimaschutz investieren:
Finanzierung und Förderung von Klimaschutzprojekten                             48

BJÖRN WEBER IM INTERVIEW MIT TIM BAGNER UND CARSTEN KÜHL
Kommunaler Klimaschutz – Was kostet die Welt?
Vom „Sich-leisten-können“ zur Investition mit „Return on Invest“                56

Zusammenfassung und Fazit                                                       64

Neue Impulse im kommunalen Klimaschutz:
Unterstützungspaket für Einsteiger und Fortgeschrittene                         70

Bildnachweis                                                                    72

                                                                                     3
Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
Klimaschutz &
Finanzen
Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
CORNELIA RÖSLER

Vorwort

D
          as Klimaschutzabkommen von Paris, das Aktionspro-
          gramm und der Klimaschutzplan der Bundesregierung
          und das nun vorliegende Klimaschutzgesetz sind da-
rauf ausgerichtet, die durch Treibhausgase verursachte Erd-
erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich
zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Dafür sind auch in den
Kommunen entsprechende Entscheidungen zu treffen, Kon-
zepte zu entwickeln und Maßnahmen umzusetzen, die zum
Klimaschutz vor Ort einen Beitrag leisten. Für die Kommunen
ist dies Herausforderung und Chance zugleich.
    In vielen Kommunen haben erfolgreich realisierte Projekte be-
reits zu beachtlichen CO2-Einsparungen geführt. Dabei zahlen
sich Investitionen in den Klimaschutz gleich mehrfach aus: Sie        CORNELIA RÖSLER
helfen dem Klima, entlasten langfristig die kommunalen Haus-
halte und erhöhen zugleich die Lebensqualität in den Städten,         Leiterin des Bereichs
Landkreisen und Gemeinden. In der Publikationsreihe „Themen-          Umwelt im Deutschen
hefte“ greift das Deutsche Institut für Urbanistik nach und nach      Institut für Urbanistik (Difu)
Schnittstellen des Klimaschutzes zu verschiedenen kommunalen
Handlungsfeldern auf. Es werden Ziele, Aufgaben und Inhalte           Seit 1991 wissenschaftliche Mit-
des jeweiligen Themenbereichs aufbereitet und konkrete Erfah-         arbeiterin im Difu. Koordinati-
rungen aus der Praxis unterschiedlicher Kommunen und Institu-         on des Arbeitsbereichs Umwelt
tionen dargestellt. Denn Erfahrungen und positive Praxisbei-          am Standort Berlin von 1993
spiele sollen weiteren Kommunen Mut machen, selbst die                bis 2001. Wechsel zum Difu-
Initiative zu ergreifen und eigene Maßnahmen zu verwirklichen.        Standort Köln im Jahr 2001. Seit
    Die Notwendigkeit des Klimaschutzes ist inzwischen insge-         2009 Leiterin des Bereichs Um-
samt in der Öffentlichkeit angekommen. Sein Erfolg in den Kom-        welt. Initiierung, Durchführung
munen ist jedoch auch abhängig von drei Faktoren: erstens über-       und Leitung einer Vielzahl von
zeugte und überzeugende Kommunalpolitik, zweitens motivierte          Projekten zum kommunalen
und qualifizierte Mitarbeiterschaft und drittens finanzielle Spiel-   Umweltschutz. Vertreterin des
räume für Zukunfts-Investitionen in den Klimaschutz. Auch             Difu im Umweltausschuss, in
wenn der Erhalt unserer Lebensgrundlagen letztlich „jeden Preis       der Fachkommission Umwelt
wert“ sein sollte, zeigt das vorliegende Heft eindrücklich, dass es   und im Arbeitskreis Energiepo-
Wege im Klimaschutz gibt, die sich sogar „rechnen“.                   litik des Deutschen Städtetages,
    Wir danken dem Bundesministerium für Umwelt, Natur-               in den bundesweiten Umwelt-
schutz und nukleare Sicherheit für die Förderung im Rahmen            amtsleiterkonferenzen sowie
der Nationalen Klimaschutzinitiative, ohne die dieses The-            Koordinatorin und Sprecherin
menheft nicht möglich gewesen wäre. Und wir danken allen              der kommunalen Bank im Ak-
Autorinnen und Autoren, die mit ihrem wertvollen Erfahrungs-          tionsbündnis Klimaschutz der
schatz einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Veröf-          Bundesregierung.
fentlichung geleistet haben. n

                                                                                                         5
Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
JAN WALTER, BJÖRN WEBER

    Spielräume und Möglichkeiten für
    kommunale Investitionen in den Klimaschutz

    D
             ie aktuelle Debatte zum Klimaschutz in       vor dem Hintergrund knapper Kassen muss es in
             der Bevölkerung, den Kommunen sowie          diesem Spannungsverhältnis gelingen, Synergien
             auf Landes- und Bundesebene macht die        zu schaffen und die verfügbaren Finanzmittel klug
    Dringlichkeit des Handelns in allen Sektoren un-      einzusetzen, um nicht nur den Klimaschutz, son-
    übersehbar. Die vielen jungen Menschen, die mit       dern auch andere Bereiche, wie beispielsweise
    der „Fridays for Future“-Bewegung für größere         Erhalt und Umbau der städtischen Infrastrukturen
    Anstrengungen im Klimaschutz streiken, verlei-        mit zum Teil erheblichem Investitionsbedarf, zu
    hen dem Thema ebenfalls eine positive Dynamik.        bedienen. Die Unterstützung durch die Verwal-
                                                          tungsspitze und deren Bekenntnis zum Klima-
                                                          schutz ist dabei von großer Bedeutung. Entschei-
    Herausforderungen bei der Finanzierung                dungen und Beschlüsse können jedoch nur dann
    in kommunalen Klimaschutz                             wirkungsvoll umgesetzt werden, wenn sie für
                                                          eine effiziente ressortübergreifende Zusammenar-
    Um die nationalen Klimaschutzziele zu errei-          beit der Verwaltung operationalisiert werden.
    chen, müssen die Aktivitäten von der Bundes-
    über die Landes- bis hin zur kommunalen Ebene
    weiter verstärkt und verstetigt werden. Städten,      Finanzierungsmodelle
    Landkreisen und Gemeinden kommt in diesem
    Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu,             Zusätzlich zur Finanzierung durch Eigenmittel
    denn der kommunale Einflussbereich erstreckt          können Kommunen mit Fördermitteln, Zuschüs-
    sich über viele öffentliche und private Klima-        sen und Krediten ihre Möglichkeiten bei der Um-
    schutzmaßnahmen. Viele Kommunen haben sich            setzung von Klimaschutzmaßnahmen erheblich
    eigene – zum Teil ehrgeizige – Klimaschutzziele       ausweiten. Die Inanspruchnahme von Fördermit-
    gesetzt und führen bereits eine Vielzahl erfolgrei-   teln, die nicht zurückgezahlt werden müssen, ist
    cher Projekte und Maßnahmen zur Energieein-           für viele Kommunen besonders interessant. Die
    sparung und Verringerung von Treibhausgasemis-        Höhe des zu erbringenden Eigenanteils ist je nach
    sionen durch. Aufgrund der Vorbildrolle von           Förderprogramm unterschiedlich. Es hat sich ge-
    kommunalen Verwaltungen liegen hier große Po-         zeigt, dass es für viele Kommunen ohne Förder-
    tenziale für den kommunalen Klimaschutz insge-        mittel deutlich schwieriger wäre, Projekte umzu-
    samt. Das Erreichen der Klimaschutzziele ist          setzen, bzw. es wird die Investitionsentscheidung
    zwangsläufig mit Investitionen in Maßnahmen           durch die Verfügbarkeit von Fördermitteln erleich-
    zur Energieeinsparung und in weitere Maßnah-          tert. Häufig lösen Förderungen eine Initialzün-
    men zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes        dung für viele weitere Aktivitäten rund um den
    verbunden. Die angespannte Haushaltssituation         Klimaschutz in Kommunen aus [1].
    erschwert jedoch Investitionen in den Klima-              Einige Kommunen ergänzen die eigenständige
    schutz in vielen Kommunen. Somit besteht eine         Finanzierung durch den kommunalen Haushalt
    Konkurrenzsituation zwischen Investitionen in         mit der Nutzung von Fördermitteln und Krediten
    den Klimaschutz und anderen Bereichen, in die         sowie durch Contracting. Beim Energie-Contrac-
    ebenfalls investiert werden muss. Insbesondere        ting übernimmt ein Dienstleister (der Contractor)

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Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
zum Beispiel die Energielieferung, die Planung        waltung jedoch gleichzeitig einen Teil ihrer
von Energieeffizienzmaßnahmen, den Bau und            Verantwortung, ihrer Steuerungsmöglichkeit und
die Inbetriebnahme von Anlagen oder den Betrieb       ihres finanziellen Gewinns durch rentable Ener-
der Energieanlagen. Es wird zwischen Energielie-      giesparmaßnahmen ab.
fer- und -einspar-Contracting unterschieden. Beim         Intracting ist eine Sonderform der Finanzie-
Energieliefer-Contracting wird der Contractor mit     rung von Energieeffizienzmaßnahmen aus eige-
der Planung, Errichtung, Finanzierung sowie dem       nen Haushaltsmitteln. Sie bietet durch ver-
Betrieb und der Instandhaltung der Anlage be-         waltungsinternes Contracting die Möglichkeit,
traut. In diesen Fällen sind Energieversorger häu-    Maßnahmen umzusetzen, ohne dabei auf externe
fig Contractingpartner. Beim Einspar-Contracting      Partner angewiesen zu sein. Dieses Modell wird
obliegt es dem Contractor, die Gebäudetechnik         häufig bei der Modernisierung kommunaler Lie-
und den Betrieb der Anlagen zu optimieren, also       genschaften eingesetzt. Mit den dadurch entste-
den Verbrauch zu senken und die Effizienz zu          henden Kosteneinsparungen können die Investiti-
steigern. Ziel ist es, notwendige Investitionen aus   onen verwaltungsintern refinanziert werden [2].
den Kosteneinsparungen durch reduzierten Ener-            Häufig ist es sinnvoll, unterschiedliche Finan-
gieverbrauch zu finanzieren. Der Contractor ga-       zierungsarten miteinander zu kombinieren. So
rantiert vertraglich eine Reduktion der Energie-      können durch Kombination von klassischen In-
kosten über eine gewisse Laufzeit.                    strumenten, wie dem Intracting, Contracting oder
    Die Vorteile dieses Finanzierungsmodells lie-     Anreizmodellen, zum Beispiel mit Krediten und
gen in einem reduzierten Anteil der kommunalen        Investitionen einer Bürgergenossenschaft weitere
Eigenmittel und in der Einbindung externen Wis-       Möglichkeiten der Finanzierung geschaffen wer-
sens sowie der Übertragung des Arbeitsaufwands        den, die es Kommunen erleichtern, Klimaschutz-
auf den Contractor. Damit gibt die Kommunalver-       maßnahmen umzusetzen.

                                                                                                            7
Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
KLIM A SC HUTZ & FINA NZEN

                                                         tungen, welche die baulichen Maßnahmen um-
                                                         setzen, bis hin zu den Wartungsarbeiten. Im Er-
                                                         gebnis entsteht so regionale Wertschöpfung.
                                                         Entscheidend für die Höhe der Wertschöpfung
                                                         ist, wie stark zum Beispiel die Sanierungsaktivitä-
                                                         ten sind und wie viele der beteiligten Wirtschafts-
                                                         akteure aus der Region stammen. Je höher beide
                                                         Werte, desto höher fällt auch die regionale Wert-
                                                         schöpfung aus.
                                                              Die Wertschöpfung vor Ort setzt sich aus Un-
                                                         ternehmensgewinnen, Beschäftigteneinkommen
                                                         und kommunalen Steuereinnahmen zusammen.
                                                         Dabei spielen neben der direkten Wertschöpfung
                                                         auch sogenannte Zweit- und Drittrundeneffekte
                                                         eine Rolle. Werden beispielsweise über die An-
                                                         siedlung von Windenergieanlagen höhere Steu-
                                                         ereinnahmen generiert, kann mit diesen zusätzli-
    Wertschöpfung durch Investition in                   chen Einnahmen zum Beispiel ein Fördertopf für
    erneuerbare Energien, Energieeffizienz               Bürgerinnen und Bürger, die sich an ein neues
    und Energieeinsparung                                erneuerbar betriebenes Nahwärmenetz anschlie-
                                                         ßen lassen, eingerichtet werden. Damit können
    Nicht nur, dass Klimaschutz kurz- wie langfristige   diese sich rechnerisch zum Nulltarif anschließen.
    positive finanzielle Effekte für durchführende Ak-   So geschehen in den Gemeinden Neuerkirch und
    teure zeitigen kann: Ganz zentral ist die Überle-    Külz und beschrieben im Themenheft „Klima-
    gung, dass immer dann, wenn Finanzmittel vor         schutz & erneuerbare Wärme“ [3]. Auch die
    Ort reinvestiert werden, diese auch zusätzliche      durch den Umstieg von Ölheizung auf EE-
    Wertschöpfung vor Ort erzeugen und damit die         Nahwärmenetz mittel- und langfristig eingespar-
    Wirtschaftskraft lokal stärken. Durch Energieein-    ten Finanzmittel stehen wiederum den Bürgerin-
    sparung, Energieeffizienz und die Nutzung er-        nen und Bürgern vor Ort für andere Ausgaben
    neuerbarer Energien können Finanzmittel, die         bzw. Investitionen zur Verfügung. Der Rhein-
    die Region verlassen, verringert und solche, die     Hunsrück-Kreis und seine Gemeinden – Neuer-
    in der Kommune und der Region verbleiben, er-        kirch-Külz ist hier nur ein Beispiel – zeigen auf,
    höht werden. Je höher das Aufkommen an öl-           welche enormen Potenziale Klimaschutz und
    oder gasbetriebenen Feuerungsanlagen in einer        Energiewende speziell für den ländlichen Raum
    Kommune beispielsweise ist, desto höher ist auch     bereithalten. Der Beitrag auf S. 14 in diesem
    das Finanzvolumen, welches für den Öl- und Gas-      Band zeigt dies ausführlich anhand des genann-
    einkauf aufgebracht wird und nicht mehr für an-      ten Landkreises und zeichnet auch die Höhe der
    derweitige Ausgaben regionaler Akteure zur Ver-      regionalen Wertschöpfungseffekte dort auf. Um
    fügung steht.                                        es ganz anschaulich werden zu lassen, sei auf die
        Am Beispiel der Gebäudeenergieeffizienz          Geschichte vom Bürgermeister der kleinen Ge-
    lässt sich dies veranschaulichen. So können          meinde Mörsdorf im Rhein-Hunsrück-Kreis hin-
    durch Maßnahmen wie die Gebäudedämmung               gewiesen. Sein Traum von einer Hängeseilbrücke
    und der Umbau der Wärmeversorgung von fossi-         konnte durch Einnahmen aus der Windkraftpacht
    ler Feuerung auf erneuerbare Energien nicht nur      realisiert werden. Die ursprünglich sehr arme
    Geld und klimaschädliche Treibhausgase einge-        Gemeinde verzeichnete seitdem immer stärker
    spart werden. Die Investitionen der Gebäudeei-       wachsende Touristenzahlen. Der damit einherge-
    gentümerinnen und -eigentümer lösen auch fi-         hende wirtschaftliche Aufschwung wirkte der bis
    nanzielle Umsätze aus, an denen in aller Regel       dato festzustellenden negativen demographi-
    lokale Wirtschaftsakteure beteiligt sind: von der    schen Entwicklung vor Ort entgegen [4].
    fachgerechten Planung über die Handwerksleis-

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Klimaschutz Finanzen - Deutsches Institut für Urbanistik
Einleitung

                                                    desregierung bei anderen EU-Mitgliedstaaten
  Wertschöpfung – Beispiel Photovoltaik             überschüssige Nicht-ETS-Emissionsrechte kau-
  (PV):                                             fen. So entstehen Kosten für unterlassenen Klima-
                                                    schutz, den am Ende die Steuerzahler aufwenden
  Auch wenn Module, Wechselrichter und Ka-          müssen.
  bel nicht lokal oder regional produziert wer-         Um die Klimaschutzziele 2030 zu erreichen,
  den, so stammen doch die Solarteurbetriebe,       muss Deutschland seine Treibhausgasemissionen
  welche eine Anlage aufbauen, in der Regel         in den nicht vom EU-Emissionshandel (ETS) er-
  aus der Region. Während nun die Module            fassten Sektoren um 38 % gegenüber 2005 re-
  seit mittlerweile 20 Jahren und weiter fortlau-   duzieren. In der EU-Verordnung von 2018 ist
  fend immer günstiger werden, ist der Kosten-      das Emissionsbudget im Nicht-ETS-Bereich für
  anteil, der für Installation und Anschluss der    Deutschland für das Jahr 2030 auf 296 Millionen
  Anlage aufgebracht werden muss, seitdem           Tonnen CO2-Äquivalente (Mio. t CO2äq.) festge-
  kaum gesunken. Die enorme Kostendegres-           legt. Zum Vergleich: Im Jahre 2017 lag dieser
  sion bei den Modulen, nicht aber der Instal-      Wert bei 465 Mio. t CO2äq. Nun gibt es verschie-
  lation, macht beispielhaft deutlich, dass der     dene Szenarien der Emissionsentwicklung bis
  Anteil der regionalen Wertschöpfung im Ver-       2030. Aus Berechnungen der Agora Energiewen-
  hältnis zu den abfließenden Mitteln bezogen       de zeichnet sich jedoch eine Verfehlung der Ziele
  auf die installierte Leistung über die Jahre      ab. Es wird davon ausgegangen, dass bei einer
  massiv gestiegen ist. Überdies sind die inzwi-    jährlichen Einsparung von 4,5 Mio. t im Jahr
  schen sehr preiswerten erneuerbaren Ener-         2030 immer noch rund 400 Mio. t CO2äq. in
  gien mit weiter sinkenden Technologiekosten,      den Nicht-ETS erfassten Sektoren emittiert
  also PV und Wind, bereits heute nicht nur,        werden. Je nach Höhe des anzusetzenden
  was die Wertschöpfung, sondern auch, was          CO2-Preises (z. B. 50 bis 100 € pro t) ist daher
  die Stromgestehungskosten angeht, günstiger       von einem Kostenrisiko durch den Zukauf von
  als neu installierte fossile Kraftwerke.          Emissionsrechten anderer EU-Staaten über die
                                                    Jahre in Höhe von 30 bis 60 Mrd. € im Zeitraum
                                                    bis 2030 auszugehen [5].
                                                        Zusätzlich zu diesen direkten Kosten, müssen
                                                    auch indirekte finanzielle Belastungen berück-
Kosten des Nicht-Handelns                           sichtigt werden. Die vergangenen Jahre haben
                                                    die Verletzlichkeit unseres Systems durch Extrem-
Die EU-Mitgliedstaaten müssen jährlich ihre je-     ereignisse wie Starkregen und Dürren einmal
weiligen Treibhausgasemissionen berichten und       mehr deutlich gemacht. Viele Kommunen stehen
regelmäßig umgesetzte und geplante Maßnah-          zunehmend vor der Aufgabe, Risiken und Folge-
men und Strategien zur weiteren Reduzierung         kosten extremer Wettereignisse sowie durch ste-
der Emissionen vorstellen. Überschreitet ein Mit-   tige Klimaänderungen zu quantifizieren und in
gliedstaat das ihm zugewiesene Emissionsbudget      ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Neben
eines Jahres, wird dieser Restbetrag zuzüglich      den unmittelbaren Kosten, die durch die Behe-
eines Faktors dem Budget des darauffolgenden        bung von Schäden – zum Beispiel durch Überflu-
Jahres aufaddiert. Die Einhaltung der Verpflich-    tungen oder Stürme – entstehen, sind indirekte
tungen auf europäischer Ebene und die Fort-         Kosten, beispielsweise für das Gesundheitssys-
schritte der einzelnen Mitgliedstaaten werden       tem durch steigende Hitzebelastungen, deutlich
durch die Kommission überprüft und bewertet.        schwieriger zu beziffern. Darüber hinaus sind
Reichen die Fortschritte auch nach Umsetzung        weitere ökonomische Effekte – etwa durch Ernte-
sofortiger Abhilfemaßnahmen nicht aus, kann         ausfälle infolge vermehrt auftretender Dürren
ein Vertragsverletzungsverfahren mit möglichen      oder durch Umsatzeinbußen der lokalen Wirt-
Sanktionszahlungen durch die EU-Kommission          schaft, die Auswirkungen auf die kommunalen
eingeleitet werden. Im Falle des Überschreitens     Haushalte haben – häufig komplex und schwie-
der jährlichen Emissionsbudgets muss die Bun-       rig zu überblicken. Dies unterstreicht die Erfor-

                                                                                                        9
KLIM A SC HUTZ & FINA NZEN

                                                          figer verwendet als sein Vorgänger, da es kosten-
                                                          günstiger und ökologischer ist. Genau dadurch
                                                          werden aber eben nicht die vollen Effizienzpo-
                                                          tenziale ausgeschöpft. Als indirekter Rebound
                                                          wird der Effekt bezeichnet, wenn die an einer
                                                          Stelle durch Effizienzgewinne eingesparten Fi-
                                                          nanzmittel an anderer Stelle durch neuen zusätz-
                                                          lichen Konsum verausgabt werden. So kann sich
                                                          etwa die Anschaffung einer neuen energieeffizi-
                                                          enten Kühl-Gefrier-Kombi mit der Energieeffizi-
                                                          enzklasse A+++ oder eine durchgeführte Keller-
                                                          deckendämmung bereits nach wenigen Jahren
                                                          amortisieren. Werden die in den Folgejahren frei
                                                          werdenden Mittel beispielsweise in eine zusätzli-
                                                          che Urlaubsflugreise gesteckt, ist ein indirekter
                                                          Rebound-Effekt zu konstatieren. Ist der Rebound-
                                                          Effekt größer als 100 %, so spricht man von Back-
     derlichkeit des Handelns. Dabei sollten beide Maß-   fire. In der Europäischen Union hat beispielswei-
     nahmenkomplexe mit hoher Priorität adressiert        se die Einführung von Flachbildfernsehern, mit
     werden: Maßnahmen zum Klimaschutz, um der            einem gegenüber alten Röhrenfernsehern deut-
     Ursache klimatischer Veränderungen zu begegnen,      lich geringeren Energieverbrauch pro Quadrat-
     und Maßnahmen zur Klimaanpassung, um den be-         zentimeter Bildschirmfläche, zu einer deutlichen
     reits unabwendbaren Änderungen zu begegnen. Es       Zunahme des absoluten Strombedarfs durch
     muss davon ausgegangen werden, dass die Kosten       Fernsehgeräte geführt. Hintergrund: Es kamen so-
     einer sich weiter verstärkenden ungebremsten an-     wohl mengenmäßig mehr, aber vor allem auch
     thropogenen Klimaveränderung – auch weit über        immer größere Fernseher auf den Markt und in
     den finanziell bezifferbaren Bereich hinaus – mit-   die Haushalte, so dass der Energieverbrauch trotz
     tel- bis langfristig erheblich wären.                der erhöhten Effizienz nicht gesunken, sondern
                                                          gestiegen ist.
                                                              Eine Reduzierung oder Abfederung des Re-
     Risiko durch Rebound-Effekte                         bound-Effekts kann zum Beispiel dadurch ge-
                                                          schehen, dass ordnungsrechtliche Vorgaben von
     Effizienzsteigerungen senken meist auch die Kos-     vornherein so anspruchsvoll formuliert werden,
     ten für Produkte und Dienstleistungen. Wenn          dass trotz prognostizierter Rebound-Effekte die
     dies zu verändertem Nutzerverhalten führt, also      angestrebte Verringerung des Energieverbrauchs
     zu einer stärkeren Nutzung, können die ur-           eintritt. Stark abmildern oder verhindern lässt
     sprünglichen Einsparungen zu einem Teil wieder       sich der Rebound, wenn Kostensenkungen durch
     aufgehoben werden. Dieser Effekt wird Rebound        Effizienzgewinne über erhöhte Abgaben auf den
     genannt [6]. Er ist so bedeutsam, dass er zwin-      Umweltverbrauch ausgeglichen werden. Auch
     gend bei allen Klimaschutzbemühungen, die sich       die Festlegung absoluter Obergrenzen für den
     auf Effizienzsteigerungen beziehen, bedacht wer-     Verbrauch einer Ressource, wie es etwa bei
     den muss, um angestrebte Ziele auch tatsächlich      Fischfang-Quoten geschieht, wäre denkbar. Mit
     zu erreichen.                                        der Bepreisung nicht des direkten Verbrauchs,
         Von direktem Rebound spricht man, wenn           sondern von Emissionen – wie beim EU-Treib-
     beispielsweise die Einführung von LED-Beleuch-       hausgas-Emissionshandel und bei der nationalen
     tung dazu führt, dass die Beleuchtung häufiger,      in Vorbereitung befindlichen Treibhausgas-Be-
     länger als notwendig, genutzt oder auch mehr         preisung – können Rebound-Effekte abgemildert
     Leuchtmittel verbaut werden. Der Effekt kann so-     werden [7].
     wohl psychologisch als auch ökonomisch erklärt           Solche Instrumente sollten auf nationaler und
     werden. Ein energiesparendes Produkt wird häu-       EU-Ebene ansetzen. Dennoch kann als eines der

10
Einleitung

leitenden Prinzipien der Energiewende und der         auf der „grünen Wiese“ baut und damit den Flä-
Klimaschutzbemühungen auch im kommunalen              chenverbrauch reduziert, wenn sie beim Einkauf
Kontext die Entwicklung einer Kultur nicht nur        auf langlebige Produkte statt auf günstige Pro-
der Effizienz, sondern auch der Einsparung und        dukte mit „geplanter Obsoleszenz“ setzt, wenn
der Suffizienz, entwickelt werden. Suffizienz         sie für die eigene Mitarbeiterschaft Dienstfahr-
steht für die Kultivierung eines genügsamen Le-       räder anschafft, um Autofahrten zu reduzieren,
bensstils, für die Frage, was für ein „gutes Leben“   oder bürgerschaftliche Initiativen für „nutzen
notwendig ist und welche heutigen nicht-nach-         statt besitzen“ fördert, kann sie einem suffiziente-
haltigen, also nicht dauerhaft durchhaltbaren         rem Lebensstil Vorschub leisten. Auch die klassi-
Konsummuster und Lebensstile, einem guten Le-         sche nutzerbasierte Energieeinsparung beim
ben für alle – damit in allererster Linie für ein     Energiemanagement ist eine Suffizienzstrategie.
gutes Leben für die heute jüngeren Generationen       In Frankreich hat die Stadt Grenoble 2015 sämtli-
– entgegenstehen. Eine offene Frage und Gegen-        che Werbung im öffentlichen Raum verboten, um
stand zahlreicher Debatten ist, welche Stell-         gezielt gegen Konsum und Verschwendung vor-
schrauben im wirtschaftlichen Leben angepasst         zugehen [8]; [9], und auch in Berlin gibt es eine
werden können oder müssen, um eine Wirt-              Bürgerinitiative, die sich für ein Werbeverbot
schaftsweise, welche die planetaren Grenzen           bzw. eine starke Einschränkung von Werbung im
achtet und ein gutes Leben für alle ermöglicht, zu    öffentlichen Raum einsetzt [10]. Als internationa-
entwickeln. Dabei lässt sich das Thema Suffizi-       les Vorbild für eine langfristige Suffizienzstrategie
enz auch ganz kleinteilig und angewandt be-           gilt die sogenannte 2000-Watt-Gesellschaft der
trachten. Wenn eine Kommune im Bestand statt          Stadt Zürich in der Schweiz [11].

                                                                                                              11
KLIM A SC HUTZ & FINA NZEN

       Definition von Suffizienz                                Zitiert aus dem KommunalWiki der Böll-Stif-
                                                                tung [12].
       „Der Begriff Suffizienz (von lat. sufficere, dt.
       ausreichen) steht in der Ökologie für das Bemü-          Tipps zum Weiterlesen zu kommunaler Suffizienz:
       hen um einen möglichst geringen Rohstoff- und            • Schneidewind, Uwe, und Angelika Zahrnt, Da-
       Energieverbrauch. In der praktischen Nachhal-               mit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven
       tigkeitsdiskussion wird „Suffizienz“ komple-                einer Suffizienzpolitik, München 2013 [13]
       mentär (ergänzend) zu „Ökoeffizienz“ und                 • BUND (Hrsg.), Kommunale Suffizienzpolitik.
       „Konsistenz“ gesehen. Der Begriff wird im Sin-              Strategische Perspektiven für Städte, Länder
       ne der Frage nach dem rechten Maß sowohl in                 und Bund. Kurzstudie des Wuppertal Instituts
       Bezug auf Selbstbegrenzung, Konsumverzicht                  für Klima, Umwelt, Energie, Berlin 2016 [14]
       oder sogar Askese, aber auch Entschleunigung             • Leuser, Leon, und Lars-Arvid Brischke (ifeu),
       und dem Abwerfen von Ballast gebraucht. In                  Suffizienz im kommunalen Klimaschutz. In:
       jedem Fall geht es um Verhaltensänderungen                  Knoblauch, D., und J. Rupp (Hrsg.), Klima-
       (insbesondere) als Mittel des Umweltschutzes                schutz kommunal umsetzen. Wie Klimahan-
       – im Unterschied zu technischen Umwelt-                     deln in Städten und Gemeinden gelingen
       schutzstrategien wie eine gesteigerte Energie-              kann, München 2017 [15]
       und Ressourceneffizienz oder dem vermehrten              • Postwachstumsblog-Eintrag „Suffizienzpolitik
       Einsatz regenerativer Ressourcen (Konsistenz).“             – Kommunen machen sich auf den Weg“ [16]

     Quellenangaben
     [1] Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.), Klimaschutz trotz       [6] s. a. UBA, Rebound-Effekte, 2019. Online unter:
     knapper Kassen – Ein Handbuch für die Kommunalverwal-      www.umweltbundesamt.de/themen/abfall-ressourcen/
     tung, Dessau-Roßlau 2013. Online unter: www.adelphi.de/    oekonomische-rechtliche-aspekte-der/rebound-effekte,
     de/system/files/mediathek/bilder/handbuch_klimaschutz-     zuletzt abgerufen am 06.04.2020
     trotz-knapper-kassen_online-version_1.pdf, zuletzt         [7] s. a. UBA, ebenda
     abgerufen am 15.04.2020                                    [8] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.
     [2] Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der     (BUND), Bitte keine Reklame! Grenoble schafft als erste
     Universität zu Köln (FiFo), Klimaschutz trotz knapper      Stadt Europas Werbung im öffentlichen Raum ab, 2015.
     Kassen? Eine empirische Untersuchung zu Finanzierungs-     Online unter: www.bund.net/themen/aktuelles/detail-
     modellen für Klimaschutzaktivitäten in Städten und         aktuelles/news/bitte-keine-reklame-grenoble-schafft-als-
     Gemeinden, Bearb. Diekmann, Laura-Christin, Anna Jung      erste-stadt-europas-werbung-im-oeffentlichen-raum-ab/,
     und Anna Rauch, FiFo Discussion Paper No. 14-1, Köln       zuletzt abgerufen am 08.04.2020
     2014. Online unter: www.fifo-koeln.org/ images/stories/    [9] Frankfurter Allgemeine Zeitung – FAZ.NET, Grenoble:
     fifo%20dp_14-01.pdf, zuletzt abgerufen am 21.04.2020.      Bäume statt Werbetafeln, 2014. Online unter: www.faz.
     [3] Wichter, Volker, Anne Fitzgerald und Marc Meurer,      net/aktuell/gesellschaft/grenobles-buergermeister-ersetzt-
     Klimaschutz im Hunsrück – die Entstehung des Nahwärme-     werbung-durch-baeume-13285749.html, zuletzt abgeru-
     verbundes Neuerkirch-Külz. In: Difu (Hrsg.), Bearb. Jan    fen am 08.04.2020
     Walter, Themenheft Klimaschutz & erneuerbare Wärme,        [10] Berlin Werbefrei, Volksentscheid Berlin Werbefrei,
     Köln 2017. Online unter: difu.de/11215                     o. J. Online unter: https://berlin-werbefrei.de/, zuletzt
     [4] Zur Geschichte der Brücke s. a.:                       abgerufen am 08.04.2020
     www.geierlay.de/haengeseilbruecke/brueckenbau,             [11] Stadt Zürich, Gesundheits- und Umweltdepartement,
     zuletzt abgerufen am 24.05.2020.                           2000-Watt-Gesellschaft, o.J. Online unter: www.stadt-
     [5] Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Die Kosten    zuerich.ch/gud/de/index/umwelt_energie/ 2000-watt-
     von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshaushalt.      gesellschaft.html, zuletzt abgerufen am 21.04.2020
     Die Klimaschutzverpflichtungen Deutschlands bei Verkehr,   [12] Heinrich-Böll-Stiftung e. V., KommunalWiki: Suffizienz,
     Gebäuden und Landwirtschaft nach der EU-Effort-Sharing-    o.J. Online unter: http://kommunalwiki.boell.de/index.
     Entscheidung und der EU-Climate-Action-Verordnung,         php/Suffizienz, zuletzt abgerufen am 08.04.2020
     Berlin 2018. Online unter: www.agora-energiewende.de/      [13] Schneidewind, Uwe, und Angelika Zahrnt,
     fileadmin2/Projekte/2018/Non-ETS/142_Nicht-ETS-Papier_     Damit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven einer
     WEB.pdf, zuletzt abgerufen am 16.04.2020                   Suffizienzpolitik, München 2013. Leseprobe unter:

12
Einleitung

www.oekom.de/buch/damit-gutes-leben-einfacher-wird-             Klimahandeln in Städten und Gemeinden gelingen kann,
9783865814418?p=1                                               München 2017. Online unter: www.ifeu.de/wp-content/
[14] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.          uploads/Leuser_Brischke_Suffizienz-KommunalerKlima-
(BUND (Hrsg.), Kommunale Suffizienzpolitik. Strategische        schutz_Buchbeitrag12_2017.pdf, zuletzt abgerufen am
Perspektiven für Städte, Länder und Bund. Kurzstudie des        18.04.2020
Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Berlin          [16] Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW),
2016. Online unter: www.bund.net/fileadmin/user_up-             Blog Postwachstum, Eintrag von Leon Leuser:
load_bund/publikationen/nachhaltigkeit/nachhaltigkeit_suf-      Suffizienzpolitik – Kommunen machen sich
fizienz_studie.pdf, zuletzt abgerufen am 08.04.2020             auf den Weg, 2015. Online unter:
[15] Leuser, Leon, und Lars-Arvid Brischke (ifeu), Suffizienz   www.postwachstum.de/suffizienzpolitik-
im kommunalen Klimaschutz. In: Knoblauch, D., und J.            kommunen-machen-sich-auf-den-weg-20151111,
Rupp (Hrsg.), Klimaschutz kommunal umsetzen. Wie                zuletzt abgerufen am 08.04.2020

                            JAN WALTER                                          BJÖRN WEBER

                            Wissenschaftlicher                                  Teamleiter Bereich Umwelt,
                            Mitarbeiter, Deutsches Institut                     Deutsches Institut für
                            für Urbanistik (Difu)                               Urbanistik (Difu)

                            Seit 2012 im Bereich Umwelt, Team                   Seit 2016 wissenschaftlicher Mitar-
                            Umwelt- und Klimaschutz, Standort                   beiter im Bereich Umwelt am
                            Köln. Arbeitsschwerpunkte: Energie,                 Standort Köln. Studium der Geo-
                            Klimaschutz, nachhaltige Mobilität.                 graphie in Göttingen und Los Ange-
                            U. a. Leitung von Projekten,                        les. Seit Mai 2018 Leiter des Teams
                            Konzeption/fachliche Betreuung                      Umwelt- und Klimaschutz. Die
                            von Publikationen, Entwicklung von                  Schwerpunkte seiner Arbeit liegen
                            Umfragen, Online-Werkzeugen und                     in den Themenfeldern Klimaschutz
                            Fachveranstaltungen, Moderation.                    und Energieeffizienz, umweltbezo-
                            Zuvor am Institut für Energie-                      gener Gesundheitsschutz sowie
                            und Umweltforschung Heidelberg,                     Anpassung an den Klimawandel in
                            Fachbereich Energie. Studium zum                    Städten. Vor seiner Tätigkeit am
                            Dipl.-Geograph (Universität Heidel-                 Difu war er Leiter des Ressorts Städ-
                            berg), Interdisziplinärer Ergänzungs-               tebau und Regionalentwicklung in
                            studiengang Umweltwissenschaf-                      einem Planungs- und Beratungsun-
                            ten. Weiterbildung zum Koordinator                  ternehmen und als wissenschaftli-
                            erneuerbare Energien und Ener-                      cher Mitarbeiter am Climate Ser-
                            giemanagement (Gesellschaft für                     vice Center Germany tätig.
                            Nachhaltige Entwicklung).

                                                                                                                            13
BERTRAM FLECK

     Der Weg von einer strukturschwachen Region
     zum Energiegewinner – Wertschöpfungseffekte
     durch Investitionen in die Energiewende

     K
            limaschutz, erneuerbare Energien (EE) und         Kreises liegt nur bei rund 20 % des Landesdurch-
            regionale Wertschöpfung gehören zusam-            schnitts, und die Gemeinden haben in Summe
            men, denn sie bilden eine Einheit. Wenn           84 Mio. € Rücklagen, die sie für Zukunftsprojekte
     Kreise und Kommunen ihre Schlüsselrolle und Auf-         einsetzen können. Die jährliche regionale Wert-
     gabe als geborene und strategische Partner von           schöpfung aus der Installation der Erneuerbaren be-
     Bund und Ländern beim Ausbau der erneuerbaren            trägt dank der guten Kooperation und eines wun-
     Energien wahrnehmen, entstehen Erfolgsgeschich-          derbaren Netzwerkes aus Kreis, Kommunen,
     ten für ganze Landstriche und Regionen. Dass dies        Genossenschaften, Privaten, Landwirten und Ge-
     grundsätzlich und überall in Deutschland ohne            werbe ca. 44 Mio. €. Auf die Erneuerbaren zu set-
     großen Personaleinsatz und riesige Finanzmittel          zen, bedeutete hier vor Ort, ein Wirtschaftsförde-
     möglich ist, eröffnet gerade in strukturschwachen        rungsprogramm anzustoßen, das über einen
     ländlichen Räumen neben der Eindämmung der               Zeitraum von 20 Jahren seinesgleichen sucht. Ne-
     Klimakrise ganz neue Chancen für die Regionalent-        ben den laufenden Einnahmen aus der Energiepro-
     wicklung. Leider betrachtet trotzdem eine große          duktion bestand der einmalige regionale Anteil am
     Anzahl von Kommunalverwaltungen dieses Thema             Auftragsvolumen für die Errichtung der EE-Anlagen
     jenseits der sogenannten Pflichtaufgaben formal als      über die vergangenen zwei Jahrzehnte 106 Mio. €,
     „freiwillige Aufgabe“ und sieht deshalb keinen oder      der vor allem dem Handwerk zugutekam. Wo Mitte
     wenige Ansatzpunkte für ein Tätigwerden. Im Fol-         des 19. Jahrhunderts tausende EW noch wegen der
     genden soll anhand des Beispiels des in Rheinland-       Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit nach Brasilien
     Pfalz gelegenen Rhein-Hunsrück-Kreises (rund             auswandern mussten, gibt es inzwischen zahlrei-
     102.000 Einwohnerinnen und Einwohner (EW),               che Gemeinden ohne Leerstände und keine freien
     verteilt auf 127 Gemeinden und Kleinstädte, 75 %         Bauplätze mehr. In Städte ausgewanderte Einheimi-
     davon unter 500 EW) gezeigt werden, wie ab dem           sche kehren sogar teils zurück. Tausende Besuche-
     Ende der neunziger Jahre Schritt für Schritt mit einer   rinnen und Besucher aus über 50 Nationen – neu-
     nachhaltigen strategischen Ausrichtung, einem Kli-       lich aus Fukushima in Japan – haben sich vor Ort
     maschutzkonzept und einem agilen Klimaschutz-            schon umgeschaut, um Anregungen für Aktivitäten
     management nebst vielen Kooperationspartnern             in ihrer Heimatregion mitzunehmen. Und genau so
     eine Erfolgsgeschichte für die Wohlstandsentwick-        haben wir es selbst in vielen Gegenden Deutsch-
     lung der Region begann.                                  lands gemacht: Mit Delegationen bestehende Pro-
         Damals gab es noch keine nennenswerte Pro-           jekte besichtigen und davon lernen. Landrat, Klima-
     duktion erneuerbarer Energien, die Region gab ca.        schutzmanager und einige Ortsbürgermeister sind
     290 Mio. € für den Energieeinkauf (Strom, Wärme,         längst gefragte Referenten im In- und Ausland und
     Verkehr) aus und hatte mit ökonomischen Schwä-           geben ihre Erfahrungen gerne weiter.
     chen zu kämpfen. Heute produziert die Region mit             Die Agentur für Erneuerbare Energien e. V. (AEE)
     ca. 1,3 Mrd. Kilowattstunden (kWh) Strom aus er-         in Berlin hat neulich in einem Pressegespräch ange-
     neuerbaren Energien das Dreifache des eigenen            regt, die Folgen des Kohleausstiegs und den er-
     Stromverbrauchs. Die öffentliche Verschuldung des        zwungenen Strukturwandel in der Lausitz, im Mit-

14
Energiegewinner Rhein-Hunsrück-Kreis

teldeutschen und Rheinischen Revier gerade auch       von den Kohlesubventionen, Begünstigungen des
im Hinblick auf das große Potenzial des Ausbaus       Flugverkehrs über das Dieselprivileg bis zur Ent-
von erneuerbaren Energien und damit einherge-         fernungspauschale allein im Jahr 2012 auf sagen-
hender Arbeitsplätze zu überprüfen und gelungene      hafte 57 Mrd. € [4]. Diese Zahlen werden ebenso
Transformationen von fossilen auf erneuerbare         ausgeblendet wie die enormen regionalen Wert-
Energiequellen als Vorbilder für diese Regionen zu    schöpfungs- und Beschäftigungseffekte durch den
nehmen. Bereits 2016 sollen in Brandenburg, Sach-     Ausbau der erneuerbaren Energien.
sen und Nordrhein-Westfalen mehr Menschen bei             Nach einer Studie des Instituts für ökologische
den Erneuerbaren beschäftigt gewesen sein als im      Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin belief sich
Bergbau und in Kohlekraftwerken zusammen [1].         dieser Wert schon im Jahre 2012 bundesweit auf rd.
Das zeigt schon heute das enorme wirtschaftliche      17 Mrd. €, mit den indirekten Effekten aus den Vor-
Potenzial von erneuerbaren Energien.                  leistungen anderer Wirtschaftszweige auf bis zu 25
    Wenn auch seit der Europawahl im Mai 2019         Mrd. € [5]. Nach Angabe der Agentur für Erneuer-
und verstärkt durch die Fridays for Future-Bewe-      bare Energien waren im Jahre 2016 rd. 50 % der
gung das Thema Klimaschutz mehr in den Mittel-        insgesamt 690.000 Arbeitsplätze in der Energie-
punkt der Berichterstattung auch führender Tages-     wirtschaft auf Erneuerbare zurückzuführen [6].
zeitungen geraten ist, gibt es aber oft negative      Während diese Tendenz steigend ist, verzeichnen
Schlagzeilen: sei es zu Konfliktpotenzial durch die   die konventionellen Energien weiter Rückgänge.
Veränderung der Landschaft oder zu nachteiligen
wirtschaftlichen Folgen bei den Zuschlägen zur
Stromrechnung durch die EEG-Umlage nach dem           Wertschöpfungskette erneuerbare Energien
Erneuerbare-Energien-Gesetz mit circa 220 € pro
Haushalt und Jahr. Dabei wäre es doch einmal ein      Besonders interessant ist, dass die Wertschöpfung
wirklich interessanter Ausgangspunkt, jenseits der    nicht nur an wenigen Standorten stattfindet, sondern
220 € pro Haushalt und Jahr die wirklich belasten-    dezentral und verteilt über das ganze Land. Damit
de Steigerung der Energiekosten eines Privathaus-     bietet die Energiewende gerade für den ländlichen
haltes mit vier Personen zwischen 1992 und 2018       Raum mit den für die dezentrale Energieerzeugung
zu beleuchten: Für den Bezug von Heizöl, Strom        erforderlichen und vorhandenen Flächen neue
und Kraftstoffen muss dieser Haushalt nämlich ca.     Chancen und Zukunftsperspektiven. Umfangreiche
5.800 €, und damit rund 3.300 € mehr als 1992,        Möglichkeiten vor Ort lassen lokale Wertschöpfung
zahlen (+ 234 %, im gleichen Zeitraum Steigerung      generieren, statt nur Kosten für Importenergie aufzu-
der Lebenshaltungskosten um nur ca. 51 % [2]).        wenden. Bundesweit betrugen die Importkosten für
Diese Ausführungen zu den Ursachen dieser enor-       Energie im Jahre 2012 etwa 92,7 Mrd. €, für Rhein-
men Steigerung und der Möglichkeit, durch eige-       land-Pfalz ca. 4 bis 6 Mrd. €, für den Rhein-Huns-
ne Energieerzeugung den Kostensteigerungen ent-       rück-Kreis mit 102.000 EW und wenig Industrie
gegenzuwirken, fehlen in der Berichterstattung        nach Berechnungen des Institutes für angewandtes
häufig. Der Gestehungspreis von Strom hat einen       Stoffstrommanagement (IfaS, Prof. Heck) des Um-
sensationell niedrigen Stand durch die Produktion     welt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier im-
über die Erneuerbaren erreicht. Der hohe Endpreis     merhin noch 290 Mio. € jährlich für Strom, Wärme
für Verbraucherinnen und Verbraucher entsteht         und Kraftstoffe. Ein Dorf mit 500 Einwohnerinnen
durch Steuern und Abgaben, deren Verteilung zu-       und Einwohnern trägt durchschnittlich noch etwa
ungunsten der privaten Haushalte politisch festge-    1,2 Mio. € Energieimportkosten jährlich.
legt wurde. Übrigens wurden Braun- und Stein-             Dabei ist die Frage, ob diese enormen Geldab-
kohle sowie die Atomenergie von 1970 bis 2010         flüsse in Wirtschaftskreisläufe meist außerhalb der
mit knapp 550 Mrd. € direkt aus Bundesmitteln         Bundesrepublik heute noch zielführend sind. Im
unterstützt und gefördert – ohne dass es durch        Rhein-Hunsrück-Kreis haben wir uns schon 1999
eine größere Öffentlichkeit damals und heute          überlegt, welche Handlungsfelder wir gemeinsam
wahrgenommen worden wäre [3]. Das Umwelt-             entwickeln können, um durch Energieeffizienz
bundesamt beziffert gar die Summe der umwelt-         und Erneuerbare die monetären, sozialen und
schädlichen direkten und indirekten Subventionen      ökologischen Werte zu steigern. Während wir re-

                                                                                                              15
Photovoltaik auf dem Dach eines Gesundheitszentrums, zum größten Teil für die Eigenversorgung
     des energieintensiven Betriebes

     gionale Wertschöpfungs- und Beschäftigungsef-          noch die beschriebenen beachtlichen wirtschaftli-
     fekte erzielen, sparen wir Energiekosten, erzielen     chen Effekte für die aktiven Regionen.
     Gewinne aus dem Verkauf von Energie, der Erzeu-
     gung von Brennstoffen sowie aus Steuer- und
     Pachteinnahmen, aus Aufträgen für Unternehmen          Energieeffizienz und Gebäudecontrolling
     wie Handwerk, Gewerbe, Freiberuflerbüros (Pla-
     nung, Bau, Erschließung, Installation, Wartung,        Nach dem Motto „ Die beste Energie ist die, die gar
     Instandhaltung, Betrieb); hiermit gehen Gewinn-        nicht erst verbraucht wird“ haben wir uns im Jahre
     steigerungen, Einbindung von Dienstleistern, neue      1999 im Rahmen eines sogenannten Energiecon-
     Arbeitsplätze einher. Die Hauptanteile in der          trollings durch den Einsatz von elektronischen
     Wertschöpfungskette gehen in der ersten Stufe im       Messgeräten in allen Räumen mit den Energiever-
     Bereich „Produktion“ zwar an die meist außerhalb       bräuchen unserer Verwaltungs- und Schulgebäude
     gelegenen Betriebsstandorte (zum Beispiel Wind-        im Hinblick auf Heizung, Strom und Wasser be-
     kraftanlagen (WKA) in Norddeutschland, Photo-          schäftigt. Mit zum Teil diffizilen Maßnahmen konn-
     voltaik (PV) meist im Ausland). Trotzdem beinhal-      ten wir innerhalb von 15 Jahren die Heizkosten um
     ten die Stufen 2 bis 4 (Planung und Installation,      25 %, den Wasserverbrauch um 26 % und den
     Betrieb und Wartung, Betreibergesellschaft) immer      Stromverbrauch um rechnerisch 25 % senken. Der

16
Energiegewinner Rhein-Hunsrück-Kreis

letzte Wert ist rechnerisch, weil sich zur gleichen   Riese wartet darauf, aufgeweckt zu werden, und
Zeit erhebliche Mehrverbräuche durch die Einrich-     mit Widerstand ist nicht zu rechnen.
tung von energieintensiven Serverräumen, Mensen
und Ganztagsschulbetrieben niederschlugen, was
die Ersparnis auf 5 % reduzierte. Gleichzeitig sank   Photovoltaik
der CO2-Ausstoß um 9.500 Tonnen, und insgesamt
konnte ein Betrag von 2 Mio. € eingespart werden.     In der Folgezeit setzten wir verschiedene Maßnah-
Die Aufträge gingen meistens an heimische Unter-      men noch ohne formales Konzept um, zum Bei-
nehmen. Ohne diese Maßnahmen hätten wir bei           spiel das in Rheinland-Pfalz erste internetbasierte
den enorm gestiegenen Energiekosten erhebliche        „1000-Dächer-Photovoltaik-Programm“ in Zusam-
Mehrausgaben gehabt.                                  menarbeit mit den Volks- und Raiffeisenbanken,
    Alle Sanierungen und Neubauten wurden             einer Firma mit Softwarelösungen zur Hebung von
nicht nur im Passivhausstandard errichtet, sondern    Energiepotenzialen und dem Landesamt für Ver-
teilweise sogar im sogenannten EnergiePlus-Stan-      messung.
dard (zum Beispiel das Verwaltungsgebäude der             Dank guter Bewerbung und Sonderkreditpro-
Rhein-Hunsrück Entsorgung). Da nach einer EU-         grammen der regionalen Banken waren es dann
Richtlinie aus dem Jahre 2010 [7] die Mitglieds-      sensationelle 3.300 private Mitmacher, inzwi-
länder für alle neuen öffentlichen Gebäude schon      schen hat sich die Zahl auf etwa 4.400 erhöht.
ab 2019 und ab 2021 für alle Eigentümer das           Diese Anlagen haben eine Leistung von etwa
„Nearly zero-energy building“( =„Niedrigstener-       96 Megawatt (MW) und nehmen damit einen An-
giegebäude“ mit einem zumindest bilanziell bei        teil von 17,7 % an der Gesamtproduktion im
Null liegenden Energiebedarf, NZEB) gesetzlich        Landkreis ein (zum Vergleich Bund: ca. 6 %). Es
festschreiben sollen, verwundert es, dass wir im      versteht sich von selbst, dass der Kreis und die
Jahr 2020 immer noch meilenweit mit unseren           meisten Gemeinden mit ihren Gebäuden dabei
Vorschriften hinterherhinken und Bauten mit weit      sind und auch sonst mit leuchtendem Beispiel vo-
schlechterem Standard munter weiter gefördert         rangehen. An diese Photovoltaik-Aktive werden
werden. Wie wollen wir eigentlich die Klima-          jährlich 20,8 Mio. € Einspeisevergütung ausge-
schutzziele für 2050 erreichen, wenn selbst die       schüttet. In den frühen Jahren gab es aufgrund der
neuesten Gebäude die Potenziale nicht ausschöp-       höheren Kosten für PV auch eine wesentlich höhe-
fen? Die geringen Mehrausgaben ließen sich wirt-      re Einspeisevergütung als in den letzten Jahren.
schaftlich gut darstellen.                            Weitere 2,8 Mio. € sind jährliche Wartungs- und
    Wenn man bei der Errichtung eines Gebäudes        Serviceleistungen. In 20 Jahren also kreisweit ins-
die oft im Mittelpunkt stehenden reinen Baukos-       gesamt 472 Mio. €. Als einmaliger regionaler In-
ten unter Einbeziehung der im Lebenszyklus von        vestitionsanteil verbleiben rund 38 Mio. € für die
angenommenen 80 Jahren anfallenden Betriebs-          heimischen Unternehmen. Zunehmend werden
und Instandsetzungskosten betrachtet, wird deut-      heute Batteriespeicher zur besseren Nutzung des
lich, dass die Baukosten in diesem Zeitraum nur       Eigenstromverbrauchs eingebaut.
einen Anteil von 20 bis 30 % ausmachen, Mehrin-
vestment zur Energieeinsparung macht sich also
mehr als bezahlt (eingesparte Kosten, freie Finanz-   Klimaschutzkonzept
mittel, regionale Wertschöpfung). Etwa 40 % des
Gesamtenergieverbrauches gehen auf das Konto          Im Jahre 2011 wurde unter Beteiligung von circa
von Gebäuden, von denen über 70 % vor 1976,           300 Bürgerinnen und Bürgern in neun Workshops
dem Verabschiedungsdatum des ersten Energie-          ein vom IfaS-Institut konzipiertes integriertes Kli-
einsparungsgesetzes [8], errichtet wurden. Nach       maschutzkonzept erstellt. Neben einer Analyse
den heutigen Anforderungen hätte das damalige         des Ist-Zustandes und dem Aufzeigen verschiede-
Gesetz diesen Namen gar nicht verdient. Es gibt       ner Potenziale wurden 92 Maßnahmen in sieben
also einen großen Sanierungsstau. „Energieeffizi-     verschiedenen Kategorien vom Kreis verabschie-
enz ist der schlafende Riese“, sagte schon der frü-   det und ein Klimaschutzmanager eingestellt. Ein-
here Umweltminister Professor Klaus Töpfer. Der       gebunden waren das schon bestehende Netzwerk

                                                                                                             17
Solarthermisch (1.400 m2) unterstützter Nahwärmeverbund für die Gemeinden Neuerkirch-Külz.
     Ortsbürgermeister Volker Wichter: „Die Einnahmen aus der Windkraft haben uns geholfen, unsere
     nachhaltigen Dorfentwicklungskonzepte für unsere Bürger zu realisieren.“

     aus Land- und Forstwirten, Genossenschaften, die       anteil mit ca. 3 Mio. € festzuhalten. Die Biomasse-
     lokale Geschäftswelt, die Schulen, öffentliche Ge-     anlagen haben neben der Wärmeproduktion im
     sundheitseinrichtungen, Ortsgemeinden und an-          Strombereich eine Leistung von 6,4 MW.
     dere öffentliche Verwaltungen.                             Inzwischen sind auch 17 Nahwärmenetze in
                                                            kleinen Gemeinden in Bürgerhand entstanden.
                                                            Meist werden Holzhackschnitzel in unterschied-
     Biomasseanlagen/Nahwärmeverbünde                       lichen technischen Kombinationen, in Neuer-
                                                            kirch-Külz etwa mit ca. 1.400 m2 Solarthermie, in
     Die Errichtung von 18 Biomasseanlagen zur kombi-       Kappel in Verbindung mit einer Biogasanlage [9],
     nierten Strom- und Wärmegewinnung, meist durch         [10], die im Sommer – und unterstützend im
     Landwirte, folgte. Die jährliche regionale Wert-       Winter – für das warme Wasser sorgen, genutzt.
     schöpfung für Maisbezug beträgt ca. 3,1 Mio. €         In der Summe werden ca. 2,7 Mio. Liter Heizöl-
     sowie die jährliche EEG-Vergütung rd. 5,9 Mio. €,      importe vermieden. Dies entspricht im Jahr 2018
     in 20 Jahren also ca. 180 Mio. € für die Region.       etwa 2 Mio. € und in 20 Jahren je nach Preisstei-
     Darüber hinaus ist der einmalige regionale Invest-     gerung 50 bis 60 Mio. €. Das heißt, 50 bis 60

18
Energiegewinner Rhein-Hunsrück-Kreis

Mio. € werden nicht für Heizöl- und Gasrech-            Schulzentren verwandt (40 % des aufgearbeiteten
nungen ins Ausland überwiesen, sondern die Be-          Materials geht wegen der feinen Struktur als eine
träge verbleiben in der Region. In der untenste-        Art Kompost in die Landwirtschaft).
henden Tabelle mit der Grobabschätzung der
regionalen Wertschöpfung sind sie aber nicht er-
fasst, weil diese sich nur auf die verschiedenen        Windkraft
Stromproduktionen bezieht.
    Der Kreis ist natürlich auch mit der ersten         Hinzu kamen die Ausweisung von Flächen für
Holzhackschnitzelanlage in einem Schulgebäude           etwa 300 Windkraftanlagen (WKA) durch die Ge-
mit dabei gewesen und später mit drei durch die         meinden und deren Errichtung überwiegend auf
Rhein-Hunsrück Entsorgung betriebenen Nahwär-           gemeindeeigenen Flächen, meist durch Investoren
meverbünden in drei Schulzentren des Kreises mit        außerhalb des Kreises. Leider befinden sich nur
ca. 38 Gebäuden (Investition rd. 7,1 Mio. €, Er-        einzelne Anlagen in Bürgerhand. Die größten Be-
sparnis ca. 680.000 Liter Heizöl pro Jahr, ent-         träge der Einspeisevergütungen gehen hier an Ei-
spricht in 20 Jahren einem Betrag von etwa 15 bis       gentümer außerhalb des Kreises (meist Stadtwerke-
20 Mio. € vermiedenen Importkosten, je nach             kooperationen, diese Beträge sind in der Tabelle
Preissteigerung). Als Brennstoff wird ein Großteil      auf dieser Seite nicht enthalten und nur nachricht-
des auf 120 Sammelplätzen in Dörfern abgelager-         lich erwähnt). Für die bisher 268 installierten
ten privaten Baum- und Strauchschnittes genutzt,        Windkraftanlagen erhalten die Gemeinden rd. 7,6
auf einem speziellen Aufbereitungsplatz als Brenn-      Mio. € Pachteinnahmen jährlich (ca. 20.000 bis
stoff hergerichtet und in den Heizzentralen der         100.000 € pro WKA und Jahr) sowie 2,2 Mio. €

Konservative Grobabschätzung der regionalen Wertschöpfung aus den EEG-Anlagen im Rhein-Hunsrück-Kreis
für das Jahr 2017 (Werte gerundet)

     Energieart          Kumulierte             Regionaler           Jährliche
  Stromerzeugung      Investitionssumme   Investitionsanteil an     regionale
                           gesamt             der kumulierten     Wertschöpfung
                       (1995 bis 2017)      Investitionssumme      (hier: 2017)             durch:
                                             (jew. einmalig bei
                                          Anlagenerrichtung)

     Biomasse       		 29.550.000 €           2.955.000 €           3.073.000 €          Maisbezug
   (18 Anlagen)
                                                                    5.961.000 €    EEG-Vergütung regional

   Photovoltaik         190.259.000 €         38.052.000 €          2.854.000 €         Betriebskosten
    (ca. 4.400
      Anlagen)                                                    20.885.000 €     EEG-Vergütung regional

   Windkraft am        1.068.800.000 €        84.750.000 €          1.608.000 €         Betriebskosten
        Netz
   (268 Anlagen)                                                    7.602.000 €        Pachteinnahmen

                                                                    2.192.000 €     EEG-Vergütung regional

                                                                                  Nachrichtlich: 77.673.000 €
                                                                                  EEG-Vergütung nicht regional

                       1.288.609.000 €       125.757.000 €        44.175.000 €

                                                                                                                 19
KLIM A SC HUTZ & FINA NZEN

     EEG-Vergütung an die regionalen Eigentümer/Be-        wie der Energiesparkampagnen. Die Berechnung
     treiber; rd. 1,6 Mio. € Wartungs- und Servicekos-     der Beträge erfolgte nach dem Rechenmodell des
     ten bleiben ebenfalls in der Region, in der Summe     erwähnten IÖW, das in Zusammenarbeit mit der
     11,4 Mio. € jährlich für 20 Jahre, also in diesem     Agentur für Erneuerbare Energien in Berlin seit
     Zeitraum insgesamt eine Summe von 228 Mio. €.         2009 mittlerweile über 30 EE-Wertschöpfungs-
     Der beim Bau der Anlagen nur einmalig anfallende      ketten abgebildet hat: Links, hell unterlegt, die
     regionale Anteil an den Investitionskosten beträgt    Gesamtinvestition in Höhe von ca. 1,3 Mrd. €,
     84,7 Mio. €. Die Windkraftanlagen haben eine Ge-      verteilt auf die verschiedenen Bereiche, dunkel
     samtleistung von 722 MW und erzeugen zusam-           unterlegt auf der linken Seite der Spalte der antei-
     men mit den Photovoltaikanlagen und den Bio-          lige, einmalige Investitionsanteil für die Region
     masseanlagen die schon oben erwähnte Summe            in Höhe von rd. 126 Mio. € und rechts – auch
     von 1,3 Mrd. kWh Strom jährlich.                      dunkel unterlegt – der jährlich wiederkehrende
         Ein Teil der Wertschöpfung geht in der ersten     und in die Region fließende Betrag von insgesamt
     Stufe im Bereich „Produktion“ an die Hersteller       ca. 44,2 Mio. € für 20 Jahre = 884 Mio. €. Eine
     der Windkraftanlagen, meist in Norddeutschland,       enorme Summe für einen wirtschaftsschwachen
     und bezüglich der Photovoltaik überwiegend an         Landkreis!
     ausländische Hersteller. Trotzdem haben auch die
     Wertschöpfungsketten in den schon oben erwähn-
     ten Stufen 2 bis 4 enorme Auswirkungen.               Erneuerbare Energien/Daseinsvorsorge
         Die ökonomische Teilhabe der betroffenen
     Bürgerinnen und Bürger hauptsächlich über die         Für viele finanzschwache Gemeinden ergibt sich
     Pachteinnahmen ihrer Gemeinden und die mög-           darüber hinaus eine interessante Verknüpfung von
     lichst hohe Beteiligung lokaler Unternehmen           Einnahmen aus erneuerbaren Energien mit Maß-
     sind dabei ein nicht zu unterschätzender Faktor       nahmen der Daseinsvorsorge im Sinne einer
     für die Akzeptanz der erneuerbaren Energien.          Quersubventionierung. Der Ausbau einer alten
                                                           Schule zu betreuten Wohnungen, der Neubau ei-
                                                           nes Kindergartens, besondere Förderung der Ver-
     Weitere Aktivitäten                                   eine, eine bessere DSL-Anbindung, die Anlage ei-
                                                           nes Naturerlebnisraumes, die Einrichtung eines
     Abgerundet wurden diese Aktivitäten mit vom           Bürgerbusses, Car-Sharing mit Elektroautos durch
     Kreis initiierten und konzipierten Energiespar-       Gemeinden oder auch die kühne Hängeseilbrü-
     kampagnen für den Austausch von Umwälzpum-            cke in Mörsdorf (das Dorf und das Umfeld wird
     pen und Kühlschränken, mit einem Sonderpro-           zur Zeit durch den Besuch von jährlich über
     gramm unterstützt durch die Kreissparkasse für        200.000 Touristen „wiederbelebt“) wären ohne
     sozial Schwache, Energiesparrichtlinien in circa      die Einnahmen aus erneuerbaren Energien nicht
     40 Ortsgemeinden, Leuchtmittel-Tauschtagen,           möglich gewesen und helfen, der negativen de-
     LED-Straßenbeleuchtung mit Photovoltaik und           mographischen Entwicklung entgegenzuwirken.
     Batteriespeicher in Gemeinden, Pilotprojekten             Besondere Effekte erzielen mittlerweile 40
     wie Smart-Grid/Smart-Operator zum Ausgleich           Ortsgemeinden mit Energiesparrichtlinien nach
     und zur Harmonisierung von Produktion und Ver-        dem Modell der Ortsgemeinde Schnorbach (261
     brauch von erneuerbaren Energien sowie mit der        EW), mit denen sie energetische Aktivitäten ihrer
     Teilnahme am bundesweiten Pilotprojekt „Design-       Bürgerinnen und Bürger bezuschussen. Beträge
     netz“, um nur einige Projekte zu nennen.              aus der Gemeindekasse von Schnorbach in Höhe
         Die Darstellung auf Seite 19 enthält die zusam-   von viermal 30.000 € haben Folgeinvestitionen
     mengefassten Wertschöpfungseffekte nur aus dem        von rund 580.000 € ausgelöst. Für das Konzept
     Betrieb der stromerzeugenden EEG-geförderten          hat die Gemeinde zu Recht einen bundesweiten
     Anlagen aus den Bereichen Biomasse, Photovolta-       kommunalen Preis erzielt. Nicht alle Richtlinien
     ik und Windkraft. Hierzu addieren sich noch die       in den 40 Ortsgemeinden haben den gleichen För-
     nicht abgebildeten Wertschöpfungseffekte aus          derumfang, aber in jeder werden Wertschöpfungs-
     dem Betrieb der Erneuerbare-Wärme-Projekte so-        effekte generiert, die in der obigen Aufstellung ge-

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