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Klimaschutz & ländlicher Raum Ideen und Impulse für erfolgreichen Klimaschutz in ländlichen Kommunen
Klimaschutz & ländlicher Raum Ideen und Impulse für erfolgreichen Klimaschutz in ländlichen Kommunen
Impressum Herausgeber: Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu), Auf dem Hunnenrücken 3, 50668 Köln Konzept: Marco Peters Redaktion: Sigrid Künzel, Marco Peters Gestaltungskonzept, Layout, Illustration: Irina Rasimus Kommunikation, Köln Druck: Spree Druck Berlin GmbH Gefördert durch: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages Alle Rechte vorbehalten. Köln 2018 Die Beiträge liegen inhaltlich in alleiniger Verantwortung der Autorinnen und Autoren und spiegeln nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wider. Diese Veröffentlichung wird kostenlos abgegeben und ist nicht für den Verkauf bestimmt. Diese Publikation wurde auf Recyclingpapier (100% Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel) und klimaneutral gedruckt (die Emissionen aus der Druckproduktion werden durch die Förderung zertifizierter Klimaschutzprojekte ausgeglichen). ISBN 978-3-88118-617-9
Inhalt CORNELIA RÖSLER Vorwort 5 MARCO PETERS Klimaschutz „auf dem Land“ – vielfältige Chancen und Potenziale 6 PETER HECK Neue (Bio)Energiedörfer – innovative Konzepte und regionale Wertschöpfung 16 ANSGAR GRAWE, ANITA POSCHMANN Stadt Willebadessen – Fokus Bioenergie 26 VOLKER NIELSEN Erneuerbare Energie aus der Region – Gemeindewerke St. Michel in Sankt Michaelisdonn 34 RENATE GLASER Praxisnahe Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit – Energie-Lehrpfad in der Marktgemeinde Glonn 40 WOLFGANG KLEINE-LIMBERG, SILKE NOLTING EXKURS > Modellvorhaben in Niedersachsen – Dorfentwicklung und Klimaschutz 48 JENS LEOPOLD Rad und Bus kombiniert – neue Wege im ÖPNV in der Gemeinde Mettingen 50 AMADEUS BURKHARDTSMAYER, MARCEL KATZWINKEL, MICHAEL SCHRAMEK Klimafreundliche Mobilität im ländlichen Raum – das Projekt „Vorfahrt für Jesberg e. V.“ 58 ELISABETH FRACH EXKURS > Klimaschutz in kleinen Kommunen – Herausforderungen und Wege zum Erfolg 66 ANDREAS BLESCHKE Energie-Rundgänge für kleine und mittelständische Unternehmen im Landkreis Teltow-Fläming 68 ANSGAR LASAR, MANUELA SCHÖNE Landkreis Oldenburg – Klimaallianz in der Landwirtschaft 76 Klimaschutz in der kommunalen Praxis: Information, Motivation, Vernetzung 84 Bildnachweis 86 3
CORNELIA RÖSLER Vorwort 195 Länder haben im Dezember 2015 das Übereinkommen von Paris geschlossen, mit dem zentralen Ziel, die durch Treib- hausgase verursachte Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begren- zen. Dafür sind auch auf der kommunalen Ebene entspre- chende Entscheidungen zu treffen, Konzepte zu entwickeln und Maßnahmen umzusetzen, die zum Klimaschutz vor Ort einen wesentlichen Beitrag leisten. Für die Kommunen ist dies Herausforderung und Chance zugleich. In vielen Kommunen haben erfolgreich realisierte Projekte bereits zu beachtlichen CO2-Einsparungen geführt. Sie doku- mentieren das große kommunale Engagement für den Klima- schutz, mit dem sie beispielgebend für Bevölkerung und Privat- wirtschaft sind und eine wichtige Vorbildfunktion ausüben. CORNELIA RÖSLER Zugleich machen positive Praxisbeispiele weiteren Kommunen Mut, selbst die Initiative zu ergreifen und eigene Maßnahmen Bereichsleiterin Umwelt zu verwirklichen. im Deutschen Institut In der Publikationsreihe „Themenhefte“ greift das Deutsche für Urbanistik (Difu) Institut für Urbanistik nach und nach Schnittstellen des kommu- nalen Klimaschutzes zu verschiedenen Handlungsfeldern auf. Seit 1991 wissenschaftliche Es werden Ziele, Aufgaben und Inhalte des jeweiligen Themen- Mitarbeiterin im Difu. Koor- bereichs aufbereitet und konkrete Erfahrungen aus der Praxis dination des Arbeitsbereichs unterschiedlicher Kommunen und Institutionen dargestellt. Umwelt am Standort Berlin Ländliche Kommunen sind wichtige Akteure, wenn es um von 1993 bis 2001. Wechsel die Erreichung der nationalen Klimaschutzziele geht. So vielfäl- zum Difu-Standort Köln im Jahr tig wie der ländliche Raum selbst sind auch die Möglichkeiten 2001. Seit 2009 Leiterin des und Potenziale, im Klimaschutz „auf dem Land“ aktiv zu wer- Bereichs Umwelt. Initiierung, den. Zentrale Handlungsfelder sind dabei u. a. die Energiewen- Durchführung und Leitung de, klimafreundliche Mobilität und eine klimaschonende Land- einer Vielzahl von Projekten wirtschaft. In acht Textbeiträgen und zwei Exkursen zeigen zum kommunalen Umwelt- Kommunen sowie Vereine und Forschungseinrichtungen auf, schutz. Vertreterin des Difu im wie Klimaschutz im ländlichen Raum erfolgreich angegangen Umweltausschuss und in der werden kann. Fachkommission Umwelt des Wir danken dem Bundesministerium für Umwelt, Natur- Deutschen Städtetages, in den schutz, Bau und Reaktorsicherheit für die Förderung im Rah- bundesweiten Umweltamts- men der Nationalen Klimaschutzinitiative, ohne die dieses leiterkonferenzen sowie im Themenheft nicht möglich gewesen wäre. Und wir danken al- Arbeitskreis Energiepolitik des len Autorinnen und Autoren, die mit ihrem wertvollen Erfah- Deutschen Städtetages. rungsschatz einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Veröffentlichung geleistet haben. n 5
MARCO PETERS Klimaschutz „auf dem Land“ – vielfältige Chancen und Potenziale B etrachtet man ländliche Gebiete durch die „ländlicher Raum“, sondern teils sehr unterschiedli- „urbane Brille“, zeigen sich oft gegensätzliche che Eingrenzungen [1]. Die simple Abgrenzung von Bilder: Während die einen idyllische Natur- „Land“ als Gegenpart zur „Stadt“ greift dabei auf je- landschaften, günstigen Wohnraum und einen ent- den Fall zu kurz. Aufgrund der in Teilen sehr unter- spannten Lebensrhythmus sehen, fallen anderen schiedlichen Definitionsansätze weisen auch die fehlende Arbeitsplätze, Überalterung und eine Zuordnungen von Bevölkerung und Fläche große schwache Daseinsvorsorge ins Auge. Denn ländli- Differenzen auf. So kann die Spannweite des Anteils che Räume bilden keine homogene Einheit, sondern der als „ländlich geprägt“ bezeichneten Regionen an unterscheiden sich – genau wie Ballungsgebiete – der Gesamtfläche Deutschlands – je nach Typisie- sehr stark voneinander und befinden sich in ständi- rung – zwischen 70 und 90 Prozent variieren. In die- gem Wandel. Prosperierenden ländlichen Regionen, sen Gebieten leben – je nach Eingrenzung – zwi- oftmals in Nähe zu urbanen Zentren, stehen abgele- schen 30 und 50 Prozent der Bevölkerung der gene, dünnbesiedelte Landstriche mit geringen Wirt- Bundesrepublik [2] [3]. Allgemein sind eine deutlich schafts- und Beschäftigungszahlen, schwacher Infra- niedrigere Bevölkerungs- und Bebauungsdichte als strukturausstattung und Schrumpfungstendenzen in urbanen Gebieten, ein hoher Anteil an Naturräu- gegenüber. Im wissenschaftlichen Diskurs existiert men und landwirtschaftlich genutzter Flächen, eine daher auch keine einheitliche Definition des Begriffs starke Verbreitung landwirtschaftlicher Betriebe so-
Einleitung wie geringere Zentralität typische räumliche Merk- haben ländlich geprägte Kommunen im Hinblick auf male ländlicher Gebiete [4]. Diese charakteristischen Klimaschutzaktivitäten? Worin liegen mögliche Her- Eigenschaften des ländlichen Raums sollen Definiti- ausforderungen? Welche Erfolgsfaktoren gibt es für onsgrundlage der vorliegenden Publikation sein. den Klimaschutz in ruralen Kommunen? Die Bundesregierung hat sich die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland zum Leitziel gesetzt, d. h. auch ländliche Gebiete Zukunftsfaktor Energiewende sollen bestmöglich entwickelt werden [5]. Ländli- che Räume stehen dabei – ebenso wie urbane Ge- Chancen bieten sich ländlichen Städten, Ge- biete – vor den großen Herausforderungen der meinden und Landkreisen in der Energiewende, Zeit, wie Klimawandel, Globalisierung oder de- sprich dem Übergang von fossilen Energieträgern mographischer Wandel. Daneben zählt die Ge- zu einer Strom- und Wärmeversorgung mittels währleistung der Daseinsvorsorge für die Men- erneuerbarer Energien. Hier verfügen ländliche schen in ländlichen Gebieten, u. a. in den Be- Gebiete über Standortvorteile, z. B. Verfügbarkeit reichen Mobilität, Energieversorgung oder digita- von Freiflächen oder Ressourcen wie Biomasse, ler Infrastruktur, zu den wichtigsten Aufgaben gegenüber Ballungsräumen, wenn es um die Er- ländlicher Entwicklungsstrategien. Die Kommu- zeugung und dezentrale Nutzung von Strom und nen können dies alleine nicht bewältigen, der Pri- Wärme aus erneuerbaren Energien wie Wind, vatwirtschaft, aber auch (Träger-)Vereinen oder Sonne, Biomasse, Wasserkraft oder Erdwärme Genossenschaften, kommt in diesem Zusammen- geht. Konventionelle Kraftwerke finden sich meist hang eine immer wichtigere Rolle zu [6]. in Ballungsräumen und traditionellen Industrie- Kommunen sind zentrale Akteure, wenn es um gebieten, während Energie aus erneuerbaren die Erreichung der nationalen Klimaschutzziele Quellen aufgrund der geringeren Energiedichte geht. Die Möglichkeiten und Handlungsfelder des und des daraus resultierenden größeren Flächen- aktiven Klimaschutzes sind auf dem Land ebenso bedarfs größtenteils im ländlichen Raum erzeugt vielfältig wie in der Stadt, stehen jedoch häufig unter wird [7]. Allerdings sind nicht alle Regionen glei- eigenen Vorzeichen. Welche besonderen Potenziale chermaßen geeignet, insbesondere bei der Wind- kraft können die regionalen Disparitäten trotz moderner Anlagentechnik teilweise groß sein. Bei der Sonnenenergie kann ein einzelner Stand- ort ungünstig sein, aber regional betrachtet ist in Deutschland jeder Landesteil geeignet, mit ten- denziell steigenden Erträgen in Richtung Süden. Wichtig ist daher, dass die Energieträger genutzt werden, die aufgrund der naturräumlichen Gege- benheiten und Potenziale erschließbar sind. Viele ländliche Kommunen nutzen ihre Möglich- keiten bereits und tragen maßgeblich zur Ener- gieerzeugung aus regenerativen Quellen und damit zum Klimaschutz bei. Dabei entstehen re- gionale Wertschöpfungseffekte sowohl bei der Errichtung als auch beim Betrieb und der War- tung der Energieanlagen [8]. Darüber hinaus er- geben sich Chancen für Bürgerinnen und Bürger sowie Kommunen im ländlichen Raum, finanzi- ell an der Energiewende zu partizipieren, z. B. über Bürgerenergiegenossenschaften oder die Verpachtungen von Gemeindeflächen an Betrei- ber von Windkraftanlagen oder Freiflächen-Pho- tovoltaik-Anlagen. Aspekte wie regionale Wert- 7
KLIM A SC HUTZ & LÄ NDLIC HER RAU M schöpfung und Beteiligung können zudem die Die Energiewende wird häufig mit einer Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen inner- „Stromwende“ gleichgesetzt und (noch) nicht aus- halb der Bevölkerung steigern. Der Ausbau und reichend mit den Bereichen „Wärme“ und „Ver- die Eigenversorgung mit Energie und Wärme aus kehr“ verknüpft. In der sogenannten „Sektoren- regenerativen Ressourcen fördert zudem eine kopplung“, also der Vernetzung von Elektrizität, zukunftsfähige kommunale Daseinsvorsorge, Wärmeversorgung und Verkehr, liegen große Po- verringert die Abhängigkeit von importierten, tenziale – auch für kleine, ländliche Kommunen –, konventionellen Energieträgern und deren Preis- überschüssigen Strom aus Windkraft, Photovoltaik schwankungen und kann so die kommunalen etc. alternativ zu nutzen. Power-to-heat (Um- Haushalte entlasten. Erfolgreiche und innovative wandlung von Strom in Wärme) oder Power-to-gas Projekte im Bereich „Energiewende“ sorgen nicht (Umwandlung von Strom in Gas) sind ausgereifte zuletzt für einen überregionalen Bekanntheits- Verfahren in diesem Kontext. Bislang sind jedoch grad der aktiven Kommunen, steigern damit de- die bundesrechtlichen Voraussetzungen zu einer ren Attraktivität und ziehen Besuchergruppen an wirtschaftlichen Umsetzung nicht gegeben [9]. (Energietourismus). Die bisherigen Ideen scheitern meist an den unter- Ein Sinnbild der Energiewende: Windkraftanlagen im ländlichen Raum
Einleitung schiedlichen Rahmenbedingungen des Strom-, Wärme- und Mobilitätsmarktes. Den genannten Chancen stehen auch Heraus- forderungen gegenüber. Mit der letzten Novellie- rung des Gesetzes zum Ausbau erneuerbarer Ener- gien (EEG) 2017 und der damit einhergehenden Änderung hin zu wettbewerblichen Ausschreibun- gen ist es insbesondere für kleine kommunale Ener- gieversorger und Bürgerenergiegenossenschaften schwieriger geworden, konkurrenzfähig zu blei- ben, da im Gegensatz zum alten System, beispiels- weise in der Windenergie, erhebliche Planungsleis- tungen gestemmt werden müssen, noch bevor ein Zuschlag gesichert ist. Weitere Konfliktfelder liegen in der Flächennutzung zur Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen (Windparks, Freiflächen- Photovoltaik) und den damit verbundenen Eingrif- fen in das Landschaftsbild („Verspargelung“), in der E-Autos bieten Chancen für eine klimafreundliche Ausweitung des Anbaus von Monokulturen, wie Mobilität in ländlichen Regionen Energiemais („Vermaisung“) und die damit verbun- denen negativen Einflüsse auf den Naturraum und die Biodiversität, sowie in der zunehmenden Flä- chenkonkurrenz beispielsweise zur Nahrungs- und lecs (Motorunterstützung bei Pedaleinsatz) oder Futtermittelerzeugung. E-Bikes (Motorunterstützung auch ohne Pedalein- satz) bieten aufgrund der vergrößerten Reichweite und der Einsatzmöglichkeiten für unterschiedliche Herausforderung klimafreundliche Mobilität Zielgruppen klimaschonende Alternativen zum Pkw. Da eine nachhaltige Verkehrswende nicht als Im Bereich klimafreundliche Mobilität sind die „reine Antriebswende“ verstanden werden sollte, Voraussetzungen im ländlichen Raum schwieriger sind auch in ländlichen Regionen klimafreundli- als in städtischen Gebieten. Menschen in ländli- che, flexible Mobilitätskonzepte zwingend not- chen Regionen haben meist längere Wegstrecken, wendig, nicht nur um die Emissionen von Treib- häufig sehr individuelle Ziele und ein weniger um- hausgasen zu verringern, sondern vor allem, um fangreiches Angebot an öffentlichen Verkehrsmit- eine zukunftsfähige Mobilitätsversorgung zu garan- teln als in urbanen Räumen. Sie nutzen deshalb das tieren. Im Stadt-(Um)Land-Verkehr sind Kombinati- Auto in der Regel deutlich intensiver als Bewohne- onsangebote von öffentlichem Personennahverkehr rinnen und Bewohner von Ballungsgebieten. Struk- (ÖPNV) und Fahrrad (auch Pedelec/E-Bike) oder turelle Veränderungen, wie Überalterung, Abwan- privatem Pkw sinnvolle Ansätze zur Reduzierung derung, Schulschließungen oder schlechtere der CO2-Emissionen, insbesondere im Pendlerver- Nahversorgung steigern zudem insgesamt den Mo- kehr. Auch wenn sich „urbane Mobilitätsansätze“ bilitätsbedarf im ländlichen Raum [10]. Zugleich wie CarSharing oder Radverkehrskonzepte auf- liegen hier große Potenziale zur Treibhausgas-Re- grund der unterschiedlichen Gegebenheiten oft duktion: Insbesondere die Elektromobilität ist nicht nicht direkt auf ländliche Gebiete übertragen las- nur in Ballungszentren ein zunehmend wichtiges sen, können bestimmte Konzepte oder Prinzipien Thema, gerade im ländlichen Raum muss E-Mobili- angepasst und umgesetzt werden. Für große, kom- tät, v. a. Elektroautos, verstärkt eine Rolle spielen, merzielle CarSharing-Anbieter sind dünn besiedel- denn hier werden die Menschen auch in Zukunft te Regionen meist wirtschaftlich nicht interessant, maßgeblich auf das Auto angewiesen sein. Ebenso dennoch finden sich auf dem Land mittlerweile stecken im Radverkehr auf dem Land noch nicht Sharing-Formen, wie „Auto-Teiler-Vereine“, „Bür- ausgeschöpfte Möglichkeiten, insbesondere Pede- gerautos“ oder „Peer-to-Peer-CarSharing“ zwischen 9
Wichtiges Handlungsfeld im Klimaschutz: die Landwirtschaft, insbesondere die Nutztierhaltung Privatpersonen. Auch Kooperationen zwischen werden etwa acht Prozent (Stand 2015) der ge- städtischen CarSharing-Anbietern und Umlandge- samten Treibhausgasemissionen in Deutschland meinden existieren inzwischen vermehrt [11]. von der Landwirtschaft verursacht. Verantwort- Niedrigschwellige Mobilitätsangebote, wie ehren- lich sind vor allem Methanemissionen aus der amtliche Bürgerbusse oder Fahrdienste sowie „Mit- Tierhaltung, der Einsatz von Wirtschaftsdünger fahrbänke“, tragen ebenfalls dazu bei, nachhaltige wie Gülle sowie Lachgasemissionen aus land- Mobilität im ländlichen Raum zu sichern und den wirtschaftlich genutzten Böden, die bei der Stick- motorisierten Individualverkehr (MIV) und damit stoffdüngung entstehen [12]. den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Dabei ist der Landwirtschaftssektor besonders von den Auswirkungen des Klimawandels betrof- fen und sollte daher ein großes Eigeninteresse an Handlungsfeld nachhaltige Landwirtschaft dessen Eindämmung haben. Folgen des Klima- wandels, wie vermehrte Extremwetterereignisse In der Landwirtschaft, als zentralem Wirtschafts- mit Starkregen oder Hitzeperioden und damit sektor im ländlichen Raum, liegen große Poten- einhergehenden Ertrags- und Qualitätseinbußen, ziale, aktiv Klimaschutz zu betreiben. Die Agrar- sowie Veränderungen natürlicher jahreszeitlicher wirtschaft in Deutschland trägt bedeutend zur Rhythmen und die damit verbundenen Verschie- Emission klimaschädlicher Gase bei. Insgesamt bungen im Entwicklungsstand von Nutzpflanzen 10
Einleitung stellen landwirtschaftliche Betriebe bereits heute Klima schützen, ländliche Räume entwickeln vor große Herausforderungen [13]. Zum Klimaschutz in der Landwirtschaft ge- Mit welchen Ideen und Ansätzen sich die be- hört z. B. ein verantwortungsvoller Umgang mit schriebenen Potenziale für den Klimaschutz im Moor- und Dauergrünlandflächen, da diese eine ländlichen Raum ausschöpfen lassen und wie die wichtige Funktion als CO2-Speicher haben. Auch Herausforderungen gemeistert werden können, stecken große Potenziale zur Treibhausgasminde- zeigen die guten Beispielen aus der kommunalen rung in der Verbesserung der Stickstoffeffizienz Praxis und die Impulse aus der Forschung in der bei Düngeverfahren. Weitere zentrale Ansatz- vorliegenden Publikation. Dabei gilt, Klimaschutz punkte zum Klimaschutz in der Landwirtschaft nicht als „Selbstzweck“ zu begreifen, sondern sind eine am Wohl der Nutztiere ausgerichtete eine Verzahnung mit anderen wichtigen Hand- Erzeugung tierischer Produkte sowie ein nach- lungsfeldern ländlicher Entwicklung anzustreben. haltiger Einsatz von Bioenergieressourcen. In der Dazu gehören u. a. die Generierung von Wert- Betreibung von Biogasanlagen liegen zum einen schöpfung, Aspekte der Daseinsvorsorge, z. B. in wirtschaftliche Chancen für landwirtschaftliche den Bereichen Energieversorgung oder Mobilität, Unternehmen, denn hier können sich zusätzliche die Verknüpfung von Wärmenetzen und Breit- Verwendungsmöglichkeiten für landwirtschaftli- bandausbau oder ein Entgegenwirken zu Schrump- che Produkte und damit neue Einkommensmög- fungstendenzen und demographischem Wandel, lichkeiten eröffnen [14]. Zum anderen bietet die beispielsweise durch eine Attraktivitätssteigerung Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung und neue Beschäftigungsmöglichkeiten im ländli- auch große Chancen für den Klimaschutz: Ener- chen Raum. Natürlich lassen sich nicht alle Ent- gieträger aus Biomasse setzen bei ihrer Verbren- wicklungsherausforderungen im ländlichen Raum nung nur die Menge an CO2 frei, die der Atmo- durch aktiven Klimaschutz angehen, jedoch lie- sphäre zuvor während des Pflanzenwachstums fern die folgenden Praxisbeispiele Ideen und Im- entnommen wurden, im Gegensatz zu fossilen pulse, wie sich Klimaschutzmaßnahmen positiv Ressourcen, wie Kohle, Erdöl oder Erdgas. Des- auf die genannten Aspekte auswirken können und halb ist die nachhaltige Nutzung nachwachsen- sich gewünschte Synergieeffekte erzielen lassen. der Rohstoffe ein effektiver Ansatz, um dem Kli- Im ersten Artikel erörtert Prof. Dr. Peter Heck, mawandel entgegenzuwirken. Dabei muss Direktor des Instituts für angewandtes Stoffstrom- jedoch berücksichtigt werden, dass der energeti- management (IfaS), innovative Konzepte neuer sche Aufwand für Anbau und Umwandlung der (Bio)Energiedörfer und die Chancen regionaler Biomasse heute zum großen Teil noch aus fossi- Wertschöpfungseffekte. Neue (Bio)Energiedörfer len Quellen gedeckt wird. Dennoch emittieren verbinden Effizienz, die Nutzung erneuerbarer Bioenergieträger in ihrer Gesamtbilanz deutlich Energien, nachhaltige Landnutzung sowie Beteili- weniger CO2 als fossile Brennstoffe und sind da- gung zu einem innovativen Managementmodell mit eine klimafreundliche Alternative [15]. für Kommunen im ländlichen Raum. Mit dieser Entwicklung gehen aber auch zahl- Die „Bioenergie-Kommune“ Willebadessen in reiche neue Nutzungskonflikte einher, insbeson- Nordrhein-Westfalen zeigt, dass sich auch „größe- dere hinsichtlich der Verwendung von nachwach- re“ Städte in ländlichen Gebieten bereits heute wei- senden Rohstoffen zur energetischen Verwendung testgehend mit Strom und Wärme aus erneu- in Konkurrenz zur Erzeugung von Nahrungsmit- erbaren Energiequellen, insbesondere aus regio- teln bzw. Futtermitteln („Tank oder Teller“), der naler Biomasse, versorgen können. Anita Posch- biologischen Vielfalt, des Gewässerschutzes oder mann und Ansgar Grawe von der Stadt Willebades- des Erhalts des Landschaftsbildes [16]. Große Po- sen beschreiben den Weg der Gemeinde zur tenziale – weitgehend ohne negative Auswirkun- „Bioenergie-Kommune“ und benennen wirtschaft- gen – liegen in der Nutzung biologischer „Rest- liche Aspekte als wichtige Faktoren für die Kommu- masse“, wie z. B. Grünschnitt, biogene Reststoffe, ne, den Einstieg in die Nutzung von Bioenergie für land- und forstwirtschaftliche Rest- und Rohstoffe kommunale Liegenschaften zu „wagen“ – und da- oder alternativen Anbaukonzepten, wie „Energie- mit erfolgreich zu sein. Darüber hinaus spielt die hecken“ oder „Kurzumtriebsplantagen“. ausgeprägte Eigeninitiative der Bürgerinnen und 11
Chancen für ländliche Kommunen: Erzeugung und Nutzung von Strom und Wärme aus Biomasse Bürger, der Gewerbetreibenden und der Landwirt- auf dezentrale Energieversorgung und ein eigenes schaft in der Entwicklung Willebadessens hin zur Gemeindewerk setzt, um die Energiewende vor „Bioenergie-Kommune“ eine entscheidende Rolle. Ort praktisch umzusetzen. Für eine Kommune ergeben sich in allen Berei- Dr. Renate Glaser, Gemeinderätin in der Markt- chen der Energieerzeugung und -verteilung wich- gemeinde Glonn und Vorstandsmitglied des Vereins tige Handlungsfelder im Sinne des Klimaschutzes. „Aktionskreis Energiewende Glonn 2020“, stellt in In der schleswig-holsteinischen Gemeinde St. Mi- ihrem Artikel den „Energie-Lehrpfad“ der Kommune chaelisdonn setzt man bei der Energieerzeugung vor. In der bayerischen Gemeinde treibt man bereits in erster Linie auf den „Rohstoff der Küste“, die seit Jahren aktiv die Energiewende vor Ort voran Windkraft, aber auch auf Solarenergie und zum und hat dabei zahlreiche Projekte umgesetzt. Das Teil auf Biomasse. Mit Gründung der Gemeinde- Energiebündnis „Aktionskreis Energiewende Glonn werke St. Michel bietet die Kommune ihren Bürge- 2020 e. V.“ kooperiert eng mit der Kommune und ist rinnen und Bürgern die Möglichkeit, ihren Strom Ansprechpartner, Impulsgeber und Motor für die zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu be- Umsetzung lokaler Energieprojekte in Glonn. Die ziehen. Volker Nielsen, ehrenamtlicher Bürger- Idee des „Energie-Lehrpfads“ ist es, die vielfältigen meister der Gemeinde St. Michaelisdonn, erläutert Handlungsmöglichkeiten einer nachhaltigen Ener- in seinem Beitrag, warum man in seiner Kommune gieversorgung – die bereits in der Gemeinde vor- 12
Einleitung handen sind – in unterschiedlichen Rundgängen mit insgesamt 25 ausgewählten Leuchtturmprojekten „begeh- und erlebbar“ zu machen. Der erste Exkurs der vorliegenden Veröffentli- chung skizziert ein Modellvorhaben für Dorfent- wicklung und Klimaschutz in Niedersachsen. Silke Nolting (Kommunale Umwelt-AktioN U.A.N.) und Wolfgang Kleine-Limberg (Planungsbüro mensch und region GbR) beraten und unterstützen als durchführendes Konsortium des Modellvorhabens die drei niedersächsischen Dorfregionen Duder- stadt, Holte-Lastrup-Herßum und Wahrenholz- Schönewörde dahingehend, die vielfältigen Aspek- te von Klimaschutz und Klimaanpassung in ihre Dorfentwicklungsplanungen einzubinden. Klimafreundliche Mobilität im ländlichen Raum ist ein wichtiges, aber auch ein schwieriges Thema, denn große Distanzen und oftmals unzu- reichende ÖPNV-Verbindungen machen das Auto zum wesentlichen Verkehrsmittel. In der Gemein- de Mettingen in Nordrhein-Westfalen hat man mit dem Projekt „STmobil“ ein Kombinationsangebot aus Rad (Pedelecs) und Bus eingeführt, um insbe- sondere für „Land-Stadt-Pendler“ den Umstieg vom Pkw auf nachhaltige Mobilitätslösungen at- traktiver zu machen. Jens Leopold, Klimaschutz- manager der Gemeinde Mettingen, erklärt in sei- nem Beitrag, wie das Mobilitätsangebot in Kooperation mit der kommunalen Regionalver- Wichtige Säule für eine klimafreundliche Mobilität kehr Münsterland GmbH funktioniert, welche Vor- auf dem Land: der öffentliche Nahverkehr teile er sieht und warum das Modell auch für an- dere ländliche Kommunen interessant ist. Der Verein „Vorfahrt für Jesberg e.V.“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, in der hessischen Ge- die zu den Chancen und Herausforderungen klei- meinde Jesberg klimaschonende Alternativen zum ner Kommunen im Klimaschutz vor. Die Untersu- Privatauto zu etablieren, um eine flexible und zu- chung hat gezeigt, dass die Potenziale für aktiven kunftsorientierte Mobilität im Ort zu garantieren Klimaschutz in kleinen Kommunen vielfältig sind und gleichzeitig die Bürgerinnen und Bürger nä- und strukturelle Hürden durch eine engagierte Kli- her zusammenzubringen. Amadeus Burkhardts- maschutzarbeit überwunden werden können. mayer, Marcel Katzwinkel und Michael Schramek In ländlichen Gebieten prägen meist kleine und erläutern in ihrem Beitrag, warum es entscheidend mittelständische Unternehmen (KMU) den Wirt- ist, Mobilität auch im ländlichen Raum als „Ge- schaftssektor. Der Landkreis Teltow-Fläming in samtsystem“ zu betrachten und wie eine Verzah- Brandenburg hat in diesen Betriebsformen eine nung mit anderen zentralen Aspekten dörflicher wichtige Zielgruppe zur Erreichung der eigenen Entwicklung – z. B. in den Handlungsfeldern de- Klimaschutzziele identifiziert und mit dem Projekt mographischer Wandel oder Integration – gelin- „Energie-Rundgänge“ ein Beratungskonzept entwi- gen kann. ckelt, bei dem branchengleiche KMU voneinander Elisabeth Frach vom Service- und Kompetenz- lernen, wie eine Verringerung des Energiever- zentrum: Kommunaler Klimaschutz beim Difu stellt brauchs im Produktionsablauf realisiert und wie die in ihrem Exkurs die zentralen Ergebnisse einer Stu- Strom- und Wärmegewinnung aus erneuerbarer 13
KLIM A SC HUTZ & LÄ NDLIC HER RAU M Energie umgesetzt werden können. Andreas Quellenangaben Bleschke, Leiter der Klimaschutzkoordinierungs- [1] Schlömer, C., und M. Spangenberg, Städtisch und stelle im Landkreis, schildert in seinem Artikel u. a., ländlich geprägte Räume: Gemeinsamkeiten und weshalb der Austausch von Betrieb zu Betrieb sinn- Gegensätze, in: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und Bundesinstitut für voll ist und wie man die Zielgruppe erreicht. Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt Zum Abschluss stellen Ansgar Lasar und Manu- für Bauwesen und Raumordnung (BBR) ( Hrsg.), ela Schöne vor, wie man im Landkreis Oldenburg Ländliche Räume im demografischen Wandel. in Niedersachsen das wichtige Handlungsfeld DGD/BBR-Dezembertagung 2008, BBSR-Online- Landwirtschaft in den Klimaschutz integriert. Hier Publikation Nr. 34/2009, S. 17ff. Download unter: setzt man auf eine Kombination aus Informations- http://downloads.eo-bamberg. de/9/883/1/39776177391270917991.pdf#page=18 veranstaltungen und individueller Einzelberatung [2] Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung vor Ort, um landwirtschaftliche Betriebe für das (BBSR) (Hrsg.), Laufende Raumbeobachtung – Thema Klimaschutz zu sensibilisieren und vor al- Raumabgrenzungen, Bonn 2015. Download unter: lem zu konkreten Maßnahmen zur Treibhausgas- www.bbsr.bund.de/nn_1067638/BBSR/DE/ reduzierung zu motivieren. Agrarunternehmen Raumbeobachtung/Raumabgrenzungen/Kreistypen2/ können mit der Umsetzung der vorgeschlagenen kreistypen.html [3] Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- Klimaschutzmaßnahmen oftmals wirtschaftlicher schaft (BMEL) (Hrsg.), Ländliche Räume verstehen und effizienter arbeiten und dem Endverbraucher – Fakten und Hintergründe zum Leben und Arbeiten klimaschonend erzeugte Produkte anbieten und in ländlichen Regionen, 2016. Download unter: damit auch einen Marketingvorteil erzielen. www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/ LR-verstehen.pdf?__blob=publicationFile [4] Küpper, P.(Thünen-Institut für Ländliche Räume), Abgrenzung und Typisierung ländlicher Räume, Ideen aufnehmen und selbst aktiv werden Thünen Working Paper 68, Braunschweig 2016. Download unter: http://literatur.thuenen.de/digbib_ Die Artikel und Exkurse der vorliegenden Publikati- extern/dn057783.pdf on spiegeln die große Bandbreite an Möglichkeiten [5] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, zum aktiven Klimaschutz im ländlichen Raum ex- Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) (Hrsg.), Ländliche emplarisch wider. Sie sollen Kommunen zur Nach- Räume: vielfältig und innovativ, o.J. Download unter: www.bmub.bund.de/laendlicher-raum/ ahmung anregen sowie bei der Initiierung, Planung [6] Dehne, P., Ein Umbau der Daseinsvorsorge in und Umsetzung eigener Klimaschutzprojekte un- ländlichen Regionen ist notwendig, in: Bundesanstalt terstützen. Wie eingangs beschrieben, sind ländli- für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) (Hrsg.), che Räume keine homogene Einheit, das bedeutet Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen unter Druck. auch, dass die Voraussetzungen und Beweggründe Wie reagieren auf den demografischen Wandel?, für Klimaschutzmaßnahmen sehr unterschiedlich Bonn 2013. Download unter: www.netzwerk- laendlicher-raum.de/fileadmin/sites/ELER/Dateien/04_ sein können. Die vorgestellten Projekte und Kon- Partner/Daseinsvorsorge/Daseinsvorsorge_unter_ zepte sollen daher vor allem als praxisnaher „Ideen- Druck_BLE-SG-Infra_01_2013_Web.pdf Pool“ gesehen werden, aus dem sich interessierte [7] Gailing, L., und A. Röhring, Was ist dezentral Kommunen und Akteure Modelle und Bausteine an der Energiewende? Infrastrukturen erneuerbarer herausgreifen können, um individuelle Ideen und Energien als Herausforderungen und Chancen für Ansätze zu entwickeln und diese auf die eigenen ländliche Räume, in: Raumforschung und Raumord- nung 73(1), Heidelberg 2014, S. 31 ff. Download Gegebenheiten und Ziele anzupassen. unter: www.researchgate.net/publication/276350238_ Auch wenn derzeit das viel zitierte „Zeitalter Was_ist_dezentral_an_der_Energiewende_ der Städte“ – und der damit verbundene Trend zur Infrastrukturen_erneuerbarer_Energien_als_ Urbanisierung – in aller Munde ist, spielen ländli- Herausforderungen_und_Chancen_fur_landliche_ che Kommunen gerade in Fragen des Klimaschut- Raume zes eine wichtige Rolle: Nur wenn Klimaschutz [8] Plankl, R./Thünen-Institut für ländliche Räume, Regionale Verteilungswirkungen durch das Ver- flächendeckend – sprich in Ballungszentren wie gütungs-und Umlagesystem des Erneuerbare- auf dem Land – gedacht und umgesetzt wird, ist Energien-Gesetzes (EEG), Thünen Working Paper 13, die Erreichung der Klimaschutzziele in Deutsch- Braunschweig 2013. Download unter: http://literatur. land möglich. n ti.bund.de/digbib_extern/dn052693.pdf 14
Einleitung [9] Maslaton, M., Die Politik bremst die Sektorkopp- lung aus, Der Tagesspiegel 21.05.2017. Download unter: www.tagesspiegel.de/politik/energiewende-die- politik-bremst-die-sektorkopplung-aus/19833776.html [10] Ahrens, G.-A., U. Becker et al./ Technische Universität Dresden, Lehrstuhl Verkehrs- und Infra- strukturplanung und Lehrstuhl Verkehrsökologie (Durchführung der Studie), Potenziale des Rad- verkehrs für den Klimaschutz. Im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) (Hrsg.), Kurzfassung, Dessau-Roßlau 2013. Download unter: www.energiewende-sta.de/wp-content/uploads/ 2010/03/Potentiale-des-Radverkehrs-f%C3%BCr- den-Klimaschutz_kurzfassung.pdf [11] Bundesverband CarSharing (bcs), CarSharing ist auch in kleineren Städten und Gemeinden erfolgreich möglich, 2012. Download unter: https://carsharing.de/ themen/carsharing-im-landlichen-raum/carsharing- ist-auch-kleineren-stadten-gemeinden-erfolgreich [12] Umweltbundesamt (Hrsg.), Emissionen aus der Landwirtschaft im Jahr 2015, o.J. Download unter: www.umweltbundesamt.de/daten/land- forstwirtschaft/beitrag-der-landwirtschaft-zu-den- treibhausgas#textpart-1 [13] Umweltbundesamt (Hrsg.), Monitoringbericht 2015 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Bericht der Interministeriellen Arbeits- gruppe Anpassungsstrategie der Bundesregierung, MARCO PETERS Dessau-Roßlau 2015. Download unter: www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/ Wissenschaftlicher Mitar- medien/376/publikationen/monitoringbericht_2015_ beiter, Deutsches Institut zur_deutschen_anpassungsstrategie_an_den_ für Urbanistik (Difu) klimawandel.pdf [14] Bundesministerium für Ernährung und Land- wirtschaft (BMEL) (Hrsg.), Klimaschutz und Klima- Seit 2014 wissenschaftlicher wandel, o. J. Download unter: www.bmel.de/ Mitarbeiter beim Deutschen In- DE/Landwirtschaft/Nachhaltige-Landnutzung/ stitut für Urbanistik (Standort Klimawandel/_Texte/COP23_Bonn.html;jsessionid= Köln) im Bereich Umwelt. Der 9E129E114CEEE2B9CD578B077E15FFC4.2_ Arbeitsschwerpunkt liegt in den cid385?nn=310028 [15] Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR), Themenfeldern Klimaschutz, Klimaschutz und nachwachsende Rohstoffe, o. J. Klimafolgenanpassung sowie Download unter: https://bioenergie.fnr.de/ Wissenschaftskommunikation, rahmenbedingungen/biomasse-und-nachhaltigkeit/ unter anderem: Konzeption klimaschutz-und-nachwachsende-rohstoffe/ und Moderation von Fachver- [16] Beckmann, K.J., Libbe, J. et al., Räumliche anstaltungen, Vorträge, fachli- Implikationen der Energiewende. Positionspapier, Difu-Paper, Berlin 2013. Download unter: che und konzeptionelle Betreu- https://difu.de/publikationen/2013/raeumliche- ung von Publikationen sowie implikationen-der-energiewende.html eigene Veröffentlichungen. Ma- gisterstudium der Geographie, Soziologie und Wirtschaftsgeo- graphie an der Rheinisch-West- fälischen Technischen Hoch- schule Aachen. 15
PETER HECK Neue (Bio)Energiedörfer – innovative Konzepte und regionale Wertschöpfung D ie Energiewende bietet insbesondere für Bioenergiedorfes entwickelt. Nach einem einjähri- ländliche Räume große Chancen, denn gen regionalen Auswahlprozess wurde die kleine wichtige Optionen für ein klimaneutrales Gemeinde Jühnde im Landkreis Göttingen als künf- Deutschland liegen in der Fläche. Daraus können tiges Bioenergiedorf ausgewählt und ist heute als eine Änderung der Funktion und eine Steigerung des „Deutschlands erstes Bioenergiedorf“ überregional Selbstbewusstseins durch ein sehr hohes Potenzial bekannt. Die genaue Anzahl an Bioenergiedörfern an neuen Geldflüssen für ländliche Regionen resul- lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Definitio- tieren: Vormals finanzschwache und abgehängte nen und der Vielzahl an Initiativen und Akteuren ländliche Kommunen und Regionen werden so zu nicht exakt bestimmen. Auch existiert derzeit keine Wertschöpfungsinseln, die sich von Subventions- zentrale bundesweite Erfassung von Bioenergiedör- empfängern zu Nettozahlern entwickeln. Entspre- fern. Fasst man sämtliche Quellen zu Aktivitäten im chend gesteuert und organisiert kann dieses Geld Bereich Bioenergiedörfer zusammen, beschäftigen zum nachhaltigen Ökosystemschutz und neuen Ent- sich aktuell mehr als 400 Dörfer und Gemeinden wicklungschancen im ländlichen Raum führen. mit Themen rund um die strategische Nutzung von Bioenergiedörfer sind dörfliche Gemeinden, in Bioenergie – und es werden ständig mehr! denen – zu Beginn der „Bewegung“ – der überwie- Neue (Bio)Energiedörfer versuchen die be- gende Teil der Strom- und Wärmeversorgung aus schriebenen Chancen zu nutzen und gleichzeitig Biomasse erfolgte [1]. Das Interdisziplinäre Zen- den hohen Ansprüchen an eine nachhaltige Bewirt- trum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Uni- schaftung der neuen Ressourcen gerecht zu wer- versität Göttingen hat im Jahr 1999 die Idee des den. Dabei tritt die Rolle der Biomasse mengenmä- Li: Biomasse aus der Kulturlandschaft: z.B. Holz aus Durchforstungen – Re: Blühgemenge als Input für Biogasanlage
Bürgerdialog an einer Biogasanlage ßig immer mehr in den Hintergrund und macht der Mit den Veränderungen im Erneuerbare-Ener- Solarenergie und der Windenergie Platz. Biomasse gien-Gesetz (EEG) – zuletzt in der Novellierung als wertvolle, ökologisch sehr sensible und letztlich zum EEG 2017 – müssen sich Bioenergie-Projekte als ökonomisch aufwändigste Ressource nimmt zu- komplett neu orientieren: Die direkte Nutzung nehmend eine eher strategische, wohl dosierte von Windstrom, Solarstrom oder Biogasstrom Funktion ein. Daher nutzt man am Institut für ange- steht auf der Agenda einiger existierender (Bio) wandtes Stoffstrommanagement (IfaS), das sich wis- Energiedörfer, z. B. in der Gemeinde Feldheim in senschaftlich u. a. mit dem Wandel in der Energie- Brandenburg, und ist bei vielen anderen neuen umwandlung befasst, eine neue Schreibweise und Projekten wie beispielsweise im rheinland-pfälzi- setzt den Begriff „(Bio)“ in Klammern, um die Be- schen Gimbweiler (Versorgung der Pumpenener- deutung der anderen erneuerbaren Energien in die- gie des Nahwärmenetzes über Photovoltaik-Anla- sen Kontext mit einzubeziehen. ge und Batterie) oder in der Gemeinde Meckenbach (Stromversorgung des Dorfes durch Photovoltaik und Batterie und Wärmeversorgung aus erneuer- Säulen neuer (Bio)Energiedörfer baren Quellen) in Planung. Ein Großteil der (Bio)Energiedörfer mit Biogas- Die Entwicklung von (Bio)Energiedörfern erfordert nutzung weist im Jahresmittel eine signifikante weitsichtige, lokale und regionale Kooperationsmus- Überproduktion von bis zu 60 Prozent Wärme auf. ter zwischen Land- und Forstwirtschaft sowie Kom- Für die effiziente und dezentrale Nutzung des Bio- munen und Bürgerschaft. Klassische (Bio)Energie- gases nimmt das Einbinden von Satelliten-Block- dörfer nutzen bisher Biogasanlagen (etwa 80 heizkraftwerken (BHKWs) weiter zu. Satelliten- Prozent) oder Holzhackschnitzelkesselanlagen BHKWs sind ausgelagerte Blockheizkraftwerke, die (etwa 60 Prozent) zur Wärmeversorgung, circa 40 über eine Gasleitung mit der Biogasanlage verbun- Prozent aller (Bio)Energiedörfer wenden beide Tech- den sind und bei einem Kunden, der zu weit ent- nologien an. In diesem Fall wird die Biogastechnolo- fernt für eine Warmwassernetzanbindung liegt, gie zur Grundlastabdeckung des Wärmebedarfs ein- platziert werden. Aktuell sind Satelliten-BHKWs gesetzt. Bisher waren (Bio)Energiedörfer auf die bei zehn Prozent der Biogasanlagen in (Bio)Ener- Bereitstellung von erneuerbarer Wärme für den Ei- giedörfern anzutreffen. Im Bereich der verwende- genverbrauch fokussiert. Strom war lediglich in der ten Substrate für Biogasanlagen dominieren nach Bilanz ein Beitrag zur Energieversorgung des Dorfes. wie vor Anlagen mit überwiegender Nutzung nach- 17
KLIM A SC HUTZ & LÄ NDLIC HER RAU M (Bio)EnergieDorf Strom Wärme Effizienz Landnutzung Innovation Soziale • Photo- • Biogas • Beratung • Agroforst- • mobile Teilhabe voltaik • Geo- • Wärme- systeme Wärme- • Teilhabe- • Wind thermie dämmung • Mehr- speicher modelle • … • Solar- • Heizungs- nutzungs- • Aquakultur Energie- thermie pumpen konzepte • Kühlung versorgung • Wärme- • LED • regionales • Finanzie- pumpe • Haushalts- Kulturland- rungs- geräte schaftsma- strukturen nagement • Arbeits- plätze Säulen eines neuen (Bio)Energiedorfes wachsender Rohstoffe und Reststoffnutzung, wie Die optimierte Wärmenutzung ist ein essen- Wirtschaftsdünger – alternative Anbaukonzepte zieller Bestandteil zum Erreichen eines wirt- bilden noch die Ausnahme. Holzhackschnitzel- schaftlichen Betriebs von Biomasseanlagen mit basierte Wärmenetze werden oftmals durch fossile Kraft-Wärme-Kopplung. Einige der (Bio)Energie- Spitzenlast-/Reservekessel ergänzt und sind beson- dörfer weisen innovative Maßnahmen einer über ders in waldreichen Regionen anzutreffen. Innova- die Wohngebäudebeheizung hinausgehenden tionen werden in diesem Bereich beispielsweise Wärmenutzung auf. Im (Bio)Energiedorf Schkö- durch biomassebasierte Kraft-Wärme-Kopplungs- len (Thüringen) wird die Wärme der Biogasanla- (KWK-)Anlagen mit Pellets oder Holzhackschnit- ge beispielsweise erfolgreich zur Beheizung zeln zur Grundlastabdeckung realisiert. Allerdings einer Fischzuchtanlage eingesetzt. Die Wärme ist deren Anteil an der Gesamtheit aller (Bio)Ener- des ebenfalls vorhandenen Biomasseheizkraft- giedörfer mit drei Prozent noch gering. Bei korrek- werkes wird neben der Belieferung des Wärme- ter Dimensionierung und Auswahl von geeigneten netzes für eine Gewächshausanlage genutzt. Auf Technologien kann im Vergleich zu einer reinen diese Weise können über das Jahr 75 Prozent der Holzhackschnitzelanlage die Wirtschaftlichkeit erzeugten Kraftwerkswärme wirtschaftlich ge- durch Einspeisetarife für Strom gesteigert werden. nutzt werden. Typisch für waldreiche Gebiete: Nutzung von biogenen Festbrenn- stoffen, z. B. Holzhackschnitzel
(Bio)Energiedörfer und regionale Wertschöpfung Rechtliche Organisationsformen als Gesellschafter an einer GmbH, Kommanditist in einer GmbH & Co. KG und als Mitglied in einer Die umfangreiche Logistik im Bereich Biomasse er- Genossenschaft erfolgen. In einigen Bundesländern fordert Investitionen und hohe Betriebsausgaben. können Kommunen und kommunale Betriebe eine Eine Vielfalt möglicher Organisationsformen wird Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) zur Projektumset- bei der rechtlichen Umsetzung von (Bio)Energie- zung gründen. dörfern genutzt: Ein Engagement von Landwirten zieht häufig die Gründung einer Gesellschaft bür- gerlichen Rechts (GbR) oder einer Gesellschaft mit Chancen für regionale Wertschöpfung beschränkter Haftung (GmbH) nach sich, während in ländlichen Räumen Bürgerzusammenschlüsse in der Regel genossen- schaftlich organisiert sind. Eine Gesellschaft mit be- „Das Geld des Dorfes dem Dorfe“ forderte Fried- schränkter Haftung & Compagnie Kommanditge- rich Wilhelm Raiffeisen bereits vor 140 Jahren und sellschaft (GmbH & Co. KG) eignet sich vor allem zeigte damit ein grundlegendes Managementpro- dann, wenn viele unterschiedliche Gesellschafter blem der ländlichen Regionen auf. Deutschland bzw. Gesellschaftsformen miteinander kombiniert ist mit Ausnahme von Braunkohle und vor allem werden sollen. Eine kommunale Beteiligung kann der regenerativen Energieträger in hohem Maße Schematische Darstellung neuer (Bio)Energiedörfer 19
KLIM A SC HUTZ & LÄ NDLIC HER RAU M auf Importe angewiesen. Je nach Energieträger lie- mehr Mittel für soziale Aufgaben aufzubringen. gen die Importquoten für Steinkohle, Erdöl, Erdgas Rückläufige kommunale Einnahmen stehen steigen- und Uran zwischen 80 und 100 Prozent. Mit der den Ausgaben gegenüber – und das vor dem Hinter- Einfuhr ist nicht nur eine wirtschaftliche Abhän- grund steigender Verschuldung in vielen Orten. gigkeit von politisch oftmals instabilen Regionen Verstärkt wird dieser Effekt durch eine nicht opti- verbunden, sondern es fließen auch erhebliche male Nutzung lokaler Ressourcen, z. B. zur Energie- Geldmittel aus Deutschland ab: Bis zum Jahr 2030 bereitstellung. Eine Betrachtung der Stoff- und Ener- wird Deutschland für 2.000 Milliarden Euro fossi- gieströme in ländlichen Räumen zeigt vielfach ein le Rohstoffe importieren [2]. Im Rahmen einer ähnliches Bild: Die Dörfer und ländlichen Regionen sinnvollen Energiewende kann ein Großteil dieses sind bei der Einfuhr von Energieträgern und Rohstof- Geldes in ländlichen Regionen für Zukunftsfähig- fen zum Großteil auf externe, fossile Quellen ange- keit und Klimaschutz sorgen. Das Geld ist also da, wiesen. Nur ein geringer Teil der Wertschöpfung fin- es wird nur falsch allokiert. det bei der (Energie-)Umwandlung in ländlichen Eine kleine, ländliche Gemeinde mit 300 Haus- Räumen statt. Die vorhandenen Potenziale und Res- halten und 700 Einwohnern hat jährliche Strom- und sourcen wie z. B. Biomasse (Grünschnitt, biogene Wärmekosten von über 600.000 Euro, die zudem Reststoffe, land- und forstwirtschaftliche Rest- und von Jahr zu Jahr durchschnittlich zwischen vier und Rohstoffe etc.) oder Wind- und Sonnenenergie wer- sieben Prozent ansteigen. Die verfügbaren Einkom- den bisher zu wenig und zum Teil ineffizient genutzt. men der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner Dadurch fließen große Mengen finanzieller Mittel aus steigen jedoch nicht im gleichen Maße an. Das Dorf den ländlichen Regionen in Deutschland ab. Diese als Summe seiner Einwohner verliert also an Kauf- Entwicklung wird durch steigende Energiepreise noch kraft, verbunden mit negativen Folgen für den Einzel- weiter verstärkt. Hier ist ein Umdenken dringend er- handel, Dienstleistungen und Handwerk sowie das forderlich. Über die intelligente In-Wertsetzung der kulturelle und soziale Leben. Gleichzeitig stehen die vorhandenen kommunalen Potenziale, beispielswei- Kommunen vor der Herausforderung, zunehmend se durch die Entwicklung zu einem (Bio)Energiedorf, 20
(Bio)Energiedörfer und regionale Wertschöpfung können die Haushalte der Kommunen und der Bürge- • mehr regionale Arbeit durch Wartungs- und rinnen und Bürger entlastet und damit neue Spielräu- Betriebsaufwand vor Ort; me für die Daseinsvorsorge geschaffen werden. • mehr Bewusstsein und Wahrnehmung der Durch die Teilhabe der Einwohnerinnen und Einwoh- eigenen Möglichkeiten und Abhängigkeiten. ner an diesen Potenzialen wird die Kaufkraft in den Regionen gesteigert und die regionale Wertschöpfung Die regionalen Wertschöpfungseffekte sind die erhöht. So können engagierte Dorfgemeinschaften, Summe aller zusätzlichen Werte, die in einer Kommunen und Regionen neue Alleinstellungsmerk- Region entstehen. Diese Werte können ökono- male erarbeiten und ihr Profil individuell schärfen. misch, ökologisch und sozial verstanden wer- Durch die Analyse der regionalen Potenziale den. Richtig und gemeinschaftlich organisiert und die daraus resultierenden Investitionen in lo- führt dies zu einer Renaissance und Erweiterung kale (Bio)Energie-Projekte können in den Dörfern der Kultur dörflichen Lebens mit zukunfts- und Regionen neue ideelle und ökonomische weisenden Perspektiven. So gewinnen ländliche Werte entstehen: Räume an Attraktivität und werden zu einer nachhaltigen Alternative gegenüber Ballungs- • mehr Klima- und Umweltschutz durch reduzier- räumen. te Emissionen und vielfältigere Landnutzung; • mehr Versorgungssicherheit und weniger Im- portabhängigkeit durch die Aktivierung lokaler Fördermöglichkeiten nutzen Ressourcen; • mehr Kooperation und weniger Politikverdros- Für das Projekt „150 Smart Villages“ des Landes senheit durch die Aktivierung vieler Bürgerin- Rheinland Pfalz, einer neuen Form der (Bio)Ener- nen und Bürger; giedorfentwicklung, lassen sich auf dieser Basis • mehr Kaufkraft durch reduzierten Bezug fossi- für einen „worst case“ und einen „best case“ ler Energieträger und unternehmerischer Ge- Investitionen in Höhe von 265 Millionen bis winne aus dem Betrieb eigener Anlagen zur 2,1 Milliarden Euro auslösen. Die regionale Wert- Strom- und Wärmeerzeugung (Teilhabe); schöpfung läge danach zwischen 240 Millionen • mehr Innovation durch Technologien wie Wär- und 1,5 Milliarden Euro in zehn Jahren. Auch für menetze, Stromnetze und Speicher; den Klimaschutz lassen sich durch eine solche Li: Abfluss finanzieller Mittel bei ungenutzten regionalen Potenzialen Re: Investition in eigene Potenziale im Rahmen eines Stoffstrommanagements 21
KLIM A SC HUTZ & LÄ NDLIC HER RAU M Entwicklung positive Effekte generieren, und zwar Zukunft der (Bio)Energiedörfer in Form einer Vermeidung von CO2-Emissionen in Höhe von 122.000–692.000 Tonnen pro Jahr. Das Seit den ersten (Bio)Energiedörfern haben umfas- – vom rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministeri- sende Entwicklungen im Bereich der erneuerbaren um geförderte – Projekt hatte innerhalb von zwölf Energien stattgefunden: Über 7.000 Biogas-, 20.000 Monaten 90 konkrete Interessensbekundungen Windkraft- und weit über eine Million Photovol- von Ortsgemeinden in Rheinland-Pfalz erwirkt. taik-Anlagen haben den ländlichen Raum sichtbar Davon sind ca. 32 über Quartierskonzepte der verändert. Hunderttausende Bürgerinnen und Bür- Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in die kon- ger besitzen Anlagen zur Nutzung regenerativer krete Planung eingestiegen. „Smart Villages“ sind Energien oder sind finanziell an solchen Anlagen eine Weiterentwicklung von (Bio)Energiedörfern. beteiligt. Auf der anderen Seite fragen sich mehr Neben den klassischen Energiethemen spielen und mehr Menschen, wie viele solcher Anlagen Breitbandanschluss, E-Mobilität und nachhaltige möglich sind, ohne die ländliche Kultur und insbe- Landnutzung eine Rolle. In der Folge hat das Land sondere Natur zu stören: Wie viele Anlagen lassen Rheinland-Pfalz ein eigenes Förderprogramm zur sich realisieren, ohne die Versorgung mit Nahrungs- Unterstützung der Kommunen bei der Quar- mitteln in Frage zu stellen? Wie viele Baumaßnah- tiersentwicklung und beim Umsetzungsmanage- men und Hochleistungsmonokulturen, wie z. B. ment aufgelegt. Mais und Raps, vertragen sich mit der Umwelt, Ein weiterer sinnvoller Ansatz ist das Einwer- ohne so wichtige Aspekte wie Trinkwassergewin- ben und die zweckmäßige Verwendung von Agrar- nung, Boden- und Erosionsschutz oder die Biodi- fördermitteln. Im Rahmen der ersten Säule der Ge- versität zu gefährden? Viele Bedenken der Bürgerin- meinschaftsaufgabe Agrarpolitik (GAP) werden nen und Bürger zur ländlichen Energiewende sind jährlich 1,1 Milliarden Euro für die deutsche Land- berechtigt und müssen sorgsam bedacht werden. Es wirtschaft zur Verfügung gestellt, um sogenannte gibt allerdings auch eine breite, leider häufig von „Greening“-Maßnahmen, u. a. zum Erhalt von Egoismen geprägte „NIMBY-Bewegung“ („Not-in- Dauergrünland als wichtigem CO2-Speicher, My-Back-Yard“), die es zunehmend schwerer durchzuführen. Würden diese Maßnahmen bei- macht, notwendige und sinnvolle Maßnahmen im spielsweise in Form von Agroforstsystemen (z. B. ländlichen Raum durchzusetzen. Feldhecken) auf drei Prozent der deutschen Acker- Die (Bio)Energiedörfer der Zukunft müssen flächen durchgeführt, wären lediglich 13 Prozent sich diesen Problemen und Diskussionen stellen der jährlichen GAP-Fördermittel nötig, um mit den und tragfähige Lösungen erarbeiten. Einige der daraus resultierenden Energieäquivalenten 3.600 wichtigsten Herausforderungen und Handlungs- neue (Bio)Energiedörfer zu versorgen [3]. felder werden nachfolgend beschrieben: • Langfristig bezahlbare Energie für Bürgerinnen Tabellarischer Exkurs: und Bürger ist für viele Akteure in (Bio)Energie- Regionale Wertschöpfung und nachhaltige dörfern ein – wenn nicht das – zentrale Thema Landnutzung durch intelligente Nutzung der zur Beteiligung an Projekten. Lokale und re- europäischen Agrarförderung (GAP) gionale Wertschöpfungspotenziale müssen mit neuen Einkommensquellen und Arbeitsplätzen • 360.000 Hektar neue Energiehecken erweitert werden. • 216.000 Tonnen Heizöl pro Jahr • Ohne attraktive Formen der Beteiligung wird es • 144 Mio. Euro pro Jahr Investition von keine breite Unterstützung der Bevölkerung für GAP-Mitteln die neuen Technologien und die damit indi- • 2,9 Mrd. Euro in 20 Jahren viduell verbundenen Belastungen geben. (Bio) • ca. 2,5 Mill. Euro Investition pro Energiedorf Energiedörfer bieten verschiedene Möglich- • ca. 8 Mrd. Euro Investitionen in 3.600 (Bio) keiten der Teilhabe an: Dazu zählen günstige Energiedörfern Wärmepreise, Beteiligung an Vermögen, Ein- • ca. 10 Mrd. Euro Wertschöpfung (20 Jahre) kommen und Arbeitsplätzen, Mitbestimmung, kulturelle Leistungen und Bildungsangebote. 22
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