Kompetenzbildung angehender Lehrkräfte im Umgang mit sprachlicher und kultureller Heterogenität an berufsbildenden Schulen

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Kompetenzbildung angehender Lehrkräfte im Umgang mit sprachlicher und kultureller Heterogenität

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    Maria Gruber, Edda Fiebig

    Kompetenzbildung angehender Lehrkräfte im
    Umgang mit sprachlicher und kultureller
    Heterogenität an berufsbildenden Schulen
    Mit dem hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund an berufsbildenden Schulen gehen besondere sprachliche
    und interkulturelle Anforderungen an die Lehrkräfte einher. Eine gezielte Vorbereitung darauf ist jedoch noch in keiner der
    drei Phasen der Lehrerbildung standardmäßig verankert. Im Rahmen des vom Europäischen Integrationsfonds (EIF) geför-
    derten Kooperationsprojekts „Schule für Alle“ wird an der Technischen Universität München (TUM) untersucht, wie Stu-
    dierende des Lehramts an berufsbildenden Schulen bereits während des Studiums entsprechende Qualifizierungen in den
    Bereichen Deutsch als Zweitsprache und Interkulturelle Kommunikation erwerben können.

    1	Heterogenität und Inklusion an                                auch Schülern ohne Migrationshintergrund und mit Deutsch
       berufsbildenden Schulen                                       als Muttersprache stellen, Schule in einer anderen Verkehrs-
    Das Thema Heterogenität ist für Lehrkräfte an berufsbilden-      sprache als ihrer Erstsprache meistern und sich gegebenen-
    den Schulen von besonderer Brisanz, da sie neben berufli-        falls als Wanderer zwischen zwei kulturell verschiedenen
    chen Oberschulklassen und regulären Berufsschulklassen           Welten bewegen. Verschiedenen Studien zufolge verläuft
    beispielsweise Jugendliche ohne Ausbildungsplatz unter-          die Trennlinie bezüglich Bildungserfolg und Bildungsbeteili-
    richten, Förderschüler mit speziellen Bedürfnissen sowie         gung entlang ethnischer und sozio-ökonomischer Zugehö-
    Schüler1 im Berufsgrundbildungs-, Berufsvorbereitungs-           rigkeit (vgl. z. B. OECD 2006 und Hellpap 2007). Ein gewich-
    oder Berufsintegrationsjahr. Je nach beruflicher Schulart, Re-   tiger Grund hierfür liegt in der sprachlichen Kompetenz:
    gion, Klasse und schulspezifischen Unterschieden spannt          Sprache ist der Schlüssel zu Inhalten, sei es im Fach Deutsch
    sich die Heterogenität in einem ausgeprägten Spektrum auf        selbst, in allgemeinbildenden und naturwissenschaftlichen
    von beispielsweise Alter, sozio-ökonomischen Ressourcen,         Fächern oder im beruflichen Fachbereich. Ohne ausreichen-
    Lern- und Leistungsmotivation, Vorbildung sowie Sprachbe-        de sprachliche Kompetenz können Texte nicht erfasst und
    herrschung. Kompetenter Umgang mit Heterogenität ge-             verfasst, Vorträge und Aufgaben nicht verstanden, Antwor-
    mäß der Zielvorgabe Inklusion2 als integralem Bestandteil        ten nicht formuliert und Fachwortschatz in kein vorhande-
    eines Schulwesens, das die demokratische Gemeinschaft            nes Sprachgerüst eingegliedert werden.
    festigt, beinhaltet neben Binnendifferenzierung die Achtung      Fehlt den Lehrkräften das Wissen um den Umgang mit de-
    der Individualität der Schüler und unterstützt solidarisches     fizitären Sprachkenntnissen der Schüler, so können sie diese
    und kooperatives Lernen (vgl. Ratzki 2011). Aktuell jedoch       auch nicht gezielt unterstützen und keinen der sprachlichen
    herrschen an Schulen größtenteils noch immer Defizitorien-       Vielfalt entsprechenden Unterricht gestalten. Fehlende in-
    tierung und Homogenisierungstendenzen vor wie z. B. ho-          terkulturelle Kompetenz im schulischen Bereich trägt zur
    mogen orientierte Inhalte der Curricula sowie die Unter-         vielfachen und durch institutionelle Diskriminierungsme-
    schiedlichkeit der Schüler missachtende Lernstile und            chanismen verstärkten Benachteiligung von Schülern mit
    Arbeitsformen im Unterricht (vgl. Hellpap 2007).                 Migrationshintergrund bei (vgl. z. B. Gomolla 2005 und Hell-
                                                                     pap 2007). An berufsbildenden Schulen in Bayern gibt es ak-
    2   Sprache und Interkulturalität                                tuell jedoch keine systematisch integrierte Unterstützung
    Aus dem breitgefächerten Feld der Heterogenität stehen im        für Schüler zur sprachlichen (Weiter-)Entwicklung ihrer
    Folgenden insbesondere sprachliche und kulturelle Hetero-        Deutschkompetenzen und auch keine durchgehend imple-
    genität sowie der kompetente Umgang damit als essenziel-         mentierten Sensibilisierungs- und Qualifizierungsmaßnah-
    le Qualifikation für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen       men zum kompetenten Umgang mit interkultureller und
    im Fokus. An berufsbildenden Schulen sind Schüler mit Mi-        sprachlicher Heterogenität für Lehrkräfte. Dabei würde eine
    grationshintergrund und einer anderen Erstsprache als            solche Qualifizierung nicht nur die Benachteiligung der Schü-
    Deutsch im Vergleich zu den meisten anderen Schulformen          ler mit Migrationshintergrund mindern helfen, sondern zu-
    überproportional häufig vertreten. In einer Klasse haben         gleich auch für Schüler ohne Migrationshintergrund und mit
    durchschnittlich etwa 25 % der Schüler einen Migrationshin-      Deutsch als Muttersprache Vorteile bergen.
    tergrund, wobei der Anteil je nach berufsbildender Schul-        So sind grundlegende Bestandteile interkultureller Kompe-
    form und Lage der Schule auch darunter oder bei bis zu           tenz beispielsweise Empathie, Selbst- und Fremdreflexion,
    100 % liegen kann (vgl. Ahrens 2011). Schüler mit Migrati-       Wahrnehmungsschulung und Hinterfragung scheinbar fest-
    onshintergrund müssen zusätzlich zu den Hürden, die sich         stehender Definitionen von Normalität und Wirklichkeit so-

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wie die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Diese wiederum            4    Seminar
bilden einen essenziellen Grundstein für kompetenten Um-           Neben organisatorischen, administrativen und beratenden
gang mit Heterogenität jeglicher Art. Darüber hinaus erfah-        Tätigkeiten im Projekt gehört die Durchführung des qualifi-
ren die Schüler durch das Vorleben eines konstruktiven             zierenden Seminars der Studierenden an berufsbildenden
­Umgangs mit kultureller und sprachlicher Vielfalt, dass Un-       Schulen zu den Aufgaben der TUM. Das Seminar „Interkul-
 terschiedlichkeit normal und bereichernd ist, was nicht nur       turalität erlebt und vorgelebt“ beginnt kurz vor Beginn der
 den Schulalltag verbessern kann, sondern sie auch auf ihren       Sprachbegleitkurse. Ziel des Seminars ist eine grundlegende
 späteren (Berufs-)Alltag vorbereitet, in dem im Zeitalter der     sprachliche und interkulturelle Sensibilisierung der Studie-
 Globalisierung multikulturelle Konstellationen die Regel          renden als Vorbereitung auf ihre Tätigkeit im Sprachbegleit-
 sind. Darüber hinaus erleichtert in der Schule positiv vorge-     kurs bzw. in der Lehrassistenz sowie auf ihren späteren Be-
 lebter und erlernter Umgang mit interkultureller Vielfalt         rufsalltag. Der Fokus des Seminars liegt auf der Vermittlung
 Schülern, ungeachtet ob mit oder ohne Migrationshinter-           praxisrelevanter und das notwendige Hintergrundwissen
 grund, auch auf intrakultureller Ebene den Alltag.                abdeckender Aspekte bezüglich Deutsch als Zweitsprache,
Teilweise haben auch deutsche Muttersprachler in berufsbil-        der Grundlagen Interkultureller Kommunikation sowie di-
denden Schulen erhebliche Schwierigkeiten, wenn es um              daktischer Grundlagen und Methoden.
­aktive Sprachproduktion und Rezeption auf deutschem Bil-          Darüber hinaus werden die Studierenden durch individuelle
 dungssprachniveau geht, so dass ein sensibler und differen-       Beratung in Form von Sprechstunden und Hospitationen be-
 zierter Sprachumgang in allen Fächern ihnen ebenfalls             gleitet. Um möglichst reflektiert ihre Unterrichte passieren
 ­zugutekommt. Die Lehrer selbst können durch eine Qualifizie-     zu lassen, bearbeiten die Studierenden kontinuierlich Refle-
  rung im interkulturellen und sprachlichen Bereich ihren Be-      xionsfragebögen mit Leitfragen. Zudem haben sie die Mög-
  rufsalltag entlasten durch besseres Eingehen auf ihre Schüler,   lichkeit, freiwillig an einer Supervision teilzunehmen, die
  durch die Verhinderung von Konflikten bzw. deren kompeten-       mehrmals im Schuljahresverlauf angeboten wird.
  te Lösung, wodurch sie ihr tägliches Stressniveau reduzieren.
                                                                   4.1 Seminarbereich: Deutsch als Zweitsprache
3    Kooperationsprojekt „Schule für Alle“                         Deutsch als Zweitsprache befasst sich im Unterschied zum
Im Juli 2012 lief an der Technischen Universität München das       Unterrichtsfach Deutsch mit der Sprachvermittlung und
auf drei Jahre angelegte Projekt „Schule für Alle“ an. Es han-     dem Spracherwerb von Lernern im deutschen Sprachraum,
delt sich um ein gemeinsames, EIF-gefördertes Kooperations-        die eine andere Erstsprache sprechen. In diesem Bereich sind
projekt mit der Stelle für interkulturelle Arbeit des ­Sozial-     vielfältige, teils auch von den Projektpartnern gemeinsam
                                                                   festgelegte Inhalte Bestandteil des Seminars wie beispiels-
referats der Landeshauptstadt München, der Ludwig-Maxi-
                                                                   weise Grundlagen zum Verlauf des Erst- und Zweitspracher-
milians-Universität München, der InitiativGruppe e. V. sowie
                                                                   werbs, Theorien, Hypothesen und Methoden zum Zweit-
mit dem bayerischen Staatsministerium für Unterricht und
                                                                   und Fremdspracherwerb, Sprachvarietäten, Sprachstand-
Kultus und mit dem Referat für Bildung und Sport der Landes-
                                                                   einschätzungen, Erstellung von Sprachlernbiographien, ty-
hauptstadt München als strategischen Partnern. Ziel des Pro-
                                                                   pische Stolpersteine des Deutschen, die Studienbriefe
jekts ist, Benachteiligungen von Schülern/-innen mit Migrati-
                                                                   „Deutsch als Zweitsprache in der beruflichen Bildung“ des
onshintergrund durch fachlich-sprachliche Unterstützung in
                                                                   Projekts Meslek Evi3 oder auch ganz grundlegend die Bedeu-
kostenfreien sogenannten Sprachbegleitkursen durch (Lehr-
                                                                   tung sprachlicher Kompetenz für Schule, Beruf und weitere
amts-)Studierende als Kurslehrkräfte auszugleichen.
                                                                   Lebensbereiche. Das folgende Beispiel hilft, einen ausge-
Erreicht werden soll dies dadurch, dass Studierende, die           wählten Aspekt aus dem Seminar im Bereich Deutsch als
­bezüglich der Erst- und Zweitfächer, Vorbildung, Berufserfah-     Zweitsprache zu veranschaulichen.
 rung und des Alters heterogen sind, an einem spezifisch aus-      Als Möglichkeit, grammatikalische Strukturen und Wort-
 gerichteten Wahlpflichtseminar teilnehmen und das Gelern-         schatz spielerisch einzuführen oder zu üben sowie Sprechan-
 te parallel dazu in der Praxis umsetzen. Die Studierenden         lässe zu schaffen, wurde in einer der ersten Seminarsitzungen
 unterrichten meist zu zweit („im Tandem“) in Kleingruppen         mit Postkarten eine Vorstellungsrunde4 von den Studierenden
 von drei bis sieben Schülern mit Migrationshintergrund und        zunächst selbst ausprobiert. Grundsätzlich wird dabei so vor-
 Sprachförderbedarf an ausgewählten Münchner (berufsbil-           gegangen: In der Mitte des Raums werden viele verschiedene
 denden) Schulen und regen Sprachwachstum in enger Ver-            Postkarten mit der Bildseite nach oben ausgelegt, während
 knüpfung mit Unterrichts- und Fachinhalten an. In der Regel       alle Teilnehmer einen Kreis darum bilden. Als Impuls wird bei-
 finden die Sprachbegleitkurse als additive Maßnahmen ein-         spielsweise die Frage „Welche Karte passt zu dir?“ gewählt
 mal pro Woche 90 Minuten vor Ort an den jeweiligen Schu-          und an die Tafel geschrieben. Wenn jeder eine Karte gewählt
 len statt. Die Kurse beginnen im Normalfall nach den Herbst-      hat, beginnt die Lehrkraft und stellt ihre Karte mit der syntak-
 ferien und laufen bis zum Schuljahresende, umfassen also          tisch-grammatikalischen Konstruktion „Diese Karte passt zu
 knapp ein Schuljahr. Einige Studierende halten zusätzlich zum     mir, weil …“ mit der eigenen individuellen Begründung vor,
 Sprachbegleitkurs eine Lehrassistenz, d. h. sie assistieren ei-   wobei auch diese sprachliche Antwortstruktur angeschrieben
 ner Fachlehrkraft im Regelunterricht und unterstützen die         werden kann. Anschließend stellt jeder Teilnehmer der Reihe
 (sprachliche) Binnendifferenzierung. Das begleitende Semi-        nach seine Karte vor. Vorteile an dieser Methode sind, dass je-
 nar ist als einsemestriges Seminar mit zwei Semesterwo-           der Schüler einen Sprechanlass hat und im Gegensatz zu
 chenstunden zuzüglich freiwilliger Sitzungen angelegt.            künstlichen „Der Baum ist grün“-Sätzen etwas Authentisches

                                                                               Die berufsbildende Schule (BbSch) 65 (2013) 6   183
Kompetenzbildung angehender Lehrkräfte im Umgang mit sprachlicher und kultureller Heterogenität

von sich mitteilt, was sich positiv auf die Motivation auswirkt,   tion, sie seien zu Besuch auf der Insel Albatros und erlebten
und zugleich die neu eingeführte oder zu übende Struktur ver-      eine Szene mit, anhand derer sie sich vorstellen könnten, wie
wendet. Grammatikalische Strukturen können gezielt nach            das Albatros-Volk lebt. Sprechen untereinander oder mit den
Bedarf eingesetzt werden (hier: Aussagesatz im Präsens mit         Bewohnern war verboten. Zwei Erwachsene, die nicht am Se-
kausalem, „weil“-eingeleitetem Nebensatz) und werden zu-           minar teilnahmen, mimten die Albatros-Bewohner: Sie kamen
gleich spielerisch und zweckgebunden genutzt (hier: den an-        leise summend in den Raum und stellten bei übereinander-
deren etwas über sich selbst mitteilen). Auch die Impulse, The-    geschlagenen Beinen der „Besucher“ beide Füße auf den Bo-
men und damit der Wortschatz und die Wortfelder sind               den. Die Frau ging hinter dem Mann und saß später auf dem
beliebig anpassbar. Neben einer Vorstellungsrunde können           Boden, wohingegen der Mann auf dem Stuhl Platz nahm. Der
aktuelle ausbildungs- oder berufsrelevante Tätigkeiten, be-        Mann aß zuerst Erdnüsse, bevor er sie der Frau reichte und
vorzugte Klimazonen, Freizeitaktivitäten, gemeinsame Ge-           legte ihr die Hand in den Nacken, während diese sich nach
schichten usw. gestaltet werden.                                   vorne beugte und den Boden mit der Stirn berührte.
                                                                   Die meisten Studierenden interpretierten das Verhalten der
4.2 Seminarbereich: Interkulturalität                              beiden Albatros-Bewohner als Unterdrückung der Frau,
Interkulturelle Handlungsfähigkeit wird hier in Anlehnung an       trennten nicht zwischen Wahrgenommenem und der eige-
Hellpaps Ausführungen zur interkulturellen Kompetenz als           nen Interpretation und konnten sich nicht vorstellen, auf Al-
Kombination verschiedener Kompetenzen aufgefasst. Hierzu           batros zu leben. Tatsächlich jedoch sind die Rollen der Alba-
gehören allgemeine soziale Kompetenzen (Empathie, Ambi-            tros-Bewohner so angelegt, dass die Bewohner summen,
guitätstoleranz, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit), in-       wenn sie zufrieden sind. Die Göttin der Erde als höchste
terkulturell ausgerichtete soziale Kompetenzen (Selbstrefle-       Gottheit wird sehr verehrt, weshalb die Bewohner möglichst
xion bezüglich eigener unhinterfragter Handlungs- und              Kontakt zur Erde herzustellen versuchen. Frauen sind beson-
Deutungsmuster der eigenen kulturellen Zugehörigkeitsgrup-         ders hoch angesehen und privilegiert, da sie wie die Erde Le-
pe), handlungsbezogene interkulturelle Kompetenzen (Hand-          ben gebären können: So gehen die Männer vor ihnen, um sie
lungsfähigkeit bei asymmetrischen Konstellationen wie              vor möglichen Gefahren zu schützen, müssen Speisen für sie
Macht und Vermögen), wissensbezogene interkulturelle Kom-          vorkosten und während Frauen der Erdgöttin näher stehen
petenzen (Heterogenität kultureller Gruppen, Konstruiertheit       und auf dem Boden sitzen dürfen, müssen Männer weiter
von „Nation“ und „Rasse“) und wertbezogene interkulturelle         entfernt auf dem Stuhl sitzen. Nur über die Hand im Nacken
Kompetenzen (Menschenrechte, Respekt für fremde Kultu-             der Frau, während diese mit der Stirn die Erde berührt, kann
ren). So verstandene interkulturelle Handlungsfähigkeit er-        ein Mann kosmische Energie der Erde aufnehmen.
möglicht kompetentes, lösungsorientiertes Agieren in kultu-        Ziel der anschließenden Diskussion war, dass sich die Teil-
rellen Überschneidungssituationen im Bewusstsein um die            nehmer der Voreingenommenheit und Subjektivität der ei-
Problematik eines statischen Kulturverständnisses.                 genen Perspektive bewusst werden und bewusst darauf zu
Im Seminar erfolgt eine interkulturelle Sensibilisierung über      achten beginnen, zwischen tatsächlich Beobachtetem und
verschiedene Zugänge, zum Beispiel interkulturelle Simula-         eigener Interpretation zu differenzieren.
tion (insbesondere zu Wahrnehmung und Interpretation),
Denkanstöße zum alltäglichen Umgang mit Menschen mit               4.3 Seminarbereich: Allgemeine Pädagogik und Didaktik
Migrationshintergrund und sprachlichen Schwierigkeiten             Auch Aspekte, die im Bereich allgemeiner Pädagogik und Di-
und eine allgemeine Einführung in die Interkulturelle Kom-         daktik relevant sind, werden im Seminar behandelt, z. B. Rück-
munikation (Kulturbegriffe, Kulturmodelle, Sozialisation und       meldung an und von Schüler(n), Gesprächsführung in der in-
Enkulturation, Elemente und Systeme einer Kultur, Kulturre-        dividuellen Sprachlernberatung, Umgang mit Heterogenität,
lativismus und Evolutionismus, Rassismus, Film „Blue               Möglichkeiten der Binnendifferenzierung (z. B. Fundamentum
Eyed“5). In den Reflexionsbögen wird durch entsprechende           plus Additum), Lern- und Textszenarien, Stationenlernen, Er-
Fragestellungen eine bewusste Auseinandersetzung mit In-           fahrungsaustausch, Festlegung von Lernzielen und -inhalten,
terkulturalität sowohl im Umgang mit den Schülern als auch         (sprachliche) Progression, Sozialformen, Gruppenbildungs- und
im privaten Bereich angeregt.                                      Partnerwahlmöglichkeiten, Medieneinsatz, Lernervariablen
Zur Illustration wird im Folgenden die Simulation „Albatros“6      oder allgemeine Methodensammlungen. Die meisten Metho-
beschrieben für den Fall, der eine oder andere Leser sollte sie    den der allgemeinen Pädagogik sind durch kleine Veränderun-
noch nicht kennen. Ziel einer Simulation ist die Sensibilisie-     gen auch gezielt für die Sprachunterstützung nutzbar.
rung der Studierenden für interkulturelle Begegnungen              Eine methodische Vorgehensweise, in sprachlicher und vie-
durch eigenes, unmittelbares Erleben. Im Fall „Albatros“ soll      lerlei anderer Hinsicht heterogene Klassen sinnvoll zu unter-
die eigene kulturelle Befangenheit und vorschnelle Interpre-       richten, ist die Arbeit mit Lern- und Textszenarien, wobei
tation des Wahrgenommenen nach eigenen, kulturell be-              Textszenarien eine spezifische Unterform zu Lernszenarien
dingten Deutungsmustern bewusst gemacht werden und                 bilden.7 Im Seminar wurde ein Textszenario zu einem
erkannt werden, dass unbekannte, fremde Verhaltenswei-             Fachtext selbst von den Studierenden ausprobiert. Ein Sze-
sen leicht missverstanden werden.                                  nario folgt dem Grundschema: Auswahl einer Aufgabe zu ei-
Die Simulation lief folgendermaßen ab: Die Studierenden            nem Kernthema bzw. zu einem Text, Erarbeitung der ge-
setzten sich in einen Stuhlkreis, bei dem ein Stuhl, unter dem     wählten Aufgabe in einer selbst gebildeten Kleingruppe, zu
eine Dose Erdnüsse stand, leer blieb und neben dem etwas           zweit oder allein, Vorab-Vorstellung und Optimierung des
Platz gelassen wurde. Die Studierenden erhielten die Informa-      Vorhabens, Präsentation der Ergebnisse im Plenum sowie

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eine abschließende Reflexion. Vorteile daran sind, dass jeder     gruppe ist, hatten wir mit mehr Lärm und ‚Ärger‘ gerechnet.“
eine Aufgabe und Sozialform wählen kann, die ihm liegt,           Auch sei sie „überrascht von der – wenn auch etwas eigensin-
dass verschiedene Fähigkeiten und Talente gefordert sind          nigen – Höflichkeit und Mitarbeit der Schüler.“ Ähnliches be-
und jeder etwas beitragen kann. Die Studierenden erarbei-         richtet S19, die mit der Disziplin der Schüler und deren moti-
teten in verschiedenen Sozialformen nach der Wahl eines           vierter Mitarbeit trotz des Kurses am Freitagnachmittag nach
der angebotenen Arbeitsaufträge den Fachtext „Kompe-              der Schule nicht gerechnet hatte. Auch S14 berichtet, dass die
tenzanalyse/Fehlerarbeit“ (der vierte Studienbrief von Mes-       „stets extrem hohe Motivation“ der Schüler sie erstaune und
lek Evi) und stellten anschließend die Inhalte in Form von        freue. Auf der Suche nach den Gründen dafür gibt sie an, dass
Quiz, Radioreportage, Gedicht, Interview und Ähnlichem den        die Schüler wohl die Motivation der beiden Kurslehrkräfte be-
anderen vor. Über die verschiedenen Präsentationsformen           merkten, die eigene Leistungsverbesserung in der Schule
und Zugänge wurden die Inhalte ein- und desselben Textes          schätzten und generell den Willen hätten, sich weiterzuent-
aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und dargestellt.        wickeln und zu lernen. Sie und ihr Tandempartner reagierten
                                                                  darauf mit „sehr flexibler Gestaltung“ des Sprachbegleitkur-
5   Fragestellung und Forschungsdesign                            ses, wobei „das Arbeiten aus Anerkennung der Schülermoti-
Inwieweit eine Qualifizierung der teilnehmenden Studieren-        vation heraus immer an Problemen und Bedürfnissen der
den des Lehramts an berufsbildenden Schulen im Umgang             Schüler orientiert“ sei. Persönlich gehe es ihr dabei „extrem
mit sprachlicher und kultureller Heterogenität durch das The-     gut“, da die eigene Arbeit wertgeschätzt werde.
orie-Praxis-Seminar gelingt, wird wissenschaftlich unter-         Der Abgleich zwischen Erwartungen und Realität hinsichtlich
sucht. Aufgrund der vorwiegend deskriptiven und explorati-        der Deutschniveaus der Schüler fiel sehr unterschiedlich aus.
ven Anlage der empirisch-qualitativ konzipierten Studie ist       So berichtet beispielsweise S13, dass es „überraschend war,
zunächst nur die Richtung des Forschungsinteresses vorgege-       dass die Schüler besser als erwartet Deutsch sprechen und
ben, nämlich Aufschlüsse zur Sensibilisierung der teilnehmen-     dass sie unwahrscheinlich motiviert sind.“ Dahingegen schreibt
den Studierenden in den Bereichen Deutsch als Zweitsprache        S21: „Mich überraschte, dass die Schüler so ein schlechtes
und Interkulturelle Kommunikation. Um eine wirklichkeitsge-       Deutsch sprechen, aber auch wirklich einsichtig sind, dass sie
treue Vorstellung von den Schülern zu erhalten, wird auch die     was tun müssen und man mit ihnen gut arbeiten kann.“
Zielgruppe, mit der die Studierenden ­arbeiten, in Einzelfall-
                                                                  Drei Schüler (ein Mädchen, zwei Jungen) überraschten S13
darstellungen mit ihren sprachlichen, kulturellen und sozio-
                                                                  in der ersten Sitzung des Sprachbegleitkurses, als sie beim
ökonomischen Hintergründen beschrieben.
                                                                  Thema Hobbys Musik nicht nur angaben, sondern nach kur-
Über verschiedene methodische Zugänge kommen als Erhe-            zem Zuspruch der anderen Schüler zu singen begannen: „Ei-
bungsinstrumente Fragebögen, interkulturelle Simulationen         ner sang indisch, der andere rappte kurdisch und die Letzte
und Interpretationen, leitfadengestützte Sprechstunden,           sang arabisch (…). Für mich war es verwunderlich, weil mei-
teilnehmende Beobachtungen, Interviews und Portfolios             ner Meinung nach z. B. in meiner eigenen Klasse niemand in
zum Einsatz. Die einzelnen Datenquellen generieren sich in        der ersten Stunde vor einer neuen Lehrkraft und der ganzen
Kontakt mit unterschiedlichen Ansprechpartnern, also mit          Klasse gesungen hätte. (…) Am Anfang war ich erstaunt, da-
Studierenden sowie deren Schülern als auch mit den die            nach war’s sehr angenehm und ein guter Start in den Kurs.“
­Studierenden begleitenden Lehrkräften an den jeweiligen
 Schulen. Die Datenerhebung begann Anfang des Winterse-           6.2	Interkulturell bedingte oder zugeschriebene,
 mesters 2012/13 und wird voraussichtlich Ende des Som-                unerwartete Erfahrungen
 mersemesters 2013 abgeschlossen sein.                            Das im Schulalltag meist verborgene Potenzial der Schüler
 Wird zumindest ein ausbaufähiger Grundstein im Bereich           mit Migrationshintergrund fiel S6 auf: „Überrascht hat mich,
 Deutsch als Zweitsprache und Interkulturelle Kommunika-          dass die Schülerinnen teilweise drei bis fünf Sprachen spre-
 tion gelegt, so könnte ein solches Theorie-Praxis-Seminar        chen.“ Erstaunt zeigte sich S20 über die Gründe, warum die
 eine praktikable Option darstellen, angehende Lehrkräfte         Schüler mit Migrationshintergrund nach Deutschland ge-
 bereits in der – im Vergleich zum späteren Ausüben des Be-       kommen waren und auch darüber, „wie ein Schüler einen an-
 rufs als Lehrer – besonders bedeutsamen Studieneingangs-         deren Schüler zurechtgewiesen hat, dass er respektvoll ge-
 phase für diese berufsrelevante Thematik zu sensibilisieren.     genüber den Gepflogenheiten anderer Kulturen stehen soll.“
                                                                  Unerwartete Erfahrungen machte S13, die im Sprachbegleit-
6   Vorläufige Ergebnisse8                                        kurs vor den Weihnachtsferien „weihnachtliche Stimmung
Einige Erfahrungen der Studierenden aus schriftlichen Be-         aufbringen und Traditionen gut vermitteln“ wollte, wobei
richten in Form leitfragengestützter Reflexionsbögen wer-         die Schüler jedoch „die Tradition nicht ganz nachvollziehen“
den im Folgenden dargestellt, um einen Eindruck zu erhal-         konnten. Entgegen der Befürchtungen der Studierenden san-
ten, in welche Richtung sich die Studie aktuell bewegt.           gen die Schüler bei den Weihnachtsliedern mit und trotz ih-
                                                                  rer Unkenntnis der deutschen Lieder und Traditionen ergab
6.1	Erwartungen an die Schüler seitens der Studierenden          sich eine „angenehme und gelöste“ Atmosphäre.
     und Wirklichkeit                                             Interkulturellen Austausch praktizierten S14 und S11 mit ih-
Etliche zeigten sich positiv überrascht davon, dass ihre teils    ren Schülern in der letzten Sitzung vor den Weihnachtsferien.
eher negativen Erwartungen an die Schüler nicht zutrafen. So      Sie feierten ein Weihnachtsfest, bei dem die Schüler „ihre lan-
schreibt die Studierende 24 (S24)9, die erste Sitzung sei „bes-   destypischen Bräuche vorstellten (…) und Spezialitäten aus ih-
ser als erwartet“ gewesen, denn „da es eine reine Männer-         rem Land mitbrachten“. Auch die Kurslehrkräfte „brachten

                                                                              Die berufsbildende Schule (BbSch) 65 (2013) 6   185
Kompetenzbildung angehender Lehrkräfte im Umgang mit sprachlicher und kultureller Heterogenität

Punsch und Gebäck mit und erzählten, wie bei uns daheim            nungen haben, zeigen sie es jedenfalls nicht.“ (S14 und
gefeiert wird.“ Die Schüler waren alle gut vorbereitet, zeigten    S11), berichtet S4, die selbst einen Migrationshintergrund
„großes Interesse an den Bräuchen der anderen, berichteten         hat, Folgendes: „In den Augen vieler Schüler sind Helfer-
begeistert von den eigenen“ und es herrschte eine gute und         Berufe etwas Minderwertiges, deswegen werden diese
offene Gesprächsatmosphäre und Neugier auf das Fremde.             nicht gern als Ausbildungsberufe gewählt.“ In einer Kurs-
Reflektiert geben die beiden zu bedenken, dass möglicherwei-       einheit zum Thema Berufswahl wurde der Beruf Arzthelfe-
se auch die Ferienstimmung dabei mitgespielt haben könnte.         rin vorgestellt, woraufhin eine Schülerin erklärte: „Ich
S12 berichtet über eine Unterrichtseinheit, in der ein Schüler     möchte nicht Helferin, sondern Ärztin sein.“ S4 erklärte,
erzählte, dass sein ehemaliger Chef ihn nie beim Namen, son-       dass Helferberufe sehr anspruchsvoll sind und eine Vorstu-
dern stets nur „Iraker“ genannt hatte. Kurz darauf sprach sel-     fe zur höheren Ausbildung, „um zu zeigen, dass helfen nicht
biger Schüler „negativ und abwertend über die Einwohner der        dienen ist.“ Die Studierende relativiert ihre Verwunderung
Vereinigte Arabischen Emirate unter Verwendung von Fäkal-          über die Meinung der Schüler und schreibt weiter: „Wirk-
ausdrücken.“ S12 hatte Schwierigkeiten, diese Einstellung          lich verwunderlich war es nicht, weil ich der gleichen Mei-
nachzuvollziehen, da der Schüler selbst erwartete, mit Res-        nung war, als ich nach Deutschland kam. (…) Ich fand es gut,
pekt behandelt zu werden. Ein Schüler somalischer Herkunft         jemandem das zu erklären, was für mich früher auch un-
erklärte ihm, dass man „nicht so negativ-feindselig und un-        verständlich war.“ Sie hatte den Eindruck, die Schüler hät-
überlegt“ über andere Menschen urteilen dürfe. Dass ein an-        ten daraufhin angefangen nachzudenken. Als Grund für die
derer Schüler ihm diese Wertvorstellung so klar und mutig          Meinung gibt sie an, dass „in manchen Kulturen ‚Diener‘
vermittelte, überraschte S12 positiv. Den Grund für den Ein-       als unterste Stufe der Gesellschaft gelten und sie alle in
satz des somalischen Schülers vermutete sie in dessen „sehr        Deutschland etwas Besseres erreichen möchten als sie das
positiven und gütigen Bild, v. a. was andere Kulturen-Religio-     in ihrem Land könnten.“
nen betrifft.“ Der erste Schüler jedoch war weiterhin „von den     Eine andere aus Sicht der Studierenden kulturell bedingt be-
schlechten Eigenschaften der ‚Araber‘ überzeugt und fühlte         fremdliche Meinung schildert S22: „Es ist kein Problem, ein
sich missverstanden. Der andere war schockiert und konnte          Kind ohne Ausbildung zu bekommen bzw. danach einen Job
es nicht annähernd nachvollziehen.“ Auf der Suche nach Grün-       zu finden.“ Ihrer Meinung nach liegt dieser Behauptung eine
den für die rassistische Aussage des Schülers kommt S12 zum        „falsche Vorstellung vom Leben bzw. eine andere Kultur, in
Schluss, sie könnte an „Generalisierungen, Vorurteilen, even-      der die Frau vom Mann abhängig ist“ zugrunde. Neben der
tuell eigenen negativen Erfahrungen“ oder einfach daran lie-       anderen Kultur kämen auch „Naivität oder die Eltern als Vor-
gen, dass es „einfacher ist, Schuldige zu suchen als ehrliche      bild“ als Erklärung für die Aussage für die Studierende infra-
Selbstreflexion, die für einen Menschen oft mühsam und             ge.
schwierig ist.“ In einer ähnlichen Situation würde sie das         Die studentische Kurslehrkraft S3 berichtete von einem
nächste Mal konkret nachfragen, ob er selbst solche Erfahrun-      Schüler, der Altenpfleger werden wollte, aber durch seine
gen gemacht habe und wie er sich dabei gefühlt habe.               Hautfarbe in der Berufswahl eingeschränkt werde, da er bei
Eine weitere kulturell interessante Situation schilderte S18:      einem Praktikum von den Bewohnern eines Altenheimes
„Eine Schülerin meinte, ich würde sie dauernd aufrufen, weil       „schlecht behandelt“ worden sei. Sie selbst habe auf die Ge-
sie schwanger sei – der Grund war jedoch, dass sie fortwäh-        schichte „geschockt, empört und enttäuscht“ reagiert, weil
rend redete und ich ihre Aufmerksamkeit auf den Unterricht         „der Charakter eines Menschen und nicht die Hautfarbe
lenken wollte.“ Auf den Vorwurf der Schülerin hin reagierte        wichtig ist.“ Sie wunderte sich, dass der Schüler sich deshalb
S18 mit einem ironischen „Ja, natürlich!“, da er das unüber-       sofort demotivieren ließ. Er war zwar „anfänglich traurig,
legte Verhalten der Schülerin widerspiegeln wollte und sich        hatte aber sehr schnell eine Alternative zum Altenpfleger.“
fragte, wie sie darauf komme oder ob sie ihn mit der Frage         Als Ursache für das Verhalten der alten Menschen, das den
„ruhigstellen“ wolle. Die Schüler reagierten darauf „teils         Schüler so beeinflusst hat, vermutet S3 „diverse Gründe aus
amüsiert, teils empört, in jeden Fall aufmerksam“, da sie          der Vergangenheit. Alternativ könnte der Schüler von An-
„vermutlich die ‚typisch deutsche‘ Pädagogik genossen ha-          fang an nicht hundertprozentig vom Beruf überzeugt gewe-
ben, die keinen Spielraum für Ironie oder Satire lässt. Sie wit-   sen sein. Bei einer ähnlichen Situation würde S3 nächstes
tern hinter jeder Äußerung rassistische Absichten.“ S18 fühl-      Mal anders reagieren, da sie „mittlerweile mögliche Gründe
te sich in dem Moment „falsch verstanden und peinlich              für diese Situation“ gefunden habe. Alternative Reaktions-
berührt, konnte jedoch mein Verhalten begründen und ver-           möglichkeiten auf solche Situationen sieht sie darin, dem
treten.“ Die Schülerin reagierte darauf überrascht, was sich       Schüler Mut zu machen, „sich nicht kleinkriegen zu lassen.“
S18 so erklärte: „Ich denke, dass einige Schwarze ihre Farbe       Zum Thema Zivilcourage erklärte laut der Studierenden S16
als schlagendes Argument gebrauchen, da sie es gewohnt             ein Schüler im Sprachbegleitkurs, „dass andere Menschen
sind, dass andere bei solchen Vorwürfen sehr schnell klein         selbst schuld sind an ihrer Situation und dass er niemandem
beigeben.“ Auch beim nächsten Mal würde der Student so             helfen würde.“ Die anderen Schüler teilten die Meinung
handeln, er sieht keine Handlungsalternativen.                     nicht und S16 fand diese Aussage vor allem aus dem Grund
                                                                   befremdlich, weil „es nicht wirklich die Einstellung war, die
6.3	Interkulturell bedingte oder zugeschriebene,                  mich so verwundert hat, sondern die hörbare Aggressivität
     unerwartete Meinungen                                         in seiner Stimme.“ Den Grund dafür konnte sie nicht aus ihm
Während zwei Studierende schreiben: „Unsere Schüler sind           herausbekommen, aber sie vermutete eine schlechte Erfah-
sehr lieb und wohlerzogen. Sollten sie befremdliche Mei-           rung als Auslöser.

 186       Die berufsbildende Schule (BbSch) 65 (2013) 6
Themen

6.4 Allgemeinpädagogische unerwartete Erfahrungen                 kulturellen Öffnung von Schule und zur Verringerung insti-
Eine schwierige Situation erlebte S2 in ihrem Sprachbegleit-      tutioneller Diskriminierung geleistet werden.
kurs. Sie „legte einen USB-Stick auf den Tisch und fünf Mi-
nuten später war er weg.“ Sie fragte einen Schüler, ob er ihn     Anmerkungen
                                                                  1 Zur Vereinfachung der Lesbarkeit werden hier formal Maskulina verwendet,
habe, der verneinte, ihn ihr später zurückgab und sich ent-
                                                                    die generisch zu verstehen sind.
schuldigte. S2 verzieh ihm, da es „sonst eine schlechte Ar-
                                                                  2 Eine Qualifizierung im Bereich Interkulturalität und Deutsch als Zweitspra-
beitsgrundlage“ wäre. Sie hatte den Eindruck, der Schüler           che ist von verschiedenen Seiten erwünscht und begründet. So stellt der
musste „ernsthaft überlegen, ob er ihn zurückgibt – für ihn         Nationale Integrationsplan fest: „Sprachsicherheit im Deutschen ist die
ist das wahrscheinlich Normalität.“ Alternativ könnte sie sich      entscheidende Voraussetzung für schulischen und vielfach auch beruflichen
                                                                    Erfolg. Die kontinuierliche, systematische und explizite Förderung der
auch vorstellen, dass er vielleicht tatsächlich einen USB-Stick     deutschen Sprache in Wort und Schrift muss daher unabdingbar über die
brauchte oder glaubte, es falle nicht auf. Sie würde nächstes       gesamte Schullaufbahn hinweg und auch im Fachunterricht gewährleistet
Mal ebenso handeln, da er sich ernsthaft entschuldigte und          werden. Erforderlich hierfür ist die sprachdidaktische Qualifizierung und
                                                                    Weiterbildung der Lehrkräfte aller Schulstufen und Fächer als vordringliche
so das Verhältnis nicht geschädigt wurde. Handlungsalter-           Aufgabe.“ (Der Nationale Integrationsplan 2007, 64). Auch fordert der Na-
nativen sieht sie darin, ihn – eventuell im Nachhinein – zur        tionale Integrationsplan, „(…) interkulturelle Kompetenz als Basiskompe-
Rede zu stellen, warum er es gemacht habe oder ihm selbst           tenz des pädagogischen Personals zu sichern.“ (a.a.O. 65). In den Standards
                                                                    für die berufliche Lehrerbildung sind die Kenntnis interkultureller Dimensi-
Handlungsalternativen aufzuzeigen. Gelernt habe sie da­             onen sowie die Beachtung kultureller und sozialer Vielfalt festgeschrieben
raus, nichts Wertvolles achtlos liegenzulassen.                     (Standards für die Lehrerbildung 2004, 9). Im Grundgesetz bzw. den Grund-
                                                                    rechten implizieren viele Aspekte eine entsprechende Qualifizierung der
Anfangsschwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit einem             Lehrkräfte, beispielsweise das Recht auf eine freie Entfaltung der Persön-
Tandempartner beschreibt die Studierende S9, als sie in der         lichkeit oder Artikel 3 Abs. 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes,
ersten Stunde Arbeitsanweisungen gab, der Tandempartner             seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Her-
                                                                    kunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen
diese überging, andere Dinge anordnete und ihre Aussagen            benachteiligt oder bevorzugt werden.“
damit entwertete. Sie nahm sich daraufhin zurück und „ließ        3 Studienbriefe zur Fortbildung von Lehrkräften http://www.meslek-evi.de/
ihn weitermachen, um nicht vor den Schülern diskutieren,            veroeff.html (29.01.2013).
nicht so viel Aufsehen zu erregen oder Verwirrung zu stif-        4 Vgl. z. B. Fortbildungen von Petra Hölscher.
ten.“ Sie klärten die Situation nach der Stunde und da der        5 Dokumentarfilm von Bertram Verhaag (1996).
Tandempartner nicht absichtlich handelte, sei keine ähnli-        6 Die folgenden Ausführungen zur Simulation „Albatros“ sind beispielsweise
che Situation mehr zu erwarten.                                     nachzulesen unter (S. 28ff) www.asyl.at/schule/methodenbroschuere_
                                                                    alle_anders_alle_gleich.pdf (30.01.2013).
Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass die Studierenden ei-      7 Genaueres zu Lern- und Textszenarien als Antwort auf heterogene Klassen
ner Vielfalt neuer Erfahrungen und unbekannter Situationen          ist bei Petra Hölscher nachzulesen.
des berufsschulischen Alltags ausgesetzt sind, auf die sie in     8 Ohne inhaltliche Änderungen vorzunehmen, wurden die Zitate der Studieren-
unterschiedlicher Art und Weise entsprechend ihrem päda-            den durch die Autorinnen teilweise sprachlich bereinigt oder leicht gekürzt.
gogischen und individuellen Vorwissen reagieren. Gemein-          9 Zur Anonymisierung der Studierenden wurden ihnen zum Zitieren nach dem
                                                                    Zufallsprinzip Nummern zugeteilt.
sam ist ihnen, dass sie alle Neuland betreten und sich be-
wusst mit den unerwarteten Erlebnissen – ob diese nun in          Literatur
Zusammenhang mit Interkulturalität bzw. Deutsch als               Meslek, E. (Hrsg.) 2005: Deutsch als Zweitsprache in der beruflichen Bildung:
Zweitsprache stehen oder nicht – und ihren eigenen Deu-           fünf Studienbriefe zur Fortbildung von Lehrkräften. Berlin. – URL: http://www.
tungs- und Handlungsmöglichkeiten auseinandersetzen.              meslek-evi.de/bilder/Stud1.pdf (Stand 05.02.2013).
                                                                  Ahrens, P. 2011: Soziale Integration von Migrantinnen und Migranten. Berlin. –
7   Ausblick                                                      URL: http://www.esf-gleichstellung.de/fileadmin/data/Downloads/Aktuelles/
                                                                  expertise_soziale_integration_migrant_innen.pdf (Stand 05.02.2013).
Führt die Untersuchung im Rahmen des Projektes „Schule
                                                                  Die Bundesregierung 2007: Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege – Neue
für Alle“ zu Ergebnissen, die darauf verweisen, dass auf die-     Chancen. Berlin. – URL: http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Bildung/Allg
se Weise tatsächlich ein ausbaufähiger Grundstein im Be-          Bildung/2007-10-18-nationaler-integrationsplan.pdf (Stand 06.12.2012).
reich Deutsch als Zweitsprache und Interkulturelle Kommu-         Gomolla, M. 2005: Schulentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft. Stra-
nikation bei den Studierenden gelegt wird, so sind im             tegien gegen institutionelle Diskriminierung in England, Deutschland und in
                                                                  der Schweiz. Münster.
Weiteren darauf aufbauend folgende Aspekte relevant:
                                                                  Hellpap, D. 2007: Diversitätsbewusste Bildung als Schlüssel zur Steigerung von
Möglichkeiten für eine standardmäßige Integration kompe-          Schulqualität. Strukturelle und organisatorische Rahmenbedingungen schuli-
tenten Umgangs mit sprachlicher und kultureller Heteroge-         scher Praxis aus interkultureller Perspektive. Frankfurt a. M.
nität in das Studium des Lehramts an berufsbildenden Schu-        OECD 2006: Wo haben Schüler mit Migrationshintergrund die größten Erfolgs-
len sollten überdacht werden, sei es in der vorgestellten oder    chancen: Eine vergleichende Analyse von Leistung und Engagement in PISA
                                                                  2003. o. O. – URL: http://www.oecd.org/pisa/pisaproducts/pisa2003/36665235.
in einer modifizierten Form. Zudem könnte eine passgenaue         pdf (Stand 05.02.2013).
Ausgestaltung des Deutschen als Zweitsprache und der In-          Ratzki, A. 2012: Ausschnitte eines unveröffentlichten Vortragsmanuskripts
terkulturellen Kommunikation als Zweitfach mit zielgrup-          2011. In: Domisch, R./Klein, A. 2012: Niemand wird zurückgelassen. Eine Schu-
penspezifischen Inhalten für das Lehramt an berufsbilden-         le für Alle. München.

den Schulen ausgearbeitet werden.                                 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundes-
                                                                  republik Deutschland 2004: Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissen-
Insgesamt könnte dadurch der Schulalltag sowohl für Lehr-         schaften. o. O. – URL: http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_
kräfte als auch Schüler – und damit indirekt auch für alle        beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung.pdf (Stand 05.02.2013).

weiteren Beteiligten – durch professionelles Handeln im           Parlamentarischer Rat 2010: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.
                                                                  Bonn a. Rh. 1949, zuletzt geändert am 21. Juli 2010 (BGBl. I S. 944). – URL: http://
multikulturellen und multilingualen Kontext verbessert und        www.bundestag.de/bundestag/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/
entlastet werden. Dadurch würde auch ein Beitrag zur inter-       index.html (Stand: 05.02.2013).

                                                                                  Die berufsbildende Schule (BbSch) 65 (2013) 6               187
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