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Unter der Patronanz der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie Konsensus Statement und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) Neurologie & Psychiatrie Stellungnahmen und fundierte Meinungen zu aktuellen medizinischen Fachthemen © iStockphoto.com/cosmin4000 STATE OF THE ART 2021 Therapieresistente Depression: Diagnose und Behandlung
KONSENSUS STATEMENT Vorwort © MedUni Wien, Felicitas Matern der Herausgeber Das Nichtansprechen auf eine antidepressive Therapie ist ein relevan- tes klinisches Problem und eine therapeutische Herausforderung für jede behandelnde Ärztin und jeden behandelnden Arzt. Es wird zurzeit zwischen unterschiedlichen Formen des Ansprechens em. O. Univ.-Prof. Dr. h. c. mult. auf eine antidepressive Therapie unterschieden. Neben dem ungenügen- Dr. med. Siegfried Kasper den Ansprechen auf eine Therapie kann prinzipiell zusätzlich eine thera- Emeritierter Vorstand der pieresistente Depression und in weiterer Folge eine therapierefraktäre Universitätsklinik für bzw. auch eine chronische Depression unterschieden werden. Psychiatrie und In dem vorliegenden Konsensus-Statement werden die verschiedenen Psychotherapie, MedUni Wien Begrifflichkeiten dargestellt und in diesem Zusammenhang auch die Rolle der biologischen Grundlagen besprochen. Besonderes Augenmerk wird auf die therapeutischen Optionen sowohl in der medikamentösen als auch in der nicht medikamentösen Behandlung der therapieresisten- ten Depression gelegt. Die Therapie dieses komplexen Zustandsbilds kann auf verschiedene Arten erfolgen, wobei Algorithmen eine Hilfestellung geben und auch nicht pharmakologische Therapieverfahren einen fixen Stellenwert haben. Das partnerschaftliche, offene Gespräch zwischen Ärztin oder Arzt und Patientin oder Patient ist dabei besonders wichtig – nicht zuletzt um die Therapietreue, die sogenannte Adhärenz, aufrecht- zuerhalten. Den Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter und beim älteren Menschen wird in zwei weiteren Kapiteln spezielle Aufmerksam- Prim. Priv.-Doz. Dr. med. keit geschenkt. Andreas Erfurth Wir hoffen, dass das vorliegende Konsensus-Statement Ihre tägliche 1. Abteilung für Psychiatrie Arbeit bereichert und die dabei aufgeworfenen Gedanken und Empfeh- und Psychotherapeutische lungen Ihre Arbeit unterstützen. Mit Freude sehen wir Ihren Rückmel- Medizin, Klinik Hietzing dungen entgegen. © MedUni Wien, Felicitas Matern In diesem Sinne zeichnen em. O. Univ.-Prof. Dr. h. c. mult. DDr. Prim. Priv.-Doz. Dr. Ao. Univ.-Prof. DDr. Dr. med. Siegfried Kasper Andreas Erfurth Gabriele Sachs Ao. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Gabriele Sachs Präsidentin der ÖGPB MedUni Wien Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Um die Lesbarkeit der Informationen zu erleichtern, wird bei Personenbezeichnungen in der Regel die männliche Form verwendet. Es sind jedoch jeweils männliche und weibliche Personen gemeint. Zitierung der Arbeit wie folgt: Kasper S, Erfurth A, Sachs G, Aichhorn W, Bartova L, Bengesser S, Buchmayer F, Deisenhammer E, Di Pauli J, Dold M, Falkai P, Frey R, Glück K, Hofer A, Holsboer-Trachsler E, Kautzky A, Konstantinidis A, Kraus C, Lehofer M, Marksteiner J, Mitschek M, Mörkl S, Oberlerchner H, Plener P, Psota G, Rados C, Rainer M, Schosser A, Seifritz E, Silberbauer C, Winkler D, Wunsch C, Zwanzger P: Therapieresistente Depression: Diagnose und Behandlung, Konsensus-Statement. Sonderheft JATROS Neurologie & Psychiatrie, März 2021 Neurologie & Psychiatrie 2021 3
KONSENSUS STATEMENT Editorial Board: © Michael Baumgartner / KiTO © Foto Weinwurm GmbH © SALK © tirol kliniken © Mang Stefan Wolfgang Aichhorn Lucie Bartova Susanne Bengesser Florian Buchmayer Eberhard Deisenhammer Universitätsklink für Psy Universitätsklinik für Universitätsklinik für Psy Abteilung für Psychiatrie Universitätsklinik für chiatrie, Psychotherapie Psychiatrie und Psycho chiatrie und Psychothera und Psychotherapie, Barm Psychiatrie, Medizinische und Psychosomatik, therapie, Medizinische peutische Medizin, herzige Brüder, Kranken Universität Innsbruck Uniklinikum Salzburg/CDK Universität Wien Med Uni Graz haus Eisenstadt © Fotostudio Fischerlehner Richard Frey Katharina Glück Alex Hofer Alexander Kautzky Anastasios Konstantinidis Universitätsklinik für Abteilung für Psychiatrie Universitätsklinik für Universitätsklinik für Zentren für seelische Psychiatrie und Psycho und Psychotherapeutische Psychiatrie I, Tirol Kliniken, Psychiatrie und Psycho Gesundheit, BBRZ-Med therapie, Medizinische Medizin, Klinikum Wels- Innsbruck therapie, Medizinische Wien Universität Wien Grieskirchen Universität Wien © P. C. Swoboda © Rosin Karin © MedUni Wien © Opernfoto/Graz © tirol kliniken Josef Marksteiner Marleen Mitschek Sabrina Mörkl Herwig Oberlerchner Plener Plener Abteilung für Psychiatrie Universitätsklinik für Universitätsklinik für Psy Abteilung für Psychiatrie Universitätsklinik für und Psychotherapie A, Psychiatrie und Psycho chiatrie und Psychothera und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsy Landeskrankenhaus Hall therapie, Medizinische peutische Medizin, Klinikum Klagenfurt am chiatrie, Medizinische Universität Wien Med Uni Graz Wörthersee Universität Wien © Franz Pfluegl Michael Rainer Alexandra Schosser Christoph Silberbauer Dietmar Winkler Christian Wunsch Zentrum für geistige Zentren für seelische Abteilung für Psychiatrie Universitätsklinik für Abteilung für Psychiatrie Gesundheit Wien Gesundheit, BBRZ-Med und Psychotherapeutische Psychiatrie und Psycho und Psychotherapeutische Wien Medizin, Salzkammergut therapie, Medizinische Medizin, Landesklinikum Klinikum Vöcklabruck Universität Wien Neunkirchen 4 Neurologie & Psychiatrie 2021
KONSENSUS STATEMENT Internationaler Beirat: © Psychiatrische Uniklink Basel © Karin Nussbaumer © Fotostudio Sauter Jan Di Pauli Markus Dold Peter Falkai Edith Holsboer-Trachsler Erwachsenenpsychiatrie, Universitätsklinik für Klinik für Psychiatrie und Universität Basel Landeskrankenhaus Psychiatrie und Psycho- Psychotherapie, Klinikum Rankweil therapie, Medizinische der Universität München Universität Wien © Stefan Serringer © LKH Graz Süd-West © Pressestelle kbo © Daniel Ammann Christoph Kraus Michael Lehofer Erich Seifritz Peter Zwanzger Universitätsklinik für Abteilung für Psychiatrie Klinik für Psychiatrie, Psy- Abteilung für Allgemein- Psychiatrie und Psycho- und Psychotherapie, chotherapie und Psycho- psychiatrie und Psychoso- therapie, Medizinische Landeskrankenhaus Graz somatik, Universitätsklinik matik, kbo-Inn-Salzach- Universität Wien Zürich Klinikum © feel image © Sissi Furgler Georg Psota Christa Rados Kuratorium für Abteilung für Psychiatrie Psychosoziale Dienste und Psychotherapeutische Wien Medizin, Landeskranken- haus Villach Neurologie & Psychiatrie 2021 5
KONSENSUS STATEMENT Inhalt 1 Einleitung 7 8 Nichtpharmakologische, biologisch 21 orientierte Interventionen 2 Definitionen 7 8.1 Elektrokonvulsionstherapie 8.2 Transkranielle Magnetstimulation 3 Ist die TRD eine eigenständige 8 8.3 Vagusnervstimulation (VNS) Krankheitsentität? 8.4 Deep Brain Stimulation 4 Klinische Charakteristika der TRD, 9 9 Psychotherapie bei TRD 23 Ergebnisse der europäischen Verbundstudie (GSRD) 10 Behandlungsalgorithmus 25 5 Genetik und Epigenetik 10 11 TRD bei älteren Patienten 26 5.1. Kandidatengenuntersuchungen 11.1 Depression bei Demenz 5.2. Genomweite Assoziationsstudien 11.2 Nichtpharmakologische Strategien bei 5.3. Epigenetik TRD im Alter 5.4. Multifaktorielle Genuntersuchungen 12 TRD im Kindes- und Jugendalter 27 6 Plasmaspiegel und 11 Arzneimittelinteraktionen 13 Zusammenfassung 28 7 Psychopharmakotherapie der TRD 13 7.1 Psychopharmakotherapie mit Antidepressiva 7.2 Augmentationstherapie mit Antipsychotika der neuen Generation und Lithium 7.2.1 Augmentationstherapie mit Anti psychotika der neuen Generation 7.2.2 Augmentationstherapie mit Lithium 7.3 Kombinationstherapie von Antidepressiva 7.4 Dosiseskalation 7.5 Wechsel der Medikation (Switching) 7.6 Weitere Add-on-Strategien bei TRD 7.6.1 Augmentation antidepressiver Therapie mit Nutraceuticals/ Supplementen 7.7 Benzodiazepine bei TRD 7.8 Intranasale Anwendung von Esketamin Impressum Herausgeber: Österreichische Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB). Verleger: Universimed Cross Media Content GmbH, Markgraf-Rüdi- ger-Straße 6–8, 1150 Wien. office@universimed.com. Geschäftsführung: Dr. med. Bartosz Chłap, MBA. Tel.: +43 1 876 79 56. Fax: DW 20. Chefredaktion: Dr. Gabriele Senti. E-Mail: ga- briele.senti@universimed.com. Projektleitung: Mag. Manuela Moya. Grafik: Amir Taheri. Lektorat: DI Gerlinde Hinterhölzl, Dr. Patrizia Maurer, Mag. Sabine Wawerda. Druck: Print Al- liance HAV Produktions GmbH, 2540 Bad Vöslau. Gerichtsstand: Wien. Offenlegung: Universimed Cross Media Content GmbH (100 %ige Tochter der Universimed Holding GmbH). Eigentümer und M edieninhaber: Universimed Holding GmbH. Copyright: Alle Rechte, insbesondere auch hinsichtlich sämtlicher Artikel, Grafiken und Fotos, liegen bei Universimed. Nachdruck oder Vervielfältigung, Verbreitung, Zurverfügungstellung, Vortrag, Vorführung, Aufführung, Sendung, Vermietung, Verleih oder Bearbeitung – auch auszugsweise – nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung durch den Verleger. Für den Inhalt verantwortlich: Die Herausgeber und die Mitglieder des Editorial Boards. Die unterstützenden Firmen hatten keinen Einfluss auf den Inhalt dieses Konsensus-Statements. 6 Neurologie & Psychiatrie 2021
KONSENSUS STATEMENT Therapieresistente Depression: Diagnose und Behandlung 1 Einleitung sche Faktoren), manchmal ein bewusster ten Fall tatsächlich eine TRD vorliegt, oder auch unbewusster Widerstand des zumal ein mangelnder Behandlungser- Der Begriff „Depression“ stellt eigentlich Patienten. folg auch die Folge der sogenannten keine Diagnose dar, sondern bezeichnet ein Da nun neue Behandlungsoptionen, wie „Pseudoresistenz“ sein kann (Dold und Syndrom, das im Rahmen vieler verschie- die Augmentation einer existierenden an- Kasper 2017; Abb. 1). dener psychiatrischer Diagnosen – depres- tidepressiven Therapie mit Antipsychotika Von Pseudoresistenz spricht man, siver Anpassungsstörung, organischer de- der neuen Generation bzw. der Add-on- wenn ein mangelnder Behandlungserfolg pressiver Störung, substanzinduzierter Therapie mit Esketamin-Nasenspray, ver- seine Ursache in einer (noch) zu kurzen depressiver Störung, uni- bzw. bipolarer fügbar sind, wundert es nicht, dass das Behandlungsdauer oder einer unzurei- affektiver Störung u. a. – auftreten kann. Charakteristikum der TRD in der psychia- chenden Dosierung der eingesetzten Me- Depressive Episoden im Rahmen von affek- trischen Literatur in letzter Zeit großes dikation hat. Weiters können mangelnde tiven Störungen sind in der Mehrzahl phar- Interesse erfahren hat, was sich etwa in Adhärenz, individuelle Unterschiede der makologisch sowie mit nichtmedikamentö- der aktuellen Zahl von über 1200 Einträ- Metabolisierung (resultierend in zu nied- sen Strategien gut behandelbar, sodass in gen bei einer PubMed-Suche mit dem rigen Plasmaspiegeln der eingesetzten vielen Fällen durch das erste Antidepressi- Begriff „treatment-resistant depression Wirkstoffe), unerwünschte Arzneimittel- vum eine zumindest weitgehende Remissi- [Title]“ widerspiegelt. Dieses Konsensus- wirkungen (UAW), psychiatrische und/ on der Symptomatik erreicht werden kann. Statement soll das Verständnis der TRD oder somatische Komorbiditäten sowie Depressive Episoden, die nur unzurei- sowie deren vielfältige therapeutische psychosoziale Faktoren hinter dem Auf- chend oder gar nicht auf therapeutische Strategien in komprimierter Form und pra- treten von Pseudoresistenz stehen. Die Interventionen ansprechen, bedeuten für xisnah beleuchten. genaue psychi atrische Exploration und Patienten eine oft deutliche Verlängerung Untersuchung kann diese Faktoren aufde- ihrer Leidensdauer und stellen Behandler 2 Definitionen cken und soll daher am Anfang jeder me- vor eine Reihe von Herausforderungen. Bei dikamentösen Therapie stehen. ausbleibender Wirkung von zumindest Eine unzureichende Response auf die Die Bestimmung der Medikamentenspie- zwei medikamentösen Therapieversuchen initiale antidepressive Medikation ist gel im Blut (Therapeutic Drug Monitoring, in ausreichender Dauer und Dosierung häufig und betrifft rund 60 % aller Pati- TDM) (Hiemke et al. 2018) erlaubt Aussa- sprechen wir von „therapieresistenter De- enten, die an einer Depression erkrankt gen zur Metabolisierung der eingesetzten pression“ (TRD). In der Literatur wird da- sind (Dold und Kasper 2017). Dies bedeu- Medikamente und lässt Rückschlüsse auf für auch der Begriff „difficult to treat de- tet allerdings noch nicht, dass im konkre- Enzymvarianten (v. a. im Cytochrom-P450- pression“ gebraucht (McAllister et al. 2020). Daneben existieren auch andere Begriffe wie „therapierefraktäre Depressi- Eine Fehldiagnose der zugrunde liegenden Erkrankung on“ oder „chronische“ bzw. „chronifizierte Depression“, die davon abzugrenzen sind Inadäquate Dosierung oder Behandlungsdauer (Tab. 1). Die Wirksamkeit einer medikamentösen Fehlende Adhärenz des Patienten Therapie wird von einer Vielzahl von Fak- toren bestimmt, die in dem behandelten Komorbide psychiatrische und somatische Erkrankung Patienten, dem Pharmakon und dem die Beziehung zwischen den beiden vermit- Pharmakokinetische/-dynamische Interaktionen telnden Arzt begründet und pharmakody- namischer, pharmakokinetischer sowie Iatrogene Gründe psychologischer Natur sein können. Manchmal ist es nicht die richtige Subs- Kompromittierte Absorption tanz, manchmal eine Dosierungsfrage, manchmal eine unvollständige Diagnostik Abb. 1: Mögliche Gründe für das Ausbleiben einer Response oder für eine schwache Response (somatische, Komorbiditäts- oder neuroti- (Pseudo-Therapieresistenz) auf eine Therapie (nach Malhi und Bell 2020) Neurologie & Psychiatrie 2021 7
KONSENSUS STATEMENT System der Leber) zu, die zu hohe oder zu Jahre milde bis mittelgradige depressive hängig vom Wirkmechanismus der einge niedrige Plasmaspiegel bedingen können. Symptome), Double-Depression (Dysthy setzten Medikation verwendet (GSRD; Nach Ausschluss von Pseudoresistenz mie mit zusätzlichen depressiven Episo Souery et al. 2011, Bartova et al. 2019). sollte die unzureichende Therapieresponse den), chronische schwere depressive Stö Damit wurden ältere Definitionen von genauer definiert und quantifiziert wer rung (Kriterien einer schweren depressi Therapieresistenz verlassen, die geschei den. Wie dies in der Praxis aussehen kann ven Episode sind über zwei Jahre durch terte Medikationsversuche mit Antidepres bzw. welche Formen der insuffizienten gängig erfüllt). Auch rezidivierende schwe siva aus verschiedenen Substanzklassen Therapieresponse unterschieden werden re depressive Episoden ohne vollständige voraussetzen (Thase und Rush 1997), wo können, wurde im Jahr 2013 beschrieben Remission werden zur chronischen Depres mit eine Eskalation der medikamentösen (Kasper und Akimova 2013). Dabei kom sion gezählt. Die genaue Abgrenzung der Therapie auf Basis der unterschiedlichen men vier Begriffe ins Spiel (Tab. 1): genannten Formen der Depression ist nicht Wirksamkeit verschiedener Substanzklas nur von akademischer, sondern auch von sen impliziert wurde (Thase und Rush • Inadäquate Response hoher praktischer Relevanz, da sie die Vo 1997). So sollen nach Thase und Rush z. B. Sie liegt vor, wenn ein Patient auf eine raussetzung für den gezielten Einsatz der Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-I) prin adäquate antidepressive Therapie nur un heute verfügbaren Behandlungsoptionen zipiell effektiver sein als trizyklische An zureichend anspricht (Teilremission). Eine und damit für eine individualisierte The tidepressiva, die wiederum wirksamer als adäquate antidepressive Therapie ist bei rapie darstellt. Allerdings wird fälschli SSRI sein sollen (Thase und Rush 1997). ausreichender Tagesdosis des verordneten cherweise in der Praxis der Terminus „the Dieses Konzept wurde unter anderem Antidepressivums und ausreichender Be rapieresistente Depression“ häufig als durch die Arbeiten des europäischen For handlungsdauer von mindestens vier Wo Synonym für alle oben genannten klini schungskonsortiums „European Group for chen gegeben. schen Zustandsbilder verwendet. the Study of Resistant Depression“ (GSRD; Souery et al. 2011) infrage gestellt. Auf • Therapieresistente Depression Response kann anhand validierter grund der Arbeiten der GSRD-Gruppe ist Sie ist durch eine ungenügende Response Scores definiert werden, wie dies in den ein Patient als therapieresistent anzuse auf zwei adäquate antidepressive Thera von internationalen psychiatrischen Fach hen, wenn er auf mindestens zwei hinter pien mit gleich oder unterschiedlich wir gesellschaften wie der World Federation of einanderfolgende adäquate pharmakolo kenden Antidepressiva definiert. Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) gische Behandlungsmaßnahmen nicht erstellten Kriterien (Bauer et al. 2017) für ausreichend angesprochen hat (Bartova et • Therapierefraktäre Depression die Therapieresponse gefordert wird. Da al. 2019). Sie besteht, wenn ein Patient auf meh bei können die Montgomery-Åsberg-De rere unterschiedliche adäquate antidepres pressionsskala (MADRS) (Montgomery 3 Ist die TRD eine eigenständige sive Therapieoptionen, inklusive Elektro and Asberg 1979) und/oder die Hamilton- Krankheitsentität? konvulsionstherapie (EKT), nur unzurei Depressionsskala (HAMD) (Hamilton chend anspricht. 1960) zum Einsatz kommen: Remission ist Das komplexe Krankheitsgeschehen ei dabei definiert durch das Erreichen eines ner TRD ist zu Recht Ziel besonderer – • Chronische Depression HAMD-Gesamtscores von ≤ 7. Eine Respon auch nosologischer – Bemühungen. Eine Sie besteht, wenn ein Patient trotz ad se liegt bei einer Reduktion der Symptom sich im späteren Verlauf als therapieresis äquater therapeutischer Interventionen schwere von ≥ 50 % vor, eine partielle Res tent herausstellende depressive Episode ist seit mindestens zwei Jahren unter einer ponse bei einer Reduktion der depressiven zunächst einmal bei Beginn der Beschwer depressiven Episode leidet. Dabei muss die Symptomatik von 26–49 %. Bei einer Sym den eine „normale“ depressive Episode. Symptomatik einer Major Depression min ptomreduktion von ≤ 25 % besteht Non- Diese Episode erweist sich dann durch die destens zur Hälfte aller Tage bestehen. Response. mangelhafte Response auf adäquate The Eine weitere diagnostische Differenzie In der Regel wird der Begriff „Therapie rapien als therapieresistent und bei weite rung ist möglich und sinnvoll. Unterschie resistenz“ heute nach dem Scheitern von rer unzureichender Behandlung als zuneh den werden: Dysthymie (mindestens zwei zwei adäquaten Therapieversuchen unab mend chronifizierend. Der biochemische oder auch lebensgeschichtliche „Ursprung“ der sich später als therapieresistent her Inadäquate Response Ungenügende Response auf eine adäquate antidepressive ausstellenden Episode kann zurzeit noch Therapie nicht eindeutig von einer zunächst gut re Therapieresistente Ungenügende Response auf zwei adäquate antidepressive spondierenden und dann remittierenden Depression Therapien Episode abgegrenzt werden. Eine eigen ständige Krankheitsentität (so wie z. B. Therapierefraktäre Ungenügende Response auf mehrere adäquate antidepressive eine Lewy-Körper-Demenz eine eigenstän Depression Therapien dige Krankheitsentität im Vergleich zu ei Chronische Depression Depressive Episode mit Dauer über 2 Jahre ner Parkinsondemenz darstellt) bildet die TRD daher zurzeit noch nicht, wenngleich nach Kasper und Akimova 2013; Kasper und Frazer 2019 mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus Tab. 1: Definitionen für die Beurteilung einer ungenügenden Therapieresponse gegangen werden kann, dass die TRD im 8 Neurologie & Psychiatrie 2021
KONSENSUS STATEMENT Vergleich zu der breiten Gruppe depressi- ver Erkrankungen eine auch biologisch zu charakterisierende Subgruppe darstellt. Verschiedene internationale Klassifikati- onssysteme beschreiben eine TRD nicht als separates Krankheitsbild, interessan- Mehr Komorbiditäten 2x 36% längerer 7-fache terweise vergeben jedoch Zulassungsbe- höhere durchschnittlicher Zunahme der (z.B. Bluthochdruck, Hospitalisierungsrateb Spitalsaufenthaltb Suizidratec hörden wie die FDA (Food and Drug Diabetes, Herzinfarkt)a Administration) und die EMA (European a Amos et al. 2016; b Amos et al. 2018; c Feldmann et al. 2013 Medicines Agency) die Zulassung einer Medikation für die Indikation der TRD, Abb. 2: Konsequenzen bei Ausbleiben einer Response auf zwei oder mehr Therapieoptionen wenn entsprechende Studien vorliegen, wie z. B. bei der nun verfügbaren therapeu- tischen Option des Esketamin-Nasensprays Große klinische Studien wie von Souery schen Studien breit angewendet wird (z. B. (http://www.ema.europa.eu). Eine Zulas- et al. 2007 und von Perugi et al. 2019 Wajs et al. 2020). Somit wird die TRD aktu- sung für Major Depressive Disorder (MDD) (Letztere hat die besondere Bedeutung der ell als fehlende Response auf zumindest bedeutet daher nicht gleichzeitig, dass bipolaren Diathese für die Entwicklung zwei konsekutive Behandlungen mit Anti- auch Daten zur Wirksamkeit bei Patienten einer Therapieresistenz herausgearbeitet) depressiva gleicher oder unterschiedlicher mit TRD vorliegen. sowie die Verwendung von maschinellem Wirkstoffklassen definiert, welche über ei- Es ist lohnend, die TRD nicht nur be- Lernen (Kautzky et al. 2018 und 2019) nen ausreichenden Behandlungszeitraum züglich ihrer offensichtlich schwierigeren konnten die Prädiktion von Therapieresis- (> 4 Wochen) und in einer ausreichenden Behandlung besonders zu beleuchten, son- tenz deutlich präzisieren, wie aus Abbil- Tagesdosis bei therapieadhärenten Patien- dern auch bezüglich ihrer möglichen spe- dung 3 entnommen werden kann und un- ten verabreicht wurden. ziellen Charakteristika. Hier liegt auch die ter Kapitel 4 für den weltweit größten Darüber hinaus konnten die Ergebnisse besondere Bedeutung der Suche nach Prä- Datensatz von TRD-Patienten der GSRD- der etwa 80 bisher veröffentlichten GSRD- diktoren (biologischen, genetischen, psy- Gruppe dargestellt wird. Studien, die bei 2762 depressiven Patien- chopathologischen Prädiktoren): Je früher ten durchgeführt wurden, das gegenwär- das Risiko für eine mögliche Therapiere- 4 Klinische Charakteristika der TRD: tige Verständnis von der klinischen Mani- sistenz erkannt wird, desto besser kann Ergebnisse der europäischen festation der TRD zunehmend festigen man einer Chronifizierung der Depression Verbundstudie (GSRD) (Bartova et al. 2019). Im Einklang mit zuvorkommen. Bereits im Jahr 1993 wur- sonstigen internationalen Forschungser- den als negative Prädiktoren eines medi- Der klinische Phänotyp der Therapiere- gebnissen (zur Übersicht: Kraus et al. kamentösen Behandlungserfolges „neuro- sistenz wurde bisher in zahlreichen interna- 2019) zeichnet sich die TRD wie in Abbil- tische Persönlichkeitszüge“, häufige Pha- tionalen Studien untersucht. Hierbei sind die dung 3 dargestellt sehr häufig durch einen sen in der Vorgeschichte sowie depressive Ergebnisse der „European Group for the höheren Schweregrad der depressiven Wahninhalte beschrieben (Schmauß und Study of Resistant Depression“ (GSRD) be- Symptomatik (Souery et al. 2007; Balestri Erfurth 1993). Die Definition solcher Risi- sonders hervorzuheben, eines internationa- et al. 2016; Kautzky et al. 2019) und einen kofaktoren ermöglicht frühzeitig die Zu- len Forschungskonsortiums, welches seit chronifizierten Verlauf aus, wobei beim weisung zu speziellen Therapien (Erfurth mehr als zwei Jahrzehnten in insgesamt acht Letzteren die Anzahl der früheren depres- und Möller 2000) einschließlich einer Ländern (Österreich, Italien, Deutschland, siven Episoden (Souery et al. 2007; Kautz Kombinationsbehandlung (Schmauß und Schweiz, Belgien, Frankreich, Griechenland, ky et al. 2019) sowie der bisherigen psych- Erfurth 1996). Israel) sowohl klinische als auch biologische iatrischen stationären Behandlungen (Sou- Risikofaktoren, die zur Entstehung und Korrelate der TRD und deren Behandlungs- ery et al. 2007; Zaninotto et al. 2013) und Aufrechterhaltung häufiger Komorbiditä- möglichkeiten systematisch untersucht (zur die Dauer der aktuellen depressiven Episo- ten wie Bluthochdruck, Diabetes und Herz- Übersicht: Bartova et al. 2019). de (Zaninotto et al. 2013; Balestri et al. infarkt bei depressiven Patienten beitragen Im Laufe der intensiven zwanzigjährigen 2016; Kautzky et al. 2019) ausschlagge- sind mangelnde Bewegung und/oder ein Forschung wurde u. a. das GSRD-Staging- bend sind. Außerdem wurde das Vorhan- nachteiliger Ernährungsstil im Sinne einer Modell für die Beurteilung der Response auf densein von Suizidalität (Souery et al. „western diet“ (reich an gesättigten Fetten, eine antidepressive Behandlung entwickelt, 2007; Zaninotto et al. 2013; Balestri et al. Zucker und verarbeiteten Lebensmitteln) das die aktuelle Schwere der depressiven 2016; Dold et al. 2018a; Kautzky et al. (Teasdale et al. 2019, Jacka et al. 2017). In Symptome sowie die angewendeten psycho- 2019), zusätzlichen melancholischen (Sou- diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, pharmakotherapeutischen Strategien be- ery et al. 2007; Zaninotto et al. 2013) und dass TRD-Patienten neben den genannten rücksichtigt. Dieses Modell führte letztend- psychotischen Symptomen (Zaninotto et metabolischen Komorbiditäten eine etwa lich dazu, dass die European Medicines al. 2013; Kautzky et al. 2019; Dold et al. doppelt so hohe Hospitalisierungsrate, ei- Agency (EMA) die Definition der TRD nach 2019) sowie von komorbiden Angststörun- nen etwa 36 % längeren durchschnittli- den Ergebnissen der GSRD adaptierte gen (Souery et al. 2007; Zaninotto et al. chen Spitalsaufenthalt und eine siebenfach (http://www.ema.europa.eu), die derzeit 2013; Dold et al. 2017b; Kautzky et al. erhöhte Suizidrate aufwiesen (Abb. 2). international anerkannt und z. B. in klini- 2019) und Persönlichkeitsstörungen (Sou- Neurologie & Psychiatrie 2021 9
KONSENSUS STATEMENT der Psychiatrie-Genetik-Forschung. Interes- Prominente Risikofaktoren Weitere Risikofaktoren santerweise zeigte eine vor Kurzem erschie- nene Arbeit der GSRD-Gruppe, dass der PRS für Schizophrenie im Zusammenhang Psychotische Symptome mit der TRD zu stehen scheint, was u. a. die Suizidalität augmentative Wirkung der sogenannten Schwere der Symptome Größere Anzahl bisher atypischen Antipsychotika erklären würde eingesetzter Antidepressiva (Fanelli et al. 2020). Allerdings wird derzeit Größere Anzahl depressiver Episoden über die eine individuelle Risikoprädiktion noch Lebensspanne Längere Dauer der gegenwärtigen nicht von der International Society of Psy- depressiven Episode chiatric Genetics empfohlen (Lazaro-Munoz Komorbide Angsterkrankung et al. 2019). Nichtsdestotrotz sind PRS ex- zellente Tools für die moderne, hypothesen- Stationäre Behandlung geleitete Erforschung der genetischen Grundlagen von affektiven Störungen so- wie der Therapieresponse (Bengesser und Abb. 3: Klinische Merkmale von TRD-Patienten, die als Prädiktoren und für den Behandlungsverlauf Reininghaus 2018). Ebenso konnten frühe herangezogen werden können und in der Routine leicht zu erheben sind (nach Kautzky et al. 2019) Kandidatengen-basierte Assoziationsstudi- en bereits erste Hinweise auf den geneti- schen Bauplan der Depression geben (siehe ery et al. 2007) mit einer insuffizienten einem höheren Einsatz psychopharmako- Kapitel 5.1). Allerdings führte erst die Ära Response bzw. der TRD vergesellschaftet. therapeutischer Maßnahmen assoziiert der genomweiten Assoziationsstudien Sehr häufig ging die Notwendigkeit war (Fugger et al. 2018, 2019a, 2019b und (GWAS) zu den aktuellen bahnbrechenden komplexer psychopharmakotherapeuti- 2020). Ergebnissen (siehe Kapitel 5.2). scher Maßnahmen mit einem unzureichen- den Outcome einher (Dold et al. 2016 und 5 Genetik und Epigenetik 5.1 Kandidatengenuntersuchungen 2018c). Entsprechende Assoziationen wur- Als Kandidatengene für hypothesenge- den für die Add-on-Therapie mit Antipsy- Genetische Faktoren sind nicht nur an leitete Studien bieten sich Gene an, die in chotika der neuen Generation bzw. Lithi- der Entstehung der Depression maßgeblich Zusammenhang mit Neurotransmittersys- um (Dold et al. 2018b) und/oder Benzodia beteiligt, sondern beeinflussen auch die temen oder mit Prozessen stehen, von de- zepinen (Dold et al. 2020a) sowie für die Response auf Psychopharmaka. Dies zei- nen Krankheitsrelevanz angenommen Anzahl der eingenommenen Antidepressi- gen klinische Studien, Familien- und Zwil- wird – wie zum Beispiel Neuroplastizität. va (Kautzky et al. 2019) beobachtet. Wei- lingsstudien, Arbeiten im Tiermodell sowie Hypothesengeleitete Genassoziationsstu- ters waren ein niedrigeres Alter bei Erster- die Grundlagenforschung (Schulze und dien und psychopharmakologische Assozi- krankung (Souery et al. 2007), der hohe McMahon 2018; Bousman et al. 2021). Ge- ationsstudien fokussierten unter anderem berufliche Beschäftigungsgrad (Mandelli netik bzw. Pharmakogenetik (PGx) beein- auf genetische Polymorphismen des sero- et al. 2016; Mandelli et al. 2019), eine po- flussen neben der Therapieresponse auch tonergen Systems wie den Längenpolymor- sitive Familienanamnese für affektive Er- das Auftreten von UAW sowie das Risiko phismus des Serotonintransportergens krankungen sowie auch das Auftreten von durch Arzneimittel hervorgerufener uner- (5-HTTLPR in SLC6A4) oder einen funkti- UAW mit einer fehlenden Rsponse bzw. wünschter Ereignisse (Adverse Drug Reac- onalen Polymorphismus des Serotoninre- TRD assoziiert (Balestri et al. 2016). tions, ADR) – diesbezüglich wird auf die zeptor-1A-Gens (rs6295 in 5HTR1A). Auch In einer rezenten Replikationsstudie, Ausführungen zum Thema „Pharmakoki- für den Serotoninabbau verantwortliche die bei 916 GSRD-Patienten durchgeführt netische Interaktionen“ (siehe Kapitel 6) Gene wie COMT wurden intensiv be- wurde, zeigten sich der höhere Schwere- sowie die umfassende, rezente Experten- forscht. Eine Assoziation mit der Depressi- grad der depressiven Symptomatik, Suizi- Konsensus-Übersichtsarbeit „Review and on im Allgemeinen wurde unter den für dalität, die höhere Anzahl früherer depres- Consensus on Pharmacogenomic Testing in Neuroplastizität und Transkriptionsregu- siver Episoden und die komorbide Angst- Psychiatry“ der International Society of lierung verantwortlichen Genen insbeson- störung als besonders robuste Risikofakto- Psychiatric Genetics (Bousman et al. 2021) dere für BDNF, CREB1 und MAPK1 gefun- ren für die Entwicklung einer TRD (Kautz verwiesen. den (Schosser et al. 2012). ky et al. 2019; Abb. 3). Genetische Merkmale wurden auch wie- Ergänzend ist zu erwähnen, dass die derholt als prädiktive Biomarker zur Er- 5.2 Genomweite Assoziationsstudien internationale Evidenz auch belastende leichterung der Diagnostik und Verlaufs Durch große, internationale Psychiatrie- Lebensereignisse und somatische Komor- prognose der depressiven Störung vorge- Genetik-Konsortien, etwa das Psychiatric biditäten mit einer unzureichenden Thera- schlagen (Fabbri et al. 2019a und 2020). Genomics Consortium (PGC), STAR*D, GEN- pieresponse bzw. der TRD in Verbindung Derzeit sind sogenannte „Polygenic Risk DEP, MARS und GSRD, konnte die Genetik bringt (zur Übersicht: Kraus et al. 2019), Scores“ (PRS), vereinfacht gesagt Sum- der Depression und Therapieresponse weiter wobei das Letztere in den GSRD-Studien menscores von mit Depression assoziierten entschlüsselt werden. Durch moderne Micro- nur teilweise beobachtet wurde bzw. mit Genvarianten, unter anderem Gegenstand Array-Technologie konnten durch genom- 10 Neurologie & Psychiatrie 2021
KONSENSUS STATEMENT weite Assoziationsstudien (GWAS), welche einer depressiven Episode ist, sind Gen- torielle Modelle gelegt, die genetische und hypothesenfrei Millionen von Genvarianten Umwelt-Interaktionen wichtige Puzzleteile andere Prädiktoren in ein komplementäres (SNP, „single nucleotide polymorphisms“) in der molekularbiologischen Pathogenese System integrieren und Interaktionen bes- zwischen Studienteilnehmern mit Depressi- der Depression und TRD. Epigenetische ser berücksichtigen sollen. Heute versucht on oder TRD und gesunden Kontrollen ver- Prozesse, wie etwa die Methylierung von man, auch der integrativen Vernetzung gleichen, genomweit assoziierte Risikogen- Cytosinen in regulatorischen Elementen verschiedenster molekularbiologischer We- varianten für Depression entschlüsselt wer- des Promotors von Genen, können die ge in der Therapieresponse-Forschung bei den. Ein Meilenstein der Psychiatrie-Genetik Transkription, also das Ablesen des Gens, Depression durch das Anwenden von Ma- war etwa die Präsentation von über hundert stilllegen. Ergebnisse von hypothesengelei- chine Learning (ML) gerecht zu werden mit Depression assoziierten Genvarianten teten Methylierungsanalysen zeigten wie- (Maciukiewicz et al. 2018). durch David Howard am World Congress of derholt epigenetische Veränderungen in Zusammenfassend kann festgehalten Psychiatric Genetics (WCPG) in Glasgow Kandidatengenen der serotonergen Neuro- werden, dass erste Ergebnisse genomwei- 2019. Howard et al. zeigten in einer Meta- transmission und Neuroplastizität. Erste ter und multifaktorieller Studien ein Po- analyse der GWAS-Daten von 807 553 Perso- EWAS („epigenome wide association stu- tenzial genetischer Marker für Präzisions- nen (246 363 Fälle mit Depression und dies“) zeigten erst wenige Methylierungs- diagnostik und Therapievorhersage erken- 561 190 Kontrollen), dass 102 unabhängige stellen, welche nach Bonferroni-Korrektur nen lassen. Die Charakterisierung geneti- Genvarianten und 15 Gengruppen mit der weiterhin mit der Depression assoziiert scher Marker der TRD stellt einen notwen- Depression assoziiert sind. Diese Gene spie- waren. EWAS im Bereich der TRD stecken digen Schwerpunkt der Depressionsfor- len unter anderem in der synaptischen leider derzeit noch in den Anfängen (Men- schung dar. Struktur und der Neurotransmission eine ke und Binder 2014). Rolle. Die Ergebnisse wurden in einer unab- 6 Plasmaspiegel und hängigen Replikationsstichprobe von 5.4 Multifaktorielle Genuntersuchungen Arzneimittelinteraktionen 1 306 354 Personen (414 055 Fälle mit De- Letztlich scheint die Interaktion einer pression und 892 299 Kontrollen) repliziert, Vielzahl genetischer, epigenetischer, klini- Therapeutic Drug Monitoring (TDM) wobei 87 der 102 assoziierten Varianten scher und soziodemografischer Faktoren und individualisierte Psychopharmako- nach strenger Korrektur für multiples Testen mit der Pathogenese der TRD und der The- therapie sind besonders bei TRD-Patien- signifikant blieben (Howard et al. 2019). Die- rapieresponse assoziiert zu sein. Folglich ten anzuraten (Hiemke et al. 2018). Dies se Ergebnisse erweitern unser Verständnis wurde in den vergangenen Jahren ein bedeutet unter anderem Dosisoptimierun- von der komplexen, polygenen genetischen Schwerpunkt der Forschung auf multifak- gen anhand der Quantifizierung von Architektur von Depressionen und bieten verschiedene Möglichkeiten für die Zukunft, Inhibitor wird zu einem Erhöhung des Plasmaspiegels des Substrates (dadurch kann es um die Ätiologie zu verstehen und neue Be- Substrat hinzugefügt zur Toxizität kommen). handlungsansätze zu entwickeln. Im Ver- gleich konnten bei TRD-GWAS kaum genom- Substrat wird zum Bei Auftitrierung des Substrates nach üblichem Therapieplan weit signifikante Genvarianten identifiziert Inhibitor hinzugefügt kommt es zu rascher deutlicher Steigerung des Plasmaspiegels werden (z. B. rs150245813) (Li et al. 2020; des Substrates und eventuell unerwünschten Arzneimittelwir Fabbri et al. 2019b). Die meisten mit TRD kungen (UAW). nominal assoziierten Genvarianten überleb- Induktor wird zu einem Verminderung des Plasmaspiegels des Substrates. Dadurch ten die strenge Bonferroni-Korrektur nicht. Substrat hinzugefügt eventuell Wirkverlust des Substrates. Enrichment-Analysen geben jedoch Hinwei- Substrat wird zu einem Trotz Adhärenz zum üblichen Aufdosierungsschema kommt es zu se auf eine Rolle der Zytoskelettregulation, Induktor hinzugefügt einem nur geringen oder keinem therapeutischen Effekt, da der Transkriptionsmodulation und Kalziumsig- Plasmaspiegel des Substrats zu niedrig ist. nalwege bei der TRD (Fabbri et al. 2019b). Allerdings ist anzumerken, dass die TRD- Entfall eines Inhibitors Das betroffene Isoenzym erlangt seine Normalfunktion; dadurch GWAS-Samples derzeit noch relativ klein kommt es zu einer Reduktion des Plasmaspiegels eines Substra sind und durch Erweiterung der Datensätze tes für dieses Isoenzym und gleichzeitig zu einer Erhöhung der in den nächsten Jahren wichtige Ergebnisse Metaboliten des Substrates. zu erwarten sind. Nichtsdestotrotz helfen die Entfall eines Induktors Das betroffene Isoenzym wird in seiner Funktion gedrosselt. bereits vorhandenen genomischen Daten zu Dadurch kommt es zu einer Erhöhung des Plasmaspiegels TRD, neue mögliche pharmakologische Op- des Substrates und zu einer Reduktion des Metaboliten des tionen für TRD mit modernen In-silico-Me- Substrates. thoden zu identifizieren, z. B. Ketamin oder Lithium (Fabbri et al. 2021). Wichtige Begriffe Substrat: Substanz, welche durch das jeweilige Isoenzym metabolisiert wird Inhibitor: S ubstanz, welche das jeweilige Isoenzym in seiner Funktion behindert/blockiert 5.3 Epigenetik Induktor: Substanz, welche das jeweilige Isoenzym in seiner Funktion fördert Da der genetische Bauplan entspre- nach Sandson et al. 2003 chend dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell nicht alleine maßgebend für das Entstehen Tab. 2: Mögliche Szenarien für eine medikamentöse Interaktion im CYP450-Enzymsystem Neurologie & Psychiatrie 2021 11
KONSENSUS STATEMENT kamente zu. Daraus ergeben sich bei einer Substanz CYP450-Metabolisierung Therapeutischer Kombinationstherapie mit fünf Medika- Referenzbereich menten zehn mögliche Interaktionen, wäh- Agomelatin CYP1A2, CYP2C19, CYP3A4 7–300 ng/ml (1–2 h nach rend bei zehn Medikamenten bereits 45 Einnahme von 50 mg) Interaktionen möglich sind. Allerdings Aripiprazol CYP2D6, CYP3A4 100–350 ng/ml sind nicht alle potenziellen Arzneimittel- interaktionen auch klinisch relevant. Bupropion CYP2C19, CYP2B6 850–1500 ng/ml Von einer pharmakodynamischen In- (und Hydroxybupropion) teraktion spricht man, wenn ein Medika- Citalopram/Escitalopram CYP2C19, CYP2D6, CYP3A4 50–110 ng/ml/15–80 ng/ml ment durch ein anderes Medikament in seiner Wirkung (synergistisch oder anta- Esketamin CYP2D6, CYP3A4, CYP2C19, 40–90 ng/ml* gonistisch) unmittelbar beeinflusst wird. CYP2C9 Pharmakodynamische Interaktionen kön- Duloxetin CYP1A2, CYP2D6 30–120 ng/ml nen in der klinischen Praxis zu sehr rele- vanten Phänomenen führen. In der Psych- Fluoxetin CYP2B6, CYP2C9, CYP2C19, 120–500 ng/ml iatrie sind das unter anderem: Hypertonie/ (und Norfluoxetin) CYP2D6 hypertensive Krisen, Serotonin-Syndrom, Mirtazapin CYP3A4, CYP1A2, CYP2D6 30–80 ng/ml Sedierung, extrapyramidale Symptomatik, Olanzapin CYP1A2, CYP2D6 20–80 ng/ml Arrhythmien oder QTc-Zeit-Verlängerung (Gören und Tewksbury 2013). Paroxetin CYP2D6, CYP3A4 20–65 ng/ml Pharmakokinetische Interaktionen Quetiapin CYP3A4, CYP2D6 100–500 ng/ml liegen vor, wenn sich zwei gleichzeitig ein- genommene Medikamente in ihrer Aufnah- Risperidon CYP2D6, CYP3A4 20–60 ng/ml me, Verteilung, Metabolisierung oder Aus- (und Hydroxyrisperidon) scheidung gegenseitig so beeinflussen, dass Sertralin CYP2B6, CYP2C19, CYP2C9, 10–150 ng/ml es zu einer Veränderung der Konzentration CYP2D6, CYP3A4 von einem der beiden Medikamente kommt Trazodon CYP3A4, CYP2D6 700–1000 ng/ml (Cascorbi 2012). Konsequenzen der verän- derten Wirkstoffkonzentration können der Venlafaxin CYP2C19, CYP2D6, CYP2C9, 100–400 ng/ml Verlust der Wirkung oder eine UAW sein. (und O-Desmethylven CYP3A4 Für die Metabolisierung der meisten lafaxin) Psychopharmaka sind Isoenzyme des Cy- Vortioxetin CYP2D6, CYP3A4, CYP2A6, CYP2C9 10–40 ng/ml tochrom-P450(CYP450)-Systems verant- wortlich. Hier können pharmakokinetische Ziprasidon CYP3A4 50–200 ng/ml Interaktionen eine Veränderung des Plas- Wenn Enzyme, die fett gedruckt sind, in ihrer Aktivität durch einen Inhibitor oder Induktor vermindert oder maspiegels der jeweiligen Substanz bewir- gesteigert sind, so kommt es zu einem möglicherweise klinisch relevanten Anstieg oder Abfall der Plasmakonzent- ken. Tabelle 2 listet alle sechs möglichen ration der entsprechenden Substanz (nach Hiemke et al. 2018); * bei Tmax Szenarien einer pharmakokinetischen In- Tab. 3: CYP450-Isoenzym-Beteiligung und therapeutischer Bereich einiger Psychopharmaka teraktion am CYP450-Enzymsystem auf. Die wichtigsten CYP450-Isoenzyme sind: CYP1A2, CYP2B6, CYP2C8, CYP2C9, Wirkstoffkonzentrationen im Blutserum in den meisten Fällen eine Plasmaspiegel- CYP2C19, CYP2D6, CYP2E1 und CYP3A4/5 oder -plasma. messung erst eine Woche nach Erreichen (Hiemke et al. 2018). Duloxetin, Fluoxetin Plasmaspiegelmessungen sind heutzuta- einer stabilen täglichen Dosierung und un- (und Norfluoxetin) sowie Paroxetin sind ge für die meisten Psychopharmaka routi- mittelbar vor Einnahme der morgendlichen starke Inhibitoren für CYP2D6. Dagegen ist nemäßig verfügbar. Das Unter- oder Über- Dosis sinnvoll und aussagekräftig ist. Johanniskraut ein Induktor für CYP2C19, schreiten der angestrebten Spiegel kann Kommt es zu UAW, kann eine Plasmaspie- CYP3A4; Carbamazepin ist ein Induktor für eine unzureichende Response auf die Me- gelbestimmung allerdings zu jedem Zeit- CYP1A2, CYP2B6, CYP2C9 sowie CYP3A4. dikation oder eine schlechte Verträglichkeit punkt sinnvoll sein. Für die Interpretation In Tabelle 3 sind einige Psychopharmaka der Medikation erklären. Als Ursachen der Ergebnisse muss in solchen Fällen aller- sowie deren Metabolisierung ersichtlich. kommen Non-Adhärenz des Patienten so- dings das Dosierungsschema einbezogen Zusätzlich können genetisch bedingte wie das mögliche Vorliegen eines geneti- werden (Hiemke et al. 2018). Polymorphismen, welche in ihrer Häufig- schen Polymorphismus oder einer relevan- An Interaktionen zwischen den einzel- keit auch deutliche ethnizitätsspezifische ten pharmakokinetischen Interaktion infra- nen Substanzen muss grundsätzlich bei Unterschiede zeigen, zu einer großen Va- ge. Die Bewertung der Spiegel wird in der allen Kombinationen von Medikamenten riabilität in der Ausstattung und Leistungs- Regel anhand von Talspiegelmessungen gedacht werden. Dabei nimmt die Anzahl fähigkeit der CYP-Enzyme bei den einzel- unter Steady-State-Bedingungen vorge- der möglichen Interaktionen exponentiell nen Personen führen (Müller et al. 2018). nommen. Das bedeutet in der Praxis, dass mit der Anzahl der eingenommenen Medi- In diesem Zusammenhang werden auch 12 Neurologie & Psychiatrie 2021
KONSENSUS STATEMENT die Begriffe „poor“, „intermediate“, „exten ABCB1-Test, welcher am Max-Planck-Insti te bei der TRD – ähnlich wie bei vielen an sive“ oder „ultrarapid metabolizer“ benutzt tut in München entwickelt wurde, können deren medizinischen Krankheitsbildern (Stingl et al. 2013). Pharmakogenetische die DNA-Sequenzvarianten im ABCB1-Gen wie z. B. der arteriellen Hypertonie – die Testungen können über das Vorliegen von gemessen werden, welche die medikamen medikamentöse Behandlung als Basisthe möglichen Polymorphismen Auskunft ge töse Behandlung der Depression erschwe rapie dienen (Kranz und Kasper 2019; Bar ben. „Poor metabolizer“ für ein bestimmtes ren. Dadurch können Patienten identifiziert tova et al. 2020). Die medikamentöse Ba Isoenzym weisen höhere Plasmaspiegel für werden, bei denen Antidepressiva aufgrund sistherapie sollte in erster Linie Antidepres Substrate des betroffenen Isoenzyms auf, von Polymorphismen die Blut-Hirn-Schran siva umfassen, wobei die Evaluierung der während „ultrarapid metabolizer“ einen ke weniger leicht passieren können und die Effektivität der initialen antidepressiven niedrigen Plasmaspiegel für Substrate des deshalb ungenügend auf die Therapie an Behandlung in der Regel zwei bis vier Wo betroffenen Isoenzyms aufweisen. sprechen. Die ABCB1-Diagnostik ist nur chen nach Erreichen der Zieldosis erfolgen Man kann aufgrund erster Analysen der einmal im Leben erforderlich und erlaubt sollte (DGPPN et al. 2015; Bauer et al. 2017; Universitätsklinik für Psychiatrie und Psy es, die Therapie mit Antidepressiva auf den Kasper et al. 2019). Eine fehlende Respon chotherapie in Wien annehmen, dass im individuellen ABCB1-Genotyp abzustim se auf die Therapie kann bereits nach zwei stationären Setting etwa 8–10 % der de men. Die Messung bietet eine Hilfe bei der Wochen als Prädiktor für eine weitere un pressiven Patienten pharmakokinetische Wahl der Behandlungoptionen bei Teil- und zureichende Response gewertet werden. Besonderheiten, meist ein „ultra rapid me Non-Response bezüglich Bestätigung der Eine Anpassung der antidepressiven The tabolizing“, aufweisen und dadurch z. B. Wahl des verordneten Antidepressivums, rapie wird daher bei mangelnder Response die Notwendigkeit besteht, höhere orale Dosissteigerung, Augmentationsstrategien bereits nach zwei Wochen empfohlen (Bau Medikationsdosen zu verabreichen. oder Medikamentenwechsel, wie in den er et al. 2017). Veränderungen der Enzymaktivität im Schweizer Therapieempfehlungen ver Bei einer inadäquaten Response auf die Laufe des Lebens sind möglich. Als Ursachen merkt (Holsboer-Trachsler et al. 2016). antidepressive Therapie ist zunächst die im kommen eine im Alter sinkende Enzym Kapitel 2 beschriebene Pseudoresistenz (sie aktivität oder auch Nieren- oder Leberer 7 Psychopharmakotherapie der he auch Abb. 1) auszuschließen. Kann diese krankungen infrage. Auch Rauchen kann zu TRD nicht als Ursache der mangelnden Therapie relevanten Interaktionen führen. Beim Ver response identifiziert werden, so stehen in brennen von Tabak entstehen zahlreiche Die Behandlung der TRD wird häufig hierarchischer Reihenfolge folgende Schrit Substanzen, die die pharmakokinetischen als herausfordernd bezeichnet. Um best te der Therapieoptimierung an: und pharmakodynamischen Eigenschaften mögliche Resultate zu erzielen, sollte sich von Pharmaka beeinflussen können: Die die Therapie an den individuellen Bedürf 1. Eine Optimierung der bestehenden an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasser nissen der Betroffenen orientieren und tidepressiven Behandlung stoffe im Tabakrauch (Benzpyren, Anthra neben der Psychopharmakotherapie auch cen, Phenantren etc.) sind metabolische In nichtpharmakologische und soziale Inter 2. Eine Augmentationstherapie (Verabrei duktoren von CYP1A1 und CYP1A2, wäh ventionen umfassen (Dodd et al. 2020). chung einer zusätzlichen Substanz zur rend Kohlenmonoxid CYP2D6 induziert. Diese werden in den folgenden Kapiteln laufenden Pharmakotherapie mit einem Eine bis fünf, sechs bis zehn bzw. mehr als näher umrissen. Der Psychoedukation Antidepressivum). Antipsychotika der zehn Zigaretten am Tag erhöhen die Isoen kommt dabei ein hoher Stellenwert zu. Ei neuen Generation bzw. Lithium haben zymaktivität jeweils um das 1,2-, 1,5- bzw. ne funktionierende Arzt-Patienten-Bezie sich in dieser Indikation als sehr effek 1,7-Fache (Hiemke et al. 2018). Dadurch hung wirkt sich positiv auf den Therapie tiv erwiesen (DGPPN et al. 2015; Bauer führt Rauchen bei Medikamenten, welche erfolg aus und ist daher von eminenter et al. 2017; Dold und Kasper 2017; Dold als Substrat für dieses Isoenzym fungieren Bedeutung (Bartova et al. 2017). et al. 2018b und 2018c; Taylor et al. (z. B. Clozapin, Duloxetin oder Olanzapin), Die Optimierung der Therapieresponse 2020). Seit Kurzem steht auch der Eske zu einer Reduktion von dessen Plasmaspie und des gesamten Behandlungsprozesses tamin-Nasenspray als wirksame Add- gel (Tab. 2 und 3). Klinisch relevant ist auch war in den letzten Jahren Gegenstand in on-Therapie zur Verfügung (zur Über die Deinduktion, also das Ansteigen der tensiver Forschung. Ergebnisse waren The sicht: Kasper et al. 2020). Plasmaspiegel bei der Reduktion von Tabak rapiealgorithmen, die von internationalen rauch, etwa auch bei der Umstellung auf psychiatrischen Fachgesellschaften wie 3. Eine Kombinationstherapie von Antide „elektrische Zigaretten“ oder auf Nikotin der World Federation of Societies of Biolo pressiva mit sich unterscheidenden pflaster. gical Psychiatry (WFSBP) (Bauer et al. Wirkmechanismen. Infrage kommen Für die Wirksamkeit von Antidepressiva 2017) sowie internationalen Forschungs z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnah ist die Durchlässigkeit der Blut-Hirn- konsortien wie z. B. der GSRD (Bartova et me-Hemmer (SSRI) bzw. Serotonin- Schranke ein wesentlicher Einflussfaktor. al. 2019) erstellt wurden (Dold und Kasper Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hem Das in den Blutgefäßen lokalisierte „Wäch 2017; Kasper et al. 2019; Kraus et al. 2019). mer (SNRI) in Kombination mit Mirta termolekül“ P-Glykoprotein, welches vom Die aktuell empfohlenen Behandlungs zapin bzw. Trazodon (Dold et al. 2016; ABCB1-Gen codiert wird, bindet ca. 70 % schritte in der medikamentösen Therapie Bauer et al. 2017). aller gängigen Antidepressiva und kann der unipolaren Depression sind in Tabelle damit den Eintritt der Medikamente ins 4 und Abbildung 5 angeführt. Andere im klinischen Alltag häufig ein Hirngewebe erschweren. Mit dem neuen Im Sinne einer optimalen Therapie soll gesetzte Strategien, wie zum Beispiel Do Neurologie & Psychiatrie 2021 13
KONSENSUS STATEMENT siseskalation (d.h. Dosisoptimierung) bei 7.1 Psychopharmakotherapie mit Verträglichkeit) sollten im Rahmen einer Antidepressiva aus den Substanzgruppen Antidepressiva präzisen Diagnostik erhoben und bei der der Wiederaufnahme-Hemmer (Dold et al. Antidepressiva stellen die Therapieoption Auswahl des Antidepressivums im Sinne 2017a) oder Switching (Umstellung der der ersten Wahl in der Behandlung der uni- einer individualisierten Therapie berück- Monotherapie mit einem Antidepressivum polaren Depression dar (DGPPN et al. 2015; sichtigt werden (Bauer et al. 2017). auf eine Monotherapie mit einem anderen Holsboer-Trachsler et al. 2016; Bauer et al. Außerdem sollte ein besonderer Fokus Antidepressivum) (Souery et al. 2011), 2017; Dold und Kasper 2017). Ihre Wirk- auf die Nebenwirkungsprofile der jeweili- stellen kein generelles evidenzbasiertes samkeit konnte in zahlreichen international gen Substanzen und in diesem Zusammen- Vorgehen in der Behandlung der TRD dar durchgeführten klinischen Studien und Me- hang auf das gezielte Ansprechen der sub- und sollten daher nur unter genau defi- taanalysen gezeigt werden (Cipriani et al. jektiven Lebensqualität und das Auftreten nierten Umständen, welche in den folgen- 2018). Die aktuell am häufigsten eingesetz- von UAW gelegt werden (Bartova und den Subkapiteln 7.4 und 7.5 beschrieben te Substanzgruppe unter den Antidepressiva Winkler 2019). Dies ist z. B. im Zusammen- sind, angewendet werden (Dold und Kas- sind in Europa und in den USA die SSRI, hang mit den häufig nicht thematisierten per 2017). gefolgt von SNRI. Weitere in Verwendung sexuellen Funktionsstörungen oder uner- Nachdem die rasch einsetzende und befindliche Substanzgruppen sind die nor- wünschten metabolischen Wirkungen von potente antidepressive Wirksamkeit von adrenergen und spezifisch serotonergen Bedeutung, welche einen erheblichen Lei- Esketamin intranasal in mehreren inter- Antidepressiva (NaSSA), Noradrenalin-Do- densdruck verursachen können. Dieser nationalen Studien bestätigt wurde (Pop- pamin-Wiederaufnahme-Hemmer (NDRI), kann folglich zur insuffizienten Therapie- ova et al. 2019, Wajs et al. 2020; Ionescu Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer und adhärenz und letztendlich auch zur TRD et al. 2021, zur Übersicht: Kasper et al. Rezeptorantagonisten (SARI), Noradrena- führen, welche durch eine geeignete und 2020) und eine rezente Metaanalyse eine lin-Wiederaufnahme-Hemmer (NARI), re- durch regelmäßige Psychoedukation ge- Überlegenheit gegenüber Antipsychotika versible und irreversible MAO-I, Trizyklika stützte Psychopharmakotherapie bzw. der neuen Generation zeigte (Dold et al. (TZA) sowie das serotonerg-melatonerge durch eine adäquate Therapiemodifikation 2020b; Carter et al. 2020), sollte diese Antidepressivum Agomelatin, der Gluta- vermeidbar bzw. gut behandelbar ist (Bar- innovative Add-on-Therapie-Option, die mat-Modulator Tianeptin und der multimo- tova und Winkler 2019). in Österreich nun offiziell zugelassen ist, dale Serotonin-Modulator Vortioxetin. SSRI sind effektive, sichere und thera- bei TRD-Patienten erwogen werden (zur Die klinische Symptomatik, Komorbidi- peutisch breit einsetzbare Antidepressiva Übersicht: Kasper et al. 2020) (Tab. 4, täten, Präferenzen sowie die bisherige The- und im Vergleich zu den älteren TZA gut Abb. 4). rapieerfahrung des Patienten (Response, verträglich. Antidepressiva mit sedieren- 1. O ptimierung der aktuellen antidepressiven Behandlung • Ausreichende Behandlungsdauer und Ausschluss einer Pseudoresistenz • Ausreichende Dosierung • Erweiterte Laboruntersuchung (inkl. Blutbild, metabolischen Screenings, Eisensta- tus, Vitamin D, Folsäure, Vitamin B12, Schilddrüsenfunktion, hs-CRP) • Bestimmung der medikamentösen Plasmaspiegel und eventuell des Metabolisie- rungsstatus im Blut • Evaluierung von Therapieadhärenz • Exploration hinsichtlich möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen, Komorbi- ditäten, nachteiliger Lifestylefaktoren und psychosozialer Belastungen 2. Augmentationstherapie (Verabreichung einer • Antipsychotika der neuen Generation zusätzlichen Substanz zur laufenden antidepressiven • Lithium Therapie) oder eine Add-on-Therapie mit Esketamin- • Esketamin-Nasenspray (in Kombination mit einem SSRI bzw. SNRI bei ausblei- Nasenspray bender Response auf mindestens zwei unterschiedliche Therapien mit Antide- pressiva) 3. Kombinationstherapie (gleichzeitige Verordnung von • Vorzugsweise 2 Antidepressiva mit verschiedenen Wirkungsprofilen (z. B. selektive zwei oder mehreren Antidepressiva) Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer bzw. Serotonin-Noradrenalin-Wiederauf- nahme-Hemmer in Kombination mit Mirtazapin bzw. Trazodon) 4. Dosiseskalation (Hochdosistherapie) • Bei Patienten mit nachgewiesenen Polymorphismen im Cytochrom-P450-Enzym- system („rapid“ bzw. „ultrarapid“ Metabolisierung) • Sonst vor allem bei Trizyklika und MAO-Inhibitoren beschrieben. 5. Switching (Umstellung eines Antidepressivums auf ein • Z. B. bei Auftreten von relevanten unerwünschten Arzneimittelwirkungen bzw. bei anderes im Rahmen einer Monotherapie) Non-Response nach Bartova et al. 2017 Tab. 4: Empfohlene Behandlungsschritte in der medikamentösen Therapie der unipolaren Depression (siehe auch Behandlungsalgorithmus in Abb. 5) 14 Neurologie & Psychiatrie 2021
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