Erkennen, behandeln und verhüten von Depressionen in der Grundversorgung

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Erkennen, behandeln und verhüten von Depressionen in der Grundversorgung
Thema                                                                                                                                         TRIBÜNE

Erkennen, behandeln und verhüten
von Depressionen in der Grundversorgung
                                  Die Behandlung depressiver Erkrankungen in der hausärztlichen Praxis ist meist ein-
                                  fach und kostengünstig. Daher würde sich die Förderung der Effizienz durch Weiter-
                                  und Fortbildungsmassnahmen lohnen. Versuche zur Optimierung von Diagnostik,
                                  Therapie und Prävention existieren. Ein Kompetenzprofil als Orientierungshilfe für
                                  die hausärztliche Praxis wäre sinnvoll.

Stefan Begré a,                   Einleitung
                                                                                                    Reconnaître, soigner et prévenir
Regula Rička b                   Weltweit ist Depression die häufigste Ursache für Er­
                                  werbsunfähigkeit [1]. Durch keine andere Erkrankung               les dépressions dans la médecine
a Dr. med., FMH Innere            gehen in den Industrieländern mehr gesunde Lebens­
  Medizin, Spez. Psychosoma­
                                  jahre verloren als durch Depressionen [2]. Depression
                                                                                                    de premiers recours
  tik FAPPM, FMH Psychiatrie
  und Psychotherapie,             wird zunehmend als chronische, rezidivierende Krank­
                                                                                                    La dépression et le suicide sont des phénomènes très
  Leiter Weiterbildungsstätte     heit eingeschätzt [3]. Depression ist die häufigste Ur­
  Psychiatrie C. L. Lory­Haus,
                                  sache für Suizid [4]. 50 % der Depressiven sind suizi­            fréquents en Suisse. Le diagnostic et le traitement des
  Chefarzt­Stv. Psychosomatik,
  Inselspital Bern, Präsident     dal während einer depressiven Episode und 10–15 %                 maladies dépressives puissent être effectués la plupart
  WK Schweizerische               der Depressiven suizidieren sich. 90 % der Suizidanten            du temps facilement et à moindres coûts par des mé-
  Akademie für Psychosoma­        litten unter einer Depression [1]. Aus diesem Grund
  tische und Psychosoziale                                                                          decins généralistes. Et de ce fait il serait profitable de
  Medizin SAPPM, zugezogener
                                  lancierte die WHO weltweit verschiedene Informa­
  externer Berater                tionskampagnen, die zu vermehrten Aktivitäten zur                 consolider la mise en pratique de cet évidence par

b PhD, MPH, Bundesamt für         Verbesserung der Prävention, Diagnostik und Behand­               une éducation et formation professionnelle continue
  Gesundheit                      lung von Depressionen in den verschiedenen Län­
                                                                                                    finement ciblée. Le présent article souligne cette dif-
                                  dern führten.
                                                                                                    ficulté, décrit les solutions proposées jusqu’à présent
                                  Internationale und nationale                                      aux niveaux national et international pour optimiser
                                  evidenzbasierte Aktionen                                          le diagnostic, le traitement et la prévention et pro-
                                  Bereits in den 90er Jahren hat die FMH mit Unter­
                                                                                                    pose un profil de compétences d’orientation à l’inten-
                                  stützung durch das Bundesamt für Gesundheit, Inter­
                                  pharma, die Schweizerische Vereinigung privater                   tion des médecins généralistes. Il invite d’établir un
                                  Kranken­ und Unfallversicherer sowie durch die                    catalogue correspondant, qui sera présenté de ma-
                                  Schweizerische Stiftung für Gesundheitsförderung ein
                                                                                                    nière plus détaillée dans un article suivant du Bulletin
                                  Konzept zur Krisenbewältigung und Suizidverhütung
Wir danken Hans Kurt von          entwickelt. Im Mittelpunkt des damaligen Konzepts                 des médecins suisses (BMS). Cette mesure a été prise
der SGPP und FMPP, Pierre Loeb    standen die Weiter­ und Fortbildung für die Ärztinnen             car la Suisse dispose, tant sur le plan national que
von der SAPPM, Ueli Grüninger
                                  und Ärzte sowie Seminare für Medienschaffende [5].
vom KHM sowie Elisabeth                                                                             cantonal, d’un système de formation de base, post-
Bandi vom IHAM Zürich und         Die Initiative der FMH stützte sich auf die Interven­
Brigitte Fahrländer, Hausärztin   tionsstudie der Insel Gotland von 1983/84. Rutz konnte            grade et continue très bien établi et organisé. Ainsi,
in Schüpfen, BE, für das          mit seinen Mitarbeitenden damals wissenschaftlich                 une collaboration avec les organisations spécialisées
kritische Gegenlesen.
                                  nachweisen, dass das intensive Fortbildungsprogramm               des médecins, des psychologues et du personnel soi-
                                  über die Diagnostik und Behandlung depressiver Stö­
                                                                                                    gnant permet de trouver des solutions de longue
Korrespondenz:                    rungen zur Senkung der Suizidrate führte [6].
Dr. med. Stefan Begré                 2000–2002 etablierte Hegerl (2006) in einer Inter­            durée pour distinguer et prendre en charge des per-
Klinik für                        ventionsstudie in Nürnberg das gemeindeorientierte                sonnes à tendance dépressive et suicidaire.
Allgemeine Innere Medizin
                                  Programm zur Früherkennung und Behandlungsopti­
Inselspital
CH­3010 Bern                      mierung der Depression «Bündnis gegen Depression».
Tel. 031 632 20 19                Dieser Mehrebenenansatz umfasst gezielte Fortbildun­             Bevölkerung und einem Angebot zur Selbsthilfe. Mit
Fax 031 382 11 84                                                                                  der Informationskampagne soll die Bevölkerung sach­
                                  gen für die Ärzteschaft in der hausärztlichen Praxis, die
stefan.begre@insel.ch             Pflegenden und weiteren wichtigen Multiplikatoren,                lich über die Depression informiert werden und Vor­
www.inneremedizin.insel.ch        kombiniert mit einer Informationskampagne für die                urteile gegenüber der Depression und der Behandlung

                                  Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2010;91: 8            312
Editores Medicorum Helveticorum
Thema                                                                                                                                         TRIBÜNE

                                  sollen abgebaut werden. Gegenüber der Kontrollre­                 Die 3 Botschaften der Informationskampagne
                                  gion führte dieses Programm in der Stadt Nürnberg                 «Bündnis gegen Depression»:
                                  zu einer positiven Bilanz. Die Suizidrate in Nürnberg             – Depression kann jede und jeden treffen.
                                  sank nach zwei Jahren um 25 %. Im selben Zeitraum                 – Depression hat viele Gesichter.
                                  gingen die Suizidversuche um 26 % zurück.                         – Depression ist behandelbar.
                                      Das erprobte Programm erlangte eine rasche Ver­
                                  breitung innerhalb von Deutschland. Im Rahmen
                                  des Europäischen Public­Health­Programms führten                      pressionen für die Bevölkerung und Übersetzung
                                  18 weitere EU­Mitgliedsstaaten breitgefächerte ge­                    in die fünf häufigsten Migrationssprachen in der
                                  meindebasierte Interventionsprogramme ein. In den                     Schweiz im Rahmen der 2. Strategiephase «Migra­
                                  Jahren 2003–2005 erprobte der Kanton Zug das Pro­                     tion und Gesundheit».
                                  gramm in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für                    –    Entwicklung von Kompetenzprofilen für die haus­
                                  Gesundheit (BAG) und der Selbsthilfeorganisation                      ärztliche Praxis und weitere Multiplikatoren, durch
                                  Equilibrium erstmals für die Schweiz. 2004 startete                   Fachexperten und im Kontakt mit Fachorganisa­
                                  ein weiteres Projekt im Kanton Bern. Im Jahr 2006                     tionen der Ärzteschaft, Psychologie und Pflege, in
                                  hat das BAG die Nutzungsrechte in Deutschland für                     Anlehnung an die lizenzierten Schulungskonzepte
                                  die gesamte Schweiz erworben und gibt diese kosten­                   aus dem Deutschen Bündnis gegen Depression.
                                  los mit einer Vereinbarung an interessierte Kantone
                                  weiter. Seither haben bereits fünf Kantone dieses An­            In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Konfe­
                                  gebot genutzt. Zur Weiterentwicklung des Konzepts                renz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und
                                  im schweizerischen Kontext und für eine nachhaltige              ­direktoren (GDK) werden für den Wissenstransfer
                                  Verankerung in den schweizerischen Strukturen unter­             jährliche überregionale Netzwerktreffen durchgeführt.
                                  stützt das BAG zurzeit die folgenden Projekte:                   Am Netzwerk beteiligen sich auch Fachorganisationen
                                  – Finanzielle Unterstützung für das Monitoring Sui­              und interessierte Kantonsvertreter. Das Netzwerk ist
                                      zidales Verhalten in der Agglomeration Bern seit             auch offen für andere Vorgehensweisen zur Verbesse­
                                      2004.                                                        rung der psychischen Gesundheit und zur Reduktion
                                  – Erhebung der Depression im Sentinella­Meldesys­                von Suiziden.
                                      tem 2008/09 in Zusammenarbeit mit deren Pro­
                                      grammleitung. Die Daten werden vom Schweize­                 Die Depressionskrankheit in der
                                      rischen Gesundheitsobservatorium ausgewertet.                hausärztlichen Praxis
                                      Die Publikation der Meldeergebnisse für 2008 ist             In der Grundversorgung ist Depression mit einer Prä­
                                      auf das 1. Quartal 2010 vorgesehen.                          valenzrate um 10 % vertreten [7, 8]. Die meisten Pa­
                                  – Umfassende Bedarfs­ und Bedürfniserhebung                      tientinnen und Patienten mit Depression konsultie­
                                      in Zusammenarbeit mit dem kantonsärztlichen                  ren wegen unspezifischer Beschwerden ihren Haus­
                                      Dienst des Kantons Luzern.                                   arzt [9]. Es muss weiter angenommen werden, dass die
                                  – Transkulturelle Anpassung der Informationsbro­                 meisten Suizidanten vor dem Suizid einen Arzt kon­
                                      schüre zur Erkennung und Behandlung von De­                  sultiert haben. Bei 40 % fand eine solche Begegnung
                                                                                                   sogar in der Woche vor dem Suizid statt [10]. Leider
                                                                                  DAK/Wigger       liegen aus der Schweiz keine zuverlässigen Daten vor,
                                                                                                   doch gehen die Autoren davon aus, dass die erwähn­
                                                                                                   ten und auch die folgenden Zahlen aus der interna­
                                                                                                   tionalen Literatur auch für die Lage in der Schweiz
                                                                                                   eher zutreffen.
                                                                                                       Nach den in diesem Artikel zitierten Studien aus
                                                                                                   angelsächsischen Ländern, Deutschland, Italien und
                                                                                                   den Niederlanden scheint bisher die rechtzeitige Er­
                                                                                                   kennung, Behandlung und Verhütung im hausärztli­
                                                                                                   chen Alltag eine Herausforderung zu bleiben: 50–75 %
                                                                                                   der Depressionen werden in der Grundversorgung
                                                                                                   dieser Länder nicht erkannt [11–14]. Das Ausmass der
                                                                                                   Depression wird oftmals unterschätzt [15]. Weil die
                                                                                                   meisten Studienresultate allerdings auf Einzelkonsulta­
                                                                                                   tionen beruhen [16–18], die Hausärzte aber typischer­
                                                                                                   weise ihre Patienten mehrmals und über längere Zeit
                                                                                                   sehen, dürfte dank des Einbezugs der Verlaufserfahrung
                                                                                                   eine höhere diagnostische Trefferwahrscheinlichkeit
                                                                                                   erzielt werden. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass
Viele Patienten mit depressiven Erkrankungen gehen zunächst zu ihrem Hausarzt.                     initial unerkannte Depressionen häufig innerhalb der
                                                                                                   nächsten drei Monate doch noch erfasst werden [19].

                                  Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2010;91: 8           313
Editores Medicorum Helveticorum
Thema                                                                                                                                         TRIBÜNE

                                       Grundversorger in den USA oder in Deutschland                   Damit ein solches Kompetenzprofil möglichst viele
                                  sollen angeblich weniger als jede 3. Person mit einer            Ärzte in der Grundversorgung ansprechen kann, soll­
                                  Depression adäquat behandeln[1, 13, 14]. Sie dosieren            ten bei der Entwicklung folgende Kriterien berück­
                                  Antidepressiva häufig zu tief [20, 21] und erreichen              sichtigt werden:
                                  damit keine Remission der Depression [21, 22]. In                – Unterschiedliche Patientenpopulationen (Ge­
                                  Deutschland sollen nur etwa 10 % der korrekt diagnos­                schlecht, Alter, Herkunft)
                                  tizierten Fälle in der Grundversorgung adäquat psy­              – Unterschiedliche Komorbiditäten
                                  chopharmakologisch und/oder psychotherapeutisch                  – Regional unterschiedliche Vernetzungsmöglich­
                                  behandelt bzw. rechtzeitig an Fachärzte überwiesen                   keiten mit Fachärztinnen und ­ärzten der Psych­
                                  werden [1, 13, 14, 19]. Viele Patienten setzen ihre                  iatrie und Psychotherapie
                                  antidepressive Medikation bereits in den ersten drei
                                  Monaten ab [23, 24], auch wenn gemäss Europäischen               Abhängig von der Praxisstruktur, ­ausrichtung und
                                  Richtlinien der WHO die Behandlung über sechs Mo­                ­vernetzung verfügen die meisten Kolleginnen und
                                  nate fortgeführt werden sollte, um ein unnötiges Rezi­           Kollegen über einen reichen praktischen Erfahrungs­
                                  div zu vermeiden (www.euro.who.int/HEN).                         schatz hinsichtlich Diagnostik und Therapie. Wichtig
                                       Es macht deshalb Sinn, auch in der Schweiz in der           und noch zu stärken sind aber Kenntnisse in der Früh­
                                  Grundversorgung Wissen und Kompetenzen zur De­                   erkennung und den gängigen psychopharmakologi­
                                  pressionserkennung und ­behandlung weiter zu för­                schen und psychotherapeutischen Vorgehensweisen.
                                  dern. Neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und                 Eine explorative Befragung einer nicht repräsentativen
                                  Strömungen soll in der Grundversorgung fortlaufend               Stichprobe von Hausärzten und Psychiatern (Begré)
                                  Rechnung getragen werden. Es ist erwiesen, dass die              lieferte wichtige Hinweise und Ideen zu möglichen In­
                                  Behandlung einer Depression in der Grundversorgung               halten eines Kompetenzprofils zur unterschiedlichen
                                  kostengünstig ist und den Outcome verbessern kann                Machbarkeit bei der Diagnosestellung und Therapie
                                  [11], und dass das Erkennen wie die Behandlung der               einer Depression und zur Zusammenarbeit zwischen
                                  Depression in der Praxis mit entsprechender Sach­                den verschiedenen medizinischen Fachrichtungen
                                  kenntnis und Vernetzung mit geringem Aufwand ver­                hinsichtlich Depressionsverhütung in der hausärzt­
                                  bunden ist. Wir schlagen deshalb zur Förderung von               lichen Praxis.
                                  Wissen und Kompetenz die Schaffung eines klar defi­
                                  nierten Gegenstandskatalogs zur gezielten Weiter­ und            Vorgehensweise
                                  Fortbildung der Hausärztinnen und Hausärzte hin­                 Die Literaturrecherche, Praxisforschung und die lizen­
                                  sichtlich Depressionserkennung und ­behandlung vor,              zierten Schulungsmaterialien könnten in ein Kompe­
                                  wie er bisher noch nicht existiert.                              tenzprofil für die Hausärztinnen und ­ärzte münden
                                                                                                   und zur Verbesserung von Diagnostik und Therapie
                                  Entwicklung eines Kompetenzprofils                                depressiver Erkrankungen im Sinne einer Orientie­
                                  für die hausärztliche Praxis                                     rungshilfe beitragen, Ein solches Kompetenzprofil
                                  Die Erarbeitung von Kompetenzprofilen als Orientie­               könnte dann zur Diskussion unter den Beteiligten
                                  rungshilfe für die in der Grundversorgung Tätigen soll           gestellt werden. Für jede Phase wird eine Vorgehens­
                                  die Qualität von Diagnostik, Behandlung und Verhü­               weise für die kompetente ärztliche Betreuung depres­
                                  tung der Depression in der Schweiz optimieren. Mit               siv Erkrankter unterschiedlicher Herkunft und Schwe­
                                  dem in der Schweiz gut ausgebauten und organisier­               regrade definiert. Dabei werden verschiedene Interes­
                                  ten Aus,­ Weiter­ und Fortbildungssystem auf natio­              senslagen, Ausbildungsstand und Kenntnisse der in
                                  naler und kantonaler Ebene sollten in Zusammen­                  der Grundversorgung tätigen Kollegen berücksichtigt.

                                  «Wichtig und noch zu stärken sind Kenntnisse in der Früh-
                                  erkennung und den gängigen psychopharmakologischen und psycho-
                                  therapeutischen Vorgehensweisen»

                                  arbeit mit den Fachorganisationen der Ärzteschaft,                   Primär kann sich derzeit jeder Arzt anhand der
                                  Pflege und Psychologie nachhaltige Lösungen zur Be­               Kenntnisse und Fertigkeiten ausrichten, die in bereits
                                  handlungs­ und Betreuungsoptimierung bei Depres­                 bestehenden Ausbildungsgängen hinsichtlich Depres­
                                  sion und Suizidalität in der Schweiz erreicht werden.            sionsbehandlung vermittelt werden, basierend auf
                                  Die Profile sollen auch eine Selbsteinschätzung zu den            den psychosozialen Lerninhalten, die im Rahmen des
                                  vorhandenen Kenntnissen und Fertigkeiten bei diesem              FMH­Weiterbildungscurriculums zum Facharzt für
                                  anspruchsvollen Gesundheitsproblem erleichtern.                  Psychiatrie und Psychotherapie oder der Erlangung

                                  Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2010;91: 8         314
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Thema                                                                                                                                         TRIBÜNE

                                  der beiden FMH­Fähigkeitsausweise für psychosoziale              breitet. Hausärztinnen und ­ärzte nehmen bei der Ver­
                                  Kompetenzen vermittelt werden:                                   sorgung depressiv Erkrankter eine Schlüsselstellung
                                  – Kolleginnen und Kollegen ohne ausreichende                     ein. Es ist erwiesen, dass die Behandlung einer Depres­
                                      spezifische Kenntnisse und Fertigkeiten zur Dia­              sion in der Grundversorgung kostengünstig ist und
                                      gnose und Behandlung depressiver Erkrankungen                den Outcome verbessern kann. Das Erkennen und die
                                  – Kollegen mit Zusatzausbildung im Sinne des Be­                 Behandlung einer Depression in der Praxis sind bei
                                      sitzes eines Fähigkeitsausweises für delegierte Psy­         entsprechenden Sachkenntnissen und Vernetzung mit
                                      chotherapie (FA DP) des Dachverbandes der psych­             geringem Aufwand verbunden, und es macht deshalb
                                      iatrisch­psychotherapeutisch tätigen Ärzte und               Sinn, zusätzliche Massnahmen zur Unterstützung von
                                      Ärztinnen (FMPP) oder/und eines Fähigkeitsaus­               Diagnosestellung und Therapie in der Grundversor­
                                      weises für Psychosomatische und Psychosoziale                gung zu unternehmen. Eine enge Zusammenarbeit
                                      Medizin (FA SAPPM) oder/und mit mindestens                   zwischen Hausärzten und Psychiatern ist dabei von
                                      einem Jahr Erfahrung in einer ambulanten und/                grosser Wichtigkeit. Beide Berufsgruppen sind je nach
                                      oder stationären psychiatrischen Institution wäh­            Situation unterschiedlich mit der Versorgung dieser
                                      rend oder nach der Facharztausbildung                        Patientengruppe konfrontiert. Fragestellungen hin­
                                  – Fortgeschrittene, speziell interessierte Kollegen mit          sichtlich Diagnosehäufigkeiten, Schweregrad, Komor­
                                      geeigneter spezifischer Therapieausbildung                    biditäten und Therapieverläufen sowie der Vergleich
                                                                                                   unter den verschiedenen Fachrichtungen sind noch
                                                                                                   weiter zu bearbeiten. Es existieren in der Schweiz der­
Finanzierungsmodelle müssen geprüft werden,                                                        zeit noch kaum Daten dazu.
                                                                                                       Ein besonderes Interesse an psychosozialen Be­
die Anreize für den Besuch psychosozialer Fortbildungs-                                            langen ist eine notwendige Voraussetzung zur Erken­
                                                                                                   nung, Behandlung und Prävention depressiver Stö­
angebote mit dem Fokus Depression schaffen könnten
                                                                                                   rungen. Dieses Interesse sollte bereits in der univer­
                                                                                                   sitären Ausbildung geweckt werden, und es muss in
                                                                                                   der postgradualen Weiterbildung zum Facharzt und
                                  Es ist uns bewusst, dass eine solche Unterteilung der            in der lebenslangen Fortbildung nahtlos weitergehen.
                                  Zielgruppen eines Kompetenzprofils die tatsächlichen              Dabei müssen verbindliche Lerninhalte im Sinne eines
                                  Kenntnisse und Fertigkeiten unter allen Hausärzten               Gegenstandskataloges zur Diagnostik und Therapie
                                  nur ungenügend abbildet. Auf der anderen Seite ist sie           der Depression spezifisch für Hausärzte definiert wer­
                                  ja nur als Orientierungshilfe zum jeweiligen Vorgehen            den. Das 2007 in Kraft getretene neue Medizinalberufe­
                                  in jeder Phase der Depressionsbehandlung gedacht.                gesetz hat hier klare Rahmenvorgaben gemacht, die
                                  Ergänzend zum Kompetenzprofil könnten dann in                     im Interesse der Gesundheit von Individuen und Be­
                                  einem dazugehörigen Gegenstandskatalog für Haus­                 völkerung liegen.
                                  ärzte die Lerninhalte als Voraussetzung für das Erken­               Zusatzausbildungen sind allerdings für jede Haus­
                                  nen und Behandeln depressiver Erkrankungen für in                ärztin und jeden Hausarzt kostspielig. Verschiedene
                                  der Grundversorgung Tätige systematisch beschrie­                Finanzierungsmodelle müssen deshalb studiert wer­
                                  ben werden. Bestehende Weiterbildungs­ und Fort­                 den, die für den Besuch psychosozialer Fortbildungs­
                                  bildungsangebote der einzelnen Fach­ und regiona­                angebote mit Fokus Depression einen Anreiz schaffen
                                  len Ärztegesellschaften mit Fokus Depression würden              könnten. Mit einem entsprechenden Labeling könn­
                                  im Gegenstandskatalog integriert, neue Angebote bei              ten beispielsweise bereits bestehende Fortbildungs­
                                  Bedarf geschaffen werden. Die Inhalte des Gegen­                 angebote durch die ärztlichen Organisationen (insbe­
                                  standskatalogs könnten kontinuierlich den neuesten               sondere KHM, SAPPM, SGAM, SGIM, SGPP, SGKJPP,
                                  Erkenntnissen angepasst werden. Unterteilt in essen­             SGP und SGG) als geeignet gekennzeichnet und an­
                                  tielle und optionale Inhalte berücksichtigte ein sol­            hand des definierten Gegenstandskataloges für De­
                                  cher Gegenstandskatalog die unterschiedlichen Be­                pressionsbehandlung in ein Gesamtangebot integriert
                                  dürfnisse der in der Grundversorgung tätigen Ärzte               werden.
                                  im Rahmen ihrer Praxisausrichtung. Essentielle In­                   Diagnostik und Therapie der Depression bei der
                                  halte listeten das absolute Minimum an Kenntnis­                 Migrationbevölkerung sind aufgrund der sprachlichen
                                  sen und Fertigkeiten für jeden Arzt auf, optional die­           und soziokulturellen Barrieren oftmals eine besondere
                                  jenigen für speziell Interessierte, mit Fokus Depres­            Herausforderung. Eine Liste mit Dolmetschern, Aus­
                                  sion tätige Kollegen. Ein solcher Gegenstandskatalog             kunftsstellen sowie speziellen Angeboten für die Be­
                                  würde im Sinne der jeweiligen Praxisausrichtung auch             handlung von Patienten aus anderen Kulturkreisen
                                  eine wertvolle Hilfe bieten für die Zusammenstellung             soll den in der Grundversorgung Tätigen zur Verfü­
                                  des eigenen Fortbildungscurriculums.                             gung gestellt werden.
                                                                                                       Interventionsstudien in Zusammenarbeit mit den
                                  Schlussfolgerungen und Ausblick                                  Hausärzten stellen eine Möglichkeit dar, um den Ef­
                                  Depression ist weltweit die häufigste Ursache für Er­             fekt von Informationskampagnen der verschiedenen
                                  werbsunfähigkeit und auch in der Schweiz weitver­                Bündnispartner auf Diagnosestellung und Behand­

                                  Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2010;91: 8          315
Editores Medicorum Helveticorum
Thema                                                                                                                                         TRIBÜNE

                                  lungsqualität der Depression zu erfassen. Auch die               12 Arroll B, Goodyear­Smith F, Kerse N, Fishman T,
                                  Kostenwirksamkeit einer verbesserten Diagnostik und                 Gunn J. Effect of the addition of a «help» question
                                                                                                      to two screening questions on specificity for
                                  Therapie müsste überprüft werden. Primäre Ziele sol­
                                                                                                      diagnosis of depression in general practice: diag­
                                  cher Kampagnen sind die Senkung der relativ hohen                   nostic validity study. BMJ. 2005;331(7521):884.
                                  Suizidrate in der Schweiz und die Verringerung der               13 Bermejo I, Kratz S, Schneider F, Gaebel W, Mulert C,
                                  Krankheitslast.                                                     Hegerl U et al. Agreement in physicians’ and
                                                                                                      patients’ assessment of depressive disorders. Z Ärztl
                                                                                                      Fortbild Qualitätssich. 2003;97 Suppl 4:44–9.
                                  Literatur                                                        14 Jacobi F, Hofler M, Meister W, Wittchen HU.
                                   1 Spiessl H, Hubner­Liebermann B, Schmid R,                        Prevalence, detection and prescribing behavior
                                     Cording C, Hajak G. Depressive patients in primary               in depressive syndromes. A German federal family
                                     care. MMW Fortschr Med. 2006;148(35–36):42–3.                    physician study. Nervenarzt. 2002;73(7):651–8.

                                   2 Möller H, Henkel V. What are the most effective               15 Van Os TW, Van den Brink RH, Van der MK,
                                     diagnostic and therapeutic strategies for the                    Ormel J. The care provided by general
                                     management of depression in specialist care?                     practitioners for persistent depression. Eur
                                     WHO Regional Office for Europe. Health Evidence                   Psychiatry. 2006;21(2):87–92.
                                     Network report. Copenhagen; 2005.                             16 Simon GE, VonKorff M. Recognition, management,
                                     www.euro.who.int/Document/E86602.pdf                             and outcomes of depression in primary care.
                                                                                                      Arch Fam Med. 1995;4(2):99–105.
                                   3 Andrews G. Should depression be managed as
                                     a chronic disease? BMJ. 2001. 322(7283):419–21.               17 Pini S, Perkonnig A, Tansella M, Wittchen HU,
                                                                                                      Psich D. Prevalence and 12­month outcome
                                   4 Hegerl U, Althaus D, Schmidtke A, Niklewski G.
                                                                                                      of threshold and subthreshold mental disorders in
                                     The alliance against depression: 2­year evaluation
                                                                                                      primary care. J Affect Disord. 1999;56(1):37–48.
                                     of a community­based intervention to reduce
                                     suicidality. Psychol Med. 2006;36(9):1225–33.                 18 Cepoiu M, McCusker J, Cole MG, Sewitch M,
                                                                                                      Belzile E, Ciampi A. Recognition of depression
                                   5 Frey C. Suizidprävention in der Arztpraxis.
                                                                                                      by non­psychiatric physicians – a systematic
                                     Schweiz Ärztezeitung. 1992;73:713–7.
                                                                                                      literature review and meta­analysis. J Gen Intern
                                   6 Rutz W, Walinder J, Eberhard G, Holmberg G,                      Med. 2008;23(1):25–36.
                                     von Knorring AL, von Knorring L et al. An educatio­           19 Simon GE, Goldberg D, Tiemens BG, Ustun TB.
                                     nal program on depressive disorders for general                  Outcomes of recognized and unrecognized
                                     practitioners on Gotland: background and evalua­                 depression in an international primary care study.
                                     tion. Acta Psychiatr Scand. 1989;79(1):19–26.                    Gen Hosp Psychiatry. 1999;21(2):97–105.
                                   7 Pieper L, Schulz H, Klotsche J, Eichler T,                    20 Katon W, von Korff M, Lin E, Bush T, Ormel J.
                                     Wittchen HU. Depression as a comorbid disorder in                Adequacy and duration of antidepressant treatment
                                     primary care. Bundesgesundheitsblatt. Gesundheits­               in primary care. Med Care. 1992;30(1):67–76.
                                     forschung Gesundheitsschutz. 2008;51(4):411–21.
                                                                                                   21 Lin EH, Katon WJ, Simon GE, von Korff M, Bush
                                   8 Spitzer RL, Williams JB, Kroenke K, Linzer M,                    TM, Walker EA et al. Low­intensity treatment
                                     de Gruy FV, Hahn SR et al. Utility of a new                      of depression in primary care: is it problematic?
                                     procedure for diagnosing mental disorders in                     Gen Hosp Psychiatry. 2000;22(2):78–83.
                                     primary care. The PRIME­MD 1000 study. JAMA.
                                     1994;72(22):1749–56.                                          22 Weilburg JB, O’Leary KM, Meigs JB, Hennen J,
                                                                                                      Stafford RS. Evaluation of the adequacy of outpatient
                                   9 Wittchen HU, Müller N, Schmidtkunz B, Winter S,                  antidepressant treatment. Psychiatr Serv. 2003;
                                     Pfister H. Erscheinungsformen, Häufigkeit und                      54(9):1233–39.
                                     Versorgung von Depressionen. Ergebnisse
                                                                                                   23 Demyttenaere K, Enzlin P, Dewe W, Boulanger B,
                                     des bundesweiten Gesundheitssurveys «Psychische
                                                                                                      De Bie J, De Troyer et al. Compliance with anti­
                                     Störungen». MMW Fortschr Med. 2000;118:4–10.
                                                                                                      depressants in a primary care setting, 1: Beyond lack
                                  10 Pirkis J, Burgess P. Suicide and recency of health               of efficacy and adverse events. J Clin Psychiatry.
                                     care contacts. A systematic review. Br J Psychiatry.             2001;62 Suppl 22:30–3.
                                     1998;173:462–74.
                                                                                                   24 Corey­Lisle PK, Nash R, Stang P, Swindle R.
                                  11 Egede LE. Failure to recognize depression in primary             Response, partial response, and nonresponse
                                     care: issues and challenges. J Gen Intern Med.                   in primary care treatment of depression.
                                     2007;22(5):701–3.                                                Arch Intern Med. 2004;164(11):1197–204.

                                  Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2010;91: 8           316
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