Kontrolliertes Trinken bei Alkoholkonsumstörungen: Eine systematische Übersicht - Blaues ...

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SUCHT, 61 (3), 2015, 147 – 174

                                                                                                                                                                                                                                                                               Übersichtsarbeit
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                                                         Kontrolliertes Trinken bei
                                                                                                                                                                                                        Alkoholkonsumstörungen:
                                                                                                                                                                                                     Eine systematische Übersicht
                                                                                                                                                                                                                                                                                               Joachim Körkel
                                                                                                                                                                                                          Evangelische Hochschule Nürnberg, Institut für innovative Suchtbehandlung
                                                                                                                                                                                                                                                      und Suchtforschung, Nürnberg

                                                                                                                                                                           Zusammenfassung: Hintergrund: Verhaltenstherapeutische Behandlungen zum selbstkontrollierten Trinken (KT) wurden in den letzten
                                                                                                                                                                           50 Jahren vielfltig erforscht. Eine aktuelle bersicht ber den gegenwrtigen Status dieses Ansatzes liegt nicht vor. Fragestellung: Es wird
                                                                                                                                                                           ein systematischer berblick ber die Konzept- und Forschungsgeschichte des KT (Definition, theoretische Wurzeln, Behandlungsme-
                                                                                                                                                                           thoden), Wirksamkeit von KT-Behandlung (inkl. Prognosefaktoren) sowie Implementierung von KT in das Behandlungssystem (Ak-
                                                                                                                                                                           zeptanz und Verbreitung) vorgenommen. Methodik: Gemß den PRISMA Richtlinien wurde in den Datenbanken PsycINFO, Medline und
                                                                                                                                                                           Psyndex nach psychologischen Behandlungen zum selbstkontrollierten Alkoholkonsum bei Menschen mit klinisch relevanten Alkohol-
                                                                                                                                                                           problemen recherchiert und 676 einschlgige Beitrge identifiziert. Ergebnisse: KT wird als regelgeleitet-planvoller Alkoholkonsum
                                                                                                                                                                           definiert. Seine theoretischen Wurzeln reichen von Lerntheorien bis zur Psychologie der Selbstregulation. In der Behandlung haben
                                                                                                                                                                           Behavioral Self-Control Trainings frhere Methoden (z. B. aversive Konditionierung, Kontingenzmanagement und Reizexposition) ab-
                                                                                                                                                                           gelçst. Einzel und Gruppenbehandlungen sowie Selbsthilfemanuale zum KT erweisen sich ber das gesamte Spektrum des problemati-
                                                                                                                                                                           schen Alkoholkonsums als kurz- und langfristig wirksam zur Reduktion des Alkoholkonsums und alkoholassoziierter Probleme wie auch
                                                                                                                                                                           zur Fçrderung des bergangs zur Abstinenz. Prognostisch bedeutsam sind v. a. der Zielentscheid des Patienten pro KT und seine Zu-
                                                                                                                                                                           versicht in die Realisierbarkeit von KT. Akzeptanz und Verbreitung von KT haben in den letzten Jahrzehnten zugenommen und variieren
                                                                                                                                                                           u. a. lnderspezifisch. Schlussfolgerungen: Angesichts der Wirksamkeit von KT-Behandlungen sowie gesundheitspolitischer, ethischer,
                                                                                                                                                                           therapeutischer und çkonomischer berlegungen sollten Reduktionsbehandlungen gleichrangig neben Abstinenzbehandlungen in ein
                                                                                                                                                                           zieloffen ausgerichtetes Behandlungssystem integriert werden.

                                                                                                                                                                           Schlsselwçrter: Kontrolliertes Trinken, Reduktionsziel, Behavioral Self-Control Training, Kurzintervention, Alkoholabhngigkeit

                                                                                                                                                                           Controlled Drinking as a Treatment Goal for at-risk Drinking and Alcohol Use Disorders: A systematic Review

                                                                                                                                                                           Abstract: Background: Over the last 50 years, research on behavioural treatments aimed at controlled drinking (CD) have increased. No
                                                                                                                                                                           systematic review summarising the current empirical and theoretical status of this approach exists. Aims: The review addresses the history of
                                                                                                                                                                           CD (definition, theoretical roots, treatment methods), results of CD treatment (including predictors of success) and implementation of CD
                                                                                                                                                                           into the treatment system (acceptance and dissemination). Methods: According to the PRISMA statement a systematic search for
                                                                                                                                                                           psychological treatments of CD for people with alcohol problems (at least at-risk drinking) was carried out in the electronic databases
                                                                                                                                                                           PsycINFO, Medline, and Psyndex. 676 relevant articles were identified and analysed. Results: CD can be defined as an alcohol consumption
                                                                                                                                                                           corresponding to self-control rules set up by the user. Theoretical roots of CD are learning theory and cognitive behavior therapy,
                                                                                                                                                                           psychology of self-regulation and research concerning Jellineks disease model of alcoholism. Meanwhile Behavioral Self-Control Trainings
                                                                                                                                                                           have replaced other methods (e. g. aversive conditioning, contingency management and cue exposure) as gold standard in CD treatment.
                                                                                                                                                                           For the whole range of alcohol use disorders individual and group treatments as well as self-help manuals for CD are effective in reducing
                                                                                                                                                                           alcohol consumption and alcohol-related difficulties as well as fostering transitions to abstinence. For matching patients to moderation
                                                                                                                                                                           treatment, patient preference for a treatment goal of CD and CD self-efficacy are most relevant. Acceptance and dissemination of CD have
                                                                                                                                                                           increased in the last decades and vary between countries. Conclusions: Given the effectiveness of CD treatment and taking public health,
                                                                                                                                                                           ethical, therapeutical and economical reasons into consideration, free goal choice and availability of moderation treatment should become
                                                                                                                                                                           part of the addiction and medical treatment system.

                                                                                                                                                                           Keywords: Controlled drinking, moderation goal, behavioral self-control training, brief intervention, alcohol dependence

                                                                                                                                                                           Serie „Konsumreduktion psychoaktiver Substanzen als
                                                                                                                                                                           Therapieoption“

                                                                                                                                                                        DOI: 10.1024/0939-5911.a000367                                                SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
148                                J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht

                                                                                                                                                                        Einleitung                                                     control* strateg*“, „drinking moderation“. Auf diese
                                                                                                                                                                                                                                       Weise wurden 2574 englisch-, franzçsisch- und deutsch-
                                                                                                                                                                        Das Ziel einer Alkoholkonsumreduktion hat neuerdings           sprachige Beitrge identifiziert und weitere 21 Arti-
                                                                                                                                                                        vermehrt Beachtung gefunden: Es ist in die Leitlinien zur      kel ber deren Literaturlisten ermittelt. Alle Dubletten
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        Behandlung alkoholbezogener Stçrungen nahezu aller             (n = 526) und Arbeiten, die sich gemß Titel und Ab-
                                                                                                                                                                        europischer (Rehm, Rehm et al., 2013) und vieler anderer      stract nicht mit psychologischen Behandlungen zum
                                                                                                                                                                        Lnder (z. B. Australien: Haber, Lintzeris, Proude & Lo-       Aufbau eines selbstkontrollierten Trinkverhaltens bei
                                                                                                                                                                        patko, 2009) eingegangen – auch in die deutschen S3-Leit-      Menschen mit klinisch relevanten Alkoholproblemen
                                                                                                                                                                        linien „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezo-        (mindestens riskanter Konsum) befassen (n = 1192),
                                                                                                                                                                        gener Stçrungen“ (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaft-        wurden ausgeschlossen. Weitere 201 Publikationen wur-
                                                                                                                                                                        lichen Medizinischen Fachgesellschaften [AWMF], 2015).         den aus dem zuvor genannten Grund nach einer Voll-
                                                                                                                                                                        Zudem taucht es als die Abstinenz ergnzende Zieldimen-        textanalyse ausgeschlossen. Bei fraglicher Relevanz ein-
                                                                                                                                                                        sion in den „Guidelines of the development of medicinal        zelner Publikationen lasen zwei Personen Abstract und
                                                                                                                                                                        products for the treatment of alcohol dependence“ der Eu-      ggf. Volltext der Publikation und entschieden ber deren
                                                                                                                                                                        ropean Medicines Agency (2010) auf. Verhaltensthera-           Ein- oder Ausschluss. Die verbleibenden 676 Publikatio-
                                                                                                                                                                        peutische Behandlungsanstze zum selbstkontrollierten          nen wurden nach ihrem Beitrag fr die einleitend ge-
                                                                                                                                                                        Trinken bilden neben Pharmakotherapien und mßi-               nannten Fragestellungen analysiert.
                                                                                                                                                                        gungsorientierten Selbsthilfegruppen eine von drei – prin-   – Dabei wurden zunchst die zu KT bereits vorliegenden
                                                                                                                                                                        zipiell kombinierbaren – Behandlungsvarianten zur              narrativen (Ambrogne, 2002; Bhringer, 2008; Heather
                                                                                                                                                                        Trinkmengenreduktion. Der folgende Beitrag gibt einen          & Robertson, 1981; Hester, 2003; Klingemann, Room,
                                                                                                                                                                        systematischen berblick ber den aktuellen theoreti-          Rosenberg, Schatzmann, Sobell & Sobell, 2004; Kçrkel,
                                                                                                                                                                        schen und empirischen Status der Forschung und Behand-         2002a, 2002b; Marlatt, 1983; Miller, 1983; Roizen, 1987;
                                                                                                                                                                        lung zum selbstkontrollierten Alkoholkonsum (im Fol-           Rosenberg, 1993, 2002; Saladin & Santa Ana, 2004; So-
                                                                                                                                                                        genden kurz „Kontrolliertes Trinken“ [KT] genannt). In         bell & Sobell, 1993; van Amsterdam & van den Brink,
                                                                                                                                                                        drei Abschnitten werden die Konzept- und Forschungsge-         2013) und metanalytischen (Apodaca & Miller, 2003;
                                                                                                                                                                        schichte dieses Ansatzes dargestellt (d. h. die Definition     Miller & Wilbourne, 2002; Miller, Wilbourne & Hettema,
                                                                                                                                                                        von KT, seine theoretischen Wurzeln und die angewandten        2003; Walters, 2000) Reviews verarbeitet und anschlie-
                                                                                                                                                                        Behandlungsmethoden), ein berblick ber die Wirk-             ßend die weiteren in der Literaturrecherche identifi-
                                                                                                                                                                        samkeitsnachweise (inkl. Erfolgsprdiktoren) gegeben und       zierten, v. a. neueren Quellen, eingearbeitet.
                                                                                                                                                                        die Befunde sowie berlegungen zur Implementierung
                                                                                                                                                                        von KT in das Behandlungssystem erçrtert (Akzeptanz von
                                                                                                                                                                        KT unter Behandlern und faktische Verbreitung von KT in      Ergebnisse zur Konzeptentwicklung
                                                                                                                                                                        unterschiedlichen Lndern). Durch diese, ber eine Zu-
                                                                                                                                                                        sammenstellung von Effektivitts- und Effizienznachwei-      und Forschungsgeschichte
                                                                                                                                                                        sen fr KT-Behandlungen hinausgehende Darstellung sol-
                                                                                                                                                                        len sowohl die theoretisch-konzeptionelle Basis von KT-      Begriff und Operationalisierung von KT
                                                                                                                                                                        Behandlungen als auch die Implikationen, die die For-
                                                                                                                                                                        schung zu KT fr die Ausrichtung des Behandlungssystems      Ausgehend von den „Begriffserfindern“ Reinert und Bo-
                                                                                                                                                                        haben kann, verdeutlicht werden.                             wen (1968) ist der Kern der verschiedenen Definitionsva-
                                                                                                                                                                                                                                     rianten von selbstkontrolliertem Alkoholkonsum, dass eine
                                                                                                                                                                                                                                     Person ihr Trinkverhalten an einem zuvor von ihr selbst
                                                                                                                                                                        Methodik                                                     festgelegten Konsumplan bzw. Konsumregeln ausrichtet
                                                                                                                                                                                                                                     (Kçrkel, 2002a; vgl. zu weiteren Definitionen z. B. Duckert,
                                                                                                                                                                        Zur Sichtung und Auswahl der publizierten Literatur zu KT    1995, S. 1168 f.; Schippers & Cramer, 2002, S. 72; Sobell &
                                                                                                                                                                        wurde gemß den PRISMA Richtlinien (Liberati et al.,         Sobell, 2004b; van Amsterdam & van den Brink, 2013,
                                                                                                                                                                        2009) wie folgt vorgegangen (vgl. Abbildung 1):              S. 988). Punktabstinenz, bei der regelhaft Alkoholabsti-
                                                                                                                                                                        – In den Datenbanken PsycINFO, Medline und Psyndex           nenz in bestimmten Situationen (z. B. im Kontext von Au-
                                                                                                                                                                          wurde am 1. 9. 2014 (Update 1. 2. 2015) eine systemati-    tofahrten) oder Lebensphasen eingeplant wird, stellt eine
                                                                                                                                                                          sche Literaturrecherche nach folgenden, im Titel oder      auf ausgewhlte Zeiten/Zeitperioden limitierte Variante
                                                                                                                                                                          Abstract auftauchenden Begriffen vorgenommen: „con-        von KT dar. Beim fremdkontrollierten Trinken – praktiziert
                                                                                                                                                                          trolled drinking“, „kontrolliertes Trinken“, „behavioral   z. B. in manchen Alten- und Pflegeheimen sowie Wohn-
                                                                                                                                                                          self control training AND alcohol*“, „moderation orien-    heimen fr chronisch Alkoholabhngige – werden die
                                                                                                                                                                          ted cue exposure AND alcohol*“, „guided self change        Konsummenge und -bedingungen (z. B. Uhrzeit und Ort)
                                                                                                                                                                          AND alcohol*“, „moderation management AND alco-            durch andere Personen festgelegt bzw. bençtigen deren
                                                                                                                                                                          hol*“, „behavioral self management AND alcohol*“,          Zustimmung (Bçhlke & Schfer, 2002; Ihlefeld, 1999;
                                                                                                                                                                          „non abstinent AND alcohol*“, „drinking goal“, „mo-        Naumann, 1999; Rast, 2015; Wolff, 2005). Von normalem
                                                                                                                                                                          deration goal AND alcohol*“, „drinking reduction trai-     Trinken lsst sich in Abgrenzung zu KT sprechen, wenn
                                                                                                                                                                          ning“, „reduc* heavy drink“ AND alcohol*“, „drink*         jemand ohne vorherigen Konsumplan aus der Situation

                                                                                                                                                                        SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht                                149
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        Abbildung 1. Selektionsprozess der einbezogenen Beitrge.

                                                                                                                                                                        heraus entscheidet, ob er oder sie Alkohol (weiter) trinkt    duktion der Trinkhufigkeit und -menge operationalisiert,
                                                                                                                                                                        „with the knowledge and complete confidence that well         z. T. auch ber weitergehende Kriterien, wie die ber-
                                                                                                                                                                        before he gets into any trouble he will have simply lost      windung von Abhngigkeitssymptomen und Beendigung
                                                                                                                                                                        his appetite for more“ (Reinert & Bowen, 1968, S. 286). Als   konsumbedingter sozialer, rechtlicher oder gesundheitli-
                                                                                                                                                                        moderates Trinken wird ein Alkoholkonsum bezeichnet,          cher Probleme („asymptomatic drinking“; bersicht zur
                                                                                                                                                                        der weder beim Konsumenten noch in der Gesellschaft           Erfolgsbemessung: Heather & Tebbutt, 1989). Die Cut-
                                                                                                                                                                        Probleme nach sich zieht (National Institute on Alcohol       Off-Werte fr KT werden meist konservativ gewhlt (vgl.
                                                                                                                                                                        Abuse and Alcoholism 2000, S. 1), also etwa nicht die         z. B. Foy, Nunn & Rychtarik, 1984; Shaw, Waller, Latham,
                                                                                                                                                                        Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Schdigungen des          Dunn & Thomson, 1998; Sieber, 2000). Beispielsweise stuft
                                                                                                                                                                        Konsumenten erhçht (Seitz & Bhringer, 2007). Definito-       Sieber (2000) nur diejenigen als kontrolliert trinkend ein,
                                                                                                                                                                        risch betrachtet, kann somit – muss aber nicht – selbst-      die im Katamnesezeitraum (1.) tglich maximal 0,6 (Frau-
                                                                                                                                                                        kontrolliertes Trinken mit moderaten Konsummengen             en) bzw. 0,9 (Mnner) Liter Bier (bzw. ein Alkoholqui-
                                                                                                                                                                        einhergehen wie auch in „normales Trinken“ bergehen.         valent) konsumierten und (2.) keine wiederholten Alko-
                                                                                                                                                                            Die Operationalisierungen von KT variieren in der         holrusche und (3.) keine Abhngigkeitssymptome und
                                                                                                                                                                        Forschungsliteratur. In der Regel wird die Realisierung       (4.) maximal einen Rckfall von hçchstens drei Tagen
                                                                                                                                                                        eines selbstkontrollierten Alkoholkonsums ber die Re-        Dauer aufweisen.

                                                                                                                                                                                                                                        SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
150                                 J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht

                                                                                                                                                                        Theoretische Wurzeln                                          derung erfolgsorientierter Attributionsmuster und positive
                                                                                                                                                                                                                                      Verstrkung von Erfolgen.
                                                                                                                                                                        In die Behandlungsanstze zum KT fließen Grundlagen
                                                                                                                                                                        aus verschiedenen Forschungs- und Theoriestrngen ein
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        (vgl. Kçrkel, 2012b; Rosenberg, 2004b).                       Forschung zum klassischen Krankheitsmodell
                                                                                                                                                                                                                                      des Alkoholismus

                                                                                                                                                                        Lernpsychologie/Kognitive Verhaltenstherapie                  Der Ansatz des KT sttzte sich von Anfang an auf For-
                                                                                                                                                                                                                                      schungsergebnisse, die den auf die Anonymen Alkoholi-
                                                                                                                                                                        Nach lerntheoretischer Sichtweise wird der Umgang mit         ker (2011, Original 1939) und Jellinek (1960) zurckge-
                                                                                                                                                                        Alkohol auf verschiedenen Funktionsebenen (Verhalten,         henden axiomatischen Grundannahmen ber Alkoholis-
                                                                                                                                                                        Kognitionen, biologische Prozesse) erlernt und kann durch     mus („dispositionelles Krankheitsmodell“) widersprechen
                                                                                                                                                                        geeignete kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventi-       (vgl. Fingarette, 1988; Kçrkel, 2005, 2014a; Miller, 1993). So
                                                                                                                                                                        onsmaßnahmen verlernt oder neu gelernt werden werden          wurden bereits in der Mitte des letzten Jahrhunderts Stu-
                                                                                                                                                                        (Krasnegor, 1979; Rosenberg, 2004b). Der lern- und ver-       dienergebnisse vorgelegt, die dem Postulat, kein „Alko-
                                                                                                                                                                        haltenstheoretische Ansatz bietet nicht nur eine Erklrung    holiker“ kçnne jemals zu einem symptomfreien, selbst-
                                                                                                                                                                        der Mçglichkeit von KT, sondern er dominiert auch die         kontrollierten Trinkverhalten zurckfinden, entgegenste-
                                                                                                                                                                        Methodenpalette der Behandlungen zum KT (aversive             hen (s. u.) – eine Mçglichkeit, die selbst Bill und Bob, die
                                                                                                                                                                        Konditionierung, Expositionsbehandlung, Selbstkontroll-       Begrnder der Anonymen Alkoholiker, fr mçglich hiel-
                                                                                                                                                                        training etc.; s. u.).                                        ten: „Wenn jemand, der frher nicht kontrolliert trinken
                                                                                                                                                                                                                                      konnte, plçtzlich eine Kehrtwendung zustandebringt und
                                                                                                                                                                                                                                      wie ein Gentleman trinken kann, dann ziehen wir unseren
                                                                                                                                                                        Lösungs- und ressourcenorientierte Therapie                   Hut vor ihm“ (Anonyme Alkoholiker, 2011, S. 36). Diese
                                                                                                                                                                                                                                      Einsicht ist im Rahmen der Ideologisierung ihres Ansat-
                                                                                                                                                                        Theoretische Annahmen zur Mçglichkeit von KT wur-             zes (z. B. durch Milam und Ketcham, 1983) ignoriert wor-
                                                                                                                                                                        den auch in lçsungs-/resourcenorientierten Therapiever-       den (vgl. Miller, 1993). Empirische Belege sprechen zudem
                                                                                                                                                                        fahren entwickelt und in Behandlungsmethoden berfhrt        dafr, dass abhngiger Alkoholkonsum nicht Ausdruck
                                                                                                                                                                        (de Shazer & Isebaert, 2003; Nelle, 2005). Der lçsungs-/      eines biologisch determinierten kompletten „Kontroll-
                                                                                                                                                                        resourcenorientierte Ansatz teilt grundlegende Annahmen       verlusts“ („loss of control“; Jellinek, 1960), sondern einer
                                                                                                                                                                        der Verhaltenstherapie (z. B. Umlernbarkeit von Verhal-       graduell variierenden, prinzipiell vernderbaren Kon-
                                                                                                                                                                        ten), verzichtet auf die Kontrollverlustannahme (s. u.) und   trolleinschrnkung („impaired control“; Heather, 1991) ist
                                                                                                                                                                        nutzt zum Aufbau von KT neue Methoden (z. B. „Wunder-         (Heather & Dawe, 2005; Miller, 1993). Weiterhin gibt es
                                                                                                                                                                        frage“) und solche, die denen der Verhaltenstherapie h-      keine Nachweise fr einen qualitativen Sprung von der
                                                                                                                                                                        neln (z. B. exakte Verhaltensanalyse und Fokusierung auf      Nicht-Abhngigkeit in die Abhngigkeit (Miller, 1996),
                                                                                                                                                                        Nicht-Problemverhalten, Verstrkung von Erfolgen etc.).       weshalb diese Unterscheidung im DSM-5 aufgegeben
                                                                                                                                                                                                                                      worden ist (American Psychiatric Association 2013).

                                                                                                                                                                        Psychologie der Selbstregulation

                                                                                                                                                                        Das Konzept des KT fgt sich in eine lange, bis heute an-
                                                                                                                                                                                                                                      Forschungsstränge und historische
                                                                                                                                                                        haltende psychologische Theorie- und Forschungstradition      Meilensteine
                                                                                                                                                                        zur Selbstregulation, Selbststeuerung bzw. Selbstkontrolle
                                                                                                                                                                        ein (berblick: Hofmann, Friese, Mller & Strack, 2011).      Kontrolliertes Trinken nach Abstinenzbehandlung
                                                                                                                                                                        Vor allem in der Motivationspsychologie (Heckhausen &
                                                                                                                                                                        Heckhausen, 2009) und Klinischen Psychologie (Kanfer,         Zweifel am Abstinenzparadigma des dispositionellen
                                                                                                                                                                        1996; Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2012) wurden die         Krankheitsmodells nhrten seit den 1940er-Jahren Follow-
                                                                                                                                                                        selbstregulatorischen Prozesse herausgearbeitet, die bei      Up-Studien, die von der Aufnahme eines unproblemati-
                                                                                                                                                                        der berwindung „festgefahrener“ Konsummuster (z. B.          schen Trinkverhaltens bei einem Teil der behandelten Al-
                                                                                                                                                                        Essstçrungen; Sommer 1977) von Bedeutung sind. Diese          koholabhngigen berichteten (vgl. Heather & Robertson,
                                                                                                                                                                        Prozesse stehen auch beim gezielten, therapeutisch unter-     1981, S. 28 ff; Sobell & Sobell, 1973b, S. 52). Aufsehen er-
                                                                                                                                                                        sttzten (Wieder-) Aufbau eines selbstkontrollierten Al-      regte aber erst Davies (1962) Beobachtung, dass 7 –
                                                                                                                                                                        koholkonsums im Mittelpunkt: systematische Selbstbeob-        11 Jahre nach einer Abstinenztherapie 7 von 93 Alkohol-
                                                                                                                                                                        achtung und Registrierung des Verhaltens (mittels Trink-      abhngigen einen Alkoholkonsum innerhalb der kulturell
                                                                                                                                                                        tagebuch), realistische Anspruchsniveausetzung bei der        vorgegebenen Normen praktizierten (was sich als Irrtum
                                                                                                                                                                        Festlegung von Konsumzielen, Bewertung von Vernde-           herausstellte: Edwards, 1985, 1994). Sptere Studien mit
                                                                                                                                                                        rungen in Relation zum eigenen Ausgangsniveau („indivi-       grçßeren Patientenstichproben replizierten und erweiter-
                                                                                                                                                                        duelle Bezugsnormorientierung“), Strkung von Selbst-         ten die lteren Befunde. So ermittelten Polich und Kol-
                                                                                                                                                                        wirksamkeitsberzeugungen durch nderungserfolg, Fçr-         legen (Polich, Armor & Braiker, 1981: „Rand-Report“) an

                                                                                                                                                                        SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht                                   151

                                                                                                                                                                        einer großen US-amerikanischen Patientenstichprobe, dass       1970) und den USA (Sobell & Sobell, 1973a, 1973b) zum
                                                                                                                                                                        nach stationrer Abstinenztherapie 12 % der Patienten ber     Einsatz. Die Debatte um das KT entflammte v. a. um die
                                                                                                                                                                        die gesamten vier Nachbefragungjahre hinweg kontrolliert       „IBTA-Studie“ der Sobells, die zeigen konnten, dass bei
                                                                                                                                                                        Alkohol tranken. Mittlerweile liegt eine Flle an Alkoho-      kçrperlich Alkoholabhngigen („Gamma-Alkoholiker“)
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        lismusstudien vor, zu denen die weltweit grçßten (MATCH        eine KT-Behandlung kurz-, mittel- und langfristig (nach
                                                                                                                                                                        [Project MATCH Research Group, 1998a], COMBINE                 ein, zwei, drei und zehn Jahren) bessere Effekte als eine
                                                                                                                                                                        [Anton et al., 2006], UKATT [Adamson, Heather, Morton          Abstinenzbehandlung erzielte (Caddy, Addington & Per-
                                                                                                                                                                        & Raistrick, 2010]) und auch deutschsprachige (z. B. Sieber,   kins, 1978; Sobell & Sobell, 1973a, 1973b, 1976, 1978, 1984),
                                                                                                                                                                        2000; Meyer, Wapp, Strik & Moggi, 2014) gehçren, die fast      woraus Marlatt (1983) folgerte, dass Abstinenz keines-
                                                                                                                                                                        ausnahmslos das Gleiche berichten: Ein von Studie zu Stu-      wegs das realistischere oder humanere Behandlungsziel
                                                                                                                                                                        die variierender Anteil der auf Abstinenz Behandelten geht     sei. Auch in Deutschland (Heil & Jaensch, 1978; Vollmer,
                                                                                                                                                                        zu einem reduzierten Alkoholkonsum ber (Gastfriend,           Kraemer, Schneider, Feldhege, Schulze & Krauthahn,
                                                                                                                                                                        Garbutt, Pettinati & Forman, 2007; Miller, Walters & Ben-      1982a, 1982b), sterreich (Czypionka & Demel, 1976) und
                                                                                                                                                                        nett, 2001), obwohl in Abstinenztherapien keine Kompe-         der Schweiz (Noschis, Mller & Weiss, 1989; Polli, Ketterer
                                                                                                                                                                        tenzvermittlung zu KT erfolgt, sondern meist strikt davon      & Weber, 1989; Polli, 1997; Sondheimer, 2000) wurde schon
                                                                                                                                                                        abgeraten und mit der Vorhersage versehen wird, dass der       vor Jahrzehnten von positiven Erfahrungen mit dem Ein-
                                                                                                                                                                        Versuch des KT unweigerlich im „Absturz“ ende. Interes-        satz und der Wirksamkeit von Behandlungsprogrammen
                                                                                                                                                                        santerweise wird in der internationalen Katamnesefor-          zum KT berichtet (vgl. Kçrkel, 2002b).
                                                                                                                                                                        schung – auch der dem klassischen Krankheitsmodell na-             Im Laufe der inzwischen fast 50-jhrigen Geschichte
                                                                                                                                                                        hestehenden pharmakologischen (vgl. z. B. Mason & Lehert,      des KT haben sich die Behandlungsformen zum Aufbau
                                                                                                                                                                        2012; Rçsner, Hackl-Herrwerth, Leucht, Vecchi, Srisura-        eines selbstkontrollierten Trinkverhaltens gewandelt. Wa-
                                                                                                                                                                        panont & Soyka, 2010) – der Erfolg von Abstinenzbehand-        ren frher – der damaligen Methodenentwicklung und
                                                                                                                                                                        lungen nicht bzw. nicht hauptschlich am Prozentsatz der       -prferenz der Verhaltenstherapie entsprechend – v. a.
                                                                                                                                                                        dauerhaft Abstinenten bemessen, sondern am Prozentsatz         aversives Konditionieren (Verabreichen leichter Strom-
                                                                                                                                                                        abstinenter Tage, dem Prozentsatz schwerer Trinktage, der      stçße bei bermßigem Alkoholkonsum [Caddy & Lovi-
                                                                                                                                                                        durchschnittlichen Konsummenge an Trinktagen sowie der         bond, 1976; Lovibond & Caddy, 1970; Sobell & Sobell,
                                                                                                                                                                        Gesamtkonsummenge pro Woche oder Monat (siehe z. B.            1973b]), Kontingenzmanagement (z. B. Erhalt von Ver-
                                                                                                                                                                        Sobell & Sobell 2006) – also an Indikatoren eines redu-        gnstigungen [Wohnung, Geld etc.] bei Einhalten von
                                                                                                                                                                        zierten Alkoholkonsums, den es nach dem Kontrollver-           Trinkobergrenzen [Cohen, Liebson & Faillace, 1973]),
                                                                                                                                                                        lustparadigma bei Alkoholabhngigen gar nicht geben            Blutalkoholdiskriminationstraining (Foy et al., 1984) und
                                                                                                                                                                        drfte (Gastfriend et al., 2007).                              Reizexposition (dem weiteren Alkoholkonsum nach einer
                                                                                                                                                                                                                                       ersten Alkoholdosis widerstehen lernen: „Moderation-
                                                                                                                                                                                                                                       Oriented Cue Exposure“ [MOCE; Heather et al., 2000])
                                                                                                                                                                        Kontrolliertes Trinken ohne Suchtbehandlung                    blich, sind heutzutage Selbstkontrolltrainings Standard.
                                                                                                                                                                        („untreated remission“)                                            Unter den Selbstkontrolltrainings sind im englisch-
                                                                                                                                                                                                                                       sprachigen und deutschen Sprachraum „Behavioral Self-
                                                                                                                                                                        Zweifel am Kontrollverlustparadigma nhren auch Stu-           Control-Trainings“ (Hester, 2003; Miller, 1977) fhrend
                                                                                                                                                                        dien, die unbehandelte Alkoholabhngige im Zeitverlauf         (Heather et al., 2000: „Goldstandard“). Sie kommen ber
                                                                                                                                                                        untersucht und gezeigt haben, dass die berwindung einer       das gesamte Spektrum an Alkoholkonsumstçrungen zum
                                                                                                                                                                        Alkoholabhngigkeit in Form eines unproblematischen            Einsatz und wurden hufig auf ihre Wirksamkeit unter-
                                                                                                                                                                        Konsums nicht nur mçglich, sondern wahrscheinlich ist          sucht (s. u.). Daneben wurde im franzçsischsprachigen Teil
                                                                                                                                                                        (bersicht: Klingemann & Sobell, 2007; Rumpf, 2014).           Kanadas und der Schweiz das ebenfalls behavioral aus-
                                                                                                                                                                        So zeigt etwa die epidemiologische Querschnittstudie           gerichtete Selbstkontrollprogramm „Alcochoix+“ entwi-
                                                                                                                                                                        („NESARC“) von Dawson, Grant, Stinson, Chou, Huang             ckelt (Simoneau, Landry & Tremblay, 2004, 2005) und
                                                                                                                                                                        und Ruan (2005) bei N = 4422 (Ex-) Alkoholabhngigen,          verbreitet (Cournoyer, Simoneau, Landry, Tremblay &
                                                                                                                                                                        dass in den USA mehr Personen ihre Alkoholabhngigkeit         Patenaude, 2009). Es richtet sich an Personen mit riskant
                                                                                                                                                                        durch den bergang zu einem unproblematischen Trink-           hohem Alkoholkonsum und kann eigenstndig (in Form
                                                                                                                                                                        verhalten als durch Abstinenz berwinden.                      eines Selbsthilfemanuals) oder therapeutengesttzt umge-
                                                                                                                                                                                                                                       setzt werden. In der Schweiz kommt es auch bei Alkohol-
                                                                                                                                                                                                                                       abhngigen zum Einsatz (Klingemann, Dampz & Perret,
                                                                                                                                                                        Kontrolliertes Trinken nach Reduktionsbehandlung               2010).
                                                                                                                                                                                                                                           Sobell und Sobell (1993; 2005a) haben unter dem Na-
                                                                                                                                                                        Den „Frontalangriff“ auf das Abstinenzparadigma stellte        men „Guided Self-Change Treatment“ (GSC) eine zielof-
                                                                                                                                                                        die Entwicklung verhaltenstherapeutischer Behandlungen         fene Kurzintervention mit variabler Sitzungsanzahl fr
                                                                                                                                                                        mit dem expliziten Ziel des KT dar. Diese von Anfang an        nicht-abhngige Problemtrinker entwickelt, bei der die
                                                                                                                                                                        auf ihre Wirksamkeit untersuchten Behandlungen kamen           Patienten entscheiden, ob sie Konsumreduktion oder Ab-
                                                                                                                                                                        erstmals in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts in        stinenz anstreben. GSC ist durch einen „geschmeidigen
                                                                                                                                                                        Australien (Caddy & Lovibond, 1976; Lovibond & Caddy,          Gesprchsstil“ i.S.d. Motivational Interviewing (Miller &

                                                                                                                                                                                                                                         SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
152                                   J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht

                                                                                                                                                                        Rollnick, 2013) charakterisiert und kombiniert Elemente           zwischen aus vielen anderen Lndern vor (bersicht:
                                                                                                                                                                        von BSCTs (z. B. systematische Selbstbeobachtung des              Kçrkel, 2002a; 2013). Auch im Internet sind strukturierte
                                                                                                                                                                        Konsums, Nutzung von Selbsthilfematerialien), kognitiver          Selbsthilfeprogramme zum KT vielfltig verfgbar (z. B.
                                                                                                                                                                        Verhaltenstherapie und Rckfallprvention.                        www.downyourdrink.org.uk;        www.minderdrinken.nl;
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                                                                                          www.moderatedrinking.com; www.selbsthilfealkohol.de),
                                                                                                                                                                                                                                          oftmals mit interaktiven Komponenten und Online-Fo-
                                                                                                                                                                        Behavioral Self-Control Training (BSCT)                           ren. Andere Internetseiten enhalten Elemente von BSCTs
                                                                                                                                                                                                                                          (z. B. Trinktagebuch mit Wochenzielfestlegung: www.my-
                                                                                                                                                                        „Behavioral Self-Control Training“ ist der auf Miller (1977)      drinkcontrol.ch).
                                                                                                                                                                        zurckgehende Sammelbegriff fr eine Klasse lerntheo-
                                                                                                                                                                        retisch und motivationspsychologisch begrndeter Trink-
                                                                                                                                                                        mengenreduktionsprogramme, bei denen dem Konsu-
                                                                                                                                                                                                                                          Einzel- und Gruppenbehandlungen
                                                                                                                                                                        menten Kompetenzen zur Selbstkontrolle des Konsums
                                                                                                                                                                        vermittelt werden. Zu diesen Kompetenzen gehçrt, vom
                                                                                                                                                                                                                                          Seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts kommen
                                                                                                                                                                        aktuellen Konsumniveau ausgehend wçchentlich drei Ziele
                                                                                                                                                                                                                                          Einzel- und Gruppenbehandlungen zum KT zum Einsatz,
                                                                                                                                                                        festzulegen (Anzahl alkoholfreier Tage, Maximalkonsum
                                                                                                                                                                                                                                          die eine intensivere Untersttzung als Selbsthilfemanuale
                                                                                                                                                                        pro Tag und pro Woche) und diese Ziele durch Beobachten,
                                                                                                                                                                                                                                          ermçglichen (bersicht: Kçrkel, 2002a, 2002b). Sie um-
                                                                                                                                                                        Zhlen und Registrieren des Konsums (Trinktagebuch),
                                                                                                                                                                                                                                          fassen in der Regel 6 – 12 manualisierte, strukturierte Sit-
                                                                                                                                                                        Einsatz individualisierter Kontrollstrategien (z. B. „vor und
                                                                                                                                                                                                                                          zungen von 1 – 2 Stunden Dauer mit den fr BSCTs typi-
                                                                                                                                                                        nach jedem alkoholischen Getrnk ein großes nichtalkoho-
                                                                                                                                                                                                                                          schen Inhalten (Fhren und Auswerten eines Trinktage-
                                                                                                                                                                        lisches Getrnk trinken“), Vorbereitung auf und Umgang
                                                                                                                                                                                                                                          buchs, wçchentliche Zielfestlegungen etc.) und werden
                                                                                                                                                                        mit Risikosituationen und „Ausrutschern“, Aktivierung al-
                                                                                                                                                                                                                                          zum Teil durch Auffrischungssitzungen, Selbsthilfemanuale
                                                                                                                                                                        koholfreier Formen der Problembewltigung/Freizeitge-
                                                                                                                                                                                                                                          (z. B. zur eigenstndigen „Nachsorge“ nach Behandlungs-
                                                                                                                                                                        staltung u. a.m. zu erreichen (vgl. detaillierte Inhaltsauflis-
                                                                                                                                                                                                                                          ende; Kçrkel, 2013) oder reduktionsorientierte Selbsthilfe-
                                                                                                                                                                        tung der BSCTs bei Hester, 2003; Kçrkel, 2012b). Fr For-
                                                                                                                                                                                                                                          gruppen ergnzt.
                                                                                                                                                                        schung und klinische Anwendung haben Bonar et al. (2011;
                                                                                                                                                                        Kraus et al., 2012; Hoffmann et al., 2013) einen Fragebogen
                                                                                                                                                                        zur Erfassung der Zuversicht, jede von 31 vorgegebenen
                                                                                                                                                                        Konsumreduktionsstrategien in Risikosituationen einsetzen         Selbsthilfegruppen
                                                                                                                                                                        zu kçnnen, entwickelt und psychometrisch geprft („Alco-
                                                                                                                                                                        hol Reduction Strategies—Current Confidence [ARS-CC]              Die bekannteste Selbsthilfevereinigung mit dem Ziel des
                                                                                                                                                                        questionnaire“).                                                  moderaten/kontrolliertenTrinkens ist „Moderation Mana-
                                                                                                                                                                             Viele der in BSCTs vermittelten Selbstkontrollstrate-        gement“ (MM) (Lembke & Humphreys, 2012; Rotgers,
                                                                                                                                                                        gien sind identisch mit denen, die Menschen intuitiv zur          Kern & Hoeltzel, 2002; www.moderation.org). MM wurde
                                                                                                                                                                        Konsumlimitierung einsetzen (vgl. Schippers & Cramer,             1994 in den USA als Alternative zu den Anonymen Al-
                                                                                                                                                                        2002) und zwischen den in Abstinenz- und KT-Behand-               koholikern v. a. fr die Zielgruppe der nicht-abhngigen
                                                                                                                                                                        lungen vermittelten Kompetenzen gibt es viele Parallelen          „Problemtrinker“ gegrndet. MM liegt ein nicht-sprituell
                                                                                                                                                                        (z. B. Befhigung zum Umgang mit Verlangen, sozialem              ausgerichtetes „9-Schritte-Programm“ mit Inhalten wie in
                                                                                                                                                                        Druck zum Mittrinken und „Ausrutschern“; Duckert, 1995,           BSCTs und fester Ablaufstruktur zugrunde. Neben der
                                                                                                                                                                        S. 1168). Zudem nimmt Abstinenz auch in BSCTs eine                Vor-Ort-Teilnahme an MM-Gruppen gibt es die Mçglich-
                                                                                                                                                                        gewichtige Bedeutung ein, indem bei den wçchentlichen             keit der Teilnahme an Online-Meetings und Online-Foren,
                                                                                                                                                                        Zielfestlegungen angeregt wird, abstinente Zeiten (Tage)          der Nutzung eines Online-Trinktagebuchs u. a.m. Die vor-
                                                                                                                                                                        in Erwgung zu ziehen/einzuplanen und ggf. zu einer ab-           liegenden, nicht-repsentativen Studien zum Mitglieder-
                                                                                                                                                                        stinenten Lebensweise berzuwechseln, falls sich das ge-          profil von MM zeigen, dass auch Alkoholabhngige MM-
                                                                                                                                                                        wnschte Ausmaß an Reduktion als nicht erreichbar bzw.            Angebote wahrnehmen und im Vergleich zu Gruppen
                                                                                                                                                                        zu „kontrollaufwndig“ erweist und erste Reduktions-              der Anonymen Alkoholiker die Abhngigkeitsschwere
                                                                                                                                                                        erfolge die Abstinenzbereitschaft und -zuversicht genhrt         und Abbruchquoten geringer ausfallen und der Frauen-
                                                                                                                                                                        haben sollten.                                                    anteil hçher liegt (Humphreys, 2003; Humphreys & Klaw,
                                                                                                                                                                             BSCTs bzw. Elemente aus diesen kommen in den fol-            2001; Klaw, Luft & Humphreys, 2003; Kosok, 2006). 19 %
                                                                                                                                                                        genden, miteinander kombinierbaren Anwendungsvarian-              der Nutzer von MM geben an, bei MM Untersttzung bei
                                                                                                                                                                        ten zum Einsatz.                                                  der Zielentscheidung (Abstinenz oder KT) zu suchen
                                                                                                                                                                                                                                          (Kosok, 2006), was die Annahme strkt, dass Reduktions-
                                                                                                                                                                                                                                          angebote die Aufnahme einer Abstinenzbehandlung fçr-
                                                                                                                                                                        Selbsthilfemanuale („Bibliotherapie“)                             dern kçnnen.
                                                                                                                                                                                                                                              Im deutschsprachigen Raum haben sich Selbsthilfe-
                                                                                                                                                                        Anleitungen zum selbststndigen Erlernen eines kontrol-           gruppen zum KT aus Teilnehmern des „Ambulanten
                                                                                                                                                                        lierten Alkoholkonsums liegen seit 1976 aus den USA               Gruppenprogramms zum Kontrollierten Trinken“ (Kçrkel,
                                                                                                                                                                        (Miller & MuÇoz, 1976; neueste Auflage 2013) und in-              Schellberg, Haberacker, Langguth & Neu, 2002) gebildet.

                                                                                                                                                                        SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht                                   153

                                                                                                                                                                        Ärztliche Kurzinterventionen                                   die fast ausschließlich Einzel- und Gruppenbehandlungen
                                                                                                                                                                                                                                       zum KT umfassen, sind BSCTs insgesamt wirksam (n = 17
                                                                                                                                                                        Schon vor Jahrzehnten waren Elemente von BSCTs (z. B.          Studien, d = .33, SE = .08, 95 % CI .17 – .49), wirksamer als
                                                                                                                                                                        Trinktagebuch, Anregungen zum Festlegen von Reduk-             keine Intervention (no treatment control, n = 4 Studien,
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        tionszielen, Tipps zum Umgang mit Risikosituationen            d = .94, SE = .16, 95 % CI .63 – 1.25) und wirksamer als
                                                                                                                                                                        etc.) Bestandteil vieler rztlicher Kurzinterventionen bei     andere, nicht auf Abstinenz ausgerichtete Interventionen
                                                                                                                                                                        Alkoholproblemen (z. B. TrEAT [Fleming, Barry, Man-            (z. B. eine Alkohol-Informationsgruppe, n = 11, d = .20,
                                                                                                                                                                        well, Johnso & London, 1997], Health [Ockene, Wheeler,         SE = .10, 95 % CI .01 – .39). BSCTs sind abstinenzbezoge-
                                                                                                                                                                        Adams, Hurley & Hebert, 1997], DRAMS [Heather,                 nen Programmen mindestens ebenbrtig (n = 6, d = .28,
                                                                                                                                                                        Campion, Neville & MacCabe, 1987]; Noschis et al., 1989;       SE = .16, 95 % CI -.03 – .59), lngerfristig (Katamnese-
                                                                                                                                                                        Sondheimer, 2000) und sind dies bis heute (vgl. AWMF,          zeitraum  1 Jahr) tendenziell berlegen (n = 5, d = .35,
                                                                                                                                                                        2015; Kaner et al., 2013).                                     SE = .18, 95 % CI .00 – .70). Auch die grçßte Alkoholis-
                                                                                                                                                                                                                                       musstudie Großbritanniens („United Kingdom Alcohol
                                                                                                                                                                                                                                       Treatment Trial“; UKATT Research Team, 2001) illustriert
                                                                                                                                                                        Stepped Care                                                   dies: Unabhngig davon, ob man die Reduktion der Trink-
                                                                                                                                                                                                                                       menge, den Zuwachs an alkoholfreien Tagen oder den
                                                                                                                                                                        Bei der Umsetzung von KT-Interventionen wird die An-           Rckgang der Abhngigkeitssymptomatik als Erfolgskrite-
                                                                                                                                                                        wendung des Prinzips „stepped care“ (Sobell & Sobell,          rium zugrundelegt, schneiden Patienten ohne Abstinenzziel
                                                                                                                                                                        2000) empfohlen. Das bedeutet, mit der Reduktionsmaß-          im einjhrigen Nacherhebungszeitraum genauso gut ab wie
                                                                                                                                                                        nahme zu beginnen, die am einfachsten umzusetzbar ist, am      diejenigen mit Abstinenzziel (Adamson et al. 2010).
                                                                                                                                                                        wenigsten in Alltgsablufe eingreift, kostengnstig ist,           Die Erfolgsquote von KT-Behandlungen liegt nach
                                                                                                                                                                        gute Ergebnisse verspricht und mit Nutzerzufriedenheit         verschiedenen Ergebnisbersichten (Kçrkel, 2002a; Miller,
                                                                                                                                                                        einhergeht. Fhrt eine entsprechende Maßnahme – z. B.          1983) bei einer Katamnesedauer von mindestens einem
                                                                                                                                                                        die Bearbeitung eines Selbsthilfemanuals oder eine rztli-     Jahr bei durchschnittlich 65 %. Bezogen auf den Alko-
                                                                                                                                                                        che Kurzintervention – nicht zum gewnschten Erfolg, ist       holkonsum werden als Erfolg eine Trinkmengenreduktion
                                                                                                                                                                        schrittweise eine intensivere Maßnahme (z. B. eine Einzel-     und der bergang zur Abstinenz, zu dem es bei 10 – 30 %
                                                                                                                                                                        oder Gruppenbehandlung) zu empfehlen.                          der Patienten whrend oder nach einer KT-Behandlung
                                                                                                                                                                                                                                       kommt, gewertet. In die summarischen Erfolgsquoten ge-
                                                                                                                                                                                                                                       hen Studien mit unterschiedlichen Operationalisierungen
                                                                                                                                                                        Wirksamkeit von Behandlungen                                   von KT, Nacherhebungszeitrumen und Stichproben ein,
                                                                                                                                                                                                                                       weshalb nicht verwundert, dass das Erfolgsspektrum zwi-
                                                                                                                                                                        zum KT                                                         schen den Studien von 25 % bis 90 % reicht.
                                                                                                                                                                                                                                            Die in manchen KT-Programmen geforderte Eingangs-
                                                                                                                                                                        Gemß einer Sichtung aller zur Wirksamkeit von Alkoho-         abstinenz (z. B. von 3 Wochen: Sanchez-Craig, 1980) fçrdert
                                                                                                                                                                        lismusbehandlung verçffentlichten RCTs (Projekt „MESA          nach manchen Studien den Behandlungserfolg (z. B. Elal-
                                                                                                                                                                        Grande“: Miller & Wilbourne, 2002; Miller, Wilbourne &         Lawrence, Slade & Dewey, 1986), nach anderen nicht (z. B.
                                                                                                                                                                        Hettema, 2003) liegen die meisten RCTs zu BSCTs vor (bei       Sanchez-Craig & Lei, 1986). Auffrischsitzungen (booster
                                                                                                                                                                        der letzten MESA Grande Aktualisierung 46 Studien), die        sessions) nach einer KT-Behandlung verbesserten bei Booth,
                                                                                                                                                                        zudem eine berdurchschnittlich hohe methodologische           Dale, Slade und Dewey (1992) den Behandlungserfolg, bei
                                                                                                                                                                        Qualitt aufweisen (a.a.O.). Die Wirksamkeitsnachweise         Connors und Walitzer (2001; Walitzer & Connors, 2007)
                                                                                                                                                                        von KT-Behandlungen sind inzwischen in verschiedenen           nur bei den schweren Alkoholkonsumentinnen. Booster-
                                                                                                                                                                        narrativen Reviews (Heather & Robertson, 1981; Klinge-         Sitzungen fçrderten bei diesen schwer alkoholabhngigen
                                                                                                                                                                        mann et al., 2004; Kçrkel, 2002a; Miller, 1983; Rosenberg,     Frauen zudem die Nutzung der whrend der KT-Behand-
                                                                                                                                                                        1993; Saladin & Santa Ana, 2004) und statistischen Meta-       lung vermittelten Selbstkontrollstrategien und der Strate-
                                                                                                                                                                        analysen (Apodaca & Miller, 2003; Miller & Wilbourne,          gieeinsatz begnstigte den weiteren Reduktionserfolg in den
                                                                                                                                                                        2002; Miller et al., 2003; Walters, 2000) zusammengefasst      ersten sechs Katamnesemonaten nach Behandlungsende
                                                                                                                                                                        worden. Deren Ergebnisse, ergnzt durch neuere Studien,        (Mendoza, Walitzer & Connors, 2012). Reizexpositionsbe-
                                                                                                                                                                        werden im Folgenden dargestellt.                               handlung ist vergleichbar effektiv wie BSCT, aber wesent-
                                                                                                                                                                                                                                       lich aufwndiger (Heather et al., 2000; Dawe et al., 2002).

                                                                                                                                                                        Gesamtergebnisse
                                                                                                                                                                                                                                       Weitere Veränderungen
                                                                                                                                                                        Trinkmengenreduktion
                                                                                                                                                                                                                                       Nach Walters (2000) Metaanalyse fhren BSCTs nicht nur
                                                                                                                                                                        Nach den vorliegenden narrativen Reviews wird durch            zu einer Reduktion des Alkoholkonsums (n = 11 Studien,
                                                                                                                                                                        eine KT-Behandlung der Alkoholkonsum signifikant und           d = .22, SE = .09, 95 % CI .04 – .40), sondern auch alko-
                                                                                                                                                                        klinisch bedeutsam reduziert. Auch nach Walters (2000)        holassoziierter Probleme (n = 7, d = .29, SE = .14, 95 % CI
                                                                                                                                                                        statistischer Metaanalyse der 17 bis 1997 publizierten RCTs,   .02 – .56). Ergnzend dazu berichtet eine neuere Studie als

                                                                                                                                                                                                                                         SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
154                                 J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht

                                                                                                                                                                        Ergebnis von Reduktionsbehandlung den Rckgang di-            und nicht vorwiegend von der Therapierichtung abhngt
                                                                                                                                                                        verser psychiatrischer Symptome (Walitzer & Connors,          (Miller & Moyers, 2014; Project MATCH Research Group,
                                                                                                                                                                        2007), eine andere den Anstieg an Lebensqualitt (Blan-       1998b), gibt es erste Studien, die dies auch fr Interven-
                                                                                                                                                                        kers, Koeter & Schippers, 2011). Diese Befunde liegen in      tionen mit Moderationsziel besttigen (Wiprovnick,
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        einer Linie mit denen aus abstinenzbezogener Alkoholis-       Kuerbis & Morgenstern, 2015).
                                                                                                                                                                        musbehandlung: Nach Ende einer Abstinenzbehandlung
                                                                                                                                                                        stehen diejenigen, die zu KT bergegangen sind, den ab-
                                                                                                                                                                        stinent Lebenden in nichts nach, was den Rckgang der
                                                                                                                                                                        Angst- und Depressionssymptomatik, den Anstieg des
                                                                                                                                                                                                                                      Befunde zu unterschiedlichen
                                                                                                                                                                        Selbstwertgefhls, die Zufriedenheit mit der eigenen Le-      Behandlungsformen
                                                                                                                                                                        benssituation/-qualitt (Maffli, Wacker & Mathey, 1995;
                                                                                                                                                                        Shaw et al., 1998) und den Rckgang alkoholbezogener          Selbsthilfemanuale
                                                                                                                                                                        Probleme (Dunn & Strain, 2013; Maisto, Clifford, Stout &
                                                                                                                                                                        Davis, 2007) anbelangt.                                       Apodaca und Miller (2003) kommen bei metaanalytischer
                                                                                                                                                                                                                                      Auswertung von 22 RCTs zum Ergebnis, dass ber das
                                                                                                                                                                                                                                      gesamte Spektrum des problematischen Alkoholkonsums
                                                                                                                                                                        Nachhaltigkeit der Veränderungen                              die autodidaktische Bearbeitung eines KT-Selbsthilfema-
                                                                                                                                                                                                                                      nuals („Bibliotherapie“), kombiniert mit maximal einem
                                                                                                                                                                        Der hufig geußerte Vorbehalt, KT gelinge – falls ber-      persçnlichen Kontakt, zu einem markanten Rckgang
                                                                                                                                                                        haupt – nur kurzfristig und werde von Rckfllen in das       des Alkoholkonsums fhrt und die alleinige Manualbear-
                                                                                                                                                                        alte Konsumverhalten abgelçst, ist nach den vorliegenden      beitung einer Einzel- oder Gruppenbehandlung nicht ge-
                                                                                                                                                                        narrativen Reviews, Walters (2000) Metaanalyse sowie         nerell unterlegen ist (vgl. auch Miller & Wilbourne, 2002).
                                                                                                                                                                        neueren Katamnesestudien (z. B. Kçrkel, 2006; Walitzer &      Dieser Effekt zeigt sich einheitlicher bei Patienten, die
                                                                                                                                                                        Connors, 2007) nicht haltbar. Es zeigt sich vielmehr in US-   wegen eines Alkoholproblems ambulante Hilfe suchen
                                                                                                                                                                        amerikanischen, schwedischen und anderen Langzeitstu-         („treatment seekers“), als bei Personen, die eine Reduk-
                                                                                                                                                                        dien, dass systematisch erlerntes KT ber viele Jahre hin-    tionsanleitung aufgrund eines positiven Alkoholscreenings
                                                                                                                                                                        weg erfolgreich aufrecht erhalten werden kann – bei           erhalten („opportunistic interventions“). In einer neue-
                                                                                                                                                                        Nordstrçm, Berglund und Frank (2004) ber einen mehr          ren Pilotstudie bei stationr notfallbehandelten Patienten
                                                                                                                                                                        als 15jhrigen Nacherhebungszeitraum. Das erste Jahr er-      mit problematischem Alkoholkonsum fçrderte die Mitga-
                                                                                                                                                                        folgreichen kontrollierten Trinkens lsst eine gute Pro-      be eines Selbsthilfemanuals den Beginn einer Alkoholis-
                                                                                                                                                                        gnose fr die Beibehaltung dieses Verhaltens ber die fol-    musbehandlung nach Entlassung aus der Klinik (Apodaca,
                                                                                                                                                                        genden sieben Jahre zu (Miller, Leckman, Delaney &            Miller, Schermer & Amrhein, 2007).
                                                                                                                                                                        Tinkcom, 1992). Mit zunehmendem Abstand vom Be-                   Zur Reduktion des Alkoholkonsums haben sich v. a.
                                                                                                                                                                        handlungsende gehen die durch eine KT-Behandlung er-          bei Risikokonsumenten auch Online-Selbstkontrollinter-
                                                                                                                                                                        zielten Effekte zurck (Walters, 2000). Dies gilt jedoch in   ventionen ohne Therapeutenkontakt als wirksam erwiesen,
                                                                                                                                                                        gleicher Weise fr Abstinenzbehandlungen (Rosenberg,          wie die Metaanlyse von Riper et al. (2011) und Folge-RCTs
                                                                                                                                                                        1993, S. 130), bei denen zudem eine Effektstabilisierung      (Blankers et al., 2011; Hester, Delaney & Campbell, 2011)
                                                                                                                                                                        durch den Besuch von Abstinenzselbsthilfegruppen statt-       zeigen. Dabei ist ein einzelner Kontakt mit normativem
                                                                                                                                                                        findet (vgl. z. B. Kfner, Feuerlein & Huber, 1988).          Konsumfeedback weniger wirksam als umfangreichere
                                                                                                                                                                                                                                      Programme (Riper et al., 2011). Nach den Ergebnissen von
                                                                                                                                                                                                                                      Wallace et al. (2011) fhrt das Internet-Programm „Down
                                                                                                                                                                        Reguläre Behandlungsbeendigung                                Your Drink“ zu keiner grçßeren Alkoholkonsumreduk-
                                                                                                                                                                                                                                      tion als eine Internet-Alkoholinformationsplattform. Bei
                                                                                                                                                                        Pomerleau, Pertschuk, Adkins und Brady (1978) stellten        Blankers et al. (2011) zieht die Bearbeitung eines Internet-
                                                                                                                                                                        bei randomisierter Zuweisung zu einer Abstinenz- oder         Selbsthilfeprogramms zur Alkoholreduktion sechs Monate
                                                                                                                                                                        KT-Behandlung hufigere Behandlungsabbrche bei den           nach Studienbeginn etwas geringere Konsumrckgnge
                                                                                                                                                                        auf Abstinenz hin behandelten Patienten fest. Zum glei-       und Lebensqualittssteigerungen nach sich als sieben re-
                                                                                                                                                                        chen Ergebnis gelangen Schippers und Nelissen (2006) in       duktionsorientierte Internet-Chats mit einem Therapeu-
                                                                                                                                                                        einer nicht-randomisierten Studie. Innerhalb einer KT-        ten.
                                                                                                                                                                        Behandlung kam es in der Studie von Sanchez-Craig, Spi-
                                                                                                                                                                        vak und Davila (1991) bei erfahrenen Therapeuten zu einer
                                                                                                                                                                        geringeren Drop-out-Quote als bei unerfahreren.               Einzel- und Gruppenbehandlungen

                                                                                                                                                                                                                                      Gemß Walters (2000) Metaanalyse sind Einzel- und
                                                                                                                                                                        Qualität der therapeutischen Beziehung                        Gruppenbehandlungen (BSCTs) zur Reduktion des Al-
                                                                                                                                                                                                                                      koholkonsums und alkoholassoziierter Probleme geeignet.
                                                                                                                                                                        So wie ganz generell der Erfolg von Suchtbehandlung we-       Die Effekte zeigen sich auch bei Follow-Up-Zeitrumen
                                                                                                                                                                        sentlich von der Qualitt der therapeutischen Beziehung       von mehr als einem Jahr. Einzel- und Gruppenbehand-

                                                                                                                                                                        SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht                                    155

                                                                                                                                                                        lungen unterscheiden sich in ihrer Wirksamkeit nicht. Ein    turierten KT-Behandlung (in Form eines BSCTs) optimie-
                                                                                                                                                                        RCT von Miller (1978) kommt zum Ergebnis, dass die           ren ließe.
                                                                                                                                                                        Aushndigung eines KT-Selbsthilfemanuals am Ende einer
                                                                                                                                                                        KT-Einzelbehandlung die erreichten Vernderungen sta-
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        bilisiert.
                                                                                                                                                                            Die Umsetzung des Konsumreduktionsansatzes im            Differentielle Effekte/Prädiktoren
                                                                                                                                                                        Rahmen des Behandlungspakets von Guided Self-Change
                                                                                                                                                                        ist nach verschiedenen Studien ebenfalls wirksam (Sobell     Soziodemografische und suchtbiografische Merkmale
                                                                                                                                                                        & Sobell, 2005a).
                                                                                                                                                                            Bei Rubio et al. (2002) erbringt die Vergabe von Nal-    In einer Vielzahl Studien wurde post-hoc geprft, welche
                                                                                                                                                                        trexon im 3-monatigen Behandlungszeitraum keinen Zu-         soziodemografischen und suchtbiografischen Merkmale
                                                                                                                                                                        satznutzen zu einer KT-Einzelbehandlung, wohl aber im        den Erfolg einer KT-Behandlung vorherzusagen vermçgen
                                                                                                                                                                        12-Monats-Follow-Up.                                         und sich somit fr eine Indikations-/Allokationsempfeh-
                                                                                                                                                                                                                                     lung eignen (bersicht: Heather & Robertson, 1981; Ro-
                                                                                                                                                                                                                                     senberg, 1993, 2004a; Saladin & Santa Ana, 2004). Zu die-
                                                                                                                                                                        Selbsthilfegruppen                                           sen Merkmalen gehçren „severity of dependence, client
                                                                                                                                                                                                                                     attitudes and beliefs about controlled drinking and abstin-
                                                                                                                                                                        Die Nutzung der Online-Ressourcen der Selbsthilfean-         ence, previous treatment, pretreatment drinking style,
                                                                                                                                                                        satzes „Moderation Management“ (MM; moderatedrin-            psychological and social stability, demographic characte-
                                                                                                                                                                        king.com) wie auch seine Kombination mit dem Online-         ristics, family history of drinking, referral source, and
                                                                                                                                                                        BSCT „ModerateDrinking.com“ fhren in einem 3- und           posttreatment adjustment and drinking” (Rosenberg, 1993,
                                                                                                                                                                        12-Monats-Follow-Up bei nicht-abhngigen „Problem-           S. 129). Die Mehrzahl dieser Variablen eignet sich nicht
                                                                                                                                                                        trinkern“ zu einer Reduktion des Alkoholkonsums wie          zur Ergebnisprdiktion (Bhringer, 2008): Einige Studien
                                                                                                                                                                        auch alkoholassoziierter Probleme; die Anzahl alkohol-       berichten von einem positiven, andere von keinem und
                                                                                                                                                                        freier Tage erhçht sich strker bei Kombination beider       wiederum andere von einem negativen Einfluss des je-
                                                                                                                                                                        Online-Hilfen (Hester, Delaney & Campbell, 2011; Hester,     weiligen Merkmals auf das Erreichen eines selbstkontrol-
                                                                                                                                                                        Delaney, Campbell & Handmaker, 2009). Zur Wirksam-           lierten Trinkverhaltens. Die Studienlage zu ausgewhlten
                                                                                                                                                                        keit der Face-to-face-Teilnahme an MM-Treffen oder an-       Prognosevariablen wird im Folgenden eingehender darge-
                                                                                                                                                                        deren auf Reduktion ausgerichteten Selbsthilfegruppen        stellt.
                                                                                                                                                                        liegen bislang keine Studien vor (Lembke & Humphreys,
                                                                                                                                                                        2012).
                                                                                                                                                                                                                                     Alkoholmissbrauch – Alkoholabhängigkeit

                                                                                                                                                                        Ärztliche Kurzinterventionen                                 Nach Walters (2000) Metaanalyse profitieren nicht-ab-
                                                                                                                                                                                                                                     hngige Problemtrinker (n = 10 Studien, d = .34, SE = .11,
                                                                                                                                                                        Bei Patienten mit einem nicht-abhngigen, aber riskant ho-   95 % CI .12 – .56) und Alkoholabhngige (n = 7; d = .32,
                                                                                                                                                                        hen Alkoholkonsum sind die Rckmeldung des berhçhten        SE = .14, 95 % CI .05 – .59) gleichermaßen von einer KT-
                                                                                                                                                                        Alkoholkonsums (z. B. eines Screeningtest- oder Laborer-     Behandlung. Walters resmiert: „The results of the current
                                                                                                                                                                        gebnisses) und Aushndigung einer Selbsthilfebroschre       meta-analysis suggest that alcohol-dependent subjects are
                                                                                                                                                                        fr eine dauerhafte Trinkmengenabsenkung ausreichend;        just as likely to benefit from behavioral self-control training
                                                                                                                                                                        lngere Gesprche erbringen keinen Zusatznutzen (Kaner       as persons classified as problem drinkers … The extent,
                                                                                                                                                                        et al., 2009; Kaner et al., 2013). Zur Wirksamkeit oppor-    severity, and chronicity of problem drinking appears to
                                                                                                                                                                        tunistischer Kurzinterventionen bei alkoholabhngigen        have little bearing on who will and will not profit from
                                                                                                                                                                        Patienten ist die Studienlage uneinheitlich (vgl. AWMF,      enrollment in a program of behavioral self-control trai-
                                                                                                                                                                        2015). Bei Patienten mit Alkoholabhngigkeit, die Hilfe      ning” (S. 145). Zum gleichen Ergebnis kommen Saladin
                                                                                                                                                                        wegen ihres Alkoholproblems suchen und keine Absti-          und Santa Ana (2004) in ihrem Review und auch neuere
                                                                                                                                                                        nenz, sondern Konsumreduktion anstreben, hat sich die        Studien (z. B. Enggasser et al., 2015; Kçrkel, 2006). Fr die
                                                                                                                                                                        Abfolge mehrerer alkoholbezogener Gesprche als wirk-        aus dem Krankheitsmodell des Alkoholismus ableitbare
                                                                                                                                                                        sam erwiesen, wobei bei einem Teil der Patienten eine        Annahme, es fnde sich eine biologisch vorgegebene
                                                                                                                                                                        medikamentçse Untersttzung mit Naltrexon (Maisel,           Grenze, ab der kontrollierter Konsum unmçglich wre, gibt
                                                                                                                                                                        Blodgett, Wilbourne, Humphreys & Finney, 2012; Rubio         es somit keine Nachweise (Bhringer, 2008). In Einklang
                                                                                                                                                                        et al., 2002) oder Nalmefen (Mann, 2014, 2015; Mann,         mit dieser Befundlage sehen Schweizer KT-Behandler eine
                                                                                                                                                                        Bladstrom, Torup, Gual & van den Brink, 2013) den Re-        KT-Behandlung auch bei Alkoholabhngigen als sinnvoll
                                                                                                                                                                        duktionserfolg erhçhen kann. Bei Nalmefen ist das expli-     an (Klingemann, Dampz & Perret, 2010). Diese Ergebnisse
                                                                                                                                                                        zite Anwendungsziel die Trinkmengenreduktion (Mann,          schließen, wie Miller (1983) anmerkt, nicht aus, dass „it is
                                                                                                                                                                        2015). Ungeprft ist dabei – wie bei nahezu allen pharma-    altogether possible (if not likely) that for some problem
                                                                                                                                                                        kologischen Studien – ob sich die Konsumreduktion durch      drinkers moderation is a permanent impossibility, whereas
                                                                                                                                                                        die Kombination von Pharmakotherapie mit einer struk-        for others it is attainable“ (S. 71).

                                                                                                                                                                                                                                       SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
156                                  J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht

                                                                                                                                                                        Schwere der Alkoholabhängigkeit                                 bertson, MacPherson, Allsop & Fulton, 1987; Heather
                                                                                                                                                                                                                                        et al. 2000; Kçnig, Gehring, Kçrkel & Drinkmann, 2007;
                                                                                                                                                                        Stockwell (1986, 1988) entfachte im British Journal of          Orford & Keddie, 1986a, 1986b; Shaw et al., 1998; Sithar-
                                                                                                                                                                        Addiction in den Jahren 1986 – 1988 eine Debatte, in der er     than, Kavanagh & Sayer, 1996; Vogler, Compton & Weiss-
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        die Mçglichkeit von KT bei schwer Alkoholabhngigen in          bach, 1975). Bereits Polich et al. (1981) hatten im Rah-
                                                                                                                                                                        Zweifel zog (eine Position, die er nach einer Fallvignette      men des „Rand-Reports“ nachgewiesen, dass 12 % der
                                                                                                                                                                        von Booth [1990] korrigierte [Stockwell, 1990]). In der Tat     Schwerstabhngigen ihrer Stichprobe whrend des letzten
                                                                                                                                                                        kommt eine Reihe Post-hoc-Analysen von KT-Behand-               Halbjahres einer 4-Jahres-Nachbefragung nach stationrer
                                                                                                                                                                        lungen ohne Vergleichgruppen Abstinenzbehandelter zum           Abstinenztherapie ein problemfreies Trinken aufwiesen.
                                                                                                                                                                        Ergebnis, dass mit zunehmender Schwere der Alkoholab-           Heather et al. (2000) konnten zeigen, dass schwer kçrper-
                                                                                                                                                                        hngigkeit KT seltener gelingt („severity of dependence         lich Alkoholabhngige (gemß Severity of Alcohol De-
                                                                                                                                                                        hypothesis“) (Miller et al., 1992). Diese Ergebnisse, die       pendence Questionnaire) ihren Alkoholkonsum von Be-
                                                                                                                                                                        meist weder auf einer theoretisch begrndeten noch ein-         ginn einer KT-Behandlung bis zur sechsmonatigen Nach-
                                                                                                                                                                        heitlichen Schwere-Definition, sondern einem intuitiven         erhebung sogar wesentlich strker reduzierten als nicht
                                                                                                                                                                        Schwereverstndnis (z. B. „chronic alcoholics“) beruhen,        bzw. leicht Abhngige, weshalb die Autoren folgern, dass
                                                                                                                                                                        veranlassten Sobell und Sobell (1995a) vor 20 Jahren zu         „there is no reason why higher dependence clients should
                                                                                                                                                                        dem Resmee, dass „recoveries of individuals who have           not be offered a moderation goal“ (S. 569). In Einklang
                                                                                                                                                                        been severely dependent on alcohol predominantly involve        damit spielt bei franzçsischen Alkoholismusbehandlern die
                                                                                                                                                                        abstinence“ (S. 1149). Diese Einschtzung wurde in den          Schwere der Alkoholabhngigkeit nur eine untergeordnete
                                                                                                                                                                        Folgejahren von ihnen (z. B. Sobell & Sobell, 2006, 2011)       Rolle bei der Indikationsstellung fr eine KT-Behandlung
                                                                                                                                                                        wiederholt und findet sich auch in anderen Reviews (Ro-         (Luquiens, Reynaud & Aubin, 2011).
                                                                                                                                                                        senberg, 1993). Eine Reihe Autoren hat daraus gefolgert,            Drittens legen verschiedene Feldstudien nahe, dass
                                                                                                                                                                        dass eine KT-Behandlung bei schwerer Alkoholabhngig-           Menschen mit schwerer Alkoholabhngigkeit/sehr hohem
                                                                                                                                                                        keit nicht indiziert sei. Dawe, Rees, Mattick, Sitharthan und   Alkoholkonsum – z. B. langjhrig Wohnungslose – eine
                                                                                                                                                                        Heather (2002) stellen dazu kritisch fest: „The current         Abstinenzbehandlung erst gar nicht beginnen oder durch-
                                                                                                                                                                        practice of reserving a CD [Controlled Drinking] goal al-       halten, eine KT-Behandlung aber durchaus (vgl. Kçrkel,
                                                                                                                                                                        most exclusively for persons with relatively mild problem       2007).
                                                                                                                                                                        severity and low alcohol dependence rests on clinical con-          Viertens kçnnten bei schwer Abhngigen mit einer in-
                                                                                                                                                                        vention rather than on a systematic review of the treat-        tensiveren bzw. lngeren KT-Begleitung ggf. grçßere und
                                                                                                                                                                        ment outcome literature“ (S. 1045). Die Folgerung, KT sei       stabilere Erfolge erzielt werden (Heather, 1995, S. 1161).
                                                                                                                                                                        fr schwer Alkoholabhngige nicht indiziert (da relativ         In diesem Sinne haben Kçnig et al. (2007) bei der Umset-
                                                                                                                                                                        unwahrscheinlich) oder gar kontraindiziert, ist nach Hea-       zung von KT bei schwer alkoholabhngigen Wohnungslo-
                                                                                                                                                                        ther (1995) und anderen Autoren (z. B. Kçrkel, 2001a) aus       sen die Zahl der Behandlungstermine von 10 auf 20 erhçht
                                                                                                                                                                        mehreren Grnden nicht gerechtfertigt:                          und berichten von positiven Erfahrungen mit dieser Ex-
                                                                                                                                                                            Erstens sprechen die wenigen RCTs, in denen schwer          tension.
                                                                                                                                                                        Alkoholabhngige per Zufall einer Abstinenz- oder KT-               Fnftens geben verschiedene Autoren zu bedenken,
                                                                                                                                                                        Behandlung zugewiesen wurden, nicht fr bessere Erfolge         dass es mçglicherweise nicht die Schwere der Abhngigkeit
                                                                                                                                                                        einer Abstinenztherapie. So kommt die IBTA-Studie von           per se ist, die schlechtere Behandlungsergebnisse bei KT-
                                                                                                                                                                        Sobell und Sobell (1984) bei „poor-prognosis, chronic alc-      und Abstinenzbehandlungen nach sich zieht, sondern die
                                                                                                                                                                        oholic state hospital patients“ (S. 413; davon 37 % mit         mit einer schweren Alkoholabhngigkeit assoziierten wei-
                                                                                                                                                                        schweren Entzugserscheinungen [Halluzinationen, Deliri-         teren, prognostisch ungnstigen Lebensfaktoren (Arbeits-
                                                                                                                                                                        en etc.]) – im Jellinekschen (1960) Sinne „Gamma-Alko-          und/oder Wohnsitzlosigkeit, psychiatrische Komorbiditt,
                                                                                                                                                                        holiker“ – zum bereits berichteten Ergebnis, dass die Pa-       instabile soziale Netzwerke etc.; Heather, 1995, S. 1161;
                                                                                                                                                                        tienten mit KT-Behandlung besser abschnitten als dieje-         Sobell & Sobell, 1995a, S. 1150).
                                                                                                                                                                        nigen mit Abstinenzbehandlung. Differenziert man inner-
                                                                                                                                                                        halb dieser Stichprobe nochmals nach der Anzahl frherer
                                                                                                                                                                        Hospitalisierungen (als weiteren Indikator der Abhngig-        Zielvorstellungen und Zielentscheid
                                                                                                                                                                        keitsschwere), ergeben sich ebenfalls keine Belege fr die      des Patienten
                                                                                                                                                                        Schweregradhypothese (Maisto, Sobell & Sobell, 1980).
                                                                                                                                                                            Zweifel an der Besttigbarkeit dieser Hypothese erge-       Eine Vielzahl Studien kommt zum Ergebnis, dass die
                                                                                                                                                                        ben sich auch daraus, dass eine schwere Alkoholabhn-           Zielwahl des Patienten (Abstinenz oder KT) einen wich-
                                                                                                                                                                        gigkeit auch in Abstinenzbehandlungen mit schlechteren          tigen Prdiktor des Behandlungserfolgs darstellt (Adam-
                                                                                                                                                                        Behandlungsergebnissen einhergeht (z. B. Foy et al., 1984;      son, Sellman & Frampton, 2009; Bujarski, OMalley, Lunny
                                                                                                                                                                        Kfner, Feuerlein & Huber, 1988).                               & Ray, 2013; Rosenberg, 1993, 2004a). In den dazu durch-
                                                                                                                                                                            Zweitens widerspricht eine erhebliche Zahl randomi-         gefhrten Studien wurden der Behandlungsverlauf und das
                                                                                                                                                                        sierter und nicht-randomisierter Studien der „severity of       Behandlungsergbnis von Patienten geprft, deren Kon-
                                                                                                                                                                        dependence hypothesis“ (Booth, 1990, 2006; Dawe et al.,         sumziel mit dem Behandlungsziel bereinstimmte (z. B.
                                                                                                                                                                        2002; Elal-Lawrence, Slade & Dewey, 1986; Heather, Ro-          Enggasser et al., 2015) oder nicht bereinstimmte (z. B.

                                                                                                                                                                        SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
J. Kçrkel: Kontrolliertes Trinken: Eine bersicht                                  157

                                                                                                                                                                        Bujarski et al., 2013; im Regelfall KT-Ziel von Patienten in    zu erwarten sind, wenn sich Patienten in Abstinenzbe-
                                                                                                                                                                        Abstinenzbehandlung). Vier zentrale Ergebnisse zeichnen         handlung befinden, obwohl sie keine Abstinenz anstre-
                                                                                                                                                                        sich ab:                                                        en (z. B. Bujarski et al., 2013; Dunn & Strain, 2013; Meyer
                                                                                                                                                                             Erstens: ber das gesamte Spektrum problematischen         et al., 2014; Mowbray, Krentzman, Bradley, Cranford, Ro-
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/0939-5911.a000367 - Thursday, January 23, 2020 4:57:13 AM - Bayerische Staatsbibliothek München IP Address:194.95.59.195

                                                                                                                                                                        Alkoholkonsums – von Risikokonsum bis Abhngigkeit –            binson & Grogan-Kaylor, 2013). Das erstaunt bereits
                                                                                                                                                                        strebt ein erheblicher Teil, meist die Mehrzahl der Betrof-     aufgrund der fehlenden therapeutischen Maßnahmen
                                                                                                                                                                        fenen, eine Konsumreduktion und nicht Abstinenz an (vgl.        zur Fçrderung des Reduktionsziels und i. d. R. fehlender
                                                                                                                                                                        z. B. Adamson & Sellman, 2001; Enggasser et al., 2015;          reduktionsorientierter Nachsorgeangebote nicht. Umso
                                                                                                                                                                        Hodgins, Leigh, Milne & Gerrish, 1997; Orford & Keddie,         berraschender ist es, dass Al-Otaiba et al. (2008) in einer
                                                                                                                                                                        1986a, 1986b; Sanchez-Craig, Annis, Bornet & MacDonald,         18-Monats-Katamnese die gleichen Behandlungserfolge
                                                                                                                                                                        1984; Sanchez-Craig, Leigh, Spivak, & Lei, 1989; Schippers      unabhngig davon festgestellten, ob die in Abstinenzbe-
                                                                                                                                                                        & Nelissen, 2006; Vollmer et al., 1982a, 1982b). Fokusiert      handlung befindlichen alkoholabhngigen Patientinnen
                                                                                                                                                                        auf die Alkoholabhngigen, fassen van Amsterdam und             Abstinenz anstrebten oder nicht.
                                                                                                                                                                        van den Brink (2013) die Studienlage wie folgt zusammen:            Viertens nimmt meist eine beachtliche Zahl Patien-
                                                                                                                                                                        „A sizeable fraction (20 – 80 %) of people with alcohol de-     ten whrend oder nach KT-Behandlungen (z. B. Enggasser
                                                                                                                                                                        pendence favour RRD [Reduced-Risk Drinking] over ab-            et al., 2015; Hodgins et al., 1997) oder Abstinenzbehand-
                                                                                                                                                                        stinence as a treatment goal“ (S. 994). Die Zielentschei-       lungen (z. B. Meyer et al., 2014) Zielwechsel vor. Bei
                                                                                                                                                                        dung treffen nach den vorliegenden Studien de facto die         Hodgins et al. (1997) entschieden sich mehr Patienten
                                                                                                                                                                        Patienten selbst – und diese fllt hufig gegen die Absti-      whrend einer KT-Behandlung fr Abstinenz als Patien-
                                                                                                                                                                        nenzzielvorgabe von Behandlungseinrichtungen aus. Als           ten in Abstinenzbehandlung fr KT; auch andere Studien
                                                                                                                                                                        illusionr bezeichnen deshalb Sobell und Sobell (1995a) die     berichten, dass KT-Behandlungen Abstinenzentscheide
                                                                                                                                                                        Annahme, dass „treatment goals are determined by service        begnstigen (Kçrkel, 2006; Miller et al., 1992; jehagen &
                                                                                                                                                                        providers“ (S. 1150).                                           Berglund, 1989). Bei Sanchez-Craig et al. (1984) fanden
                                                                                                                                                                             Zweitens verfolgen Patienten das Konsumziel (Absti-        sich hingegen die meisten Zielwechsler im Abstinenzbe-
                                                                                                                                                                        nenz oder Reduktion), das sie sich selbst gesetzt haben         handlungsarm (d. h. Wechsel vom Ziel der Abstinenz zu
                                                                                                                                                                        (z. B. Booth, 1990; Booth, Dale & Ansari, 1984; Chang,          dem des KT), wiederum andere Studien ermittelten gleich
                                                                                                                                                                        McNamara, Orav & Wilkins-Haug, 2006; Elal-Lawrence,             viele Zielwechsler von Abstinenz zu KT bzw. in umge-
                                                                                                                                                                        Slade & Dewey, 1986; jehagen & Berglund, 1989; San-            kehrter Richtung (Enggasser et al., 2015). Prognostisch
                                                                                                                                                                        chez-Craig et al., 1984; Sanchez-Craig & Lei, 1986), auch       entscheidend scheint das zu Behandlungsende gewhlte
                                                                                                                                                                        wenn dieses Ziel im Gegensatz zu dem in der Behandlung          Ziel zu sein (Hodgins et al., 1997; Meyer et al., 2014).
                                                                                                                                                                        vorgegebenen Ziel steht (z. B. Al-Otaiba, Worden, McC-          Nach einigen Studien begnstigt ein abschließender Ab-
                                                                                                                                                                        rady & Epstein, 2008). Von dieser „normativen Kraft des         stinenzentscheid einen katamnestisch gnstigeren Verlauf
                                                                                                                                                                        Faktischen“ ausgehend, empfiehlt McMurran (2006) KT-            (Adamson & Sellman, 2001; Hodgins et al., 1997), nach
                                                                                                                                                                        Behandlungen auch fr Nicht-Abstinenzwillige, die auf-          anderen fhren KT- und Abstinenzentscheide zu Behand-
                                                                                                                                                                        grund eines alkoholbezogenen Deliktes straffllig gewor-        lungsende zu keinem anderen Katamneseergebnis (Engg-
                                                                                                                                                                        den sind und Rast (2015) fr Subgruppen alkoholabhn-           asser et al., 2015; jehagen & Berglund, 1989).
                                                                                                                                                                        giger Bewohner von soziotherapeutischen Einrichtungen
                                                                                                                                                                        und Altenheimen.
                                                                                                                                                                             Drittens: Bessere Behandlungsergebnisse werden er-         Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
                                                                                                                                                                        zielt, wenn Patienten die Behandlung erhalten, die ihrem
                                                                                                                                                                        eigenen Konsumziel (Abstinenz oder KT) entspricht               In verschiedenen Studien ließ sich die „persuasion hypo-
                                                                                                                                                                        (Booth et al., 1984; Booth et al., 1992; Elal-Lawrence, Slade   thesis“ besttigen, wonach eine hohe Zuversicht bzw.
                                                                                                                                                                        & Dewey, 1986; Maisto, Sobell & Sobell, 1980; Lozano &          Selbstwirksamkeitsberzeugung (self-efficacy expectati-
                                                                                                                                                                        Stephens, 2010; Orford & Keddie, 1986a, 1986b; Sanchez-         on), KT praktizieren zu kçnnen, die Drop-out-Rate aus
                                                                                                                                                                        Craig et al., 1984; Schippers & Nelissen, 2006). Heather        einer KT-Behandlung, die konsumierte Alkoholmenge und
                                                                                                                                                                        et al. (2006) stellen in diesem Sinne nach Sichtung der in-     die Rckfallwahrscheinlichkeit verringert (Kavanagh, Si-
                                                                                                                                                                        ternationalen Forschungsliteratur fest: „Acceptance of a        tharthan & Sayer, 1996; Mackenzie, Funderburk & Allen,
                                                                                                                                                                        service users … drinking goal is likely to result in a more    1994; Orford & Keddie, 1986a) und umgekehrt Reduk-
                                                                                                                                                                        successful outcome“ (S. 24). Nach den Ergebnissen von           tionserfolge die Zuversicht erhçhen, dem schwerem Trin-
                                                                                                                                                                        Lozano und Stephens (2010) liegt dies u. a.daran, dass eine     ken widerstehen zu kçnnen (Walitzer & Connors, 2007).
                                                                                                                                                                        freie Zielwahl die Selbstverpflichtung zur Zielerreichung       Unter franzçsischen Alkoholismusbehandlern bildet die
                                                                                                                                                                        („commitment“) und die Zuversicht in die Erreichbarkeit         Zutrauen der Patienten in die Umsetzbarkeit von KT das
                                                                                                                                                                        des Ziels („self-efficacy“) erhçht. Fr die Wahl eines Re-      zweitwichtigste Indikationskriterium fr KT (Luquiens
                                                                                                                                                                        duktionsziels bedeutet das: „The patients choice to select     et al., 2011). Zur Erfassung der Zuversicht, in unter-
                                                                                                                                                                        RRD [Reduced-Risk Drinking] as the preferred treatment          schiedlichen Situationen kontrolliert trinken zu kçnnen,
                                                                                                                                                                        goal seems to be an important determinant for a successful      haben Sitharthan und Kollegen (Sitharthan, Job, Kava-
                                                                                                                                                                        outcome“ (van Amsterdam & van den Brink, 2013, S. 994).         nagh, Sitharthan & Hough, 2003; Sitharthan, Kavanagh &
                                                                                                                                                                        Es bedeutet auch, dass schlechtere Behandlungsergebnisse        Sayer, 1996; Sitharthan, Sitharthan, Hough & Kavanagh,

                                                                                                                                                                                                                                          SUCHT 61 (3)  2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
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