Krieg im Zuhause - ein Überblick zum Zusammenhang zwischen Kriegstraumatisierung und familiärer Gewalt - ein Überblick zum Zusammenhang ...
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Übersichtsarbeit · Review Article Verhaltenstherapie 2010;20:19–27 Online publiziert: 26. Januar 2009 DOI: 10.1159/000261994 Krieg im Zuhause – ein Überblick zum Zusammenhang zwischen Kriegstraumatisierung und familiärer Gewalt Claudia Catani English Version www.ka rger.com a vailable Klinische Psychologie, Fakultät für Psychologie, Universität Bielefeld, Deutschland /doi/10.1 at 159/000 261994 Schlüsselwörter Key Words Kriegstrauma · Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) · War trauma · Posttraumatic stress disorder (PTSD) · Familiäre Gewalt · Kindesmisshandlung Family violence · Child maltreatment Zusammenfassung Summary Die traditionelle Annahme eines «Zyklus der Gewalt» legt War at Home – a Review of the Relationship between War einen Zusammenhang zwischen Misshandlungserfahrungen Trauma and Family Violence im Kindesalter und der späteren Ausübung von Gewalt The common assumption of a ‘cycle of violence’ suggests a nahe. Die vorliegende narrative Übersicht beschäftigt sich relationship between a history of child maltreatment and mit der Frage, inwieweit die Erfahrung kriegerischer Gewalt the perpetration of violence as an adult. This review ad- mit einer Zunahme von Gewalt in Familien und insbeson- dresses the question whether the experience of war vio- dere von Kindesmisshandlung einhergeht. Dabei werden lence is associated with an increased perpetration of vio- zum einen Erkenntnisse herangezogen, die aus der For- lence within the family, in particular child maltreatment. A schung mit Kriegsveteranen und noch aktiven Rekruten re- number of studies with veterans indicate that war returnees sultieren, und zum anderen Studien, die mit zivilen Popula- are more aggressive towards their intimate partners. The tionen, Erwachsenen und Kindern in von Krieg betroffenen violence seems to be mediated by psychological disorders Ländern durchgeführt wurden. Verschiedene Untersu- associated with war trauma. Children in veterans’ families chungen legen eine Häufung von Beziehungsgewalt bei display more behavioral disturbances. However, it is unclear Männern, die aus militärischen Einsätzen zurückgekehrt whether these disturbances are signs of secondary trauma- sind, nahe und machen darüber hinaus deutlich, dass nicht tization associated with the fathers’ war trauma or whether die erlebten Kämpfe allein, sondern vor allem daraus resul- they are caused by a more frequent use of violence by the tierende psychische Störungen mit einer Zunahme von Ge- traumatized father. Important insights come from studies walt in der Partnerschaft zusammenhängen. Zur Situation showing that, even more than the veterans themselves, the der Kinder in Familien mit Kriegsveteranen ist die derzeitige mothers remaining at home show an increased amount of Studienlage unzureichend. Es ist unklar, ob die berichteten emotional or physical maltreatment towards their children. Verhaltensauffälligkeiten bei diesen Kindern eine Sekundär- Finally, evidence from families living in war-affected areas traumatisierung darstellen, die mit der väterlichen Kriegs supports the assumption of a transmission of war-related traumatisierung zusammenhängt, oder mit der vermehrten violence to the family level. War, together with its social Gewaltanwendung durch den traumatisierten Vater zusam- concomitants makes families particularly vulnerable to an menhängt. Zu berücksichtigen sind hier auch Arbeiten, die increased perpetration of violence towards their children. In zeigen, dass – häufiger als die Veteranen selbst – auch die conclusion, the evidence discussed here has important im- zu Hause verbleibenden Mütter emotionale und körperliche plications for the treatment of war-traumatized families as Gewalt gegen ihre Kinder ausüben. Befunde zu Familien, well as for the prevention of further use of violence on the die in Kriegsgebieten leben, stützen die Annahme, dass sich family level. kriegerische Gewalt auf die familiäre Ebene überträgt; sie zeigen, dass der Krieg mitsamt seinen sozialen Begleitum- ständen Familien besonders vulnerabel für eine häufigere Anwendung von Gewalt gegen Kinder macht. Aus den zu- sammengetragenen Befunden resultieren wichtige Implika- tionen für die Behandlung kriegstraumatisierter Familien und für die Prävention weiterer Gewalt bei den Betroffenen. © 2010 S. Karger GmbH, Freiburg Dr. Claudia Catani Universität Bielefeld, Fakultät für Psychologie Fax +49 761 4 52 07 14 Accessible online at: Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie Information@Karger.de www.karger.com/ver Postfach 100131, 33501 Bielefeld, Deutschland www.karger.com Tel. +49 521 106-4492, Fax -89012 claudia.catani@uni-bielefeld.de
Einleitung werden, sondern muss auch zivile Opfer organisierter Gewalt einbeziehen, welche die mit Abstand größte Gruppe von Be- Seit Jahrzehnten zeigt die Forschung übereinstimmend, dass troffenen bilden. Bei einer Vielzahl von Zivilisten, die von das gefährlichste Umfeld für Kinder die eigene Familie ist, multipler, organisierter Gewalt betroffen sind, wurden hohe weil hier die Wahrscheinlichkeit, Opfer von körperlicher Ge- PTBS-Raten festgestellt, z.B. bei Folteropfern [Campbell, walt zu werden, am größten ist [Gilbert et al., 2009]. Zahl- 2007], Kriegs- und Binnenflüchtlingen [Neuner et al., 2004b] reiche Studien wurden mit dem Ziel durchgeführt, Risikofak- sowie bei Asylsuchenden in westlichen Ländern [Silove et al., toren für das Auftreten von Kindesmisshandlung zu identifi- 1997; Steel et al., 1999]. zieren. Eine der zentralen Hypothesen lautet, dass selbst er- Zu den besonders vulnerablen Gruppen gehören die Kin- lebte Gewalt die spätere Anwendung von Gewalt begünstigen der, die in Kriegsgebieten aufwachsen oder daraus flüchten kann. Allerdings sind die Faktoren, welche diesem Zusam- müssen. Die Angaben verschiedener Studien reichen von menhang zugrunde liegen, nicht ausreichend geklärt. Disku- einer PTBS-Prävalenz bei Kindern und Jugendlichen von tiert werden vor allem lerntheoretische Mechanismen, die ge- 20% [Saigh, 1991] bis 44% auch noch Jahre nach dem trau- netische Prädisposition, der Einfluss psychopathologischer matischen Kriegsgeschehen [Schaal und Elbert, 2006]. Neu- Variablen sowie soziokulturelle Bedingungen. Die vorlie- ere epidemiologische Studien unserer Arbeitsgruppe mit gende Arbeit untersucht, ob sich auch Kriegsgewalt – ähnlich Kindern an den aktuellen Kriegsschauplätzen in Afghanistan wie es für Gewalterfahrungen in der Kindheit postuliert wird und Sri Lanka zeigen, dass bis zu ein Viertel der Kinder – nachfolgend in einer Zunahme aggressiven Verhaltens in neben einer PTBS auch komorbide affektive und somatische der Familie und möglicherweise einer Zunahme von Kindes- Probleme aufwies [Catani et al., 2008b, 2009b; Elbert et al., misshandlung niederschlägt. In einem narrativen Überblick 2009]. werden empirische Befunde zusammengefasst, die eine Ant- Über die unmittelbaren Effekte der Kriegserlebnisse hin- wort auf diese Frage geben können und aufzeigen, inwieweit aus ist die Entwicklung von Kindern in Kriegsgebieten durch gerade die systematischere Untersuchung von Familien, die eine große Bandbreite von sekundären Faktoren bedroht. von Krieg betroffen sind oder in Kriegsregionen leben, wich- Auch in Kriegsgebieten gilt die Regel, dass es in Hochrisiko- tige Hinweise zur Aufschlüsselung von Risikofaktoren für fa- gruppen zu einer systematischen Häufung von Risikofaktoren miliäre Gewalt gegen Kinder und die damit zusammenhän- für die kindliche Entwicklung kommt. So laufen Kinder, die gende psychische Beeinträchtigung bei den Betroffenen lie- bereits dem Krieg ausgesetzt sind, erhöhte Gefahr, weitere fern kann. Dabei erhebt die Übersicht nicht den Anspruch soziale und psychische Belastungen erdulden zu müssen, etwa einer repräsentativen Darstellung der Befunde zu Kindes- Obdachlosigkeit, Mangelernährung, den Verlust eines Eltern- misshandlung oder Partnergewalt generell, sondern verweist teils oder innerfamiliäre Gewalt [Pynoos et al., 1999; Shaw, an den entsprechenden Stellen auf andere Überblicksartikel. 2003]. Für ein Kind sind demnach nicht nur die individuellen Konsequenzen der unmittelbaren Kriegserfahrung relevant, sondern auch die vielschichtigen Folgen des Krieges auf das Unmittelbare psychische Folgen von Kriegsgewalt für familiäre Zusammenleben, auf das elterliche Erziehungsver- das Individuum halten und auf die sozialen und ökonomischen Verhältnisse, die seine Familie beeinflussen. Überlebende von Krieg und anderen Formen organisierter Gewalt leiden auch noch Jahre nach den traumatischen Er- lebnissen unter vielen psychischen Beeinträchtigungen. Stu- Zyklus der Gewalt dien mit Vietnam-Veteranen [Dohrenwend et al., 2006; Gold- berg et al., 1990; Richards et al., 1989, 1990] oder Soldaten, Die Annahme, dass Gewalt weitere Gewalt begünstigt, ist die aus Kampfeinsätzen im Irak oder in Afghanistan zurück- nicht neu. Bezogen auf innerfamiliäre Gewalt und Misshand- gekehrt sind [Hoge et al., 2004; Smith et al., 2008], weisen lungen in der Kindheit wurde schon vor Jahren die Hypothese hohe Raten an posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), eines «Zyklus der Gewalt» formuliert [Maxfield und Widom, damit einhergehenden depressiven Episoden und verstärktem 1996; Widom, 1989], der annimmt, dass Gewalt von Genera- Substanzmissbrauch bei den Betroffenen auf. Auch wenn tion zu Generation weitergegeben wird. Demnach erhöht die für das deutsche Militär derzeit keine empirisch gesicherten Erfahrung körperlicher Gewalt als Kind die Wahrscheinlich- Zahlen vorliegen, weist das wachsende Auftreten von Anpas- keit, als Erwachsener selbst Gewalt auszuüben und damit sungsstörungen und Stressreaktionen in den psychiatrischen einen kontinuierlichen Zyklus von Gewalt und Missbrauch Abteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser auf die negativen aufrechtzuerhalten. Eine Reihe von Studien hat diese Hypo- Folgen von Kampferfahrungen auf die psychische Gesundheit these überprüft und konnte eine intergenerationale Übertra- hin [Zimmermann et al., 2008]. gung von missbräuchlichem Verhalten zumindest zu einem Allerdings darf der Begriff «Kriegsopfer» nicht ausschließ- gewissen Ausmaß nachweisen [Dixon et al., 2005; Pears und lich oder primär auf Soldaten oder Kriegsveteranen bezogen Capaldi, 2001]. Während in der Vergangenheit die für den Zy- 20 Verhaltenstherapie 2010;20:19–27 Catani
klus der Gewalt verantwortlichen Mechanismen anhand lern- bei den Veteranen wie Wut, Vermeidungstendenzen und Af- theoretischer Grundsätze, insbesondere des Modelllernens fektverflachung. [Bandura, 1986], erklärt wurden, wird in den letzten Jahren Riggs und Mitarbeiter [1998] untersuchten die Qualität zunehmend diskutiert, dass Gen-Umwelt-Effekte an der Ver- der Paarbeziehung männlicher Vietnamveteranen mit und mittlung gewalttätigen Verhaltens beteiligt sein könnten. Die ohne PTBS und wiesen nach, dass 70% der «PTBS-Paare» prospektive Kohortenstudie von Caspi und Mitarbeitern klinisch bedeutsame Beziehungsprobleme wie häufigere [2002] und die Zwillingsstudie von Jaffee et al. [2005] berichte- Streits oder Probleme mit Intimität angaben, während dies ten eine Gen-Umwelt-Interaktion, die nahelegt, dass der Ein- nur bei 30% der «Nicht-PTBS-Paare» der Fall war. Die Be- fluss von kindlicher Misshandlung auf antisoziales Verhalten deutsamkeit der Diagnose PTBS wurde dadurch unterstri- im Jugendalter von der genetischen Prädisposition, bei Caspi: chen, dass das Ausmaß der Beziehungsprobleme mit der von der allelischen Ausprägung des MAO-A-Gens («low or Schwere der PTBS zusammenhing, insbesondere mit Symp- high MAO A activity»), abhängig ist. In Übereinstimmung mit tomen der Affektverflachung. Verschiedene Studien kamen diesen Befunden zeigte sich auch die Metaanalyse von Taylor zu ähnlichen Ergebnissen und belegen, dass Kriegsveteranen und Kim-Cohen [2007]. In der Diskussion um einen «Zyklus mit PTBS intime Beziehungen als weniger zufriedenstellend, der Gewalt» scheinen deterministische genetische Konzepte stärker konfliktbehaftet und zum Teil auch gewalttätiger be- somit unangebracht; das Augenmerk sollte vor allem auf Um- urteilen als Veteranen ohne PTBS [Carroll et al., 1985; Jor- weltvariablen liegen, die in Wechselwirkung mit der gene- dan et al., 1992; Solomon et al., 1987]. Auch die Scheidungs- tischen Prädisposition aggressives Verhalten wahrscheinlicher raten sind bei Kriegsveteranen mit PTBS deutlich erhöht machen. [Jordan et al., 1992; Kulka et al., 1990]. Ein Grund für die Vor diesem Hintergrund lässt sich auch diskutieren, inwie- Beziehungsprobleme scheint in einer stark erhöhten Aggres- weit psychopathologische Beeinträchtigungen als Folge er- sionsbereitschaft und vermehrter Gewalt der Kriegsvete- lebter Gewalt, insbesondere die PTBS, vermittelnd auf den ranen zu liegen. Bei aktiven militärischen Rekruten sowie Zusammenhang zwischen selbst erlebter und später ausge- bei therapieaufsuchenden Vietnam-Veteranen (und -Paa- übter Gewalt wirken. Gerade die bei der PTBS ausgeprägte ren) wurden alarmierend hohe Raten partnerschaftlicher Übererregungssymptomatik, bestehend aus Reizbarkeit und Gewalt festgestellt [Byrne und Riggs, 1996; Heyman und Wutausbrüchen, Schreckhaftigkeit und Hypervigilanz, legt Neidig, 1999; Jordan et al., 1992]. Die Studien legen nahe, nahe, dass sich diese Symptome auch in vermehrter Gewalt dass das Vorliegen einer PTBS, nicht die Kampferfahrung innerhalb der Familie äußern können. Die Studienlage dazu an sich bei Kriegsveteranen mit höherer Feindseligkeit und ist allerdings noch dürftig und uneinheitlich [Pears und Ca- mehr körperlicher Gewalt gegen die Partnerin einhergeht paldi, 2001]. Interessante Erkenntnisse liefert eine Metaana- [Carroll et al., 1985; Jordan et al., 1992; Watson et al., 1982]. lyse von 39 Studien zum Zusammenhang zwischen Wut und Vor allem das Übererregungs-Cluster der PTBS (D-Krite- Feindseligkeit einerseits und der PTBS-Diagnose bei Pati- rium) scheint mit erhöhter Wut und Gewalt zu korrespon- enten mit unterschiedlichen traumatischen Erfahrungen an- dieren [Savarese et al., 2001]. Über die PTBS hinaus lassen dererseits [Orth und Wieland, 2006]: Bei militärischen Stich- komorbide Traumafolgestörungen die Veteranen anfälliger proben mit Kriegstraumata zeigte sich eine deutlich stärkere werden für die Anwendung von Gewalt [Parrott et al., 2003; Assoziation zwischen PTBS und Wut/Feindseligkeit als bei Sherman et al., 2006]. Gerade das Zusammenspiel zwischen Stichproben mit anderen Traumatisierungen. traumatischen (Kampf-)Erfahrungen, PTBS und Substanz missbrauch oder -abhängigkeit sollte durch zukünftige Forschung genauer untersucht werden. Für Kriegsveteranen Kriegstraumatisierung und Gewalt zwischen Partnern scheint dies von zentraler Bedeutung zu sein; dies zeigen die kürzlich berichteten alarmierenden Zahlen zum deutlich Diese Befunde zu Wut und Feindseligkeit bei PTBS lassen es gesteigerten Alkoholkonsum, beispielsweise in Form von plausibel erscheinen, dass es in Familien mit traumatisierten «Binge drinking» nach Kampfeinsätzen [Jacobson et al., Eltern verstärkt zu Gewaltanwendung kommen kann. Eine 2008]. Reihe von vor allem US-amerikanischen Studien hat sich mit In den Studien, die einen Zusammenhang zwischen trauma- den Auswirkungen der Kampferfahrungen von Kriegsvete- bedingter Psychopathologie und Beziehungsgewalt belegen, ranen auf das familiäre Zusammenleben und die Gewalt zwi- bleibt allerdings unklar, inwieweit die schlechte Beziehungs- schen Partnern beschäftigt. Die Literatur dazu konzentriert qualität eine Folge der PTBS bei den Veteranen ist. Fehlende sich auf männliche Veteranen und ihre Partnerinnen; weibli- soziale Unterstützung durch eine positive, intime Beziehung che Rekruten bleiben bisher meist unberücksichtigt [Galovski könnte auch die Entstehung einer PTBS als Folge von Kriegs- und Lyons, 2003]. Als mediierende Faktoren wurden mit der erfahrungen begünstigen [Riggs et al., 1998]. Auch den ge- Kriegsgewalt verbundene psychische Erkrankungen, vor nauen Beitrag, den die unterschiedlichen pathologischen Fak- allem PTBS und Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit, be- toren für die Gewaltausübung leisten, gilt es durch zukünftige rücksichtigt sowie spezifische emotionale Folgeerscheinungen Forschungen zu definieren. Kriegstraumatisierung und familiäre Gewalt Verhaltenstherapie 2010;20:19–27 21
Kriegserfahrung der Eltern und Gewalt gegen Kinder Kampfeinsatzes [Gibbs et al., 2007; McCarroll et al., 2008; Rentz et al., 2007]. Anhand einer Zeitreihenanalyse der Daten Die Häufigkeit von Partnergewalt bei Kriegsheimkehrern legt zu Kindesmisshandlungen in Texas in den Jahren 2000–2003 die Vermutung nahe, dass ein solch aggressives Klima in der konnten Rentz und Mitarbeiter darlegen, dass die Melderate Familie nicht ohne Folgen für die im Haushalt lebenden Kin- von Kindesmisshandlungen in Militärfamilien im Verlauf der der bleibt. Forschungsbefunde zu familiärer Gewalt machen Zeit deutlich stärker fluktuierte als die Melderate in Familien deutlich, dass die Bezeugung von Gewalt zwischen den Eltern ohne Mitglied beim Militär. Insgesamt war die Zahl der ge- zu vergleichbaren psychischen Problemen bei den Kindern meldeten Fälle von Kindesmisshandlung in den Militärfami- führt wie die eigene Erfahrung von Gewalt [Margolin und lien eher niedriger als in nichtmilitärischen Familien; aller- Vickerman, 2007]. Zudem liegt die Annahme nahe, dass in dings änderte sich dies in den Phasen, in denen ein Krieg bzw. Familien, in denen Gewalt zwischen den Partnern stattfindet, Kampfeinsatz drohte. So verzeichnete die Misshandlungsrate auch Gewalt gegen die Kinder wesentlich wahrscheinlicher in Militärfamilien jeweils in den Zeiten den stärksten Zu- ist. wachs, in denen ein Familienmitglied in den Kampfeinsatz Leider ist die Befundlage zum Zusammenhang zwischen aufbrach oder aus einem solchen zurückkehrte. elterlicher Kriegstraumatisierung und missbräuchlichem Ver- Überraschenderweise stellte sich heraus, dass die Miss- halten gegenüber den eigenen Kindern noch sehr dürftig. handlung der Kinder in den meisten Fällen durch die nichtmi- Eine Reihe von Studien beschäftigte sich mit potenziellen litärischen Familienmitglieder in den Zeiten der Abwesenheit psychischen Belastungen und Entwicklungsbeeinträchti- des am Kampf beteiligten Elternteils erfolgte [Rentz et al., gungen im Sinne einer «sekundären Traumatisierung» bei 2007]. Zu übereinstimmenden Befunden kam eine Untersu- Kindern traumatisierter Kriegsveteranen [Dekel und Gold- chung von Kindesmisshandlungsfällen in 1770 Familien ak- blatt, 2008]. Allerdings wurde die innerfamiliäre Gewalt in tiver US-amerikanischer Soldaten: Der Anstieg von Vernach- den meisten Fällen nicht erfasst. lässigung und körperlicher Gewalt bei Kindern war primär Vermehrt haben Studien belegt, dass vor allem das Vorlie- den Müttern zuzuschreiben, die während des Kampfeinsatzes gen einer PTBS bei dem von Kriegstraumata betroffenen El- des Vaters mit dem Kind/den Kindern allein zurückblieben ternteil mit Problemen in der Beziehung zum Kind und in der [Gibbs et al., 2007]. Dies weist darauf hin, dass die Annahme Entwicklung des Kindes zusammenhängt: Kinder von Kriegs- einer Kausalkette von Kriegsgewalt, Traumafolgestörung und veteranen mit PTBS litten unter mehr psychischen Problemen Gewalt in den Familien von Soldaten eine zu grobe Vereinfa- als Kinder von Veteranen ohne PTBS [Caselli und Motta, chung darstellt. Offensichtlich stellt der Kriegseinsatz eines 1995; Davidson und Mellor, 2001]. Eine Untersuchung mit Soldaten eine enorme Belastung und möglicherweise Über- Vietnam-Veteranen machte deutlich, dass die Beziehung zwi- forderung für die zu Hause verbleibende Partnerin dar, was schen Vätern und Kindern insbesondere durch die der PTBS sich in einem äußerst dysfunktionalen und gewaltbesetzten zugehörige Affektverflachung beeinträchtigt wurde [Ruscio Erziehungsverhalten äußern kann. et al., 2002]. Die Autoren schlossen daraus, dass Variablen Die kleine Anzahl der Untersuchungen zu diesem Thema wie Desinteresse, innere Distanz und mangelnde emotionale genügt nicht, um das komplexe Gefüge von Kriegstraumata, Verfügbarkeit die Fähigkeit eines Vaters mindern, die Inter- psychischen Veränderungen der Betroffenen und Verhaltens- aktion mit seinem Kind zu suchen oder sich an dieser zu er- mustern innerhalb der Familie klar beschreiben zu können. freuen, was wiederum negative Folgen für die Entwicklung Um tatsächlich eine Aussage über die Häufigkeit von Gewalt und das psychische Wohlbefinden des Kindes nach sich zieht. gegen Kinder treffen zu können, dürfen sich Zahlen nicht auf Da allerdings in den genannten Studien auf die Erfassung selektive Stichproben bzw. gemeldete Misshandlungsfälle be- von Kindesmisshandlung verzichtet wurde, bleibt fraglich, in- schränken, sondern sollten auf repräsentativen Studien mit wieweit die psychischen Auffälligkeiten der Kinder tatsäch- Militärfamilien basieren. Von zentraler Bedeutung ist, dass lich eine mit dem Trauma des Vaters zusammenhängende Se- Kinder selbst befragt werden und nicht ausschließlich Aussa- kundärtraumatisierung darstellen. Sie könnten auch eine Re- gen der Eltern über ihre Erziehungsmethoden berücksichtigt aktion auf die mit der PTBS des Vaters zusammenhängende werden. Ähnlich wie bei Arbeiten zu Gewalt in Beziehungen Anwendung körperlicher Gewalt sein. Aufschlussreich ist mit einem militärischen Partner sollten auch in Studien zu diesbezüglich eine Studie von Harkness [1993], in der die Ver- Kindesmisshandlungen Mediatorvariablen wie die Schwere haltensauffälligkeiten der Kinder von Veteranen keinen Zu- des Traumas des vom Krieg betroffenen Elternteils sowie psy- sammenhang mit der Schwere der PTBS-Symptomatik des chische Beeinträchtigungen in Form einer PTBS oder Depres- Vaters aufwiesen; hingegen erwies sich das Ausmaß an famili- sion Berücksichtigung finden. Eine wichtige konfundierende ärer Gewalt als stärkster Prädiktor für diese Auffälligkeiten. Variable, die nur selten systematisch untersucht wurde, sind Erst in den letzten Jahren wurde Kindesmisshandlung in eigene belastende Kindheitserlebnisse bei den Soldaten. So Militärfamilien systematisch untersucht. Dabei wurden so- stellten Iversen und Mitarbeiter [2007] bei britischen Soldaten wohl Zeiten erfasst, in denen ein Elternteil (meist der Vater) vermehrt ungünstige Erfahrungen in der Kindheit, einschließ- im Einsatz war, als auch die Zeiten nach Beendigung des lich verbaler und körperlicher innerfamiliärer Gewalt, fest 22 Verhaltenstherapie 2010;20:19–27 Catani
und fanden darüber hinaus, dass derartige Erfahrungen die serer Arbeitsgruppe im Vordergrund, in denen Kinder in Vulnerabilität für PTBS-Symptome in Folge eines Kampfein- Afghanistan und Sri Lanka mit klinisch-diagnostischen Inter- satzes im Irak erhöhten [Iversen et al., 2008]. views untersucht wurden [Catani et al., 2008a, b, 2009b]. In Letztlich ist eine kausale Zuschreibung der Gewalt inner- beiden Ländern lag – über die Kriegserlebnisse hinaus – die halb der Familie an den Krieg nur auf der Grundlage von innerfamiliäre körperliche Gewalt wesentlich höher als in Längsschnittstudien möglich, in denen Rekruten sowie die zu- politisch stabileren, westlichen Ländern. So wurden deutliche rückbleibenden Familienmitglieder vor und nach einem Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit bei den Kin- Kampfeinsatz zu häuslichen Kommunikations- und Erzie- dern festgestellt. Bei den tamilischen Kindern lag die PTBS- hungsmustern befragt werden. Rate bei 30,4%, die der Depression bei 19,6%, während im Mittel jedes 5. der untersuchten Kinder in Kabul eine PTBS- Diagnose aufwies. In beiden Stichproben war das Ausmaß Zu Hause im Krieg belastender Kriegserfahrungen ein zentraler Prädiktor der familiären Gewalt. Während in Sri Lanka der väterliche Al- Ausgehend von den Befunden bei Familien, in denen ein El- koholkonsum sowie ein geringes familiäres Einkommen deut- ternteil in kriegerisches Geschehen involviert ist, stellt sich lich mit dem Ausmaß an Kindesmissbrauch zusammenhing, die Frage, wie komplex die Situation wird, wenn die gesamte spielten diese Variablen keine entscheidende Rolle bei der Familie von organisierter Gewalt betroffen ist oder an einem Aufklärung familiärer Gewalt in Afghanistan. Dort war je- Kriegsschauplatz lebt. Wie wächst ein Kind auf, wenn nicht doch Kinderarbeit ein entscheidender Faktor, der bei afgha- nur sein Vater traumatisiert ist, sondern auch seine Mutter, nischen Mädchen sehr deutlich mit dem Ausmaß an Gewalt seine Geschwister und vor allem es selbst wiederholten Trau- durch die Eltern zusammenhing. mata durch kriegerische Gewalt ausgesetzt ist? Mit welchen Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kinder in Folgen für die Entwicklung eines Kindes ist zu rechnen, wenn Kriegsregionen nicht nur von traumatischen Erlebnissen be- solche Traumata begleitet werden von den verheerenden troffen sind, die direkt mit dem kriegerischen Geschehen zu- Auswirkungen eines Kriegs auf das Schulsystem, die Gesund- sammenhängen, sondern auch durch (häufig kriegsbedingte) heitsversorgung und die generelle ökonomische Lage einer Belastungen in der Familie (Missbrauch, Alkoholkonsum) Gesellschaft? und der Gesellschaft (Kinderarbeit, Armut). Das spezifische Gerade im Hinblick auf diese Fragen fehlen empirische Zusammenspiel solcher Faktoren scheint Familien besonders Befunde, was wahrscheinlich an den schwierigen Bedingungen anfällig für Gewalt zu machen und damit psychische Beein- liegt, unter denen sich in Regionen und Ländern, die von poli- trächtigungen, insbesondere in Form von PTBS-Symptomen, tischer Gewalt betroffen sind, epidemiologisch-klinische Stu- bei den betroffenen Kindern zu begünstigen [Catani et al., dien durchführen lassen. Zusätzlich ist die Befragung von 2008a, b]. Kindern zu familiärer Gewalt durch Scham oder Loyalitäts- Offen bleibt, wie sich der Zusammenhang zwischen der konflikte in Bezug auf die Eltern erschwert, was zu verzerrten von Familien erlebten organisierten Gewalt und der Miss- Angaben führen kann. Vor allem repräsentative Studien, die handlung von Kindern erklären lässt. Zwei Hypothesen schei- Häufigkeiten und Zusammenhänge zwischen der Erfahrung nen denkbar: (1) Angesichts der Befunde zum Zusammen- von Krieg, familiärer Gewalt und psychischer Gesundheit sys- hang zwischen Kriegstraumatisierungen und Gewalt in der tematisch untersuchen, fehlen bislang. Familie [Galovski und Lyons, 2003] könnte die körperliche Erste Erkenntnisse liefert immerhin eine Forschungsarbeit Misshandlung von Kindern eine Konsequenz der aus der von Haj-Yahia und Abdo-Kaloti [2003] aus Israel, die in einer Traumatisierung entstandenen PTBS der Väter sein [McFar- nichtrepräsentativen Stichprobe von über 1000 palästinen- lane, 2009]. Daneben könnte auch dem vermehrten Alkohol- sischen Jugendlichen eine stark erhöhte Rate körperlicher konsum bei traumatisierten zivilen Kriegsüberlebenden [Ca- Gewalterfahrungen innerhalb der Familie nachgewiesen tani et al., 2008a, b] und Veteranen [Stewart, 1996] eine ent- haben. Als stärkster Prädiktor stellte sich die Anzahl der von scheidende Rolle zukommen. Immerhin ist hinreichend be- der Familie erlebten politischen Stressoren heraus (z.B. kol- legt, dass Kinder, die mit substanzmissbrauchenden Eltern lektive Bestrafungen, Verhaftung von Familienmitgliedern, zusammenleben, mit höherer Wahrscheinlichkeit Misshand- Ausgangssperren), die von den untersuchten Jugendlichen lungen ausgesetzt sind als Kinder, deren Eltern keinen Alko- angegeben wurden. In der Diskussion ihrer Befunde betonten hol und keine Drogen missbrauchen [Chaffin et al., 1996; die Autoren gesellschaftliche Faktoren, die bei der Betrach- Dube et al., 2001]. (2) Als zweite Hypothese lässt sich, insbe- tung von familiärer Gewalt berücksichtigt werden müssen, sondere für Familien in Konfliktregionen, anführen, dass Kin- und verweisen darauf, dass politische Stressoren psychische der mit einer steigenden Anzahl von Kriegstraumata und den Folgen für Eltern und Kinder haben können (z.B. Angst, damit wahrscheinlicher werdenden Symptomen einer PTBS Wut, Feindseligkeit, PTBS), die wiederum Risikofaktoren für Verhaltensauffälligkeiten zeigen wie Übererregung, Reizbar- familiäre Gewalt seien. Die Erfassung derartiger psychischer keit oder Wutausbrüche, die bei den Eltern häufigere körper- Konsequenzen stand bei zwei epidemiologischen Studien un- liche Bestrafungen hervorrufen können. Befunde zu kind- Kriegstraumatisierung und familiäre Gewalt Verhaltenstherapie 2010;20:19–27 23
licher Traumatisierung durch Misshandlung und Vernachläs- Untersuchung von Kindesmisshandlungen in kriegsbetrof- sigung belegen, dass gerade Störungen der Affektsteuerung fenen Ländern aufgrund der großen Varianz möglicher und der Impulskontrolle eng mit traumatischen Erfahrungen Risikofaktoren (Armut, Gewalt, Kinderarbeit usw.) eine Er- in der Kindheit zusammenhängen [Cicchetti und Toth, 1995; klärung der psychosozialen Mechanismen familiärer Gewalt, van der Kolk und Fisler, 1994]. Vereinzelte Untersuchungen die auch in anderen Ländern von Bedeutung sein könnten. in (Nach-)Kriegsgebieten konnten Zusammenhänge zwischen Kriegstraumatisierung und derartigen externalisierenden Ver- haltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen nachwei- Implikationen für die Therapie kriegstraumatisierter sen [Punamäki et al., 2001]. Eine kürzlich veröffentlichte Ar- Kinder und Familien beit zeigte anhand von zwei Stichproben palästinensischer Kinder, dass die Erfahrung militärischer Gewalt ausagie- Ein besseres Verständnis der komplexen Zusammenhänge rendes und aggressives Verhalten bei Kindern begünstigt zwischen Kriegserfahrungen einerseits und den damit verbun- [Qouta et al., 2008]. Zentral war der Befund, dass das Mitan- denen individuellen, familiären und gesellschaftlichen Verän- sehen militärischer Gewalttaten gegen andere ein noch stär- derungen (falls der Krieg im eigenen Land stattfindet) sollte kerer Prädiktor der kindlichen Aggression war als selbst er- primär dem Ziel dienen, adäquate und auf die vorhandenen lebte kriegsbezogene Gewalt. Dies legt nahe, dass Kinder, die Bedingungen zugeschnittene Programme zur Prävention von in jahrelangen gewaltsamen Konflikten aufwachsen, sogar Gewalt bzw. zur Behandlung der Gewaltfolgen zu entwickeln. dann eine erhöhte Vulnerabilität für aggressives Verhalten Kriegstraumatisierungen sind nicht nur ein umgrenztes entwickeln, wenn sie nicht selbst Opfer der organisierten Ge- Problem der jeweils betroffenen Einzelnen, vielmehr müssen walt werden. Einen moderierenden Einfluss können jedoch all jene Systeme berücksichtigt werden, die von der Erfahrung elterliche Erziehungspraktiken nehmen. So zeigte sich in der organisierter Gewalt und ihren Folgen erschüttert werden. gleichen Studie, dass positives Verhalten und Unterstützung Gleiches gilt für die Entwicklung psychotherapeutischer In- durch die Eltern den Zusammenhang zwischen Kriegsgewalt terventionen. Bisher stand vor allem die Individualtherapie und aggressivem Verhalten der Kinder schwächte, wohinge- kriegstraumatisierter Kinder und Erwachsener mit PTBS im gen eine bestrafende Haltung der Eltern ihn verstärkte [Qouta Zentrum des Forschungsinteresses. Gerade weil die PTBS et al., 2008]. Diese Erkenntnis deckt sich mit einer Reihe von und komorbide psychische Beeinträchtigungen als vermit- Studien, die einen Zusammenhang zwischen körperlicher telnde Faktoren zwischen Kriegserlebnissen und aggressivem Misshandlung durch die Eltern und aggressiven, externali- Verhalten gegenüber Familienangehörigen nachgewiesen sierenden Problemen bei den Kindern feststellen konnten werden konnten, kommt der Behandlung der PTBS auch in [Dodge et al., 1990; Kolko, 1992]. Bezug auf das familiäre Wohlergehen eine tragende Rolle zu. Somit scheint es einleuchtend, dass die mit Kriegstraumati- Insbesondere traumafokussierte kognitiv-verhaltenstherapeu- sierung und PTBS einhergehenden externalisierenden, ag- tische Methoden haben sich in der Vergangenheit als erfolg- gressiven Verhaltensweisen von Kindern elterliche Gewalt reich bei der Reduktion von PTBS-Symptomen sowie damit begünstigen. Allerdings existieren bisher keine Befunde, die einhergehenden funktionalen Beeinträchtigungen erwiesen. eine solche Kausalität tatsächlich belegen. Es finden sich le- Behandlungsverfahren wie die kognitive Verarbeitungsthera- diglich Zusammenhänge zwischen bestimmten Störungsbil- pie und die prolongierte Exposition führten bei traumatisier- dern, Verhaltensweisen von Kindern und der Erfahrung elter- ten Kriegsveteranen zu einem signifikanten Rückgang der licher Gewalt. Unklar bleibt weiterhin, wie sich dieses Muster PTBS-Symptome [Monson et al., 2006] sowie begleitender de- kausal auflösen lässt. Rufen die aus der Kriegstraumatisierung pressiver Symptome [Rauch et al., 2009]. resultierenden psychischen Symptome der Kinder vermehrte Bei Kindern und Erwachsenen in (Nach-)Kriegsgebieten, körperliche Bestrafungen durch die Eltern hervor, oder sind die multiple Erfahrungen organisierter Gewalt überlebt die Symptome eine Konsequenz der additiven Wirkung von haben, hat sich vor allem die narrative Expositionstherapie Kriegstraumata und Misshandlungen? Naheliegend ist, dass (NET) [Neuner et al., 2008a, b; Schauer et al., 2005] als wirk- sich beides gegenseitig verstärkt. Die einzige Möglichkeit, Ur- sam zur Behandlung der chronischen PTBS bewährt. Rando- sache und Wirkung in diesem Zusammenhang empirisch zu misierte kontrollierte Studien mit verschiedenen, von Bürger- belegen, sind Längsschnittstudien, im Rahmen derer Kinder krieg und Verfolgung betroffenen Populationen in Ruanda zu verschiedenen Zeiten ihrer Entwicklung zu traumatischen [Schaal et al., 2009], Sri Lanka [Catani et al., 2009b], Uganda Lebenserfahrungen, psychopathologischen Auffälligkeiten [Neuner et al., 2004a, b, 2008a, b] und Rumänien [Bichescu et und selbst erlebter sowie bezeugter innerfamiliärer Gewalt al., 2007] haben die Wirksamkeit der NET bei der Behand- befragt werden. lung der PTBS sowie komorbider depressiver Symptome und Aufgrund vieler konfundierender Variablen (Kultur, somatischer Beschwerden belegt. Armut usw.) ist der Vergleich der Häufigkeit von Kindesmiss- Betrachtet man jedoch die Familien, zeichnet sich ein deut- handlungen in industrialisierten Staaten und Entwicklungs- liches Forschungsdesiderat ab, das sich sowohl auf die Be- ländern im Krieg wenig aussagekräftig. Dagegen erlaubt eine handlung der Konsequenzen von Kriegserfahrungen bezieht 24 Verhaltenstherapie 2010;20:19–27 Catani
als auch auf die Entwicklung präventiver Maßnahmen, um sam zu bewältigen. Dabei sollte das Augenmerk vor allem der während oder nach einem Kriegseinsatz in der Familie auf Familien gerichtet sein, die durch zusätzliche Stressoren entstehenden Gewalt gegen Kindern zuvorzukommen. wie Arbeitslosigkeit und Armut sowie Risikofaktoren für Erste paartherapeutische Behandlungsansätze für Kriegs- aggressives Verhalten, z.B. traumabezogene psychische Er- veteranen wurden entwickelt, welche die PTBS-Symptoma- krankungen und Alkoholmissbrauch bei rückkehrenden Ve- tik mit ihren Folgen für die Partnerschaft berücksichtigen. teranen, besonders vulnerabel für das Auftreten ungünstiger Erbes und Kollegen [2008] haben die integrativ-behaviorale und gewaltbesetzter Interaktionsmuster sind. Eine gezielte Paartherapie (IBCT) vorgestellt, die darauf ausgerichtet ist, Unterstützung von Eltern, die durch organisierte Gewalt konfliktbehaftetes Verhalten zu reduzieren und Intimität traumatisiert wurden, könnte nicht nur die Gefahr weiterer zwischen den Partnern zu fördern. In eine ähnliche Richtung Gewaltanwendung innerhalb der Familie reduzieren, son- geht die «Cognitive-Behavioral Conjoint Therapy» (CBCT), dern auch positive Verhaltensmuster (Unterstützung, Zu- welche gezielt für Kriegsveteranen mit PTBS und ihre Part- wendung) fördern und damit die Resilienz der Kinder gegen nerinnen entwickelt wurde und negative Wechselwirkungen psychische Störungen stärken. So fanden Daud und Mitar- zwischen PTBS und Beziehungskonflikten aufbrechen soll beiter [2008] in einer Untersuchung von Kindern irakischer [Monson et al., 2008]. Mit verhaltensbasierten Übungen zur Folteropfer, dass ein unterstützender Familienzusammen- förderlichen Kommunikation zwischen den Partnern und halt einen wichtigen Indikator für die kindliche Resilienz kognitiven Interventionen gegen Denkmuster, die den Kon- gegenüber PTBS-verwandten Symptome darstellte. Damit in flikt aufrechterhalten, rückt die CBCT nicht den Veteranen Einklang steht das von Gewirtz et al. [2008] postulierte Mo- allein, sondern das Paar als gemeinsam beeinträchtigte dell, das in der Vermittlung positiver Erziehungsmethoden Einheit in den Fokus der Therapie. Auch wenn Einzelfall- durch das «Oregon Model of Parent Management Training» darstellungen die Förderlichkeit dieser Ansätze nahelegen (PMTO) eine Möglichkeit sieht, die psychische Gesundheit [Erbes et al., 2008; Monson et al., 2008], fehlt bislang die und Anpassungsfähigkeit von Kindern im Umfeld von empirische Evidenz, um die Effektivität der Interventionen Massengewalt zu fördern. Allerdings weisen die Autoren beurteilen zu können. Ähnliches gilt auch für Behandlungs- auch hier darauf hin, dass systematische Forschungsansätze ansätze, welche die gesamte Familie von heimkehrenden bislang fehlen. Kriegsveteranen berücksichtigen [Sammons und Batten, Eine noch zentralere Bedeutung hat die Entwicklung prä- 2008]. Angesichts der großen Zahl amerikanischer Soldaten, ventiver und therapeutischer Interventionen in Gesell- die derzeit in kriegerischen Einsätzen sind, steigt zwar das schaften, in denen Krieg und gewaltsame Konflikte alltäglich Interesse an Therapieprogrammen für die betroffenen Fami- sind. Vulnerabilisierende Faktoren sind hier selten nur inner- lien. Die vorhandene Literatur zu diesem Thema beschränkt halb der Familie zu finden, sondern charakterisieren oft ge- sich bisher jedoch auf Empfehlungen für die klinische Praxis sellschaftliche Notstände und äußern sich z.B. in Armut, man- [Lincoln et al., 2008]. Ein zentraler Aspekt bei der Präven- gelnder Bildung, allgemein geschwächter körperlicher Ge- tion von Gewalt gegen Kinder scheint die Begleitung der zu- sundheit oder Kinderarbeit. Therapeutische Ansätze, die den rückbleibenden Mütter während des Einsatzes ihrer Partner Zyklus aus organisierter Gewalt, traumabezogenen psy- zu sein. Die Zunahme von emotionaler und körperlicher chischen Erkrankungen bei Eltern und Kindern und vermehr- Gewalt gegen Kinder in dieser Zeit [Gibbs et al., 2007] weist ter innerfamiliärer Misshandlung durchbrechen wollen, müs- darauf hin, dass Überforderungs- und Überlastungsgefühle sen neben der individuellen und familiären Ebene auch die bei den Müttern zu einem hohen Stresslevel führen und sich gesellschaftlichen Einflussfaktoren berücksichtigen. So kann in inadäquater oder mangelnder erzieherischer Betreuung, die Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder durch ein Verbot d.h. in Vernachlässigung, niederschlagen können. Interven der Kinderarbeit in Afghanistan nur wenig Erfolg haben, tionen für Kriegsbetroffene und ihre Familien sollten sich wenn nicht gleichzeitig andere Erwerbsmöglichkeiten geschaf- daher nicht auf die Zeit nach einem Kampfeinsatz beschrän- fen werden, die der Familie das Überleben garantieren. Die ken, sondern in ein Programm eingebettet sein, das Solda- Situation in solchen Ländern zeigt, dass das psychologische ten, Partnerinnen und Kinder auf den Einsatz vorbereitet, Problem auch ein politisches Problem ist, sodass Interventi- die zurückbleibenden Familienmitglieder durchgehend be- onen, die sich auf die psychische Gesundheit beziehen, nicht gleitet und schließlich dem traumatisierten Veteranen und auskommen können, ohne gleichzeitig die politisch-gesell- seiner Familie hilft, die Folgen des Kriegseinsatzes gemein- schaftlichen Nöte wahrzunehmen und zu bekämpfen. Kriegstraumatisierung und familiäre Gewalt Verhaltenstherapie 2010;20:19–27 25
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