Ländliche Regionen verstehen - Fakten und Hintergründe zum Leben und Arbeiten in ländlichen Regionen - BMEL
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LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Inhalt 1 Einleitung 04 – 05 2 Wie wichtig sind ländliche Regionen für uns? 06 – 07 3 Was sind ländliche Regionen? 08 – 13 4 Was sind die Trends der ländlichen Entwicklung? 14 – 17 5 Was bieten ländliche Regionen, wo liegen die Herausforderungen? 18 – 35 Wohnen 20 Arbeit 22 Flächennutzung 24 Grundversorgung 26 Gesundheit 28 Bildung 30 Erreichbarkeit 32 Erholung 34 6 Wie werden ländliche Regionen gefördert? 36 – 41 2
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Liebe Leserinnen und Leser, die ländlichen Räume sind eines meiner Herzensthemen. setzung ist, sorgen wir mit Nachdruck dafür, dass ländliche Schließlich leben mehr als die Hälfte unserer Bürgerinnen Regionen Anschluss an die Digitalisierung bekommen. und Bürger auf dem Land. Es ist deshalb das Ziel unseres Weiterhin fördern wir das wertvolle ehrenamtliche Enga- Ministeriums, unsere Dörfer, unsere Kleinstädte mit ihren gement. Mit der Errichtung einer Deutschen Ehrenamts- vielfältigen Potenzialen als eigenständige Lebens- und stiftung soll das Ehrenamt ein starkes Rückgrat erhalten. Wirtschaftsräume weiter zu stärken und als attraktive Auch fördern wir mehr Hauptamt, um das Ehrenamt zu Lebensräume zu erhalten und weiterzuentwickeln. unterstützen. Hierfür braucht es Unterstützung und eine umfassende Mit der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Infrastruktur. Dabei sind der Breitbandausbau und die Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ wollen wir Dörfer Versorgung mit schnellem, flächendeckendem Mobilfunk und strukturschwache ländliche Räume gezielt stärken - genauso wichtig wie die Sicherstellung der Mobilität der insbesondere für attraktive Ortskerne und eine erreichbare Menschen vor Ort und deren Daseinsvorsorge. Wir müssen Grundversorgung. aber auch die Gemeinschaft und den Zusammenhalt im Blick behalten. Denn das Miteinander bedeutet immer auch Neu ist die Einführung eines „Gleichwertigkeits-Checks“. mehr Lebensqualität. Daher wollen wir lebendige Ortsge- Bei allen Gesetzesvorhaben prüfen wir künftig besonders, meinschaften erhalten und ehrenamtliches Engagement welche Wirkungen sie auf die Chancengerechtigkeit der fördern. Menschen in Stadt und Land haben. Eine wichtige Aufgabe unserer Politik ist es deshalb, die Es muss aber jedem klar sein: Die ländliche Entwicklung ist gleichwertigen Lebensverhältnisse sicherzustellen. Denn ob eine Gemeinschaftsaufgabe. in der Großstadt oder auf dem Land: So unterschiedlich das Leben in Deutschland ist, es muss gleichwertig lebenswert Sie kann nur gelingen, wenn sich alle beteiligen. Bund, sein. Wir haben als Bundesregierung ein Maßnahmenpaket Länder, Kommunen, aber auch die gesamte Gesellschaft vor für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land Ort. Gemeinsam kann es uns gelingen, dass künftig die ein- beschlossen. gangs angesprochenen Potenziale wieder im Fokus stehen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre! schaft spielt dabei eine tragende Rolle: Wir aktivieren Dorfgemeinschaften über das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung. Und wir unterstützen sie dabei, innovative Lösungen zu entwickeln, zu erproben und an andere weiterzugeben. Damit gestalten wir Perspektiv- und Innovationsräume auf Julia Klöckner dem Land. Da eine digitale Infrastruktur hierfür Voraus- Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft 3
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN 1 Einleitung Etwa 90 Prozent der Fläche Deutschlands sind ländlich geprägt. Wäh- rend die einen ländliche Regionen mit Natur, Platz zum Wohnen oder romantischer Idylle verbinden, denken die anderen eher an Abwande- rung, schwache Infrastruktur oder Überalterung. Die typische länd- liche Region an sich gibt es nicht. So vielfältig wie die Menschen und Landschaften, so unterschiedlich sind Wirtschaftskraft, Alters- und Infrastruktur oder Kultur der ländlichen Regionen. Für alle gilt: Auch in Zukunft wollen Menschen dort leben und arbeiten. Immerhin leben hier mehr als die Hälfte der Einwohner Deutschlands. 4
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Die Bedeutung ländlicher Regionen für Leben und Ar- ländlicher Regionen voranzubringen. Dazu gehören eine beiten, Wirtschaft und Kultur in Deutschland kann nicht ausreichende Grundversorgung und leistungsfähige Infra- hoch genug eingeschätzt werden. Sie sind die Basis für die struktur ebenso, wie hohe Wirtschafts- und Innovations- Lebensmittel- und Energieversorgung und bieten Raum kraft, Arbeitsplätze, attraktive Ortskerne und ein starkes für Erholung. Zugleich bestehen große Herausforderun- bürgerschaftliches Engagement in Dörfern, Gemeinden gen, denen sich Politik und Gesellschaft stellen müssen. und Städten auf dem Land. Die Kulturlandschaften und Attraktive ländliche Regionen brauchen attraktive Rah- natürlichen Ressourcen müssen bewahrt und gepflegt menbedingungen: wirtschaftliche, soziale, kulturelle und werden, auch um den hohen Erholungswert ländlicher ökologische. Dafür müssen alle an einem Strang ziehen: Regionen zu sichern. Bund, Länder und Gemeinden, Wirtschaft, Vereine und Gruppen wie auch Bürgerinnen und Bürger von jung bis Bei der Weiterentwicklung der Politik für ländliche Regio- alt. nen fließen Erkenntnisse aus der Regionalstatistik und der Wissenschaft ebenso ein wie Stellungnahmen des Sach- Die Auswirkungen des demografischen Wandels stellen verständigenrates Ländliche Entwicklung. Nicht zuletzt viele ländliche Regionen vor große Aufgaben. Ziel und die Erwartungen und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Aufgabe aller Akteure muss es sein, gleichwertige Lebens- Bürger bezüglich der Lebensqualität im ländlichen Raum verhältnisse zu schaffen und die nachhaltige Entwicklung sind von Bedeutung. Etwa 90 Prozent der Fläche in Deutschland sind ländlich geprägt. Etwa 47 Millionen schen leben auf dem Land; das sind mehr als die Men- Hälfte der Einwohner Deutschlands. Über 80 Prozent der Fläche Deutschlands werden für unsere Lebensmittel- und Rohstoffversorgung land- und forstwirtschaftlich genutzt. nicht-ländliche ländliche Kreise Kreise Quelle: Thünen-Institut 2016 5
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN 2 Wie wichtig sind ländliche Regionen für uns? Lebensqualität und Wirtschaftskraft - unter diesen Schlagwörtern lässt sich die Bedeutung ländlicher Regionen für unser Leben in Deutschland zusammenfassen. Sie sind Naturraum, Ort für Erholung und Rückzug, Zuhause und Heimat. Ländliche Regionen sind mit star- ken mittelständischen und landwirtschaftlichen Unternehmen zugleich wichtige Wirtschaftsstandorte und Orte von Innovation. 6
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Ländliche Regionen bieten vielfältige In ländlichen Regionen haben Vereinsleben, Brauchtum und Gemeinschaftsgefühl eine besondere Tradition. Ressourcen Besonders positiv bewerten die Menschen dort ihr Wohn- Ländliche Regionen sind wichtig wegen ihrer Rohstoff-, eigentum und die attraktive Landschaft. Lebensqualität, Erholungs- und Ausgleichsfunktion. Diese können sie Freizeitaktivitäten, Naturerleben – der Tourismus boomt, langfristig nur ausüben, wenn ihre natürlichen Ressour- Millionen Menschen finden Erholung und Ausgleich auf cen erhalten und nutzbar bleiben. Deshalb ist der Schutz dem Land. Deutschlands ländliche Regionen bieten eine der natürlichen Ressourcen eines der prioritären Ziele Fülle an Natur- und Kulturlandschaften – von den Mar- der Bundesregierung. Ein wichtiger Bereich ist dabei der schen und Seen im Norden über die waldreichen Mittelge- Schutz der nicht vermehrbaren Ressource Boden und birge bis zu den Alpen. Die Bundesregierung fördert den seiner Funktionen für den Naturhaushalt. So setzt sich die Erhalt und die Pflege der Kulturlandschaften und trägt Bundesregierung dafür ein, die Inanspruchnahme von zum Schutz der Artenvielfalt in Deutschland bei. land- und forstwirtschaftlichen Flächen – etwa durch Bebauung – zu begrenzen. LÄNDLICHE REGIONEN IN ZAHLEN: Eine Aufgabe des Staates besteht darin, Rahmenbedin- MEHR ALS LANDWIRTSCHAFT gungen für gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat das Ziel, dies gemeinsam mit anderen Bundesressorts, Ländern und MOTOR DER ENERGIEWENDE Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürgern vor Ort in den ländlichen Regionen zu verwirklichen. Dafür hat 13,1 Prozent betrug 2017 der Anteil die Bundesregierung eine Kommission „Gleichwertige erneuerbarer Energien am gesamten Primärenergieverbrauch Lebensverhältnisse“ eingesetzt, die bis zum Jahr 2020 in Deutschland. Den Löwenanteil am Primärenergieverbrauch Vorschläge unterbreiten soll, damit die Regionen mit ihren der erneuerbaren Energien macht die Bioenergie mit 54 Prozent verschiedenen Vorzügen den Menschen gute Chancen aus, gefolgt von der Windenergie mit knapp 26 Prozent. bieten, unabhängig davon, ob sie auf dem Land oder in der Stadt leben. ROHSTOFFQUELLE DEUTSCHLANDS: Ländliche Regionen bestimmen die BIOBASIERTE WIRTSCHAFT Zukunft unseres Landes mit Laut der jüngsten Agrarstrukturerhebung erzeugen rund 11 Millionen Hektar Wald liefern Holz 940.000 Menschen (einschließlich aller Familien- und für die Bau- und Werkstoffe und die Energieversorgung. Rund Saisonarbeitskräfte) in rund 275.000 landwirtschaftlichen 270.000 Hektar beträgt die landwirtschaftliche Fläche, auf der Betrieben jedes Jahr Nahrung und Rohstoffe im Wert von Industriepflanzen für Baustoffe, Schmierstoffe, Kunststoffe, über 50 Milliarden Euro. Aber ländliche Regionen sind Färbemittel, Arzneien und viele ähnliche Produkte wachsen. weit mehr als nur Landwirtschaft. Hier ist der Raum für mittelständisches Gewerbe, Dienstleistung, Handwerk, erneuerbare Energien, Forschung und Entwicklung. Die Situation ist in den Regionen sehr unterschiedlich: Wäh- BELIEBTES REISEZIEL rend einige Landstriche regelrecht aufblühen, fehlen in anderen Gebieten unternehmerische Investitionen, Infra- struktur und die Zahl der dort lebenden Menschen nimmt Mit 30 Prozent Marktanteil ist Deutschland das beliebteste Reiseziel deutschsprachiger Urlauber. Der ländliche ab. Die Versorgung mit modernem Breitbandinternet ist Raum verfügt über viele attraktive Urlaubsdestinationen und in einigen Regionen vorbildlich, während es in anderen landtouristische Angebote. Für die weitere Entwicklung des Regionen noch „weiße Flecke“ gibt. Tourismus im ländlichen Raum wird die konsequente Qualitäts- orientierung der Angebote von entscheidender Bedeutung sein. 15,4 Millionen Übernachtungen finden jährlich in Ferienwohnungen und Zimmern auf dem Bauernhof statt. 25 Prozent ihres Gesamtumsatzes und mehr er- wirtschaftet rund die Hälfte der Betriebe, die Urlaub auf dem Bauernhof anbieten, mit Tourismus. 7
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN 3 Was sind ländliche Regionen? Mag man zunächst auch Stadt und Land als Gegensätze verstehen, Tatsache ist, Stadt und Land gehören zusammen – sie brauchen einander. Eine einheitliche, in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft anerkannte Definition der ländlichen Regionen existiert nicht, da sie so vielfältig sind und so verschiedene Funktionen erfüllen. Die Debatte ist rege. Aber: Politik braucht Kategorien, um die Entwicklung in den Regionen vergleichen und gezielt fördern zu können. 8
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Was sind Merkmale ländlicher Regionen? Die Bundesländer legen die Gebiete fest, in die die Mittel des wichtigsten europäischen Förderinstrumentes für ländliche Regionen, des Europäischen Landwirtschafts- fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), fließen. Die Gemeinsamkeit dieser ländlichen Gebiete besteht darin, dass sie durch land- und forstwirtschaftliche Flä- chennutzung geprägt sind. Das Landschaftsbild bestim- men Dörfer, kleinere und mittlere Städte, die von Feldern, Wiesen und Wäldern umgeben sind. Wirtschaft und Arbeit werden durch kleine und mittelständische Unter- nehmen dominiert. Diese Strukturmerkmale prägen auch das Lebensgefühl, die Identität und den Zusammenhalt in den ländlichen Regionen. WAS KENNZEICHNET LÄNDLICHE REGIONEN? Klein- und mittelständische Wirtschaftsstrukturen Landschaft und Erholungsraum Niedrigere Bevölkerungsdichte, g r ö ß e r e Wo h n g r u n d s t ü c k e We i t ü b e r w i e g e n d e l a n d - u n d forstwirtschaftliche Flächen- nutzung Lokaler Zusammenhalt und r e g i o n a l e Ve r b u n d e n h e i t 9
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Lage und Erreichbarkeit Natur und Erholung Ein Merkmal ländlicher Regionen ist ihre Lage außerhalb Unterschiedlichste Landschaften mit ihren Eigenheiten oder abseits von Ballungsräumen. Aber auch Regio- prägen unser Land von der Nordsee bis zu den Alpen, von nen in der Nähe von Ballungszentren können eine länd- der Eifel bis zum Odertal. Wälder und Seen, Rad- und liche Struktur haben. In ländlichen Regionen liegen Klein- Wanderwege, Kultur und Gastronomie bieten eine reiche und Mittelstädte als Zentren, die wichtige Funktionen, Vielfalt an Erholungsmöglichkeiten. Die Karte zeigt den zum Beispiel für die Versorgung der Bevölkerung aus dem Anteil der unbebauten Flächen (ohne Wälder, Gewässer Umland, übernehmen. und Landwirtschaft), die dem Sport und der Erholung dienen, an der Gesamtfläche. Die Bevölkerungsdichte und die geografische Lage sind wichtige Merkmale, um ländliche Regionen zu klassifi- zieren. Die Lage lässt Rückschlüsse darauf zu, wie gut eine ländliche Region angebunden ist und wie gut Ballungs- zentren, dortige Arbeitsplätze und zentrale Versorgungs- einrichtungen für die Menschen, die auf dem Land leben, Kiel Rostock erreichbar sind. Lübeck Neubrandenburg Hamburg Schwerin Die folgende Karte zeigt, welche Regionen in Deutsch- land „peripher“, das heißt abseits von Ballungszentren, Bremen gelegen sind. Berlin Hannover Potsdam Magdeburg Münster Essen Dortmund Leipzig Duisburg Düsseldorf Dresden Erfurt Kiel Köln Rostock Aachen Bonn Lübeck Frankfurt Neubrandenburg am Main Hamburg Schwerin Mainz Bremen Würzburg Mannheim Nürnberg Berlin Saarbrücken Hannover Regensburg Potsdam Karlsruhe Magdeburg Stuttgart Münster Essen Dortmund München Leipzig Duisburg Freiburg im Düsseldorf Dresden Breisgau Erfurt Köln Aachen Bonn Frankfurt am Main Mainz Würzburg Anteil der Erholungsfläche an der Gesamtfläche Mannheim Nürnberg Saarbrücken Karlsruhe Regensburg unter 0,6 % 0,6 bis unter 1,0 % Stuttgart 1,0 bis unter 2,3 % 2,3 % und mehr München Quelle: Destatis, Stand 2014 Freiburg im Breisgau Raumtypen in Deutschland sehr zentral zentral peripher sehr peripher Quelle: BBSR, Stand 2010 10
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Land- und Forstwirtschaft Kiel Sowohl für die Lebensmittel- als auch für die Energie- Rostock und Rohstoffproduktion werden Anbauflächen benötigt. Lübeck Neubrandenburg Boden ist dabei eine Ressource, die nicht vermehrbar ist. Hamburg Schwerin Tatsächlich beträgt die landwirtschaftlich genutzte Fläche Bremen nur noch etwa die Hälfte Deutschlands, sie nimmt jedoch seit Jahren ab. Die Wälder in Deutschland verdienen im Berlin Hannover Hinblick auf ihren wirtschaftlichen Nutzen und ihre Potsdam Magdeburg Münster Bedeutung für Natur, Umwelt und Erholung besondere Aufmerksamkeit. Rund ein Drittel der Fläche Deutsch- Essen lands ist mit Wald bedeckt. Duisburg Dortmund Dresden Düsseldorf Leipzig Köln Erfurt Aachen Bonn Frankfurt am Main Kiel Rostock Mainz Würzburg Lübeck Neubrandenburg Mannheim Hamburg Nürnberg Schwerin Saarbrücken Karlsruhe Regensburg Bremen Stuttgart Berlin Hannover Potsdam Magdeburg Münster Freiburg im München Breisgau Essen Dortmund Leipzig Duisburg Düsseldorf Dresden Erfurt Köln Aachen Bonn Anteil der Landwirtschaftsfläche an der Gesamtfläche Frankfurt am Main Mainz unter 32,0 % 32,0 bis unter 41,8 % Würzburg 41,8 bis unter 50,7 % 50,7 bis unter 61,2 % Mannheim Nürnberg 61,2 % und mehr Saarbrücken Karlsruhe Regensburg Stuttgart Quelle: Destatis, Stand 2014 München Freiburg im Breisgau WAS DENKEN SIE ÜBER DAS LEBEN AUF DEM LAND? Anteil des Waldes an der Gesamtfläche 69 Prozent der Deutschen schätzen ländlich geprägte Gegenden unter 16,6 % 16,6 bis unter 28,2 % für ihre hohe Lebensqualität. Vor allem Bewohner klei- 28,2 bis unter 39,3 % 39,3 % und mehr nerer und mittlerer Städte halten das Land für einen attraktiven Ort zum Leben. Quelle: Destatis, Stand 2014 85 Prozent denken beim Thema „Ländliche Regionen“ an Erholung und Freizeit. 41 Prozent der Befragten sehen ländliche Regionen als bevorzug- ten Arbeitsort. Quelle: BMEL, Stand 2014 11
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Unterschiede innerhalb Deutschlands und in Europa Wachsende und schrumpfende Städte und eine sinkende Kaufkraft und zurückgehende Steuerein- Gemeinden nahmen. Wenn dann weniger Geld investiert wird, verstärkt das den negativen Trend. Ein Kreislauf, aus dem Der Trend zum Leben in städtischen Regionen ist vor Städte und Gemeinden nur schwer ausbrechen können. allem bei jüngeren Menschen ungebrochen. Doch nicht in allen ländlichen Regionen Deutschlands ist Aufgabe der Bundesregierung und der Bundesländer ist die strukturelle Entwicklung gleich. Während manche es, hier ausgleichend zu wirken und gleichwertige Chan- Regionen regelrecht boomen, kämpfen andere gegen cen und Lebensverhältnisse herzustellen, damit mehr Abwanderung und Schrumpfung. Von Schrumpfung Menschen in den ländlichen Regionen bleiben oder in betroffen sind dabei nicht nur ostdeutsche Regionen, diese zurückkehren können. sondern auch abgelegene und strukturschwache Regi- onen im Norden, Süden und Westen Deutschlands. Die Karte stellt die Verteilung von schrumpfenden und Schrumpfende Regionen sehen sich dabei besonderen He- wachsenden Regionen im bundesweiten Vergleich zwi- rausforderungen gegenüber: Die Bevölkerung nimmt ab, schen 2009 und 2014 dar. Schrumpfung wird gemessen da die Geburtenraten niedrig sind und immer mehr an der Bevölkerungsentwicklung, dem durchschnittli- Menschen fortziehen – unter anderem, weil weiterfüh- chen Wanderungssaldo, der Entwicklung der Erwerbsfä- rende Bildungsangebote fehlen und die Zahl der Arbeits- higen, der Beschäftigtenentwicklung, der Entwicklung plätze am Ort zurückgeht. Weniger Einwohner und ein der Arbeitslosenquote und der Gewerbesteuer. mangelhaftes Arbeitsplatzangebot bedeuten wiederum Kiel Rostock Lübeck Neubrandenburg Schwerin Hamburg Bremen Berlin Hannover Magdeburg Potsdam Münster Cottbus Halle/S. Essen Dortmund Leipzig Düsseldorf Kassel Dresden Erfurt Köln Chemnitz Bonn Aachen Frankfurt Wiesbaden am Main Mainz Würzburg Nürnberg Saarbrücken Mannheim Karlsruhe Regensburg Wachsende/schrumpfende Städte und Gemeinden Stuttgart Ulm stark schrumpfend schrumpfend stark wachsend wachsend Freiburg im München Breisgau stabil gemeindefreie Gebiete Quelle: BBSR 2016 12
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Städtische und ländliche Regionen in Europa überwiegend städtische Regionen halbstädtische Regionen überwiegend ländliche Regionen Quelle: Eurostat, Stand 2012; Einteilung der Regionen nach der EU-Raumtypologie LÄNDLICHE REGIONEN – EINE HERAUSFORDERUNG FÜR EUROPA Der Bayerische Wald, Tirol, die Toskana oder die Provence sind bekannte ländliche Regionen Europas. Nach der Definition von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union (EU), sind 90 Prozent der Fläche der EU ländlich oder überwiegend ländlich geprägt. Rund die Hälfte der europäischen Bevölkerung lebt in Gegenden, die unter diese Definition fallen. Auch die europäische Politik für die ländlichen Räume muss Antworten geben auf die Herausforderungen, die sich durch die große Vielfalt und die sehr unterschiedlichen Strukturen in diesen Regionen ergeben. Besonders abgelegene Regionen sind in ihrer Entwicklung beeinträchtigt – an den äußeren Grenzen der EU ebenso wie in den Grenzgebieten zwischen den Staaten der EU oder auch innerhalb der Mitgliedstaaten. BEISPIEL: GEMEINSAMER ARBEITSMARKT IN GRENZGEBIETEN VON BAYERN UND TSCHECHIEN Die Initiative der Industrie- und Handelskammer Re- Ob Forschungskooperationen, grenzüber- gensburg und der Wirtschaftskammer Pilsen hat einen schreitende Verkehrsmaßnahmen oder gemeinsame gemeinsamen bayerisch-tschechischen Wirtschafts- Berufsbildungsoffensiven und Cluster-Kooperationen raum zum Ziel. Die INTERREG-Initiative soll gezielt im Bereich Mechatronik – die Themen der Zusam- Impulse bei der Bildung von Netzwerken zwischen bay- menarbeit sind genauso vielfältig wie die Maßnahmen. erischen und tschechischen Unternehmen geben und Wechselseitige Seminarveranstaltungen und Beratungs- damit den Standort Ostbayern-Westböhmen stärken. tage tragen zur Vernetzung der Regionen bei. 13
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN 4 Was sind die Trends der ländlichen Entwicklung? Ländliche Regionen wandeln sich. Die großen gesellschaftlichen Themen wie Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Alte- rung, Zu- und Abwanderung und der Wandel von Lebensstilen verändern auch das soziale Leben und die Wirtschaft auf dem Land. Das birgt für ländliche Regionen zugleich Chancen und Risiken. Aber warum erfahren manche ländliche Regionen eine Aufwertung, wäh- rend andere Gefahr laufen, weiter zurückzufallen? Welche Standortfakto- ren sind entscheidend dafür, in welche Richtung sich ländliche Regionen entwickeln? Klar ist: Innovationen und kreative Köpfe sind ebenso gefragt wie tatkräftige lokale Akteure, um regional angepasste Lösungen zu ent- wickeln. 14
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Leben – Wohnen – Heimat Wie verändert sich das Leben DEMOGRAFISCHE ENTWICKLUNG auf dem Land? Der demografische Wandel in Deutschland ist deutlich sichtbar: Der Anteil der Menschen, die angeben, dass sie gerne Die Bevölkerung wird immer älter. Die Lebenserwartung steigt, „auf dem Land“ leben würden, ist seit Jahren hoch. Mehr während die Geburtenziffer auf niedrigem Niveau liegt und nur Lebensqualität, Entschleunigung, Heimat und Zugehö- leicht ansteigt. Diese Entwicklung stellt das ganze Land vor rigkeit – dies alles hofft man in ländlichen Regionen eher Herausforderungen. Vorhandene Ungleichgewichte zwischen den zu finden. Die persönliche Wahlfreiheit der Menschen Regionen und innerhalb der Regionen werden durch den demo- erlaubt ihnen, sich ihren Wohnraum und Lebensstil grafischen Wandel verschärft. Zur Aufrechterhaltung gleichwerti- weitestgehend nach ihren Wünschen zu gestalten. Mobi- ger Lebensverhältnisse bedarf es geeigneter Anpassungsmaßnah- lität und das Internet erleichtern diese Entwicklung. Vor men, etwa bei der Sicherung der örtlichen Daseinsvorsorge und allem Gemeinden mit guter Anbindung an Ballungsräume Nahversorgung. und erreichbaren Versorgungs- und Bildungsangeboten sowie attraktiven Ortskernen, Einkaufsmöglichkeiten, 100 Ärzten oder Kitas konnten in den letzten Jahren einen 80 Bevölkerungszuwachs verzeichnen. Demgegenüber stehen schrumpfende Regionen mit Bevölkerungsrückgang. Die- 60 se sind mit Herausforderungen an die Gestaltung der Inf- 40 rastrukturen und oft zunehmenden Leerstand verbunden. 20 Außerdem sind angepasste Lösungen für die Ärzteversor- 0% gung, wohnortnahe Kitas und Schulen, Gastronomie und 1930 1960 1990 2020 2050 Einzelhandel sowie flächendeckende Breitbandangebote Herausforderungen, die ländliche Regionen bewältigen müssen, wenn sie ein attraktives Lebensumfeld bieten Bevölkerung in Deutschland nach Altersgruppen wollen. 65 und älter 45 bis 64 20 bis 44 Wie können die Regionen 15 bis 19 6 bis 14 0 bis 5 Lebensjahre profitieren? Quelle: BIB, Stand 2015 Ziel der Bundesregierung ist es, allen ländlichen Regionen gleichwertige Entwicklungschancen zu ermöglichen. Mit dem Bundesprogramm Ländliche Entwicklung unter- kann begünstigende Voraussetzungen schaffen – gestaltet stützt das Bundesministerium für Ernährung und Land- und gelebt wird der Alltag in den Dörfern und Gemeinden wirtschaft die Erprobung innovativer Ansätze in der länd- jedoch von den Menschen selbst. Hier ist Zusammenar- lichen Entwicklung. Es soll dazu beitragen, die ländlichen beit sowohl im Bereich der bürgerschaftlichen Teilhabe Regionen als attraktive Lebensräume zu erhalten. Um das und der Stärkung des Ehrenamts als auch im Bereich der zu erreichen, brauchen wir die Unterstützung der Men- Kooperation der Kommunen untereinander gefragt, um schen vor Ort, der Wirtschaft und der Kommunen. Politik Lebensqualität zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. BEISPIELPROJEKT: WETTBEWERB „UNSER DORF HAT ZUKUNFT“ So unterschiedlich wie die ländlichen Regionen selbst, so Engagement und Verantwortung sind gefragt – so vielfältig sind die Ideen und Projekte im BMEL-Bundes- können Zukunftsperspektiven entstehen. Ein Beispiel ist wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“. Ein Dorf stärkt die Gemeinde Loikum in Nordrhein-Westfalen. Mittels die Freiwillige Feuerwehr, ein anderes einen Kindergar- eines selbst konstruierten Kabelpfluges verlegten die ten, hier eine Begegnungsstätte für die Älteren, dort die Bürger im Ort über 100 Kilometer Glasfaserleitung. Die dorftypische Gestaltung des Ortes, hier ein Schulgarten, eigens gegründete Teilnehmergemeinschaft sorgt für dort die Wege rund um den Ort – es ist eine enorme gleiche Anschlusskosten für alle Beteiligten. Von der Kreativität, die im Wettbewerb sichtbar wird. Die Men- Datenautobahn profitieren landwirtschaftliche und schen vor Ort schaffen durch ihre Ideen und Planungen nichtlandwirtschaftliche Unternehmen ebenso wie die eine nicht selten wieder neu entdeckte Gemeinschaft. Verwaltung und natürlich die einzelnen Bürger. Der Wettbewerb soll die Orte und die Menschen stärken. 15
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Arbeiten – Wirtschaft – Innovation Gesundheit und Bildung arbeiten, steigt. Und auch das pro- duzierende Gewerbe trägt auf dem Land in hohem Maße zur wirtschaftlichen Entwicklung ländlicher Regionen bei. Dort sind vor allem Ingenieure gefragt. Potenziale liegen bei mittelständischen Unternehmen, beim Handwerk, bei Klein- und Kleinstunternehmen, im Tourismus, in der Nutzung erneuerbarer Energiequellen, nachwachsender Rohstoffe sowie bei Lebensmitteln. Die nötigen Anpassun- gen an den Klimawandel befördern technische und digitale Innovationen und stärken Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien. Ein wachsendes Bewusstsein für nachhaltige Lebensweise und Tierwohl sorgt für eine zunehmende Nachfrage nach Bioprodukten, regionalen Erzeugnissen und innovativen Produkten aus nachwach- senden Rohstoffen. Welche Erwartungen haben Arbeitnehmer? Nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des ländlichen Arbeitsmarktes ändern sich, auch die Ansprü- Wie verändern sich ländliche che der Arbeitnehmer haben sich gewandelt. Flexible Er- werbsverläufe und ein lebenslanger Lernprozess gehören Wirtschaft und Arbeitswelt? zur Realität der meisten Menschen. Auch die Vereinbar- Der Anteil der Land- und Forstwirtschaft an den Arbeits- keit von Beruf und Familie ist ein zunehmend wichtiger plätzen ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten erheblich Faktor. Kitaplätze, medizinische Versorgung und famili- zurückgegangen. Auch hier unterliegt die Arbeit techni- enfreundliche Arbeitsmodelle spielen bei der Auswahl von schen Entwicklungen und der Digitalisierung. Die Zahl der Wohnort und Arbeitgeber eine Rolle und tragen damit zur Menschen, die in Dienstleistungsbereichen wie Logistik, Gewinnung von Fachkräften in den Regionen bei. HIGHTECH-KLEBSTOFF AUS WINDACH Nach anfänglichen Schwierigkeiten hält eine mittel- ständische Firma im bayerischen Windach ein ganzes Dorf jung und lebendig. In dem Gebäude inmitten von Feldern und Wiesen verbirgt sich ein Marktführer auf dem Gebiet der Industrieklebstoffe. Anfangs waren die Windacher misstrauisch, befürchteten Grundwasser verschmutzung durch Chemikalien oder sogar eine Explosion. Doch durch Information und Aufklärung konnten die Bedenken überwunden werden. Seit fast zehn Jahren floriert die Firma am neuen Standort. Land- flucht ist kein Thema mehr für Windach. Im Gegenteil: Immer mehr junge Familien ziehen in den Ort, die drei Kindergärten der Kommune sind voll ausgelastet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schätzen die Lage im Grünen. Durch eine Autobahnanbindung ist Windach gut an München angeschlossen. 16
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Naturschutz - Biodiversität - Landschaft Wie verändern sich rismus. Aber wie können ländliche Regionen, insbeson- dere die von demografischem Wandel und Abwanderung Natur und Naturerleben? besonders betroffenen Gebiete, dauerhaft vom Tourismus In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele Wälder profitieren? Deutschland ist mit einem Marktanteil von vielfältiger, Flüsse und Seen sauberer, Braunkohlereviere etwa einem Drittel aller Urlaubsreisen weiterhin das be- renaturiert, Moore wieder vernässt und einige früher vom liebteste Reiseziel der Deutschen. Für viele landwirtschaft- Aussterben bedrohte Arten wie Lachs, Uhu, Storch und liche Betriebe ist der Tourismus heute ein wirtschaftlich Luchs breiten sich wieder aus. Naturnaher Tourismus liegt bedeutender Einkommenszweig. Unternehmen rund um im Trend, ländliche Regionen sind beliebte Reiseziele. Ein den Tourismus wie Gastronomie oder Handwerk profitie- Beispiel dafür ist das „Grüne Band“. Entlang der ehema- ren von dieser Entwicklung. Auch dem Erhalt von Natur ligen innerdeutschen Grenze verbindet es viele beliebte und Kulturlandschaften kommt der Trend zum Urlaub auf Naturräume. Eine Chance, sowohl für die Natur als auch dem Land zugute. Herausforderung ist, Freizeitangebote die Wirtschaftskraft der Regionen, liegt im sanften Tou- und den Tourismus auch über die Zielgruppe Familien mit Kindern hinaus und außerhalb der Schulferien attraktiv zu machen. So kann er ländliche Regionen stärken. Schrumpfung als Chance Wenn Menschen oder Einrichtungen die Region ver- lassen, kann das auch eine Chance für einen Neube- ginn sein. Durch den Rückgang von Industrie und Bevöl- kerung entstehen großflächige, extensiv genutzte Kultur- und Naturlandschaften, die zu einem Alleinstel- lungsmerkmal ganzer Regionen werden. Land- und Forst- wirtschaft, Naturschutz und sanfter Tourismus sind dann eine Chance für die regionale Wirtschaft und die auf dem Land verbliebenen Menschen. Aber Schrumpfung bietet auch Platz für neues Gewerbe und Innovationen. VON DER KASERNE ZUM GEWERBEPARK Nach rund 40 Jahren schloss die Hülsmeyer-Kaserne im niedersächsischen Barnstorf ihre Pforten. Ende des Jah- res 2005 verließen die letzten der fast 500 Soldaten und zivilen Angestellten das rund 20 Hektar große Gelände. Inzwischen ist aus der Kaserne in der Mitgliedsgemein- de Eydelstedt ein florierender Gewerbepark geworden. Mehr als zehn Firmen mit rund 300 Beschäftigten haben sich angesiedelt. Die Gewerbesteuer-Einnahmen haben sich vervielfacht. Kauf und Vermarktung der ehemaligen Kaserne hat die Planungs- und Entwicklungsgesell- schaft der Samtgemeinde Barnstorf übernommen. 17
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN 5 Was bieten ländliche Regionen, wo liegen die Herausforderungen? Wer fragt, was ländliche Regionen attraktiv macht, kann nicht mit einer pauschalen Antwort rechnen. Zu vielfältig sind die Entwicklungen jeder einzelnen Region. Zwischen romantischer Urlaubsidylle und struktur- schwacher Randlage sowie florierendem Mittelstand und zuziehenden Fa- milien gibt es eine große Spannbreite und jede Menge Zwischentöne. Die Herausforderungen sind groß, aber auch die Potenziale und Perspektiven. 18
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Chancen und Herausforderungen WOHNEN GESUNDHEIT In ländlichen Regionen gibt es mehr Wohn- Die Verteilung der niedergelassenen Ärzte eigentum, größere Wohnungen, Grundstücke und ist in Deutschland sehr unterschiedlich. In absehba- Gärten. Allerdings stehen in manchen ländlichen Regionen rer Zeit wird sich der Ärztemangel regional erheblich auch immer mehr Wohnungen und Häuser leer. Neue Nut- verschärfen. Nur mit innovativen Lösungen können alle zungen sind hier gefragt, beispielsweise für altersgerechtes Beteiligten, einer lückenhaften medizinischen Versor- Wohnen und als Mehrfunktionenhäuser. gung entgegenwirken. ARBEIT BILDUNG Vergleicht man Ballungsräume und ländliche Bedingt durch den demografischen Wandel Regionen, ist das produzierende Gewerbe in ländlichen gehen besonders in ländlichen Regionen die Regionen besonders stark mittelständisch geprägt. Die Schülerzahlen zurück. Die Folge: Schulen müssen Strukturpolitik der Bundesregierung und der Europä- schließen – Schulwege verlängern sich merklich. Den ischen Union setzt bei den wirtschaftlich schwachen Re- größten Handlungsbedarf gibt es dort, wo das Schulnetz gionen an: Ihnen soll geholfen werden, bei Wirtschafts- bereits heute sehr lückenhaft ist. Hier sind regio- wachstum, Einkommen und Beschäftigung nale Lösungen erforderlich. aufzuholen. FLÄCHENNUTZUNG ERREICHBARKEIT Charakteristisch für das Land im Vergleich Eine gute Verkehrs- und Kommunikations- zu den Ballungsräumen ist der große Anteil an Freiflächen anbindung ist für Menschen und Unternehmen ein und Natur. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche nimmt in wichtiges Kriterium bei der Wahl des Wohn-, Arbeits- Deutschland jedoch weiter zu. Die Flächenumwidmung oder Firmenstandortes. Daher sind der öffentliche in wachsenden Regionen geht hauptsächlich zulasten Personennahverkehr und der Ausbau der digitalen der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Und oft werden Infrastruktur wichtig. Das Bundeslandwirtschafts Wälder und Freiräume zerschnitten. Potenziale liegen hier ministerium bringt deshalb zusammen mit den Bundes- in der Umnutzung bestehender Bau- oder ungenutzter ländern den flächendeckenden Ausbau der Breitband Brachflächen – anstelle des Neubaus „auf der grünen netze voran und fördert hochleistungsfähige Internet Wiese“. zugänge in ländlichen Regionen. GRUNDVERSORGUNG ERHOLUNG Auch wenn die Grundversorgung in Deutsch- Ob kurz oder lang, Bauernhof, Landhotel land in ihren vielen Facetten fast überall gewährleistet ist: oder Almhütte – Urlaub auf dem Land liegt im Geringe Bevölkerungszahlen stellen Einzelhandel, Kom- Trend. Für die landwirtschaftlichen Betriebe, aber auch munen und Netzbetreiber vor Herausforderungen. Beispiel für Gastronomie, Dienstleistung, Handel und Handwerk Wasser: Überall fließt sauberes Trinkwasser aus dem Hahn. ist der Tourismus eine wichtige Einkommensquelle. Er Geht die Bevölkerung in den Regionen zurück, kann es für stärkt die ländliche Wirtschaftskraft und trägt damit zur den einzelnen Haushalt teurer werden. Entwicklung der ländlichen Regionen bei. 19
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Wohnen Wie wohnen wir, was und in welchem Umfang nalfinanzen, aber auch für das soziale Gefüge in kleineren wird gebaut, reicht das Wohnungsangebot aus, dörflichen Gemeinschaften, die vorher durch das Zusam- ist es bezahlbar und was hat das Wohnumfeld menleben und Miteinander der Generationen geprägt zu bieten? Die Antworten auf diese Fragen waren. sagen viel über die Attraktivität einer Stadt oder Region aus. Auch hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen Welche Perspektiven den Regionen und zu den Städten: In vielen Metropolen mangelt es an bezahlbarem Wohnraum, aber es gibt auch rasch wachsende und Potenziale gibt es? Gemeinden. Vor allem in abgelegenen Regionen sind die Men- Die Entwicklung in den schrumpfenden ländlichen schen nicht selten mit Leerstand und Verfall konfrontiert. Beides Regionen muss nicht einfach hingenommen werden. stellt Kommunen, Länder und den Bund vor besondere Heraus- Viele Beispiele zeigen, wie Dörfer auf Initiative der Men- forderungen, wenn es darum geht, ein lebenswertes Zuhause schen vor Ort zu neuem Leben erweckt werden können. überall und für alle Generationen zu gewährleisten. Eine mögliche Perspektive ist, die Innenentwicklung zu verbessern und allmählich verödende Dorfkerne wie- der zu beleben – zum Beispiel indem die Sanierung von Wie ist die Situation? Altbauten gefördert wird, anstatt am Ortsrand Neubauge- biete zu schaffen. Wichtig ist, an die jeweiligen regionalen Die Menschen in Deutschland werden immer älter, der Bedürfnisse angepasste Konzepte gegen den Leerstand zu Anteil junger Menschen nimmt ab, der von Zugewander- entwickeln. Ob Mehrgenerationenhäuser, Multifunktions- ten steigt. Der demografische Wandel betrifft das ganze stätten oder innovativer Umbau von Gebäuden: Gefragt Land, macht sich aber besonders in dünn besiedelten sind Macherinnen und Macher, aktive Verwaltungen, ländlichen Regionen bemerkbar. Wachsen Regionen, hat Bürgermeister, Landräte oder Bürgerinitiativen, die sich dies eine verstärkte Nachfrage, Neubauten und Angebots- den Herausforderungen stellen. engpässe zur Folge. Schrumpft eine Region, sinken oft die Immobilienpreise und es entstehen Leerstände, die Attraktivität des Wohnumfelds lässt nach und die Infra- struktur ist schwerer aufrechtzuerhalten – ein Kreislauf, ALTBAU STATT NEUBAU aus dem die betroffenen Regionen nur schwer ausbrechen können. Dadurch nimmt die Kluft zwischen günstigen Viele Kommunen versuchen, Familien mit Neubauge- und teuren Regionen weiter zu. bieten zum Zuzug zu bewegen. Das kostet die Städte und Gemeinden nicht nur jede Menge Geld, es hat auch noch weitere Nachteile: Zusätzliche Flächen wer- Was sind die den versiegelt, die vorhandene Infrastruktur und die Herausforderungen? Ortskerne veröden zunehmend. Einen anderen Weg hat die nordrhein-westfälische Gemeinde Hiddenhau- Wohnungsabrisse, ausbleibende Sanierung oder Verfall sen gewählt: Sie hat ein Förderprogramm ins Leben ungenutzter Immobilien können auch auf dem Land die gerufen, um junge Familien für leerstehende Altbauten Folgen fehlender Nachfrage sein, die mit nachteiligen zu gewinnen. Seit dem Jahr 2007 gibt es das Projekt Konsequenzen für den Wert der verbleibenden Woh- „Jung kauft Alt – Junge Menschen kaufen alte Häuser“. nungen sowie geringen Investitionen in die Substanz, die Die Gemeinde fördert Gutachten, die helfen sollen, die Ausstattung oder die Barrierefreiheit einhergehen. Sanierungskosten besser einzuschätzen. Familien mit Kindern erhalten ein zusätzliches „Altbau-Kindergeld“. Durch die Verbindung von niedrigen Geburtenraten und Mehr als 300 Käufe wurden bisher gefördert – und Abwanderung altert die Gesellschaft in schrumpfenden in die Altbauten sind Familien mit fast 400 Kindern Gebieten noch schneller als in wachsenden ländlichen eingezogen. Regionen – mit Folgen für die Infrastruktur, die Kommu- 20
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN WOHNEN IN DEN REGIONEN Die Wohnfläche pro Kopf steigt: Rund 48 Quadratmeter hat jeder Bundesbürger zur Verfügung. Doch diese Zahl sagt nicht viel über die Verhältnisse in einzelnen Regionen aus. Wer im Osten Deutschlands lebt, hat etwas weniger Platz als im Westen. Auch wenn die Zahlen durch höheren Leerstand auf dem Land etwas verzerrt sind: Allgemein gilt, dass es sich in der Stadt enger lebt als auf dem Land, jedem Menschen stehen hier fast 6 Quad- ratmeter weniger Wohnraum zur Verfügung. Die Karte zeigt die Verteilung der durchschnittlichen Wohnfläche in Deutschland. Durchschnittliche Wohnfläche pro Person in m² bis 44,3 über 44,3 bis 46,3 über 46,3 bis 49,1 über 49,1 bis 51,8 über 51,8 nicht-ländliche Kreise Quelle: Thünen-Institut 2016; BKG 2013; BBSR (INKAR) 2016 BRENNPUNKT: ZUWANDERUNG Die in der Tendenz eher rückläufige Bevölkerungszahl Deutschlands hat sich durch die Zuwanderung innerhalb kürzester Zeit in eine positive Richtung verändert. Seit dem Jahr 2012 steigt die Bevölkerungszahl wieder an. Im Jahr 2015 war die Netto-Zuwanderung mit über einer Million Menschen deutlich höher als in den Vorjahren. Gleichzeitig sorgt die steigende Zuwanderung für neue Herausforderungen bei der Integration wie auch bei der Versorgung mit Wohnungen. Denn das Bevölkerungs- wachstum – und damit auch die Nachfrage nach Wohn- raum – konzentriert sich auf wirtschaftsstarke Großstäd- te, Metropolen und attraktive Städte mittlerer Größe. Ländliche Regionen profitieren bisher nur wenig von den Chancen, die Zuwanderung etwa im Hinblick auf die Verbesserung der Altersstruktur und auf die Gewinnung von Fachkräften bietet. Hier sind die Akteure im länd- lichen Raum gefordert, Konzepte zu entwickeln, damit Zuwanderung zur demografischen und wirtschaftlichen Stabilisierung auf dem Land beitragen kann. 21
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Arbeit Land gleich Landwirtschaft? Das war einmal. unterrepräsentiert, das Lohnniveau ist allgemein niedri- Heute gehen die Menschen in den Dörfern und ger. Innovationskraft auf dem Land gibt es trotzdem, wie Kleinstädten den unterschiedlichsten Berufen der baden-württembergische Hohenlohekreis zeigt: Dort nach. Entsprechend unterscheiden sich die kommen auf 110.000 Einwohner zwölf Weltmarktführer. Perspektiven. Auf dem Land finden sich boo- mende Regionen, in denen sich hoch spezialisierte Unternehmen konzentrieren. Fachkräfte zu gewinnen ist für sie eine besondere Herausforderung. In anderen Landstrichen gibt es noch höhere PERSPEKTIVE GRÜNE BERUFE Arbeitslosigkeit und Abwanderung – hier können Tourismus, die Erzeugung erneuerbarer Energien und die Stärkung regionaler Die Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Wirtschaftskreisläufe neue Impulse setzen. Jahrzehnten stark gewandelt: Die Zahl der Betriebe und Beschäftigten sinkt, die Produktion steigt. Dieser Produktivitätsschub geht einher mit einem Qualifi- Wie ist die Situation? zierungssprung: Bei neun von zehn Betrieben, die im Wie überall in Deutschland ist auch auf dem Land der Haupterwerb geführt werden, stehen Fachkräfte an Dienstleistungssektor der wichtigste Arbeitgeber. Mit der Spitze, die eine spezialisierte Ausbildung oder ein deutlichem Abstand folgen das produzierende Gewerbe Studium absolviert haben. Landwirte wissen heute und schließlich die Landwirtschaft. Es sind vor allem nicht nur über Produktionsabläufe Bescheid. Sie sind Maschinenbauer, Nahrungsmittelproduzenten oder fit in Betriebswirtschaft und Datenverarbeitung und Hersteller von Werkstoffen, die in ländlichen Regionen denken in ökologischen und ökonomischen Zusam- stärker vertreten sind als in den Ballungszentren. Etwas menhängen. Neue Berufsbilder – vom milchwirt- dünner gesät sind insbesondere im Nordosten Deutsch- schaftlichen Laboranten bis zur Pflanzentechnologin lands wissens- und forschungsintensive Branchen. Das – treiben die Spezialisierung und Qualifizierung weiter spiegelt sich auch in den Beschäftigungsverhältnissen voran. wider: Hochschulabsolventen sind in ländlichen Regionen 22
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN WO DIE MENSCHEN ARBEIT FINDEN Wo es Gäste hinzieht, entsteht eine Dienstleistungsstruk- tur mit Unterkünften, Einzelhandel und vielem mehr. Auch die Landwirtschaft trägt zu steigender Dynamik Nicht-ländliche Kreise Ländliche Kreise bei: Die Erzeugung von Biorohstoffen, erneuerbaren Energien oder die Direktvermarktung regionaler Produk- 1,42 % 2,44 % te eröffnen neue Verdienstmöglichkeiten und helfen mit, 29,96 % eine Region in Schwung zu bringen. 24,20 % INTEGRATIONSWERKSTATT IM LÄNDLICHEN RAUM 74,38 % 67,60 % Die Kamenzer Bildungsgesellschaft gGmbH im Landkreis Bautzen hat sich zum Ziel gesetzt, den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber mit Arbeitserlaubnis, Neubürger und Personen aus sozial Anteil der Erwerbstätigen in den Wirtschaftssektoren in benachteiligten Gruppen zu erleichtern. Dabei gilt es, Prozent Vermittlungshemmnisse abzubauen und die Beschäfti- gungsfähigkeit herzustellen. In der Integrationswerk- Land- und Forstwirtschaft Produzierendes Gewerbe statt werden zunächst verschiedene Berufe vorgestellt. Dienstleistungen Die Teilnehmer lernen dann ein Berufsfeld ihrer Wahl näher kennen. Sie erwerben unter realistischen Bedin- Quelle: Thünen-Institut/Destatis, Stand 2016 gungen Fachkenntnisse und verbessern berufsbezoge- ne Sprachkenntnisse. Ein Praktikum in einem Betrieb vertieft das erworbene Wissen. Das Projekt ermöglicht Was sind die eine frühzeitige und umfassende Integration und Herausforderungen? gewinnt Fachkräfte für die regionale Wirtschaft. Der Arbeitsmarkt hat sich in Deutschland sehr positiv entwickelt. Dennoch kennzeichnen zwei Problemlagen die ländlichen Arbeitsmärkte: Fachkräftemangel und Arbeits- losigkeit bei Geringqualifizierten. Gerade in wirtschaftlich starken Regionen haben Unternehmen Mühe, qualifizierte Mitarbeiter an sich zu binden. Unternehmen auf dem Land konkurrieren nicht nur untereinander um die besten Köpfe, sie müssen sich auch gegen die Anziehungskraft der Großstädte behaupten. Anderenorts fehlt es schlicht an guten Jobs. Wo die Arbeitslosigkeit hoch ist, wandern zuerst die Jungen und Höherqualifizierten ab. Ein Teu- felskreis, denn genau sie sind es, die einer Region neue Impulse geben könnten. Welche Perspektiven und Potenziale gibt es? Unterstützt von der Politik, beschreiten Unternehmer und viele ländliche Regionen neue Wege, um den Herausfor- derungen zu begegnen: Sie starten Standortkampagnen, gründen Ausbildungsnetzwerke, etablieren innovative Beschäftigungsmodelle, um Fachkräfte zu gewinnen und zu binden. In attraktiven Landschaften und Orten eröffnet der Tourismus Perspektiven für Wachstum und Beschäf- tigung. 23
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN frage sinkt. Die Folgen: vermehrter Leerstand, verwaiste Ortskerne und Flächennutzungskonflikte. Auch Kom- pensationsmaßnahmen, die den Eingriff in die Natur und Landschaft durch Bautätigkeit ausgleichen sollen, und Maßnahmen des Hochwasserschutzes führen oft zum Verlust landwirtschaftlicher Flächen. Nur selten werden andere Flächen entsiegelt und renaturiert. Was sind die Herausforderungen? Die Bodenpreise für landwirtschaftliche Nutzflächen stei- gen vielerorts seit Jahren erheblich, sodass es für manche landwirtschaftliche Betriebe schwerer wird, die für sie existenzsichernden Flächen zu halten oder zu erwerben. Doch auch innerhalb der Landwirtschaft gibt es verschie- dene Ansprüche. Es gilt durch ein nachhaltiges Flächen- management einen Ausgleich zu finden zwischen dem Anbau von Energie-, Rohstoff-, Futter- und Nahrungs- Flächennutzung pflanzen, die in starker Konkurrenz zueinander stehen. Welche Perspektiven und Potenziale gibt es? Grund und Boden sind begehrte, aber be- Als wichtige Strategie gilt die nachhaltige Flächennut- grenzte Ressourcen. Landwirte, Bauherren, zung: Statt mit hohen Kosten neue Flächen zu erschlie- Investoren, Energieerzeuger und Naturschützer ßen, sollen primär vorhandene genutzt werden – etwa der konkurrieren um das knappe Gut. In den ver- alte, aber verwaiste Dorfkern oder Brachflächen. Immer gangenen sechzig Jahren hat sich die bebaute mehr Gemeinden setzen diesen Grundsatz bereits um. Fläche in etwa verdoppelt. Siedlungs- und Verkehrsflächen wach- Auch die Bundespolitik hat sich des Themas angenommen sen, während landwirtschaftliche Nutzfläche verloren geht und und die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen: Wälder zerschnitten werden. Betroffen ist vor allem das Umland von Ballungszentren. Die Verringerung der Flächeninanspruch- nahme durch Siedlung und Verkehr ist nicht nur aktiver Natur- und Umweltschutz, sondern auch eine Grundvoraussetzung zur Versorgung mit Agrarprodukten. In ihrer Nachhaltigkeitsstrategie GEMEINNÜTZIGE hat die Bundesregierung daher als Ziel festgelegt, den Anstieg der LANDGESELLSCHAFTEN Siedlungs- und Verkehrsfläche bis zum Jahr 2030 auf durch- schnittlich 30 Hektar pro Tag zu beschränken. Ein wichtiger Akteur bei der Steuerung der Flächen- nutzung sind die gemeinnützigen Landgesellschaften. Wie ist die Situation? Neun davon gibt es bundesweit, Hauptgesellschafter sind in der Regel die Bundesländer. Als Dienstleister Rund 52 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands wer- für die ländlichen Regionen konzentrieren sich die den landwirtschaftlich genutzt, auf rund 31 Prozent Landgesellschaften insbesondere auf das Flächen- wächst Wald; Siedlungs- und Verkehrsflächen nehmen management. Dafür kaufen sie zum Beispiel gezielt mittlerweile fast 14 Prozent ein. Verschiedene Nutzungs Flächen auf, die für die Landwirtschaft, die kommu- ansprüche konkurrieren miteinander: Bauland, Land- und nale Entwicklung oder den Naturschutz von beson- Forstwirtschaft, Energieerzeugung, Rohstoffabbau oder derer Bedeutung sind – oder dies in Zukunft werden Naturschutz. Schrumpfende Regionen versuchen, durch könnten. Derzeit verfügen die Landgesellschaften über das Ausweisen von günstigem Bauland neue Bewohner einen Flächenbestand von insgesamt 65.000 Hektar. und Unternehmen anzulocken – auch wenn die Nach- 24
LÄNDLICHE REGIONEN VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ZUM LEBEN UND ARBEITEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN Zum Beispiel durch die Novelle des Baugesetzbuches im Jahr 2013, die den Grundsatz „Innen- vor Außenentwick- lung“ stärkt oder durch das Bundesnaturschutzgesetz im Jahr 2010, das bei Kompensationsmaßnahmen Rücksicht auf landwirtschaftliche Belange fordert. ZUNAHME DER SIEDLUNGS- UND VERKEHRSFLÄCHE Die Siedlungs- und Verkehrsfläche nimmt täglich um 52 Hektar zu. Die Flächenumwidmung geht hauptsächlich zulasten der landwirtschaftlich genutzten Fläche – diese nimmt um mehr als 60 Hektar pro Tag ab. Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamt- fläche in Prozent bis 10,4 über 10,4 bis 12,2 über 12,2 bis 16,6 über 16,6 bis 32,1 über 32,1 nicht-ländliche Kreise Quelle: Thünen-Institut 2016; BKG 2013; BBSR (INKAR) 2016 BRENNPUNKT: BODEN WIEDER GUT MACHEN? Die Nutzung von immer neuen Flächen für Wirtschaft, Verkehr und Wohnen ist nicht nachhaltig: Verbaute Flä- che geht zum einen der Land- und Forstwirtschaft verlo- ren, zum anderen beeinträchtigt sie wichtige Boden- und Lebensraumfunktionen. Ein zentrales Thema ist dabei die Versiegelung durch Baumaßnahmen. Kann das Regen- wasser durch bebauten Boden nicht mehr ungehindert ins Grundwasser sickern, können Trinkwassermangel, verstärkte Dürren oder Überschwemmungen die Folge sein. Zudem haben die Bebauung und die Zerschneidung immer neuer Flächen der Landschaft eine Verminderung der Biodiversität zur Folge. Denn Agrarlandschaften und Wälder sind Lebensraum für viele wild lebende Tier- und Pflanzenarten: Ackerschläge, Flurgehölze, Hecken oder Blühstreifen sind Brut- und Rückzugsräume. Eine Möglichkeit, die ökologischen Funktionen ländlicher Regionen zu erhalten oder zu erneuern, ist die Entsiege- lung von Flächen. Ein positiver Nebeneffekt: Geschieht die Entsiegelung zum Beispiel auf nicht genutzten Gewer- beflächen, können die Kommunen damit dazu beitragen, dass weniger landwirtschaftliche Flächen als Kompensa- tionsflächen für Baumaßnahmen in Anspruch genommen werden. 25
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