Apostel - Weihnachten Ist das Fest noch zu retten? - Arnsteiner Patres
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Apostel 60800 Zeitschrift der Arnsteiner Patres Ausgabe 4/2020 Weihnachten Ist das Fest noch zu retten? Weitere Themen Was passiert, wenn nicht beide Geistlicher Wegbegleiter Brautleute katholisch sind? »5 vor 12 – erfüllte Zeit – 5 nach 12«
Termine Da derzeit ungewiss ist, ab wann und unter welchen Bedingungen wieder Veranstaltungen in der Citykirche in Koblenz und im Konvent der Arnsteiner Patres in Werne stattfinden können, informieren Sie sich bitte auf den beiden Websites: Ω www.arnsteiner-patres.de Ω www. citykirche-koblenz.de Vorankündigungen 2021 Das Fest des heiligen Pater Damian soll am Sonntag, dem 9. Mai 2021, in Werne stattfinden. Neben dem Gottesdienst werden wir uns das »Pesthäuschen« anschauen. Es ist ein interessantes Beispiel dafür, wie man früher in Deutschland mit ansteckend kranken Menschen umgegangen ist. Die Herz-Jesu-Wallfahrt nach Euskirchen ist für den 6. oder 13. Juni 2021 geplant. Wir hoffen, dass die Pandemielage der Durchführung dieser beiden Veranstaltungen nicht im Wege steht. Frohe Weihnachten und Gottes Segen für das Jahr 2021 irtschaftskrise, Umweltkrise, Glaubens wünscht Ihnen die Redaktion des »Apostel« krise, Missbrauchskrise, Finanzkrise, Kulturkrise, Corona-Krise, … Nicht immer sind wir uns sicher, was mit Krise gemeint ist, aber wir vermuten, dass wir die Krise meiden oder vor ihr fliehen sollten. Für viele ist die Rede von »Krise« gleichbedeutend mit Ausweglosigkeit, Hoffnungslosigkeit, ja mit Angst vor dem Tod. Doch was bedeutet eigentlich dieses Wort »krisis«? Im Griechischen, woher es stammt, wird es vor allem im militärischen und im medizinischen Bereich benutzt. Es meint den Moment, in dem die Entscheidung fällt. Militärisch ist es der Moment, in dem sich Sieg oder Niederlage entscheiden. Medizinisch beschreibt Krise die Phase einer Krankheit, in der sich die Wende zum Besseren oder Schlechteren, zu Gesundung oder Tod ereignet. Johannes Tauler (1300) beschreibt die Krise als den Zustand des »Nicht mehr und noch nicht«, in dem der Mensch, sich sozusagen in der Schwebe befindet, vor einer Entscheidung, vor einem Impressum Apostel (ISSN 1611-0765) Herausgeber: Provinzialat der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens Erscheinungsort: Werne Auflage: 4.600 Exemplare Druck: Druckerei Wenz, Hanau (Arnsteiner Patres e. V.) • Kardinal-von-Galen-Straße 3 • 59368 Werne •Telefon: 0 23 89 97 01 50 • Papier: 100 % Recyclingpapier Titel: picture alliance – abaca | Vandeville Eric Fax: 0 23 89 97 01 27 • E-Mail: provinzialat@sscc.de • Internet: www.arnsteiner-patres.de Bildnachweise: Auf den Doppelseiten, auf denen die Abbildungen Verwendung finden; SSCC ist die Abkürzung der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen, in Deutschland als Bilder ohne Nachweis: Archive der Ordensgemeinschaft und der Firma Meinhardt Arnsteiner Patres bekannt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung von Gestaltung/Verlag: Meinhardt Verlag und Agentur • Friedensstraße 9 • 65510 Idstein • Telefon: Herausgeber und Redaktion wieder. 0 61 26 9 53 63-0 • E-Mail: info@meinhardt.info • Internet: www.meinhardt.info
Krise: nicht mehr und noch nicht nächsten Schritt. Aus dem Gewohnten ist er »ver befreiend sein, endlich zu sehen, was los-zu- trieben«, und das, »wonach ihn gelüstet,« hat er lassen oder zu ver-lassen ist. Die alten »Lebens noch nicht. Diese Situation kann den Menschen zu meister« raten zur »Ge-lassen-heit«. Das hat Trauer und Resignation führen, zu Abneigung und weder mit innerer Faulheit noch mit Gleichgültig Widerwillen vor der Herausforderung, die die keit zu tun. Der Grund der Gelassenheit ist die Wirklichkeit an ihn stellt. Die Versuchung ist, sich Bereitschaft loszulassen, also weder in der Flucht nach der »Normalität« zurückzusehnen, ist die in die Vergangenheit Rettung zu suchen noch sich Weigerung, jetzt die »Zeichen der Zeit« zu sehen in gesteigerten Aktivismus zu flüchten. Es geht und zu deuten. In der Krise sind wir versucht, das darum, in der Wirklichkeit jetzt standzuhalten, das Überleben um jeden Preis zum einzigen Inhalt Leben hier und jetzt zu leben, aufmerksam, unseres Lebens zu machen; die Lösung zu suchen ehrlich, achtsam. Dazu ist es notwendig, dass wir in dem, was gestern schön und gut war. Wenn das uns gegenseitig ermutigen und stärken, dass wir Feuer ausgeht, wenn die Glut kalt wird, wenn der uns gegenseitig helfen, die »Geister zu unter Eifer im Herzen nicht mehr genährt wird, dann ist scheiden« und uns auf das Wesentliche zu es nicht die Kälte, die tötet, sondern es sind die konzentrieren und es anzunehmen. Tauler schreibt Unfähigkeit und der fehlende Wille, das Feuer am vom Versinken im eigenen Nichts, um da Gott und Leben zu erhalten. Jenes Feuer, das wir früher in damit meinen Grund zu finden. Dazu ist es gut, © LINKS: RAIMOND KLAVINS – UNSPLASH.COM | ONFOKUS –ISTOCK.COM uns trugen. wenn wir wie die Emmaus-Jünger einen Weg gefährten, eine Weggefährtin haben, die uns Die Chance der Krise besteht also darin, die Glut helfen zu entdecken, wo das Herz brannte auf dem am Glühen zu halten, damit das Feuer neu ange Weg. zündet werden kann, nachdem die glühende Kohle von der Asche befreit ist. Eine Krise kann die Stunde der Wahrheit sein: So wie bisher geht es nicht weiter. Manchmal erfahren wir erst in einer Krise, wovon Pater Martin Königstein SSCC wir leben und wer wir wirklich sind. Es kann Provinzial der Arnsteiner Patres EDITORIAL Apostel | 3
Ist Weihnachten noch zu retten? Weihnachten scheint unverzichtbar für die Menschen in Deutschland zu sein. In den letzten Wochen konnte der Eindruck entstehen, dass die coronabedingten Einschränkungen in erster Linie durchgehalten werden müssen, damit das Weihnachtsfest gerettet wird. Gleichzeitig sagen weit über 60 Prozent der Deutschen: »Weihnachten geht auch ohne Christmette.« © SEOYEON-CHOI – UNSPLASH 4 | Apostel WEIHNACHTEN
Um was geht es an Weihnachten? so bedrückend in dieser Pandemiekrise. Wir haben mal mehr Licht gemacht.« Zudem verbinden viele mit Martin Königstein SSCC: Auf den ersten Blick geht es Weihnachten, dass es zu Hause friedlicher zugeht oder an Weihnachten ums Schenken und ums Beschenkt- dass man sich überhaupt mal als große Familie sieht. werden. Dahinter steckt die tiefe menschliche Erfah- Man sehnt sich nach einem Wiedersehen und nach rung, dass wir das Wichtigste im Leben nicht verdienen Begegnung. Auch wenn es dann unter Umständen und auch nicht fordern, sondern nur als Geschenk an- gerade diese Beziehungen sind, die Stress verursachen. nehmen können. Denn über all dem soll nicht vergessen werden, dass es viele Menschen gibt, die sich vor Weihnachten fürch- Für die Kinder geht es vielleicht an Weihnachten darum, ten. Sie erleben genau das alles nicht, haben keine Geschenke auszupacken. Aber zentral ist, dass wir uns Beziehungen oder können es sich nicht leisten, Ge- gegenseitig mit unserer Person beschenken. Wenn wir schenke zu machen, schön zu schmücken, was Gutes uns zusammen an den Tisch setzen, dann entsteht aufzutischen. Freundschaft, Gemeinschaft, Wertschätzung, Zuwen- dung, Aufmerksamkeit … Das ist es, was sich nicht Kerstin Meinhardt: Ich finde, es hat nichts Verwerf- verdienen, nicht einfordern lässt, was uns jedoch le- liches, dass in unserer Gesellschaft Weihnachten un- ben lässt und den Horizont weit macht. abhängig von den christlichen Inhalten eine große Bedeutung hat. In erster Linie nehme ich das starke Brauchen wir Jesus, um in diesem menschliche Bedürfnis danach wahr, eine Zeit zu ha- Verständnis Weihnachten zu feiern? ben, die zumindest ein Stück weit eine Auszeit ist vom ständigen Getriebensein, vom Zwang zu Leistung und Martin Königstein SSCC: Aber Jesus ist doch das Geschenk! Konsum. Auch wenn Weihnachten heute sehr kom- merzialisiert ist, ist da immer doch etwas, was für die Manfred Kollig SSCC: Ich überlege gerade, wie jemand meisten Menschen durch all den weihnachtlichen reagieren würde, wenn wir ihm sagten: »Wir feiern dei- Kaufrausch und den Kitsch hindurchscheint. Es ist ein nen Geburtstag. Aber du kannst ruhig wegbleiben.« Versprechen, dass es mehr gibt als ein sinnentleertes, Die Frage in die säkulare Gesellschaft hinein lautet: egozentriertes Rotieren im Hamsterrad. In dieser Aus- »Möchtest du, dass dein Geburtstag ohne dich gefeiert zeit besteht die Chance, sich auf das zu besinnen, was wird? Oder dass irgendwann einmal der Jahrestag dei- wirklich zählt. Nicht von ungefähr schwiegen in Kriegs- nes Todes begangen wird, ohne an dich zu denken, zeiten zu Weihnachten die Waffen. Untersuchungen nur weil das Essen so gut und die Zusammenkunft so zeigen übrigens, dass selbst die, die zu Weihnachten nett sind?« Es gibt eine Sehnsucht nach Weihnacht- nicht in die Kirche gehen, es gut finden, dass es Weih- lichem, die ohne Jesus besteht. Aber Weihnachten oh- nachtsgottesdienste gibt. Solange alle diese Menschen ne Jesus ist wie Geburtstag ohne Geburtstagskind. die Sehnsucht noch spüren können, dass es ein »Mehr« gibt, habe ich noch Hoffnung, auch wenn viele dieses Ich habe mich gewundert, wie viel Aufmerksamkeit Fest nicht mit meinen Glaubensinhalten füllen. hier in Berlin der Frage geschenkt wird, ob auch in diesem Jahr unter Corona-Bedingungen die Weihnachts- Reicht es Christinnen und Christen, nur noch märkte stattfinden können. Berlin ist eine Stadt, in der Bewahrende der Tradition zu sein und einen die Christen insgesamt eine Minderheit sind. In ande- folkloristischen Anlass zu geben? ren Städten, die überwiegend christlich oder sogar katholisch sind, wurden frühzeitig die Märkte abge- Martin Königstein SSCC: Es zeigt sich, dass wir nicht sagt. Ich glaube, es steckt ein Bedürfnis nach Licht, Eigentümer des Festes sind und dessen, was da gefei- Gerüchen und Geschmack dahinter, nach all dem, was ert wird. Es geht um eine tiefe Wahrheit des Mensch- einen Kontrast bildet zur kühlen und dunklen Winter- seins. Theologisch gesprochen heißt das Geschenk zeit. Diese Sehnsucht ist menschlich. Es war lang ge- »Gnade«. Ein Wort, das heute kaum noch ein Mensch nug dunkel und kühl. Als Zeichen der Hoffnung, dass versteht. In Gnade, Lateinisch »gratia«, steckt »gra- es wieder anders wird, machen wir uns etwas Licht. tis« und »graziös«. Das Wesentliche ist also geschenkt, Gerade in diesem Jahr der Pandemie hat dies eine noch attraktiv und schön. Wenn Menschen diese tiefe Wahr- stärkere Bedeutung. In einer evangelisch geprägten heit und Sehnsucht, die uns eigen ist, vor dem Hin- Gegend Niedersachsens, in der es bisher ein Tabu war, tergrund eines folkloristischen Weihnachten entde- vor dem Totensonntag eine adventliche Beleuchtung cken können, dann ist das gut so. Gott kann viele anzuschalten, sagten die Menschen in diesem Jahr: Sprachen und ist nicht beschränkt auf unsere Sym- »Wir können einfach nicht mehr abwarten. Es ist alles bole, Riten und Redewendungen. WEIHNACHTEN Apostel | 5
Krippen legen Zeugnis vom Alltag am konkreten Ent- stehungsort ab. Die Flucht der heilige Familie findet in Peru im Boot statt. Dass Gott Mensch wird, wird überall anders erfahren. Manfred Kollig SSCC: Ich würde mich ungern damit zufriedengeben, wenn wir nur den Rahmen schaffen würden für Riten und Rituale. Wenn ich auf dieses Jahr schaue, nehme ich wahr, dass die Menschen unabhän- gig vom sozialen Status, von Intelligenzgrad, Hautfar- be oder Religion unter der Pandemie leiden. Sie sehnen sich danach, dass es irgendwann ohne diese Pandemie weitergeht und dass dann nicht eine neue Virusinfek- Ich erinnere mich, es ist jetzt schon lange her, da be- tion kommt. Ich möchte ihnen nicht die Hoffnung ma- suchte ich in Chile an Weihnachten die christliche Ge- chen, dass, wenn sie ein paar Wochen die Vorschriften meinde von Huallepén, eine indigene Gemeinde der einhalten, dann alles wieder so ist wie früher. Wenn Mapuche-Indios. Sie hatten eine Kapelle, einen Ge- ich mir Weihnachten 2020 vorstelle, dann stelle ich mir meindevorstand, Liturgen und Katecheten. Jede Woche unter anderem vor, wie wir vor der Krippe stehen. Da feierten sie den Sonntag, aber sie hatten noch nie Weih- schauen wir uns Figuren an: Jesus, Maria, Josef, Hir- nachten gefeiert, wenigstens nicht so, wie wir uns das ten, Könige, Schafe, Esel und Ochse. Und diese tragen vorstellen. Es gab kein Zeichen oder Symbol, keinen alle keinen Mund-Nase-Schutz. Nur wir, die wir davor- Ritus, der mich irgendwie an Weihnachten erinnert stehen, haben Mund und Nase bedeckt. Wenn ich das hätte. Da stand ich nun mit dem Lukasevangelium und sehe, dann habe ich eine Perspektive. Irgendwann seiner Weihnachtsgeschichte und mit der Heraus forderung, dass die Menschwerdung, die in dieser Geschichte erzählt wird, gerade an diesem Abend neu stattfindet in der Gemeinde von Huallepén, in der Kultur und in den Umständen dieser Gemeinde, die an Jesus glaubt, die Jesus nachfolgen will. Die aber, um Jesus nachzufolgen, nicht so werden muss wie die, Das Weihnachtsfest – deren Vorfahren vor Jahren ihr Territorium erobert und ihnen das Land und ihre Selbstständigkeit genommen Alle Jahre wieder feiert der weitaus größte hatten. Gott wird Mensch heißt dort: Gott wird Ma- Teil der Deutschen das Weihnachtsfest. Ver- puche. Und um das auszudrücken und zu feiern, müs- standen wird es meist als Fest der Familie, sen Zeichen, Symbole und Riten benutzt werden, die das mit vermeintlich uralten Traditionen be- ihre Kultur ihnen zur Verfügung stellt. Diese Arbeit gangen wird. Kerzenlicht, Weihnachtsmusik müssen sie selbst machen. Ich kann ihnen nicht von und -düfte sowie Plätzchen gehören dazu; für 70 Prozent der Deutschen laut Statistik außen sagen, wie Weihnachten auf Mapuche-Art geht. auch ein Christbaum. Weihnachtsmärkte Ich durfte viele indigene Gemeinden begleiten in der fallen dieses Jahr fast überall aus, was über- Bemühung, es Gott zu ermöglichen, in ihrer Kultur wiegend als Verlust empfunden wird. Ob Mensch zu werden. Es hat mich immer wieder erstaunt, Christmetten und Weihnachtsgottesdienste bewegt und gefreut zu sehen, wie sie das geschafft stattfinden, kümmert hingegen deutlich haben. Und so, denke ich, müssen wir es den Men- weniger. Im Vorjahr gingen nur 22 Prozent der Deutschen an den Festtagen zur Kirche. schen unserer Zeit auch ermöglichen, dass sie Wege Im Zentrum steht heute stärker das Zusam- finden, wie Gott heute Mensch werden kann in ihrem, mentreffen der Familie als die Feier der Ge- in unserem Leben. Und das wird wieder unauffällig, burt Jesu. klein, oft genug am Rande stattfinden und wohl mei- stens auch schwach aussehen. Wagen wir es zu warten Die konkrete Art, wie Gläubige Weihnachten und uns überraschen zu lassen, wie die Menschen es feiern, veränderte sich über die Jahrhun- derte ständig. Unabhängig von kulturellen heute Gott erlauben, bei uns Mensch zu werden. Es Unterschieden ist Weihnachten für die meis wird Zeichen dafür geben. Und es wird Momente ge- ten Menschen in Europa sowie Nord- und ben, an denen wir mit Gertrud von Helfta beten kön- Südamerika das wichtigste Fest des Jahres. nen: »Ich fühle in meinem Herzen aus Staub: Du bist angekommen.« 6 | Apostel WEIHNACHTEN
kommen wir dort an, wo man das nicht mehr braucht. Da bin ich erlöst, nicht mehr anfällig für Viren, nicht mehr anfällig für Krieg und für Not. Da ist Frieden. Das möchte ich den Menschen in diesem Jahr sagen: Schaut auf die Krippe; dort findet ihr eine Perspektive. Irgendwann gibt es Erlösung. Das ist das, was wir glauben. Das ist ewige Gesundheit, das ist ewiges Heil, das ist ewiger Friede. Wer das nicht teilt, den verur- teilte ich nicht. Mir genügt es aber nicht, eine schöne Szenerie darzustellen, wie sie vielleicht gewesen sein könnte – oder auch nicht war – irgendwo in Bethle- hem, in einem Stall oder in einer Höhle. Ich möchte deutlich werden lassen, was dahintersteckt und mit welcher Perspektive Gott Mensch wurde. Das möchte ich nicht billig verkaufen. Die Perspektive, die wir ha- © FRANZISKANISCHES MUSEUM, FORUM DER VÖLKER ben, heißt Erlösung! Wir sollten das querdenken nicht den Radikalen überlassen. Die meinen, »Querdenken« heißt, ohne Abstand und ohne Mund-Nase-Schutz durch die Welt zu gehen. Wirkliche Querdenker:innen sind die, die glauben, dass das Ende nicht das Ende ist. Querdenker:innen sind die, die glauben, dass der Krippen entstehen aus dem Material, das Allmächtige Mensch wird, dass der Allwissende er- verfügbar ist. Für diese von den Philippinen trägt, dass wir vieles nicht wissen … wurde Papier kunstvoll gerollt. eine uralte Tradition? Das Teilen christlicher Glaubensinhalte ist dabei offen- scherung unterm Baum. Von diesem Verständnis zeugt sichtlich keine Voraussetzung. Die frühen christlichen noch der Deutschen liebstes Gericht für Heiligabend: Gemeinden kannten das Fest übrigens nicht, es kam Würstchen und Kartoffelsalat. Der Festbraten wird in der erst im vierten Jahrhundert »nach Christus« auf. Die Regel erst am ersten Weihnachtsfeiertag aufgetischt. ersten Weihnachtsfeiern in Rom, von denen berichtet wird, waren schlichte Gottesdienste am 25. Dezember. Eine aktuelle Studie belegt, dass 61 Prozent der Be- Die nächtliche Messe kam – in Anlehnung an die fragten Heiligabend in den eigenen vier Wänden feiern Osternacht – erst später hinzu. wollen. Mehr als ein Drittel verbringt den Abend bei den eigenen Eltern und/oder denen der Partnerin oder Der Heiligabend als Familien- und Kindheitsritual, das des Partners. Weshalb sich der 25. Dezember als Weih- unsere heutige Vorstellung von Weihnachten prägt, nachtsfesttag eingebürgert hat, darüber gibt es ver- entstand erst im 19. Jahrhundert. Mit der zuneh- schiedene Theorien. Sicher ist, dass der Zeitpunkt, ab menden Bedeutung der Familie als Keimzelle der Ge- dem die Tage wieder länger werden, schon vor Urzeiten sellschaft kam der Familien-Heiligabend in der pri- für die Menschen bedeutsam war. In den religiösen vaten, festlich geschmückten Stube mit Hausmusik Vorstellungen früherer Kulturen nahm die Sonne eine auf. Diese Entwicklung geht einher mit der Industrie zentrale Rolle ein, daher wurde der Tag der Sonnen- alisierung und der »Entdeckung der Kindheit« als eige- wende häufig mit einem Fest gefeiert. Vielfach wird ner Lebensphase Ende des 18. Jahrhunderts. Die Be- daher angenommen, dass Weihnachten ein christlich scherung der Kinder – ursprünglich am frühen Morgen vereinnahmtes, ursprünglich heidnisch-kosmisches des 25. Dezembers – verlegten zuerst evangelische Fest war. Doch einig ist sich die Forschung nicht. In Familien auf den Heiligabend vor. In ländlichen katho- jedem Fall stimmt die Symbolik: Mit Jesus Christus lischen Gegenden blieb der 24. Dezember noch bis kommt das Licht in die Welt. weit ins 20. Jahrhundert ein Arbeits-, Fasten- und Vor- bereitungstag: Baden und Beichten statt Feier mit Be- ¡ Kerstin Meinhardt WEIHNACHTEN Apostel | 7
Martin Königstein SSCC: Da ist er, der Punkt, an dem Manfred Kollig SSCC: Ich möchte zu dem, was gesagt Weihnachten anfängt! Weihnachten ist zunächst der wurde, eine weitere Perspektive hinzufügen. In der definitive Schritt Gottes, solidarisch zu werden mit sei- Heiligen Schrift wird deutlich, dass der Mensch von nem Geschöpf und seiner Schöpfung. Er wird Teil sei- Beginn an darunter leidet, dass er nicht wie Gott ist. ner Schöpfung. Die Perspektive der Erlösung ist das Das zieht sich wie ein roter Faden durch bis heute. Der andere Ende des Bogens. Man kann natürlich keines Mensch möchte perfekt sein, möchte nach Möglichkeit unserer Feste ohne den ganzen Bogen sehen: kein alles selbst regeln, eine absolute Sicherheit haben, Weihnachten ohne Ostern und kein Ostern ohne Weih- kurz: Er will sein wie Gott. Die Botschaft von Weih- nachten. Die Erlösung geht nicht durch einen Zauber- nachten ist: »Nehmt es nicht so tragisch, dass ihr nicht stab, sondern durch die Solidarisierung Gottes. Er ent- seid wie Gott. Ich werde Mensch! Und ihr werdet se- äußert sich. Inkarnation – Fleischwerdung –, das ist hen, dass man als Mensch gut leben kann. Nicht im nicht der Weg der Macht und schon gar nicht der All- Sinne von Komfort. Aber dass ihr als Menschen nie – macht, sondern das heißt klein werden. Das ist der und unter keinen Umständen – aus meiner Liebe fallt. Anfang: Da verwandelt sich etwas bei uns und insge- Das ist das Entscheidende. Nicht dass ihr die absolute samt. Jedes Jahr neu erlebt – jeweils aus der Perspek- Sicherheit habt oder alles habt, was ihr wollt; nicht tive, in der wir leben. Gegenwärtig leben wir mit der dass ihr allmächtig seid. Vertraut, dass ich jeden Men- Maske und mit Abstand, und daraus erwächst eine schen unter allen Umständen liebe.« Jesus wird Mensch spezifische Sehnsucht. Die Umstände, unter denen wir mit allen Widersprüchen, mit Konflikten, mit Schei- leben, machen uns empfänglich für einen bestimmten tern, mit Gelingen – aber stets wird deutlich: Er ver- Aspekt der Botschaft. traut darauf, von seinem Vater geliebt zu sein. Wer Mensch wird, will nicht sein wie Gott, sondern Gott Weihnachten – das Fest der Menschwerdung vertrauen. Gottes – was heißt das konkret? Kerstin Meinhardt: Ich finde im Bezug auf Weihnach- Martin Königstein SSCC: Die Tatsache, dass Gott Teil ten die griechischen Kirchenlehrer wie zum Beispiel unserer Geschichte und Teil unseres Lebens wird, heißt Johannes Chrysotomos wegweisend. Er hielt im fünf- für mich, dass wir nicht zu hundert Jahren Einsamkeit ten Jahrhundert in Byzanz vor dem Kaiserpalast eine verurteilt sind, wie es bei Gabriel García Márquez heißt. Weihnachtspredigt, in der er sinngemäß sagte: »Was Wir sind nicht verurteilt, in unserer Blase zu bleiben. nützt es Dir, Weihnachten zu feiern, wenn Christus Diese wird durchstochen, und der Horizont öffnet sich. nicht in Deinem Herzen geboren wird, wenn Du ihn Ich bin eingeladen eins zu werden mit dem Schöpfer, nicht in Deinem Leib trägst und durch gute Werke ge- den Menschen und mit der ganzen Schöpfung. Die bierst, indem Du für die Armen, die vor Deinem Palast Menschwerdung öffnet den Weg dahin. Die eigenen liegen, Sorge trägst.« Dieser Gedanke, dass Christus in Grenzen und der begrenzte Horizont können zurück- mir, in meinem Herzen geboren wird und durch meine gelassen werden. Taten in die Welt kommt, ist in der Ostkirche – wo ja auch das Herzensgebet gepflegt wird – sehr präsent. Kerstin Meinhardt: Für mich ist das Besondere an Weih- Christus will also immer wieder neu geboren werden. nachten, dass Gott uns als Kind begegnet. Er ist schutz- Bei uns in der Westkirche wird der Gedanke noch im los, abhängig. Er streckt die Arme aus und fragt im Barock formuliert zum Beispiel durch Angelus Silesi- Grunde genommen nur nach unserer Liebe. Das finde us, aber verliert sich dann … ich etwas Besonderes am Christentum gegenüber an- deren Religionen. Gott ist nicht der oben thronende, Manfred Kollig SSCC: Er drückt sich auch in dem Kir- gekrönte Herrscher, sondern er macht sich klein und chenlied aus, in dem es heißt: »Treuer Immanuel, werd´ verletzlich, um uns zu begegnen. Das berührt mich; auch in mir nun geboren.« Gott wohnt in mir und in ich denke, dadurch wird eine bestimmte Qualität die- allen Menschen. Eigentlich ist es der Auftrag von Kir- ser Beziehung aufgezeigt. Außerdem wird an der Krip- che – nicht nur an Weihnachten – immer wieder deut- pe deutlich, dass Gott uns in den Niederungen des All- lich zu machen, dass dieser Gott in allen lebt, ob sie tags begegnet. Für mich ist das eine Ermutigung, die das glauben können oder nicht. Und dass wir wahrneh- Gottesbegegnung in meinem Alltag zu suchen und nicht men, dass er in ihnen wirkt – in aller Bruchstückhaf- primär im sakralen Raum. So wie Teresa von Avila ih- tigkeit. Geboren wird Gott nicht in der Komfortzone, ren Schwestern sagte, dass sie auch zwischen den Koch- sondern in der Krippe. Auch wenn ich mich fühle wie schüsseln Gott finden können. Für mich wird diese ein »armer Stall« oder eine »erbärmliche Höhle«: Für zentrale Botschaft nicht durch den ganzen Lichterglanz Gott ist das kein K.-o.-Kriterium: Er will trotzdem in mir und das Lametta erstickt, sie ist immer noch spürbar. wohnen. 8 | Apostel WEIHNACHTEN
Gott kommt in die Welt, wird Mensch und zeigt stets, dass er die Freiheit des Menschen achtet. Er lässt je- den gehen. Er fragt sogar an der Stelle, wo viele ihn verlassen, seine Jünger: »Wollt auch ihr gehen?« So gibt er sogar die Freiheit, sich von ihm zu entfernen, ihn im Stich zu lassen. Wir als Kirche sind Zeichen dieses Gottes, wir sind Realsymbol. Wir tun daher gut daran, zu schauen, wie wir mit den Menschen umge- hen vor allem mit den Teilen ihres Lebens, die nicht perfekt sind, die nicht den Idealen entsprechen. Er- fahren sie, dass sie trotzdem geliebt sind, oder erfah- ren sie sich als ausgeschlossen? Ist das, was wir als Kirchen leben, konstruktiv? Führt es Menschen zu- sammen, oder ist es destruktiv und spaltet? Dieser Gott, der Mensch wird, tut alles, um die Menschen zu- sammenzubringen, und nichts, um sie zu spalten. Wo gespalten wird, wo destruktiv gewirkt wird, darf sich niemand auf Gott berufen! Für mich ist es bei der Ge- wissenserforschung immer wichtig, mich zu fragen, ob das, was ich getan habe, konstruktiv war und Men- schen zusammengebracht hat. Wenn es die Leute aus- einanderbringt und sie von Gott entfernt, dann habe ich meinen Auftrag nicht erfüllt. Der Krippenbauer Benjamin Marx platziert die Figur eines Flüchtlings aus Eritrea in der Krippe, die erstmals 2016 in der Kölner Kirche St. Maria in Lyskirchen in einem Flüchtlingsboot aus Malta aufgebaut war. Auf dem Weg zur Krippe befindet sich unter anderen Figuren auch eine junge D rogenabhängige. Sie trägt den Stern. Sogenannte Milieukrippen versuchen in vielen Gemeinden, die Erfahrung »Gott wird Mensch« zu vermitteln. © KNA WEIHNACHTEN Apostel | 9
Und dennoch sind es auch Christen, die die Würde anderer missachten, denken wir nur an den sexuellen Missbrauch … Martin Königstein SSCC: Das Thema Missbrauch – das wird immer deutlicher – geht weit über das Thema des sexuellen Missbrauchs hinaus. Es belastet mich – ge- rade an Weihnachten, wo Gott selbst sich verwundbar macht –, zu einer Institution zu gehören, die sich an Kindern schuldig gemacht hat, also gerade an denen, die verwundbar sind und Fürsorge und liebevolle Zu- wendung brauchen. Manfred Kollig SSCC: Es stimmt, wir sind als Kirche schuldig geworden, weil wir durch sexuellen, aber Westafrikanische Krippe auch durch geistigen und geistlichen Missbrauch den Menschen ihre Freiheit und Würde genommen haben. Wir haben Gott nicht so dargestellt, wie er ist; nämlich ganze Jahr über eine Krippe stehen und feiern Weih- als einen, der die Freiheit und die Würde der Menschen nachten. Vielleicht müssten wir als Christinnen und radikal achtet. Wir sind sündig geworden, weil wir uns Christen den Gedanken von Weihnachten tatsächlich schuldig gemacht haben an denen, von denen er sagt: auch an den anderen Tagen des Jahres wachhalten. »Wer einen von diesen Kindern aufnimmt, nimmt mich Vielleicht würden wir dann öfter nach dem gefragt, auf.« – Hier wurde eine besondere Fürsorge und Liebe was wir da eigentlich glauben, was uns ausmacht und zugesagt, die schrecklich verletzt wurde. Ganz unbe- weshalb wir so handeln, wie wir handeln. Der heilige stritten sind wir auch schuldig geworden dadurch, Franziskus hat seinen Brüdern mitgegeben, so zu le- dass wir das als Kirche nicht rechtzeitig erkannt haben ben, dass sie gefragt werden nach ihrem Glauben. und auch nicht in der rechten Weise dagegen vorge- »Stellt euch nicht auf den Marktplatz und predigt den gangen sind. Ich sehe für mich den Auftrag, dafür zu Leuten, dass sie so und so sein müssen, sondern lebt sorgen, dass wir in Zukunft besser Sakrament sind; in einer bestimmten Art und Weise, sodass ihr gefragt das heißt Aufmerksamkeit zu erzeugen, wo heute wie- werdet. Und dann redet davon, was euren Glauben der den Menschen die Freiheit genommen wird. Wo ausmacht.« Vielleicht erfüllt uns der Gedanke an wieder Leben zerstört wird, wo wieder Menschen klein Weihnachten und bringt uns zum Strahlen … Und ich gemacht und in Abhängigkeit gehalten werden. denke an die Botschaft des Engels: »Fürchtet Euch nicht!« Ich denke, dass ist eine wichtige Weihnachts- Kerstin Meinhardt: Die Oberzeller Franziskanerinnen botschaft in diesem Jahr und wohl darüber hinaus. arbeiten mit gestrauchelten, verwundeten Frauen am Rande unserer Gesellschaft. Sie haben übrigens das Manfred Kollig SSCC: Unser Stifter hat gesagt: »In Jesus finden wir alles, seine Geburt, sein Leben, seinen Tod. Das ist unsere Regel.« Er hat nicht nur das Kreuz be- nannt, obwohl das Kreuz in unserer Spiritualität eine besondere Rolle spielt; die Verehrung des Kreuzes und die Anbetung des Gekreuzigten. Stifterin und Stifter un- serer Ordensgemeinschaft haben in der Weihnacht ihr Gelübde abgelegt. Das gesamte Leben Jesu sollte be- Auf dem Weg zur Krippe trachtet werden. Die vier Lebensalter Jesu sind Teil un- »Die wesentlichen Dinge kannst Du nicht machen, serer Spiritualität, die uns von den Stiftern mitgegeben sondern nur empfangen. Aber du kannst dich wurde: die Kindheit Jesu, das Jugend- und das Erwach- empfänglich machen!«, schreibt der Geigenbauer senenalter und sein Leiden und Sterben sollen wir be- Martin Schleske. Wie machen Sie sich empfäng- trachten und daraus Impulse für unser Leben nehmen. lich? Wie gestalten Sie die Advents- und Weih- Dahinter steckt der Gedanke, das ganze Leben vom er- nachtszeit? Welche Bedeutung haben Krippen für sten bis zum letzten Augenblick in den Blick zu nehmen, Sie? Schreiben Sie uns, welche Traditionen Sie für sich entwickelt haben. Was ist hilfreich und gut, weil sich in diesem ganzen Leben die Liebe Gottes of- was gilt es vielleicht zu überdenken? Wir freuen fenbart. Vielleicht brauchen wir das ganze Jahr nicht uns auf Ihre Zuschriften: apostel@sscc.de nur das Kreuz, sondern auch die Weihnachtskrippe. p 10 | Apostel WEIHNACHTEN
100 Jahre Deutsche Provinz Jubiläumsfeier anders als gedacht ¡ Heinz Josef Catrein SSCC Am 15. August des Jahres 1920 wurde die Deutsche Ordensprovinz gegründet. Bei einer Feier im Corona geschuldeten kleinen Rahmen hielt unsere Ordens- gemeinschaft Rückschau auf ein Jahrhundert mit vielfältigen Facetten. Das Erinnern lässt Namen und Orte auftauchen und die unterschiedlichsten Gefühle: Stolz über Geleistetes, Dankbarkeit für gute Erfahrungen, Ärger über verpasste Möglichkeiten, Trauer über Ver- lorenes und auch Scham über Verfehlungen … Doch nicht nur die Vergangenheit spielte bei der Feier am 3. Oktober in Werne eine Rolle. Auch heute gestalten Frauen und Männer ihr religiöses Leben als Eheleute oder Singles bewusst aus der Spiritualität unserer Ordensgemeinschaft heraus. Sie sind mit uns auf dem Weg. Jubiläen sind somit auch Orientierungspunkte für die Zukunft. Die Deutsche Provinz hatte all dies im Auge, als sie das Jubiläum plante. Was sie allerdings nicht berücksichti- gen konnte, war das Coronavirus und seine Folgen. So konnten wir nicht am 15. August feiern und waren gezwungen, die Zahl der geladenen Gäste drastisch zu begrenzen. Das hat uns sehr geschmerzt und vielleicht auch den einen oder die andere verletzt, die im Stillen mit einer Einladung gerechnet hatten. Zu unserer Freude zeigten viele Menschen ihre Verbundenheit mit uns. Wir trafen Vertreter:innen der Schulen, ehe- malige Angestellte, heutige Mitarbeiter:innen und Vertreter:innen des weltlichen Zweiges. Weiterhin die Mitglieder der »Arnstein-Gemeinschaft«, ehemalige Mariens alles im Herzen zu bewahren und zusammen- Mitbrüder und die Pilgerhelfer:innen. zusetzen. Besondere Bedeutung hatte im Gottesdienst die musikalische Gestaltung durch Maja Westbomke Der Gottesdienst wurde in der St.-Christophorus-Kirche und Dietmar Fischenich. Ihr Überraschungsgeschenk zu Werne gefeiert. Mit Provinzial Martin Königstein an die Festgemeinde war ein eigens zum Jubiläum SSCC standen der Stellvertreter des Generalsuperiors komponiertes Lied. Nach dem Gottesdienst wurde in Rom Pater Derek Laverty (Irland) und der Superior im Kolpinghaus weitergefeiert. Pater Derek Laverty der neuen Kommunität in Berlin Pater Patris Breket SSCC von der Generalleitung in Rom hob die Rolle der (Indonesien) am Altar. Viele weitere Mitbrüder nahmen Deutschen Provinz in der internationalen Gemeinschaft an der Konzelebration teil, unter anderem der Provin- SSCC hervor. Er würdigte den Einsatz deutscher Mitbrü- zial unserer polnischen Provinz. Pater Heinz Josef der in den internationalen Projekten der Kongregation Catrein SSCC verglich in seiner Predigt das Jubiläum und beschrieb den internationalen Konvent in Berlin mit einem Strandspaziergang, bei dem man auf das als einen neuen wichtigen Beitrag für die weltweite achtet, was die Zeit an Land gespült hat, und vielerlei Ordensgemeinschaft. verschiedene Dinge findet: Staunenswertes, Schönes © JÖRG STENGL und Gegenstände, die dort nicht hingehören. Es geht Stellvertretend für all die vielen Gemeinden, in denen darum, dies wahrzunehmen und nach dem Beispiel Brüder der Gemeinschaft aktiv waren und sind, lenkte FAMILIE SSCC Apostel | 11
Dass unter Asche Glut brennt Dass unter Asche Glut brennt, ein Feuer neu entfacht, ein großes Licht hell leuchtet, weit sichtbar in die Nacht, dass es Wärme trägt und ausstrahlt, dass Hoffnung nicht erkaltet, Musikalische Gestaltung durch Maja Westbomke und dass ihr das Licht verbreitet, Dietmar Fischenich das ihr in Händen haltet. Dass ihr wie eine Stadt seid, die man von Weitem sieht, wo Liebe, Friede, Freundschaft und Wohl von allen blüht, dass in euren Mauern Recht sei, das eure Worte künden, dass Flüchtende dort Heimat und bei euch Ruhe finden. Lothar Christ, der Bürgermeister von Werne, mit Mar- tin Königstein. Er hob die Rolle der Schulen hervor. Dass ihr die Prise Salz seid, die würzt, Geschmack verleiht, dass ihr nicht farblos, fade, dass ihr lebendig seid, dass ihr handelt und verändert, in Gottes Sinn gestaltet, dass ihr Salz und Licht der Welt seid und Gott selbst in euch waltet. Lied zur 100-Jahr-Feier von Dietmar Fischenich Die Corona-Bestimmungen beschränkten die Zahl der Festgäste im Kolpinghaus/Werne auf 70 Personen Pfarrdechant Jürgen Schäfer aus Werne den Blick auf liche, gerechte und friedliche Gesellschaft, die Papst die Rolle unserer Gemeinschaft in der lokalen Kirche. Franziskus in »Evangelii gaudium« formulierte. Als Der Bürgermeister von Werne – Lothar Christ – richtete Summe dieser Leitsätze fügte Pater Manfred einen die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung unserer Schule. fünften an: »Die Ewigkeit wiegt mehr als die Zeit.« Es waren unsere Patres, die das erste Gymnasium in Er schlussfolgerte: »100 Jahre Deutsche Provinz: Das Werne eröffneten, ihm hohes pädagogisches Ansehen Ganze zu sehen, bedeutet auch, sich vorzustellen, dass verschafften. in diesen 100 Jahren deutsche Mitbrüder für zwei bis drei Millionen Menschen tätig waren, getauft und das Pater Manfred Kollig SSCC lud in seinem Vortrag die Wort Gottes verkündet haben. Eine ›Millionenstadt‹, Festversammlung zu einer Betrachtung über Gegen- in der Menschen von deutschen Mitbrüdern begleitet wart und Zukunft ein. Dieser Beitrag steht auf unserer und ausgebildet wurden, in der Menschen die Sakra- © JÖRG STENGL Website zum Download bereit. Behandelt werden mente gespendet und sie auf ihrem letzten irdischen darin die Handlungsprinzipien für eine geschwister- Weg begleitet wurden.« p 12 | Apostel FAMILIE SSCC
Erfüllte Zeit IV Geistlicher Wegbegleiter Winter 2020 ¡ Manfred Kollig SSCC In der letzten Ausgabe des Geistlichen Wegbegleiters wir, bevor wir sterben? Diese Fragen beantworten war ein Lobgebet des Prudentius abgedruckt. In der 2. Menschen unterschiedlich. Streben wir nach einem * GEBET IN EINEM WELTLICHEN LEBEN, 31F. (ZIT. N. MADELEINE DELBRÊL, GOTT EINEN ORT SICHERN. TEXTE-GEDICHTE-GEBETE, HRSG. VON ANNETTE SCHLEINZER, KEVELAER 2007, 38) Strophe war ein Druckfehler. Dort stand: »des Herzens bestimmten Beruf, nach einem Titel, nach einer Part- Sterben klar und rein«. Stattdessen heißt es richtig: »des nerin oder einem Partner, nach einem eigenen Haus, Herzens Streben klar und rein«. An dieser Stelle kann nach einem bestimmten Auto, nach dem nächsten uns selbst der Fehlerteufel auf eine interessante Idee runden Geburtstag, nach dem Urlaub …? bringen: Streben und Sterben. Liegen diese Begriffe eigentlich so weit auseinander? Zu diesem Streben gibt es einen Impuls von Madeleine Delbrêl*: In dieser vierten Folge des Geistlichen Wegbegleiters unter dem Thema »Erfüllte Zeit« soll es um die Span- nung gehen zwischen dem, wonach wir streben, und dem Ziel, dem wir alle entgegengehen. Wonach streben Geht in euren Tag hinaus ohne vorgefasste Ideen, ohne die Erwartung von Müdigkeit, ohne Plan von Gott, Madeleine Delbrêl (1904–1964) war phasen- ohne Bescheidwissen über ihn, weise Atheistin und konnte in ihrem Leben ohne Enthusiasmus, zeitweise gut ohne, gut gegen und gut mit Gott leben. Den größten Teil ihres Lebens hat sie ohne Bibliothek – als katholische Sozialarbeiterin gewirkt und geht so auf die Begegnung mit ihm zu. sich für die Armen in Ivry am Rande von Paris Brecht auf ohne Landkarte – eingesetzt. Sie hatte gute Kontakte zur Kom- munistischen Partei, zu den Arbeiterpriestern und wisst, dass Gott unterwegs in Frankreich und anderen sozial engagierten zu finden ist, Persönlichkeiten in Kirche und Politik. Sie hat und nicht erst am Ziel. den Streit um die Arbeiterpriester und das Verhältnis zur Kommunistischen Partei durch- Versucht nicht, litten und sich in einer persönlichen Begeg- ihn nach Originalrezepten zu finden, nung mit Papst Pius XII. für die Arbeiterpriester sondern lasst euch von ihm finden eingesetzt. Letztendlich konnte sie aber nicht verhindern, dass diese seitens des Vatikans in der Armut eines banalen Lebens. kritisch betrachtet und schließlich abgelehnt wurden. Madeleine Delbrêl hat ihr Leben als katholische Mystikerin angenommen und ge- staltet. Ihr Seligsprechungsprozess wurde von Papst Johannes Paul II. eröffnet. Papst Franzis- Erfüllte Zeit ist die Zeit, in der wir uns von IHM finden kus hat sie 2018 bereits als ehrwürdige Diene- lassen. Am Anfang steht dabei immer Gott, der den rin Gottes anerkannt. Anstoß gibt, der zeugt, in uns etwas erzeugt, auf dass wir dies dann bezeugen. Apostel | 13
5 vor 12 – erfüllte zeit – 5 nach 12 Winter 2020 zeugen Erfüllte Zeit ist nicht von damalige Zeiten nicht lang, Gott, du schenkst mir deinen Geist. ihrer Länge abhängig. Er- die Zeit seines öffentlichen Hauch mir immer wieder Leben ein, füllte Zeit kann viele Jahre Wirkens kurz. wo ich müde werde und andauern, manchmal aber gähnende Leere spüre. auch nur Sekunden. Ein Auf den Augenblick scheint Lass mich vertrauen, Augenblick kann erfüllte es anzukommen, wenn Gott dass du wachsen lässt, Zeit sein. etwas zeugt. Augenblicke, was ich aus Liebe säe. um dem Menschen nahezu- So lass mich jeden Augenblick Am Anfang der Schöpfung kommen; um ihm zu sagen, als sinnvolle und erfüllte Zeit erfahren. stand ein Hauch. Gott, so dass er den gleichen Lohn Amen. heißt es im 2. Kapitel, Vers 7 bekommt, wenn er auch des Buches Genesis, hauchte nur kürzere Zeit gearbeitet dem Adam Leben ein. Der hat. Es ist das Samenkorn, Habe ich etwas begonnen, was darauf wartet Herr »blies in seine Nase nicht der fertige Baum, mit zu wachsen? Wo vertraue ich konkret darauf, den Lebensatem. So wur- dem Jesus das Wirken Gottes dass ein »Samenkorn« aufgeht? Wann habe de der Mensch zu einem vergleicht. ich erfahren, dass aus dem Wenigen etwas lebendigen Wesen.« Für Wertvolles entstehen kann? die erfüllte Zeit braucht es Was aus Gottes Geist ge- Erfüllt ist die Zeit nicht deshalb, weil wir offenbar weder die Fülle an schieht, beginnt klein, ist dieses Wirken biologisch, psychologisch Zeit noch die Fülle an ma- wirkmächtig, kann sich ent- oder theologisch erklären können. Es sind teriellen Dingen. Gott gibt falten und darf in Freiheit nicht der Hauch, nicht das Wort, nicht der ein wenig von sich, einen wachsen. So wirkt er auch Same, nicht die Eizelle, nicht die Berüh- Hauch. durch uns Menschen, wenn rung, nicht die Leistung, die aus gemes- ein Wort mehr ansprechen sener Zeit erfüllte Zeit machen. Es ist der Die Bibel ist voll von Zeug- kann als ein ganzes Buch Geist, aus dem dies alles geschieht. Gott nissen, die belegen, dass voller Wörter; eine Berüh- haucht, spricht, berührt, eint aus Liebe. Gott das Wenige und das rung wirksamer sein kann Wo Liebe ist, gewinnt das Wenige, Kleine Geringe erwählt, um daraus als langes Festhalten. Und und Geringe Kraft, während das Große Großes werden zu lassen. schließlich sind wir alle und die Fülle ohne Liebe zerstören oder Selbst seine eigene Men aus der Vereinigung von wirkungslos sind. schwerdung geschieht nur ein wenig männlichem Sa- durch diesen Lebensatem men und weiblicher Eizelle »Heiliger Geist«. Fünf Brote entstanden. und zwei Fische reichen, um die Menge zu speisen. Nach einer Nacht ohne Fischfang genügen ein paar Minuten, um die Netze so zu füllen, dass es eine Zerreißprobe wird. Eine kurze Berührung Mit einem Hauch heilt, ein Wort richtet auf, in beginnt das Leben … ein kleines Stück Brot und in einen Schluck Wein legt Jesus sein Testament. Das Leben Jesu war selbst für 14 | Apostel
Winter 2020 5 vor 12 – erfüllte zeit – 5 nach 12 erzeugen Gott zeugt, aber er erzeugt nicht. Er ist kein Produzent, der sich einen Plan macht und nach diesem Plan etwas zusammenbaut. Gott konstruiert keine Produkte und baut nichts Fertiges. Er haucht Leben ein und lässt dem Lebenden die Freiheit, sich zu entfalten und zu wachsen, zu lernen und zu reifen. Ob die Zeit erfüllt ist oder nicht, hängt nicht von der Menge oder der Qualität der Erzeugnisse ab. Die Zeit ist erfüllt, wo Gott eine Initiative ergreift. Initiative ergreifen heißt einen Anfang setzen. Erfüllt ist die Zeit, weil in jedem Lebensanfang, der von Gott ausgeht, die Chance liegt, dass dieses begonnene Leben gelingen kann. Das ist die Verheißung Gottes: Mit dem Lebensatem gibt er das hinein, was es braucht, um vollendet zu werden. Ob dieses genutzt wird, hängt vom Menschen ab, von seiner Auf dem Weg zum Erzeugnis Freiheit, von seinen Lebensbedingungen. in Freiheit pflegen, was gezeugt wurde … Dabei steht der Mensch immer in Bezie- hung mit anderen Menschen. Der Gebrauch seiner Freiheit hängt wesentlich auch von deren Einfluss ab. Das mag irritieren. Der Allwis- Was hat Gott in mir gezeugt, Gott hat nicht den perfekten Menschen sende setzt nicht sein ganzes angelegt, begonnen? Wie erzeugt. Wie es im 3. Kapitel des 1. Briefs Wissen ein, um den perfekten baue ich auf Jesus Christus, des Apostels Paulus an die Gemeinde in Menschen zu schaffen, der dem Grund, weiter? Wann Korinth heißt, lässt Gott wachsen. Er baut nur Gutes tun kann, nur dem sollte ich selbst zeugen statt nicht das Haus, sondern er ist der Grund, Frieden dient und sich unein- zu erzeugen? Wo müsste ich auf dem wir bauen können. geschränkt für die anderen mehr Freiheit lassen, damit und für eine gerechte Welt Gutes entstehen kann? einsetzt. Stattdessen gibt er Erfüllt ist die Zeit, in der dem Menschen alle Gaben Menschen erkennen, was Gott, du hast mir die Freiheit geschenkt. mit, um gut zu handeln. Und Gott in ihnen gezeugt, gesät Lass mich erkennen, er gibt ihm die Freiheit, diese und angelegt hat, damit sie was du in mir gezeugt hast. Gaben einzusetzen oder auch dies im Laufe ihres Lebens Gib mir Geduld und Ausdauer nicht. Jeder Mensch kann entfalten. Mitzuarbeiten und zu pflegen, was du angelegt hast. Worte sprechen, die verlet- zu pflegen auf dem Weg zum Amen. zen, und Worte, die heilen. »Erzeugnis«, sind Aufgabe Jeder Mensch kann den an- jedes Menschen. Wo dieses deren zärtlich berühren und Zusammenspiel gelingt, le- brutal verletzen. ben wir in erfüllter Zeit. Apostel | 15
5 vor 12 – erfüllte zeit – 5 nach 12 Winter 2020 bezeugen Die 12. Betrachtung über die Gott ist der, der zeugt, aber »erfüllte Zeit« möchte ich nicht fertige Produkte oder mit einer Vermutung begin- perfektes Leben erzeugt. nen: Vielleicht hätten wir Das kann uns Angst ma- es gerne anders; Gott sollte chen. Gleichzeitig sagt Je- doch alles perfekt machen. sus immer wieder: »Fürchtet Er sollte Hunger und Krieg, euch nicht!« Er will nicht, Krankheit und alle Übel be- dass wir uns ängstigen. Wie enden. Eigentlich hätte er passt das zusammen? Ei- dafür sorgen müssen, dass nerseits gibt uns Gott nicht solche Übel und alles Böse die Sicherheit, die wir gerne gar nicht erst entstanden hätten. Andererseits fordert wären. Und er sollte sich er uns auf, keine Angst zu bitte auch immer eindeutig haben. Einerseits teilen wir zeigen. Er sollte seine Macht mit den Jüngern im Boot die Welche Berichte in der Bibel und in der einsetzen und dafür sorgen, Erfahrung, dass Jesus im Geschichte der Kirche wecken in mir das dass er immer und überall Boot schläft und nichts tut, Vertrauen auf Gott? Erinnere ich mich an als Sieger dasteht. Und ne- während unterschiedliche Menschen, deren Gottvertrauen mich ermu- benbei sollte er natürlich Formen von Stürmen – wie tigt, selbst ebenfalls auf Gott zu vertrauen? auch die Menschen, die sich beispielsweise die Pande- Bezeuge ich Gott als den, der in diesem zu ihm bekennen, erfolg- mie – uns gefährden. Ande- Leben heilsam wirkt und dem ich zutraue, reich machen. Vielleicht rerseits sollen wir uns nicht dass er uns von allem Übel erlösen wird? bedeutet »erfüllte Zeit« für ängstigen. Wir können gerade unserer heutigen Ge- uns die Zeit, in der alles rund sellschaft einen guten Dienst erweisen, und perfekt läuft. Gott setzt unserer Angst wenn wir bezeugen, dass wir uns nicht nicht das Versprechen ent- ständig absichern und Sicherheiten su- Als ich mich entschieden gegen, uns die Sicherheit zu chen, sondern Gott vertrauen. Das bedeutet habe, die vier Ausgaben für geben, dass alles gut wird, nicht, tollkühn zu werden, sondern im den Geistlichen Begleiter in dass alles Elend bald auf- Vertrauen unvermeidbare Risiken mutig GRAFIKEN DES WEGBEGLEITERS © MEINHARDT VERLAG UND AGENTUR/LUKAS NEU/JANINA BACK diesem Jahr unter das The- hört. Diese Sicherheiten, die anzunehmen und mit begrenzter Sicherheit ma »erfüllte Zeit« zu stel- wir gerne hätten, gibt Gott zufrieden und glücklich zu leben. Dann ist len, dachte ich nicht an die nicht. Stattdessen lädt er die Zeit erfüllt. Möglichkeit einer Pandemie. uns ein, ihm zu vertrauen. Pest und Cholera gab es im Von der Schöpfung über Mittelalter, Lepra bis in die die Auferstehung bis hin Neuzeit, die sogenannte zur Gegenwart gibt es gute Jesus Christus, Heiland und Erlöser. Spanische Grippe vor 100 Gründe, darauf zu vertrau- Lass mich annehmen, Jahren. Aber eine Pandemie en, dass Jesus Christus der dass unsere Sicherheit begrenzt ist. mit der Auswirkung von Co- Heiland und Erlöser ist, Stärke mich im Glauben an Gott vid-19 konnte ich mir für das dass er unseren Weg be- und im Vertrauen auf dich, Jahr 2020 nicht vorstellen. gleitet. der du in deiner Angst dein Leben in Gottes Hände gelegt hast. Amen. Mit begrenzten Sicherheiten leben und Gottvertrauen bezeugen … 16 | Apostel
100 Die Ordensschulen: Wachstum und Übergabe Deutsche Ordensprovinz 2020 wurde die Deutsche Provinz der »Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens und der ewigen Anbetung« 100 Jahre alt. Die Redaktion nimmt dies zum Anlass, die Geschichte der Ordensprovinz in den »Apostel«- Ausgaben dieses Jahres vorzustellen und jeweils den Fokus auf einen die ¡ Heinz Josef Catrein SSCC jeweilige Epoche prägenden Begriff zu richten. In diesem Heft geht es darum: Auch »die Bäume« einer Ordensgemeinschaft »wachsen nicht in den Himmel«. Neubeginn nach den Katastrophen von Baumaterial, um die Kriegsschäden auszubessern. Nazizeit und Krieg Das Haus in Waldernbach im Westerwald war von Um die Aufbauleistung unserer Mitbrüder nachvoll- Evakuierten bewohnt; die Schüler, die dort studieren ziehen zu können, muss man sich die Situation nach sollten, mussten nach Kloster Arnstein umziehen. Kriegsende 1945 vor Augen führen. Das Haus Simpel- Und das mit großen Hoffnungen begonnene Projekt veld war mit drei Kommunitäten überbelegt, das ent- Falkenhain in Schlesien war für die Deutsche Provinz eignete Provinzialat durch Bombentreffer schwer be- verloren. Es blieben das »Klösterchen« in Herzogen- schädigt. Das Johanneskloster in Lahnstein stand der rath bei Aachen, das Noviziat in Weibern in der Eifel Ordensgemeinschaft zwar endlich wieder vollständig und die Pfarrei St. Theresia in Wattenscheid-Eppen- zur Verfügung, aber ohne Nahrungsmittel, Kohle und dorf, heute ein Stadtteil von Bochum. Von einigen zur Wehrmacht eingezogenen Mitbrüdern fehlte jede Spur. Riesig war die Freude, wenn sie sich nach der Entlassung aus der Gefangenschaft zurückmeldeten. Ihre gesundheitliche Verfassung war sehr unter- schiedlich. So wird in der Chronik notiert: »Pater L. sieht immer noch aus wie ein ›Russe‹. Pater R. kam in bemerkenswert gutem Ernährungszustand aus eng- lischer Gefangenschaft nach Hause.« Hunger und Französisch in Lahnstein Für das Johannesgymnasium in Lahnstein erhielt die Ordensgemeinschaft bereits im Juli 1945 die Genehmi- gung, 50 Schüler aufzunehmen. Am 1. Oktober be- Die von Brüdern betriebene Schreinerwerkstatt des gann schon der Unterricht mit den vor der Nazizeit Johannesklosters lieferte einen Großteil der Einrichtung für das Johannesgymnasium gültigen Lehrplänen. Mit einer Ausnahme: Franzö- sisch wurde Hauptfach in allen Klassen. 100 JAHRE Apostel | 17
Das Hauptproblem war aber nicht der Lehrplan, son- Seit dem Jahre 1963 gehörten Baukräne zum ver- dern der Hunger. Die Schüler wurden eigentlich nie- trauten Bild des Schulgeländes. Die Schule wuchs mals richtig satt. Dazu kam die bittere Kälte des Win- und stand – von außen betrachtet – imponierend da. ters 1945/1946, als den Internatsschülern das Wasser Für die Ordensgemeinschaft wurde sie dagegen mehr in ihren Waschschüsseln gefror. Eine Typhusepide- und mehr zu einer Belastung: Der Ordensnachwuchs mie hat 1946 einigen Schülern fast das Leben geko- blieb aus, die Zahl der unterrichtenden Patres sank stet. Pater Theodor kam auf die Idee, die Kinder am beständig, und das Projekt war finanziell nicht mehr Wochenende in die Bauerndörfer des nahen Huns- zu stemmen. Schon 1972 wurden die Lasten durch die rücks und des Taunus zu schicken, wo sie sich bei Fa- Gründung der Johannes-Schul-GmbH zwischen Bis- milien untergebracht einmal satt essen konnten. tum und Orden neu verteilt, im Jahre 2006 dann die Schule dem Bistum Limburg vollständig übergeben. In den ersten Nachkriegsjahren fehlte es an qualifi- Prägend für den Geist der Schule war neben der religi- zierten Lehrkräften. Die Ordensgemeinschaft schickte ösen Erziehung auch die außerschulische Jugendar- deshalb die jungen Patres zum Lehramtsstudium an beit: In der »Gemeinschaft vom christlichen Leben« die Universitäten. Parallel dazu wurden ab 1948 welt- fanden die Schüler vielerlei Angebote: Gruppenstun- liche Lehrkräfte angestellt. den, Frühschichten in der Advent- und Fastenzeit und soziales Engagement. Legendär waren die Pfingst- Internat, Schule und Konvent mussten unter dem und Sommerlager auf dem Zeltplatz Dahlheim mit bis Dach des Johannesklosters unterkommen. Es platzte zu 150 Teilnehmer:innen. damals aus allen Nähten. Selbst im Kreuzgang zog man provisorische Zwischenwände ein, um Klassen- Bahnbrechend war die Schule auch auf dem Gebiet räume zu gewinnen. In einer enormen Kraftanstren- der deutsch-französischen Versöhnung. Keine zehn gung wurde zwischen 1951 und 1960 in drei Bauab- Jahre nach dem Ende des Krieges wurden 1954 die er- schnitten der heute sogenannte »Altbau« hochgezo- sten Kontakte nach Frankreich geknüpft – zum Col- gen. Patres, Studenten, Brüder und Schüler hoben lège St. Etienne und zum Lycée Charles Péguy in Gräben und Fundamente aus, die klostereigene Schrei- Châlons-en-Champagne. Von nun an war der Schü- nerei lieferte die Inneneinrichtung, und die Kloster- ler:innenaustausch nicht mehr aus dem Schulleben gärtnerei gestaltete die Außenanlagen. wegzudenken. Dieses deutsch-französische Pionier- projekt war wohl das erste seiner Art und Vorbild für Bis 1966 stellten die Patres die Mehrheit des Lehrkör- Austauschprogramme unserer Schulen mit weiteren pers. Ihre Gehälter flossen in den »großen Topf« der Ländern. Das bekannte Deutsch-Französische Jugend- Ordensgemeinschaft, und in Verbindung mit der hand- werk wurde erst neun Jahre später ins Leben gerufen. werklichen Eigenleistung ermöglichte dieses System den Unterhalt der Schule. Eine weitere Besonderheit des Johannesgymnasiums war der Einsatz für das »Deutsche Aussätzigen-Hilfs- werk«, wie die Deutsche Lepra- und Tuberkolosenhilfe, damals hieß. Pater Damian de Veuster war das große Vorbild, und unter der Leitung der Patres Konrad Ku- senbach und Richard Ott gelang es den Schüler:innen, etwa fünf Millionen Deutsche Mark zu sammeln. Werne – eine Schule auf der grünen Wiese In unserer Ordensregel von 1817 findet sich der fol- gende Satz: »Um die Kindheit Jesu Christi wiederzuge- ben, erziehen wir unentgeltlich arme Kinder, Jungen und Mädchen.« Diesen Auftrag nahm die Deutsche Provinz sehr ernst: Kaum hatten sich die Verhältnisse in Deutschland stabilisiert, begann man ernsthaft, nach einem Standort für ein zweites Gymnasium zu suchen. Werne an der Lippe kam dabei in den Blick. Anfragen unserer Patres nach den Möglichkeiten, dort ein katholisches Gymnasium zu errichten, wurden Neubau des Wirtschaftsgebäudes am Johannesgymnasium in Lahnstein seitens der Stadtverwaltung, der lokalen Geistlichkeit und des Bistums Münster wohlwollend beantwortet, 18 | Apostel 100 JAHRE
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