"Langfristigkeit ist in der Klimapolitik das A und O" - De Gruyter

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"Langfristigkeit ist in der Klimapolitik das A und O" - De Gruyter
Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2021; 22(3): 247–258

Das Gespräch

Ottmar Edenhofer*

„Langfristigkeit ist in der Klimapolitik das A und O“
Ein Gespräch mit Ottmar Edenhofer über die CO2-Bepreisung, das Klimaschutzgesetz, den
europäischen Emissionshandel und den Vatikan

https://doi.org/10.1515/pwp-2021-0033                            einem sehr weitreichenden Urteil. Der Beschluss des Bun-
                                                                 desverfassungsgerichts ist daher vor allem ein Urteil über
PWP: Herr Professor Edenhofer, im März hat das Bundes-           die Notwendigkeit einer Selbstbindung der Politiker. Sie
verfassungsgericht entschieden, dass die Regelungen des          können notwendige Maßnahmen nicht mehr einfach in die
Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 verfassungs-           ferne Zukunft verschieben.
widrig sind. Was ist für Sie das Wichtigste an diesem
Urteil?                                                          PWP: Trägt das Urteil der Möglichkeit Rechnung, dass
                                                                 Deutschlands Bemühungen um Klimaschutz vergeblich sind,
Edenhofer: Durch das Urteil des Bundesverfassungs-               weil andere Länder nicht mitziehen, und dass sich die Taktik
gerichtes ist der Staat nach Art. 20a GG zum Klimaschutz         bedingter Selbstbindung lohnen könnte, nach dem Motto:
verpflichtet. Die Ziele des Pariser Klimaabkommens haben         Deutschland drosselt, wenn die anderen Länder es auch
damit Verfassungsrang. Vor allem werden die intertempo-          tun?
ralen Freiheitsrechte gestärkt: Wird nämlich die Emis-
sionsreduktion bis 2030 verzögert, steigen für die kom-          Edenhofer: Das Urteil verlangt vom Staat international
menden Generationen die Kosten das Klimaschutzes, und            ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas.
damit wächst auch das Risiko, dass Emissionsminderun-            Er soll damit all das unternehmen, was die globale Koope-
gen nur um den Preis von schwerwiegenden Freiheitsein-           ration fördert und stabilisiert, zum Beispiel auch bedingte
bußen möglich werden. Das macht den Beschluss zu                 Zusagen oder Transferzahlungen an andere Staaten, um
                                                                 Anreize zur Kooperation zu schaffen.1 Er kann sich aber
*Kontaktperson: Ottmar Edenhofer, Potsdam-Institut für
Klimafolgenforschung (PIK), Telegrafenberg, 14473 Potsdam, und
Mercator Institute on Global Commons and Climate Change (MCC),   1 Bauer, N., C. Bertram, A. Schultes, D. Klein, G. Luderer, E. Kriegler,
Torgauer Straße 12–15, 10829 Berlin,                             A. Popp und O. Edenhofer (2020), Quantification of an efficiency-so-
E-Mail: edenhofer@pik-potsdam.de                                 vereignty trade-off in climate policy, Nature 588, S. 261–66.
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seinen Verpflichtungen nicht mit dem Hinweis auf die           PWP: Lassen Sie uns erst einmal noch im deutschen Kontext
Emissionen in anderen Staaten entziehen und passiv das         bleiben. Nach meiner Erinnerung waren Sie mit dem alten
kooperative Nirwana herbeiwünschen, um erst dann zu            Klimaschutzgesetz nicht so ganz glücklich. Oder?
handeln. Er muss daran arbeiten, dass globaler Klima-
schutz gelingt.                                                Edenhofer: Ich fand das Ziel der Treibhausgasneutralität
                                                               bis 2050 richtig.
PWP: Das heißt, Sie sind Sie mit der Ermahnung der Politik
durch das Gericht sehr einverstanden?                          PWP: Aber den CO2-Einstiegspreis, der zunächst bei 10 Euro
                                                               pro Tonne liegen sollte, fanden Sie viel zu niedrig. Hatten Sie
Edenhofer: In dieser Interpretation schon. Die Bundes-         kein Verständnis für die Angst der Bundesregierung, in
regierung hat nach dem Urteil schnell beschlossen, das         Deutschland so etwas loszutreten wie in Frankreich die Gelb-
Ziel der Treibhausgasneutralität fünf Jahre vorzuziehen,       westen-Proteste?
und hat einen Minderungspfad für die Zeit nach 2030 fest-
gelegt, um das Klimaschutzgesetz verfassungskonform zu         Edenhofer: Doch, und dafür gab es ja dann eine Lösung:
formulieren. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch der       Man hat im Gegenzug durch die Senkung des Strompreises
Politik nicht das Formulieren klimapolitischer Ziele abge-     eine sichtbare Entlastung geschaffen und mit der Fern-
nommen. Es hat nur gesagt: Wenn Ihr zum Zeitpunkt x            pendlerpauschale Arbeitnehmer, die auf das Auto ange-
treibhausgasneutral werden wollt, dürft Ihr den Karren         wiesen sind, vor starken Belastungen bewahrt. Im Vermitt-
nicht einfach bis 2030 laufen lassen und dann erst auf dem     lungsausschuss wurde die Entlastung durch verringerte
letzten Meter mit dem Reduzieren der Emissionen anfan-         Strompreise nochmals angehoben – im Rahmen dieses
gen, um ihn so in die richtige Richtung zu lenken. Das wäre    Deals konnte man den Einstiegspreis immerhin auf 25 Euro
destruktiv, das kann nicht funktionieren. Deswegen müsst       anheben, ohne Geringverdiener damit mehr zu belasten.2
Ihr einen klaren Plan angeben, was nach 2030 kommen            Was mich schon damals in der Tat gestört hat, war die
soll. Ich finde das richtig. Es nervt mich schon lange, dass   Unklarheit: Wie geht es nach 2026 weiter? Wie gesagt:
die Politik immer auf kurze Sicht fährt und keinen lang-       Langfristigkeit ist in der Klimapolitik das A und O. Ich
fristigen Gesamtentwurf liefert. Dadurch fehlt es an Glaub-    hätte auch mit einem Einstiegspreis von 10 Euro leben
würdigkeit und an verlässlichen Signalen an Konsumen-          können, wenn man zugleich ab 2026 klar gesagt hätte, wie
ten und Investoren.                                            im Emissionshandel die Preise freigegeben werden. Das
                                                               war die eine Kritik.
PWP: Wie steht es nach dem Nachbessern um die Glaubwür-
digkeit?                                                       PWP: Und die andere?

Edenhofer: Die Nachbesserung ist Folge des European            Edenhofer: Die zweite Kritik bezog sich auf die Kompensa-
Green Deal: Die Entscheidung der EU, die Treibhausgas-         tion für die Bürgerinnen und Bürger. Man hat 75 Prozent
Emissionen bis 2030 um 55 statt 40 Prozent unter das           der Einnahmen verwendet, um den Klimaschutz über Aus-
Niveau von 1990 zu senken, bedeutet für Deutschland            gabenprogramme und steuerliche Förderung voranzubrin-
höhere Minderungsverpflichtungen. Ohne das Verfas-             gen – etwa durch öffentlichen Nahverkehr, Elektro-Ladein-
sungsurteil hätte man den politischen Kraftakt dieser An-      frastruktur und Gebäudesanierung. Und nur 25 Prozent für
passung lieber der nächsten Bundesregierung überlassen.        direkte Entlastungen via EEG-Umlage, Pendlerpauschale,
Nicht das Nachbessern also ist zu kritisieren – sondern        Wohngeld, Mobilitätsgeld und Mehrwertsteuer bei Bahnti-
dass ständig von Zielen geredet, aber die Frage der Instru-    ckets.3 Das ist für die Zukunft, wenn wir dann einmal 100
mente nicht angegangen wird. Gerade in der Debatte auf         Euro je Tonne CO2 bezahlen müssen, keine Perspektive.
der EU-Ebene sieht man im Moment sehr gut, dass die
Klimapolitik einen fundamentalen Paradigmenwechsel
benötigt: Ordnungsrecht und Technologiestandards sollen
zurücktreten, die CO2-Bepreisung soll eine stärkere Rolle
spielen. Das kann man nicht von heute auf morgen ma-           2 Siehe dazu Edenhofer, O., M. Kalkuhl und A. Ockenfels (2020), Das
                                                               Klimaschutzprogramm der Bundesregierung: Eine Wende der deut-
chen, das wäre unrealistisch. Aber es muss ein glaubwür-
                                                               schen Klimapolitik?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 21(1), S. 4–18.
diger Pfad skizziert werden. Erst wenn dieser Paradigmen-      3 Knopf, B. (2020), Das deutsche Klima-Finanzpaket, MCC Commons
wechsel auf europäischer Ebene vollzogen ist, kann die         Blog vom 1. Juli, online verfügbar unter https://blog.mcc-berlin.net/
Klimapolitik tatsächlich Glaubwürdigkeit beanspruchen.         post/article/das-deutsche-klima-finanzpaket.html.
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                                                                ment, um Innovationen und Lerneffekte anzuschieben,4
                                                                sie hätte aber zügiger mit einer substanziellen CO2-Beprei-
                                                                sung kombiniert und von ihr abgelöst werden sollen, um
                                                                eine Übersubventionierung zu vermeiden. Jetzt aber haben
                                                                wir nun mal die EEG-Förderung und können die einge-
                                                                gangenen Zahlungsverpflichtungen an die Investoren
                                                                nicht ausblenden. Es wäre gut, diese Last aus dem Strom-
                                                                bereich herauszubekommen. Bevor wir über komplexere
                                                                Kompensationen nachdenken, sollte man das als Erstes
                                                                machen.

                                                                PWP: Und dann?

                                                                Edenhofer: Dann sollten wir uns damit beschäftigen, wie
                                                                wir eine Pro-Kopf-Pauschale einführen können, auch
                                                                wenn noch nicht klar, wie das administrativ umgesetzt
                                                                werden kann. Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen,
                                                                dass CO2-Preise nur dann erfolgreich eingeführt werden
                                                                können, wenn die Regierung den Bürgern erklärt, wie die
                                                                Einnahmen verwendet werden sollen.5 Es ist nicht notwen-
                                                                dig, dass alle Einnahmen direkt an die Bürger zurück-
                                                                erstattet werden. Die Förderung von neuer Technologie
                                                                oder Pilotprojekten kann die Akzeptanz erhöhen, wenn
                                                                das verständlich kommuniziert wird. Jedenfalls dürfen die
                                                                Einnahmen nicht in einem schwarzen Loch verschwinden.
                                                                Was der Staat mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung
                                                                macht, ist für deren Akzeptanz von fundamentaler Bedeu-
Dann werden wir über großzügigere Kompensationen                tung.
nachdenken müssen.
                                                                PWP: Wenn die Sichtbarkeit der Kompensation gewährleis-
PWP: Wie gestaltet man solche Kompensationen am bes-            tet ist, darf aber der mit ihr verbundene Einkommenseffekt
ten? Sie müssen ja sichtbar sein, damit sie ihren politischen   den Substitutionseffekt der Lenkungsabgabe nicht wieder
Effekt erreichen und das Ungerechtigkeitsgefühl verschwin-      zunichtemachen. Bekommt man das hin?
den lassen. In der Schweiz gibt es zum Beispiel eine Rück-
erstattung von zwei Dritteln des Aufkommens aus der CO2-        Edenhofer: Empirische Studien zeigen, dass der Substitu-
Abgabe an die Bürger über die Krankenkassenabrechnun-           tionseffekt um ein Vielfaches größer ist als der Einkom-
gen – nur ist sich dessen kaum jemand bewusst.                  menseffekt.6 Bei einer Steuer müsste der Einkommens-
                                                                effekt bei der Festlegung des Steuersatzes antizipiert
Edenhofer: In Deutschland würden wir kurzfristig davon          werden, um die gewünschte Emissionsminderung ein-
profitieren, erst einmal die gesamte EEG-Umlage nicht           zuhalten. Hat man jedoch einen Emissionshandel, wird
mehr über die privaten und betrieblichen Stromrechnun-          der Einkommenseffekt automatisch korrigiert, da die
gen zu finanzieren, sondern über die Einnahmen aus der
CO2-Bepreisung. Das hätte den Effekt, dass der Strompreis
sinkt, dass er sich auf den Märkten freier bilden kann und      4 Kalkuhl, M., O. Edenhofer und K. Lessmann (2012), Learning or
dass dann die Sektorkopplung funktioniert: Die Leute ha-        lock-in: Optimal technology policies to support mitigation, Resource
ben dann mehr Anreiz, zum Beispiel Elektroautos und             and Energy Economics 34(1), S. 1–23.
Wärmepumpen zu nutzen, aber auch in Speichertechnolo-           5 Klenert, D., L. Mattauch, E. Combet, O. Edenhofer, C. Hepburn,
                                                                R. Rafaty und N. Stern (2018), Making carbon pricing work for citizens,
gien zu investieren. Diesen Schritt sollten wir auf jeden
                                                                Nature Climate Change 8, S. 669–77.
Fall gehen. Wie man das konkret umsetzen kann, ist ein          6 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Teil des Vorschlages, an dem wir am MCC arbeiten. Die           Entwicklung (2019), Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik, Sondergut-
EEG-Umlage war zwar anfänglich ein legitimes Instru-            achten, Wiesbaden, S. 115.
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Emissionsobergrenze eingehalten werden muss und der                tung bleibt der Anreiz erhalten, mit der Heizung effizient
CO2-Preis entsprechend ansteigt. Die Rückerstattung neu-           umzugehen. Niemand kann seine Rückerstattung dadurch
tralisiert daher den Substitutionseffekt nicht. Das ist ja         erhöhen, dass er die Heizung stärker aufdreht – im Gegen-
schon mal tröstlich. Bei Technologiestandards hingegen             teil. Bei der Rückerstattung geht aber nicht nur um die
wird der Effekt teilweise zunichtegemacht: Er zwingt zwar          Frage von Reich und Arm, also um die vertikale Einkom-
die Autohersteller zu weniger Emissionen pro Kilometer –           mensverteilung, sondern auch um die Frage der horizonta-
aber damit kann nicht verhindert werden, dass die Autos            len Einkommensverteilung. Also darum, dass sich vom Ein-
schwerer werden, mehr gefahren wird und so die Emissio-            kommen her ähnliche Haushalte in ihrer CO2-Effizienz
nen steigen. Verbindet man den Technologiestandard mit             unterscheiden.8 Es gibt ja zum Beispiel Leute, die in
einem CO2-Preis, so wird dieser „Rebound-Effekt“ wieder            schlecht gedämmten Wohnungen leben, Ölheizungen be-
neutralisiert, und die Emissionen sinken. Auch unter ver-          sitzen, auf dem Land leben. Diese Unterschiede werden
teilungspolitischen Aspekten schneidet der Technologie-            durch eine pauschale Rückerstattung unzureichend er-
standard schlechter ab als der CO2-Preis mit Rückerstat-           fasst. Es bedarf eines differenzierteren Rückerstattungssys-
tung. Er belastet nämlich die einkommensschwachen                  tems.
Haushalte überproportional. Zwar fahren Leute mit gerin-
gem Einkommen typischerweise eher Kleinwagen, doch                 PWP: Sie haben eine pauschale Kompensation auch für
relativ zum Einkommen schlagen die Kosten von Effizienz-           Deutschland vorgeschlagen.
standards bei ihnen stärker zu Buche als bei Leuten mit
hohen Einkommen, die mit einer Limousine fahren. So                Edenhofer: Ja, aber gerade konservative Parteien wie die
zeigen jüngste empirische Studien, dass das reichste Fünf-         CSU hatten noch 2019 Schwierigkeiten damit, dass eine
tel über ein gut 3,5-mal so hohes Einkommen verfügt wie            Rückerstattung ohne Bedürftigkeitsprüfung möglich sein
das ärmste Fünftel, aber nur einen um knapp 1 Prozent              sollte. Für die CSU war der Gegensatz von Stadt und Land
höheren Benzinverbrauch pro Kilometer hat. Zudem legen             wichtiger; darum war sie damals für eine Anhebung der
ärmere Haushalte weitaus weniger Distanz zurück als rei-           Pendlerpauschale. Wer eine CO2-Bepreisung durchsetzen
chere Haushalte, profitieren also deutlich geringer von der        will, muss die horizontale und die vertikale Verteilung im
höheren Energieeffizienz eines PKW. Im Gegensatz zum               Blick haben, um Widerstände zu überwinden. Einerseits
CO2-Preis entstehen bei der Einführung eines Technologie-          wollen wir über die Einkommensgruppen hinweg eine pro-
standards keine Einnahmen, mit denen die Verbraucher               gressive Wirkung erzeugen und damit einen Anstieg der
kompensiert werden können.7                                        vertikalen Ungleichheit verhindern, also die zwischen Arm
                                                                   und Reich. Andererseits gibt es aber eben auch innerhalb
PWP: In der Schweiz gibt es tatsächlich für alle dieselbe          der einzelnen Einkommensgruppen eine große Streuung
Rückvergütung, vom Baby bis zum Greis.                             der Kostenbelastung, also eine horizontale Ungleichheit,
                                                                   und darum auch Widerstände. Wir versuchen am MCC
Edenhofer: Eine solche Pauschalrückerstattung entfaltet            gerade, das genauer zu beleuchten, denn daran muss man
eine enorm progressive Wirkung. Denn der CO2-Fuß-                  unter Umständen politisch ansetzen. Ein Grundproblem ist
abdruck einkommensstarker Haushalte ist größer als der             dabei die richtige Erfassung dieser horizontalen Ungleich-
von einkommensschwachen Haushalten, weil sie mehr                  heit: Wenn Politik kaum Informationen über die horizonta-
konsumieren, in größeren Wohnungen leben und größere               le Belastung der Haushalte hat und zielgenaue Kompensa-
Autos fahren. Deshalb zahlen sie auch bei CO2-Bepreisung           tionen nur mit hohem Aufwand einführen kann, können
mehr. Wenn die Einnahmen dann gleichmäßig an die Bür-              direkte Subventionen für Investitionen in CO2-arme Tech-
ger zurückgegeben werden, machen jene, die weniger CO2             nologien sinnvoll sein, etwa zur Ersetzung von Ölheizun-
verbraucht haben, unter dem Strich einen Gewinn. Wir               gen. Möglicherweise kommt auch man um Härtefallfonds
Ökonomen sprechen von nicht-homothetischen Präferen-               nicht herum. Sicherlich stimmt es, dass ein so grobes In-
zen, die dafür verantwortlich sind, dass ein CO2-Preis re-         strument wie die pauschale Rückvergütung nicht ausrei-
gressiv wirkt und durch eine Pro-Kopf-Rückerstattung zu            chend ist, um alle relevanten Widerstände zu überwinden
einem progressiven Instrument wird. Trotz der Rückerstat-          und der horizontalen Gerechtigkeit gleichermaßen Rech-

7 Baldenius, T., T. Bernstein, M. Kalkuhl, M. Kleist-Retzow und    8 Hänsel, M. C., M. Franks, M. Kalkuhl und O. Edenhofer (2021), Opti-
N. Koch (2021), Ordnungsrecht oder Preisinstrumente? Zur Vertei-   mal carbon taxation and horizontal equity: A welfare-theoretic ap-
lungswirkung von Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr, ifo-Schnell-     proach with application to German household data, CESifo Working
dienst 6, S. 6–10.                                                 Paper Nr. 8931.
"Langfristigkeit ist in der Klimapolitik das A und O" - De Gruyter
„Langfristigkeit ist in der Klimapolitik das A und O“   251

nung zu tragen. Hinzu kommt, dass Politiker oft über be-        für Klimaneutralität 2045 notwendig ist, kann einem
trächtlichen Erfindungsreichtum verfügen, drastische Här-       schwindelig werden. Wenn man die Profis im Politik-
tefälle zu kommunizieren. Die Empirie hat dann einen            betrieb, denen ein solches Ziel locker über die Lippen
schweren Stand gegenüber der anekdotischen Evidenz –            kommt, jetzt damit konfrontiert, dass das auch ein ent-
schließlich kennen viele Parlamentarier in ihren Wahlkrei-      sprechendes Instrument voraussetzt und dass der CO2-
sen Ölheizungsbesitzer, Pendler und Menschen, die in            Preis dann auf weit über 150 Euro je Tonne steigen müss-
schlecht gedämmten Häusern leben. Leider zieht der far-         te – dann sagen die gleichen Leute: Auweia, das geht auf
bige Einzelfall in Talkshows besser als die statistische Häu-   keinen Fall! Das finde ich offen gesagt empörend. Als gäbe
figkeit.                                                        es irgendwelche magischen Mittel, die uns die reale An-
                                                                passungslast ersparen. Wenn es etwa heißt, man könne ja
PWP: Im Mai hat die Bundesregierung das Klimaschutz-            statt auf CO2-Bepreisung auf technische Vorgaben zur CO2-
gesetz nun wie gesagt nachgebessert. Der Pfad zur Senkung       Effizienz zurückgreifen, dann kann ich nur entgegnen:
der Emissionen ist jetzt etwas konkreter beschrieben, auch      Auch Technologiestandards kosten die privaten Haushalte
für die Zeit nach 2030 und bis 2040. Was fehlt jetzt noch?      Geld. Und sie belasten besonders die Einkommensschwa-
                                                                chen. In der Vergangenheit hat die Klimapolitik tatsäch-
Edenhofer: In der Landwirtschaft ist bislang im nationa-        lich versucht, die Kosten der Transformation zu verste-
len Emissionshandel nur der Verbrauch fossiler Brennstof-       cken. Aber jetzt schauen alle genau hin. Und da wäre es
fe erfasst, also die CO2-Emissionen, aber andere Treibhaus-     angezeigt, der Bevölkerung offen zu sagen, dass unser
gase wie Methan und Lachgas bleiben außen vor. Doch             ambitioniertes Ziel nicht gratis zu haben ist. Energie wird
auch sie bedürfen einer Regulierung. Zudem stellt sich die      nie wieder so billig werden wie in den siebziger Jahren.
Frage, wie die Landwirtschaft für den Aufbau von Kohlen-        Dafür bekommen wir die Chance, die Klimakatastrophe
stoffsenken und für Biodiversitätsdienstleistungen bezahlt      abzuwehren.
werden soll. Man darf nicht vergessen, wie heikel Refor-
men hier sind, man denke nur an das jahrzehntelange             PWP: Wie beurteilen sie denn die Chancen, dass das zweite
Gezerre um die EU-Agrarsubventionen. Die Landwirtschaft         Emissionshandelssystem auf europäischer Ebene tatsäch-
wurde schon 2019 bei der CO2-Preisreform bewusst aus-           lich kommt?
geklammert – es war klar, dass man sonst den Einstieg in
eine CO2-Bepreisung ganz hätte vergessen können. Wich-          Edenhofer: Was soll die EU-Kommission denn sonst ma-
tig ist in diesem Zusammenhang, was die EU mit Blick auf        chen? Wenn sie es nicht einführt, muss sie die Lastenver-
Gebäude, Wärme und Verkehr macht. Die im Brenn-                 teilungsverordnung anschärfen. Aber was, wenn ein Mit-
stoffemissionshandelsgesetz bezifferte CO2-Bepreisung für       gliedsstaat seine angeschärften Pflichten nicht erfüllt?
diese Sektoren wirkt „upstream“: De facto bepreisen wir         Dann muss er von einem anderen Staat das Recht kaufen,
Kohle, Öl und Gas an der Stelle, an der diese in den Wirt-      an seiner Stelle zu emittieren, es kommt also zu einem
schaftskreislauf eintreten. Die Raffinerien zum Beispiel        Handel zwischen den Staaten. Damit haben wir auf globa-
überwälzen die Last auf die Unternehmen, und die schie-         ler Ebene im Rahmen des Kyoto-Prozesses keine guten
ben sie dann weiter zu den Konsumenten. Wenn jetzt die          Erfahrungen gemacht. Auch beim Handel zwischen den
EU tatsächlich den zweiten Emissionshandel für die Sekto-       Mitgliedsstaaten gibt es keinen transparenten Markt. Kei-
ren Gebäude, Wärme und Verkehr einführen sollte, würde          ner weiß, wie teuer ein solches Recht tatsächlich ist, denn
das bedeuten, dass wir unser nationales System europäi-         es kommt da typischerweise zu „Package deals“ nach dem
sieren könnten. Das wäre im Prinzip gut – aber die Frage        Motto: Gebt Ihr uns Zertifikate, beim Preis schauen wir
wäre, wie das dann ausgestaltet würde.                          nicht so genau hin, aber dafür helfen wir Euch dann bei
                                                                anderen strittigen Themen. Um es auf einen drastischen
PWP: Was macht Ihnen da Sorgen?                                 Punkt zu bringen: Am Ende verhandeln wir wegen der
                                                                Emissionszertifikate mit Polen über Konzessionen in Sa-
Edenhofer: Aus der Umweltszene, auch von den Grünen,            chen Rechtsstaatlichkeit. Das ist inakzeptabel. Und selbst
hört man in letzter Zeit immer öfter eine Ablehnung der         wenn das Verfahren für ein solches Geben und Nehmen
Bepreisung, auch aus der Angst heraus, dass uns das             der EU-Mitgliedstaaten transparent wäre: Wer garantiert
sozial um die Ohren fliegen könnte. Man muss das vor dem        uns, dass die Staaten das intern auch umsetzen, es also auf
Hintergrund dessen sehen, wie ambitioniert unsere Ziele         die Ebene der Unternehmen und der Verbraucher herun-
sind: Bis 2045 treibhausgasneutral zu sein – das ist sehr       terbrechen? Ein zweiter europäischer Emissionshandel für
ehrgeizig! Angesichts des Transformationspfads, der jetzt       Unternehmen wäre eindeutig die sinnvollere Lösung. Man
252           Ottmar Edenhofer

hätte dann eine Entscheidung über eine gesamteuropäi-                 PWP: Aber sind durch den unterschiedlichen Preis nicht
sche „Cap“, und sie würde da umgesetzt, wo es am kosten-              zumindest vorübergehend allokative Verzerrungen zu erwar-
günstigsten geht.                                                     ten?

PWP: Wenn dann ein zweites Emissionshandelssystem kä-                 Edenhofer: Schon. Aber man muss realistisch sehen: Oh-
me, das ETS II, dann stünde es unverbunden neben dem                  ne diese Zweigleisigkeit wird ein umfassendes System nie-
ersten. Das heißt, es ergäben sich unterschiedliche Preise.           mals kommen. Es wird anfangs in beiden Systemen einen
                                                                      politisch fixierten Preiskorridor geben, um extreme Preis-
Edenhofer: Das ist politisch wohl kaum anders zu ma-                  sprünge zu vermeiden. Und dann werden die beiden unter-
chen. Ein einheitlicher Emissionshandel für alle Sektoren             schiedlichen Preise langsam und schrittweise zusammen-
würde dazu führen, dass die Sektoren Strom und Industrie              geführt. Natürlich hätte man theoretisch sagen können, es
im Jahr 2030 rund 80 Prozent weniger CO2 emittieren müs-              gibt nur ein einheitliches System, und man kompensiert
sen als 2005 – hingegen wären es in den Sektoren Verkehr,             den Stromsektor und die Industrie für die riesige Min-
Gebäude, Landwirtschaft, wo die CO2-Minderung schwerer                derungsleistung, die sie erbringen müssen. Aber bei einem
zu realisieren ist, nur rund 30 Prozent weniger. Die ener-            politisch kreierten Markt spielen die expliziten und impli-
gieintensive Industrie müsste um ihre internationale Wett-            ziten Verteilungsfragen nun einmal naturgemäß eine ent-
bewerbsfähigkeit bangen. Zudem würde sich der Kohle-                  scheidende Rolle. Industrie und Stromsektor haben schon
ausstieg etwa in Polen so sehr beschleunigen, dass es                 klargemacht, dass sie einen einheitlichen Emissionshan-
erhebliche soziale Verwerfungen geben könnte. Wer auf                 del vor 2030 auf keinen Fall akzeptieren werden. Also
ein solches Szenario setzt, riskiert die Zustimmung zum               müssen wir mit zwei Systemen und zwei Preisen beginnen.
European Green Deal. Wir werden zwei Emissionshandels-                Das ist natürlich eine Verzerrung, aber wenn man dafür
systeme mit zunächst unterschiedlichen Preisen benöti-                langfristig einen einheitlichen Preis bekommt, ist das als
gen. Allerdings könnte es sein, dass der Markt den Job                Übergang doch ein akzeptabler Weg.
übernimmt, den sich die Politik nicht zutraut: Marktteil-
nehmer werden die Situation nach 2030 antizipieren und                PWP: Die dem Zertifikatehandel zugrundeliegende Idee ist
sich für das künftige ETS II schon vorausschauend mit den             doch, dass man die Menge fixiert und den Preis sich durch
vergleichsweise günstigen Zertifikaten aus dem ETS I ein-             das Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem Markt er-
decken. Juristisch laufen die beiden Systeme dann neben-              geben lässt, womit man eine effiziente Allokation erreicht.
einander, aber durch Spekulation und Arbitrage ergibt                 Ein politisch festgesetzter, durch Steuern gelenkter CO2-Preis
sich rasch ein einheitlicher Preis. Mit dem Ergebnis, dass            oder Preiskorridor hingegen funktioniert laut Lehrbuch an-
dann auch Energieversorger und Großindustrie noch sehr                ders herum, es ist die Menge, die sich ergibt. Ist es nicht ein
viel mehr reduzieren müssen.                                          Widerspruch, beides zu kombinieren?

PWP: Der Vorteil bestünde also darin, dass die Umstellung             Edenhofer: Es stimmt: Wenn ich von einer CO2-Beprei-
einfach nicht so abrupt käme. Die Erwartungsbildung allein            sung rede, ist es mir nicht so wichtig, ob das durch einen
wird das aber nicht schaffen, weshalb Ihre Kollegen und Sie           Emissionshandel oder durch eine Steuer implementiert
auch spezifische Instrumente vorgeschlagen haben, einen               wird. Man kann beide Ansätze so ausgestalten, dass sie
„Stabilizer“ und einen „Balancer“ 9.                                  annähernd gleich wirken.10 Wenn Sie den CO2-Preis fest-
                                                                      setzen, haben Sie natürlich Unsicherheiten über die Men-
Edenhofer: Dabei handelt es sich um Übergangsinstru-                  ge, zumal sich ja die primären Erdöl- und Erdgaspreise
mente, die dafür sorgen, dass beispielsweise die Zertifikate          und damit auch der CO2-Preis laufend ändern. Sie müssen
aus dem einen System im anderen vermehrt angerechnet                  also über einen iterativen Lernprozess die Steuersätze so-
werden können, sodass man einer Verbindung der beiden                 lange anpassen, bis Sie die gewünschte Menge haben.
Systeme irgendwann einmal näherkommt und die Preise                   Umgekehrt haben Sie in einem Emissionshandelssystem
freigeben kann – vielleicht schon im Jahr 2028, wenn man              Unsicherheit über den Preis. Warum man beides in einem
mal träumen darf.                                                     Hybridsystem kombinieren sollte, statt sich auf eines zu

                                                                      10 Edenhofer, O., C. Flachsland, M. Kalkuhl, B. Knopf und M. Pahle
9 Edenhofer, O., M. Kosch, M. Pahle und G. Zachmann (2021), A         (2019), Optionen für eine CO2-Preisreform, MCC-PIK-Expertise für den
whole-economy carbon price for Europe and how to get there, Bruegel   Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Policy Contribution 06/2021.                                          Entwicklung, MCC Berlin.
„Langfristigkeit ist in der Klimapolitik das A und O“   253

konzentrieren? Weil die Lehrbuchfälle nicht ganz realis-
tisch sind.

PWP: Inwiefern?

Edenhofer: Die Lehrbücher gehen meistens davon aus,
dass die „Cap“, die Mengenbeschränkung, ein für alle Mal
festgelegt ist. Und dass auch der Staat über keine bessere
Information verfügt als jenen Preis, der sich im Handel mit
den erlaubten Mengen ergibt. Es gibt nur eine Schwierig-
keit damit: Die Marktteilnehmer erwarten nicht wirklich,
dass die Politik tatsächlich zu ihrer Mengenbeschränkung
steht, wenn die Preise extrem hoch oder extrem niedrig
werden. Das zieht nach sich, dass die Preise am Anfang zu
niedrig sind und erst am Schluss rapide ansteigen – näm-
lich wenn sich zeigt, dass die Beschränkung doch greift.
Dann aber fangen die Lobbyisten an zu protestieren, es
entsteht massiver politischer Druck auf die Cap. Der Emis-
sionshandel ist so gesehen immer auch eine Art Wettbüro,              Ende des Preisbandes für alle Marktteilnehmer klar er-
wo Prognosen über politische Entscheidungen gehandelt                 sichtlich: Die Politik ist bereit, komplementäre Maßnah-
werden.11 Das klammern die Lehrbücher aus. Weil das so                men zu ergreifen, wenn der Preis eine bestimmte Höhe hat,
ist, habe ich gemeinsam mit Axel Ockenfels12 immer dafür              zum Beispiel eben doch temporäre Standards oder auch
plädiert, einen Mindestpreis einzuführen.                             Technologiesubventionen. Nur so bekommt man den Pro-
                                                                      zess politisch hin. Es geht bei solchen Interventionen im
PWP: Was leistet ein Mindestpreis?                                    Kern um Glaubwürdigkeit und die Stabilisierung von Er-
                                                                      wartungen.
Edenhofer: Ein Mindestpreis stabilisiert die Erwartungen
und schafft einen Anreiz, schon heute Emissionen zu ver-              PWP: Klaus Schmidt hat in seiner Thünen-Vorlesung13 auf
meiden, auf dass die Aufgabe morgen nicht ganz so groß                der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik 2020 gezeigt,
ist. Es ist ein bisschen so, wie wenn Kinder sich auf eine            dass es für den Erfolg von systematisch von Trittbrettfahrer-
Schulprüfung vorbereiten müssen: Wenn sie faul sind und               verhalten geprägten internationalen Klimakonferenzen hel-
sagen, am letzten Tag vor der Prüfung würden sie dann                 fen kann, sich nicht mehr auf Mengenziele zu konzentrieren,
ganz viel machen, dann ist das einfach nicht glaubwürdig.             sondern gleich eine Einigung auf einen Mindestpreis an-
Die Politik muss ein Minimum vorgeben. Und umgekehrt                  zustreben. Ist das auch aus Ihrer Sicht einfacher?
muss sie auch eine Übertreibung in die entgegengesetzte
Richtung verhindern.                                                  Edenhofer: Das Problem mit einer Einigung auf Mengen-
                                                                      ziele liegt darin, dass nicht so leicht Reziprozität zu errei-
PWP: Warum?                                                           chen ist, weil sich Mengenziele nur schwer vergleichen
                                                                      lassen. Preise hingegen sind sehr gut vergleichbar. Sie
Edenhofer: Wenn die Preise im Emissionshandel zu stark                messen das Anstrengungsniveau, das das jeweilige Land
steigen, bringen wir die Politiker in eine Situation, in der          bereit ist zu erbringen. Ein Preis ist daher ein guter gemein-
sie das gegenüber den Lobbyinteressen und auch gegen-                 samer Fokalpunkt, an dem sich alle ausrichten können.
über den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr vertreten                 Wenn diese Niveaus auseinanderklaffen, ist es aber im-
können. So wie der Mindestpreis verhindert, dass die Leute            merhin möglich, ein Land, das nur einen niedrigeren Preis
der Cap nicht glauben, macht der Höchstpreis am anderen               akzeptiert, finanziell zu unterstützen, um es auf ein höhe-
                                                                      res Niveau zu bringen.

11 Koch, N., G. Grosjean, S. Fuss und O. Edenhofer (2016), Politics
matters: Regulatory events as catalysts for price formation under
cap-and-trade, Journal of Environmental Economics and Management      13 Schmidt, K. (2021), Das Design von Klimaschutzverhandlungen,
78, S. 121–39.                                                        Thünen-Vorlesung 2020, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 22(1),
12 Edenhofer, Kalkuhl und Ockenfels (2020).                           S. 4–16.
254            Ottmar Edenhofer

PWP: Dieser Ansatz eignet sich gut für die EU, die man ja vor               sonders die kleineren Länder in Südostasien, die noch stark
dem Hintergrund ihres Green Deals als eine Art Klimaclub                    auf Kohlekraftwerke setzen, muss man durch konditionale
bezeichnen könnte, in Übereinstimmung mit der Nordhaus-                     Transferzahlungen ins Boot zu holen versuchen.
Idee14.
                                                                            PWP: Wie könnte man das konkret machen?
Edenhofer: Ja, wobei meine Kollegen und ich diese Idee
schon viel früher als Nordhaus15 ins Spiel gebracht haben.                  Edenhofer: Man könnte ihnen beispielsweise beim Aus-
Schon vor gut zehn Jahren haben wir über zwei Varianten                     stieg aus der Kohle helfen, indem man ihnen etwas zahlt,
von Klimaclubs nachgedacht: Die eine brummt allen Län-                      ihnen zinsverbilligte Kredite gibt oder die Anfangsinvesti-
dern, die nicht teilnehmen, einen Zoll auf; die andere teilt                tionen für erneuerbare Energien übernimmt. Dafür müss-
Technologien, die Spillover-Effekte haben. Wir haben uns                    ten auch sie einen CO2-Preis einführen. Das Beispiel zeigt
dann näher angeschaut, in welchem Ausmaß in diesen                          wieder, wie klasse dieses Instrument ist. Ein Land, das
beiden Varianten die Kooperation zunimmt. Von dem Mo-                       einen CO2-Preis einführt, kann selber entscheiden, ob es
dell, das Nordhaus zur Klärung dieser Frage heute ver-                      das über eine Steuer machen will oder über einen Emis-
wendet, bin ich nicht überzeugt. Es hat spieltheoretisch                    sionshandel mit Mindestpreis. Und die Unterstützer müs-
Schwächen, weil es unterstellt, dass innerhalb des Clubs                    sen nicht lange nachprüfen, welche Projekte genau mit
das Kooperationsproblem schon gelöst ist: dass also die                     ihrem Geld gemacht werden.
teilnehmenden Länder quasi eine Metamorphose in Rich-
tung Kooperation durchgemacht und ihren Egoismus ab-                        PWP: Ein häufig erhobener Einwand gegen den Green Deal
gelegt haben. Über differenziertere Modelle verfügen wir                    der EU bezieht sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirt-
heute zum Glück durchaus.16                                                 schaft. Andere hoffen allerdings auf eine „grüne Dividende“.

PWP: So wie in der ersten Variante Ihres Modells schickt                    Edenhofer: Man muss da ehrlich sein. Wer über Treibhaus-
sich die EU heute an, sich gegenüber Ländern, die nicht                     gasneutralität nachdenkt, darf nicht darauf setzen, dass die
mitmachen, mit einer Grenzausgleichsabgabe abzuschotten.                    Energie billiger wird. Zwar sind die Gestehungskosten von
                                                                            Photovoltaik und Wind so dramatisch gesunken, wie wir es
Edenhofer: Ja, und genau das ist mir ein Dorn im Auge. Ich                  uns noch vor ein paar Jahrzehnten nicht hätten vorstellen
sähe es ungern, wenn uns die Klimapolitik am Ende in                        können. Aber grüner Wasserstoff als Energieträger der Zu-
einen Handelskrieg führte. Sowohl das Nordhaus-Modell                       kunft, mit Infrastruktur und allem, was dazugehört, ist
als auch unser eigenes enthält keine „Retaliation“, also                    nochmal ein Jahrhundertprojekt. Und wenn Sie syntheti-
keine Vergeltung: Der Klimaclub darf auf andere draufhau-                   sche Kraftstoffe erzeugen wollen, dann benötigt man CO2.
en, aber die vom Zoll Betroffenen reagieren nicht. Das ist                  Das darf natürlich nicht aus der Verbrennung von Kohle, Öl
unrealistisch. Wir brauchen noch ausgeklügeltere Modelle,                   oder Gas kommen, sondern Sie müssen es direkt aus der
die auch das explizit betrachten. Abgesehen davon halte                     Luft entziehen oder aus Biomasse gewinnen.
ich es für wichtig, dass ein Klimaclub so angelegt ist, dass
er wachsen kann, dass er andere zum Mitmachen motiviert.                    PWP: Das ist teuer.
Und das erreicht man nicht mit Bestrafung allein. Einige
Länder werden zwar schon deshalb mitmachen, weil sie                        Edenhofer: Eben. Vielleicht werden wir 2030 synthetische
wissen, dass dann mehr vom globalen Gut Klimaschutz                         Kraftstoffe haben, die sich bei CO2-Preisen von 200 Euro
bereitgestellt werden kann. Aber die anderen Länder, be-                    pro Tonne am Markt durchsetzen werden.17 Aber die Vor-
                                                                            stellung, es werde jetzt auf einmal alles schöner, besser
                                                                            und grüner, ist schlichtweg Quatsch. Mit Blick auf die
14 Nordhaus, W. D. (2015), Climate clubs: Overcoming free-riding in
                                                                            europäische Wettbewerbsfähigkeit wäre ich trotzdem
international climate policy, American Economic Review 105(4),
S. 1339–70.                                                                 durchaus optimistisch. Die Vereinigten Staaten haben sich
15 Lessmann, K. und O. Edenhofer (2011), Research cooperation and           inzwischen auf dieselben Ziele verpflichtet wie die Europä-
international standards in a model of coalition stability, Resource and     er. China hat sich mehr Zeit ausbedungen, bis 2060 wollen
Energy Economics 33, S. 36–54; sowie Lessmann, K., R. Marschinski
und O. Edenhofer (2009), The effects of tariffs on coalition formation in
a dynamic global warming game, Economic Modelling 26, S. 641–49.
16 Kornek, U. und O. Edenhofer (2020), The strategic dimension of           17 Ueckerdt, F., C. Bauer, A. Dirnaichner, J. Everall, R. Sacchi und G.
financing global public goods, European Economic Review 127,                Luderer (2021), Potential and risks of hydrogen-based e-fuels in cli-
103423.                                                                     mate change mitigation, Nature Climate Change 11, S. 384–93.
„Langfristigkeit ist in der Klimapolitik das A und O“      255

sie CO2-neutral sein. Man mag den Zusagen Chinas miss-          mit großer Verspätung in der Kirche ankommen. Die Kir-
trauen, aber die gewaltigen Klimaschäden werden China           che muss das Projekt der Moderne und ihre Rolle darin
dazu bringen, eine stärkere internationale Kooperation zu       noch einmal überdenken, und damit auch ihr Verhältnis
suchen. Wenn es in dieser G3 – Amerika, China, EU – zu          zu Rechtsstaat, Markt, Staat und Demokratie.
einer strategischen Kooperation käme, wäre das sehr gut.
Man könnte in einem solchen Kontext dann auch daran             PWP: Worauf fußen nach Ihrer Sicht die Vorbehalte gegen
denken, einen gemeinsamen Investitionsfonds aufzuset-           die Moderne?
zen, der den kleineren asiatischen Ländern beim Ausstieg
aus der Kohle unter die Arme greift. So müsste es meiner        Edenhofer: Die Moderne gilt in der Kirche als große Moral-
Ansicht nach gehen. Klimapolitik ist ein Thema für einen        zehrerin. In dieser Vorstellung saugen Institutionen wie
kooperativen Multilateralismus.                                 Markt, Demokratie und Bürokratie die intrinsische Motiva-
                                                                tion der Menschen auf; die kleinen Einheiten, vor allem die
PWP: Sie beraten unter anderem auch den Vatikan. Finden         Familie, kommen unter beständigen Druck. Kaum ist der
Ihre ökonomischen Argumente für eine effiziente Klimapoli-      Mensch im Markt, wird er egoistisch, geizig und gierig. Die
tik dort Gehör?                                                 Kirche hat große Angst davor, dass die moralischen Res-
                                                                sourcen der Gesellschaft aufgebraucht und verschleudert
Edenhofer: Mir scheint, dass Papst Franziskus – ich habe        werden. Das ist nicht ganz falsch, aber es führt nicht weiter,
zweimal mit ihm geredet – kein Spezialist für Klimaöko-         wenn sie sich einem tugendethischen Refugium einrichtet,
nomie ist. Aber er hat die enorme Bedeutung des Klima-          anstatt sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen, wie
problems als soziales Problem für die Menschheit erkannt.       das Projekt der Moderne weiterentwickelt werden kann.
In seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ aus dem Jahr 2015       Das macht es sehr schwer, sie für ökonomische Instrumente
gibt es dabei durchaus Passagen, die eine aus meiner Sicht      zu erwärmen. Es gibt aber dennoch positive Entwicklun-
wenig nachvollziehbare Kritik an der Idee des Zertifikate-      gen. Papst Franziskus will junge Unternehmerinnen för-
handels enthalten. Die Kirche hat immer noch Vorbehalte         dern, die nachhaltig wirtschaften wollen. Die Päpstliche
gegen die Marktwirtschaft, aber sie warnt auch vor einem        Akademie der Wissenschaft spricht mit großen institutio-
zu großen Staat und betont die Bedeutung der Tugend-            nellen Investoren über ethisches Investment. Manche Kir-
ethik. Das ist nicht unbedingt falsch, aber ihr scheint das     chen fragen, wie sie ihren Grund und Boden bewirtschaften
Projekt der Moderne nicht ganz geheuer. Dabei wird die          wollen, und schließlich werden die Finanzen zumindest
Kirche in einer Weise mit den Ansprüchen der Moderne            teilweise offengelegt. Und sie bewegt sich doch! Es gibt ja
konfrontiert, die historisch ziemlich einzigartig sein dürfe.   auch Unzulänglichkeiten auf der anderen Seite: Ich finde
In den sechziger und siebziger Jahren war sie noch bereit,      nicht hilfreich, wenn viele Ökonomen den Markt vor allem
sich auf das Projekt ein Stück weit einzulassen, aber dann      deshalb als Institution vergöttern und verteidigen, weil er
bekam sie offenbar kalte Füße. Interessanterweise zwingt        angeblich auch mit lauter bösen Menschen funktioniert.
aktuell der Missbrauchsskandal die Kirche dazu, sich mit
der Moderne in einer nie dagewesenen Weise auseinander-         PWP: Das ist doch nur eine Heuristik.
zusetzen.
                                                                Edenhofer: Ja, aber die meisten Menschen sind empfäng-
PWP: Wie meinen Sie das?                                        lich dafür, wenn man an ihre bessere Seite appelliert. Die
                                                                meisten Leute wollen nicht böse sein, sie wollen nur nicht
Edenhofer: Dieses dramatische Kapitel Kirchengeschich-          am Altruismus zugrunde gehen. Die Institutionenöko-
te, das ja jetzt intensiv aufgearbeitet werden muss, macht      nomik hat uns gelehrt, dass wir in unserem Handeln auf
etwas sehr Grundsätzliches deutlich: Ihr eigenes Rechts-        dem Markt nicht alles abschließend regeln können und
system hat versagt, sie braucht Gewaltenteilung, Rechen-        dass wir deshalb „incomplete contracts“ eingehen. Um
schaftspflichten, Gleichberechtigung von Frau und Mann,         diese abzusichern, braucht es auch die Tugend. Die Ver-
Verträge wie andere Institutionen auch. Sie lernt gerade,       haltensökonomie zeigt ja sehr schön, dass ökonomische
dass ihre Institution mit den Mitteln der Psychologie, So-      Instrumente wie der CO2-Preis diese „moralischen“ Ab-
ziologie und Ökonomie analysiert und verändert werden           sichten unterstützen.18 Aber zurück zur Kirche: Ich ver-
muss, wenn sie ihrer Sendung treu bleiben will. Die Vor-
stellung, die Kirche wirke ohne Macht und zugleich aus
Vollmacht wie eine Monarchie, kann nicht mehr funktio-          18 Ockenfels, A., P. Werner und O. Edenhofer (2020), Pricing externa-
nieren. Es sind Errungenschaften der Moderne, die jetzt         lities and moral behavior, Nature Sustainability 3, S. 872–77.
256         Ottmar Edenhofer

suche in Gesprächen, an diesem Punkt argumentativ an-         gen rollen, wenn ich wieder mit meinem CO2-Preis komme.
zusetzen. Ich habe dabei auch durchaus das Gefühl, dass       Sie sagen dann, man müsse doch endlich mal richtig hin-
man weiterkommt.                                              langen, mit einem richtigen Verbot. Gerade weil ich der
                                                              Letzte bin, der das Klimaproblem kleinreden will, sage ich:
PWP: Als ehemaliges Mitglied des Jesuitenordens sprechen      Wir können es uns nicht leisten, bei der Lösung das Inno-
Sie immerhin die Sprache der Kirche. Das dürfte helfen.       vationspotential von Märkten ungenutzt zu lassen. Und
                                                              diese Märkte entstehen eben nicht von selbst, sondern wir
Edenhofer: Ja, das hilft. Vor allem habe ich bei den Je-      müssen sie in einem bewussten Akt politischer Gestaltung
suiten gelernt, die Position des Gesprächspartners genau      schaffen. Daran stören sich dann wieder Libertäre, auch
zu verstehen, auch wenn man meint, sie oder er irre. Wir      libertäre Katholiken, die vor allem in den USA nicht ohne
wurden bei den Jesuiten trainiert, alle philosophischen       Einfluss sind. Ich befinde mich da also wie so oft zwischen
Positionen darzustellen, ohne Polemik und ohne die Tak-       allen Stühlen. Aber ich habe gelernt, dass man auch da
tik des gezielten Missverständnisses. Das hilft auch in den   ganz gut sitzen kann.
Gesprächen mit Theologen. Wenn ich das Kernproblem
des Klimawandels erklären will, versuche ich immer, an
die Grundfigur der universalen Widmung der Erdengüter
anzuknüpfen, die bereits Thomas von Aquin entwickelt
hat. Sie nimmt den Grundgedanken vorweg, den später
Elinor Ostrom mit den Allmenden thematisiert hat. Tho-
mas von Aquin hatte konzeptionell schon die globalen
Allmenden im Blick, die globalen Gemeinschaftsgüter,
und analysiert deren Beziehung zum Privateigentum. Für
Theologen ist der Gedanke gewöhnungsbedürftig, dass
man die globalen Gemeinschaftsgüter effizient und fair        Mit Ottmar Edenhofer sprach Karen Horn. Ottmar Edenhofer
durch CO2-Preise bewirtschaften kann. Aber darin unter-       wurde von Matthias Lüdecke fotografiert, Karen Horn von
scheiden sich Theologen nicht von meinen naturwissen-         Beatríz Barragán.
schaftlichen Kollegen am PIK, die manchmal mit den Au-
Ottmar Edenhofer: Klima, Kapitalismus, Kirche   257

Zur Person

Ottmar Edenhofer:
Klima, Kapitalismus, Kirche
Karen Horn

Ottmar Edenhofer, geboren 1961 im niederbayrischen
Gangkofen, auf halber Strecke zwischen München und
Passau, stammt aus einer Unternehmerfamilie. Der Vater
besaß ein Landkaufhaus und zog später gemeinsam mit
einem Partner einen Textildiskonter mit beinahe 80 Filia-
len in ganz Bayern hoch. Die Eltern hofften, dass der Filius
einmal ins Geschäft einsteigen würde, aber dieser hatte
völlig andere Interessen. Auch mit der Schule konnte er,
wie er sagt, lange nichts anfangen. Ihn faszinierten die
ganz großen Fragen: die Evolution, die Unendlichkeit,
Gott. Obschon keineswegs religiös erzogen, wurde er in der
katholischen Kirche aktiv. Eine Spur hinterließ die Schule
erst, als ihm eine Lehrerin ein Referat über die Arbeitswert-
und Krisentheorie von Karl Marx aufgab: „Selbst im kon-
servativen Niederbayern war man in den siebziger Jahren
links – zumindest ein bisschen“.
     Der philosophische Zugang zum Nachdenken über
ökonomischen Wert fesselte ihn. Die Auseinandersetzung
mit Marx mag mit angestoßen haben, dass er im Alter von
18 Jahren ein Unternehmen gründete, eine nicht auf Ge-
winnerzielung ausgelegte, „ausbeutungsfreie“ Sozialstati-
on mit 30 angestellten Pflegekräften. Um deren Bestand
auf Dauer zu sichern, koppelte er sie gleich an die katho-
lische Kirchenstiftung an. Auf jeden Fall erleichterte es
ihm diese Erfahrung, sich nach dem Abitur nicht nur auf         furt St. Georgen. In dieser Zeit lernte er den damals
Drängen des Vaters für ein Studium der Volkswirtschafts-        98-jährigen Nell-Breuning auch persönlich kennen. „Er war
lehre in München zu entscheiden. Dort wurde Hans-Wer-           sehr schroff, aber er hat mich sehr inspiriert.“ Schließlich
ner Sinn für ihn eine prägende Figur. Bei ihm saß er in         schickte ihn der Orden als humanitären Helfer für zwei
allen Vorlesungen und allen Seminaren. „Er war unglaub-         Jahre nach Kroatien und Bosnien, wo der Bürgerkrieg tobte.
lich, ein intellektuell von seinem Fach besessener, zum         „Die Erfahrungen dort haben mich sehr verstört“, gibt er zu
Kämpfen aufgelegter Hardcore-Neoklassiker.“ Die mathe-          Protokoll. Es war auch der Anfang vom Ende seines Ordens-
matische Modellierung machte ihm Freude, aber es blieb          lebens: 1993 trat er nach langem Ringen wieder aus.
ein Gefühl der Unzufriedenheit: „Man kam damit nicht                 Nach einem Praktikum in der Wirtschaftsredaktion der
ganz an die zentralen Fragen heran.“                            Frankfurter Allgemeinen Zeitung nahm er das Angebot des
     Edenhofer entschied sich deshalb für ein religiöses        Soziologen Carlo C. Jaeger von der Technischen Hoch-
Leben. Weil ihm die Einstellungen des großen Theologen          schule Darmstadt an, bei ihm als wissenschaftlicher Assis-
und Sozialethikers Oswald von Nell-Breuning zu Markt-           tent einzusteigen und in Ökonomie zu promovieren. Jaeger
wirtschaft und Ethik gefielen, wählte auch er den Jesuiten-     leitete zugleich auch die Abteilung Humanökologie an der
orden. „Als ich das dann meinen Eltern offenbarte, sagte        EAWAG, einer Forschungsanstalt des ETH-Bereichs in der
mein ziemlich antiklerikaler Vater nur: ‚Jetzt brauche ich      Schweiz. Das passte: „Umweltfragen im Verbund mit
einen Cognac.‘“ Nach dem Noviziat studierte Edenhofer an        Wachstum und Ressourcen haben mich immer interes-
der Hochschule für Philosophie in München und in Frank-         siert. Und das Klima war dabei immer präsent.“ Auch die
258           Ottmar Edenhofer

Soziologie kam ihm gerade recht, weil ihn umtrieb, wie                 folgt in der Aufzählung Partha Dasgupta, unter dessen
Gesellschaften funktionieren – und auch weil er von der                Leitung kürzlich die „Dasgupta Review“23 erschienen ist,
Volkswirtschaftslehre enttäuscht war: „So richtig kam die              ein globaler Bericht über die Ökonomie der Biodiversität –
Neoklassik mit den Umweltfragen ja doch nicht klar.“ Über              der für Edenhofer ein großer Durchbruch ist. An dritter
die Spieltheorie und die evolutionären Modelle, die er in              Stelle nennt er Arthur C. Pigou, der die Idee einer Steuer
seiner Doktorarbeit über soziale Konflikte und technologi-             entwickelt hat, die Externalitäten internalisiert.24
schen Wandel nutzte, wandte er sich dann aber doch                          Umsichtig und gewinnend, ist Edenhofer neben seiner
wieder verstärkt der Ökonomie zu.                                      Forschungsarbeit ein gefragter Berater für Politik, öffent-
      Nach der Promotion ging er ans Potsdam-Institut für              liche Institutionen, Unternehmen und Kirche. Die Liste
Klimafolgenforschung (PIK), wo er zunächst stellvertreten-             seiner Ämter und Engagements ist geradezu erschlagend
der Leiter der Abteilung Soziale Systeme war, ab 2005                  lang; nur einige seien herausgegriffen: Unter seiner Lei-
Chefökonom sowie ab 2007 stellvertretender Direktor. Hier              tung entstand 2014 der fünfte Sachstandsbericht des Welt-
erhielt er die Möglichkeit, eine interdisziplinäre Abteilung           klimarats (IPCC), der das wissenschaftliche Fundament für
zu den Lösungsstrategien des Klimawandels aufzubauen.                  das Pariser Abkommen 2015 bildete.25 Seit 2018 ist er Mit-
Im Herbst 2018 löste er gemeinsam mit Johan Rockström                  glied in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leo-
den sich in den Ruhestand verabschiedenden Instituts-                  poldina, seit 2015 in der Deutschen Akademie der Technik-
gründer und Direktor Hans Joachim Schellnhuber ab. Die                 wissenschaften acatech. Und neuerdings ist er nicht nur
beiden haben die Forschung am PIK neu ausgerichtet,                    zugewähltes Mitglied im Zentralkomitee der deutschen
sodass nun globale Gemeinschaftsgüter und die planetari-               Katholiken, sondern darüber hinaus auch noch Berater
schen Belastungsgrenzen im Zentrum stehen.                             einer der vom Papst mit der Leitung der römisch-katho-
      Seit 2008 hat Edenhofer eine Professur für die Öko-              lischen Kirche beauftragten Zentralbehörden, des „Dikas-
nomie des Klimawandels an der Technischen Universität                  teriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Ent-
Berlin inne. Seit 2012 ist er darüber hinaus Gründungsdirek-           wicklung des Menschen“. So vollendet sich ein Kreis.
tor des Mercator Research Institute on Global Commons
and Climate Change (MCC) in Berlin. Am MCC widmet er
sich der Frage, wie man wirtschafts- und sozialwissen-
schaftliche Analysen mit einem strukturierten Ansatz an
der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik verbindet
und wie wissenschaftliche Politikberatung zu leisten ist.19
Insbesondere hat er mit dem Zusammenhang von Un-
gleichheit und den „Social Costs of Carbon“ beschäftigt,20
ebenso wie mit der politischen Ökonomie der Klimapoli-
tik.21
      Danach gefragt, welche Figuren aus der wissenschaft-
lichen Literatur für ihn besonders prägend waren, nennt er
an erster Stelle die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom we-              tional cooperation and governance, in: L. Bernhard und W. Semmler
                                                                       (Hrsg.), The Oxford Handbook of the Macroeconomics of Global War-
gen ihrer Arbeiten zu lokalen Gemeingütern; in seiner
                                                                       ming, Oxford, Oxford University Press, S. 260–96, sowie Kornek, U.
Beschäftigung mit den Global Commons entwickelt er die-                und O. Edenhofer (2020), The strategic dimension of financing global
se Ansätze auch spieltheoretisch weiter.22 An zweiter Stelle           public goods, European Economic Review 127, 103423.
                                                                       23 Dasgupta, P. (2021), The Economics of Biodiversity: The Dasgupta
                                                                       Review, London, HM Treasury.
19 Vgl. Edenhofer, O. und M. Kowarsch (2015), Cartography of path-     24 Vgl. Edenhofer, O., M. Franks und M. Kalkuhl (2021), Pigou in the
ways: A new model for environmental policy assessments, Environ-       21st Century: A tribute on the occasion of the 100th anniversary of the
mental Science & Policy 51, S. 56–64.                                  publication of The Economics of Welfare, International Tax and Public
20 Vgl. Kornek, U., D. Klenert, O. Edenhofer und M. Fleurbaey          Finance, online verfügbar unter https://link.springer.com/article/10.
(2021), The social cost of carbon and inequality: When local redis-    1007/s10797-020-09653-y.
tribution shapes global carbon prices, Journal of Environmental Eco-   25 Edenhofer, O., R. Pichs-Madruga, Y. Sokona, E. Farahani, S. Kad-
nomics and Management 107, 102450.                                     ner, K. Seyboth, A. Adler, I. Baum, S. Brunner, P. Eickemeier, B. Krie-
21 Vgl. Kalkuhl, M., J.C. Steckel und O. Edenhofer (2020), All or      mann, J. Savolainen, S. Schlömer, C. von Stechow, T. Zwickel und J.
nothing: Climate policy when assets can become stranded, The Jour-     C. Minx (Hrsg.)(2014), Climate Change 2014: Mitigation of Climate
nal of Environmental Economics and Management 100, 102214.             Change, Beitrag der Arbeitsgruppe III zum 5. Assessment Report des
22 Vgl. Edenhofer, O., C. Flachsland, M. Jakob und K. Lessmann         Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Cambridge und
(2015), The atmosphere as a global commons: Challenges for interna-    New York, Cambridge University Press.
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