Diagnostik der amyotrophen Lateralsklerose - www.kup.at/ - Krause und ...

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Diagnostik der amyotrophen Lateralsklerose - www.kup.at/ - Krause und ...
Journal für

 Neurologie, Neurochirurgie
 und Psychiatrie
             www.kup.at/
 JNeurolNeurochirPsychiatr   Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems

Diagnostik der amyotrophen
                                                                               Homepage:
Lateralsklerose
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Körner S, Dengler R, Petri S                                     JNeurolNeurochirPsychiatr

Journal für Neurologie                                                 Online-Datenbank
                                                                         mit Autoren-
Neurochirurgie und Psychiatrie
                                                                      und Stichwortsuche
2011; 12 (2), 124-128

                                                                                            Indexed in
                                                               EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS

 Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz
 P.b.b. 02Z031117M,            Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21           Preis : EUR 10,–
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                                                                                                             Prim. Ass. Prof. Dr. Karl Matz
                                                                                                         Vorstand Abteilung für Neurologie
                                                                                                           Landesklinikum Baden-Mödling

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                          Die Teilnahme an dieser Fortbildungsveranstaltung ist Angehörigen der Fachkreise
                          gemäß Pharmig VHC Artikel 2.2 vorbehalten und ist nicht übertragbar.

                          Wissenschaftlicher Fortbildungsanbieter:
                          Österreichische Schlaganfall Gesellschaft, 1070 Wien                                              Mit freundlicher Unterstützung von
Diagnostik der ALS

             Diagnostik der amyotrophen Lateralsklerose
                                                                 S. Körner, R. Dengler, S. Petri

 Kurzfassung: Die amyotrophe Lateralsklerose            Diagnostik (Elektrophysiologie, Bildgebung,       At present, the diagnosis is made by means of
 (ALS) ist eine neurodegenerative Erkrankung mit        Laboruntersuchungen) ausgeschlossen werden.       the revised El Escorial criteria and requires si-
 kombinierter Affektion des ersten und zweiten          Da die „El-Escorial-Kriterien“ zwar sehr spezi-   multaneous presentation of upper and lower
 Motoneurons. Die Symptomatik beginnt meist             fisch, aber wenig sensitiv sind und die Diagno-   motoneuron signs. The reliability of the diagno-
 zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr mit distal         sestellung daher oft erst spät erfolgen kann,     sis increases with the number of body regions
 betonten Paresen und Muskelatrophien und/              wird derzeit an neuen sensitiveren Diagnostik-    affected. Electromyographic examination can
 oder Paresen der kaudalen motorischen Hirnner-         methoden gearbeitet.                              help to ensure the diagnosis. No ALS-specific
 ven (Bulbärparalyse) mit Faszikulationen, Hyper-                                                         biomarkers have been detected so far, differen-
 reflexie, Spastik und positiven Pyramidenbahn-         Schlüsselwörter: Amyotrophe Lateralsklero-        tial diagnoses therefore must be excluded by
 zeichen. Die Diagnosestellung erfolgt derzeit          se, Diagnostik, El-Escorial-Kriterien             additional investigations (electrophysiology,
 nach den revidierten „El-Escorial-Kriterien“ und                                                         imaging, laboratory tests). As the El Escorial cri-
 erfordert das gleichzeitige Vorliegen klinischer                                                         teria provide high specificity but low sensitivity
 Zeichen für eine Beteiligung des ersten und            Abstract: Diagnosis of Amyotrophic Lateral        and the definite diagnosis can often be made
 zweiten Motoneurons. Die Sicherheit der Diag-          Sclerosis. Amyotrophic lateral sclerosis (ALS)    only in late disease stages, new and more sensi-
 nose richtet sich nach der bestehenden Ausbrei-        is a neurodegenerative disease with combined      tive diagnostic methods are currently being de-
 tung der Symptome. An apparativer Diagnostik           affection of upper and lower motoneurons.         veloped. J Neurol Neurochir Psychiatr 2011;
 kann in erster Linie die Elektromyographie zur         Symptoms set in mostly between the age of 50–     12 (2): 124–8.
 Diagnosesicherung beitragen. Es gibt derzeit           70 with distal pareses and muscle atrophies
 noch keinen ALS-spezifischen Biomarker, Diffe-         and/or bulbar paralysis with fasciculations, in- Key words: amyotrophic lateral sclerosis, diag-
 renzialdiagnosen müssen daher mittels weiterer         creased reflexes, spasticity, and pyramidal signs. nostic investigation, El Escorial criteria

„ Einleitung                                                                       somal-dominant vererbten familiären Form (fALS). Die Inzi-
                                                                                   denz der ALS liegt weltweit etwa zwischen 0,8 und 2,6/
Jean Martin Charcot beschrieb 1873 zum ersten Mal das                              100.000, die Prävalenz bewegt sich bei einer durchschnittli-
Krankheitsbild der amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Es                           chen Lebenserwartung von 3 Jahren nach Diagnosestellung in
handelt sich um eine progrediente, neurodegenerative motori-                       einem Bereich von 3–8/100.000. Das Lebenszeitrisiko, an
sche Systemerkrankung. Klinisch zeigt sich ein kombinierter                        ALS zu erkranken, beträgt damit etwa 1:1000 [4].
Befall des kortikospinalen Systems (1. Motoneuron) sowie
der Motoneurone in den Hirnnervenkernen und im Vorder-                             „ Diagnostische Kriterien
horn des Rückenmarks (2. Motoneuron). Nicht beteiligt sind
die Okulomotorik und die Sphinkteren von Blase und Mast-                           Derzeit erfolgt die Diagnosestellung der ALS weitgehend
darm. Charakteristisch für die Erkrankung ist daher das                            nach klinischen Kriterien. An Zusatzdiagnostik trägt einzig
Nebeneinander peripherer und zentraler motorischer Zeichen.                        die Elektromyographie zur Sicherung der Diagnose bei. Eine
Durch Degeneration des 2. Motoneurons kommt es zu schlaf-                          formalisierte Diagnosestellung ist nach den 1998 revidierten
fen Paresen mit Muskelatrophie und Faszikulationen, der Be-                        „El-Escorial-Kriterien“ von 1994 [5, 6] möglich (Abb. 1).
fall des 1. Motoneurons äußert sich in zentralen Paresen mit
spastischer Muskeltonuserhöhung und enthemmten Muskel-
eigenreflexen sowie positiven Pyramidenbahnzeichen. Die
Erkrankung beginnt in der Regel fokal, einseitig mit distaler
Betonung und breitet sich im Sinne einer Generalisierung im
Verlauf auf die gegenseitige Extremität und die anderen Ex-
tremitäten sowie den Bulbärbereich aus. Ein bulbärer Beginn
wird in ca. 25 % der Fälle beschrieben [1].

Das Haupterkrankungsalter für die ALS liegt zwischen 50 und
70 Jahren mit einem Häufigkeitsgipfel um das 60. Lebensjahr.
Männer sind häufiger betroffen als Frauen (etwa 1,6:1) [2, 3].
Nur 5–10 % aller Patienten mit ALS weisen eine positive
Familienanamnese auf. Sie leiden an einer vorwiegend auto-

Eingelangt am 9. November 2009; angenommen am 29. November 2009; Pre-Pub-
lishing Online am 10. Februar 2010
Aus der Neurologischen Klinik mit Klinischer Neurophysiologie, Medizinische
Hochschule Hannover                                                                                       Abbildung 1: Diagnosestellung nach den „El-Escorial-
                                                                                                          Kriterien“. Erstellt nach Daten aus [5, 7].
Korrespondenzadresse: Dr. med. Sonja Körner, Neurologische Klinik mit Klinischer
                                                                                                          ALS: Amyotrophe Lateralsklerose; EMG: Elektromyo-
Neurophysiologie, Medizinische Hochschule Hannover, D-30625 Hannover, Carl-
                                                                                                          graphie; MN: Motoneuron
Neuberg-Straße 1; E-Mail: Koerner.Sonja@mh-hannover.de

124    J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)

         For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Diagnostik der ALS

Die Diagnose ALS erfordert danach:                             nen peripheren Nerven zuzuordnende Versorgungsgebiete
– Anwesenheit von                                              hinaus.
  • Zeichen der Degeneration des unteren Motoneurons,
  • Zeichen der Degeneration des oberen Motoneurons,           Die Elektroneurographie gehört aus differenzialdiagnosti-
  • progrediente Ausbreitung der Symptome innerhalb            schen Gründen zum festen Repertoire der ALS-Diagnostik
     einer Körperregion bzw. auf andere Körperregionen.        [9]. Die sensible Elektroneuropathie sollte in Abgrenzung zur
– Abwesenheit von                                              Polyneuropathie weitgehend unauffällig sein. In der motori-
  • elektrophysiologischem oder pathologischem Nachweis        schen Elektroneurographie können verminderte Amplituden
     anderer Erkrankungen, die die Degeneration des unteren    auftreten, der Nachweis von Leitungsblöcken spricht jedoch
     und oberen Motoneurons erklären,                          gegen die Diagnose einer ALS und weist auf die wichtige
  • bildgebendem Nachweis von anderen Erkrankungen,            Differenzialdiagnose einer multifokalen motorischen Neuro-
     die die klinischen oder elektrophysiologischen Zeichen    pathie hin (Tab. 2).
     erklären.
                                                               Wie bereits in den diagnostischen Kriterien erwähnt, erfordert
Unterschieden wird im Weiteren, wie in Abbildung 1 darge-      die Diagnose der ALS definitionsgemäß auch den Befall des
stellt, zwischen:
– Klinisch definitiver ALS bei klinischen Zeichen der Dege-     Tabelle 1: Obligate und fakultative Zusatzuntersuchungen
   neration des unteren und oberen Motoneurons in 3 Körper-     in der ALS-Diagnostik. Mod. nach [7].
   regionen.

                                                                                                                                    tiv
– Klinisch wahrscheinlicher ALS mit klinischen Zeichen der

                                                                                                                            t

                                                                                                                                  lta
                                                                                                                        liga

                                                                                                                                    u
   Degeneration des unteren und oberen Motoneurons in

                                                                                                                                Fak
                                                                                                                       Ob
                                                                             Untersuchung
   mindestens 2 Körperregionen, wobei Zeichen des oberen
   Motoneurons auch rostral der Zeichen des unteren Moto-       Blut         Blutsenkungsgeschwindigkeit                X
   neurons vorliegen müssen.                                                 C-reaktives Protein (CRP)                  X
– Klinisch wahrscheinlicher, laborunterstützter ALS mit kli-                 Differenzialblutbild                       X
                                                                             ASAT, ALAT, LDH                            X
   nischen Zeichen des unteren und oberen Motoneurons nur
                                                                             TSH, FT4, FT3                              X
   in einer Region und zusätzlich elektromyographisch nach-                  Vitamin B12 und Folat                      X
   weisbaren Zeichen des unteren Motoneurons (akute und                      Serumproteinelektrophorese                 X
   chronische Denervierung) in mindestens 2 Extremitäten.                    Immunfixation                              X
– Klinisch möglicher ALS mit klinischen Zeichen des unte-                    Kreatinkinase (CK)                         X
   ren und oberen Motorneurons lediglich in einer Körper-                    Kreatinin                                  X
                                                                             Elektrolyte (Na+, K+, Cl–,Ca++,HPO4–)      X
   region ohne zusätzliche Unterstützung durch Labor-
                                                                             Glukose                                    X
   befunde.                                                                  Angiotensin-converting Enzym (ACE)                   X
                                                                             Lakat                                                X
„ Zusatzdiagnostik                                                           Hexosaminidase A und B                               X
                                                                             Gangliosid-GM-1-Antikörper                           X
Die empfohlene Zusatzdiagnostik gemäß den europäischen                       anti-Hu, anti-MAG                                    X
Richtlinien (EFNS-Guidelines 2005) ist in Tabelle 1 darge-                   RA, ANA, anti-DNA                                    X
                                                                             anti-AChR-, anti-MuSK-Antikörper                     X
stellt [7, 8].
                                                                             Serologie (Borrelien, Virus inkl. HIV)               X
                                                                             DNA-Analyse                                          X
Einzig die Elektromyographie ist für die Diagnosestellung       Liquor       Zellzahl                                             X
selbst wichtig, was auch in den „El-Escorial-Kriterien“ her-                 Zytologie                                            X
vorgehoben wird, da hiermit direkt eine Schädigung des zwei-                 Protein                                              X
ten Motoneurons nachgewiesen werden kann. Die übrige                         Glukose, Laktat                                      X
apparative und Labordiagnostik dient im Wesentlichen dem                     Proteinelektrophorese mit IgG-Index                  X
Ausschluss anderer Erkrankungen. Eine Übersicht der wichti-                  Borrelien                                            X
                                                                             Gangliosidantikörper                                 X
gen Differenzialdiagnosen findet sich in Tabelle 2. Bei der
ALS handelt es sich nach wie vor um eine klinisch-elektro-      Urin         Cadmium                                              X
                                                                             Blei (24-Stunden-Sammelurin)                         X
physiologische Diagnose, es gibt derzeit keine Biomarker für
                                                                             Quecksilber                                          X
diese Erkrankung.                                                            Mangan                                               X
                                                                             Urin-Immunelektrophorese                             X
Elektrophysiologie                                              Neuro-      EMG                                         X
Elektromyographisch kann der Befall des zweiten Motoneu-        physiologie NLG                                         X
rons nachgewiesen werden. Zeichen für eine akute Denervie-                  MEP                                                   X
rung sind dabei Fibrillationspotenziale und positive scharfe    Radiologie   MRT/CT (Kopf/zervikal/thorakal/lumbal)     X
Wellen, Zeichen für eine chronische Denervierung sind große                  Röntgen-Thorax                             X
Muskelaktionspotenziale mit einem höheren Anteil poly-                       Mammographie                                         X
phasischer Potenziale. Außerdem weist ein gelichtetes Inter-    Biopsien     Muskel                                               X
ferenzmuster auf eine Denervierung hin (Abb. 2). Wichtig                     Nerv                                                 X
ist die Verteilung der Veränderungen mit einer Tendenz                       Knochenmark                                          X
                                                                             Lymphknoten                                          X
zur Generalisierung über definierte radikuläre oder einzel-

                                                                                      J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)     125
Diagnostik der ALS

 Tabelle 2: Wichtige Differenzialdiagnosen der ALS mit Manifestation am ersten und/oder zweiten Motoneuron sowie bei
 Verdacht erforderliche Ausschlussdiagnostik. Mod. nach [4].
                                                                  Schädigung des         Schädigung des
                                                                  1. Motoneurons         2. Motoneurons
                                                                      möglich                möglich              Ausschlussdiagnostik

 Strukturelle Läsionen
   Spinalkanalstenose, zervikale Myelopathie                               X                     X               MRT-HWS
   Syringomyelie, Syngobulbie                                              X                     X               MRT-HWS
   Tumoren, Zysten                                                         X                     X               MRT-HWS, cMRT
   Engpass-Syndrome (z. B. CPS), Wurzelkompressionen                       0                     X               Elektroneurographie, MRT-WS
 Toxische Schäden
   Schwermetalle, Lösungsmittel                                            X                     X               Anamnese, Labor
   Strahlenmyelopathie                                                     X                     X               Anamnese, MRT-WS
   Radikulopathie nach Radiatio                                            0                     X               Anamnese, MRT-WS
 Metabolische Störungen
  Hyper-/Hypothyreose                                                      X                     X               Labor (T3, T4, TSH und SD-Antikörper)
  GM2-Gangliosidose (Hexosaminidase-A-Mangel)                              X                     X               Labor
  Vitamin-B12-Mangel                                                       X                     X               Labor
  Neuropathien bei Diabetes mellitus, Porphyrie,                           0                     X               Anamnese, Labor
  Amyloidose etc.
 Infektiöse Erkrankungen
    Enzephalo-Myelo-Radikulitiden (z. B. Borreliose, Lues)                 X                     X               Liquor
    HIV                                                                    X                     X               Labor
    Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung                                           X                     X               Liquor, EEG
    Poliomyelitis, Post-Polio-Syndrom                                      0                     X               Anamnese
    Tropische spastische Paraparese (HTLV 1)                               X                     X               Labor
 Immunologische Erkrankungen
   Paraproteinämien                                                        X                     X               Labor (IgG, IgA, IgM)
   Paraneoplasien                                                          X                     X               Anamnese, ggf. Tumordiagnostik, PET,
                                                                                                                 Labor (antineuronale Antikörper)
    Vaskulitiden                                                           X                     X               Labor (ANA, ANCA, etc.), cMRT,
                                                                                                                 ggf. Nervbiopsie
    Chronisch inflammatorische demyelinisierende                           0                     X               Elektroneurographie, Liquor
    Polyradikulitis (CIDP)
    Multifokal motorische Neuropathie                                      0                     X               Elektroneurographie (Leitungsblöcke!),
                                                                                                                 Labor (GM1-Antikörper)
    Multiple Sklerose                                                      X                     0               cMRT, Liquor
 Degenerative Erkrankungen
   Spinale Muskelatrophien                                                 0                     X               Anamnese
   HMSN Typ II                                                             0                     X               Elektroneurographie
   Familiäre spastische Spinalparalyse, sporadische                        X                     0               Anamnese
   spastische Paraparese
 Muskelerkrankungen
  Myositiden (z. B. Einschlusskörperchenmyositis)                          0                     X               Muskelbiopsie

   A                                                                                             B

Abbildung 2: Normales EMG aus dem M. biceps brachii (A) und EMG bei einem ALS-Patienten aus dem M. biceps brachii (B).

126    J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)
Diagnostik der ALS

oberen Motoneurons. Eine subklinische Pyramidenbahn-
beteiligung kann mittels transkranieller Magnetstimulation
(TMS) nachgewiesen werden, sodass diese zur Diagnose-
sicherung beitragen kann. Bei bereits klinisch erkennbaren
Pyramidenbahnzeichen ist diese Untersuchung verzichtbar.

Bildgebung
Die wesentliche Bedeutung der neuroradiologischen Diag-
nostik liegt wiederum in der Differenzialdiagnostik zum Aus-
schluss anderer Erkrankungen, die eine Schädigung des ersten
oder zweiten Motoneurons verursachen können. Erforderlich
sind mindestens eine Magnetresonanztomographie (MRT)
des Schädels und der Halswirbelsäule. Insbesondere entzünd-     Abbildung 3: Triple-Stimulation-Technik. Im Ablauf der Untersuchung werden 3 Sti-
liche ZNS-Erkrankungen (Multiple Sklerose, Vaskulitiden)        muli abgegeben. Zuerst der transkranielle Stimulus, anschließend ein supra-
und mechanische Veränderungen wie Tumoren, Spinalkanal-         maximaler distaler Stimulus des den Zielmuskel versorgenden Nervs (N. ulnaris),
stenose mit zervikaler Myelopathie können so erkannt werden     zuletzt ein proximaler supramaximaler Stimulus der Muskelefferenz (Erb-Punkt).
                                                                Durch Kollisionsphänomene der entstehenden Aktionspotenziale werden die
(Tab. 1). In der MRT des Schädels sind teilweise Atrophien      Entladungen der spinalen Motoneurone synchronisiert. Nachdruck aus [16] mit Ge-
der Zentralregion und des Zervikalmarks erkennbar. Des          nehmigung der Oxford University Press. ADM: M. abductor digiti minimi.
Weiteren können in der T2-gewichteten Sequenz hyper-
intense Signale entlang des Tractus corticospinalis als Aus-    Es gibt jedoch Bemühungen, die Sensitivität der Diagnose-
druck der axonalen Degeneration der Pyramidenbahn auftre-       kriterien zu erhöhen. In klinischer Prüfung befinden sich
ten [10, 11]. Die Diagnose kann durch bildgebende Verfahren     derzeit die „Awaji-Kriterien“, die auf eine Gleichwertigkeit
jedoch weder gesichert noch verworfen werden [12].              von elektrophysiologischen und klinischen Befunden abzie-
                                                                len [13–15]. Die grundsätzlichen Aussagen der „El-Escorial-
Labordiagnostik                                                 Kriterien“ wurden übernommen, Denervierungszeichen im
Die erforderlichen Laboruntersuchungen sind Tabelle 1 zu        Elekromyogramm (EMG) werden jedoch gleichwertig zu kli-
entnehmen. In Ermangelung eines ALS-spezifischen Bio-           nischen Zeichen bewertet. Die in den „El-Escorial-Kriterien“
markers dienen sie allein dem Ausschluss der Differenzial-      geforderten Auffälligkeiten können sowohl klinisch als auch
diagnosen (Tab. 2). Bei entsprechender Klinik können die        elektromyographisch bestätigt werden. Die Kategorie „labo-
immunologischen Parameter, insbesondere die GM1-Anti-           ratory-supported probable ALS“ entfällt und wird zu „pro-
körper (bei Verdacht auf multifokal motorische Neuropathie)     bable ALS“. In Muskeln mit neurogenen EMG-Veränderun-
diagnostisch hilfreich sein. Eine Liquoruntersuchung ist zum    gen werden Faszikulationspotenziale im ALS-Kontext als
Ausschluss entzündlicher Erkrankungen (Vaskulitiden, Mul-       Zeichen „aktiver Denervierung“ gewertet so wie Fibrillationen.
tiple Sklerose, infektiöse Erkrankungen) unseres Erachtens
sinnvoll.                                                       Zum sensitiveren Nachweis subklinischer Zeichen des ersten
                                                                Motoneurons wurde die „Triple-Stimulations-Technik“, eine
Biopsien                                                        spezielle Methode der transkraniellen Magnetstimulation,
Bei entsprechenden klinischen Befundkonstellationen kön-        entwickelt. Mit dieser Technik lassen sich die Einflüsse von
nen Biopsien von Muskel (z. B. Differenzialdiagnose [DD]        Desynchronisation und Mehrfachentladungen auf die durch
Einschlusskörperchenmyositis) oder Nerv (DD Vaskulitis)         die TMS ausgelöste muskuläre Reizantwort eliminieren und
erforderlich sein (Tab. 2).                                     es wird eine Quantifizierung des zentralmotorischen Scha-
                                                                dens ermöglicht [16–18]. Die Durchführung ist allerdings
„ Neue Entwicklungen in der Diagnostik                          komplex und teils schmerzhaft für die Patienten und wird da-
                                                                her bisher nicht in der klinischen Routine eingesetzt (Abb. 3).
Die „El-Escorial-Kriterien“ sind sehr spezifisch, aber nicht
sensitiv. Sie wurden ursprünglich für internationale Studien    Auch in der Bildgebung ist mit neuen Techniken der Magnet-
entwickelt, um die Patienten einheitlich einordnen zu können,   resonanztomographie („voxel-based morphometry“; „diffu-
und sind nicht für die alltägliche klinische Praxis bestimmt.   sion tensor imaging“) die quantitative Einschätzung der Schä-
Sie bilden die frühen Erkrankungsstadien nur ungenügend ab      den sowohl im Kortex als auch der Bahnen in der weißen Sub-
und sind daher für die Frühdiagnose zu rigide. Patienten kön-   stanz möglich. Diese Techniken werden derzeit aber allein zu
nen versterben, ohne das Stadium einer „wahrscheinlichen“       Forschungszwecken bei ALS-Patienten eingesetzt. Es liegen
oder „definitiven“ ALS nach „El-Escorial-Kriterien“ erreicht    bisher teils widersprüchliche und insbesondere für frühe
zu haben. Die Dauer bis zur Diagnosestellung nach Auftreten     Krankheitsstadien spärliche Daten vor [19]. Bei wachsender
der ersten Symptome ist im Mittel ein Jahr. Eine frühe Diag-    Datenmenge und verbesserter Qualität könnte die Magnet-
nose ist jedoch für den Patienten wünschenswert, um unnötige    resonanztomographie bei der Diagnosestellung jedoch zu-
Diagnostik und Therapien zu vermeiden. Außerdem ist ein         künftig eine größere Rolle spielen.
früher Einsatz des bisher einzigen wirksamen Medikaments
Rilutek vermutlich effektiver und die Patienten können auch     Derzeit ist trotz großer technischer Fortschritte in der Neuro-
früher in neue Therapiestudien eingeschlossen werden. Den-      physiologie und der Bildgebung die klinische Untersuchung
noch stellen die „El-Escorial-Kriterien“ derzeit den bestmög-   der sicherste Weg, eine Degeneration des ersten und zweiten
lichen Konsens zur Diagnose der ALS dar.                        Motoneurons zu erkennen.

                                                                                           J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)       127
Diagnostik der ALS

„ Interessenkonflikt                                                                               diagnosis of amyotrophic lateral sclerosis.
                                                                                                   Amyotroph Lateral Scler Other Motor Neuron
                                                                                                                                                     13. Dengler R. Neue Überlegungen zur kli-
                                                                                                                                                     nisch-neurophysiologischen Diagnostik der
                                                                                                   Disord 2000; 1: 293–9.                            ALS. Die „Awaji-Kriterien“. Klin Neurophysiol
Die Autoren verneinen einen Interessenkonflikt.                                                    7. Kollewe K, Andersen PM, Borasio GD, et al.     2008; 39: 164–8.
                                                                                                   Klinische Leitlinien zur Behandlung der Amyo-     14. de Carvalho M, Dengler R, Eisen A, et al.
                                                                                                   trophen Lateralsklerose. Nervenheilkunde          Electrodiagnostic criteria for diagnosis of
                                                                                                   2008; 27: 302–16.
  „ Relevanz für die Praxis                                                                        8. Andersen PM, Borasio GD, Dengler R, et al.
                                                                                                                                                     ALS. Clin Neurophysiol 2008; 119: 497–503.

                                                                                                   Good practice in the management of amyo-          15. Carvalho MD, Swash M. Awaji diagnostic
  – Die Diagnosestellung der ALS erfolgt derzeit nach den                                          trophic lateral sclerosis: clinical guidelines.   algorithm increases sensitivity of El Escorial
                                                                                                   An evidence-based review with good practice       criteria for ALS diagnosis. Amyotroph Lateral
    revidierten „El-Escorial-Kriterien“.                                                           points. EALSC Working Group. Amyotroph            Scler 2009; 10: 53–7.
  – Die Diagnose einer ALS erfordert klinische Zeichen                                             Lateral Scler 2007; 8: 195–213.                   16. Komissarow L, Rollnik JD, Bogdanova D, et
    einer Affektion des ersten und zweiten Motoneurons.                                            9. Cornblath DR, Kuncl RW, Mellits ED, et al.     al. Triple stimulation technique (TST) in amyo-
                                                                                                   Nerve conduction studies in amyotrophic lat-      trophic lateral sclerosis. Clin Neurophysiol
    Die Sicherheit der Diagnose richtet sich nach Ausmaß                                           eral sclerosis. Muscle Nerve 1992; 15: 1111–      2004; 115: 356–60.
    und Verteilungsmuster der Symptome.                                                            5.
                                                                                                                                                     17. Magistris MR, Rosler KM, Truffert A, et al.
                                                                                                   10. Carella F, Grisoli M, Savoiardo M, et al.     Transcranial stimulation excites virtually all
  – Die Diagnose wird klinisch gestellt, an apparativer                                            Magnetic resonance signal abnormalities           motor neurons supplying the target muscle. A
    Diagnostik kann nur die Elektromyographie zur Diag-                                            along the pyramidal tracts in amyotrophic         demonstration and a method improving the
                                                                                                   lateral sclerosis. Ital J Neurol Sci 1995; 16:    study of motor evoked potentials. Brain 1998;
    nosesicherung beitragen.                                                                       511–5.                                            121: 437–50.
  – Es gibt keinen Biomarker für die Diagnose der ALS. Es                                          11. Abe K, Fujimura H, Kobayashi Y, et al. De-
                                                                                                   generation of the pyramidal tracts in patients    18. Attarian S, Verschueren A, Pouget J.
    handelt sich um eine Ausschlussdiagnose.                                                       with amyotrophic lateral sclerosis. A premor-     Magnetic stimulation including the triple-
  – Wichtige Differenzialdiagnosen wie motorische Neuro-                                           tem and postmortem magnetic resonance im-         stimulation technique in amyotrophic lateral
                                                                                                   aging study. J Neuroimaging 1997; 7: 208–         sclerosis. Muscle Nerve 2007; 36: 55–61.
    pathien, mechanische Nerven-/Myelonkompression,                                                12.                                               19. Ravits JM, La Spada AR. ALS motor phe-
    entzündliche Ursachen oder Muskelerkrankungen müs-                                             12. Lindner A, Zierz S. Bildgebende Diagnos-      notype heterogeneity, focality, and spread:
    sen ausgeschlossen werden.                                                                     tik. In: Dengler R, Ludolph A, Zierz S (Hrsg).    deconstructing motor neuron degeneration.
                                                                                                   Thieme-Verlag, Stuttgart, 2000; 76–89.            Neurology 2009; 73: 805–11.

                                                                                                     Dr. med. Sonja Körner
Literatur:                                        A, Zierz S (Hrsg). Amyptrophe Lateralsklerose.     Geboren 1979. Studium der Humanmedizin
                                                  Thieme-Verlag, Stuttgart, 2000; 1–16.
1. Wijesekera LC, Leigh PN. Amyotrophic lat-                                                         an der Georg-August-Universität Göttingen
eral sclerosis. Orphanet J Rare Dis 2009; 4: 3.   5. Brooks BR. El Escorial World Federation of
                                                  Neurology criteria for the diagnosis of amyo-
                                                                                                     und der Medizinischen Hochschule Hannover.
2. Traynor BJ, Codd MB, Corr B, et al. Inci-      trophic lateral sclerosis. Subcommittee on         Seit 2006 Assistenzärztin in der Abteilung
dence and prevalence of ALS in Ireland, 1995–     Motor Neuron Diseases/Amyotrophic Lateral          Neurologie der Medizinischen Hochschule
1997: a population-based study. Neurology         Sclerosis of the World Federation of Neurol-
1999; 52: 504–9.                                                                                     Hannover. Dissertation „Die Expression von
                                                  ogy Research Group on Neuromuscular Dis-
3. Li TM, Alberman E, Swash M. Comparison         eases and the El Escorial “Clinical limits of
                                                                                                     GABAA- und AMPA-Glutamat-Rezeptor-
of sporadic and familial disease amongst 580      amyotrophic lateral sclerosis” workshop con-       untereinheiten im Rückenmark des SOD1-
cases of motor neuron disease. J Neurol           tributors. J Neurol Sci 1994; 124 (Suppl): 96–     Mausmodells der Amyotrophen Lateral-
Neurosurg Psychiatry 1988; 51: 778–84.            107.                                               sklerose (ALS) – Eine In-situ-Hybridisierungs-
4. Ludolph A. Geschichte, Epidemiologie und       6. Brooks BR, Miller RG, Swash M, et al. El        studie“.
diagnostische Kriterien. In: Dengler R, Ludolph   Escorial revisited: revised criteria for the

128      J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)
Mitteilungen aus der Redaktion

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