Diagnostik der amyotrophen Lateralsklerose - www.kup.at/ - Krause und ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Diagnostik der amyotrophen Homepage: Lateralsklerose www.kup.at/ Körner S, Dengler R, Petri S JNeurolNeurochirPsychiatr Journal für Neurologie Online-Datenbank mit Autoren- Neurochirurgie und Psychiatrie und Stichwortsuche 2011; 12 (2), 124-128 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
Schlaganfall Akademie Fortbildungsreihe zum Thema Stroke ÖGSF Online-Fortbildung: Veranstaltung der ÖGSF Schlaganfall – was sind die Aufgaben für den/die Allgemeinmediziner*in 21. Oktober 2021 17.00 bis 18.00 Uhr Referent: Prim. Ass. Prof. Dr. Karl Matz Vorstand Abteilung für Neurologie Landesklinikum Baden-Mödling Jetzt online unter Onlineanmeldung https://bit.ly/2XFdSHK anmelden AT/PX/0921/PC-AT-102635 Die Teilnahme an dieser Fortbildungsveranstaltung ist Angehörigen der Fachkreise gemäß Pharmig VHC Artikel 2.2 vorbehalten und ist nicht übertragbar. Wissenschaftlicher Fortbildungsanbieter: Österreichische Schlaganfall Gesellschaft, 1070 Wien Mit freundlicher Unterstützung von
Diagnostik der ALS Diagnostik der amyotrophen Lateralsklerose S. Körner, R. Dengler, S. Petri Kurzfassung: Die amyotrophe Lateralsklerose Diagnostik (Elektrophysiologie, Bildgebung, At present, the diagnosis is made by means of (ALS) ist eine neurodegenerative Erkrankung mit Laboruntersuchungen) ausgeschlossen werden. the revised El Escorial criteria and requires si- kombinierter Affektion des ersten und zweiten Da die „El-Escorial-Kriterien“ zwar sehr spezi- multaneous presentation of upper and lower Motoneurons. Die Symptomatik beginnt meist fisch, aber wenig sensitiv sind und die Diagno- motoneuron signs. The reliability of the diagno- zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr mit distal sestellung daher oft erst spät erfolgen kann, sis increases with the number of body regions betonten Paresen und Muskelatrophien und/ wird derzeit an neuen sensitiveren Diagnostik- affected. Electromyographic examination can oder Paresen der kaudalen motorischen Hirnner- methoden gearbeitet. help to ensure the diagnosis. No ALS-specific ven (Bulbärparalyse) mit Faszikulationen, Hyper- biomarkers have been detected so far, differen- reflexie, Spastik und positiven Pyramidenbahn- Schlüsselwörter: Amyotrophe Lateralsklero- tial diagnoses therefore must be excluded by zeichen. Die Diagnosestellung erfolgt derzeit se, Diagnostik, El-Escorial-Kriterien additional investigations (electrophysiology, nach den revidierten „El-Escorial-Kriterien“ und imaging, laboratory tests). As the El Escorial cri- erfordert das gleichzeitige Vorliegen klinischer teria provide high specificity but low sensitivity Zeichen für eine Beteiligung des ersten und Abstract: Diagnosis of Amyotrophic Lateral and the definite diagnosis can often be made zweiten Motoneurons. Die Sicherheit der Diag- Sclerosis. Amyotrophic lateral sclerosis (ALS) only in late disease stages, new and more sensi- nose richtet sich nach der bestehenden Ausbrei- is a neurodegenerative disease with combined tive diagnostic methods are currently being de- tung der Symptome. An apparativer Diagnostik affection of upper and lower motoneurons. veloped. J Neurol Neurochir Psychiatr 2011; kann in erster Linie die Elektromyographie zur Symptoms set in mostly between the age of 50– 12 (2): 124–8. Diagnosesicherung beitragen. Es gibt derzeit 70 with distal pareses and muscle atrophies noch keinen ALS-spezifischen Biomarker, Diffe- and/or bulbar paralysis with fasciculations, in- Key words: amyotrophic lateral sclerosis, diag- renzialdiagnosen müssen daher mittels weiterer creased reflexes, spasticity, and pyramidal signs. nostic investigation, El Escorial criteria Einleitung somal-dominant vererbten familiären Form (fALS). Die Inzi- denz der ALS liegt weltweit etwa zwischen 0,8 und 2,6/ Jean Martin Charcot beschrieb 1873 zum ersten Mal das 100.000, die Prävalenz bewegt sich bei einer durchschnittli- Krankheitsbild der amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Es chen Lebenserwartung von 3 Jahren nach Diagnosestellung in handelt sich um eine progrediente, neurodegenerative motori- einem Bereich von 3–8/100.000. Das Lebenszeitrisiko, an sche Systemerkrankung. Klinisch zeigt sich ein kombinierter ALS zu erkranken, beträgt damit etwa 1:1000 [4]. Befall des kortikospinalen Systems (1. Motoneuron) sowie der Motoneurone in den Hirnnervenkernen und im Vorder- Diagnostische Kriterien horn des Rückenmarks (2. Motoneuron). Nicht beteiligt sind die Okulomotorik und die Sphinkteren von Blase und Mast- Derzeit erfolgt die Diagnosestellung der ALS weitgehend darm. Charakteristisch für die Erkrankung ist daher das nach klinischen Kriterien. An Zusatzdiagnostik trägt einzig Nebeneinander peripherer und zentraler motorischer Zeichen. die Elektromyographie zur Sicherung der Diagnose bei. Eine Durch Degeneration des 2. Motoneurons kommt es zu schlaf- formalisierte Diagnosestellung ist nach den 1998 revidierten fen Paresen mit Muskelatrophie und Faszikulationen, der Be- „El-Escorial-Kriterien“ von 1994 [5, 6] möglich (Abb. 1). fall des 1. Motoneurons äußert sich in zentralen Paresen mit spastischer Muskeltonuserhöhung und enthemmten Muskel- eigenreflexen sowie positiven Pyramidenbahnzeichen. Die Erkrankung beginnt in der Regel fokal, einseitig mit distaler Betonung und breitet sich im Sinne einer Generalisierung im Verlauf auf die gegenseitige Extremität und die anderen Ex- tremitäten sowie den Bulbärbereich aus. Ein bulbärer Beginn wird in ca. 25 % der Fälle beschrieben [1]. Das Haupterkrankungsalter für die ALS liegt zwischen 50 und 70 Jahren mit einem Häufigkeitsgipfel um das 60. Lebensjahr. Männer sind häufiger betroffen als Frauen (etwa 1,6:1) [2, 3]. Nur 5–10 % aller Patienten mit ALS weisen eine positive Familienanamnese auf. Sie leiden an einer vorwiegend auto- Eingelangt am 9. November 2009; angenommen am 29. November 2009; Pre-Pub- lishing Online am 10. Februar 2010 Aus der Neurologischen Klinik mit Klinischer Neurophysiologie, Medizinische Hochschule Hannover Abbildung 1: Diagnosestellung nach den „El-Escorial- Kriterien“. Erstellt nach Daten aus [5, 7]. Korrespondenzadresse: Dr. med. Sonja Körner, Neurologische Klinik mit Klinischer ALS: Amyotrophe Lateralsklerose; EMG: Elektromyo- Neurophysiologie, Medizinische Hochschule Hannover, D-30625 Hannover, Carl- graphie; MN: Motoneuron Neuberg-Straße 1; E-Mail: Koerner.Sonja@mh-hannover.de 124 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Diagnostik der ALS Die Diagnose ALS erfordert danach: nen peripheren Nerven zuzuordnende Versorgungsgebiete – Anwesenheit von hinaus. • Zeichen der Degeneration des unteren Motoneurons, • Zeichen der Degeneration des oberen Motoneurons, Die Elektroneurographie gehört aus differenzialdiagnosti- • progrediente Ausbreitung der Symptome innerhalb schen Gründen zum festen Repertoire der ALS-Diagnostik einer Körperregion bzw. auf andere Körperregionen. [9]. Die sensible Elektroneuropathie sollte in Abgrenzung zur – Abwesenheit von Polyneuropathie weitgehend unauffällig sein. In der motori- • elektrophysiologischem oder pathologischem Nachweis schen Elektroneurographie können verminderte Amplituden anderer Erkrankungen, die die Degeneration des unteren auftreten, der Nachweis von Leitungsblöcken spricht jedoch und oberen Motoneurons erklären, gegen die Diagnose einer ALS und weist auf die wichtige • bildgebendem Nachweis von anderen Erkrankungen, Differenzialdiagnose einer multifokalen motorischen Neuro- die die klinischen oder elektrophysiologischen Zeichen pathie hin (Tab. 2). erklären. Wie bereits in den diagnostischen Kriterien erwähnt, erfordert Unterschieden wird im Weiteren, wie in Abbildung 1 darge- die Diagnose der ALS definitionsgemäß auch den Befall des stellt, zwischen: – Klinisch definitiver ALS bei klinischen Zeichen der Dege- Tabelle 1: Obligate und fakultative Zusatzuntersuchungen neration des unteren und oberen Motoneurons in 3 Körper- in der ALS-Diagnostik. Mod. nach [7]. regionen. tiv – Klinisch wahrscheinlicher ALS mit klinischen Zeichen der t lta liga u Degeneration des unteren und oberen Motoneurons in Fak Ob Untersuchung mindestens 2 Körperregionen, wobei Zeichen des oberen Motoneurons auch rostral der Zeichen des unteren Moto- Blut Blutsenkungsgeschwindigkeit X neurons vorliegen müssen. C-reaktives Protein (CRP) X – Klinisch wahrscheinlicher, laborunterstützter ALS mit kli- Differenzialblutbild X ASAT, ALAT, LDH X nischen Zeichen des unteren und oberen Motoneurons nur TSH, FT4, FT3 X in einer Region und zusätzlich elektromyographisch nach- Vitamin B12 und Folat X weisbaren Zeichen des unteren Motoneurons (akute und Serumproteinelektrophorese X chronische Denervierung) in mindestens 2 Extremitäten. Immunfixation X – Klinisch möglicher ALS mit klinischen Zeichen des unte- Kreatinkinase (CK) X ren und oberen Motorneurons lediglich in einer Körper- Kreatinin X Elektrolyte (Na+, K+, Cl–,Ca++,HPO4–) X region ohne zusätzliche Unterstützung durch Labor- Glukose X befunde. Angiotensin-converting Enzym (ACE) X Lakat X Zusatzdiagnostik Hexosaminidase A und B X Gangliosid-GM-1-Antikörper X Die empfohlene Zusatzdiagnostik gemäß den europäischen anti-Hu, anti-MAG X Richtlinien (EFNS-Guidelines 2005) ist in Tabelle 1 darge- RA, ANA, anti-DNA X anti-AChR-, anti-MuSK-Antikörper X stellt [7, 8]. Serologie (Borrelien, Virus inkl. HIV) X DNA-Analyse X Einzig die Elektromyographie ist für die Diagnosestellung Liquor Zellzahl X selbst wichtig, was auch in den „El-Escorial-Kriterien“ her- Zytologie X vorgehoben wird, da hiermit direkt eine Schädigung des zwei- Protein X ten Motoneurons nachgewiesen werden kann. Die übrige Glukose, Laktat X apparative und Labordiagnostik dient im Wesentlichen dem Proteinelektrophorese mit IgG-Index X Ausschluss anderer Erkrankungen. Eine Übersicht der wichti- Borrelien X Gangliosidantikörper X gen Differenzialdiagnosen findet sich in Tabelle 2. Bei der ALS handelt es sich nach wie vor um eine klinisch-elektro- Urin Cadmium X Blei (24-Stunden-Sammelurin) X physiologische Diagnose, es gibt derzeit keine Biomarker für Quecksilber X diese Erkrankung. Mangan X Urin-Immunelektrophorese X Elektrophysiologie Neuro- EMG X Elektromyographisch kann der Befall des zweiten Motoneu- physiologie NLG X rons nachgewiesen werden. Zeichen für eine akute Denervie- MEP X rung sind dabei Fibrillationspotenziale und positive scharfe Radiologie MRT/CT (Kopf/zervikal/thorakal/lumbal) X Wellen, Zeichen für eine chronische Denervierung sind große Röntgen-Thorax X Muskelaktionspotenziale mit einem höheren Anteil poly- Mammographie X phasischer Potenziale. Außerdem weist ein gelichtetes Inter- Biopsien Muskel X ferenzmuster auf eine Denervierung hin (Abb. 2). Wichtig Nerv X ist die Verteilung der Veränderungen mit einer Tendenz Knochenmark X Lymphknoten X zur Generalisierung über definierte radikuläre oder einzel- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2) 125
Diagnostik der ALS Tabelle 2: Wichtige Differenzialdiagnosen der ALS mit Manifestation am ersten und/oder zweiten Motoneuron sowie bei Verdacht erforderliche Ausschlussdiagnostik. Mod. nach [4]. Schädigung des Schädigung des 1. Motoneurons 2. Motoneurons möglich möglich Ausschlussdiagnostik Strukturelle Läsionen Spinalkanalstenose, zervikale Myelopathie X X MRT-HWS Syringomyelie, Syngobulbie X X MRT-HWS Tumoren, Zysten X X MRT-HWS, cMRT Engpass-Syndrome (z. B. CPS), Wurzelkompressionen 0 X Elektroneurographie, MRT-WS Toxische Schäden Schwermetalle, Lösungsmittel X X Anamnese, Labor Strahlenmyelopathie X X Anamnese, MRT-WS Radikulopathie nach Radiatio 0 X Anamnese, MRT-WS Metabolische Störungen Hyper-/Hypothyreose X X Labor (T3, T4, TSH und SD-Antikörper) GM2-Gangliosidose (Hexosaminidase-A-Mangel) X X Labor Vitamin-B12-Mangel X X Labor Neuropathien bei Diabetes mellitus, Porphyrie, 0 X Anamnese, Labor Amyloidose etc. Infektiöse Erkrankungen Enzephalo-Myelo-Radikulitiden (z. B. Borreliose, Lues) X X Liquor HIV X X Labor Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung X X Liquor, EEG Poliomyelitis, Post-Polio-Syndrom 0 X Anamnese Tropische spastische Paraparese (HTLV 1) X X Labor Immunologische Erkrankungen Paraproteinämien X X Labor (IgG, IgA, IgM) Paraneoplasien X X Anamnese, ggf. Tumordiagnostik, PET, Labor (antineuronale Antikörper) Vaskulitiden X X Labor (ANA, ANCA, etc.), cMRT, ggf. Nervbiopsie Chronisch inflammatorische demyelinisierende 0 X Elektroneurographie, Liquor Polyradikulitis (CIDP) Multifokal motorische Neuropathie 0 X Elektroneurographie (Leitungsblöcke!), Labor (GM1-Antikörper) Multiple Sklerose X 0 cMRT, Liquor Degenerative Erkrankungen Spinale Muskelatrophien 0 X Anamnese HMSN Typ II 0 X Elektroneurographie Familiäre spastische Spinalparalyse, sporadische X 0 Anamnese spastische Paraparese Muskelerkrankungen Myositiden (z. B. Einschlusskörperchenmyositis) 0 X Muskelbiopsie A B Abbildung 2: Normales EMG aus dem M. biceps brachii (A) und EMG bei einem ALS-Patienten aus dem M. biceps brachii (B). 126 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)
Diagnostik der ALS oberen Motoneurons. Eine subklinische Pyramidenbahn- beteiligung kann mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS) nachgewiesen werden, sodass diese zur Diagnose- sicherung beitragen kann. Bei bereits klinisch erkennbaren Pyramidenbahnzeichen ist diese Untersuchung verzichtbar. Bildgebung Die wesentliche Bedeutung der neuroradiologischen Diag- nostik liegt wiederum in der Differenzialdiagnostik zum Aus- schluss anderer Erkrankungen, die eine Schädigung des ersten oder zweiten Motoneurons verursachen können. Erforderlich sind mindestens eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels und der Halswirbelsäule. Insbesondere entzünd- Abbildung 3: Triple-Stimulation-Technik. Im Ablauf der Untersuchung werden 3 Sti- liche ZNS-Erkrankungen (Multiple Sklerose, Vaskulitiden) muli abgegeben. Zuerst der transkranielle Stimulus, anschließend ein supra- und mechanische Veränderungen wie Tumoren, Spinalkanal- maximaler distaler Stimulus des den Zielmuskel versorgenden Nervs (N. ulnaris), stenose mit zervikaler Myelopathie können so erkannt werden zuletzt ein proximaler supramaximaler Stimulus der Muskelefferenz (Erb-Punkt). Durch Kollisionsphänomene der entstehenden Aktionspotenziale werden die (Tab. 1). In der MRT des Schädels sind teilweise Atrophien Entladungen der spinalen Motoneurone synchronisiert. Nachdruck aus [16] mit Ge- der Zentralregion und des Zervikalmarks erkennbar. Des nehmigung der Oxford University Press. ADM: M. abductor digiti minimi. Weiteren können in der T2-gewichteten Sequenz hyper- intense Signale entlang des Tractus corticospinalis als Aus- Es gibt jedoch Bemühungen, die Sensitivität der Diagnose- druck der axonalen Degeneration der Pyramidenbahn auftre- kriterien zu erhöhen. In klinischer Prüfung befinden sich ten [10, 11]. Die Diagnose kann durch bildgebende Verfahren derzeit die „Awaji-Kriterien“, die auf eine Gleichwertigkeit jedoch weder gesichert noch verworfen werden [12]. von elektrophysiologischen und klinischen Befunden abzie- len [13–15]. Die grundsätzlichen Aussagen der „El-Escorial- Labordiagnostik Kriterien“ wurden übernommen, Denervierungszeichen im Die erforderlichen Laboruntersuchungen sind Tabelle 1 zu Elekromyogramm (EMG) werden jedoch gleichwertig zu kli- entnehmen. In Ermangelung eines ALS-spezifischen Bio- nischen Zeichen bewertet. Die in den „El-Escorial-Kriterien“ markers dienen sie allein dem Ausschluss der Differenzial- geforderten Auffälligkeiten können sowohl klinisch als auch diagnosen (Tab. 2). Bei entsprechender Klinik können die elektromyographisch bestätigt werden. Die Kategorie „labo- immunologischen Parameter, insbesondere die GM1-Anti- ratory-supported probable ALS“ entfällt und wird zu „pro- körper (bei Verdacht auf multifokal motorische Neuropathie) bable ALS“. In Muskeln mit neurogenen EMG-Veränderun- diagnostisch hilfreich sein. Eine Liquoruntersuchung ist zum gen werden Faszikulationspotenziale im ALS-Kontext als Ausschluss entzündlicher Erkrankungen (Vaskulitiden, Mul- Zeichen „aktiver Denervierung“ gewertet so wie Fibrillationen. tiple Sklerose, infektiöse Erkrankungen) unseres Erachtens sinnvoll. Zum sensitiveren Nachweis subklinischer Zeichen des ersten Motoneurons wurde die „Triple-Stimulations-Technik“, eine Biopsien spezielle Methode der transkraniellen Magnetstimulation, Bei entsprechenden klinischen Befundkonstellationen kön- entwickelt. Mit dieser Technik lassen sich die Einflüsse von nen Biopsien von Muskel (z. B. Differenzialdiagnose [DD] Desynchronisation und Mehrfachentladungen auf die durch Einschlusskörperchenmyositis) oder Nerv (DD Vaskulitis) die TMS ausgelöste muskuläre Reizantwort eliminieren und erforderlich sein (Tab. 2). es wird eine Quantifizierung des zentralmotorischen Scha- dens ermöglicht [16–18]. Die Durchführung ist allerdings Neue Entwicklungen in der Diagnostik komplex und teils schmerzhaft für die Patienten und wird da- her bisher nicht in der klinischen Routine eingesetzt (Abb. 3). Die „El-Escorial-Kriterien“ sind sehr spezifisch, aber nicht sensitiv. Sie wurden ursprünglich für internationale Studien Auch in der Bildgebung ist mit neuen Techniken der Magnet- entwickelt, um die Patienten einheitlich einordnen zu können, resonanztomographie („voxel-based morphometry“; „diffu- und sind nicht für die alltägliche klinische Praxis bestimmt. sion tensor imaging“) die quantitative Einschätzung der Schä- Sie bilden die frühen Erkrankungsstadien nur ungenügend ab den sowohl im Kortex als auch der Bahnen in der weißen Sub- und sind daher für die Frühdiagnose zu rigide. Patienten kön- stanz möglich. Diese Techniken werden derzeit aber allein zu nen versterben, ohne das Stadium einer „wahrscheinlichen“ Forschungszwecken bei ALS-Patienten eingesetzt. Es liegen oder „definitiven“ ALS nach „El-Escorial-Kriterien“ erreicht bisher teils widersprüchliche und insbesondere für frühe zu haben. Die Dauer bis zur Diagnosestellung nach Auftreten Krankheitsstadien spärliche Daten vor [19]. Bei wachsender der ersten Symptome ist im Mittel ein Jahr. Eine frühe Diag- Datenmenge und verbesserter Qualität könnte die Magnet- nose ist jedoch für den Patienten wünschenswert, um unnötige resonanztomographie bei der Diagnosestellung jedoch zu- Diagnostik und Therapien zu vermeiden. Außerdem ist ein künftig eine größere Rolle spielen. früher Einsatz des bisher einzigen wirksamen Medikaments Rilutek vermutlich effektiver und die Patienten können auch Derzeit ist trotz großer technischer Fortschritte in der Neuro- früher in neue Therapiestudien eingeschlossen werden. Den- physiologie und der Bildgebung die klinische Untersuchung noch stellen die „El-Escorial-Kriterien“ derzeit den bestmög- der sicherste Weg, eine Degeneration des ersten und zweiten lichen Konsens zur Diagnose der ALS dar. Motoneurons zu erkennen. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2) 127
Diagnostik der ALS Interessenkonflikt diagnosis of amyotrophic lateral sclerosis. Amyotroph Lateral Scler Other Motor Neuron 13. Dengler R. Neue Überlegungen zur kli- nisch-neurophysiologischen Diagnostik der Disord 2000; 1: 293–9. ALS. Die „Awaji-Kriterien“. Klin Neurophysiol Die Autoren verneinen einen Interessenkonflikt. 7. Kollewe K, Andersen PM, Borasio GD, et al. 2008; 39: 164–8. Klinische Leitlinien zur Behandlung der Amyo- 14. de Carvalho M, Dengler R, Eisen A, et al. trophen Lateralsklerose. Nervenheilkunde Electrodiagnostic criteria for diagnosis of 2008; 27: 302–16. Relevanz für die Praxis 8. Andersen PM, Borasio GD, Dengler R, et al. ALS. Clin Neurophysiol 2008; 119: 497–503. Good practice in the management of amyo- 15. Carvalho MD, Swash M. Awaji diagnostic – Die Diagnosestellung der ALS erfolgt derzeit nach den trophic lateral sclerosis: clinical guidelines. algorithm increases sensitivity of El Escorial An evidence-based review with good practice criteria for ALS diagnosis. Amyotroph Lateral revidierten „El-Escorial-Kriterien“. points. EALSC Working Group. Amyotroph Scler 2009; 10: 53–7. – Die Diagnose einer ALS erfordert klinische Zeichen Lateral Scler 2007; 8: 195–213. 16. Komissarow L, Rollnik JD, Bogdanova D, et einer Affektion des ersten und zweiten Motoneurons. 9. Cornblath DR, Kuncl RW, Mellits ED, et al. al. Triple stimulation technique (TST) in amyo- Nerve conduction studies in amyotrophic lat- trophic lateral sclerosis. Clin Neurophysiol Die Sicherheit der Diagnose richtet sich nach Ausmaß eral sclerosis. Muscle Nerve 1992; 15: 1111– 2004; 115: 356–60. und Verteilungsmuster der Symptome. 5. 17. Magistris MR, Rosler KM, Truffert A, et al. 10. Carella F, Grisoli M, Savoiardo M, et al. Transcranial stimulation excites virtually all – Die Diagnose wird klinisch gestellt, an apparativer Magnetic resonance signal abnormalities motor neurons supplying the target muscle. A Diagnostik kann nur die Elektromyographie zur Diag- along the pyramidal tracts in amyotrophic demonstration and a method improving the lateral sclerosis. Ital J Neurol Sci 1995; 16: study of motor evoked potentials. Brain 1998; nosesicherung beitragen. 511–5. 121: 437–50. – Es gibt keinen Biomarker für die Diagnose der ALS. Es 11. Abe K, Fujimura H, Kobayashi Y, et al. De- generation of the pyramidal tracts in patients 18. Attarian S, Verschueren A, Pouget J. handelt sich um eine Ausschlussdiagnose. with amyotrophic lateral sclerosis. A premor- Magnetic stimulation including the triple- – Wichtige Differenzialdiagnosen wie motorische Neuro- tem and postmortem magnetic resonance im- stimulation technique in amyotrophic lateral aging study. J Neuroimaging 1997; 7: 208– sclerosis. Muscle Nerve 2007; 36: 55–61. pathien, mechanische Nerven-/Myelonkompression, 12. 19. Ravits JM, La Spada AR. ALS motor phe- entzündliche Ursachen oder Muskelerkrankungen müs- 12. Lindner A, Zierz S. Bildgebende Diagnos- notype heterogeneity, focality, and spread: sen ausgeschlossen werden. tik. In: Dengler R, Ludolph A, Zierz S (Hrsg). deconstructing motor neuron degeneration. Thieme-Verlag, Stuttgart, 2000; 76–89. Neurology 2009; 73: 805–11. Dr. med. Sonja Körner Literatur: A, Zierz S (Hrsg). Amyptrophe Lateralsklerose. Geboren 1979. Studium der Humanmedizin Thieme-Verlag, Stuttgart, 2000; 1–16. 1. Wijesekera LC, Leigh PN. Amyotrophic lat- an der Georg-August-Universität Göttingen eral sclerosis. Orphanet J Rare Dis 2009; 4: 3. 5. Brooks BR. El Escorial World Federation of Neurology criteria for the diagnosis of amyo- und der Medizinischen Hochschule Hannover. 2. Traynor BJ, Codd MB, Corr B, et al. Inci- trophic lateral sclerosis. Subcommittee on Seit 2006 Assistenzärztin in der Abteilung dence and prevalence of ALS in Ireland, 1995– Motor Neuron Diseases/Amyotrophic Lateral Neurologie der Medizinischen Hochschule 1997: a population-based study. Neurology Sclerosis of the World Federation of Neurol- 1999; 52: 504–9. Hannover. Dissertation „Die Expression von ogy Research Group on Neuromuscular Dis- 3. Li TM, Alberman E, Swash M. Comparison eases and the El Escorial “Clinical limits of GABAA- und AMPA-Glutamat-Rezeptor- of sporadic and familial disease amongst 580 amyotrophic lateral sclerosis” workshop con- untereinheiten im Rückenmark des SOD1- cases of motor neuron disease. J Neurol tributors. J Neurol Sci 1994; 124 (Suppl): 96– Mausmodells der Amyotrophen Lateral- Neurosurg Psychiatry 1988; 51: 778–84. 107. sklerose (ALS) – Eine In-situ-Hybridisierungs- 4. Ludolph A. Geschichte, Epidemiologie und 6. Brooks BR, Miller RG, Swash M, et al. El studie“. diagnostische Kriterien. In: Dengler R, Ludolph Escorial revisited: revised criteria for the 128 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)
Mitteilungen aus der Redaktion Besuchen Sie unsere zeitschriftenübergreifende Datenbank Bilddatenbank Artikeldatenbank Fallberichte e-Journal-Abo Beziehen Sie die elektronischen Ausgaben dieser Zeitschrift hier. Die Lieferung umfasst 4–5 Ausgaben pro Jahr zzgl. allfälliger Sonderhefte. Unsere e-Journale stehen als PDF-Datei zur Verfügung und sind auf den meisten der markt üblichen e-Book-Readern, Tablets sowie auf iPad funktionsfähig. Bestellung e-Journal-Abo Haftungsausschluss Die in unseren Webseiten publizierten Informationen richten sich ausschließlich an geprüfte und autorisierte medizinische Berufsgruppen und entbinden nicht von der ärztlichen Sorg- faltspflicht sowie von einer ausführlichen Patientenaufklärung über therapeutische Optionen und deren Wirkungen bzw. Nebenwirkungen. Die entsprechenden Angaben werden von den Autoren mit der größten Sorgfalt recherchiert und zusammengestellt. Die angegebenen Do- sierungen sind im Einzelfall anhand der Fachinformationen zu überprüfen. Weder die Autoren, noch die tragenden Gesellschaften noch der Verlag übernehmen irgendwelche Haftungsan- sprüche. Bitte beachten Sie auch diese Seiten: Impressum Disclaimers & Copyright Datenschutzerklärung
Sie können auch lesen