Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich

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Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
laut & leise
Magazin der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich
Nr. 3, Oktober 2015, erscheint dreimal jährlich, Jahresabonnement Fr. 20.–

Schwer
erreichbar

Sucht beginnt im Alltag.
Prävention auch.
Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

Schwer erreichbar
Wo Leute schwer erreichbar sind, braucht es geeignete und vielleicht auch ungewöhnliche Hilfsmittel. Diese sind auf den Bildern
von Daniel Lienhard immer gelb: Sie überwinden selbst gröbere Hindernisse. Mit dabei ist immer ein Baum, Sinnbild für Hoffnung,
Wachstum, Zukunft. Die Illustrationen entstanden in der 3D-Technik: Programmen, die Architekten sonst für die Visualisierung
ihrer Bauten verwenden. (lienhardillustrator.com)
Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
STANDPUNKT

                                              Wir sind auch eine schwierige Zielgruppe
                                              «…und da wollten wir Sie fragen, wie wir jetzt an die Männer                 Interesse, braucht «Gwunder» und Demut. Will zuallererst ver-
                                              kommen», sagte die Stellenleiterin am Telefon, nachdem sie de-               stehen, mit welchen Augen die Zielgruppe in ihre Welt und auf
                                              tailliert beschrieben hatte, mit wie viel Herzblut ihr Team ein              unser Problem schaut. Um dann mit ihren Augen unser Problem
                                              neues Angebot für Väter ausgetüftelt habe. Und wie enttäu-                   neu zu entdecken. Zusammenhänge kennenzulernen. Worte zu
                                              schend es sei, dass die Zielgruppe ihr Angebot nun mit schmäh-               finden.
                                              licher Nichtbeachtung strafe. Ich seufzte tief.                                 Das ist anspruchsvoll. Wir müssen in Kontakt gehen. Defini-
                                                  Erstens aus Mitgefühl: Ja, Männer sind eine schwer erreich-              tionsmacht abgeben. Offen sein, unser Expertentum in Frage zu
                                              bare Zielgruppe.                                                             stellen. Bereit sein, auch zu einer anderen Schlussfolgerung zu
                                                  Zweitens aus eigener Erfahrung: Wie oft passiert mir dies als
                                              männer.ch-Präsident selbst, dass ich meine eigene Klientel ins               Zielgruppengerecht arbeiten ist vor allem
                                              Pfefferland wünsche, weil sie einfach nicht einzusehen gewillt
                                              ist, dass es für alle das Beste wäre, wenn sie uns endlich ihr Kor-
                                                                                                                           anderen eine Frage der Haltung. Basiert auf
                                              sett permanenten Leistungs- und Konkurrenzstrebens aufzu-                    echtem Interesse, braucht «Gwunder» und
                                              knüpfen gestatten würde...                                                   Demut. Will zuallererst verstehen, mit welchen
                                                  Drittens aus verärgerter Verwunderung: Wie kann es sein,
                                              dass professionelle Fachleute immer und immer wieder in die                  Augen die Zielgruppe in ihre Welt und auf
                                              gleiche Falle tappen?! Am Anfang steht der gute Wille (oder der              unser Problem schaut.
                                              Leistungsauftrag) – und der dreifach unterstrichene Vorsatz im
                                              Konzeptpapier, partizipativ und zielgruppengerecht vorgehen                  kommen als die, die beim Kostenträger wohlgelitten ist. Mit
                                              zu wollen. Also jeden Anflug der Bevormundung zu unter-                      Selbstbegrenzung umgehen – und mit der fachlichen Kränkung,
                                              lassen. Respektvoll zu sein. Bar jeder fachlichen Arroganz. Auf              die mit dieser Selbstbegrenzung einhergeht.
                                              Augenhöhe. Doch sobald es in die Erarbeitungsphase geht, ver-                   Dann kann es klappen. Aber sicher ist es nicht. Und wenn wir
                                              flüchtigt sich dieser Vorsatz auf mysteriöse Weise. Denn wir                 uns bei der Frage ertappen, warum die Zielgruppe unser ehrli-
                                              müssen schon sehen: Wir sind die Fachleute. Wir haben das                    ches Bestreben und all den Aufwand einfach nicht zu würdigen
                                              Know-how. Und die Evidenz. Die politische Sensibilität. Die Ver-             weiss, so wissen wir: Das Teufelchen bevormundender Fachlich-
                                              antwortung. Ja, wir müssen uns nicht kleiner machen, als wir                 keit hat bereits wieder zugeschlagen…
                                              sind, denn wenn wir ehrlich sind, kennen wir das Problem
                                              schon. Wir brauchen einfach noch die geeignete Verpackung,
                                              damit die Zielgruppe unser Problem auch zu ihrem macht.
                                                                                                                           Markus Theunert (42) ist Präsident des Dachverbands Schweizer Männer- und
                                                  Es bleibt eine Daueraufgabe, sich selbst kritisch in Erinnerung          Väterorganisationen und Inhaber der Beratungsfirma Social Affairs GmbH mit
                                              zu rufen: Zielgruppengerecht arbeiten meint etwas anderes und                Fokus auf Prozesse und Organisationen im Präventions-, Gesundheits- und
                                              ist vor allem anderen eine Frage der Haltung. Basiert auf echtem             Sozialbereich.

                                               IMPRESSUM
                                               laut & leise Nr. 3, Oktober 2015

                                               Herausgeber: Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich
                                                                                                                             INHALT
                                               Zuschriften: info@suchtpraevention-zh.ch                                      Schwer erreichbar
                                               Redaktions- und Produktionsleitung: Brigitte Müller,
                                               www.muellertext.ch
                                                                                                                             Zugang zu den Angeboten der Suchtprävention ............. Seite 4
                                               Redaktionsteam: Chantal Bourloud, Renate Büchi, Cathy Caviezel (Vorsitz),
                                                                                                                             Anzeichen einer Sucht erkennen
                                               Christian Ingold, Domenic Schnoz
                                               Redaktion Meldungen aus der Suchtprävention: Annett Niklaus                   Unterstützung der regionalen Arbeitsvermittlung .......... Seite 7
                                               Mitarbeiter/innen dieser Nummer: Christa Berger, Beat Furrer, Peggy
                                               Geers, Fridolin Heer, Gabriela Hofer, Mathias von Matt, Annett Niklaus,       «Mut tut gut!»
                                               Markus Theunert, Christine Wullschleger                                       Kurs für erwerbslose Frauen ............................................... Seite 8
                                               Illustrationen: Daniel Lienhard
                                               Gestaltung: Fabian Brunner, fabian.brunner@bluewin.ch                         Respekt und Geduld
                                               Druck: FO-Fotorotar, 8132 Egg                                                 Interview mit Mathias von Matt, Sozialarbeiter auf
                                               Bezug von weiteren Exemplaren: Sekretariat FO-Fotorotar, 8132 Egg,
                                                                                                                             der Jugendanwaltschaft Stadt-Zürich ............................ Seite 11
Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

                                               Tel. 044 986 35 10
                                               Abonnement: Fr. 20.– jährlich (freiwillig). Bestellen bei:
                                               Sekretariat FO-Fotorotar, 8132 Egg, Tel. 044 986 35 10
                                                                                                                             «Der Köder muss dem Fisch schmecken»
                                               Adressänderung und Abbestellung: FO-Fotorotar, Gewerbestrasse 18,             Kampagne der Stellen für Suchtprävention im
                                               8132 Egg oder info@fo-fotorotar.ch                                            Kanton Zürich ........................................................................ Seite 13
                                               Die Beiträge und die Fotos in diesem «laut & leise» geben die Meinung
                                               der Autorinnen und Autoren wieder. Diese muss nicht mit der Meinung           Meldungen aus der Suchtprävention ................. Seiten 14 und 15
                                               des Herausgebers, der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich,
                                               übereinstimmen.

                                              Artikel, Fotos, Illustrationen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne Genehmigung der Redaktion nicht verwendet
                                              werden. Falls Sie Interesse an einem Artikel haben: Anfrage bitte an Annett Niklaus (annett.niklaus@uzh.ch).
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Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
ZUGANG ZU DEN ANGEBOTEN DER SUCHTPRÄVENTION

Schwer erreichbar
Nach wie vor profitieren vor allem gut situierte, selbstsichere und informierte Personen vom Angebot
der Suchtprävention. Andere Menschen werden aus vielfältigen Gründen nicht oder nur ungenügend
erreicht. Eine Arbeitsgruppe von Präventionsfachleuten suchte nach den Ursachen und erkundete
Möglichkeiten, dieser Chancen-Ungleichheit entgegenzuwirken.
Text: Christa Berger, Beat Furrer, Gabriela Hofer, Christine Wullschleger

S
           ozial benachteiligte Menschen –      Kantons Zürich machte sich 2014 eine Ar-      Drei Zielgruppen im Fokus
           in Bezug auf Arbeit, Einkommen       beitsgruppe ans Werk. Ihr Ziel war, mehr
           und Bildung – haben ein erhöh-       Wissen über schwer erreichbare Zielgrup-      Die Arbeitsgruppe konzentrierte sich aus
           tes Risiko, in eine Sucht zu gera-   pen einzuholen und in Erfahrung zu brin-      all den genannten, schwer erreichbaren
ten. Vielfältige Belastungen und häufig         gen, welche Faktoren zu berücksichtigen       Gruppen auf einige wenige, um das The-
unzureichende Ressourcen prägen ihren           sind, damit der Zugang gelingt.               ma weiter zu vertiefen. Eine auf den
Alltag. Auch sie – manche sagen: gerade            Als Erstes wollte die Arbeitsgruppe von    Grundlagen des Schweizer Suchtmonito-
sie – sollten von den Möglichkeiten pro-        sämtlichen beteiligten Stellen wissen,        rings und der aktuellen wissenschaftli-
fitieren können, einer Suchtentwicklung         welche Personengruppen sie in ihrer Pra-      chen Literatur erarbeitete Expertise von
vorzubeugen. Doch Kampagnen, Kurse              xis als schwer erreichbar ansehen. Dabei      Sucht Schweiz unterstützte die folgende
und andere Angebote der Suchtpräven-            entstand ein äusserst heterogenes Bild:       Auswahl:
tionsstellen erreichen diese Menschen zu        vulnerable Familien, junge Erwachse-          • belastete Familien (sozioökonomisch
wenig. Oft sind sie sozial isoliert, wenig      nen, einsame Menschen sowie Migran-           benachteiligt sowie mit weiteren Risiko-
mobil oder haben sprachliche Schwierig-         tinnen und Migranten. Ebenfalls schwer        faktoren behaftet)
keiten. Auf der anderen Seite erschweren        zu erreichen seien tendenziell die Verant-    • Erwerbslose
ihnen unflexible Kurszeiten, fehlende           wortlichen für Festveranstaltungen, in        • junge Erwachsene zwischen 18 und 30
Kinderbetreuung und andere Barrieren            Vereinen und in der Politik, die in ihrem     Jahren
den Zugang zu den Angeboten.                    Umfeld Präventionsanliegen verankern             Ältere Menschen und Menschen mit
    Darüber hinaus gibt es weitere Perso-       können. In ihrer Arbeit zählen Präven-        Migrationshintergrund verdienen eben-
nengruppen, die für die Fachleute als           tionsfachleute auf weitere Multiplikato-      falls erhöhte Aufmerksamkeit: Mit diesen
schwer erreichbar und gleichzeitig sucht-       rinnen und Multiplikatoren wie bei-           Zielgruppen beschäftigen sich jedoch be-
gefährdet gelten: allein lebende ältere         spielsweise Lehrpersonen, Verantwortli-       reits andere kantonale Arbeitsgruppen
Menschen sowie Kinder aus (sucht)belas-         che der Berufsbildung oder Ärztinnen          und Gremien.
teten Familien zum Beispiel. Die Nummern        und Ärzte. Diese Fachleute haben Ein-            Die erwähnte Expertise von Sucht
1/2013 und 3/2013 des Magazins «laut &          fluss und können Menschen konkret mo-         Schweiz enthält auch Modellprojekte mit
leise» gehen näher auf deren Situation ein.     tivieren, sich suchtvorbeugend zu verhal-     Empfehlungen, wie die drei ausgewähl-
    Auch unter den Menschen ohne hohe           ten oder einer Suchtentwicklung früh          ten Personengruppen besser erreicht wer-
soziale Belastungen gibt es viele, die sich     und adäquat zu begegnen. Aber: Es             den können: Erfolg versprechend ist,
kaum für Prävention interessieren. Insbe-       bräuchte mehr engagierte Schlüsselper-        wenn die Barriere zu den Angeboten
sondere gelten junge Erwachsene zwi-            sonen, damit die Prävention vertieft grei-    nicht zu hoch ist, wenn die Fachleute ak-
schen 18 und 30 Jahren als schwer er-           fen könnte.                                   tiv auf die Menschen in deren Umfeld zu-
reichbar, obwohl in dieser experimentier-          Die Arbeitsgruppe befragte die Stellen     gehen, wenn man bestehende Strukturen
freudigen Altersgruppe der Konsum von           zudem nach ihrer Einschätzung, welche         wie Institutionen oder Netzwerke für den
Suchtmitteln am höchsten ist. Was vor al-       Hindernisse auf Seiten der Fachleute be-      Kontakt nutzen kann und wenn Multipli-
lem auf Männer zutrifft. Dort, wo sich vie-     stehe. Sie erhielt folgende Antworten:        katoren/-innen oder Peers vermitteln.
le von ihnen aufhalten, an Fachhoch-            • Teilweise weiss man zu wenig über die          Zusätzlich befragte der Fachverband
schulen, Universitäten und in Betrieben         Zielgruppe, mit der man gern in Kontakt       Sucht im Auftrag der Arbeitsgruppe seine
zum Beispiel, sind die Fachstellen bis an-      käme.                                         Mitglieder – nicht nur aus der Prävention,
hin kaum präsent.                               • Es fehlen Netzwerke und Strukturen,         sondern auch aus der ambulanten und
    Chancengleichheit wurde bereits 2004        die den Zugang erleichtern.                   der stationären Suchthilfe – nach ihren
                                                                                                                                            Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

im «Konzept zur Prävention und Gesund-          • Die Rolle der Fachleute ist in der Praxis   Praxis-Erfahrungen im Kontakt mit be-
heitsförderung im Kanton Zürich» als            oft unklar.                                   lasteten Familien, Erwerbslosen und jun-
eines der wichtigsten Ziele formuliert. Um      • Es bestehen sprachliche Barrieren.          gen Erwachsenen. Schwellenängste der-
diesem bedeutenden Ziel näher zu kom-           • Oder es sind nur begrenzte Ressourcen       jenigen, die bei beginnenden oder bereits
men, widmet sich jetzt die Suchtpräven-         vorhanden, um diese Probleme anpacken         bestehenden Suchtproblemen früh Hilfe
tion dem Thema systematisch.                    zu können.                                    bekommen sollten, wurden genannt,
                                                   Hilfreiche Ansätze sehen die Fachleute     aber auch Hindernisse wie beispielsweise
Eine Arbeitsgruppe wird aktiv                   in Angeboten wie beispielsweise femmes-       der Datenschutz oder die Schweigepflicht
                                                TISCHE, einem niederschwelligen Eltern-       auf Seiten der Institutionen. Für belastete
Im Auftrag aller regionalen und kantona-        bildungsprogramm, das mit Multiplikato-       Familien stehen zwar verschiedene Ange-
len Fachstellen für Suchtprävention des         rinnen zusammenarbeitet.                      bote zur Verfügung, diese sind jedoch mit

                                                                                                                                       4
Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
vielen Zugangsbarrieren behaftet. Für Er-   kannt und angesprochen werden. Wich-          Konkrete Empfehlungen
                                              werbslose hingegen gibt es nur sehr we-     tig ist, dass mit Wertschätzung an ihre Er-
                                              nige Projekte, obwohl dieser Zielgruppe     fahrungen, Ressourcen und Kompeten-           Im November 2015 wird die Arbeitsgrup-
                                              gemäss Literatur grössere Aufmerksam-       zen angeknüpft wird.                          pe ihren aktuellen Wissensstand den
                                              keit gewidmet werden müsste.                • Niederschwellig und aufsuchend:             Suchtpräventionsfachleuten im Kanton
                                                                                          Familien werden an den Orten ihres täg-       Zürich präsentieren. Und bis Ende Jahr
                                              Gelingende Zugänge                          lichen Lebens besser erreicht, beispiels-     sollen erste konkrete Empfehlungen er-
                                                                                          weise am Arbeitsplatz, in Einkaufs- und       arbeitet sein, damit Präventionsbotschaf-
                                              Aufgrund ihrer Recherchen fasst die Ar-     Quartierzentren oder an kulturellen           ten und frühe Hilfsangebote auch wirk-
                                              beitsgruppe die wichtigsten Erkenntnisse    Treffpunkten. Auch junge Erwachsene           lich jene Menschen erreichen, die das po-
                                              zusammen:                                   lassen sich eher ansprechen, wenn man         tenzielle Risiko einer Suchtentwicklung
                                              • Peers: Sie vereinfachen bei allen drei    sie aufsucht, zum Beispiel im Nachtle-        kennen.
                                              ausgewählten Zielgruppen die Erreich-       ben, in Fahrschulen, an Universitäten
                                              barkeit. Wenn Personen, die in vergleich-   und Fachhochschulen oder im Militär-
                                              baren Lebensumständen oder in ver-          dienst.
                                              gleichbarem Alter sind, auf die Menschen    • Vernetzung: Eine gute Vernetzung            Christa Berger, Mitglied der Arbeitsgruppe und
                                                                                                                                        Mitarbeiterin der Suchtpräventionsstelle der Stadt
                                              in ihrem Umfeld zugehen, ist die Akzep-     unter den Fachstellen und Fachleuten
                                                                                                                                        Zürich
                                              tanz präventiver Botschaften höher und      scheint den Zugang zu (sucht)gefährde-
                                              die Wahrscheinlichkeit grösser, dass die    ten Menschen zu erleichtern und ermög-        Beat Furrer, Mitglied der Arbeitsgruppe und Stellen-
                                                                                                                                        leiter der Suchtpräventionsstelle Winterthur
                                              Angebote genutzt werden.                    licht, gezielt Hilfe anzubieten: Vor allem,
                                              • Bestehende Strukturen: Sinnvoll ist       wenn – wegen Schwellenängsten und             Gabriela Hofer, Mitglied der Arbeitsgruppe und
                                                                                                                                        Mitarbeiterin der Suchtpräventionsstelle Zürcher
                                              der Zugang zu allen drei ausgewählten       sprachlichen Barrieren oder aus Angst vor
                                                                                                                                        Oberland
                                              Zielgruppen über bestehende Strukturen      dem Obhutsentzug der Kinder – keine
                                                                                                                                        Christine Wullschleger, lic. phil. I, seit Ende der
                                              und Institutionen. So nehmen beispiels-     Hilfe in Anspruch genommen wird oder
                                                                                                                                        1980er-Jahre in Gesundheitsförderung und Sucht-
                                              weise Erwerbslose, die bei der regionalen   wenn Datenschutz und Schweigepflicht          prävention tätig, von 2006 bis zu ihrer Pensionierung
                                              Arbeitsvermittlung (RAV) gemeldet sind,     Barrieren darstellen.                         im vergangenen Jahr bei der Suchtprävention
                                              häufiger Suchtberatungsangebote wahr        • Internet: Vor allem für junge Erwach-       Zürcher Unterland.
                                              als Erwerbstätige.                          sene ist der Kontakt über Onlineangebote
                                              • Partizipativer Ansatz: Eltern sind        und Onlinekommunikation wichtig.              «Laut & leise» als Download
                                                                                                                                        Sie finden die Ausgaben 1/2013 und 3/2013 des
                                              vor allem dann offen für Prävention,        Grund: Mit niederschwelligen Angeboten        Magazins «laut & leise» im Internet als PDF zum
                                              wenn sie in ihrer Aufgabe und in ihrer      im Internet wird diese Zielgruppe am bes-     Downloaden: www.suchtpraevention-zh.ch >
                                              Rolle als Experten für ihre Kinder aner-    ten erreicht.                                 Publikationen > Magazin laut & leise
Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

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Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
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    Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015
Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
UNTERSTÜTZUNG DER REGIONALEN ARBEITSVERMITTLUNG

                                              Anzeichen einer Sucht erkennen
                                              Menschen, die ihre Arbeitsstelle verlieren, können in eine tiefe Krise stürzen, die sie unter anderem
                                              mit Suchtmitteln zu bewältigen versuchen. In Schulungen lernen RAV-Berater/innen, die Anzeichen
                                              einer Sucht zu erkennen und diese mit den betroffenen Stellensuchenden zu thematisieren, um
                                              geeignete Unterstützungsmassnahmen einleiten zu können.
                                              Text: Fridolin Heer

                                              N
                                                          ach dem Verlust der Arbeits-              Suchtprobleme früh erkennen                   Suchtberatungsstelle Fortbildungen, an
                                                          stelle ist die rasche und nach-                                                         denen Mitarbeitende der RAV Wetzikon,
                                                          haltige Wiedereingliederung in            Meldet sich eine erwerbslose Person beim      Fehraltorf und Uster teilnehmen. In den
                                                          den Arbeitsmarkt das wichtigs-            zuständigen RAV an, finden nach einem         Schulungen lernen die RAV-Mitarbeiten-
                                              te Ziel. Voraussetzung, damit die Wieder-             Erstgespräch regelmässig Beratungs- und       den, wie sie Anzeichen einer Sucht erken-
                                              eingliederung gelingt, ist der Erhalt der             Kontrollgespräche statt. Ein beginnendes      nen, und wie sich eine Suchterkrankung
                                              Vermittlungsfähigkeit der Stellensuchen-              oder gar bestehendes Suchtproblem bei         auf die Lebensgestaltung auswirkt. Ein
                                              den. Diese Vermittlungsfähigkeit kann je-             diesen Gesprächen festzustellen, ist für      zentraler Aspekt der Schulungen ist das
                                              doch durch eine Sucht stark beeinträch-               die beratenden RAV-Mitarbeitenden fast        Wissen um den konkreten Umgang
                                              tigt sein oder sogar vollständig fehlen.              unmöglich. Eine RAV-Mitarbeiterin, die        mit abhängigen Stellensuchenden. Dazu
                                                                                                    an der letztjährigen Fachtagung «Arbeits-     üben sie sich in spezifischen Gesprächs-
                                              Erwerbslosigkeit und Sucht                            losigkeit und Sucht» vom Fachverband          methoden. Die RAV-Mitarbeitenden ler-
                                                                                                    Sucht teilnahm, weiss aus Erfahrung:          nen, worauf sie achten müssen und wie
                                              Erwerbslose sind stärker gefährdet, in                «Kein Klient kommt zu mir ins Gespräch        sie einen konkreten Verdacht oder eine
                                              eine Sucht abzurutschen, als Erwerbstäti-             und sagt, dass er Suchtprobleme hat.» Ge-     Beobachtung gegenüber einem/einer
                                              ge.* Der Verlust der Arbeitsstelle und des            nau deshalb gelten erwerbslose Personen       Stellensuchenden ansprechen können.
                                              damit verbundenen Status verursacht                   als schwer erreichbar.                        Dabei gilt es, auffälliges Verhalten wahr-
                                              häufig eine grosse Krise. Insbesondere                   Grundsätzlich gilt: Arbeitslosigkeit be-   zunehmen und persönliche Wahrneh-
                                              dann, wenn der Kündigung eine langjäh-                günstigt die Entwicklung von Suchtpro-        mungen anhand eines Beobachtungsbo-
                                              rige Anstellung vorausgeht und/oder die               blemen. Gleichzeitig erhöhen Suchtpro-        gens zu systematisieren. Zusammen mit
                                              Chancen auf eine Wiederanstellung deut-               bleme das Risiko, arbeitslos zu werden        den empfohlenen Gesprächs- und Frage-
                                              lich tiefer sind. Der Jobverlust bedeutet             und es lange zu bleiben.                      techniken und dem vermittelten Fach-
                                              jedoch nicht nur eine finanzielle Einbus-                Erstes Ziel ist es, den schädigenden       wissen können so alle für die Arbeitsinte-
                                              se. Über die Erwerbsarbeit erfolgt vielfach           Suchtmittelkonsum der Stellensuchen-          gration relevanten Informationen erho-
                                              eine starke Identifizierung, Sinnstiftung             den früh wahrzunehmen und das Pro-            ben werden.
                                              und Tagesstrukturierung. Die Reaktion                 blem mit den Betroffenen zu thematisie-           Die schwere Erreichbarkeit manifes-
                                              auf diese belastende Phase erfolgt dabei              ren, parallel zur RAV-Beratung und zu         tiert sich in der Tabuisierung der Sucht.
                                              auf sehr unterschiedliche Art und Weise.              den arbeitsmarktlichen Massnahmen.            Wichtig ist deshalb, einen erhärteten Ver-
                                              Die Krisenbewältigung mit legalen (z. B.              Diese Probleme anzusprechen und so            dacht immer anzusprechen und nicht
                                              Alkohol) und illegalen (z. B. Kokain, Can-            den erschwerten Zielgruppenzugang zu          stillschweigend zu übergehen. Dann ge-
                                              nabis) Substanzen oder problematischen                schaffen, kann schwierig sein, ermöglicht     lingt es, eine Abhängigkeit frühzeitig
                                              Verhaltensweisen (Glücksspiel) kann da-               aber erst das Vermitteln einer gezielten      wahrzunehmen und, zusammen mit den
                                              bei ihren Anfang nehmen. Es zeigt sich                Unterstützung in Form einer ambulanten        Betroffenen, die weiteren Schritte einzu-
                                              zudem, dass durch den Verlust der Ar-                 oder stationären Suchtberatung und -be-       leiten, um gesund und vermittlungsfähig
                                              beitsstelle ein risikoarmer Konsum teil-              handlung (z. B. Einzelcoaching in der am-     zu bleiben.
                                              weise derart verstärkt wird, dass er in               bulanten Suchtberatung). Mit diesem
                                              einer Abhängigkeit mündet. Dies wirkt                 Prozess soll eine Suchtentwicklung ge-
                                              sich direkt auf die Vermittlungsfähigkeit             stoppt und die Arbeits-, Arbeitsmarkt-
                                              aus, was wiederum finanzielle Konse-                  und Vermittlungsfähigkeit erhalten oder       Fridolin Heer, lic. phil. Stellenleiter Suchtpräven-
                                                                                                                                                  tionsstelle Zürcher Oberland und Geschäftsleiter
                                              quenzen hat. Neben der Gefahr der Über-               zurückgewonnen werden. Die Früher-
                                                                                                                                                  des Vereins für Prävention und Drogenfragen Zürcher
                                              schuldung infolge eines Suchtmittelkon-               kennung und Frühintervention eines            Oberland VDZO (Träger der Suchtpräventionsstelle
                                              sums oder einer Spielsüchtigkeit ist auch             problematischen Konsums ist deshalb so
Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

                                                                                                                                                  Zürcher Oberland und der Fachstelle Gewaltpräven-
                                              die Ausrichtung der Arbeitslosentaggel-               wichtig, weil eine rasche und nachhaltige     tion Zürcher Oberland).
                                              der in Gefahr. Wer nicht zu mindestens                Wiedereingliederung in den Arbeits-
                                              50 Prozent arbeitsfähig ist, hat keinen An-           markt einen wirksamen Schutzfaktor ge-
                                              spruch auf Taggelder der Arbeitslosenver-             gen Sucht darstellt.
                                              sicherung.**
                                                                                                    Anzeichen einer Sucht ansprechen
                                              * vgl. «der Arbeitsmarkt», 13.6.2014; http://derar-
                                              beitsmarkt.ch/de/artikel/Sucht-und-Arbeitslosig-      Die Fachmitarbeitenden Prävention der
                                              keit                                                  Suchtpräventionsstelle Zürcher Ober-
                                              ** vgl. Art. 28 Abs. 4b Arbeitslosenversicherungs-    land organisieren in Zusammenarbeit mit
                                              gesetz AVIG (Stand 1.1.2014)                          Berater/innen der jeweils zuständigen

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Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
KURS FÜR ERWERBSLOSE FRAUEN

«Mut tut gut!»
Zielsetzungen des Kurses «Mut tut gut!» sind, erwerbslose und psychisch belastete Frauen zu
befähigen, ihre aktuelle Situation realistisch einzuschätzen und ressourcenorientiert Schritte zur
Verbesserung ihrer Lebenssituation und Gesundheit einzuleiten. Die Wirksamkeit wurde von der
Universität Landau 2014 wissenschaftlich nachgewiesen.
Text: Peggy Geers

A
           n diesem Kurs können Langzeit-     Vorgespräch geführt, in dem die aktuelle     len Gruppe. Der Kurs ermöglicht den
           Erwerbslose Frauen teilneh-        Lebenssituation, die psychische und kör-     Frauen, neue Erfahrungen mit sich selbst
           men. Die Altersspanne der Teil-    perliche Verfassung und die Motivation       zu machen und ein verändertes Verste-
           nehmerinnen liegt zwischen 20      zur Teilnahme gemeinsam erörtert und         hen von sich selbst zu erleben. Die Begeg-
und 60 Jahren. Die meisten sind allein le-    eingeschätzt werden, um zu einer Ent-        nung mit Frauen, die ähnliche Probleme
bend oder allein erziehend. Ausbildung        scheidung für oder gegen die Kursteilnah-    und Ängste haben, wirkt für viele Teil-
und berufliche Erfahrungen sind sehr un-      me zu kommen.                                nehmerinnen entlastend und wohltuend.
terschiedlich: Unter den Teilnehmerin-                                                        Auf der kognitiven Ebene wird mit Un-
nen gibt es solche ohne Ausbildung eben-      Verlässliche Struktur                        terlagen zur Selbstbeobachtung und mit
so wie mit Berufsausbildung oder mit Stu-                                                  Anregungen für alternative Umgehens-
dium, Frauen ohne Berufserfahrung wie         «Mut tut gut!» ist ein Projekt der Psycho-   und Verhaltensweisen gearbeitet. Wir for-
auch mit langjähriger Berufstätigkeit. Oft    sozialen Frauenberatungsstelle, das als      dern die Frauen auf, die allgemeinen In-
machten sie belastende Erfahrungen in         soziale kommunale Begleitmassnahme           formationen auf sich selbst zu beziehen
der Schule oder der Erwerbsarbeit. Ihre       von der Stadt Kiel gefördert wird. Seit      und darüber in einen Dialog miteinander
Problemlagen bestehen vor allem in de-        Mitte 2006 werden jährlich drei Kurse        und mit der Referentin zu treten. So prägt
pressiven Reaktionen, einem sehr gerin-       durchgeführt.                                jede Gruppe mit ihren persönlichen Pro-
gen Selbstwertgefühl, in wiederholten            Die Vormittage gliedern sich in 15 Mi-    blemen jeden Kurs: Es entsteht ein leben-
Neigungen zu Angstreaktionen sowie ge-        nuten «Warming-up» am Morgen, zwei-          diger Austausch über die alltagsnahen Bei-
sundheitlichen Einschränkungen durch          mal 45 Minuten Unterricht zum Wochen-        spiele aus den Lebenswelten der Frauen.
chronische Erkrankungen. Viele Frauen
haben bereits während der Kindheit oder       Das Kursprogramm bietet ein klares Konzept, einen wiederkehren-
der Jugendzeit psychische und körperli-
che Gewalt sowie Missbrauch erlebt: Die-      den Ablauf mit einer verlässlichen Struktur. Es verbindet kognitive
se Erfahrungen beeinflussen das Erwach-       Elemente und Körperaktivitäten sowie Gruppenangebote mit
senenleben negativ und beeinträchtigen        Einzelgesprächen. Der zeitliche Umfang von drei Vormittagen ist
die psychische Gesundheit erheblich. Ein
grosser Teil lebt aktuell in sehr belasten-   bewusst an die Belastbarkeit der Zielgruppe angepasst.
den familiären Verhältnissen, sozial zu-
rückgezogen und leidet oft unter einer        thema, 75 Minuten ergänzende Aktivie-           Neben den Erfahrungen auf den Ebe-
mangelnden Tagesstruktur.                     rungsangebote und Pausenzeiten. Zusätz-      nen «Denken – Fühlen – Handeln» för-
    Die Teilnahme am Kurs ist für viele       lich führt jede Frau alle 14 Tage ein Ein-   dern wir die Sinneswahrnehmung und
Frauen – und ihre Familien – ein grosser      zelgespräch mit einer Psychologin oder       das «Erleben des Körpers». Übungen aus
Schritt und benötigt oftmals einen hohen,     Beraterin der Frauenberatungsstelle.         achtsamkeitsbasierten Ansätzen sind re-
individuell zu tragenden Aufwand. Häu-           Das Kursprogramm bietet ein klares        gelmässiger Bestandteil jedes Kurstages:
fig gab es zuvor noch nie einen Zugang zu     Konzept, einen wiederkehrenden Ablauf        Dazu dienen Elemente aus Sport, Bewe-
Hilfesystemen oder die Frauen machten         mit einer verlässlichen Struktur. Es ver-    gung, Atem, Stimme sowie Wahrneh-
damit sogar negative Erfahrungen.             bindet kognitive Elemente und Körper-        mung und Entspannung. Wir üben mit
                                              aktivitäten sowie Gruppenangebote mit        den Frauen, dass sie aus einer wohlwol-
Freiwillige Kursteilnahme                     Einzelgesprächen. Der zeitliche Umfang       lenden Beobachterinnen-Perspektive auf
                                              von drei Vormittagen ist bewusst an die      sich schauen und Abstand zu emotiona-
Der Kurs wird den Frauen meist von ihrer      Belastbarkeit der Zielgruppe angepasst.      len Verwicklungen gewinnen:
Integrationsfachkraft im Jobcenter Kiel       Im Anschluss an den Kurs bleiben einige      • Förderung der Selbstwahrnehmung.
empfohlen, wenn es Hinweise darauf gibt,      Teilnehmerinnen weiter in der Einzel-        • Das Verlorengehen in Gedanken oder
                                                                                                                                        Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

dass die psychische Verfassung als Ver-       beratung bei der Beratungsstelle donna       Gefühlen stoppen. Dafür das Zurückkom-
mittlungshemmnis gewertet werden              klara.                                       men in die Gegenwart und Realität lernen.
kann. Das Jobcenter stellt für die vermit-                                                 • Eine neue Erfahrungsebene vermit-
telten Frauen keine Anforderung an den        Die «innere» Freundin                        telt, die nicht von Bewertungen und Deu-
Kurs. Im regelmässigen Kontakt mit dem                                                     tungen belastet ist.
Jobcenter weisen wir darauf hin, dass nur     Der Kurs ist ein Ort des Lernens: Dabei      • Angenehme Erlebnisse erfahrbar und
eine freiwillige Kursteilnahme sinnvoll       verbinden wir die Ebenen vom Vermitteln      bewusst machen.
ist. Manche Frauen kommen jedoch auch         von Informationen von der Selbst-            • Unterstützung der Selbstregulation bei
auf Empfehlung ihrer Therapeutin, ihres       beobachtung und Selbstreflexion, dem         überflutenden Emotionen.
Arztes oder ihrer Freundin zu uns. Mit je-    Erleben und der Erfahrung mit dem Ein-          Ein thematischer Meilenstein des Kur-
der Interessentin wird ein persönliches       üben und Training innerhalb einer sozia-     ses ist die Einführung der «inneren Freun-

                                                                                                                                   8
din» als Symbol für einen wertschätzen-        vorzeitigen Beendigung des Kurses. Im         Gefühle nicht urteilend anzunehmen.
                                              den, fürsorglichen Umgang mit sich             Rahmen der Einzelberatung kann dann              Die Studie konnte belegen, dass eine
                                              selbst. Dieses Modell wird zu Beginn des       ein passenderes Hilfsangebot erarbeitet       Vielzahl an individuellen Veränderungen
                                              Kurses eingeführt und in den folgenden         werden, um den Frauen weitere Unter-          stattfindet, die im Einklang mit den Zielen
                                              Wochen immer wieder aufgegriffen und           stützung zu ermöglichen.                      des Kurses stehen: Bewusstwerden von
                                              konkret mit Leben gefüllt. Was bedeutet           Am Ende der Kurse klären wir mit je-       Problemen, das Reflektieren der eigenen
                                              ein fürsorglicher Umgang mit mir selbst in     der Teilnehmerin, was sie für sich erreicht   Situation und dass daraus konkrete Hand-
                                              den konkreten alltäglichen Situationen         hat, welche Schritte im Anschluss sinn-       lungsabsichten formuliert werden kön-
                                              meines Lebens?                                 voll sind sowie welche weitere Hilfe sie      nen.
                                                                                             benötigt. Zu den Kursinhalten und Ar-            Viele Kursteilnehmerinnen befanden
                                              Unbedingte Wertschätzung                       beitsmethoden geben die Frauen anonym         sich nach Abschluss des Kurses in einer
                                                                                             Rückmeldung durch einen Fragebogen.           weiterführenden Behandlung, Beratung
                                              Unsere Grundhaltung ist die unbedingte
                                              Wertschätzung zwischen Leitung, Refe-
                                              rentinnen und allen Teilnehmerinnen.
                                                                                             Seit Jahren erleben wir bereits im Verlauf des Kurses, dass sich
                                              Für den Umgang der Teilnehmerinnen             für die Frauen erhebliche Änderungen in ihrem Leben ergeben.
                                              untereinander werden Regeln verein-            Sie beginnen, sich zu öffnen, miteinander in Kontakt zu treten und
                                              bart, die beispielsweise den gegenseitigen
                                              Respekt, die Selbstverantwortung und die       Dinge zu unternehmen, die sie lange nicht gewagt haben.
                                              Schweigepflicht beinhalten. Diese wohl-
                                              wollende, akzeptierende und gleichzeitig       Im Nachtreffen werden mit einem Frage-        oder Therapie (65%). 33% der Befragten
                                              verbindliche Grundhaltung im sozialen          bogen weitere Informationen zur Nach-         bemühten sich, beispielsweise durch Be-
                                              Miteinander ist oft eine ganz neue Erfah-      haltigkeit des Angebots erhoben.              werbungen, um eine Erwerbstätigkeit
                                              rung für die Frauen.                                                                         und 20% der Befragten nahmen an Mass-
                                                 Eine fundierte Fachlichkeit bei allen       Psychische Stabilität                         nahmen zur beruflichen Integration oder
                                              beteiligten Mitarbeiterinnen ist die Vo-                                                     Weiterqualifizierung teil. Eine Erwerbstä-
                                              raussetzung für eine erfolgreiche Durch-       Das Zentrum für empirische pädagogische       tigkeit hatten 13% der Frauen aufgenom-
                                              führung des Kurses. Es ist wichtig, dass die   Forschung der Universität Koblenz-Land-       men. Die Ergebnisse belegen also die gute
                                              Mitarbeiterinnen diagnostische und psy-        au hat in den Jahren 2011 bis 2013 eine       inhaltliche und methodische Qualität des
                                              chotherapeutische Fähigkeiten besitzen         Evaluation des Kursprogramms durchge-         Konzepts sowie die Wirksamkeit des An-
                                              und die Frauen dadurch in ihrer inneren        führt. In dieser Zeit wurden in sechs Kurs-   gebots.
                                              psychischen Dynamik gesehen, verstan-          durchläufen Unterlagen mit einer Mi-
                                              den und akzeptiert werden. Für den in-         schung aus standardisierten und selbst
                                              haltlichen Austausch und die konzeptio-        entwickelten Fragebögen zu Beginn und
                                              nelle Weiterentwicklung gibt es regelmäs-      am Ende des Kurses sowie zum Nachtref-        Peggy Geers ist ausgebildete Diplom-Psychologin
                                                                                                                                           und Koordinatorin des Projekts «Mut tut gut!». Sie
                                              sige Projektteamsitzungen, Treffen mit         fen eingesetzt.
                                                                                                                                           arbeitet bei der Psychosozialen Frauenberatungs-
                                              den Einzelberaterinnen, Treffen mit den           Es konnten mittlere bis grosse statis-     stelle donna klara in Kiel.
                                              Referentinnen und Honorarkräften sowie         tisch bedeutsame Effekte für die Verbes-
                                                                                                                                           Hinweis
                                              Supervision.                                   serung der psychischen Gesundheit der         «Mut tut gut!» ist ein Modellprojekt, das die Arbeits-
                                                                                             Teilnehmerinnen nachgewiesen werden,          gruppe der Stellen für Suchtprävention im Rahmen
                                              Spürbare Veränderungen                         und wichtig: Diese neu erworbene psy-         des Jahresthemas ausgewählt haben. Siehe Artikel
                                                                                             chische Stabilität konnte bis zum Nach-       «Schwer erreichbar», Seiten 4 und 5.
                                              Seit Jahren erleben wir bereits im Verlauf     treffen aufrechterhalten werden. Das
                                              des Kurses, dass sich für die Frauen erheb-    Ausmass der Depressivität sank und die
                                              liche Änderungen in ihrem Leben erge-          Kursteilnehmerinnen zeigten zum Ende           Antworten auf die Frage nach
                                              ben. Sie beginnen, sich zu öffnen, mitei-      des Kurses und zum Zeitpunkt des Nacht-
                                              nander in Kontakt zu treten und Dinge zu       reffens ein signifikant höheres Selbst-        persönlichen Veränderungen:
                                              unternehmen, die sie lange nicht gewagt        wertgefühl als zu Beginn des Kurses.           • Ich komme in Kontakt mit anderen.
                                              haben. Schritte einzuleiten, die Verände-      Gleichzeitig wurde festgestellt, dass das      • Ich hole mir Hilfe und kann diese
                                              rungen mit sich bringen sowie ihre Be-         Ausmass des Selbstwertgefühls der Teil-        auch annehmen.
                                              dürfnisse und Grenzen wahr- und ernst-         nehmerinnen zu allen Messzeitpunkten           • Ich verstehe meine Gefühle besser
                                              zunehmen. Auch schriftliche Befragun-          unterdurchschnittlich ausgeprägt war.          und gehe bewusster damit um.
Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

                                              gen der Integrationsfachkräfte des Kieler         Bei der Selbstregulationsfähigkeit konn-    • Ich habe mehr Wissen über psy-
                                              Jobcenters haben ergeben, dass die Frau-       ten mittlere bis grosse statistisch bedeut-    chische Gesundheit gewonnen.
                                              en verändert wirken, sicherer auftreten,       same Effekte nachgewiesen werden. Der          • Ich bin aktiver und selbstbewusster
                                              konkretere Zukunftspläne entwickelt ha-        Umgang mit extremen Emotionen hatte            geworden.
                                              ben, ihre Wehrhaftigkeit und Selbstwirk-       sich nicht nur im Verlauf des Kurses, son-     • Ich kann mit meinen depressiven
                                              samkeit gestiegen sind.                        dern zusätzlich bis zum Nachtreffen signi-     Verstimmungen besser umgehen.
                                                 Andererseits bringt der feststehende        fikant verbessert. Die Fähigkeit der Kurs-     • Ich konnte mich selber «wieder»
                                              Rahmen gewisse Anforderungen mit sich,         teilnehmerinnen, ihre Emotionen in an-         finden!
                                              die für manche Frauen zu starr, zu wenig       gemessener Form zu beschreiben und zu          • Da ist wieder Leben in einen reinge-
                                              individuell sowie überfordernd sein kön-       zeigen, verbesserte sich genauso wie die       kommen …
                                              nen. In diesen Fällen kommt es zu einer        Fähigkeit, unangenehme Gedanken und

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     Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015
INTERVIEW MIT MATHIAS VON MATT, SOZIALARBEITER AUF DER JUGENDANWALTSCHAFT ZÜRICH-STADT

                                              Respekt und Geduld
                                              Der Grossteil der Jugendlichen, die wegen einer Straftat zur Jugendanwaltschaft Zürich-Stadt kom-
                                              men, kann mit entsprechenden Massnahmen aufgefangen werden, sodass sie nicht mehr rückfällig
                                              werden. Bei einer Minderheit braucht es viel Geduld. Mathias von Matt hat als Sozialarbeiter täglich
                                              mit Jugendlichen zu tun, für die es schwierig ist, ihren Platz in unserer Gesellschaft zu finden.
                                              Text: Brigitte Müller

                                              laut & leise: Was sind Ihre wichtigsten      Von Matt: Meist treffen mehrere Proble-       enthemmt und wird teilweise gezielt da-
                                              Aufgaben bei Ihrer Tätigkeit als Sozialar-   matiken aufeinander. Beispielsweise hat       für eingesetzt, um sich vor einer Rauferei
                                              beiter auf der Jugendanwaltschaft?           ein Jugendlicher schlechte Schulnoten         oder einem Raub Mut anzutrinken. Es
                                              Mathias von Matt: Zentral ist die Abklä-     wegen einer Sprachverarbeitungsstö-           kann auch vorkommen, dass jemand
                                              rung der persönlichen Verhältnisse eines     rung, ist Migrant und zuhause beschäfti-      ausgeraubt wird, damit man wieder Geld
                                              Jugendlichen. Auf Fragen wie «Wer ist        gen ihn schwere Familienprobleme. In          hat, um den Ausgang und/oder den Sub-
                                              der Jugendliche? Warum verübte er ein        solchen Situationen genügt ein unvor-         stanzkonsum fortzusetzen. Viele Klienten
                                              Delikt? In welchem Umfeld lebt er?»          hergesehener Schicksalsschlag, zum Bei-       der Jugendanwaltschaft machten früher
                                              möchte ich Antworten finden. Erst wenn       spiel der Tod einer nahen Person, dass der    in einem Verein Sport und haben irgend-
                                                                                                                                         wann in der Pubertät damit aufgehört.
                                                                                                                                         Für viele dieser Jugendlichen ist das
                                              Bei praktisch allen Gewaltdelikten ist Alkohol mit im Spiel. Alkohol                       gemeinsame Herumhängen und der da-
                                              enthemmt und wird teilweise gezielt dafür eingesetzt, um sich vor                          mit einhergehende Konsum von Can-
                                                                                                                                         nabis und Alkohol eine beliebte Freizeit-
                                              einer Rauferei oder einem Raub Mut anzutrinken. Es kann auch                               gestaltung.
                                              vorkommen, dass jemand ausgeraubt wird, damit man wieder Geld
                                              hat, um den Ausgang und/oder den Substanzkonsum fortzusetzen.                              l & l: Jugendliche führen demnach wegen
                                                                                                                                         Cannabis oder Alkohol kriminelle Delikte
                                                                                                                                         aus?
                                              ich die Persönlichkeit des Jugendlichen      Jugendliche den Boden unter den Füssen        Von Matt: Es kommt immer wieder vor,
                                              erfasst habe und seine Stärken und           verliert. Zudem verzeichnen wir eine Zu-      dass ein Jugendlicher sich seinen Eigen-
                                              Schwächen kenne, kann als zweiter wich-      nahme von psychischen Auffälligkeiten,        konsum durch das Verkaufen von Canna-
                                              tiger Teil geklärt werden: Was braucht es,   welche die Jugendlichen in ihrer sozialen     bis zu finanzieren versucht. Wer nicht
                                              damit der Jugendliche nicht mehr rück-       und beruflichen Integration behindern         schon nach den ersten Wochen dabei auf-
                                              fällig wird? Werden die vorgeschlagenen      und die meist nur durch jahrelange Ge-        fliegt, findet eventuell Gefallen daran und
                                              Massnahmen gutgeheissen, dann begleite       sprächs- und Verhaltenstherapie positiv       versucht, das Geschäft bezüglich Menge
                                              ich ihn bei deren Durchführung und bin       beeinflusst werden können.                    oder Gewinnmarge zusätzlich oft mit an-
                                              für ihn Ansprechpartner in kritischen Si-                                                  deren Substanzen auszubauen.
                                              tuationen.                                   l & l: Warum landen mehr Jungs statt
                                                                                           Mädchen bei der Jugendanwaltschaft?           l & l: Wie sprechen Sie die Jugendlichen
                                              l & l: Mit wem haben Sie es zu tun?          Von Matt: Während schwierige Jungs oft        an, damit Ihre Anliegen überhaupt wahr-
                                              Von Matt: Mit Jugendlichen und jungen        durch lautes, störendes und auch gewalt-      genommen werden?
                                              Erwachsenen zwischen 10 und 22 Jahren.       tätiges Verhalten in der Schule und im öf-    Von Matt: Wichtig sind für mich folgende
                                              Die Hauptgruppe ist 15 bis 20 Jahre alt      fentlichen Raum auf sich aufmerksam           Verhaltensweisen: Authentisch sein, voll-
                                              und männlich. Um mir ein Bild vom Ju-        machen, reagieren Mädchen auf psy-            umfängliche Transparenz und absolute
                                              gendlichen zu machen, spreche ich mit        chische Belastungen oft anders. Vielfach      Ehrlichkeit, um mit einem Jugendlichen
                                              den Eltern, dem Lehrmeister, den Lehre-      ziehen sie sich zurück, entwickeln Ess-       ins Gespräch zu kommen. Es gibt diesbe-
                                              rinnen und Lehrern, den Schulsozialar-       oder Tic-Störungen oder beginnen sich zu      züglich kein Patentrezept, kein Richtig
                                              beitern und mit allfälligen Mittätern. Bei   ritzen, um mit diesen ungeeigneten Mit-       oder Falsch. Deshalb ist das authentische
                                              den Eltern versuche ich immer, beide El-     teln zu versuchen, einen Schmerz zu lin-      Auftreten so wichtig. Wenn unsere Ju-
                                              ternteile mit einzubeziehen, wobei über-     dern oder ein Problem zu lösen. Dadurch       gendlichen eines aufweisen, dann ein
                                              durchschnittlich viele Jugendliche, bei      fallen sie im öffentlichen Raum nicht so      ausgesprochenes Sensorium für Ehrlich-
                                              denen eine jugendstrafrechtliche Mass-       auf wie ihre männlichen Kollegen und          keit und ob man sie ernst nimmt.
Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

                                              nahme angeordnet wurde, mit abwesen-         werden in der Folge weniger von der Po-
                                              den oder emotional wenig präsenten Vä-       lizei kontrolliert. Wenn Mädchen auf der      l & l: Wie finden Sie den Draht zu den Ju-
                                              tern aufwachsen. Ich möchte durch diese      Jugendanwaltschaft landen, dann meist,        gendlichen?
                                              Gespräche ein möglichst umfassendes          weil sie beim Stehlen oder beim Betäu-        Von Matt: Ich versuche dem Jugendli-
                                              Bild des Jugendlichen und seiner Lebens-     bungsmittelkonsum, beim Kiffen, er-           chen zu vermitteln, dass er als Person okay
                                              situation erhalten.                          wischt wurden.                                ist, aber sein Verhalten nicht okay ist. Ich
                                                                                                                                         zeige ihm klar auf, was passiert, wenn er
                                              l & l: Welche speziellen Risikofaktoren/     l & l: Welche Rolle spielt der Substanzkon-   sich weiter auffällig verhält und Delikte
                                              Gefährdungen kennen Jugendliche und          sum bei Jugendlichen, die Sie betreuen?       begeht. Welche Konsequenzen sein Ver-
                                              junge Erwachsene, die bei Ihnen lan-         Von Matt: Bei praktisch allen Gewaltde-       halten haben kann, welche Strafen und
                                              den?                                         likten ist Alkohol mit im Spiel. Alkohol      Massnahmen ihn treffen könnten.

                                              11
Ja, Hoffnung ist ganz wichtig. Viele meiner Klienten haben in ihrer
bisherigen Sozialisation bereits oft gehört, was sie nicht sind und
was sie nicht können. Deshalb ist das Vermitteln von Hoffnung, im
Sinne von «der Aufwand lohnt sich, es gibt ein Licht am Ende des
Tunnels, also packen wir es an», von grosser Bedeutung.

l & l: Und das genügt?                         in seiner Freizeit nicht mehr prügelt, son-    der Suchtprävention eine sinnvolle Alter-
Von Matt: Bei rund 80% der Jugendli-           dern nur noch Bagatelldelikte begeht, ist      native zur Hand haben. Während des
chen genügt es, wenn wir ihnen im Ge-          dies für mich beispielsweise ein Erfolg. Bei   Kurses können sich die Jugendlichen mo-
spräch aufzeigen, dass sie mit ihrem Ver-      der täglichen Arbeit sind «Erfolge» weni-      ralfrei austauschen, und es wird mit vie-
halten die Grenzen des Vertretbaren über-      ger gut messbar. Meine Hauptarbeitsin-         len Mythen, die den Konsum von Canna-
schritten haben. Sie sehen ein, dass sich      strumente sind das Führen von Gesprä-          bis betreffen, aufgeräumt und auf die Ge-
ihre Schwierigkeiten enorm vergrössern,        chen, das Konfrontieren mit Fehlverhal-        fahren des Konsums hingewiesen.
wenn sie ihr Verhalten nicht ändern. Bei       ten und das Initiieren von Bewusstseins-
ungefähr 20% der Jugendlichen ist es lei-      prozessen. Deshalb führe ich oft inhaltlich    l & l: Was ist für Sie grundsätzlich wichtig
der so, dass sie nicht einsehen können         schwierige Gespräche. Gelingt es mir bei       beim Umgang mit Menschen, die für
oder wollen, dass ihre Verhaltensweisen        diesen Gesprächen, dem Gegenüber das           Suchtprävention schwer erreichbar sind?
problematisch sind. Das Dilemma bei die-       Wesentliche so zu vermitteln, dass er a)       Von Matt: Eine schwierige Frage. Viel-
sen Jugendlichen ist oft, dass sie sehr früh   dies inhaltlich versteht und b) dies auch      leicht zwei Gedanken. Einerseits finde
gelernt haben oder lernen mussten, sich        so annehmen kann, dass er nicht gleich         ich, sollten wir Respekt haben vor ver-
selbständig durchs Leben zu bringen, und       völlig die Beherrschung verliert, dann ist     schiedenen Lebensläufen. Meine Jugend-
gewohnt sind, selber Entscheide zu fällen.     dies ebenfalls ein Erfolgserlebnis für mich.   lichen haben oft in ihrer frühen Kindheit
Für diese Jugendlichen ist es meist                                                           schwere Schicksalsschläge erlebt; was ihr
schwierig, Vertrauen zu einem Erwachse-        l & l: Welche Bedingungen sollten erfüllt      Verhalten nicht entschuldigen soll, aber
nen aufzubauen und Ratschläge anzu-            sein, dass Jugendliche ein offenes Ohr für     zum Verständnis beiträgt, warum sie
nehmen. Wenn es einem solchen Jugend-          Suchtprävention haben?                         schwierig sind. Andererseits müssen wir
lichen nicht gelingt, sich seine eigene Be-    Von Matt: Die Angebote sollten nieder-         auch akzeptieren, dass nicht jeder
dürftigkeit einzugestehen und entspre-         schwellig sein, nichts mit Behörden und        Mensch für den Erfolg und für die Anfor-
chende Ratschläge umzusetzen, wird die-        Polizei zu tun haben und weder morali-         derungen unserer Gesellschaft gleich gut
ser als junger Erwachsener mit einer ho-       sierend noch wertend wirken. Wichtig er-       geschaffen ist. Es gibt Jugendliche, die wie
hen Wahrscheinlichkeit beruflich und so-       achte ich auch eine anonyme Teilnahme.         gesagt von Beginn an schlechte Karten
zial schlecht in die Gesellschaft integriert                                                  haben. Doch auch diese Jugendlichen
sein.                                          l & l: Welcher Aufwand ist für Suchtprä-       träumen von einem Auto, einem Haus,
                                               vention gerechtfertigt?                        einer Familie, schönen Ferien. Tatsache
l & l: Sie kennen demnach Hoffnung und         Von Matt: Ich finde Aufklärung ohne Ta-        ist, dass sie wahrscheinlich mit Ach und
Scheitern?                                     bus und Scheuklappen extrem wichtig.           Krach 3000 Franken verdienen und sich
Von Matt: Ja, Hoffnung ist ganz wichtig.       Ich gehe immer davon aus, dass ein mün-        all die schönen Sachen, die ihnen täglich
Viele meiner Klienten haben in ihrer bis-      diger und informierter Bürger selber ent-      in den Medien versprochen werden, nur
herigen Sozialisation bereits oft gehört,      scheiden kann und soll, was in welcher         schwer erfüllen können. Wenn sich sol-
was sie nicht sind und was sie nicht kön-      Dosis gut für ihn ist. Angesichts der mas-     che Jungs durch Kleinkredite oder Lea-
nen. Deshalb ist das Vermitteln von Hoff-      siven Kosten, die beispielsweise ein le-       singverträge verschulden, weil ihnen die
nung, im Sinne von «der Aufwand lohnt          benslang alkoholkranker Mensch verur-          Erwachsenen und die Werbung vorgau-
sich, es gibt ein Licht am Ende des Tun-       sacht, finde ich den Aufwand der Sucht-        keln, es sei völlig in Ordnung, auf Pump
nels, also packen wir es an», von grosser      prävention und die damit einhergehende         zu leben, oder wenn sie durch Kleinkri-
Bedeutung. Doch gehört auch das Schei-         Aufklärung der Bevölkerung über die Ge-        minalität am Konsumrausch teilnehmen
tern dazu. Ich kann letztlich niemanden        fahren von Suchtmitteln sinnvoll und be-       wollen, dann finde ich, sollten wir sie
zu seinem Glück zwingen. Wir können le-        rechtigt.                                      nicht nur individuell verurteilen, sondern
diglich dafür sorgen, dass der Jugendliche                                                    auch als Opfer und Teil eines Systems se-
sich der Konsequenzen seiner Entschei-         l & l: Sie «schicken» der Suchtpräven-         hen, das ihnen perfiderweise genau diese
dungen und Handlungen bewusst wird.            tionsstelle ja die Jugendlichen, die beim      Werte vorlebt.
Sowieso kann nicht ich alleine einen Ju-       Kiffen erwischt wurden, in den Kurs für
gendlichen vor dem Absturz retten. Rück-       Jugendliche mit Cannabisverzeigung.
blickend sind es oft Ressourcen aus dem        Was gefällt Ihnen an diesem Konzept?
Umfeld der Jugendlichen, wie eine neue         Von Matt: Solange der Konsum von               Mathias von Matt, Sozialarbeiter FH, lebt seit über
                                                                                                                                                       Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

                                                                                              zwanzig Jahren in der Stadt Zürich und arbeitet seit
Freundin oder ein zugewandter Lehr-            Cannabis in der Schweiz verboten ist,
                                                                                              acht Jahren auf der Jugendanwaltschaft Zürich-
meister, die dazu führen, dass ein Jugend-     muss der Gesetzgeber den Konsum von            Stadt. Dort ist er u. a. für die Kurse für Jugendliche
licher zu delinquieren aufhört.                Cannabis bestrafen. Bevor das Kursange-        mit einer Cannabisverzeigung zuständig. Zudem
                                               bot geschaffen wurde, hatten wir nur die       leitet er seit fünf Jahren als Co-Trainer verhaltens-
l & l: Was ist für Sie ein Erfolgserlebnis?    Möglichkeit, den Jugendlichen einen Ver-       therapeutisch orientierte Kurse für risikobereite Ver-
                                                                                              kehrsteilnehmer für die Bewährungs- und Vollzugs-
Von Matt: Mir geht es in der Arbeit mit        weis zu erteilen oder sie zu einem gemein-
                                                                                              dienste des Kantons Zürich und stellt als Gastdozent
meinen Klienten in erster Linie darum,         nützigen Arbeitseinsatz oder einer Busse       angehenden Sozialarbeitern an der ZHAW die Arbeit
weitere, besonders aber schwere Delikte        zu verurteilen. Da die Erfahrung zeigte,       der Jugendanwaltschaft vor.
zu verhindern. Wenn ein von mir betreu-        dass keine dieser Strafen etwas am Kon-        Brigitte Müller, Texterin und Redaktionsleiterin
ter Jugendlicher, der mit einem massiven       summuster der Jugendlichen änderte, bin        «laut & leise», stellte die Fragen.
Gewaltdelikt bei uns eingegangen ist, sich     ich sehr froh, dass wir heute mit dem Kurs

                                                                                                                                                 12
KAMPAGNE DER STELLEN FÜR SUCHTPRÄVENTION IM KANTON ZÜRICH

                                              «Der Köder muss dem Fisch schmecken»
                                              Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich haben eine Bannerkampagne lanciert, die junge
                                              Erwachsene zum Nachdenken über den eigenen Alkohol- und Cannabiskonsum anregt.
                                              «Laut & leise» sprach mit Annett Niklaus darüber, warum die gewählte Zielgruppe schwer zu
                                              erreichen ist und warum es mit dieser Kampagne gelingt.
                                              Text: Stellen für Suchtprävention des Kanton Zürich

                                              laut & leise: Junge Erwachsene sind
                                              schwer zu erreichen für die Suchtpräven-
                                              tion. Warum ist das so?
                                              Annett Niklaus: Junge Erwachsene
                                              sind in einer Experimentierphase und die
                                              meisten machen sich wenig Gedanken
                                              darüber, wie sich ihr heutiges Verhalten
                                              langfristig auf ihre Gesundheit auswirkt.
                                              Wenn man also eine Auseinandersetzung
                                              mit dem eigenen Konsumverhalten anre-
                                              gen will, so muss man sich gut überlegen,
                                              wie man das macht. Zudem können wir
                                              an diese Zielgruppe nicht via Lehrperso-
                                              nen, Berufsbildner oder Eltern zugehen,
                                              wie das bei Kindern und Jugendlichen
                                              noch der Fall ist. Wir haben uns darum
                                              entschieden, diese wichtige Zielgruppe mit
                                              einer Online-Kampagne anzusprechen.
                                                                                             Auf www.suchttest.ch kann man das animierte Banner sehen.
                                              l & l: Machen die Stellen so eine Kampa-
                                              gne selbst oder geben sie den Auftrag
                                              einer Werbeagentur?                            l & l: Und, hat das auch geklappt?             nie so ganz. Die Agentur hatte uns meh-
                                              Niklaus: Die Kampagne entstand in en-          Niklaus: Ja! Wir haben überdurch-              rere unterschiedliche Vorschläge für die
                                              ger Zusammenarbeit mit der Werbeagen-          schnittliche Klickraten, das heisst, im Ver-   Kampagne gemacht und es gab intensive
                                              tur Matter Gretener Lesch Communica-           gleich zu anderen Werbebannern wird            Diskussionen darüber. Der «Suchtkopf»,
                                              tions und der Webagentur dotpulse. Die         auf unsere häufiger geklickt. Wer auf un-      den wir am Ende gewählt haben, hat viele
                                              kreative Idee kam von der Agentur. Bis         sere Banner klickt, der landet auf unseren     von uns zunächst nicht begeistert.
                                              zum finalen Sujet und Text hat es viele Sit-   Selbsttests. Dabei zeigt sich eine weitere
                                              zungen und Entwürfe gegeben, das ist           Stärke des Kampagnenkonzepts: Die              l & l: Warum nicht?
                                              normal. Gewisse Dinge haben wir von            meisten Personen, die auf dem Test lan-        Niklaus: Die Befürchtung war, dass er als
                                              Anfang an vorgegeben, etwa dass wir die        den, schliessen diesen auch ab. Und sehr       abstossend und eklig empfunden wird –
                                              jungen Erwachsenen vor allem online an-        viele machen gleich noch einen anderen.        was natürlich nicht gut gewesen wäre.
                                              sprechen wollen.                               Das ist alles andere als selbstverständlich.   Hier haben uns die Agenturen Mut ge-
                                                                                                                                            macht: «Der Köder muss dem Fisch
                                              l & l: Junge Erwachsene sind ständig on-       l & l: Wissen Sie, ob nun tatsächlich junge    schmecken, nicht dem Fischer», haben sie
                                              line, das ist klar. Gab es noch andere Über-   Erwachsene den Test ausfüllen?                 zu Recht eingeworfen. Wir haben das Su-
                                              legungen, die für diesen Kanal sprachen?       Niklaus: Ja, das wissen wir. Im Test wird      jet vorher der Zielgruppe gezeigt und hat-
                                              Niklaus: Kampagnen sind ja ein ver-            auch das Alter abgefragt, denn je nach         ten positive Reaktionen. Auf Facebook
                                              gleichsweise oberflächlicher und indirek-      Alter machen wir teilweise andere Emp-         werden die Bilder recht häufig weiterge-
                                              ter Zugang zu einer Zielgruppe. Zunächst       fehlungen. Die Angaben in den Tests wer-       sendet, mit Kommentaren wie: «Ha ha,
                                              muss es gelingen, dass die Zielgruppe die      den – natürlich völlig anonym – ausge-         das bist du...» oder, «Hier grad das Rich-
                                              Kampagne überhaupt wahrnimmt. Und              wertet. Wir wissen darum, dass beispiels-      tige für dich!». Aus diesen Kommentaren
                                              auch wenn dies klappt, kann man riskan-        weise von den rund 11000 Selbsttests           und den guten Abschlussraten wird klar,
Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

                                              tes Konsumverhalten nicht mit einem            zum Alkoholkonsum, die in den zwei             dass die Zielgruppe die Kampagne witzig
                                              Plakat allein nachhaltig verändern. Je         Wochen der letzten Bannerschaltung             findet und dass es mit Humor gelingt, ei-
                                              besser es gelingt, die Empfänger zu invol-     abgeschlossen wurden, 78% aller Ab-            nen Zugang zu jungen Erwachsenen zu
                                              vieren, desto grösser ist die Chance, dass     schlüsse von 18- bis 30-Jährigen gemacht       schaffen.
                                              etwas hängenbleibt. Mit der Bannerwer-         wurden.
                                              bung entsteht der Vorteil, ein attraktives
                                              Bild mit unseren Online-Selbsttests zu         l & l: Die Banner sprechen also die richtige
                                              verbinden. Wer auf das Banner klickt,          Zielgruppe an. War das für Sie von Anfang      Interviewpartnerin Annett Niklaus ist verantwortlich
                                                                                                                                            für die Kommunikation von Prävention und
                                              landet direkt auf dem Selbsttest. Dieser er-   an klar?                                       Gesundheitsförderung Kanton Zürich am Institut
                                              möglicht eine vertiefte Auseinanderset-        Niklaus: Wir haben es natürlich vermu-         für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention
                                              zung mit dem eigenen Konsumverhalten.          tet und gehofft, aber wissen kann man das      der Universität Zürich.

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MELDUNGEN AUS DER SUCHTPRÄVENTION
                     Die meisten Adressen der zeichnenden Stellen dieser Beiträge finden Sie auf der Rückseite des Heftes

MODERNE RAUCHSTOPPHILFE                         lagen. Die App ist ein Teilprojekt der            • «Medikamente bei Kindern und Ju-
                                                nationalen SmokeFree-Kampagne und                 gendlichen.» Verantwortungsvoller Um-
«SmokeFree Buddy»-App                           wurde Ende September 2015 lanciert.               gang im Alltag. Tipps für Eltern. (Zusätz-
Die «SmokeFree Buddy»-App bietet Per-           (BAG/Züri Rauchfrei)                              liche Sprachen: Arabisch, Farsi, Soma-
sonen, die mit dem Rauchen aufhören             Download via: www.smokefree.ch
                                                                                                  lisch, Tigrinya, Thai. Keine italienische
möchten, auf innovative Art interaktive                                                           Version)
Unterstützung. Die App wurde von Spe-                                                                 In den Sprachen Albanisch, Bosnisch-
                                                                                                  Kroatisch-Serbisch, Portugiesisch, Spa-
                                                                                                  nisch und Türkisch erhältlich ist das Falt-
                                                                                                  blatt:
                                                                                                  • «Elterliche Regeln für das Nichtrau-
                                                                                                  chen ihrer Kinder.» Eltern stärken.
                                                                                                      Die Flyer können auf der Website der
                                                ANGEBOTE FÜR MIGRANT/INNEN 1                      Stellen für Suchtprävention herunterge-
                                                                                                  laden oder bestellt werden (im Kanton
                                                Flyer für Eltern                                  Zürich bis zu einer gewissen Menge
                                                Die Stellen für Suchtprävention im Kan-           kostenlos). (EBPI)
                                                ton Zürich geben für Eltern verschiedene          Download und Bestellen:
                                                Flyer und Broschüren heraus. Kurz und             www.suchtpraevention-zh.ch > Publikationen >
                                                in einfacher Sprache informieren sie              Informationsmaterial > Familien
                                                über Suchtmittel und Verhaltensweisen
                                                mit Abhängigkeitspotenzial und geben
                                                Tipps, wie Eltern im Erziehungsalltag mit
                                                diesen Themen umgehen können. Die
                                                Flyer sind alle auch in Fremdsprachen er-
                                                hältlich. In den Sprachen Albanisch,
                                                Bosnisch-Kroatisch-Serbisch, Englisch,
                                                Französisch, Italienisch, Portugiesisch,
                                                Spanisch, Tamilisch und Türkisch liegen
                                                folgende Flyer vor:
zialisten für Rauchentwöhnung entwi-            • «Handy, Fernseher, Computer. Ab-
ckelt. Aufhörwillige müssen in ihrem            hängigkeit vermeiden.» Tipps für Eltern
privaten Umfeld eine vertraute Person           von 5- bis 12-Jährigen.
anfragen, ob sie ihnen beim Rauchstopp          • «Internet und neue Medien. Abhän-
als Buddy (Buddy: engl. Kamerad/Kum-            gigkeit vermeiden.» Tipps für Eltern von
pel) zur Seite stehen möchte. Diese Per-        11- bis 16-Jährigen.
son wird in der Rolle als Buddy von der         • «Trinken, Rauchen und Kiffen bei                ANGEBOTE FÜR MIGRANT/INNEN 2
App angeleitet. Sie erhält Tipps, wie sie       Jugendlichen.» Was Sie als Eltern, Lehr-
die aufhörwillige Person am besten un-          personen oder Berufsbildner/in tun
                                                                                                  FISP auf Facebook
terstützen und zum Durchhalten moti-            können.                                           Die Fachstelle für interkulturelle Sucht-
vieren kann. Gleichzeitig kann die Per-                                                           prävention und Gesundheitsförderung
son, die mit dem Rauchen aufgehört hat,                                                           (FISP) ist seit einiger Zeit auf Facebook
jederzeit mit einem Smiley zum Aus-                                                               präsent. Auf neun Seiten werden in
                                                                                                                                                      Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015

druck bringen, wie sie sich fühlt und den                                                         neun Sprachen (Deutsch, Englisch,
Buddy bei Bedarf um Hilfe bitten.                                                                 Französisch, Albanisch, Bosnisch/Kroa-
   Es besteht auch die Möglichkeit, dass                                                          tisch/Serbisch, Portugiesisch, Spanisch,
zwei Rauchende gemeinsam mit Hilfe                                                                Tamilisch, Türkisch) Informationen und
der «SmokeFree Buddy»-App aufhören:                                                               Tipps zu Suchtprävention und Gesund-
Dann übernehmen beide Personen auch                                                               heitsförderung verbreitet. Dazu gehören
die Rolle als unterstützender Buddy. Die                                                          Hinweise auf Broschüren, Websites,
App ist einfach zu bedienen, man wird                                                             Videos, Selbsttests und auf Radiosen-
Schritt für Schritt angeleitet. Die Inhalte                                                       dungen/Podcasts, die von der FISP in
und Unterstützungsvorschläge der App                                                              verschiedenen Sprachen produziert
basieren auf wissenschaftlichen Grund-                                                            werden. Die Seiten richten sich an Er-

                                                                                                                                                 14
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