Laut & leise - Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
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laut & leise Magazin der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich Nr. 3, Oktober 2015, erscheint dreimal jährlich, Jahresabonnement Fr. 20.– Schwer erreichbar Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch.
Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 Schwer erreichbar Wo Leute schwer erreichbar sind, braucht es geeignete und vielleicht auch ungewöhnliche Hilfsmittel. Diese sind auf den Bildern von Daniel Lienhard immer gelb: Sie überwinden selbst gröbere Hindernisse. Mit dabei ist immer ein Baum, Sinnbild für Hoffnung, Wachstum, Zukunft. Die Illustrationen entstanden in der 3D-Technik: Programmen, die Architekten sonst für die Visualisierung ihrer Bauten verwenden. (lienhardillustrator.com)
STANDPUNKT Wir sind auch eine schwierige Zielgruppe «…und da wollten wir Sie fragen, wie wir jetzt an die Männer Interesse, braucht «Gwunder» und Demut. Will zuallererst ver- kommen», sagte die Stellenleiterin am Telefon, nachdem sie de- stehen, mit welchen Augen die Zielgruppe in ihre Welt und auf tailliert beschrieben hatte, mit wie viel Herzblut ihr Team ein unser Problem schaut. Um dann mit ihren Augen unser Problem neues Angebot für Väter ausgetüftelt habe. Und wie enttäu- neu zu entdecken. Zusammenhänge kennenzulernen. Worte zu schend es sei, dass die Zielgruppe ihr Angebot nun mit schmäh- finden. licher Nichtbeachtung strafe. Ich seufzte tief. Das ist anspruchsvoll. Wir müssen in Kontakt gehen. Defini- Erstens aus Mitgefühl: Ja, Männer sind eine schwer erreich- tionsmacht abgeben. Offen sein, unser Expertentum in Frage zu bare Zielgruppe. stellen. Bereit sein, auch zu einer anderen Schlussfolgerung zu Zweitens aus eigener Erfahrung: Wie oft passiert mir dies als männer.ch-Präsident selbst, dass ich meine eigene Klientel ins Zielgruppengerecht arbeiten ist vor allem Pfefferland wünsche, weil sie einfach nicht einzusehen gewillt ist, dass es für alle das Beste wäre, wenn sie uns endlich ihr Kor- anderen eine Frage der Haltung. Basiert auf sett permanenten Leistungs- und Konkurrenzstrebens aufzu- echtem Interesse, braucht «Gwunder» und knüpfen gestatten würde... Demut. Will zuallererst verstehen, mit welchen Drittens aus verärgerter Verwunderung: Wie kann es sein, dass professionelle Fachleute immer und immer wieder in die Augen die Zielgruppe in ihre Welt und auf gleiche Falle tappen?! Am Anfang steht der gute Wille (oder der unser Problem schaut. Leistungsauftrag) – und der dreifach unterstrichene Vorsatz im Konzeptpapier, partizipativ und zielgruppengerecht vorgehen kommen als die, die beim Kostenträger wohlgelitten ist. Mit zu wollen. Also jeden Anflug der Bevormundung zu unter- Selbstbegrenzung umgehen – und mit der fachlichen Kränkung, lassen. Respektvoll zu sein. Bar jeder fachlichen Arroganz. Auf die mit dieser Selbstbegrenzung einhergeht. Augenhöhe. Doch sobald es in die Erarbeitungsphase geht, ver- Dann kann es klappen. Aber sicher ist es nicht. Und wenn wir flüchtigt sich dieser Vorsatz auf mysteriöse Weise. Denn wir uns bei der Frage ertappen, warum die Zielgruppe unser ehrli- müssen schon sehen: Wir sind die Fachleute. Wir haben das ches Bestreben und all den Aufwand einfach nicht zu würdigen Know-how. Und die Evidenz. Die politische Sensibilität. Die Ver- weiss, so wissen wir: Das Teufelchen bevormundender Fachlich- antwortung. Ja, wir müssen uns nicht kleiner machen, als wir keit hat bereits wieder zugeschlagen… sind, denn wenn wir ehrlich sind, kennen wir das Problem schon. Wir brauchen einfach noch die geeignete Verpackung, damit die Zielgruppe unser Problem auch zu ihrem macht. Markus Theunert (42) ist Präsident des Dachverbands Schweizer Männer- und Es bleibt eine Daueraufgabe, sich selbst kritisch in Erinnerung Väterorganisationen und Inhaber der Beratungsfirma Social Affairs GmbH mit zu rufen: Zielgruppengerecht arbeiten meint etwas anderes und Fokus auf Prozesse und Organisationen im Präventions-, Gesundheits- und ist vor allem anderen eine Frage der Haltung. Basiert auf echtem Sozialbereich. IMPRESSUM laut & leise Nr. 3, Oktober 2015 Herausgeber: Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich INHALT Zuschriften: info@suchtpraevention-zh.ch Schwer erreichbar Redaktions- und Produktionsleitung: Brigitte Müller, www.muellertext.ch Zugang zu den Angeboten der Suchtprävention ............. Seite 4 Redaktionsteam: Chantal Bourloud, Renate Büchi, Cathy Caviezel (Vorsitz), Anzeichen einer Sucht erkennen Christian Ingold, Domenic Schnoz Redaktion Meldungen aus der Suchtprävention: Annett Niklaus Unterstützung der regionalen Arbeitsvermittlung .......... Seite 7 Mitarbeiter/innen dieser Nummer: Christa Berger, Beat Furrer, Peggy Geers, Fridolin Heer, Gabriela Hofer, Mathias von Matt, Annett Niklaus, «Mut tut gut!» Markus Theunert, Christine Wullschleger Kurs für erwerbslose Frauen ............................................... Seite 8 Illustrationen: Daniel Lienhard Gestaltung: Fabian Brunner, fabian.brunner@bluewin.ch Respekt und Geduld Druck: FO-Fotorotar, 8132 Egg Interview mit Mathias von Matt, Sozialarbeiter auf Bezug von weiteren Exemplaren: Sekretariat FO-Fotorotar, 8132 Egg, der Jugendanwaltschaft Stadt-Zürich ............................ Seite 11 Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 Tel. 044 986 35 10 Abonnement: Fr. 20.– jährlich (freiwillig). Bestellen bei: Sekretariat FO-Fotorotar, 8132 Egg, Tel. 044 986 35 10 «Der Köder muss dem Fisch schmecken» Adressänderung und Abbestellung: FO-Fotorotar, Gewerbestrasse 18, Kampagne der Stellen für Suchtprävention im 8132 Egg oder info@fo-fotorotar.ch Kanton Zürich ........................................................................ Seite 13 Die Beiträge und die Fotos in diesem «laut & leise» geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder. Diese muss nicht mit der Meinung Meldungen aus der Suchtprävention ................. Seiten 14 und 15 des Herausgebers, der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich, übereinstimmen. Artikel, Fotos, Illustrationen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne Genehmigung der Redaktion nicht verwendet werden. Falls Sie Interesse an einem Artikel haben: Anfrage bitte an Annett Niklaus (annett.niklaus@uzh.ch). 3
ZUGANG ZU DEN ANGEBOTEN DER SUCHTPRÄVENTION Schwer erreichbar Nach wie vor profitieren vor allem gut situierte, selbstsichere und informierte Personen vom Angebot der Suchtprävention. Andere Menschen werden aus vielfältigen Gründen nicht oder nur ungenügend erreicht. Eine Arbeitsgruppe von Präventionsfachleuten suchte nach den Ursachen und erkundete Möglichkeiten, dieser Chancen-Ungleichheit entgegenzuwirken. Text: Christa Berger, Beat Furrer, Gabriela Hofer, Christine Wullschleger S ozial benachteiligte Menschen – Kantons Zürich machte sich 2014 eine Ar- Drei Zielgruppen im Fokus in Bezug auf Arbeit, Einkommen beitsgruppe ans Werk. Ihr Ziel war, mehr und Bildung – haben ein erhöh- Wissen über schwer erreichbare Zielgrup- Die Arbeitsgruppe konzentrierte sich aus tes Risiko, in eine Sucht zu gera- pen einzuholen und in Erfahrung zu brin- all den genannten, schwer erreichbaren ten. Vielfältige Belastungen und häufig gen, welche Faktoren zu berücksichtigen Gruppen auf einige wenige, um das The- unzureichende Ressourcen prägen ihren sind, damit der Zugang gelingt. ma weiter zu vertiefen. Eine auf den Alltag. Auch sie – manche sagen: gerade Als Erstes wollte die Arbeitsgruppe von Grundlagen des Schweizer Suchtmonito- sie – sollten von den Möglichkeiten pro- sämtlichen beteiligten Stellen wissen, rings und der aktuellen wissenschaftli- fitieren können, einer Suchtentwicklung welche Personengruppen sie in ihrer Pra- chen Literatur erarbeitete Expertise von vorzubeugen. Doch Kampagnen, Kurse xis als schwer erreichbar ansehen. Dabei Sucht Schweiz unterstützte die folgende und andere Angebote der Suchtpräven- entstand ein äusserst heterogenes Bild: Auswahl: tionsstellen erreichen diese Menschen zu vulnerable Familien, junge Erwachse- • belastete Familien (sozioökonomisch wenig. Oft sind sie sozial isoliert, wenig nen, einsame Menschen sowie Migran- benachteiligt sowie mit weiteren Risiko- mobil oder haben sprachliche Schwierig- tinnen und Migranten. Ebenfalls schwer faktoren behaftet) keiten. Auf der anderen Seite erschweren zu erreichen seien tendenziell die Verant- • Erwerbslose ihnen unflexible Kurszeiten, fehlende wortlichen für Festveranstaltungen, in • junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Kinderbetreuung und andere Barrieren Vereinen und in der Politik, die in ihrem Jahren den Zugang zu den Angeboten. Umfeld Präventionsanliegen verankern Ältere Menschen und Menschen mit Darüber hinaus gibt es weitere Perso- können. In ihrer Arbeit zählen Präven- Migrationshintergrund verdienen eben- nengruppen, die für die Fachleute als tionsfachleute auf weitere Multiplikato- falls erhöhte Aufmerksamkeit: Mit diesen schwer erreichbar und gleichzeitig sucht- rinnen und Multiplikatoren wie bei- Zielgruppen beschäftigen sich jedoch be- gefährdet gelten: allein lebende ältere spielsweise Lehrpersonen, Verantwortli- reits andere kantonale Arbeitsgruppen Menschen sowie Kinder aus (sucht)belas- che der Berufsbildung oder Ärztinnen und Gremien. teten Familien zum Beispiel. Die Nummern und Ärzte. Diese Fachleute haben Ein- Die erwähnte Expertise von Sucht 1/2013 und 3/2013 des Magazins «laut & fluss und können Menschen konkret mo- Schweiz enthält auch Modellprojekte mit leise» gehen näher auf deren Situation ein. tivieren, sich suchtvorbeugend zu verhal- Empfehlungen, wie die drei ausgewähl- Auch unter den Menschen ohne hohe ten oder einer Suchtentwicklung früh ten Personengruppen besser erreicht wer- soziale Belastungen gibt es viele, die sich und adäquat zu begegnen. Aber: Es den können: Erfolg versprechend ist, kaum für Prävention interessieren. Insbe- bräuchte mehr engagierte Schlüsselper- wenn die Barriere zu den Angeboten sondere gelten junge Erwachsene zwi- sonen, damit die Prävention vertieft grei- nicht zu hoch ist, wenn die Fachleute ak- schen 18 und 30 Jahren als schwer er- fen könnte. tiv auf die Menschen in deren Umfeld zu- reichbar, obwohl in dieser experimentier- Die Arbeitsgruppe befragte die Stellen gehen, wenn man bestehende Strukturen freudigen Altersgruppe der Konsum von zudem nach ihrer Einschätzung, welche wie Institutionen oder Netzwerke für den Suchtmitteln am höchsten ist. Was vor al- Hindernisse auf Seiten der Fachleute be- Kontakt nutzen kann und wenn Multipli- lem auf Männer zutrifft. Dort, wo sich vie- stehe. Sie erhielt folgende Antworten: katoren/-innen oder Peers vermitteln. le von ihnen aufhalten, an Fachhoch- • Teilweise weiss man zu wenig über die Zusätzlich befragte der Fachverband schulen, Universitäten und in Betrieben Zielgruppe, mit der man gern in Kontakt Sucht im Auftrag der Arbeitsgruppe seine zum Beispiel, sind die Fachstellen bis an- käme. Mitglieder – nicht nur aus der Prävention, hin kaum präsent. • Es fehlen Netzwerke und Strukturen, sondern auch aus der ambulanten und Chancengleichheit wurde bereits 2004 die den Zugang erleichtern. der stationären Suchthilfe – nach ihren Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 im «Konzept zur Prävention und Gesund- • Die Rolle der Fachleute ist in der Praxis Praxis-Erfahrungen im Kontakt mit be- heitsförderung im Kanton Zürich» als oft unklar. lasteten Familien, Erwerbslosen und jun- eines der wichtigsten Ziele formuliert. Um • Es bestehen sprachliche Barrieren. gen Erwachsenen. Schwellenängste der- diesem bedeutenden Ziel näher zu kom- • Oder es sind nur begrenzte Ressourcen jenigen, die bei beginnenden oder bereits men, widmet sich jetzt die Suchtpräven- vorhanden, um diese Probleme anpacken bestehenden Suchtproblemen früh Hilfe tion dem Thema systematisch. zu können. bekommen sollten, wurden genannt, Hilfreiche Ansätze sehen die Fachleute aber auch Hindernisse wie beispielsweise Eine Arbeitsgruppe wird aktiv in Angeboten wie beispielsweise femmes- der Datenschutz oder die Schweigepflicht TISCHE, einem niederschwelligen Eltern- auf Seiten der Institutionen. Für belastete Im Auftrag aller regionalen und kantona- bildungsprogramm, das mit Multiplikato- Familien stehen zwar verschiedene Ange- len Fachstellen für Suchtprävention des rinnen zusammenarbeitet. bote zur Verfügung, diese sind jedoch mit 4
vielen Zugangsbarrieren behaftet. Für Er- kannt und angesprochen werden. Wich- Konkrete Empfehlungen werbslose hingegen gibt es nur sehr we- tig ist, dass mit Wertschätzung an ihre Er- nige Projekte, obwohl dieser Zielgruppe fahrungen, Ressourcen und Kompeten- Im November 2015 wird die Arbeitsgrup- gemäss Literatur grössere Aufmerksam- zen angeknüpft wird. pe ihren aktuellen Wissensstand den keit gewidmet werden müsste. • Niederschwellig und aufsuchend: Suchtpräventionsfachleuten im Kanton Familien werden an den Orten ihres täg- Zürich präsentieren. Und bis Ende Jahr Gelingende Zugänge lichen Lebens besser erreicht, beispiels- sollen erste konkrete Empfehlungen er- weise am Arbeitsplatz, in Einkaufs- und arbeitet sein, damit Präventionsbotschaf- Aufgrund ihrer Recherchen fasst die Ar- Quartierzentren oder an kulturellen ten und frühe Hilfsangebote auch wirk- beitsgruppe die wichtigsten Erkenntnisse Treffpunkten. Auch junge Erwachsene lich jene Menschen erreichen, die das po- zusammen: lassen sich eher ansprechen, wenn man tenzielle Risiko einer Suchtentwicklung • Peers: Sie vereinfachen bei allen drei sie aufsucht, zum Beispiel im Nachtle- kennen. ausgewählten Zielgruppen die Erreich- ben, in Fahrschulen, an Universitäten barkeit. Wenn Personen, die in vergleich- und Fachhochschulen oder im Militär- baren Lebensumständen oder in ver- dienst. gleichbarem Alter sind, auf die Menschen • Vernetzung: Eine gute Vernetzung Christa Berger, Mitglied der Arbeitsgruppe und Mitarbeiterin der Suchtpräventionsstelle der Stadt in ihrem Umfeld zugehen, ist die Akzep- unter den Fachstellen und Fachleuten Zürich tanz präventiver Botschaften höher und scheint den Zugang zu (sucht)gefährde- die Wahrscheinlichkeit grösser, dass die ten Menschen zu erleichtern und ermög- Beat Furrer, Mitglied der Arbeitsgruppe und Stellen- leiter der Suchtpräventionsstelle Winterthur Angebote genutzt werden. licht, gezielt Hilfe anzubieten: Vor allem, • Bestehende Strukturen: Sinnvoll ist wenn – wegen Schwellenängsten und Gabriela Hofer, Mitglied der Arbeitsgruppe und Mitarbeiterin der Suchtpräventionsstelle Zürcher der Zugang zu allen drei ausgewählten sprachlichen Barrieren oder aus Angst vor Oberland Zielgruppen über bestehende Strukturen dem Obhutsentzug der Kinder – keine Christine Wullschleger, lic. phil. I, seit Ende der und Institutionen. So nehmen beispiels- Hilfe in Anspruch genommen wird oder 1980er-Jahre in Gesundheitsförderung und Sucht- weise Erwerbslose, die bei der regionalen wenn Datenschutz und Schweigepflicht prävention tätig, von 2006 bis zu ihrer Pensionierung Arbeitsvermittlung (RAV) gemeldet sind, Barrieren darstellen. im vergangenen Jahr bei der Suchtprävention häufiger Suchtberatungsangebote wahr • Internet: Vor allem für junge Erwach- Zürcher Unterland. als Erwerbstätige. sene ist der Kontakt über Onlineangebote • Partizipativer Ansatz: Eltern sind und Onlinekommunikation wichtig. «Laut & leise» als Download Sie finden die Ausgaben 1/2013 und 3/2013 des vor allem dann offen für Prävention, Grund: Mit niederschwelligen Angeboten Magazins «laut & leise» im Internet als PDF zum wenn sie in ihrer Aufgabe und in ihrer im Internet wird diese Zielgruppe am bes- Downloaden: www.suchtpraevention-zh.ch > Rolle als Experten für ihre Kinder aner- ten erreicht. Publikationen > Magazin laut & leise Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 5
UNTERSTÜTZUNG DER REGIONALEN ARBEITSVERMITTLUNG Anzeichen einer Sucht erkennen Menschen, die ihre Arbeitsstelle verlieren, können in eine tiefe Krise stürzen, die sie unter anderem mit Suchtmitteln zu bewältigen versuchen. In Schulungen lernen RAV-Berater/innen, die Anzeichen einer Sucht zu erkennen und diese mit den betroffenen Stellensuchenden zu thematisieren, um geeignete Unterstützungsmassnahmen einleiten zu können. Text: Fridolin Heer N ach dem Verlust der Arbeits- Suchtprobleme früh erkennen Suchtberatungsstelle Fortbildungen, an stelle ist die rasche und nach- denen Mitarbeitende der RAV Wetzikon, haltige Wiedereingliederung in Meldet sich eine erwerbslose Person beim Fehraltorf und Uster teilnehmen. In den den Arbeitsmarkt das wichtigs- zuständigen RAV an, finden nach einem Schulungen lernen die RAV-Mitarbeiten- te Ziel. Voraussetzung, damit die Wieder- Erstgespräch regelmässig Beratungs- und den, wie sie Anzeichen einer Sucht erken- eingliederung gelingt, ist der Erhalt der Kontrollgespräche statt. Ein beginnendes nen, und wie sich eine Suchterkrankung Vermittlungsfähigkeit der Stellensuchen- oder gar bestehendes Suchtproblem bei auf die Lebensgestaltung auswirkt. Ein den. Diese Vermittlungsfähigkeit kann je- diesen Gesprächen festzustellen, ist für zentraler Aspekt der Schulungen ist das doch durch eine Sucht stark beeinträch- die beratenden RAV-Mitarbeitenden fast Wissen um den konkreten Umgang tigt sein oder sogar vollständig fehlen. unmöglich. Eine RAV-Mitarbeiterin, die mit abhängigen Stellensuchenden. Dazu an der letztjährigen Fachtagung «Arbeits- üben sie sich in spezifischen Gesprächs- Erwerbslosigkeit und Sucht losigkeit und Sucht» vom Fachverband methoden. Die RAV-Mitarbeitenden ler- Sucht teilnahm, weiss aus Erfahrung: nen, worauf sie achten müssen und wie Erwerbslose sind stärker gefährdet, in «Kein Klient kommt zu mir ins Gespräch sie einen konkreten Verdacht oder eine eine Sucht abzurutschen, als Erwerbstäti- und sagt, dass er Suchtprobleme hat.» Ge- Beobachtung gegenüber einem/einer ge.* Der Verlust der Arbeitsstelle und des nau deshalb gelten erwerbslose Personen Stellensuchenden ansprechen können. damit verbundenen Status verursacht als schwer erreichbar. Dabei gilt es, auffälliges Verhalten wahr- häufig eine grosse Krise. Insbesondere Grundsätzlich gilt: Arbeitslosigkeit be- zunehmen und persönliche Wahrneh- dann, wenn der Kündigung eine langjäh- günstigt die Entwicklung von Suchtpro- mungen anhand eines Beobachtungsbo- rige Anstellung vorausgeht und/oder die blemen. Gleichzeitig erhöhen Suchtpro- gens zu systematisieren. Zusammen mit Chancen auf eine Wiederanstellung deut- bleme das Risiko, arbeitslos zu werden den empfohlenen Gesprächs- und Frage- lich tiefer sind. Der Jobverlust bedeutet und es lange zu bleiben. techniken und dem vermittelten Fach- jedoch nicht nur eine finanzielle Einbus- Erstes Ziel ist es, den schädigenden wissen können so alle für die Arbeitsinte- se. Über die Erwerbsarbeit erfolgt vielfach Suchtmittelkonsum der Stellensuchen- gration relevanten Informationen erho- eine starke Identifizierung, Sinnstiftung den früh wahrzunehmen und das Pro- ben werden. und Tagesstrukturierung. Die Reaktion blem mit den Betroffenen zu thematisie- Die schwere Erreichbarkeit manifes- auf diese belastende Phase erfolgt dabei ren, parallel zur RAV-Beratung und zu tiert sich in der Tabuisierung der Sucht. auf sehr unterschiedliche Art und Weise. den arbeitsmarktlichen Massnahmen. Wichtig ist deshalb, einen erhärteten Ver- Die Krisenbewältigung mit legalen (z. B. Diese Probleme anzusprechen und so dacht immer anzusprechen und nicht Alkohol) und illegalen (z. B. Kokain, Can- den erschwerten Zielgruppenzugang zu stillschweigend zu übergehen. Dann ge- nabis) Substanzen oder problematischen schaffen, kann schwierig sein, ermöglicht lingt es, eine Abhängigkeit frühzeitig Verhaltensweisen (Glücksspiel) kann da- aber erst das Vermitteln einer gezielten wahrzunehmen und, zusammen mit den bei ihren Anfang nehmen. Es zeigt sich Unterstützung in Form einer ambulanten Betroffenen, die weiteren Schritte einzu- zudem, dass durch den Verlust der Ar- oder stationären Suchtberatung und -be- leiten, um gesund und vermittlungsfähig beitsstelle ein risikoarmer Konsum teil- handlung (z. B. Einzelcoaching in der am- zu bleiben. weise derart verstärkt wird, dass er in bulanten Suchtberatung). Mit diesem einer Abhängigkeit mündet. Dies wirkt Prozess soll eine Suchtentwicklung ge- sich direkt auf die Vermittlungsfähigkeit stoppt und die Arbeits-, Arbeitsmarkt- aus, was wiederum finanzielle Konse- und Vermittlungsfähigkeit erhalten oder Fridolin Heer, lic. phil. Stellenleiter Suchtpräven- tionsstelle Zürcher Oberland und Geschäftsleiter quenzen hat. Neben der Gefahr der Über- zurückgewonnen werden. Die Früher- des Vereins für Prävention und Drogenfragen Zürcher schuldung infolge eines Suchtmittelkon- kennung und Frühintervention eines Oberland VDZO (Träger der Suchtpräventionsstelle sums oder einer Spielsüchtigkeit ist auch problematischen Konsums ist deshalb so Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 Zürcher Oberland und der Fachstelle Gewaltpräven- die Ausrichtung der Arbeitslosentaggel- wichtig, weil eine rasche und nachhaltige tion Zürcher Oberland). der in Gefahr. Wer nicht zu mindestens Wiedereingliederung in den Arbeits- 50 Prozent arbeitsfähig ist, hat keinen An- markt einen wirksamen Schutzfaktor ge- spruch auf Taggelder der Arbeitslosenver- gen Sucht darstellt. sicherung.** Anzeichen einer Sucht ansprechen * vgl. «der Arbeitsmarkt», 13.6.2014; http://derar- beitsmarkt.ch/de/artikel/Sucht-und-Arbeitslosig- Die Fachmitarbeitenden Prävention der keit Suchtpräventionsstelle Zürcher Ober- ** vgl. Art. 28 Abs. 4b Arbeitslosenversicherungs- land organisieren in Zusammenarbeit mit gesetz AVIG (Stand 1.1.2014) Berater/innen der jeweils zuständigen 7
KURS FÜR ERWERBSLOSE FRAUEN «Mut tut gut!» Zielsetzungen des Kurses «Mut tut gut!» sind, erwerbslose und psychisch belastete Frauen zu befähigen, ihre aktuelle Situation realistisch einzuschätzen und ressourcenorientiert Schritte zur Verbesserung ihrer Lebenssituation und Gesundheit einzuleiten. Die Wirksamkeit wurde von der Universität Landau 2014 wissenschaftlich nachgewiesen. Text: Peggy Geers A n diesem Kurs können Langzeit- Vorgespräch geführt, in dem die aktuelle len Gruppe. Der Kurs ermöglicht den Erwerbslose Frauen teilneh- Lebenssituation, die psychische und kör- Frauen, neue Erfahrungen mit sich selbst men. Die Altersspanne der Teil- perliche Verfassung und die Motivation zu machen und ein verändertes Verste- nehmerinnen liegt zwischen 20 zur Teilnahme gemeinsam erörtert und hen von sich selbst zu erleben. Die Begeg- und 60 Jahren. Die meisten sind allein le- eingeschätzt werden, um zu einer Ent- nung mit Frauen, die ähnliche Probleme bend oder allein erziehend. Ausbildung scheidung für oder gegen die Kursteilnah- und Ängste haben, wirkt für viele Teil- und berufliche Erfahrungen sind sehr un- me zu kommen. nehmerinnen entlastend und wohltuend. terschiedlich: Unter den Teilnehmerin- Auf der kognitiven Ebene wird mit Un- nen gibt es solche ohne Ausbildung eben- Verlässliche Struktur terlagen zur Selbstbeobachtung und mit so wie mit Berufsausbildung oder mit Stu- Anregungen für alternative Umgehens- dium, Frauen ohne Berufserfahrung wie «Mut tut gut!» ist ein Projekt der Psycho- und Verhaltensweisen gearbeitet. Wir for- auch mit langjähriger Berufstätigkeit. Oft sozialen Frauenberatungsstelle, das als dern die Frauen auf, die allgemeinen In- machten sie belastende Erfahrungen in soziale kommunale Begleitmassnahme formationen auf sich selbst zu beziehen der Schule oder der Erwerbsarbeit. Ihre von der Stadt Kiel gefördert wird. Seit und darüber in einen Dialog miteinander Problemlagen bestehen vor allem in de- Mitte 2006 werden jährlich drei Kurse und mit der Referentin zu treten. So prägt pressiven Reaktionen, einem sehr gerin- durchgeführt. jede Gruppe mit ihren persönlichen Pro- gen Selbstwertgefühl, in wiederholten Die Vormittage gliedern sich in 15 Mi- blemen jeden Kurs: Es entsteht ein leben- Neigungen zu Angstreaktionen sowie ge- nuten «Warming-up» am Morgen, zwei- diger Austausch über die alltagsnahen Bei- sundheitlichen Einschränkungen durch mal 45 Minuten Unterricht zum Wochen- spiele aus den Lebenswelten der Frauen. chronische Erkrankungen. Viele Frauen haben bereits während der Kindheit oder Das Kursprogramm bietet ein klares Konzept, einen wiederkehren- der Jugendzeit psychische und körperli- che Gewalt sowie Missbrauch erlebt: Die- den Ablauf mit einer verlässlichen Struktur. Es verbindet kognitive se Erfahrungen beeinflussen das Erwach- Elemente und Körperaktivitäten sowie Gruppenangebote mit senenleben negativ und beeinträchtigen Einzelgesprächen. Der zeitliche Umfang von drei Vormittagen ist die psychische Gesundheit erheblich. Ein grosser Teil lebt aktuell in sehr belasten- bewusst an die Belastbarkeit der Zielgruppe angepasst. den familiären Verhältnissen, sozial zu- rückgezogen und leidet oft unter einer thema, 75 Minuten ergänzende Aktivie- Neben den Erfahrungen auf den Ebe- mangelnden Tagesstruktur. rungsangebote und Pausenzeiten. Zusätz- nen «Denken – Fühlen – Handeln» för- Die Teilnahme am Kurs ist für viele lich führt jede Frau alle 14 Tage ein Ein- dern wir die Sinneswahrnehmung und Frauen – und ihre Familien – ein grosser zelgespräch mit einer Psychologin oder das «Erleben des Körpers». Übungen aus Schritt und benötigt oftmals einen hohen, Beraterin der Frauenberatungsstelle. achtsamkeitsbasierten Ansätzen sind re- individuell zu tragenden Aufwand. Häu- Das Kursprogramm bietet ein klares gelmässiger Bestandteil jedes Kurstages: fig gab es zuvor noch nie einen Zugang zu Konzept, einen wiederkehrenden Ablauf Dazu dienen Elemente aus Sport, Bewe- Hilfesystemen oder die Frauen machten mit einer verlässlichen Struktur. Es ver- gung, Atem, Stimme sowie Wahrneh- damit sogar negative Erfahrungen. bindet kognitive Elemente und Körper- mung und Entspannung. Wir üben mit aktivitäten sowie Gruppenangebote mit den Frauen, dass sie aus einer wohlwol- Freiwillige Kursteilnahme Einzelgesprächen. Der zeitliche Umfang lenden Beobachterinnen-Perspektive auf von drei Vormittagen ist bewusst an die sich schauen und Abstand zu emotiona- Der Kurs wird den Frauen meist von ihrer Belastbarkeit der Zielgruppe angepasst. len Verwicklungen gewinnen: Integrationsfachkraft im Jobcenter Kiel Im Anschluss an den Kurs bleiben einige • Förderung der Selbstwahrnehmung. empfohlen, wenn es Hinweise darauf gibt, Teilnehmerinnen weiter in der Einzel- • Das Verlorengehen in Gedanken oder Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 dass die psychische Verfassung als Ver- beratung bei der Beratungsstelle donna Gefühlen stoppen. Dafür das Zurückkom- mittlungshemmnis gewertet werden klara. men in die Gegenwart und Realität lernen. kann. Das Jobcenter stellt für die vermit- • Eine neue Erfahrungsebene vermit- telten Frauen keine Anforderung an den Die «innere» Freundin telt, die nicht von Bewertungen und Deu- Kurs. Im regelmässigen Kontakt mit dem tungen belastet ist. Jobcenter weisen wir darauf hin, dass nur Der Kurs ist ein Ort des Lernens: Dabei • Angenehme Erlebnisse erfahrbar und eine freiwillige Kursteilnahme sinnvoll verbinden wir die Ebenen vom Vermitteln bewusst machen. ist. Manche Frauen kommen jedoch auch von Informationen von der Selbst- • Unterstützung der Selbstregulation bei auf Empfehlung ihrer Therapeutin, ihres beobachtung und Selbstreflexion, dem überflutenden Emotionen. Arztes oder ihrer Freundin zu uns. Mit je- Erleben und der Erfahrung mit dem Ein- Ein thematischer Meilenstein des Kur- der Interessentin wird ein persönliches üben und Training innerhalb einer sozia- ses ist die Einführung der «inneren Freun- 8
din» als Symbol für einen wertschätzen- vorzeitigen Beendigung des Kurses. Im Gefühle nicht urteilend anzunehmen. den, fürsorglichen Umgang mit sich Rahmen der Einzelberatung kann dann Die Studie konnte belegen, dass eine selbst. Dieses Modell wird zu Beginn des ein passenderes Hilfsangebot erarbeitet Vielzahl an individuellen Veränderungen Kurses eingeführt und in den folgenden werden, um den Frauen weitere Unter- stattfindet, die im Einklang mit den Zielen Wochen immer wieder aufgegriffen und stützung zu ermöglichen. des Kurses stehen: Bewusstwerden von konkret mit Leben gefüllt. Was bedeutet Am Ende der Kurse klären wir mit je- Problemen, das Reflektieren der eigenen ein fürsorglicher Umgang mit mir selbst in der Teilnehmerin, was sie für sich erreicht Situation und dass daraus konkrete Hand- den konkreten alltäglichen Situationen hat, welche Schritte im Anschluss sinn- lungsabsichten formuliert werden kön- meines Lebens? voll sind sowie welche weitere Hilfe sie nen. benötigt. Zu den Kursinhalten und Ar- Viele Kursteilnehmerinnen befanden Unbedingte Wertschätzung beitsmethoden geben die Frauen anonym sich nach Abschluss des Kurses in einer Rückmeldung durch einen Fragebogen. weiterführenden Behandlung, Beratung Unsere Grundhaltung ist die unbedingte Wertschätzung zwischen Leitung, Refe- rentinnen und allen Teilnehmerinnen. Seit Jahren erleben wir bereits im Verlauf des Kurses, dass sich Für den Umgang der Teilnehmerinnen für die Frauen erhebliche Änderungen in ihrem Leben ergeben. untereinander werden Regeln verein- Sie beginnen, sich zu öffnen, miteinander in Kontakt zu treten und bart, die beispielsweise den gegenseitigen Respekt, die Selbstverantwortung und die Dinge zu unternehmen, die sie lange nicht gewagt haben. Schweigepflicht beinhalten. Diese wohl- wollende, akzeptierende und gleichzeitig Im Nachtreffen werden mit einem Frage- oder Therapie (65%). 33% der Befragten verbindliche Grundhaltung im sozialen bogen weitere Informationen zur Nach- bemühten sich, beispielsweise durch Be- Miteinander ist oft eine ganz neue Erfah- haltigkeit des Angebots erhoben. werbungen, um eine Erwerbstätigkeit rung für die Frauen. und 20% der Befragten nahmen an Mass- Eine fundierte Fachlichkeit bei allen Psychische Stabilität nahmen zur beruflichen Integration oder beteiligten Mitarbeiterinnen ist die Vo- Weiterqualifizierung teil. Eine Erwerbstä- raussetzung für eine erfolgreiche Durch- Das Zentrum für empirische pädagogische tigkeit hatten 13% der Frauen aufgenom- führung des Kurses. Es ist wichtig, dass die Forschung der Universität Koblenz-Land- men. Die Ergebnisse belegen also die gute Mitarbeiterinnen diagnostische und psy- au hat in den Jahren 2011 bis 2013 eine inhaltliche und methodische Qualität des chotherapeutische Fähigkeiten besitzen Evaluation des Kursprogramms durchge- Konzepts sowie die Wirksamkeit des An- und die Frauen dadurch in ihrer inneren führt. In dieser Zeit wurden in sechs Kurs- gebots. psychischen Dynamik gesehen, verstan- durchläufen Unterlagen mit einer Mi- den und akzeptiert werden. Für den in- schung aus standardisierten und selbst haltlichen Austausch und die konzeptio- entwickelten Fragebögen zu Beginn und nelle Weiterentwicklung gibt es regelmäs- am Ende des Kurses sowie zum Nachtref- Peggy Geers ist ausgebildete Diplom-Psychologin und Koordinatorin des Projekts «Mut tut gut!». Sie sige Projektteamsitzungen, Treffen mit fen eingesetzt. arbeitet bei der Psychosozialen Frauenberatungs- den Einzelberaterinnen, Treffen mit den Es konnten mittlere bis grosse statis- stelle donna klara in Kiel. Referentinnen und Honorarkräften sowie tisch bedeutsame Effekte für die Verbes- Hinweis Supervision. serung der psychischen Gesundheit der «Mut tut gut!» ist ein Modellprojekt, das die Arbeits- Teilnehmerinnen nachgewiesen werden, gruppe der Stellen für Suchtprävention im Rahmen Spürbare Veränderungen und wichtig: Diese neu erworbene psy- des Jahresthemas ausgewählt haben. Siehe Artikel chische Stabilität konnte bis zum Nach- «Schwer erreichbar», Seiten 4 und 5. Seit Jahren erleben wir bereits im Verlauf treffen aufrechterhalten werden. Das des Kurses, dass sich für die Frauen erheb- Ausmass der Depressivität sank und die liche Änderungen in ihrem Leben erge- Kursteilnehmerinnen zeigten zum Ende Antworten auf die Frage nach ben. Sie beginnen, sich zu öffnen, mitei- des Kurses und zum Zeitpunkt des Nacht- nander in Kontakt zu treten und Dinge zu reffens ein signifikant höheres Selbst- persönlichen Veränderungen: unternehmen, die sie lange nicht gewagt wertgefühl als zu Beginn des Kurses. • Ich komme in Kontakt mit anderen. haben. Schritte einzuleiten, die Verände- Gleichzeitig wurde festgestellt, dass das • Ich hole mir Hilfe und kann diese rungen mit sich bringen sowie ihre Be- Ausmass des Selbstwertgefühls der Teil- auch annehmen. dürfnisse und Grenzen wahr- und ernst- nehmerinnen zu allen Messzeitpunkten • Ich verstehe meine Gefühle besser zunehmen. Auch schriftliche Befragun- unterdurchschnittlich ausgeprägt war. und gehe bewusster damit um. Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 gen der Integrationsfachkräfte des Kieler Bei der Selbstregulationsfähigkeit konn- • Ich habe mehr Wissen über psy- Jobcenters haben ergeben, dass die Frau- ten mittlere bis grosse statistisch bedeut- chische Gesundheit gewonnen. en verändert wirken, sicherer auftreten, same Effekte nachgewiesen werden. Der • Ich bin aktiver und selbstbewusster konkretere Zukunftspläne entwickelt ha- Umgang mit extremen Emotionen hatte geworden. ben, ihre Wehrhaftigkeit und Selbstwirk- sich nicht nur im Verlauf des Kurses, son- • Ich kann mit meinen depressiven samkeit gestiegen sind. dern zusätzlich bis zum Nachtreffen signi- Verstimmungen besser umgehen. Andererseits bringt der feststehende fikant verbessert. Die Fähigkeit der Kurs- • Ich konnte mich selber «wieder» Rahmen gewisse Anforderungen mit sich, teilnehmerinnen, ihre Emotionen in an- finden! die für manche Frauen zu starr, zu wenig gemessener Form zu beschreiben und zu • Da ist wieder Leben in einen reinge- individuell sowie überfordernd sein kön- zeigen, verbesserte sich genauso wie die kommen … nen. In diesen Fällen kommt es zu einer Fähigkeit, unangenehme Gedanken und 9
10 Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015
INTERVIEW MIT MATHIAS VON MATT, SOZIALARBEITER AUF DER JUGENDANWALTSCHAFT ZÜRICH-STADT Respekt und Geduld Der Grossteil der Jugendlichen, die wegen einer Straftat zur Jugendanwaltschaft Zürich-Stadt kom- men, kann mit entsprechenden Massnahmen aufgefangen werden, sodass sie nicht mehr rückfällig werden. Bei einer Minderheit braucht es viel Geduld. Mathias von Matt hat als Sozialarbeiter täglich mit Jugendlichen zu tun, für die es schwierig ist, ihren Platz in unserer Gesellschaft zu finden. Text: Brigitte Müller laut & leise: Was sind Ihre wichtigsten Von Matt: Meist treffen mehrere Proble- enthemmt und wird teilweise gezielt da- Aufgaben bei Ihrer Tätigkeit als Sozialar- matiken aufeinander. Beispielsweise hat für eingesetzt, um sich vor einer Rauferei beiter auf der Jugendanwaltschaft? ein Jugendlicher schlechte Schulnoten oder einem Raub Mut anzutrinken. Es Mathias von Matt: Zentral ist die Abklä- wegen einer Sprachverarbeitungsstö- kann auch vorkommen, dass jemand rung der persönlichen Verhältnisse eines rung, ist Migrant und zuhause beschäfti- ausgeraubt wird, damit man wieder Geld Jugendlichen. Auf Fragen wie «Wer ist gen ihn schwere Familienprobleme. In hat, um den Ausgang und/oder den Sub- der Jugendliche? Warum verübte er ein solchen Situationen genügt ein unvor- stanzkonsum fortzusetzen. Viele Klienten Delikt? In welchem Umfeld lebt er?» hergesehener Schicksalsschlag, zum Bei- der Jugendanwaltschaft machten früher möchte ich Antworten finden. Erst wenn spiel der Tod einer nahen Person, dass der in einem Verein Sport und haben irgend- wann in der Pubertät damit aufgehört. Für viele dieser Jugendlichen ist das Bei praktisch allen Gewaltdelikten ist Alkohol mit im Spiel. Alkohol gemeinsame Herumhängen und der da- enthemmt und wird teilweise gezielt dafür eingesetzt, um sich vor mit einhergehende Konsum von Can- nabis und Alkohol eine beliebte Freizeit- einer Rauferei oder einem Raub Mut anzutrinken. Es kann auch gestaltung. vorkommen, dass jemand ausgeraubt wird, damit man wieder Geld hat, um den Ausgang und/oder den Substanzkonsum fortzusetzen. l & l: Jugendliche führen demnach wegen Cannabis oder Alkohol kriminelle Delikte aus? ich die Persönlichkeit des Jugendlichen Jugendliche den Boden unter den Füssen Von Matt: Es kommt immer wieder vor, erfasst habe und seine Stärken und verliert. Zudem verzeichnen wir eine Zu- dass ein Jugendlicher sich seinen Eigen- Schwächen kenne, kann als zweiter wich- nahme von psychischen Auffälligkeiten, konsum durch das Verkaufen von Canna- tiger Teil geklärt werden: Was braucht es, welche die Jugendlichen in ihrer sozialen bis zu finanzieren versucht. Wer nicht damit der Jugendliche nicht mehr rück- und beruflichen Integration behindern schon nach den ersten Wochen dabei auf- fällig wird? Werden die vorgeschlagenen und die meist nur durch jahrelange Ge- fliegt, findet eventuell Gefallen daran und Massnahmen gutgeheissen, dann begleite sprächs- und Verhaltenstherapie positiv versucht, das Geschäft bezüglich Menge ich ihn bei deren Durchführung und bin beeinflusst werden können. oder Gewinnmarge zusätzlich oft mit an- für ihn Ansprechpartner in kritischen Si- deren Substanzen auszubauen. tuationen. l & l: Warum landen mehr Jungs statt Mädchen bei der Jugendanwaltschaft? l & l: Wie sprechen Sie die Jugendlichen l & l: Mit wem haben Sie es zu tun? Von Matt: Während schwierige Jungs oft an, damit Ihre Anliegen überhaupt wahr- Von Matt: Mit Jugendlichen und jungen durch lautes, störendes und auch gewalt- genommen werden? Erwachsenen zwischen 10 und 22 Jahren. tätiges Verhalten in der Schule und im öf- Von Matt: Wichtig sind für mich folgende Die Hauptgruppe ist 15 bis 20 Jahre alt fentlichen Raum auf sich aufmerksam Verhaltensweisen: Authentisch sein, voll- und männlich. Um mir ein Bild vom Ju- machen, reagieren Mädchen auf psy- umfängliche Transparenz und absolute gendlichen zu machen, spreche ich mit chische Belastungen oft anders. Vielfach Ehrlichkeit, um mit einem Jugendlichen den Eltern, dem Lehrmeister, den Lehre- ziehen sie sich zurück, entwickeln Ess- ins Gespräch zu kommen. Es gibt diesbe- rinnen und Lehrern, den Schulsozialar- oder Tic-Störungen oder beginnen sich zu züglich kein Patentrezept, kein Richtig beitern und mit allfälligen Mittätern. Bei ritzen, um mit diesen ungeeigneten Mit- oder Falsch. Deshalb ist das authentische den Eltern versuche ich immer, beide El- teln zu versuchen, einen Schmerz zu lin- Auftreten so wichtig. Wenn unsere Ju- ternteile mit einzubeziehen, wobei über- dern oder ein Problem zu lösen. Dadurch gendlichen eines aufweisen, dann ein durchschnittlich viele Jugendliche, bei fallen sie im öffentlichen Raum nicht so ausgesprochenes Sensorium für Ehrlich- denen eine jugendstrafrechtliche Mass- auf wie ihre männlichen Kollegen und keit und ob man sie ernst nimmt. Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 nahme angeordnet wurde, mit abwesen- werden in der Folge weniger von der Po- den oder emotional wenig präsenten Vä- lizei kontrolliert. Wenn Mädchen auf der l & l: Wie finden Sie den Draht zu den Ju- tern aufwachsen. Ich möchte durch diese Jugendanwaltschaft landen, dann meist, gendlichen? Gespräche ein möglichst umfassendes weil sie beim Stehlen oder beim Betäu- Von Matt: Ich versuche dem Jugendli- Bild des Jugendlichen und seiner Lebens- bungsmittelkonsum, beim Kiffen, er- chen zu vermitteln, dass er als Person okay situation erhalten. wischt wurden. ist, aber sein Verhalten nicht okay ist. Ich zeige ihm klar auf, was passiert, wenn er l & l: Welche speziellen Risikofaktoren/ l & l: Welche Rolle spielt der Substanzkon- sich weiter auffällig verhält und Delikte Gefährdungen kennen Jugendliche und sum bei Jugendlichen, die Sie betreuen? begeht. Welche Konsequenzen sein Ver- junge Erwachsene, die bei Ihnen lan- Von Matt: Bei praktisch allen Gewaltde- halten haben kann, welche Strafen und den? likten ist Alkohol mit im Spiel. Alkohol Massnahmen ihn treffen könnten. 11
Ja, Hoffnung ist ganz wichtig. Viele meiner Klienten haben in ihrer bisherigen Sozialisation bereits oft gehört, was sie nicht sind und was sie nicht können. Deshalb ist das Vermitteln von Hoffnung, im Sinne von «der Aufwand lohnt sich, es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, also packen wir es an», von grosser Bedeutung. l & l: Und das genügt? in seiner Freizeit nicht mehr prügelt, son- der Suchtprävention eine sinnvolle Alter- Von Matt: Bei rund 80% der Jugendli- dern nur noch Bagatelldelikte begeht, ist native zur Hand haben. Während des chen genügt es, wenn wir ihnen im Ge- dies für mich beispielsweise ein Erfolg. Bei Kurses können sich die Jugendlichen mo- spräch aufzeigen, dass sie mit ihrem Ver- der täglichen Arbeit sind «Erfolge» weni- ralfrei austauschen, und es wird mit vie- halten die Grenzen des Vertretbaren über- ger gut messbar. Meine Hauptarbeitsin- len Mythen, die den Konsum von Canna- schritten haben. Sie sehen ein, dass sich strumente sind das Führen von Gesprä- bis betreffen, aufgeräumt und auf die Ge- ihre Schwierigkeiten enorm vergrössern, chen, das Konfrontieren mit Fehlverhal- fahren des Konsums hingewiesen. wenn sie ihr Verhalten nicht ändern. Bei ten und das Initiieren von Bewusstseins- ungefähr 20% der Jugendlichen ist es lei- prozessen. Deshalb führe ich oft inhaltlich l & l: Was ist für Sie grundsätzlich wichtig der so, dass sie nicht einsehen können schwierige Gespräche. Gelingt es mir bei beim Umgang mit Menschen, die für oder wollen, dass ihre Verhaltensweisen diesen Gesprächen, dem Gegenüber das Suchtprävention schwer erreichbar sind? problematisch sind. Das Dilemma bei die- Wesentliche so zu vermitteln, dass er a) Von Matt: Eine schwierige Frage. Viel- sen Jugendlichen ist oft, dass sie sehr früh dies inhaltlich versteht und b) dies auch leicht zwei Gedanken. Einerseits finde gelernt haben oder lernen mussten, sich so annehmen kann, dass er nicht gleich ich, sollten wir Respekt haben vor ver- selbständig durchs Leben zu bringen, und völlig die Beherrschung verliert, dann ist schiedenen Lebensläufen. Meine Jugend- gewohnt sind, selber Entscheide zu fällen. dies ebenfalls ein Erfolgserlebnis für mich. lichen haben oft in ihrer frühen Kindheit Für diese Jugendlichen ist es meist schwere Schicksalsschläge erlebt; was ihr schwierig, Vertrauen zu einem Erwachse- l & l: Welche Bedingungen sollten erfüllt Verhalten nicht entschuldigen soll, aber nen aufzubauen und Ratschläge anzu- sein, dass Jugendliche ein offenes Ohr für zum Verständnis beiträgt, warum sie nehmen. Wenn es einem solchen Jugend- Suchtprävention haben? schwierig sind. Andererseits müssen wir lichen nicht gelingt, sich seine eigene Be- Von Matt: Die Angebote sollten nieder- auch akzeptieren, dass nicht jeder dürftigkeit einzugestehen und entspre- schwellig sein, nichts mit Behörden und Mensch für den Erfolg und für die Anfor- chende Ratschläge umzusetzen, wird die- Polizei zu tun haben und weder morali- derungen unserer Gesellschaft gleich gut ser als junger Erwachsener mit einer ho- sierend noch wertend wirken. Wichtig er- geschaffen ist. Es gibt Jugendliche, die wie hen Wahrscheinlichkeit beruflich und so- achte ich auch eine anonyme Teilnahme. gesagt von Beginn an schlechte Karten zial schlecht in die Gesellschaft integriert haben. Doch auch diese Jugendlichen sein. l & l: Welcher Aufwand ist für Suchtprä- träumen von einem Auto, einem Haus, vention gerechtfertigt? einer Familie, schönen Ferien. Tatsache l & l: Sie kennen demnach Hoffnung und Von Matt: Ich finde Aufklärung ohne Ta- ist, dass sie wahrscheinlich mit Ach und Scheitern? bus und Scheuklappen extrem wichtig. Krach 3000 Franken verdienen und sich Von Matt: Ja, Hoffnung ist ganz wichtig. Ich gehe immer davon aus, dass ein mün- all die schönen Sachen, die ihnen täglich Viele meiner Klienten haben in ihrer bis- diger und informierter Bürger selber ent- in den Medien versprochen werden, nur herigen Sozialisation bereits oft gehört, scheiden kann und soll, was in welcher schwer erfüllen können. Wenn sich sol- was sie nicht sind und was sie nicht kön- Dosis gut für ihn ist. Angesichts der mas- che Jungs durch Kleinkredite oder Lea- nen. Deshalb ist das Vermitteln von Hoff- siven Kosten, die beispielsweise ein le- singverträge verschulden, weil ihnen die nung, im Sinne von «der Aufwand lohnt benslang alkoholkranker Mensch verur- Erwachsenen und die Werbung vorgau- sich, es gibt ein Licht am Ende des Tun- sacht, finde ich den Aufwand der Sucht- keln, es sei völlig in Ordnung, auf Pump nels, also packen wir es an», von grosser prävention und die damit einhergehende zu leben, oder wenn sie durch Kleinkri- Bedeutung. Doch gehört auch das Schei- Aufklärung der Bevölkerung über die Ge- minalität am Konsumrausch teilnehmen tern dazu. Ich kann letztlich niemanden fahren von Suchtmitteln sinnvoll und be- wollen, dann finde ich, sollten wir sie zu seinem Glück zwingen. Wir können le- rechtigt. nicht nur individuell verurteilen, sondern diglich dafür sorgen, dass der Jugendliche auch als Opfer und Teil eines Systems se- sich der Konsequenzen seiner Entschei- l & l: Sie «schicken» der Suchtpräven- hen, das ihnen perfiderweise genau diese dungen und Handlungen bewusst wird. tionsstelle ja die Jugendlichen, die beim Werte vorlebt. Sowieso kann nicht ich alleine einen Ju- Kiffen erwischt wurden, in den Kurs für gendlichen vor dem Absturz retten. Rück- Jugendliche mit Cannabisverzeigung. blickend sind es oft Ressourcen aus dem Was gefällt Ihnen an diesem Konzept? Umfeld der Jugendlichen, wie eine neue Von Matt: Solange der Konsum von Mathias von Matt, Sozialarbeiter FH, lebt seit über Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 zwanzig Jahren in der Stadt Zürich und arbeitet seit Freundin oder ein zugewandter Lehr- Cannabis in der Schweiz verboten ist, acht Jahren auf der Jugendanwaltschaft Zürich- meister, die dazu führen, dass ein Jugend- muss der Gesetzgeber den Konsum von Stadt. Dort ist er u. a. für die Kurse für Jugendliche licher zu delinquieren aufhört. Cannabis bestrafen. Bevor das Kursange- mit einer Cannabisverzeigung zuständig. Zudem bot geschaffen wurde, hatten wir nur die leitet er seit fünf Jahren als Co-Trainer verhaltens- l & l: Was ist für Sie ein Erfolgserlebnis? Möglichkeit, den Jugendlichen einen Ver- therapeutisch orientierte Kurse für risikobereite Ver- kehrsteilnehmer für die Bewährungs- und Vollzugs- Von Matt: Mir geht es in der Arbeit mit weis zu erteilen oder sie zu einem gemein- dienste des Kantons Zürich und stellt als Gastdozent meinen Klienten in erster Linie darum, nützigen Arbeitseinsatz oder einer Busse angehenden Sozialarbeitern an der ZHAW die Arbeit weitere, besonders aber schwere Delikte zu verurteilen. Da die Erfahrung zeigte, der Jugendanwaltschaft vor. zu verhindern. Wenn ein von mir betreu- dass keine dieser Strafen etwas am Kon- Brigitte Müller, Texterin und Redaktionsleiterin ter Jugendlicher, der mit einem massiven summuster der Jugendlichen änderte, bin «laut & leise», stellte die Fragen. Gewaltdelikt bei uns eingegangen ist, sich ich sehr froh, dass wir heute mit dem Kurs 12
KAMPAGNE DER STELLEN FÜR SUCHTPRÄVENTION IM KANTON ZÜRICH «Der Köder muss dem Fisch schmecken» Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich haben eine Bannerkampagne lanciert, die junge Erwachsene zum Nachdenken über den eigenen Alkohol- und Cannabiskonsum anregt. «Laut & leise» sprach mit Annett Niklaus darüber, warum die gewählte Zielgruppe schwer zu erreichen ist und warum es mit dieser Kampagne gelingt. Text: Stellen für Suchtprävention des Kanton Zürich laut & leise: Junge Erwachsene sind schwer zu erreichen für die Suchtpräven- tion. Warum ist das so? Annett Niklaus: Junge Erwachsene sind in einer Experimentierphase und die meisten machen sich wenig Gedanken darüber, wie sich ihr heutiges Verhalten langfristig auf ihre Gesundheit auswirkt. Wenn man also eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten anre- gen will, so muss man sich gut überlegen, wie man das macht. Zudem können wir an diese Zielgruppe nicht via Lehrperso- nen, Berufsbildner oder Eltern zugehen, wie das bei Kindern und Jugendlichen noch der Fall ist. Wir haben uns darum entschieden, diese wichtige Zielgruppe mit einer Online-Kampagne anzusprechen. Auf www.suchttest.ch kann man das animierte Banner sehen. l & l: Machen die Stellen so eine Kampa- gne selbst oder geben sie den Auftrag einer Werbeagentur? l & l: Und, hat das auch geklappt? nie so ganz. Die Agentur hatte uns meh- Niklaus: Die Kampagne entstand in en- Niklaus: Ja! Wir haben überdurch- rere unterschiedliche Vorschläge für die ger Zusammenarbeit mit der Werbeagen- schnittliche Klickraten, das heisst, im Ver- Kampagne gemacht und es gab intensive tur Matter Gretener Lesch Communica- gleich zu anderen Werbebannern wird Diskussionen darüber. Der «Suchtkopf», tions und der Webagentur dotpulse. Die auf unsere häufiger geklickt. Wer auf un- den wir am Ende gewählt haben, hat viele kreative Idee kam von der Agentur. Bis sere Banner klickt, der landet auf unseren von uns zunächst nicht begeistert. zum finalen Sujet und Text hat es viele Sit- Selbsttests. Dabei zeigt sich eine weitere zungen und Entwürfe gegeben, das ist Stärke des Kampagnenkonzepts: Die l & l: Warum nicht? normal. Gewisse Dinge haben wir von meisten Personen, die auf dem Test lan- Niklaus: Die Befürchtung war, dass er als Anfang an vorgegeben, etwa dass wir die den, schliessen diesen auch ab. Und sehr abstossend und eklig empfunden wird – jungen Erwachsenen vor allem online an- viele machen gleich noch einen anderen. was natürlich nicht gut gewesen wäre. sprechen wollen. Das ist alles andere als selbstverständlich. Hier haben uns die Agenturen Mut ge- macht: «Der Köder muss dem Fisch l & l: Junge Erwachsene sind ständig on- l & l: Wissen Sie, ob nun tatsächlich junge schmecken, nicht dem Fischer», haben sie line, das ist klar. Gab es noch andere Über- Erwachsene den Test ausfüllen? zu Recht eingeworfen. Wir haben das Su- legungen, die für diesen Kanal sprachen? Niklaus: Ja, das wissen wir. Im Test wird jet vorher der Zielgruppe gezeigt und hat- Niklaus: Kampagnen sind ja ein ver- auch das Alter abgefragt, denn je nach ten positive Reaktionen. Auf Facebook gleichsweise oberflächlicher und indirek- Alter machen wir teilweise andere Emp- werden die Bilder recht häufig weiterge- ter Zugang zu einer Zielgruppe. Zunächst fehlungen. Die Angaben in den Tests wer- sendet, mit Kommentaren wie: «Ha ha, muss es gelingen, dass die Zielgruppe die den – natürlich völlig anonym – ausge- das bist du...» oder, «Hier grad das Rich- Kampagne überhaupt wahrnimmt. Und wertet. Wir wissen darum, dass beispiels- tige für dich!». Aus diesen Kommentaren auch wenn dies klappt, kann man riskan- weise von den rund 11000 Selbsttests und den guten Abschlussraten wird klar, Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 tes Konsumverhalten nicht mit einem zum Alkoholkonsum, die in den zwei dass die Zielgruppe die Kampagne witzig Plakat allein nachhaltig verändern. Je Wochen der letzten Bannerschaltung findet und dass es mit Humor gelingt, ei- besser es gelingt, die Empfänger zu invol- abgeschlossen wurden, 78% aller Ab- nen Zugang zu jungen Erwachsenen zu vieren, desto grösser ist die Chance, dass schlüsse von 18- bis 30-Jährigen gemacht schaffen. etwas hängenbleibt. Mit der Bannerwer- wurden. bung entsteht der Vorteil, ein attraktives Bild mit unseren Online-Selbsttests zu l & l: Die Banner sprechen also die richtige verbinden. Wer auf das Banner klickt, Zielgruppe an. War das für Sie von Anfang Interviewpartnerin Annett Niklaus ist verantwortlich für die Kommunikation von Prävention und landet direkt auf dem Selbsttest. Dieser er- an klar? Gesundheitsförderung Kanton Zürich am Institut möglicht eine vertiefte Auseinanderset- Niklaus: Wir haben es natürlich vermu- für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention zung mit dem eigenen Konsumverhalten. tet und gehofft, aber wissen kann man das der Universität Zürich. 13
MELDUNGEN AUS DER SUCHTPRÄVENTION Die meisten Adressen der zeichnenden Stellen dieser Beiträge finden Sie auf der Rückseite des Heftes MODERNE RAUCHSTOPPHILFE lagen. Die App ist ein Teilprojekt der • «Medikamente bei Kindern und Ju- nationalen SmokeFree-Kampagne und gendlichen.» Verantwortungsvoller Um- «SmokeFree Buddy»-App wurde Ende September 2015 lanciert. gang im Alltag. Tipps für Eltern. (Zusätz- Die «SmokeFree Buddy»-App bietet Per- (BAG/Züri Rauchfrei) liche Sprachen: Arabisch, Farsi, Soma- sonen, die mit dem Rauchen aufhören Download via: www.smokefree.ch lisch, Tigrinya, Thai. Keine italienische möchten, auf innovative Art interaktive Version) Unterstützung. Die App wurde von Spe- In den Sprachen Albanisch, Bosnisch- Kroatisch-Serbisch, Portugiesisch, Spa- nisch und Türkisch erhältlich ist das Falt- blatt: • «Elterliche Regeln für das Nichtrau- chen ihrer Kinder.» Eltern stärken. Die Flyer können auf der Website der ANGEBOTE FÜR MIGRANT/INNEN 1 Stellen für Suchtprävention herunterge- laden oder bestellt werden (im Kanton Flyer für Eltern Zürich bis zu einer gewissen Menge Die Stellen für Suchtprävention im Kan- kostenlos). (EBPI) ton Zürich geben für Eltern verschiedene Download und Bestellen: Flyer und Broschüren heraus. Kurz und www.suchtpraevention-zh.ch > Publikationen > in einfacher Sprache informieren sie Informationsmaterial > Familien über Suchtmittel und Verhaltensweisen mit Abhängigkeitspotenzial und geben Tipps, wie Eltern im Erziehungsalltag mit diesen Themen umgehen können. Die Flyer sind alle auch in Fremdsprachen er- hältlich. In den Sprachen Albanisch, Bosnisch-Kroatisch-Serbisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Tamilisch und Türkisch liegen folgende Flyer vor: zialisten für Rauchentwöhnung entwi- • «Handy, Fernseher, Computer. Ab- ckelt. Aufhörwillige müssen in ihrem hängigkeit vermeiden.» Tipps für Eltern privaten Umfeld eine vertraute Person von 5- bis 12-Jährigen. anfragen, ob sie ihnen beim Rauchstopp • «Internet und neue Medien. Abhän- als Buddy (Buddy: engl. Kamerad/Kum- gigkeit vermeiden.» Tipps für Eltern von pel) zur Seite stehen möchte. Diese Per- 11- bis 16-Jährigen. son wird in der Rolle als Buddy von der • «Trinken, Rauchen und Kiffen bei ANGEBOTE FÜR MIGRANT/INNEN 2 App angeleitet. Sie erhält Tipps, wie sie Jugendlichen.» Was Sie als Eltern, Lehr- die aufhörwillige Person am besten un- personen oder Berufsbildner/in tun FISP auf Facebook terstützen und zum Durchhalten moti- können. Die Fachstelle für interkulturelle Sucht- vieren kann. Gleichzeitig kann die Per- prävention und Gesundheitsförderung son, die mit dem Rauchen aufgehört hat, (FISP) ist seit einiger Zeit auf Facebook jederzeit mit einem Smiley zum Aus- präsent. Auf neun Seiten werden in Suchtprävention, laut & leise, Oktober 2015 druck bringen, wie sie sich fühlt und den neun Sprachen (Deutsch, Englisch, Buddy bei Bedarf um Hilfe bitten. Französisch, Albanisch, Bosnisch/Kroa- Es besteht auch die Möglichkeit, dass tisch/Serbisch, Portugiesisch, Spanisch, zwei Rauchende gemeinsam mit Hilfe Tamilisch, Türkisch) Informationen und der «SmokeFree Buddy»-App aufhören: Tipps zu Suchtprävention und Gesund- Dann übernehmen beide Personen auch heitsförderung verbreitet. Dazu gehören die Rolle als unterstützender Buddy. Die Hinweise auf Broschüren, Websites, App ist einfach zu bedienen, man wird Videos, Selbsttests und auf Radiosen- Schritt für Schritt angeleitet. Die Inhalte dungen/Podcasts, die von der FISP in und Unterstützungsvorschläge der App verschiedenen Sprachen produziert basieren auf wissenschaftlichen Grund- werden. Die Seiten richten sich an Er- 14
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