Leitlinienorientierte Diagnostik und Therapie unipolarer Depressionen in der Hausarztpraxis
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
FORTBILDUNG / CONTINUING MEDICAL EDUCATION 413 Leitlinienorientierte Diagnostik und Therapie unipolarer Depressionen in der Hausarztpraxis Guideline Based Diagnosis and Treatment of Unipolar Depressions in Family Medicine Paul Delker1, Caroline Jung-Sievers1,2, Wilhelm Niebling3, Florian Wolf4, Tom Bschor5, Martin Hautzinger6, Christine Kühner7, Jürgen Matzat8, Henning Schauenburg9, Frank Schneider10, Mathias Berger11, Holger Schulz12, Martin Härter12, Jochen Gensichen1 Hintergrund Background Unipolare Depressionen stellen einen der häufigsten Beratungs- Unipolar depression is one of the most common consultati- anlässe in der Hausarztpraxis dar. Die Erarbeitung von Leitlinien hat ons in family practices, the development of guidelines ap- aufgrund der hohen Prävalenz eine große Relevanz für eine gute pears to be very important for effective treatment of the po- Behandlung der Bevölkerung. pulation. Suchmethodik Search method Leitlinienorientierte Diagnostik und Therapie von unipolarer Guideline-based diagnosis and treatment of unipolar depres- Depression entsprechend der aktuellen Nationalen Versor- sion in line with the current National Health Care Guideline gungsleitlinie (NVL) für Hausärzte. (NVL) for primary care physicians. Wichtigste Botschaften Main messages Die genaue Erfassung von Haupt- und Zusatzsymptomen für ei- The exact recording of major and secondary symptoms is es- ne richtige Klassifikation nach ICD-10 ist essenziell. Bei jedem Pa- sential for a correct classification according to ICD-10. In tienten mit einer depressiven Störung sollte Suizidalität regelmä- each patient with a depressive disorder, suicidality should be ßig, bei jedem Patientenkontakt klinisch eingeschätzt und ggf. assessed on a regular basis and explored if necessary. It is ad- exploriert werden. Es ist ratsam, eine psychosomatische Grund- visable to implement basic psychosomatic care in family versorgung in der Hausarztpraxis umzusetzen. Die alleinige Psy- practice. Psychotherapy alone without psychopharmacologi- chotherapie ohne psychopharmakologische Therapie sollte nur cal therapy should only be recommended for mild and mod- bei leichten und mittelgradigen Episoden empfohlen werden. erate episodes. In severe episodes and chronic courses, com- Bei schweren Episoden und chronischen Verläufen ist die kombi- bined therapy is superior to psychotherapy alone. nierte Therapie der alleinigen Psychotherapie überlegen. Die The choice of antidepressant should be individualized based Wahl des Antidepressivums sollte individualisiert anhand des Ne- on the side effect profile, the patient’s preferences and the benwirkungsprofils, der Patientenpräferenzen und der Erfahrung family physician’s experience. ECG and laboratory control des Hausarztes erfolgen. Eine EKG- und Laborkontrolle ist gege- may be necessary at baseline and during the course. Regular benenfalls zu Therapiebeginn und im Verlauf notwendig. Ein re- therapy monitoring of adherence and treatment effects at gelmäßiges Therapiemonitoring von Adhärenz und Behand- fixed intervals is essential. In order to reduce the likelihood of lungseffekten in fest vereinbarten Intervallen ist essenziell. Zur recurrence, the minimum therapy duration and necessity of Verminderung der Rezidivhäufigkeit sollten Mindesttherapiedau- maintenance and recurrence prevention in psycho- and er und Notwendigkeit von Erhaltungs- und Rezidivprophylaxe pharmacotherapy should be considered. bei Psycho- und Pharmakotherapie beachtet werden. Conclusions Schlussfolgerungen Due to the long-term doctor-patient relationship, the family Aufgrund der langjährigen Arzt-Patient-Beziehung kommt physician has a major role in the diagnosis and treatment of de- dem Hausarzt* eine Schlüsselrolle bei der Diagnose und Thera- pression in the health care sector. pie der Depression im gestuften Gesundheitswesen zu. Keywords Schlüsselwörter Primary health care; depressive disorder; evidence-based Allgemeinmedizin; Depression; evidenzbasierte Leitlinie guideline * Die Nennung der männlichen Form schließt weibliche Kolleginnen sowie Patientinnen ein und wurde aufgrund der einfacheren Lesbarkeit gewählt. 1 Klinikum der Universität München, Institut für Allgemeinmedizin, 2 Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung, Pettenkofer School of Public Health, Lud- wig-Maximilians-Universität (LMU) München, 3 Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Lehrbereich Allgemeinmedizin, 4 Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemein- medizin 5 Schlosspark-Klinik Berlin, Abteilung für Psychiatrie, 6 Eberhard Karls Universität Tübingen, Fachbereich Psychologie, 7 Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim, 8 Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V., 9 Universitätsklinikum Heidelberg, Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, 10 Universitätsklinikum Düsseldorf, 11 Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie ,12 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie DOI 10.3238/zfa.2019.0413–0418 © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2019; 95 (10)
Delker et al.: Leitlinienorientierte Diagnostik und Therapie unipolarer Depressionen in der Hausarztpraxis 414 Guideline Based Diagnosis and Treatment of Unipolar Depressions in Family Medicine Hintergrund Depressionen zählen zu den häufigs- ten Erkrankungen. Die Zwölf-Monats- prävalenz in der Allgemeinbevölke- rung ist 7,7 %, die Lebenszeitpräva- lenz liegt national wie international bei ca. 16–20 % [1]. Die Erarbeitung von Leitlinien hat bei einer so hohen Prävalenz große Relevanz für eine gute Behandlung der Bevölkerung. Die Be- deutung des Themas „Psychische Ge- sundheit“ in Deutschland reflektiert auch die Debatte im Rahmen des Deutschen Ärztetags 2018 in Erfurt [2]. Unipolare Depressionen stellen ei- nen häufigen Beratungsanlass in der Hausarztpraxis dar. Allein durch den Hausarzt werden 59 % der Diagnosen und gemeinsam mit einen Fachspezia- listen bzw. Psychotherapeuten weitere 15 % der Diagnosen gestellt. Die All- gemeinmedizin spielt somit eine Schlüsselrolle in der Versorgung de- pressiver Patienten [3]. Suchmethodik Ziel des Artikels ist eine Aufbereitung der leitlinienorientierten Diagnostik und Therapie von unipolarer Depres- sion entsprechend der aktuellen Na- tionalen Versorgungsleitlinie (NVL) „Unipolare Depression“ zur Anwen- dung im hausärztlichen Setting. Wenn nicht anders gekennzeichnet, wird auf die Leitlinie Bezug genom- men [1]. In dieser ist eine systemati- sche Evidenzrecherche erfolgt. Im Abbildung 1 Diagnosestellung und Einteilung depressiver Episoden nach Schweregrad Konsensusverfahren einigten sich die erfolgen anhand von Haupt- und Zusatzsymptomen. Der Schweregrad wird nach Inter- beteiligten 31 Fachgesellschaften, national Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10) einge- teilt. Entnommen aus [1]. Verbände und Patientenvertreter auf die Empfehlungen. Freudlosigkeit, schnellerer Ermüdbar- oder schwerer (Fxx.2 und Fxx.3) de- Antworten auf häufige keit sowie unterschiedlich stark aus- pressiver Störung unterschieden. Fragen geprägten Zusatzsymptomen. Die Einteilung nach Schweregrad Für die Diagnose einer unipolaren erfolgt anhand der Anzahl der 1. Wie erfolgen Diagnose- Depression (unipolare Episode) muss Haupt- und Zusatzsymptome. Diese stellung und Klassifikation eine Symptomdauer von mehr als müssen, wie in Abbildung 1 dar- nach ICD-10? zwei Wochen bestehen, bei schweren gestellt, erfasst und beurteilt wer- Die unipolare depressive Störung wird Episoden können auch kürzere Ver- den. Anpassungsstörungen (F43.x) nach International statistical classificati- läufe berücksichtig werden. Im Ver- oder Probleme mit Bezug auf on of diseases and related health pro- lauf können depressive Störungen Schwierigkeiten bei der Lebens- blems (ICD-10) von bipolaren, mani- voll oder nur teilweise remittieren bewältigung, wie Burn-out, (Z73) schen, gemischten und der Zyklothy- oder chronisch verlaufen. Wenn es werden davon abgegrenzt. mie als anhaltenden affektiven Stö- zu wiederholten Episoden kommt, Zur unipolaren Depression zählt rungen abgegrenzt. spricht man von einer rezidivieren- auch die Dysthymie (F34.1), diese Eine unipolare Depression (uni- den depressiven Störung (F33.xx). zeichnet sich durch über mindestens polare Episode) ist charakterisiert Die monophasischen Verläufe wer- zwei Jahre andauernde depressive durch gedrückte, depressive Stim- den unter F32.xx aufgeführt. Verstimmungen aus. Eine Unterschei- mung. Abhängig vom Schweregrad Nach ICD-10 wird zwischen leich- dung nach der Schwere ist nicht vor- mit starkem Interessensverlust, ter (Fxx.0), mittelgradiger (Fxx.1) gesehen, weil sie sich gerade dadurch © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2019; 95 (10)
Delker et al.: Leitlinienorientierte Diagnostik und Therapie unipolarer Depressionen in der Hausarztpraxis Guideline Based Diagnosis and Treatment of Unipolar Depressions in Family Medicine 415 auszeichnet, dass sie die Kriterien bevölkerung. Deshalb sollte Suizida- Bei erneuten Symptomen (Episo- bzw. die Symptomanzahl selbst für ei- lität regelmäßig bei jedem Patienten- de) nach vollständiger Genesung ne leichte depressive Episode nicht kontakt klinisch eingeschätzt und wird dies als Rezidiv bezeichnet. erfüllt. gegebenenfalls exploriert werden. Symptome können durch gezielte Bei der aktiven Exploration sollen Fragen oder Fragebögen, wie z.B. den 2. Welche diagnostischen suizidale Gedanken, Impulse und bereits erwähnten PHQ-D, im Verlauf Hilfsmittel gibt es? Pläne erfragt werden. Wenn eine festgehalten werden. Zum Screening auf Depression kön- akute Suizidgefährdung vorliegt und nen zwei Fragen verwendet werden eine Absprachefähigkeit bis zum 7. Welche Therapiegrundsätze (Sensitivität 96 %, Spezifität 57 %): nächsten Termin nicht gegeben ist, gibt es für die Akutbehandlung? • „Fühlten Sie sich im letzten Monat sollte notfallmäßig in eine psychi- In der Akuttherapie können vier ver- häufig niedergeschlagen, traurig, atrische, gegebenenfalls stationäre schiedene Behandlungspfade unter- bedrückt oder hoffnungslos?“ Behandlung überwiesen werden. schieden werden. Es kann ein aktiv • „Hatten Sie im letzten Monat deut- abwartendes Begleiten, eine medika- lich weniger Lust und Freude an 5. Welche allgemeinen mentöse Therapie, eine psychothera- Dingen, die Sie sonst gerne tun?“ Therapiegrundsätze gibt es? peutische Behandlung sowie eine Die Therapie sollte partizipativ gestal- Kombinationstherapie empfohlen Diese Fragen sollten z.B. bei neuen tet werden, der Patient soll über die werden. Als nicht medikamentöses Patienten oder bei Patienten mit Diagnose und Erkrankung informiert somatisches Verfahren sollte körperli- chronischen körperlichen Erkran- und in den Entscheidungsprozess über ches Training, wenn keine Kontra- kungen regelmäßig gestellt werden. Therapiemöglichkeiten eingebunden indikationen bestehen, in Form von Die Diagnostik in der Hausarztpra- werden. Dies gilt auch, das Patienten- strukturierten und supervidierten xis kann ebenfalls durch Fragebögen einverständnis vorausgesetzt, für die körperlichen Übungen empfohlen erleichtert werden, die von Patien- Angehörigen. Das Therapieziel ist die werden. ten gut akzeptiert werden. Ein Bei- vollständige Remission und damit ver- spiel hierfür ist der „Gesundheitsfra- bundene Wiederherstellung der beruf- 8. Wie kann die psycho- gebogen für Patienten“ (englisch: lichen und psychosozialen Leistungs- somatische Grundversorgung patient health questionnaire – depres- fähigkeit und Teilhabe. Des Weiteren in der Hausarztpraxis erfolgen? sion (PHQ-D)). sollen die Mortalität durch Suizide In der Hausarztpraxis kann die Basis- und die Wahrscheinlichkeit eines behandlung bei allen Patienten mit 3. Welche Differenzialdiagnosen Rückfalls reduziert werden. Depression gut umgesetzt werden, da kommen in Frage? in der Regel ein Vertrauensverhältnis Bei unterschiedlichen psychischen Stö- 6. Welche Behandlungsphasen bereits besteht. rungen können depressive Symptome gibt es in der Therapie? Grundlage jeder Basisbehandlung auftreten bzw. als Komorbidität vorlie- Die Therapie wird entsprechend des sollten die Entwicklung und die Auf- gen. Differenzialdiagnostisch sollte an Schweregrads der Episode festgelegt. rechterhaltung einer tragfähigen the- Angst- und Panikstörungen, Substanz- Dabei werden die Behandlungspha- rapeutischen Beziehung sein, deren missbrauch, Ess- oder Persönlichkeits- sen in Akuttherapie, Erhaltungsthe- Qualität in der Regel zum Behand- störungen, aber auch an somatoforme rapie und Rezidivprophylaxe unter- lungserfolg beiträgt. Störungen gedacht werden. schieden. Die psychiatrisch-psychothera- Außerdem sollten bei Verdacht Zur besseren Unterteilung werden peutische Basisbehandlung beinhal- mögliche organische Ursachen für verschiedene Symptomveränderun- tet insbesondere: die depressive Störung, wie z.B. Hy- gen definiert. Eine Symptomredukti- • aktives flexibles und stützendes Vor- pothyreose, Schlaganfall oder Multi- on um mehr als 50 % wird als Re- gehen, Vermittlung von Ermuti- ple Sklerose ausgeschlossen werden. sponse (Ansprechen) bezeichnet. Re- gung und Hoffnung Des Weiteren sollte differenzial- mission bedeutet eine vollständige • empathische Kontaktaufnahme, diagnostisch eine Trauerreaktion ab- Wiederherstellung des Ausgangs- Aufbau einer vertrauensvollen Be- gegrenzt werden. Trauerreaktionen zustands, also nahezu Symptomfrei- ziehung verlaufen typischerweise ohne vege- heit nach durchgeführter Akutthera- • regelmäßige (wöchentliche, 14-tägi- tative Symptome, die Schwingungs- pie. Die Erhaltungstherapie schließt ge) Termine fähigkeit bleibt erhalten. Trauerre- sich nach der Erreichung einer Re- • Exploration des subjektiven Krank- aktionen lassen üblicherweise inner- mission an. heitsmodelles, Klärung aktueller halb von zwei Monaten nach dem für Wenn während der Erhaltungs- Motivationen und der Therapie- die Trauer ursächlichen Verlust nach. therapie erneut depressive Symptome erwartungen des Patienten im Sinne einer Episode auftreten, • Vermittlung eines Verständnisses 4. Wie sollte mit Suizidalität spricht man von einem Rückfall. Erst der Symptome, ihrer Behandelbar- umgegangen werden? wenn sechs Monate nach Remission keit und ihrer Prognose, Vermitt- Bei Patienten mit einer depressiven keine erneuten Symptome aufgetre- lung eines „biopsychosozialen Störung ist das Suizidrisiko bis zu ten sind, kann von einer vollständi- Krankheitsmodelles“ zur Entlas- 30-mal höher als in der Allgemein- gen Genesung gesprochen werden. tung des Patienten von Schuldge- © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2019; 95 (10)
Delker et al.: Leitlinienorientierte Diagnostik und Therapie unipolarer Depressionen in der Hausarztpraxis 416 Guideline Based Diagnosis and Treatment of Unipolar Depressions in Family Medicine fühlen, Selbstvorwürfen und Ver- chern oder Online-Programmen. An- deren Interventionen. Patienten mit sagensgefühlen geleitete Selbsthilfe stellt mehr als mittelgradiger depressiver Störung • Klärung aktueller äußerer Problem- das Aushändigen von Literatur dar. soll eine Therapie mit einem Antide- situationen, Entlastung von zurzeit Der Patient nutzt unter Begleitung pressivum oder eine Psychotherapie überfordernden Pflichten und An- durch einen Arzt oder psychologi- angeboten werden. sprüchen am Arbeitsplatz und in schen Psychotherapeuten Selbsthil- der familiären Situation fematerialien. Dabei unterstützt der 13. Welche Aspekte sind bei der • Verhinderung depressionsbedingter Behandler den Einsatz, führt ein Mo- Auswahl des Antidepressivums Wünsche nach überstürzter Ver- nitoring durch und überprüft die Er- zu beachten? änderung der Lebenssituation, Un- gebnisse. Ein Beispiel hierfür ist das Generell ist bei der Auswahl des pas- terstützung beim Formulieren und „iFightDepression“-Tool der Stiftung senden Antidepressivums eine an Erreichen konkreter, erreichbarer Deutsche Depressionshilfe [4] oder den Patienten und den behandeln- Ziele zum Wiedergewinnen von Er- das Online-Therapieprogramm „De- den Arzt angepasste Entscheidung zu folgserlebnissen (positive Verstärker) prexis24“ [5]. treffen. So sollte berücksichtigt wer- • Vermittlung von Einsicht in die in- den, welche Anwendungserfahrun- dividuelle Notwendigkeit adäquater 11. Wann ist Psychotherapie gen der behandelnde Arzt hat und Therapien (z.B. Antidepressiva, eine Behandlungsoption? welche Medikamente beim Patien- Richtlinien-Psychotherapie) Wenn die eingesetzten Behand- ten in eventuellen früheren Krank- • Einbezug von Angehörigen, Stärken lungsmöglichkeiten nicht zur Besse- heitsepisoden angesprochen haben. der Ressourcen rung der Symptomatik geführt ha- Ein weiteres wichtiges Auswahlkri- • Ansprechen von Suizidgedanken ben, sollen dem Patienten spezi- terium ist die Verträglichkeit. Selektive und -impulsen, Erarbeitung eines fische Therapieverfahren angeboten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Krisenmanagements. werden. Diese werden durch ärzt- (SSRI) haben im Vergleich zu trizykli- liche oder psychologische Psycho- schen Antidepressiva (TZA) ein ande- 9. Wie erfolgt die Therapie therapeuten durchgeführt. Von den res Nebenwirkungsprofil. Bei TZA leichter und mittelgradiger Gesetzlichen Krankenversicherun- kommt es häufiger zu schweren Ne- depressiver Episoden? gen (GKV) werden als Behandlungs- benwirkungen wie kardialen Block- In der Akutbehandlung leichter de- formen die Verhaltenstherapie, psy- bildungen und Rhythmusstörungen, pressiver Episoden kann durch eine choanalytisch begründete Verfah- Harnverhalt oder einem Delir. Außer- aktiv abwartende Begleitung (s.o.) ren sowie nach Neuaufnahme die dem sollte beachtet werden, dass ei- von einer depressionsspezifischen systemische Therapie erstattet [6]. ne Wochenration TZA letal sein Behandlung zunächst abgesehen Zur Stabilisierung des Therapie- kann. Bei suizidalen Patienten soll- werden, wenn angenommen wer- erfolgs sowie zur Senkung des Rück- ten im ambulanten Bereich deshalb den kann, dass die Symptomatik fallrisikos soll im Anschluss an eine nur kleine Packungsgrößen verord- auch ohne depressionsspezifische Akutbehandlung eine angemessene net werden. Behandlung abklingt. psychotherapeutische Nachbehand- Bei der Verordnung von Antide- Hält eine leichte depressive Episo- lung (Erhaltungstherapie) angebo- pressiva sollte außerdem die Hand- de länger als 14 Tage an, sollte mit ten werden. habbarkeit bedacht werden. So ver- dem Patienten über eine Intensivie- Längerfristige stabilisierende langen TZA eher eine individuelle rung der Behandlung gesprochen Psychotherapie (Rezidivprophylaxe) Titrierung und Kontrolle (schrittwei- werden. soll Patienten mit einem erhöhten ses Aufdosieren und EKG-Kontrol- Risiko für ein Rezidiv angeboten len) als SSRI oder neuere Antidepres- 10. Welche niederschwelligen werden. siva. Des Weiteren sollte bei der Angebote gibt es? Auswahl stets auf Komorbiditäten Bei leichten depressiven Episoden 12. Wann ist pharmakologische und Arzneimittelinteraktionen ge- können niederschwellige Angebote Therapie eine Behandlungs- achtet werden. Für weitere Informa- an Patienten adressiert werden, falls option? tionen ist eine Tabelle aus der Leitli- die psychosomatische Grundversor- Die Pharmakotherapie in der Akut- nie über Neben- und Wechselwir- gung nicht ausreicht und gleichzei- phase ist vor allem bei mittleren und kungen als Supplement 1 elektro- tig eine Richtlinienpsychotherapie schweren depressiven Episoden emp- nisch aufrufbar. noch nicht in Frage kommt oder fohlen. Bei leichten depressiven Epi- Wenn bei leichten oder mittelgra- nicht gewünscht wird. soden sollten Antidepressiva nur digen Depressionen eine medikamen- Der Patient sollte über weitere nach kritischer Abwägung Verwen- töse Therapie erwogen wird, kann ein Hilfsangebote wie lokale Anlaufstel- dung finden. Für die Anwendung Therapieversuch mit Johanniskraut len, Vereine, Selbsthilfegruppen und spricht ein entsprechender Patienten- unternommen werden. Bei Einnah- Sozialberatungsstellen informiert wunsch, gutes Ansprechen in der Ver- me sollen die Patienten über die un- werden. gangenheit, Episoden mittelgradiger terschiedliche Wirkstärke der verfüg- Außerdem besteht die Möglich- oder schwerer Depressionen in der baren Zubereitungen und die sich da- keit der qualifizierten angeleiteten Vorgeschichte des Patienten oder das raus ergebenden Unsicherheiten in- Selbsthilfe z.B. mit Selbsthilfebü- Fortbestehen der Symptome nach an- formiert werden. Eine Aufklärung soll © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2019; 95 (10)
Delker et al.: Leitlinienorientierte Diagnostik und Therapie unipolarer Depressionen in der Hausarztpraxis Guideline Based Diagnosis and Treatment of Unipolar Depressions in Family Medicine 417 ebenfalls über mögliche schwere der Patient ausreichend mitarbeitet in gleicher Höhe wie bei der Akut- Wechselwirkungen von Johannis- und die angemessene Dosis zuverläs- therapie gewählt werden. Patienten kraut mit anderen Medikamenten sig einnimmt (Adhärenz). Eine Se- sollten auf die Möglichkeit des Auf- (einschließlich oralen Kontrazeptiva, rumspiegelbestimmung kann zum tretens von Symptomen beim Abset- Antikoagulantien und Antiepileptika) Therapiemonitoring bei Nichtanspre- zen hingewiesen werden. erfolgen. chen hilfreich sein. Bei zu niedrigem Serumspiegel sollte eine Dosisanpas- 17. Was ist in der Therapie von 14. Welche Besonderheiten sung entsprechend der Hersteller- schweren depressiven sind bei Therapiebeginn zu angaben erfolgen. Dies gilt jedoch Episoden zu beachten? beachten? nicht für SSRI. Bei schweren depressiven Episoden Die Therapie sollte bei TZA oder se- Wenn ein adäquater Serumspie- soll eine Kombinationsbehandlung dierenden Antidepressiva mit einer gel vorliegt, kann bei weiterem von Psychotherapie und Pharmako- sog. Anfangsdosis gestartet werden Nichtansprechen eine Augmentati- therapie angeboten werden. Wenn und langsam unter Beachtung der bei einer schweren Episode ein allei- Wirkung und Nebenwirkungen ge- niges Behandlungsverfahren in Be- steigert werden. Bei SSRI wie z.B. Ci- tracht gezogen wird, soll bei ambu- talopram ist eine Anfangsdosis nicht lant behandelbaren Patienten eine notwendig. Eine Halbierung der An- alleinige Psychotherapie gleichwer- fangsdosis bei älteren Patienten ist tig zu einer alleinigen medikamentö- nur bei Gabe von TZA notwendig. sen Therapie angeboten werden. Erst ab Erreichen der Standarddosis Bei schweren depressiven Episo- sollte vier Wochen, bei älteren Pa- den ist eine Überweisung zur Weiter- tienten sechs Wochen, abgewartet oder Mitbehandlung an einen fach- und im Anschluss evaluiert werden, spezifischen Arzt bzw. Psychothera- ob ein Ansprechen erfolgt ist. Eine peuten empfohlen. Paul Delker … Übersichtstabelle zu Wirkstoffen … ist Arzt in Weiterbildung und seit und Therapieempfehlungen aus der 2018 Teilnehmer des LMU Führungs- Schlussfolgerungen Leitlinie ist als Supplement 2 elek- kräfteprogramms Weiterbildung All- Dem Hausarzt kommt eine besondere tronisch aufrufbar. gemeinmedizin „Hausarzt 360°“ am Rolle als erstem Ansprechpartner in Vor Beginn einer Therapie mit Klinikum der Universität München. der Versorgung depressiver Störungen Antidepressiva sollten das Blutbild zu. Vor allem in der Akut- und Erhal- und die Transaminasen bestimmt tungstherapie von monophasischen werden. Wegen der Effekte auf die leichten und mittelgradigen depressi- Reizleitung von TZA mit der Gefahr on mit Lithium oder Antipsychoti- ven Störungen können Hausärzte ei- von Blockbildungen und Arrhyth- ka erwogen werden, hierfür emp- genständig therapieren. mien sowie wegen des Risikos der fiehlt sich die Überweisung an ei- Eine Überweisung zur Weiter- QTc-Zeit-Verlängerung unter SSRI nen Facharzt für Psychiatrie und oder Mitbehandlung an einen Fach- (insbesondere in höheren Dosierun- Psychotherapie bzw. Nervenheil- spezialisten bzw. Psychotherapeuten gen) sind EKG-Kontrollen notwendig. kunde. wird empfohlen bei schweren depres- Diese sollten vor Behandlungs- siven Störungen, Rückfall, Therapie- beginn, nach Aufdosierung und ab- 16. Wie erfolgen pharmako- resistenz, Suizidalität oder verkompli- hängig von der Dosierung auch im logische Erhaltungstherapie zierenden Komorbiditäten. Verlauf durchgeführt werden. und Rezidivprophylaxe? Durch das häufig über Jahre ge- Ein Therapiemonitoring sollte in Nach Remission soll die Dosierung wachsene Arzt-Patienten-Verhältnis den ersten vier Wochen wöchentlich des Antidepressivums als Erhal- ist die Hausarztpraxis oft der Ort, erfolgen. Bei einem Ansprechen sollte tungstherapie vier bis neun Monate an welchem Patienten als Erstes die Medikation bis zur Remission fortgesetzt werden, um das Rückfall- Hilfe suchen und auch die notwen- fortgesetzt werden, die Monitoring- risiko zu vermindern. Eine Dosisre- dige, auf der gegenwärtig besten ex- intervalle können schrittweise auf duktion impliziert ein erhöhtes ternen Evidenz beruhende und zwei bis vier Wochen und nach drei Rückfallrisiko, weshalb die antide- gleichzeitig individuell angepasste Monaten auf längere Intervalle ge- pressive Therapie schrittweise über Hilfe finden. steigert werden. einen Zeitraum von vier Wochen re- duziert werden sollte. Patienten, Interessenkonflikte: 15. Wie sollte mit dem welche mindestens zwei depressive C. Jung-Sievers: Erstattung von Kongress- Nichtansprechen auf die Episoden mit bedeutsamen Ein- kosten und Vortragshonorare durch die Pharmakotherapie schränkungen in der jüngeren Ver- Firma Pfizer umgegangen werden? gangenheit erlebten, sollte eine Re- M. Hautzinger: Beteiligung an der Ent- Bei Non-Response sollte überprüft zidivprophylaxe angeboten werden. wicklung des Online-Angebots „depre- werden, ob konkrete Ursachen dafür Diese ist für mindestens zwei Jahre xis24“, in diesem Zusammenhang vorliegen. Abgeklärt werden sollte, ob durchzuführen. Die Dosierung sollte mehrfache Einladungen zu Fortbildungs- © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2019; 95 (10)
Delker et al.: Leitlinienorientierte Diagnostik und Therapie unipolarer Depressionen in der Hausarztpraxis 418 Guideline Based Diagnosis and Treatment of Unipolar Depressions in Family Medicine veranstaltungen, die von der Firma Ser- Literatur to mild depression. BMC Psychiatry vier gesponsert waren. Forschungsför- 2017; 17: 143 1. DGPPN B, KBV, AWMF (Hrsg.). Für derung durch die Deutsche Forschungs- die Leitliniengruppe Unipolare De- 5. Klein JP, Berger T, Schröder J, et al. Ef- gemeinschaft und das Bundesministeri- um für Bildung und Forschung. Berater- pression. S3-Leitlinie/Nationale Ver- fects of a psychological internet inter- tätigkeit bei der KBV (Entwicklung DMP- sorgungsLeitlinie Unipolare Depressi- vention in the treatment of mild to mo- Depression) on – Langfassung, 2. Auflage. Version derate depressive symptoms: results of 5, 2015. www.leitlinien.de/nvl/depres the EVIDENT study, a randomized con- Alle weiteren Autoren erklären keine Inte- sion (letzter Zugriff am 10.04.2019) trolled trial. Psychother Psychosom ressenkonflikte. 2016; 85: 218–228 2. Bühring P. Deutscher Ärztetag in Er- furt: Mehr Aufmerksamkeit für psy- 6. Gemeinsamer Bundesausschuss. Pres- Zusatzmaterial im Internet chische Erkrankungen. Dtsch Arztebl semitteilung 40: Nutzen und medizi- (www.online-zfa.de/) International 2018; 115: 812–814 nische Notwendigkeit der systemi- schen Therapie anerkannt. 2018. • eSupplement 1 S3-Leitlinie/NVL 3. Melchior H, Schulz H, Härter M, Wal- www.g-ba.de/presse/pressemitteilun Unipolare Depression: Antidepressi- ker J, Ganninger M. Faktencheck Ge- gen/775/ (letzter Zugriff am vagruppen mit unerwünschten Arz- sundheit – Regionale Unterschiede in 10.04.2019) neimittelwirkungen, Wechselwir- der Diagnostik und Behandlung von Depressionen. 1. Auflage. Gütersloh: kungen und Kontraindikation Bertelsmann Stiftung 2014:67 Korrespondenzadresse • eSupplement 2 S3-Leitlinie/NVL 4. Justicia A, Elices M, Cebria AI, et al. Paul Delker Unipolare Depression: Antidepressi- Rationale and methods of the iFight- Institut für Allgemeinmedizin va – Wirkstoffe gegliedert nach Depression study: a double-blind, Klinikum der Ludwig-Maximilians- Wirkstoffgruppen mit Angaben zu randomized controlled trial evalua- Universität München Dosierung, Plasmaspiegel und Mo- ting the efficacy of an internet-based Pettenkoferstr. 8a, 80336 München nitoring self-management tool for moderate paul.delker@med.uni-muenchen.de Save the Date Mitgliederversammlung 2019 und Seminar Lehre und Didaktik in Dresden: 15./16. November 2019 GHA-Botschafter*innentreffen in Hannover: 25. Januar 2020 45. GHA-Symposium in Baierbrunn: 16./17. Mai 2020 Mitgliederversammlung 2020 und Seminar Lehre und Didaktik in Halle: 20./21. November 2020 © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2019; 95 (10)
S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung 2. Auflage, Version 5 Anhang 4 Antidepressivagruppen mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen, Wechselwirkungen und Kontraindikation (mod. nach [478] und dort zitierten Quellen) Siehe Kapitel 3.4: Pharmakotherapie Unerwünschte Interaktionen/Arzneimittel- Kontraindikation (KI) Arzneimittelwirkungen (UAW) Wechselwirkungen (WW) Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA) – Nichtselektive Monoamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI) Aufgrund der Vielzahl der Neben- Verstärkung der anticholinergen Akute Intoxikationen mit zentral wirkungen und ihrer Variabilität und/oder sedierenden Effekte bei dämpfenden Stoffen inkl. Alkohol. zwischen den einzelnen Stoffen Kombination mit anderen Anticho- Unbehandeltes Engwinkelglau- werden hier nur für die Wirkstoff- linergika oder zentral-dämpfenden kom. Akute Harnverhaltung, Py- gruppe typische UAW aufgeführt. Stoffen: Antihistaminika, Parkin- lorusstenose, paralytischer Ileus. Näheres siehe Fachinformationen sonmittel, Hypnotika/Sedativa/ Schwere Herz-Kreislauf-Erkran- oder spezielle Übersichtsliteratur. Tranquilizer, Neuroleptika, Anäs- kungen. Vorsicht bei Prostatahy- Anticholinerge Effekte: Mundtro- thetika, Alkohol (pharmakodyna- pertrophie, intestinalen Stenosie- ckenheit, Miktions- und Akkommo- mische Interaktionen (pd)); ver- rungen, schweren Leberschäden, dationsstörungen, Obstipation, minderte antihypertensive Wirkung erhöhter zerbraler Krampfbereit- Hypohidrose, Ileus, Glaukomanfall; von Methyldopa oder Clonidin schaft, Störung der Blutbildung, Gewichtszunahme; Sedierung; (pd); Wirkungsverstärkung von zerebrovaskulären Störungen und Orthostase-Reaktionen: Blut- Sympathikomimetika (z. B. Blut- kardialer Vorschädigung, insbe- druckabfall, Tachykardie, Schwin- druckkrisen oder Arrhythmien bei sondere Reizleitungsstörungen del; kardiale Erregungsleitungsstö- sympathomimetikahaltigen Lokal- (Vorsicht bei Patienten mit vorbe- rungen; Ödeme; Blutbildungsstö- anästhetika) (pd); Kombination mit stehendem Schenkelblock). Stren- rungen; Leberwerterhöhung. nichtselektiven MAO-Hemmern ge Indikation vorausgesetzt, ist (Tranylcypromin) vermeiden (hy- Schwangerschaft, insbesondere pertone Krisen, Hyperpyrexie, nach dem 1. Trimenon, keine ab- Krampfanfälle) (pd), Wirkungsver- solute KI. In der Stillzeit sollen TZA stärkung von oralen Antikoagulan- nicht genommen werden. tien (pharmakokinetische Interakti- onen (pk)); Wirkungsverstärkung durch die SSRI Fluoxetin, Fluvo- xamin, Paroxetin, einige Antipsy- chotika (Levomepromazin, Melpe- ron, Thioridazin), Cimetidin (pk); Wirkungsabschwächung (Enzym- induktion) durch Antiepileptika (Phenytoin, Carbamazepin, Bar- biturate), Rifampicin, Johannis- kraut (pk), orale Kontrazeptiva bzw. Zigarettenrauchen möglich. Clomipramin: Eine Kombination auch mit reversiblen MAO-Hem- mern vermeiden (lebensgefährli- ches serotonerges Syndrom). © 2015 181
S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung 2. Auflage, Version 5 Unerwünschte Interaktionen/Arzneimittel- Kontraindikation (KI) Arzneimittelwirkungen (UAW) Wechselwirkungen (WW) Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Häufig gastrointestinale (Übelkeit, Bei gleichzeitiger Verordnung von Kombination mit MAO- Erbrechen) sowie exzitatorische SSRI und anderen Medikamenten Hemmstoffen (s. links). Akute Al- (Unruhe und Schlafstörungen) ist vorherige genaue Information kohol-, Schlafmittel-, Analgetika- UAW; Kopfschmerzen. Häufig über potentiell gefährliche WW und Psychopharmakavergiftungen. Störungen der Sexualfunktion, notwendig (Fachinformation)! Die Schwere Leber- oder Nierenfunkti- insbesondere verzögerte Ejakula- CYP-inhibierende Wirkung von onsstörungen, erhöhte Krampfbe- tion sowie Orgasmusstörungen bei Sertralin, Escitalopram und Ci- reitschaft. Zumindest im 1. Tri- beiden Geschlechtern. Reversible talopram ist deutlich schwächer als menon der Schwangerschaft soll- Beeinträchtigung der Spermien- die von Fluoxetin, Fluvoxamin und ten SSRI nicht eingenommen wer- qualität. Blutungsneigung kann Paroxetin, die von Vortioxetin ist den, wenngleich neuere Studien erhöht sein. Gelegentlich Haut- vernachlässigbar. Kombination mit kein erhöhtes teratogenes Risiko ausschläge (absetzen, wenn Fie- MAO-Hemmern ist kontraindiziert, unter Fluvoxamin, Fluoxetin, Paro- ber und immunallergische Symp- Vorsicht bei Kombination mit Tra- xetin und Sertralin berichtet haben. tome hinzutreten!). Hyponatriämie, madol: serotonerges Syndrom Besondere Vorsicht bei long-QT- SIADH. Dosisabhängige Verlänge- (Bauchkrämpfe, Kleinhirnzeichen, Syndrom. rung der QTc-Zeit im EKG mit Myoklonus, Verwirrtheit, Schwit- Risiko potentiell lebensbedrohli- zen, Tachykardie, Hypertonie), cher Herzrhythmusstörungen, ins- auch Serotonin-Präkursoren (Tryp- besondere bei Fluoxetin, Ci- tophan, Oxitriptan) oder Carbama- talopram und Escitalopram [489]. zepin meiden (pd). Nebenwir- Selten extrapyramidalmotorische kungsverstärkung auch bei Kom- Störungen. Gelegentlich Sinus- bination mit Johanniskraut. Lithi- bradykardie. Im Vergleich zu TZA um: Verstärkung serotonerger sehr viel geringere anticholinerge, Wirkungen möglich (pd). Verstär- adrenolytische, antihistaminerge kung der Blutungsneigung durch und kardiotrope UAW. Citalopram: Azetylsalizylsäure, NSAR und Kumulationsgefahr bei alten Pati- orale Antikoagulanzien (Gerin- enten und Leberinsuffizienz. Alle nungsparameter) (pk). Risiko für SSRI außer Fluoxetin: Entzugs- QTc-Zeit-Verlängerung im EKG symptome bei abruptem Absetzen; und Gefahr potentiell letaler Herz- bei Niereninsuffizienz (Serum- rhythmusstörungen steigt bei Ko- Kreatinin > 2,7 mg/dl) oder schwe- medikation mit anderen QTc-Zeit- rer Leberinsuffizienz Dosis redu- verlängernden Pharmaka. Fluoxe- zieren. Sertralin: Dosisreduktion tin und Paroxetin hemmen den bei Leberinsuffizienz. CYP2D6-abhängigen Metabolis- mus einiger anderer Arzneistoffe (z. B. trizyklische Antidepressiva, Antipsychotika vom Phenothiazin- Typ, Metoprolol, Klasse-Ic- Antiarrhythmika, Codein u. a.), Fluvoxamin den CYP1A2- abhängigen Metabolismus von Arzneistoffen (z. B. einige TZA, Clozapin, Melatonin, Theophyllin, Zotepin) bei denen Dosisreduktio- nen erforderlich sind (pk). Enzym- induktoren (Phenytoin, Rifampicin, Phenobarbital) können den Abbau von SSRI beschleunigen (pk). © 2015 182
S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung 2. Auflage, Version 5 Unerwünschte Interaktionen/Arzneimittel- Kontraindikation (KI) Arzneimittelwirkungen (UAW) Wechselwirkungen (WW) Monoaminoxidase (MAO)-Inhibitoren Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Keine Kombination mit serotoner- Akute Alkohol-, Schlafmittel-, gel. gastrointestinale Störungen, gen Substanzen: SSRI, Clomipra- Analgetika- und Psychopharmaka- Schlafstörungen, Unruhe. Bei Diät- min, Tryptophan, Triptanen, Si- vergiftung. Phäochromozytom fehler (Konsum größerer Mengen butramin, Selegilin, Duloxetin oder oder Thyreotoxikose. Möglichst von Tyramin) unter Tranylcypro- Venlafaxin (pd). Die Wirkung von nicht einsetzen bei Suizidalität min-Medikation Gefahr potentiell Sympathikomimetika (direkten oder erhöhter Krampfbereitschaft. lebensbedrohlicher Bluthoch- oder indirekten) kann verstärkt Keine Kombination mit Opioiden druckkrisen. werden. Tyraminhaltige Nah- oder serotonergen Antidepressiva. rungsmittel (z. B. gealterten Käse, Nicht-Einhaltung der tyraminarmen Sauerkraut, überreife Bananen, Diät bei Tranylcypromin- Hefeextrakte; s. Fachinfo) müssen Behandlung. unter einer Tranylcypromin- Medikation streng gemieden wer- den. Moclobemid verstärkt die Wirkung von Opioiden (pd). Mo- clobemid hemmt den CYP2D6- und den CYP2C19-abhängigen Metabolismus einiger anderer Arz- neistoffe (z. B. TZA, Antipsychoti- ka vom Phenothiazin-Typ, Me- toprolol, Klasse-Ic-Antiarrhythmika, Codein u. a.), bei denen Dosisre- duktionen erforderlich sind (pk). Selektive Serotonin-/ Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSNRI) Venlafaxin: ähnlich wie SSRI, Venlafaxin: Konzentrationserhö- Ähnlich wie SSRI. Übelkeit, Obstipation, Mundtro- hung und vermehrte Nebenwir- ckenheit, Unruhe, Schlaflosigkeit; kungen mit Fluoxetin oder Paroxe- dosisabhängige Blutdrucksteige- tin (pk u. pd). rung – regelmäßige Kontrolle; Hy- Duloxetin: s. Fachinformation. ponatriämie. Duloxetin: ähnlich wie SSRI, Übel- keit, Mundtrockenheit, Diarrhoe, Obstipation, Harnverhalt, Schlaflo- sigkeit, Schwindel, Müdigkeit, Blutdruckkontrolle angeraten. Alpha-2-Rezeptor-Antagonisten (Mirtazapin, Mianserin) Sedierung, Benommenheit, Ge- Verstärkung der zentral dämpfen- Schwere Leber- oder Niereninsuf- wichtszunahme, Mundtrockenheit, den Wirkung anderer Arzneimittel fizienz, kardiale Erkrankungen. Orthostase, Ödeme; cave: poten- (z. B. Benzodiazepinen) bzw. von ziell Induktion von Agranulozytose; Alkohol (pd). Keine gleichzeitige Leberfunktionsstörungen. Therapie mit MAO-Inhibitoren, Sibutramin, Triptanen (pd). Wir- kungsverminderung von Mirtazapin durch Enzyminduktoren (z. B. Carbamazepin, Phenytoin, Rifampicin); Wirkungsverstärkung durch Enzyminhibitoren (z. B. HIV- Proteasehemmer, Azol- Antimykotika, Erythromycin, Cla- rithromycin) (pk). © 2015 183
S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung 2. Auflage, Version 5 Unerwünschte Interaktionen/Arzneimittel- Kontraindikation (KI) Arzneimittelwirkungen (UAW) Wechselwirkungen (WW) Selektiver Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahme-Inhibitor (Bupropion) Überempfindlichkeitsreaktionen Keine Kombination mit MAO- Krampfleiden, ZNS-Tumore, Be- der Haut, Mundtrockenheit, Übel- Hemmern. Erhöhte Plasmaspiegel handlung mit weiteren Bupropion- keit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, von Desipramin, Imipramin, Rispe- haltigen Medikamenten (z. B. zur Bauchschmerzen, Verstopfung, ridon, Thioridazin, Metoprolol, Raucherentwöhnung), Alkohol- Schlaflosigkeit, Agitiertheit, Angst, Propafenon und Flecainid, wenn oder Benzodiazepinentzug, Zittern, Schwindel, Geschmacks- diese Substanzen gleichzeitig mit schwere Leberzirrhose, Bulimie, störungen, Sehstörungen, Tinni- Bupropion verabreicht werden. Anorexia nervosa. tus, erhöhter arterieller Blutdruck, Kopfschmerzen, Fieber und Brust- schmerzen, epileptische Anfälle. Melatonin-Rezeptor-Agonist und Serotonin-2C-Rezeptor-Antagonist (Agomelatin) Transaminasen-Erhöhung (regel- Keine Kombination mit CYP1A2- Demenz, eingeschränkte Leber- mäßige Kontrolluntersuchungen Inhibitoren Fluvoxamin und Cipro- funktion oder erhöhte Transamina- erforderlich, s. Fachinformation), floxacin, die den Abbau von senwerte um mehr als das 3-fache Übelkeit, Schwindel, Kopfschmer- Agomelatin hemmen (kontraindi- des oberen Normbereichs. zen und Migräne, Schläfrigkeit ziert). Bei gleichzeitiger Anwen- Gleichzeitige Anwendung mit star- oder Schlaflosigkeit, Diarrhö und dung von Agomelatin mit mäßigen ken CYP1A2-Inhibitoren (z. B. Obstipation, Übelkeit, vermehrtes CYP1A2-Inhibitoren (z. B. Propra- Ciprofloxacin, Fluvoxamin). Schwitzen, Rückenschmerzen, nolol, Grepafloxacin, Enoxacin) ist Angst. Vorsicht geboten, da dies zu einer erhöhten Agomelatin-Exposition führen könnte, ebenso Östrogene. Nichtklassifizierte Antidepressiva (Trazodon) Müdigkeit, Schwindel, gastrointes- Verstärkung der hypotensiven Akute Alkohol-, Schlafmittel-, tinale Beschwerden, Mundtro- Wirkung durch Phenothiazine Analgetika- und Psychopharmaka- ckenheit, Blutdruckabfall, Herz- (z. B. Chlorpromazin, Fluphenazin, vergiftungen. rhythmusstörungen, Priapismus. Levomepromazin, Perphenazin) (pd). Lithiumsalze Siehe Anhang 8 „Anwendungsempfehlungen: Lithiumtherapie“ Phytopharmaka (Johanniskraut) Phototoxische und allergische Wirkungsverminderung (Enzymin- Schwere depressive Episoden, Hautreaktionen, gastrointestinale duktion) von oralen Antikoagulan- bekannte Lichtüberempfindlichkeit, Beschwerden, Müdigkeit, Unruhe. tien (Phenprocoumon), Antide- besondere Vorsicht bei Multimedi- pressiva (Amitriptylin, Paroxetin, kation und Komedikation mit ge- Sertralin), Antiepileptika (Phenyto- ringer therapeutischer Breite. in, Carbamazepin, Phenobarbital), Alprazolam, oralen Kontrazeptiva, Ciclosporin, Digoxin, Theophyllin, Proteaseinhibitoren (z. B. Indina- vir), Methadon, evtl. auch anderen HIV-Medikamenten (Efavirenz, Nevirapin), (pk); serotonerges Syndrom bei Kombination mit SSRI, Triptanen möglich (pd). © 2015 184
S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung 2. Auflage, Version 5 Anhang 2 Antidepressiva – Wirkstoffe gegliedert nach Wirkstoffgruppen mit Angaben zu Dosierung, Plasmaspiegel und Monitoring (mod. n. [478] und dort zitierten Quellen und [595]) Siehe Kapitel 3.4: Pharmakotherapie Wirkstoff Dosierung Plasmaspiegel Therapeutisches Drug (Wirkstoffgruppe) Monitoring (TDM) Anfangs- Standard- Serumkonzentration (Tal- Empfehlungsgrad für dosis Tagesdosis spiegel vor Medikamen- TDM [mg/Tag] [mg/Tag] teneinnahme) [ng/ml] Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA) – nichtselektive Monoamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI) Amitriptylin 25-50 75-300 80-200* stark empfohlen Amitriptylinoxid 30-60 75-300 -- -- Clomipramin 25-50 75-250 230-450* stark empfohlen Desipramin 25-50 75-250 100-300 empfohlen Doxepin 25-50 75-300 50-150* empfohlen Imipramin 25-50 75-300 175-300* stark empfohlen Maprotilin 25-50 75-225 75-130 empfohlen Nortriptylin 25-50 50-200 70-170 stark empfohlen Trimipramin 25-50 75-300 150-300 empfohlen Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Citalopram 20 20-40 50-110 empfohlen Escitalopram 10 10-20 (bei 15-80 empfohlen Patienten > 65 Jahre: 10) Fluoxetin 20 20-40 120-500* empfohlen Fluvoxamin 50 100-250 60-230 empfohlen Paroxetin 20 20-40 30-120 hilfreich Sertralin 50 50-100 10-150 empfohlen Vortioxetin** 10 10 (5-20) noch nicht verfügbar keine Empfehlung Monoaminoxidase (MAO)-Inhibitoren Moclobemid 150 300-600 300-1000 hilfreich Tranylcypromin 10 20-40 ≤50 möglicherweise hilfreich © 2015 178
S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung 2. Auflage, Version 5 Wirkstoff Dosierung Plasmaspiegel Therapeutisches Drug (Wirkstoffgruppe) Monitoring (TDM) Anfangs- Standard- Serumkonzentration (Tal- Empfehlungsgrad für dosis Tagesdosis spiegel vor Medikamen- TDM [mg/Tag] [mg/Tag] teneinnahme) [ng/ml] Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSNRI) Venlafaxin 37,5-75 75-225 100-400* empfohlen Duloxetin 30-60 60 30-120 empfohlen Alpha2-Rezeptor-Antagonisten Mianserin 30 60-120 15-70 hilfreich Mirtazapin 15 15-45 30-80 empfohlen Selektiver Noradrenalin- und Dopamin-Rückaufnahme-Hemmer Bupropion 150 150-300 225-1500* hilfreich Melatonin-Rezeptor-Agonist und Serotonin-5-HT2C-Rezeptor-Antagonist Agomelatin 25 25-50 7-300 (50 ng/ml 1-2 Std. möglicherweise hilfreich nach letzter Einnahme) Serotonin-Wiederaufnahme-Verstärker Tianeptin 37,5 37,5 keine Angabe keine Empfehlung *: Antidepressivum mit antidepressiv wirksamem ersten Metaboliten. Die Angabe zur empfohlenen Serumkonzentration be- zieht sich auf die Summe aus Wirkstoff und erstem Metaboliten. **: Vortioxetin ist ein SSRI mit zusätzlicher Aktivität an postsynaptischen Serotonin-Rezeptoren (5-HT-Rez.): agonistisch an 5- HT1A-Rez., partialagonistisch an 5-HT1B-Rez., antagonistisch an 5-HT1D-, 5-HT3- und 5-HT7-Rezeptoren. © 2015 179
Sie können auch lesen