Marktbasiertes Engpassmanagement als notwendige Ergänzung zum regulierten Redispatch in Deutschland
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Marktbasiertes Engpassmanagement als notwendige Ergänzung zum regulierten Redispatch in Deutschland 05.09.2019
Zur Behebung von Netzengpäs- Ein effektives Engpassmanagement ist ein wichtiger Baustein einer kosteneffizienten sen wird der Redispatchbedarf Transformation des gesamten Strom- weiter steigen systems. Stromnetzbetreiber benötigen neue Lö- Die Europäische Kommission hat das Prob- sungen für effizientes Engpassmanage- lem eines drohenden Anstiegs des Eng- ment. passmanagementbedarfs erkannt und ver- schiedene Maßnahmen ergriffen, um die Die Kosten für Engpassmanagement in Flexibilität des Stromsystems zu erhöhen. Deutschland haben sich zu fast 5 Mrd. EUR Das Clean Energy Package (CEP) rückt aus- in den letzten 4 Jahren aufsummiert. Im drücklich ein marktbasiertes Engpassma- ersten Quartal 2019 wurde mit 3,3 TWh nagement in den Mittelpunkt, um das ge- [BNetzA 2019a] ein Rekordwert an Abrege- samte Flexibilitätspotenzial für Redispatch lung von Erneuerbaren Energien (EE) er- zu nutzen, den Technologiewettbewerb zu reicht. Zusätzlich steigen die prognostizier- fördern und Innovation im Netzbetrieb zu ten Ausbaukosten der Verteilnetzbetreiber ermöglichen. (VNB) kontinuierlich an (von 6,6 Mrd. EUR in der zukünftigen Dekade im Jahr 2014 auf Marktbasiertes Engpassmanagement er- 11,1 Mrd. EUR im Jahr 2018) [BNetzA möglicht eine Bewertung von elektrischer 2019b]. Dies unterstreicht die Notwendig- Energie - einschließlich Netzbeschränkun- keit und die Dringlichkeit von effektiven gen - differenziert nach Zeit und Ort. Es er- und effizienten Engpassmanagement-Lö- höht die Transparenz im System und sungen. schafft so Anreize für neue Marktteilneh- mer (bspw. Lasten, dezentrale Erzeuger Mio. EUR 1511 und Speicher) zur Flexibilitätsbereitstel- lung. Ziel ist es, das gesamte Redispatch- 1438 1141 potenzial zu erschließen und durch die 893 Förderung und Entwicklung neuer Pro- dukte und innovativer Lösungen kostenef- fizient nutzbar zu machen. 269 198 Flexibilitätsanbieter können darüber hinaus 176 100 50 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 nicht nur für Engpassmanagement, son- dern auch für weitere Energie- und Netz- Abbildung 1: Steigende Redispatchkosten in dienstleistungen genutzt werden. So ent- Deutschland zwischen 2010 und 20181 stehen Win-Win-Situationen für Anbieter und Netzbetreiber. Der kontinuierliche EE-Ausbau, der gleich- zeitige Kohleausstieg und weitere potenzi- Marktbasiertes Engpassmanagement kann elle Verzögerungen beim Netzausbau be- grundsätzlich durch diverse Instrumente, gründen die Annahmen, dass auch zukünf- wie z.B. dynamische, zeit- und ortsabhän- tig mit einem hohen Redispatchvolumen gige Netzentgelte, regionale oder knoten- zu rechnen ist und die Kosten für Engpass- scharfe Preismechanismen und marktba- management in Deutschland weiter stei- siertes Redispatch erreicht werden. Für Re- gen werden. dispatch hat die Europäische Union markt- basierte Ansätze als Standard festgelegt. 1 Quelle: Berichte der Bundesnetzagentur 2
Nicht-marktbasierte Ansätze dürfen nur stehen, wenn dies für die Versorgungs- dann eingesetzt werden, wenn „durch die sicherheit erforderlich ist. aktuelle Netzsituation derart regelmäßig 3. Der Netzbetreiber kann besondere und vorhersehbar Engpässe verursacht netztechnische Betriebsmittel kontra- werden, dass ein marktbasierter Redis- hieren, um die N-1-Sicherheit sicherzu- patch ein regelmäßiges strategisches Biet- stellen. verhalten herbeiführen würde, was die in- terne Engpasslage weiter verschlechtern Zukünftig wird die Anzahl der Erzeugungs- würde“ 2. kapazitäten, die dem regulierten Redis- patch unterliegen, deutlich steigen. Durch die mit der NABEG-Novelle einge- Die Bundesregierung hat durch führten Änderungen steigt die Zahl der Re- dispatch-Anlagen deutlich an. Ab Oktober das NABEG ihre Präferenz für ein 2021 müssen alle Marktteilnehmer mit ei- reguliertes Redispatch manifes- ner Leistung größer 100 kW am regulierten tiert Redispatch teilnehmen. Darüber hinaus müssen auch alle kleineren EE-Anlagen Der deutsche regulierte Redispatch beruht teilnehmen, sofern diese durch die Netz- auf folgenden Bausteinen: betreiber steuerbar sind (siehe Abb. 2). So- mit werden zukünftig nicht nur ca. 80 Kraft- 1. Teilnahme aller verfügbaren Kapazitä- werke in den Redispatchprozess miteinbe- ten am verpflichtenden Redispatch zum zogen, sondern weit über 60.000 Anlagen. Selbstkostenpreis. 2. Netzreserven: Kraftwerke, die den Markt verlassen wollen, müssen dem Netzbetreiber weiterhin zum Selbstkos- tenpreis für Redispatch zur Verfügung Abbildung 2: NABEG erhöht die Anzahl der für den Redispatch verfügbaren Flexibilitäten, lässt aber die nachfrageseitigen Flexibilitäten und Kleinseriengeneratoren unberücksichtigt. Des Weiteren geht die BNetzA davon aus, auf 10,6 GW im Jahr 2022/23 ansteigt. Be- dass die als Netzreserve zu kontrahierende gründet wird der Anstieg mit zunehmen- Kapazität von 5,1 GW im Jahr 2019/2020 dem grenzüberschreitenden Handel und 2 Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt - Artikel 13 3
der Stilllegung von Kraftwerken in Süd- ▪ Die Nachfrage wird als unelastisch an- deutschland. genommen. ▪ Ein statisches Stromsystem wird unter- Durch den regulierten Redispatch-Mecha- stellt, das sich nicht dynamisch weiter- nismus wird somit zukünftig nahezu der entwickelt, bspw. durch den Eintritt gesamte Erzeugungsbereich in Deutsch- neuer Marktteilnehmer und neuer Er- land erfasst sein. Als Begründung für die zeugungskapazitäten. Wahl eines regulierten Redispatches wird das potenzielle Risiko von „Gaming“ ge- Unter realen Marktbedingungen birgt je- nannt. Mögliche Vorteile, die ein marktba- des „Gaming“ auch Risiken für den „Ga- sierter Ansatz liefern würde, werden dage- mer“. Die Vernachlässigung dieser Risiken gen ignoriert. führt zwangsläufig dazu, dass die Gaming- Bedrohung überschätzt wird. Eine Beurteilung von Gaming-Ri- Risiken ergeben sich aus der Schwierigkeit, die Wechselwirkungen zwischen Bietver- siken auf Basis einer theoreti- halten und Netzbetreiberaktionen zu anti- schen Analyse ist unzureichend zipieren. Ein drohender Reputationsverlust für den „Gamer“ wirkt zusätzlich abschre- Wesentlicher Vorteil eines regulierten An- ckend. satzes ist es, eben keine Anreize für das so- genannte inc-dec-Gaming zu erzeugen. Die folgenden Beispiele illustrieren einige Die Notwendigkeit dieses Schrittes wird mit „Gaming“ verbundene Risiken für den derweilen intensiv und kontrovers in aka- „Gamer“: demischen Kreisen diskutiert. ▪ Der Einfluss verschiedener Bietstrate- Grundsätzlich sind Anreize für strategi- gien auf Engpässe hängt stark von sches Verhalten jedem Energiemarkt im- den Netzcharakteristika ab. manent. Auch heute ist es Marktteilneh- ▪ Diese können wiederum durch den mern gestattet, ihr Portfolio über verschie- Netzbetreiber beeinflusst werden, z.B. dene Zeiträume – Day-ahead, Intraday durch Schaltmaßnahmen und Topolo- und Balancing – zu optimieren. Entste- gieänderungen der Netze. hende Arbitragemöglichkeiten sind Teil ▪ Bei der Optimierung des Netzbetriebs des Marktes und dienen dazu, den Wert greifen Netzbetreiber auf immer neu- von Produktions- und Lastflexibilität effi- ere Technologien, wie z.B. Phasen- zient zu allokieren. Ein ähnliches Prinzip gilt schieber, regelbare Ortsnetztransfor- für marktbasierten Redispatch. matoren oder Blindleistungsbereitstel- lung aus dezentralen Erzeugungsan- In der vom BMWi beauftragten Analyse lagen, zurück. Dieses umfangreiche wird eine Reihe vereinfachender Annah- Maßnahmenportfolio erhöht die men getroffen, die eine objektive und be- Komplexität der Vorhersage mögli- lastbare Beurteilung der mit markt-basier- cher Engpässe deutlich. tem Redispatch verbundenen Risiken nicht ▪ Auch die Teilnahme von Lasten am zulassen: marktbasierten Redispatch erhöht den ▪ Die Analyse geht von einer perfekten Wettbewerb der Anbieter und das Ri- Prognose der entstehenden Eng- siko einer Fehleinschätzung durch den pässe, Preise und Redispatch-Volu- „Gamer“. mina aus. 4
Eine Vernachlässigung dieser realen Risi- auch bilaterale Verträge mit weiteren Anla- ken führt zwangsläufig zu einer Überschät- gen geschlossen werden, die einer Über- zung des inc-dec-Gaming-Potenzials. prüfung durch die Regulierungsbehörde unterliegen. Diese Verträge sind vergleich- Risiken und Gaming-Möglichkeiten kön- bar mit Abkommen, die die deutschen nen durch das Marktdesign und entspre- ÜNB mit ausländischen Kraftwerken für Re- chende regulatorische Ausgestaltung (z.B. dispatch schließen. Sie sind zwar reguliert, Preisobergrenzen, Beschränkungen bei jedoch nicht kostenbasiert [TenneT 2019]. Preisunterschieden zwischen den Märkten, usw.) maßgeblich beeinflusst werden. Des Weiteren wurde ein Mechanismus zur Diese Risiken und ihre Rückwirkungen auf Nutzung von marktbasiertem Redispatch das Bietverhalten werden von Hirth et al. zur Überbrückung von Verzögerungen bei ihrer Bewertung eines marktbasierten beim Netzausbau etabliert. Wenn ein Ansatzes nicht ausreichend berücksichtigt. Netzbetreiber eine Überlastung prognosti- Die Unvollständigkeit der Analyse lässt so- ziert, kann Redispatch gemäß dem nieder- mit keine abschließende Bewertung über ländischen Grid Code angewendet wer- die Notwendigkeit regulierter Redispatch- den. Dieser sieht vor, dass eine Kosten- Verfahren zu. Nutzen-Analyse durchzuführen ist, um die Notwendigkeit eines (temporären) Redis- patchs nachzuweisen. Darüber hinaus muss der Netzbetreiber realistische Inves- In der Praxis zeigt sich eine - im titionspläne vorlegen, die aufzeigen, wie Vergleich zum theoretischen Po- der Engpass beseitigt wird. Die Energy tenzial - deutlich geringere Rele- Supply Consultation Group (OTE) – ein In- dustriegremium – hat zusätzlich noch ei- vanz von Gaming nen Vorschlag erarbeitet, um marktbasier- Eine quantitative modellbasierte Untersu- tes Redispatch dauerhaft einsetzen zu dür- chung der Risiken der verschiedenen Re- fen [OTE 2018]. Ein solcher Mechanismus dispatchoptionen ist nicht Teil dieses Dis- wird auch vom CEP als Alternative zum kussionspapiers. Einige relevante internati- Netzausbau propagiert. onale Beispiele sollen jedoch veranschauli- Um Gaming vorzubeugen, darf marktba- chen, wie wichtig es ist, die tatsächlichen siertes Redispatch nur in Gebieten ange- Risiken der Teilnehmer zu berücksichtigen. wendet werden, in denen ausreichender Andere europäische Länder setzen schon Anbieterwettbewerb sichergestellt ist (min- länger auf marktbasierte Ansätze. Anhand destens drei oder mehr Anbieter). Andern- von drei Beispielen wird analysiert, in wel- falls greift ein regulierter Mechanismus. chem Maß Gaming stattfindet und welche Gaming konnte im aktuellen System nicht Maßnahmen zur Gaming-Beschränkung nachgewiesen werden. Dies wird vor allem genutzt werden. darauf zurückgeführt, dass die Marktpar- Beispiel 1: Redispatch in den Niederlanden teien sich der damit einhergehenden Risi- ken bewusst sind. Regulatorische Eingriffe, Im Übertragungsnetz kann der niederlän- Strafen und die Aufteilung der Gebotszone dische Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) sind Teil des Maßnahmenportfolios zur TenneT Regelenergieangebote, die einen Gaming-Begrenzung. Als Resultat be- Standort angeben und eine Aktivierungs- obachten sich die Marktteilnehmer gegen- zeit von mehr als 30 Minuten haben, für seitig und informieren die Redispatch nutzen. Zusätzlich können 5
Regulierungsbehörde, wenn verdächtiges des unterjährlichen Lieferumfangs Verhalten auftritt. zeigt kein atypisches Verhalten. ▪ Zusätzlich wurden alle Bilanzkreise Bisher konnte in den Niederlanden - trotz von Energinet auf Abweichungen zwi- des theoretischen Potenzials - kein erkenn- schen angemeldeten Fahrplänen und barer Anstieg von Engpässen durch Ausgleichsenergie in Stunden von Gaming der Marktteilnehmer beobachtet Special Regulation überprüft. Einige werden. Marktteilnehmer schienen tatsächlich in Zeiten der Special Regulation weni- ger Energie zu beschaffen als zur De- Beispiel 2: Erfahrungen an der dänisch- ckung ihrer Nachfrage erforderlich deutschen Grenze gewesen ist. Es war jedoch kein ein- Im Falle eines Engpasses an der dänisch- heitliches und systematisches Verhal- deutschen Grenze führen die ÜNB auf bei- ten feststellbar. Grund für das Fehlen den Seiten der Grenze Countertrading einer systematischen Unter- oder durch. Hier entsteht ein mögliches Überdeckung ist wahrscheinlich die Gaming-Potenzial, da der dänische ÜNB Schwierigkeit, Volumen und Dauer Energinet Anbieter von Regelenergie für der Special Regulation mit ausrei- den Redispatch als so genannte Special chender Genauigkeit vorherzusagen. Regulation einsetzt [Energinet, TenneT Es konnten nur 10 % der anfallenden 2019]: Ausgleichsenergie während der Spe- cial Regulation dem Unterbieten zu- ▪ Erzeuger-Bilanzkreise könnten in sol- geordnet werden [Energinet, TenneT chen Fällen mit hoher Erzeugung in 2019]. den Spotmarkt bieten und gleichzeitig negative Regelenergie anbieten. Sie Das dänisch-deutsche Grenzbeispiel zeigt, würden also für ein von ihnen verur- dass die theoretischen Gaming-Möglich- sachtes Problem Zahlungen erhalten. keiten in der Praxis bei weitem nicht aus- ▪ Verbraucher-Bilanzkreise könnten geschöpft werden. weniger Strom als benötigt einkaufen, positive Regelleistung anbieten und Beispiel 3: Redispatch in Großbritannien dann mehr beziehen. In Großbritannien wird ein effizienter Netz- Solches Bietverhalten ist eine Variante des betrieb mit marktbasiertem Redispatch fol- inc-dec-Gaming und könnte dann möglich gendermaßen gewährleistet: werden, wenn Einsatzzeit und -volumen 1. Der ÜNB wird beanreizt, Engpässe kos- der Special Regulation gut prognostizier- teneffizient zu lösen. Er verfügt hierfür bar wäre. Energinet und TenneT haben über hohen Gestaltungsspielraum. Re- deshalb eine Analyse zu Gaming durchge- dispatch-Anbieter können bspw. über führt und die folgenden Erkenntnisse ge- verschiedene Zeiträume und Entgelte wonnen [Energinet, TenneT 2019]: kontrahiert werden – anstatt einen kos- ▪ Es konnten keine Anzeichen für die tenbasierten Zwangsmechanismus zu Ausnutzung von Preisarbitrage er- nutzen. Der ÜNB kann also frei wählen, kannt werden. Konventionelle Kraft- wie er mit Flexibilitätsanbietern Verträge werke haben in den letzten drei Jah- abschließt. Dazu gehört auch die Nut- ren ein steigendes Volumen an Spe- zung von Regelenergieangeboten für cial Regulation geliefert. Die Analyse Redispatch. 6
2. Alternative Flexibilitätsquellen werden übersetzt: „Marktteilnehmer dürfen keinen durch Ausschreibung und Einbezie- exzessiven Nutzen aus der Stromerzeu- hung von innovativen Technologien gung während Netzengpässen erwirt- und der Lastseite (seit den 90iger Jah- schaften“. Diese Bedingung ist weit davon ren) erschlossen. In jüngster Zeit wur- entfernt, eine kostenbasierte Regelung zu den bspw. Batteriespeichersysteme sein. Es handelt sich im Wesentlichen um durch Ausschreibungen kostengünstig eine Bestätigung des Marktmechanismus kontrahiert. Obwohl nicht alle diese An- und Ansatzes, der Missbrauch einschränkt. bieter an den richtigen Netzstandorten Darüber hinaus fungiert das Wettbewerbs- sind, können viele von ihnen standort- recht als ultimative Rückfallebene, der den spezifische Netzdienstleistungen anbie- Missbrauch einer marktbeherrschenden ten. Stellung ausschließt. 3. Trotz der Marktorientierung verfügt die Regulierungsbehörde über weitrei- Ofgem schätzt, dass die TCLC seit ihrer chende Befugnisse. Dazu gehört u.a. Einführung zu Kosteneinsparungen von die Möglichkeit, Geldbußen von bis zu 156 Millionen Pfund geführt hat [Ofgem 10 % des weltweiten Umsatzes als Strafe 2017]. Zusätzlich gab es seitdem nur einen bei Verstößen gegen das Wettbewerbs- einzigen regulatorischen Eingriff. Durch recht zu verhängen. Dieser regulatori- eine Reformulierung des TCLC wurde de- sche Backstop entfaltet eine entspre- ren Umfang auf die Reichweite der REMIT- chende Wirkung, die von den Markt- Richtlinie reduziert. Die Wirkung bleibt je- parteien ernst genommen wird. doch bestehen. Dennoch wird der marktbasierte Ansatz Das britische Beispiel zeigt die Effektivität auch in GB kontinuierlich überprüft und von wenig restriktiven, aber gezielten re- dessen Wirksamkeit überwacht. Dabei wird gulatorischen Maßnahmen, um die Vor- auch die Erfahrung aus der Einführung des teile eines marktbasierten Ansatzes zu er- BETTA-Marktes im Jahr 2005 genutzt. Da- zielen und gleichzeitig die Gaming-Risiken mals wurde schottischen Erzeugern der zu begrenzen. Zugang zum britischen Markt gewährt. Die Der gemeinsame Nenner der Beispiele für Einführung des "Connect-and-Manage"- eine erfolgreiche Implementierung von Regimes ermöglichte neuen Windkraftan- marktbasierten Redispatch-Ansätzen ist lagen in Schottland einen Marktzugang, die Begleitung durch eine effektive Regu- bevor Netzverstärkungsmaßnahmen fer- lierung. In Großbritannien konnte mit der tiggestellt werden konnten. Dadurch ver- Umformulierung der Bedingungen für Fle- schärfte sich ein bestehender Engpass zwi- xibilitätsanbieter im Jahr 2017 sogar eine schen Schottland und England. Reduktion des regulatorischen Rahmens Der Regulierer Ofgem identifizierte das durchgesetzt werden, da einige der Anfor- Gaming-Potenzial, war aber der Ansicht, derungen bereits durch die REMIT-Anfor- dass er unter dem damals gültigen Regime derungen abgedeckt waren. nicht eingreifen konnte. Sieben Jahre, nachdem Schottland dem Markt beigetreten war, führte Ofgem die Transmission Constraint License Condition (TCLC) für Erzeuger ein. Diese definiert, unter welchen Umständen Bietverhalten als inakzeptabel gilt. Darin heißt es frei 7
Ein marktbasierter Redispatch- bereits gezeigt, dass die Nutzung von An- lagen, die näher am Engpass liegen, den Ansatz schafft kurz- und mittel- Redispatchbedarf der eingesetzten Gene- fristig einen erheblichen zusätzli- ratoren, die typischerweise weit entfernt chen wirtschaftlichen und ökolo- vom Engpass liegen, deutlich reduzieren gischen Nutzen [Deuchert 2019]. Das vollständige Potenzial wird jedoch erst sichtbar, wenn gleiche Ein kostenbasierter Ansatz stellt immer nur Wettbewerbsbedingungen für Erzeugung die zweitbeste Lösung gegenüber echtem und Last geschaffen werden. Wettbewerb dar. Dies gilt für den Strom- markt genauso wie für andere Märkte. VNB benötigen effektive Instrumente für Wettbewerbsorientierte Marktkräfte för- Engpassmanagement, um die Energie- dern Effizienz und setzen Anreize zur kon- wende zu unterstützen. tinuierlichen Verbesserung von bestehen- Die Durchdringung von dezentralen Ener- den Erzeugungskapazitäten sowie Investi- giesystemen wird weiterwachsen. In Kom- tionen in neue Anlagen. Gerade die mittel- bination mit der Sektorkopplung sehen and langfristige Perspektive und ihre Rück- sich Verteilnetzbetreiber mit zunehmen- wirkung auf Investitionsentscheidungen den Engpässen konfrontiert. Diese Treiber geht bei einer zu starken Fokussierung auf zeigen, dass der Bedarf an lokalem Eng- kurzfristige Grenzkosten verloren. Diese passmanagement auch mit der Zeit nicht dynamische Effizienz ist wichtig, da Markt- abnehmen wird. Wenn Flexibilität nicht ef- teilnehmer ihre Entscheidungen über kurz- fektiv bereitgestellt werden kann, werden fristig regulierte Kosten hinaus treffen. sich Sektorkopplung und Dekarbonisie- Die Steigerung der Wettbewerbsintensität rung verzögern und große Investitionen in in einem marktbasierten System ermög- die Netzinfrastruktur werden notwendig. licht es auch Speicherbetreibern und der Eine Studie von IAEW und E-Bridge hat Nachfrageseite, ihre Flexibilitätsdienste an- deutschlandweit Verteilnetze mit mehr als zubieten. In einem kostenbasierten System 1,8 Millionen Simulationen analysiert, um können diese Anbieter nur eingeschränkt die Auswirkungen der Berücksichtigung miteinbezogen werden, da ihre kurzfristi- von Lastflexibilitäten und Speichern auf gen Grenzkosten nicht einheitlich und den Netzausbaubedarf zu quantifizieren. nachvollziehbar bestimmt werden können. Dieses Problem stellt sich mit einem markt- Wenn Verteilnetzbetreiber Zugang zu die- basierten Ansatz nicht. ser Flexibilität erhalten, könnte der zusätz- liche Investitionsbedarf im Verteilnetz bis Das ungenutzte Flexibilitätspotenzial, das 2035 um 55 % von 36,8 Mrd. EUR auf rund über alle Spannungsebenen hinweg mit ei- 16,8 Mrd. EUR gesenkt werden. Selbst nem marktbasierten Ansatz auch regional wenn die Kosten für IKT in Verteilnetzen aktiviert werden kann, ist enorm. Dezent- berücksichtigt werden, können die jährli- rale Systeme (E-Autos, Wärmepumpen, chen Kosten um 1,6 Milliarden Euro pro Speichersysteme) können bis 2030 bis zu Jahr reduziert werden. 22,5 GW an Flexibilität bereitstellen - und das könnte sogar eine zu konservative Ein- Neben diesen Einsparungen werden er- schätzung sein [E-Bridge, IAEW 2019]. hebliche ökologische Vorteile erwartet. Durch die Nutzung der Flexibilität kann die Die Berücksichtigung von Großkunden ver- EE-Abregelung um bis zu 65 % reduziert bessert die Effektivität des Redispatchs wei- ter. Verschiedene Pilotprojekte haben 8
und so CO2-Emissionen eingespart werden bestehenden Märkten und kann sogar [E-Bridge, IAEW 2019]. dazu beitragen, sie zu stärken. Der in den Niederlanden eingeführte Mechanismus zeigt, wie der Flexibilitätsmarkt in den be- stehenden Intraday-Markt integriert wer- Die Autoren schlagen vor, das den kann. bestehende regulierte Regime Ein marktbasierter Redispatch könnte dar- um einen marktbasierten Ansatz über hinaus nicht nur die Effizienz des Re- zu ergänzen („Hybrider Ansatz“) dispatchs in Deutschland erhöhen, son- dern auch den grenzüberschreitenden Re- Engpässe werden sowohl im Übertra- dispatch verbessern. gungs- als auch Verteilnetz über viele Jahre oder gar Jahrzehnte bestehen blei- Die Ausgestaltung des marktbasierten An- ben. Die Notwendigkeit der Nutzung des satzes sollte kontinuierlich so weiterentwi- gesamten verfügbaren Flexibilitätspotenzi- ckelt werden, dass er sukzessive den regu- als steigt damit weiter und wird ein immer lierten Ansatz ablöst. Dabei kann auf den wichtigerer Baustein für den Erfolg der gesammelten Erfahrungen aufgebaut und Energiewende. so das Vertrauen in den marktbasierten Ansatz gestärkt werden. Ein nachhaltiges und wirksames Redispatch muss daher die Vorteile eines marktbasier- ten Ansatzes nutzen und gleichzeitig die Auswirkungen von Gaming begrenzen. Schlussfolgerungen Der marktbasierte Ansatz sollte zunächst Vor dem Hintergrund einer fehlenden Ko- nur auf die Flexibilitäten angewendet wer- ordination zwischen Netzausbau und EE- den, die vom derzeitigen regulierten Re- Ausbau, kombiniert mit einer schwieriger gime nicht erfasst werden – also kleine werdenden Umsetzung von Infrastruktur- Speicher-Systeme und die Lastseite. So maßnahmen, wird der Bedarf an Engpass- können sich der regulierte und der markt- management weiterwachsen und langfris- basierte Mechanismus sinnvoll ergänzen. tig zu hohen Kosten führen. Effiziente Ver- Insbesondere durch die komplementäre fahren zum Management dieser Engpässe Nutzung des regulierten Ansatzes können sind ein zentraler Baustein der Energie- die Gaming-Risiken des marktbasierten wende. Mechanismus effektiv begrenzt und kon- Das BMWi sieht einen regulierten Ansatz trolliert werden. als einzige Möglichkeit für Redispatch vor. Dieses hybride Modell ermöglicht die kon- Begründet wird diese Entscheidung durch trollierte Einführung eines marktbasierten potenzielle Gaming-Risiken im Rahmen Redispatchs. Es erhöht so die Anzahl der der von der EU präferierten marktbasierten verfügbaren Flexibilitätsressourcen und Verfahren. Diese Einschätzung basiert auf stärkt den Wettbewerb, ohne die wirt- theoretischen Analysen. schaftliche Effizienz zu gefährden. Allerdings bilden die vom BMWi beauf- Ein solches Hybridsystem stellt auch sicher, tragten theoretischen Analysen die in der dass die einheitliche Gebotszone in Praxis existierenden und relevanten Risiken Deutschland nicht beeinträchtigt wird. Der der Marktparteien nicht ab. Eine Analyse Ansatz ist komplementär zu den von realen Beispielen aus den 9
Niederlanden, Dänemark und Großbritan- Abregelung von Erneuerbaren-Energien nien mit Gaming-Risiken zeigt, dass das in um bis zu 65 % reduziert werden. der Praxis zu beobachtende Fehlverhalten deutlich geringer als theoretisch möglich Die Autoren empfehlen die Einführung ei- ausfällt und effektiv reduziert werden kann. nes marktbasierten Verfahrens flankierend Durch die Entscheidung für den regulierten zum regulierten System. Durch die Ausge- Ansatz steht ein hoher Anteil der verfüg- staltung des marktbasierten Verfahrens baren Flexibilität für Redispatch nicht zur kann gewährleistet werden, dass die Vor- Verfügung. teile genutzt und die Gaming-Risiken mini- miert werden. Dadurch lässt sich der Die ökonomischen und ökologischen Vor- marktbasierte Ansatz in der Praxis erpro- teile des durch marktbasierte Verfahren ben und kann mit wachsender Erfahrung zusätzlich erreichbaren Flexibilitätspotenzi- weiterentwickelt werden und im Laufe der als ist enorm. IAEW und E-Bridge schätzen Zeit das regulierte System teilweise oder das zusätzliche Potenzial auf ca. 25 GW bis vollständig ersetzen. 2030. Dadurch könnten bis zu 20 Mrd. EUR an Netzinvestitionen eingespart und die Literaturverzeichnis [BNetzA 2019a] Bundesnetzagentur, Quartals- [OTE 2018] Overlegtafel Energievoorziening bericht zu Netz- und Systemsicherheitsmaß- (OTE), Afwegingskader verzwaren tenzij, nahmen, Erstes Quartal 2019, 18.07.2019. Report 2018. [BNetzA 2019b] Bundesnetzagentur, Monito- [Ofgem 2017] Ofgem Impact Assessment on ring report 2018, 29.052019. extension of TCLC licence condition, https://www.ofgem.gov.uk/ofgem-publica- [Deuchert 2019] B. Deuchert, The NODES mar- tions/110681, February 2017 ket for decentral flexibility in real operation, Strommarkttreffen, Engpassmanagement, [Tennet 2019] Tennet, Congestion manage- 15.03.2019. ment, https://www.tennet.eu/electricity-mar- ket/dutch-market/congestion-management/, [E-Bridge, IAEW 2019] E-Bridge, IAEW, Wirt- 2019. schaftlicher Vorteil der netzdienlichen Nutzung von Flexibilität in Verteilnetzen, 12.02.2019. [Energinet, Tennet 2019] Energinet, Tennet, Kontaktpersonen Monitoring report - DK1-DE Countertrade fol- lowing joint declaration 2018, March 2019. Dr. Jens Büchner / jbuechner@e-bridge.com / +49 228 90906510 [Hirth et al. 2019] L. Hirth, C. Maurer, I. Schlecht, Enno Böttcher / enno.boettcher B. Tersteegen, Strategisches Bieten in Flex- @NODESmarket.com / +47 468 19 423 Märkten, Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Stephen Woodhouse / stephen.woodhouse Heft 6, 2019. @poyry.com/ +44 7970 572444 10
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