Megatrend-Report #02: Die Corona-Transformation Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und die Digitalisierung beschleunigt - Bertelsmann ...

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Megatrend-Report #02: Die Corona-Transformation Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und die Digitalisierung beschleunigt - Bertelsmann ...
9/2020 # 02
Megatrend-Report #02:
Die Corona-Transformation
Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und
die Digitalisierung beschleunigt
Autoren: Dr. Thieß Petersen und Dr. Christian Bluth
Megatrend-Report #02: Die Corona-Transformation Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und die Digitalisierung beschleunigt - Bertelsmann ...
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Megatrend-Report #02: Die Corona-Transformation Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und die Digitalisierung beschleunigt - Bertelsmann ...
Inhaltsverzeichnis

Vorwort                                     4   3 Die Corona-Pandemie und die Zukunft
                                                 von „Made in the World“                34

                                                 3.1 Neue Herausforderungen
Zusammenfassung                             6
                                                 für Produzenten                        36

                                                 3.2 Produktionsnetzwerke und
Einleitung                                  9   Megatrends                             37

                                                 3.3 „Weaponized Interdependence“       40
1 Pandenomics –                                 3.4 Automatisierung und
Auswirkungen der Corona-Pandemie                 Individualisierung                     42
auf die Weltwirtschaft                     10
                                                 3.5 Epidemien als neuer Megatrend      43
1.1 Wirtschaftseinbruch nach geplatzter
                                                 3.6 Fazit: „Just in Case“ statt
Spekulationsblase                          12
                                                 „Just in Time”                         45
1.2 Wirtschaftseinbruch nach dem
Ausbruch einer Epidemie bzw. Pandemie      13
                                                 4 Fünf Thesen und Fragen zur
1.3 Wirtschaftspolitische Antworten
                                                 Zukunft der Megatrends                 46
auf die Corona-Pandemie                    18

1.4 Mittel- und langfristige Auswirkungen
der Corona-Pandemie                        23   Executive Summary                      54

2 Die Corona-Pandemie als Katalysator           Das Programm Megatrends
für die Digitalisierung der Wirtschaft     26   und seine Projekte                     56

2.1 Beschleunigung der digitalen
Transformation erhöht Krisenresilienz      28
                                                 Literatur                              58
2.2 Beschleunigung der digitalen
Trans­formation bringt neue soziale
Konfliktlinien hervor                      29

2.3 Beschleunigung der digitalen Trans­
formation intensiviert Strukturwandel      31

                                                                                              3
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Vorwort

    „The Bigger Picture“ lautete der Titel unseres ersten
    Megatrend-Reports, den wir vor einem Jahr veröffent-
    licht haben. Er beleuchtete, wie uns die gesellschaftli-
    chen Megatrends Globalisierung, Digitalisierung und
    demografischer Wandel einzeln und in ihrem Zusam-
    menspiel herausfordern – mit Blick auf das Gemein-
    wesen, auf die Wirtschaft und auf jeden Einzelnen von
    uns. Wir rechneten mit so weitreichenden Folgen wie
    der Umverteilung des globalen sowie individuellen
    Wohlstands und der internationalen Wettbewerbs-
    fähigkeit. Schon vor einem Jahr gingen wir davon aus,
    dass große politische und wirtschaftliche Investitio-
    nen nötig sein würden, um mit der Veränderungsdy-             ANDREAS ESCHE                    RALPH MÜLLER-EISELT
    namik im Zuge wachsender sozialer und wirtschaftli-
    cher Polarisierung Schritt halten zu können. Niemand       sender Ungleichheit, die immer dramatischeren Aus-
    konnte aber letzten Herbst damit rechnen, dass wir         wirkungen der globalen Erwärmung, die Folgen von
    so bald in noch viel größerem Maße herausgefordert         demografischer Alterung und Wanderung für unse-
    werden würden.                                             ren Wohlfahrtsstaat oder die tektonischen Macht-
                                                               verschiebungen durch den Aufstieg Chinas. Noch ist
    Nicht, dass es keine warnenden Stimmen gegeben             keine dieser globalen Herausforderungen auch nur
    hätte. Schon seit vielen Jahren weisen Wissenschaft-       annähernd gelöst – und doch ist unsere Gesellschaft
    ler:innen auf die reale Gefahr einer weltweiten Pan-       nun mit einer Krise konfrontiert, die all diese ande-
    demie hin. Die Warnschüsse Ebola und Schweine-             ren Themen in den Schatten stellt. Ihre Bewältigung
    grippe verliefen allerdings so glimpflich, dass die von    lässt keinen Aufschub zu. Sie zwingt uns, auf Sicht zu
    Expert:innen befürchtete Bedrohung allenfalls als          navigieren, ständig neue Strategien zur Eindämmung
    fernes Szenario erschien. Viel dringlicher erschienen      ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswir-
    die akuten Herausforderungen, mit denen sich Poli-         kungen zu entwickeln, zu erproben und anzupassen.
    tik und Wirtschaft auseinanderzusetzen hatten: der         Um dabei nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen die
    Vormarsch des Populismus auf den Schwingen wach-           Dynamiken der Krise auch im Zusammenspiel mit den

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globalen Megatrends analysiert und verstanden wer-            am großen Bedarf an begründeten Einschätzungen,
den. Hierzu wollen wir mit unserem zweiten Mega­              die helfen, die Zukunft zu gestalten – aller Volatilität
trend-Report einen Beitrag leisten.                           zum Trotz. Wir hoffen, dass diese Publikation durch die
                                                              Synthese von plausibler Argumentation und empiri-
Im ersten Abschnitt gehen wir der Frage nach, wie sich        scher Unterfütterung dazu einen Beitrag leisten kann.
die Pandemie auf die Weltwirtschaft über die Zeit aus-
wirkt und wie die Wirtschaftspolitik darauf reagieren         Wir danken den Autoren Christian Bluth und Thieß
kann und sollte. Daran anschließend skizzieren wir im         Petersen für ihren Mut zu Analyse und Positionie-
zweiten Teil, wie die Corona-Krise die digitale Trans-        rung. Um die technische Umsetzung und Koordina-
formation der Wirtschaft beschleunigt und dadurch             tion hat sich Carina Wegener verdient gemacht. Und
die Resilienz in der Unternehmenswelt verbessern,             nicht zuletzt gilt unser Dank allen Kolleg:innen im Me-
gleichzeitig aber auch neue soziale Spannungen be-            gatrends-Team, die mit ihren kritisch-konstruktiven
gründen kann. Im dritten Abschnitt beschreiben wir,           Kommentaren und vielseitigen kreativen Anregun-
wie sich Globalisierung und wirtschaftliche Arbeitstei-       gen zum Gelingen dieses Reports beigetragen haben.
lung in Folge der Krise abbremsen und wir uns in Zu-          Wir wünschen eine anregende Lektüre und freuen
kunft besser für den Umgang mit globalen Pandemien            uns auf Resonanz!
wappnen können: von „just in time“ zu „just in case“. Effi-
zienzerwägungen dürften zukünftig an Bedeutung ver-
lieren, das Risikomanagement hingegen eine größere
Rolle spielen. Den Abschluss des Megatrend-Reports
bilden fünf Thesen, in denen wir pointiert zusammen-
führen, welche Entwicklungen wir vor diesem Hinter-           Andreas Esche & Ralph Müller-Eiselt
grund für die Megatrends Globalisierung, Digitalisie-         Direktoren Programm Megatrends
rung und demografischer Wandel erwarten.

Uns ist bewusst, dass Voraussagen zur weiteren Ent-
wicklung der Pandemie, geschweige denn ihrer Folgen
für Wirtschaft und Gesellschaft, mit unauflösbaren
Unsicherheiten einhergehen. Dies ändert aber nichts

                                                                                                                         5
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Zusammenfassung

    Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste globale            und dafür Risikomanagement eine größere Rolle bei
    Wirtschaftskrise ist bereits die zweite Wirtschafts-        unternehmerischen und politischen Entscheidungen
    krise historischen Ausmaßes, wie sie seit den 1930er        spielen wird. Eine Konsequenz, die sich daraus ergibt,
    Jahren keine Generation mehr erlebt hat. Während            ist eine stärkere Diversifikation und Relokalisierung
    die Finanzkrise von 2008/2009 das Ergebnis einer ge-        von ausgewählten ökonomischen und technologischen
    platzten Spekulationsblase war, die zu einem abrup-         Aktivitäten. Der Vorteil: Die Abhängigkeit von Tech-
    ten Nachfragerückgang nach Gütern und Dienstleis-           nologien, Vorleistungen und Endprodukten aus dem
    tungen führte, ist eine Pandemie ein exogener Schock,       Ausland sinkt. Der Nachteil: Spezialisierungsgewinne,
    der nicht nur einen Nachfrageeinbruch, sondern auch         die sich aus der internationalen Arbeitsteilung erge-
    noch einen Produktionsrückgang hervorruft. Entspre-         ben, fallen weg. Resilienz hat einen Preis.
    chend gehen die aktuell vorliegenden Prognosen von
    einem wesentlich größeren Einbruch der Weltwirt-            Aus diesen Entwicklungen ergeben sich unserer An-
    schaft aus als nach der Lehman-Pleite, was die export­      sicht nach fünf zentrale Tendenzen für die zukünftige
    orientierte deutsche Volkswirtschaft hart trifft.           Entwicklung der Digitalisierung, der Globalisierung
                                                                und des demografischen Wandels:
    Die Corona-Pandemie ist zwar längst noch nicht been-
    det und es wird voraussichtlich Jahre dauern, bis alle      1. Die Frage der digitalen Souveränität gewinnt an
    ökonomischen und sozialen Schäden einigermaßen be-            Relevanz
    hoben sind. Angesichts der Schwere der wirtschaftli-          Eine Einheit ist digital souverän, wenn seine digi-
    chen Krise und der gewaltigen Anstrengungen zu ihrer          talen Abhängigkeiten das Ergebnis eines Auswahl-
    Bewältigung dürfte aber bereits jetzt klar sein: Dieses       und Entscheidungsprozesses sind und somit jeder-
    einschneidende Ereignis bringt langfristige Verände-          zeit abgeändert werden können. Dies bringt mit sich,
    rungen für unser Wirtschaftsleben mit sich.                   dass die Einheit frei ist, ihre Sozial-, Wirtschafts-
                                                                  und Regulierungspolitik für den digitalen Raum so
    Aus Sicht der Megatrends spielen zwei Entwicklungen           zu gestalten, dass sie ihren Werten und Zielvorstel-
    eine besondere Rolle. Zum einen gehen wir davon aus,          lungen entsprechen. Die Kernherausforderung für
    dass die Corona-Pandemie ein zusätzlicher Katalysa-           die digitale Souveränität Europas ist entsprechend,
    tor für die Digitalisierung sein wird. Sowohl in der Pro-     seine Abhängigkeit von Dritten im Bereich digitaler
    duktion als auch im Handel und im Dienstleistungsbe-          Technologien und Geschäftsmodelle zu vermindern.
    reich wird sich der Einsatz digitaler Technologien nach       Angesichts der coronabedingt zu erwartenden Be-
    unserer Einschätzung beschleunigen. Damit verringert          schleunigung der Digitalisierung und des damit ein-
    sich für Unternehmen die Gefahr, im Fall einer erneu-         hergehenden Strukturwandels ist die Frage der digi-
    ten Pandemie krankheitsbedingten Produktionsein-              talen Souveränität relevanter denn je. Europa sollte
    bußen und Umsatzausfällen ausgesetzt zu sein. Zum             die Pandemie als Weckruf begreifen und den digita-
    anderen erwarten wir eine Verlagerung der globa-              len Wandel gleichermaßen aktiv wie wertebasiert
    len Wertschöpfungsketten, weil Effizienzerwägun-              und zielgerichtet vorantreiben, um kritische Abhän-
    gen zukünftig ein Stück weit an Bedeutung verlieren           gigkeiten von Dritten zu reduzieren. Aus einer sol-
                                                                  chen „smarten Resilienz“ kann mittel- bis langfristig
                                                                  eine Steigerung der europäischen Wettbewerbsfä-
                                                                  higkeit und in diesem Zuge auch der sozialen Teilha-
                                                                  bechancen aller Europäer:innen erwachsen.

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2. D ie internationale Arbeitsteilung gerät zuneh-        lieren und nicht von den Importen aus dem Aus-
  mend unter Druck                                        land abhängig sein wollen, werden auch sie ihre
  Effizienz und Kostenminimierung waren bisher die         Anstrengungen in der vertikalen Indus­triepolitik
  maßgeblichen Aspekte für die Gestaltung der inter-       steigern müssen. Dabei geht es nicht um die Kopie
  nationalen Arbeitsteilung. Zukünftig dürfte auch die     chinesischer oder amerikanischer Ansätze, sondern
  Frage der Liefersicherheit eine wichtige Rolle spie-     vielmehr um die Entwicklung eines eigenen indus­
  len. Daher erwarten wir eine Tendenz zur weiteren        triepolitischen Ansatzes im Rahmen der Werte und
  Diversifikation von Wertschöpfungsketten und zur         gesellschaftlichen Zielsetzungen der Sozialen Markt-
  verstärkten Lagerhaltung. Allerdings sind Effizienz­     wirtschaft.
  einbußen der Preis für eine Verringerung der Ab-
  hängigkeit von den Zulieferungen aus dem Rest der      4. Die eigene Innovationsfähigkeit wird zu einem
  Welt. Zudem könnte die partielle Rena­tionalisierung     zentralen Resilienzfaktor
  von Produktionsprozessen der Startschuss für einen       Ganz besonders wird sich die Frage der Industriepo-
  weiteren Protektionismus-Wettlauf sein. Proble-          litik im Innovationsbereich stellen. Der sich inten-
  matisch ist schließlich auch, dass deutsche Unter-       sivierende Hegemonialkonflikt zwischen China und
  nehmen bestimmte Vorleistungen aus dem Ausland           den USA sorgt für eine Verschärfung des Innovati-
  beziehen, weil die entsprechenden einheimischen          onswettbewerbs zwischen diesen beiden Staaten.
  Produkte nicht wettbewerbsfähig oder bestimmte           Zunehmend bilden sich eigene technologische Ein-
  Ressourcen hier nicht vorhanden sind. Das bedeu-         flusssphären heraus, in denen entweder chinesische
  tet: Außerhalb von Krisenzeiten, in denen kein Im-       oder amerikanische Standards gelten und die tech-
  port dieser Produkte erfolgt, werden sich die Käu-       nologischen Entwicklungen aus einem dieser Länder
  fer:innen unter sonst gleichen Rahmenbedingungen         dominieren. Mit der Corona-Krise verstärkt sich die-
  weiterhin bei den nach wie vor existierenden preis-      ser Trend weiter: Sie verdeutlicht, wie schnell Staa-
  werteren Angeboten aus dem Ausland bedienen.             ten von ausländischen Innovationen abgeschnit-
  Deshalb wird eine sich aus Gründen der Risikomini-       ten werden können, und zeigt, wie wertvoll eigene
  mierung abzeichnende Relokalisierung der Herstel-        ­Innovationsfähigkeit im Krisenfall ist. Im Zuge der
  lung von bestimmten Gütern ohne irgendeine Form          zunehmenden Digitalisierung werden vor allem ei-
  der staatlichen Unterstützung kaum möglich sein.         gene Kapazitäten in Technologien wie künstlicher
  Auch eine Diversifizierung von Wertschöpfungsket-        Intelligenz, 5G oder Blockchain an Bedeutung ge-
  ten, bei der nicht mehr nur Vorleistungen von einem      winnen. Gemessen an besonders bedeutsamen Pa-
  Herkunftsland, sondern von mehreren bezogen wer-         tenten, sind die USA in vielen Zukunftstechnolo-
  den, ist mit Kosten verbunden.                           gien und vor allem in der Digitalisierung Weltspitze.
                                                           China hat seine Innovationskraft mit einem rasanten
3. D ie Bedeutung der vertikalen Industriepolitik         Wachstum in den vergangenen Jahren stark gestei-
  nimmt zu                                                gert. Für Europa – und noch viel mehr für Entwick-
  China, die USA und andere Nationen unterstüt-            lungsländer – sind die Aussichten hingegen trüb. Sie
  zen zukunftsträchtige Schlüsselindustrien wie Elek­      drohen, den Anschluss zu verlieren und sich in ein
  tromobilität, Robotertechnologie oder Biomedizin         technologisches Vasallentum zu begeben.
  in erheblichem Ausmaß durch eine gezielte Förde-
  rung der ausgewählten Sektoren bzw. Technologien
  (vertikale Industriepolitik). Wenn Deutschland und
  Europa in diesen Bereichen nicht den Anschluss ver-

                                                                                                                   7
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5. Der fortschreitende demografische Wandel be-        Diese und weitere Entwicklungen führen zu einem gra-
      inhaltet zusätzliche „Störfaktoren“                  vierenden Strukturwandel von Wirtschaft und Gesell-
      Die demografische Alterung wird in diesem Jahr-       schaft – und bringen für die Bürger:innen erhebliche
      zehnt in vielen europäischen Ländern in eine „heiße   Anpassungen mit sich. Die ohnehin schon hohen An-
      Phase“ eintreten. Mit Blick auf die Bewältigung       forderungen an eine Flankierung dieser Veränderun-
      der ökonomischen Folgen der Corona-Krise und          gen durch sozial- und bildungspolitische Maßnahmen
      die Errichtung krisenresilienter Strukturen erge-     werden dadurch noch größer. Dennoch ist sie erfor-
      ben sich dadurch zusätzliche „Störfaktoren“: Be-      derlich, denn sonst droht eine Blockadehaltung brei-
      reits im Verlauf der 2020er-Jahre werden die Al-      ter Bevölkerungsschichten.
      terung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung
      das Wirtschaftswachstum in Deutschland dämp-
      fen. ­Erschwerend kommt hinzu, dass mit dem demo­
      grafischen Wandel die Staatsausgaben zusätzlich              Der durch die ­Corona-Krise
      steigen. Bei der Diskussion um die Relokalisierung
      der Herstellung bestimmter Güter muss berücksich-            beschleunigte Struktur­wandel
      tigt werden, dass Deutschland auf eine Phase des
      akuten Fachkräftemangels zusteuert. Schließlich              braucht eine sozial- und bil-
      sinkt bei den öffentlichen Finanzen der Spielraum,
      sodass es zukünftig umso mehr darauf ankommt,                dungspolitische Flankierung.
      diese sozialverträglich auf Zukunftsinvestitionen
      und die Gewährleistung altersbezogener Siche-
      rungsleistungen zu verteilen. Dies wird politisch
      eine besonders große Herausforderung, da die hö-
      heren Altersgruppen einen stetig zunehmenden Teil
      der Wähler:innen ausmachen.

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Megatrend-Report #02: Die Corona-Transformation Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und die Digitalisierung beschleunigt - Bertelsmann ...
Einleitung

Die Ausbreitung des neuen Corona-Virus (COVID -19)        2.	Spätestens nach dem Ende der Corona-­Pandemie
hält die Weltwirtschaft fest im Griff. Sie hat bereits      werden wir weltweit erhebliche strukturelle Verän-
eine hohe Zahl von Erkrankungs- und Todesfällen ge-         derungen unseres Wirtschafts- und Gesellschafts-
fordert und ruft gravierende wirtschaftliche Auswir-        systems erleben. So gehen wir davon aus, dass die
kungen hervor, die wiederum soziale Verwerfungen            Pandemie ein zusätzlicher Katalysator für die Digi-
mit sich bringen. Die durch diese Pandemie ausge-           talisierung sein wird. Sowohl in der Produktion als
löste globale Wirtschaftskrise ist nach den Rezessio-       auch im Handel und im Dienstleistungsbereich er-
nen im Zuge der geplatzten Dotcom-Blase Anfang der          warten wir eine weitere Beschleunigung des Einsat-
2000er-Jahre und der Lehman-Pleite 2008/09 bereits          zes digitaler Technologien. Diese Entwicklung ver-
die dritte große Wirtschaftskrise dieses Jahrhunderts.      ringert die Gefahr, dass Unternehmen im Fall einer
Während die ersten beiden Wirtschaftseinbrüche im           erneuten Pandemie krankheitsbedingten Produkti-
Kern eine Nachfrage- und Vertrauenskrise darstell-          onseinbußen und Umsatzausfällen ausgesetzt sind.
ten, die jeweils durch eine Finanzmarktkrise ausge-         Zudem erwarten wir, dass Effizienzerwägungen zu-
löst wurden, handelt es sich bei der aktuellen Krise        künftig ein Stück weit an Bedeutung verlieren und
um eine Kombination aus Nachfrage- und Angebots-            dafür Risikoaspekte eine größere Rolle bei unter-
krise, die eine Finanzmarkt- und Vertrauenskrise nach       nehmerischen und gesellschaftspolitischen Ent-
sich ziehen kann.                                           scheidungen spielen. Eine sich daraus ergebende
                                                            Konsequenz ist die stärkere Diversifikation bzw.
Die Ursachen der aktuellen Wirtschaftskrise sind somit      Relokalisierung von ausgewählten ökonomischen
vielfältiger als bei den bisherigen Krisen dieses Jahr-     und technologischen Aktivitäten. Die damit verbun-
hunderts. Das hat zwei gravierende Konsequenzen:            dene Stärkung der nationalen Souveränität redu-
                                                            ziert die Abhängigkeit von Technologien, Vorleis-
1.	Das Ausmaß der ökonomischen Schäden wird – so           tungen und Endprodukten aus dem Ausland. Dabei
   die aktuell vorliegenden Prognosen – weltweit grö-       gehen allerdings Spezialisierungsgewinne verloren,
   ßer ausfallen als bei allen anderen Wirtschaftskri-      die sich aus der internationalen Arbeitsteilung er-
   sen seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Damit wird          geben. Resilienz hat einen Preis. Dieser kann je-
   auch die Lösung dieser Wirtschaftskrise eine grö-        doch durch den verstärkten Einsatz digitaler Tech-
   ßere Herausforderung als der Umgang mit den bis-         nologien – der ohnehin stattfinden wird – reduziert
   herigen Krisen sein. Sie wird u. a. weltweit wesent-     werden. Digitale Technologien verringern die Pro-
   lich höhere finanzielle staatliche Mittel verlangen,     duktionskosten und können es zu einer betriebs-
   als nach der Lehman-Pleite erforderlich waren.           wirtschaftlich lohnenden Alternative machen, die
                                                            Herstellung von essenziellen Produkten in Indus-
                                                            trieländer zu verlagern.

                                                                                                                  9
Megatrend-Report #02: Die Corona-Transformation Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und die Digitalisierung beschleunigt - Bertelsmann ...
1      Pandenomics –
   Auswirkungen der
    Corona-Pandemie
auf die Weltwirtschaft
     Ökonomische Krisen begleiten die Weltwirtschaft schon seit Langem. Doch breiten sich
     nationale Wirtschaftseinbrüche durch das wirtschaftliche Zusammenwachsen der Volks-
     wirtschaften im Zuge der voranschreitenden Globalisierung und den technologischen
     Fortschritt immer schneller weltweit aus – und führen so zu größeren wirtschaftlichen
     Schäden als bei einer auf eine Region begrenzten Rezession.

10
1.1	Wirtschaftseinbruch nach geplatzter
      Spekulationsblase
1.2	Wirtschaftseinbruch nach dem
      Ausbruch einer Epidemie bzw. Pandemie
1.3	Wirtschaftspolitische Antworten
      auf die Corona-Pandemie
1.4	Mittel- und langfristige Auswirkungen
      der Corona-Pandemie
1 Pandenomics – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft

1.1 Wirtschaftseinbruch nach geplatzter
    Spekulationsblase

              Die meisten dieser Krisen waren das Resultat einer               reduziert sich die Konsumnachfrage noch mal zusätz-
              geplatzten Spekulationsblase (vgl. zu den nachfol-               lich. Folglich gehen die Absatz- und die Renditeerwar-
              genden Ausführungen Petersen 2013, S. 177–190).                  tungen bezüglich anstehender Investitionsprojekte in
              Eine solche Blase entsteht, wenn viele Menschen auf              den Unternehmen zurück – und die Investitionsgüter-
              Preissteigerungen bei einem bestimmten Vermögens-                nachfrage sackt weiter ab. Die gesamtwirtschaftliche
              gegenstand spekulieren. Fließen große Geldmengen                 Nachfragekrise verschärft sich somit immer mehr.
              in den Kauf dieses Vermögensgegenstandes, schießt
              der Preis in die Höhe. Irgendwann glauben die Anle-              Die internationale Verflechtung der Volkswirtschaften
              ger:innen nicht mehr an weitere Preissteigerungen                untereinander führt rasch zu einer weltweiten Aus-
              und verkaufen das Spekulationsobjekt. Folgen viele               breitung der realwirtschaftlichen Effekte. Ein Wirt-
              Marktteilnehmer:innen dieser Entscheidung, kommt                 schaftseinbruch in den USA bedeutet beispielsweise,
              es zu erheblichen Preiseinbrüchen. Da diese Vermö-               dass die USA weniger Produkte aus dem Ausland be-
              gensgegenstände häufig als Sicherheit für Kredite ge-            nötigen. Dadurch gehen die Exporte im Rest der Welt
              nutzt werden, platzt mit der Spekulationsblase dann              zurück. Geringere Exporte bringen in den betroffe-
              auch eine Kreditblase. Es bleibt daher nicht bei Ver-            nen Ländern einen Produktions- und Beschäftigungs-
              mögensverlusten von Spekulant:innen, sondern auch                rückgang mit sich, der zu geringeren verfügbaren Ein-
              Kreditgeber:innen und vor allem Banken müssen herbe              kommen führt und so die heimische Konsumnachfrage
              Einbußen hinnehmen.                                              schwächt.

              Diese Vermögensverluste übertragen sich rasch auf                Die skizzierten Zusammenhänge gelten für die meis-
              die Realwirtschaft und lassen die Konsumausgaben                 ten bisherigen Krisen – auch für die im Oktober 1929
              der Verbraucher:innen und die Investitionsaktivitä-              ausgelöste Weltwirtschaftskrise. Bei der weltweiten
              ten der Unternehmen sinken. Banken schränken ihre                Ausbreitung einer Infektionskrankheit gilt dieses Mus-
              Kreditvergabe ein und erschweren damit kreditfinan-              ter jedoch nicht.
              zierte Investitionen. Unternehmen reduzieren ihre Pro-
              duktion, wenn die Nachfrage nach Konsum- und In-
              vestitionsgütern nachlässt. Damit wächst die Gefahr
              von Entlassungen. Da die steigende Unsicherheit bei
              vielen Konsument:innen zu einem Angstsparen führt,

12
Wirtschaftseinbruch nach dem Aus-                                                                                  1.2
      bruch e
            ­ iner Epidemie bzw. Pandemie

      Bei den ökonomischen Konsequenzen, die die Verbrei-       sogenannten Lockdown – verbieten. Für die Anbie-
      tung einer Infektionskrankheit nach sich zieht, sind      ter:innen der betroffenen Güter und Dienstleistungen
      zwei Phasen zu unterscheiden.                             kommt es folglich zu oft immensen Umsatzausfällen.
                                                                Unternehmen reagieren darauf, indem sie ihre Produk-
      Die erste Phase betrifft den Ausbruch der Epidemie        tion oder die Bereitstellung von Dienstleistungen her-
      in einem Land, im Fall des Corona-Virus also China (die   unterfahren. Damit geht das Bruttoinlandsprodukt (im
      nachfolgenden Ausführungen sind Petersen 2020a            Folgenden: BIP ) ebenso zurück wie die Beschäftigung.
      entnommen). Dort hat die Verbreitung einer Infekti-
      onskrankheit zunächst einmal nachfragedämpfende           Der Ausbruch einer Infektionskrankheit bringt gleich-
      Effekte: Aus Angst vor einer Ansteckung meiden Men-       zeitig auch angebotsdämpfende Effekte mit sich: Ein
      schen Geschäfte und schränken ihren Konsum ein.           krankheitsbedingter Ausfall von Arbeitskräften ver-
      Sie verzichten auf den Besuch von Restaurants, Kinos      ringert die Produktionskapazitäten der Unternehmen.
      sowie Großveranstaltungen und sagen Urlaubsreisen         Hinzu kommt, dass auch gesunde Beschäftigte aus
      ab. Besonders hoch sind derartige Nachfrageausfälle,      Angst vor einer Ansteckung nicht am Arbeitsplatz er-
      wenn staatliche Behörden einen entsprechenden Kon-        scheinen wollen oder dort aufgrund staatlicher Anord-
      sum und die damit verbundenen Aktivitäten durch Aus-      nungen zur Eindämmung der Epidemie gar nicht mehr
      gangssperren und Unternehmensschließungen – den           erscheinen dürfen. Deshalb müssen Unternehmen ihre
                                                                Produktion einschränken oder sogar komplett einstel-
                                                                len. Und je umfangreicher die Unternehmensschlie-
                                                                ßungen sind, um die Verbreitung des Virus zu begren-
Eine Pandemie ist ein exo-                                      zen, desto größer werden die Wirtschaftseinbußen.

gener Schock, der nicht nur                                     Für China bedeutete das gleichzeitige Auftreten eines
                                                                Nachfrage- und Angebotseinbruchs einen beispiels-
einen Nachfrageeinbruch,                                        losen Rückgang des realen BIP zu Beginn des Jahres
                                                                2020. Die OECD weist die Veränderungen des realen
sondern auch noch einen Pro-                                    BIP als Quartalsdaten aus. Für China liegen die ent-
                                                                sprechenden Werte seit Beginn des Jahres 2011 vor.
duktionsrückgang hervorruft.                                    Seitdem ist das reale BIP in China in jedem Quartal

                                                                                                                          13
1 Pandenomics – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft

 AB B ILDUNG 1:

 Corona-Krise führt in China zu massivem Wirtschaftseinbruch
 Veränderung des realen BIP in China, Veränderung in Prozent gegenüber dem Vorquartal

 2

 0

  Q1-2011           Q1-2012         Q1-2013          Q1-2014          Q1-2015   Q1-2016     Q1-2017       Q1-2018      Q1-2019

 -2

 -4

 -6

 -8

-10

 Quelle: OECD.Stat (Datenabruf am 14.5.2020).

 AB B I LDUNG 2:
 Ökonomische Konsequenzen einer Infektionskrankheit in China

 Nachfrageeffekte in China
 •	
   Menschen meiden Einkaufsläden in den                                           Nachfrageeffekte im Rest der Welt
   Städten                                                                        •	
                                                                                    Exporte nach China
 •	
   Menschen meiden Großveranstaltungen                                            •	
                                                                                    Produktion und Beschäftigung
   (Sport, Konzerte, Theater etc.)
 •	
   Menschen schränken Reiseaktivitäten ein
                                                               CHINA                                                      REST DER WELT
                                                          Produktion                                                       Produktion
                                                              BIP                                                              BIP
                                                         Beschäftigung                                                    Beschäftigung
                                                          Einkommen                                                        Einkommen
 Angebotseffekte in China
 •	Beschäftigte fallen krankheits-
                                                                                  Angebotseffekte im Rest der Welt
    bedingt aus
                                                                                  •	
                                                                                    Produktion wegen fehlender Vor-
 •	Beschäftigte gehen aus Angst
                                                                                    leistungen aus China
      vor Ansteckung nicht zur Arbeit
                                                                                  •	
                                                                                    Beschäftigung wegen Produktions-
                                                                                    einschränkung

 Quelle: Eigene Darstellung.

 14
um 1,5 bis zwei, in der Spitze sogar um 2,5 Prozent ge-   Produktion und Einkommen einbrechen, sinkt auch
             wachsen. Im ersten Quartal 2020 sank die durch das        die chinesische Nachfrage nach Produkten aus dem
             BIP ausgedrückte Wirtschaftsleistung jedoch um fast       gesamten Ausland. Im Rest der Welt gehen daher die
             zehn Prozent (siehe Abb. 1).                              Exporte nach China zurück. Daher müssen die Unter-
                                                                       nehmen im Ausland ihr Produktions- und Beschäfti-
             Ein weiterer Angebotsschock ergibt sich, wenn in-         gungsniveau senken, was dort zu einem Rückgang des
             und ausländische Unternehmen plötzlich keine Vor-         BIP führt (siehe Abb. 2).
             leistungen mehr aus dem von der Infektionskrankheit
             betroffenen Land erhalten, weil es dort zu einem Pro-     Die globalen ökonomischen Ausstrahlwirkungen sind
             duktionsstopp kommt oder die Transportwege unter-         bei einer Infektionsepidemie in China gravierend, weil
             brochen werden. Das trifft im aktuellen Fall nicht nur    China mittlerweile die zweitgrößte Volkswirtschaft
             die chinesische Wirtschaft, sondern die gesamte Welt-     der Welt ist (gemessen durch die Wirtschaftskraft
             wirtschaft. Die temporäre Durchtrennung der globa-        in US -Dollar). Damit ist auch die Bedeutung dieses
             len Lieferketten kann die Produktion einschränken         Staates als Käufer von Gütern aus dem Rest der Welt
             oder sogar vollkommen zum Erliegen bringen, wenn          in den letzten Jahren rasant gestiegen. 1990 betrug
             Unternehmen keinen Ersatz für die notwendigen Vor-        die chinesische Importnachfrage nach Waren ledig-
             leistungen finden.                                        lich 1,5 Prozent der globalen Importnachfrage. 2019
                                                                       waren es bereits 10,8 Prozent. Damit ist China nach
             Der Wirtschaftseinbruch in China hat noch eine wei-       den USA der weltweit zweitgrößte Importeur von
             tere Auswirkung auf den Rest der Welt: Wenn in China      Waren (siehe Abb. 3).

ABBIL DUNG 3:
China ist gegenwärtig die zweitgrößte Importnation der Welt

Chinas Anteil am weltweiten Importvolumen                                   Die 10 größten Importeure von Waren (Angaben in
von Waren (Angaben in Prozent)                                              Prozent am globalen Importvolumen)

                                                               10,8
                                                                            USA                                                   13,4
10
                                                                            China                                          10,8

 8                                                                          Deutschland                          6,4

                                                                            Japan                          3,7
 6
                                                                            Vereinig. Königreich          3,6

 4                                                                          Frankreich                 3,4

                                                                            Niederlande                3,3
 2                                                                          China, Sonderverwal-
                                                                                                      3,0
                                                                            tungszone Hongkong
      1,5
                                                                            Südkorea                 2,6

     1990   1994   1998   2002    2006   2010   2014    2018                Indien                  2,5

Quelle: UNCTAD Statistics (Datenabruf am 20.5.2020).

                                                                                                                                     15
1 Pandenomics – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft

              Die zweite Phase der ökonomischen Konsequenzen                   sank das weltweite BIP um lediglich 0,1 Prozent. Für
              einer Infektionskrankheit betrifft deren weltweite Aus-          2020 geht der Internationale Währungsfonds (IMF ) in
              breitung, die aus einer Epidemie eine Pandemie macht.            seiner im Juni 2020 veröffentlichten Prognose dage-
              In dieser Phase kommt es in zahlreichen Ländern zu               gen von einem weltweiten BIP -Rückgang in Höhe von
              einer Verbreitung der Infektionskrankheit. Die Folge:            fast fünf Prozent aus. Auch für Deutschland wird für
              Alle beschriebenen ökonomischen Auswirkungen, die                2020 ein stärkerer Wachstumseinbruch als 2009 er-
              aus der Infektionskrankheit in China für die chinesi-            wartet (7,8 Prozent statt 5,7 Prozent).
              sche und die globale Wirtschaft resultieren, ergeben
              sich nun auch aus einer Epidemie in Italien, Deutsch-            Dass diese Befürchtung nicht nur eine Vermutung ist,
              land, Frankreich, den USA etc. Der damit verbundene              zeigen alle relevanten Konjunkturindikatoren – so-
              Wirtschaftsabschwung trifft dann alle Volkswirtschaf-            wohl in Deutschland als auch im Rest der Welt. Neben
              ten – selbst jene, in denen es ggf. gar keine Erkrankun-         dem bereits erwähnten beispiellosen BIP -Rückgang in
              gen und Todesfälle gibt. So leiden beispielsweise viele          China im ersten Quartal 2020 gab es nach dem Aus-
              Schwellen- und Entwicklungsländer in besonderem                  bruch des Corona-Virus Ende Februar 2020 zahlreiche
              Maße darunter, dass rezessionsbedingt die Preise für             Indikatoren, die historische Einbrüche oder sogar Tief-
              Rohstoffe (allen voran Erdöl) einbrechen und Industrie­          stände erreichten. Dazu nur fünf Beispiele:
              länder ihr Kapital aus diesen Ländern abziehen, um es
              in „sichere Häfen“ zu bringen und Liquiditätsengpässe            1.	Die reale, also inflationsbereinigte Produktion des
              im eigenen Land auszugleichen (vgl. ausführlicher Ar-               Produzierenden Gewerbes ging in Deutschland im
              regui Coka, Hartmann und Petersen 2020).                            März 2020 um über neun Prozent gegenüber Fe-
                                                                                  bruar 2020 zurück. Im April betrug der Rückgang
              Der Umstand, dass es in nahezu allen Volkswirtschaf-                gegenüber dem Vormonat sogar fast 18 Prozent.
              ten der Welt pandemiebedingt sowohl zu einer Nach-                  Das sind die stärksten Rückgänge seit Beginn die-
              fragekrise als auch zu einer Angebotskrise kommt, hat               ser Zeitreihe im Januar 1991 (vgl. Statistisches Bun-
              eine bedenkliche Auswirkung: Die zu erwartenden                     desamt 2020a).
              BIP-Einbrüche werden weltweit höher ausfallen als
              bei einer Wirtschaftskrise, die nur einen Nachfrage-             2.	Die realen Auftragseingänge im Verarbeitenden
              rückgang nach sich zieht – also auch höher als im Zuge              Gewerbe in Deutschland, die ein Indikator für die
              der weltweiten Rezession nach der Lehman-Pleite im                  Produktion der nächsten Monate sind, sanken im
              Herbst 2008. Erschwerend kommt hinzu, dass bereits                  März 2020 um mehr als 15 Prozent gegenüber dem
              vor dem Pandemieausbruch ein schwächeres Wirt-                      Februar und im April 2020 nochmals um fast 26 Pro-
              schaftswachstum zu erwarten war, weil das weltwirt-                 zent gegenüber dem Vormonat. Das sind ebenfalls
              schaftliche Umfeld zunehmend durch wirtschaftliche                  die stärksten Rückgänge seit Beginn der Zeitreihe
              Abschottungstendenzen geprägt ist (Brexit, Handels-                 (vgl. Statistisches Bundesamt 2020b).
              streitigkeiten zwischen den USA und China, drohende
              amerikanische Strafzölle auf Produkte der EU etc.). Das
              Ausmaß der zu befürchtenden wirtschaftlichen Ein-
              bußen zeigt der Vergleich der BIP -Entwicklungen des
              Jahres 2009 mit den erwarteten Veränderungsraten
              für 2020 (siehe Abb. 4). Während der Lehman-Pleite

16
3.	Der ifo Geschäftsklimaindex, der die Aussichten       5.	In den USA stieg die Arbeitslosenquote von 3,5 Pro-
                der deutschen Unternehmen für das kommende                 zent im Februar 2020 und 4,4 Prozent im März auf
                halbe Jahr ausdrückt, hatte im April 2020 mit einem        14,7 Prozent im April. Das ist der höchste Wert seit
                Wert von 69,4 den niedrigsten jemals gemessenen            Beginn der Aufzeichnungen nach dem 2. Weltkrieg
                Wert. Das bedeutet, dass die Unternehmen „noch             (vgl. BLS 2020, S. 1 f.).
                nie so pessimistisch auf die kommenden Monate“
                (ifo Institut 2020, S. 1) geblickt haben.               Auch wenn sich im Mai und Juni bei einigen dieser Indi-
                                                                        katoren eine leichte Verbesserung eingestellt hat, ma-
              4.	Das Konsumklima der deutschen Verbraucher:in-         chen diese wenigen Beispiele deutlich: Der durch die
                nen sackte in der April-Umfrage auf einen historisch    Corona-Pandemie ausgelöste weltweite Wirtschafts-
                niedrigen Wert ab. Dies ist ein bislang „beispiello-    abschwung ist größer als nach der Lehman-Pleite. Das
                se[r] Absturz des Konsumklimas“ (GfK 2020, S. 1).       verlangt umfangreichere wirtschaftspolitische Maß-
                Parallel dazu nahm die Sparneigung der Bürger:in-       nahmen als 2008/09, um Produktion, Beschäftigung
                nen zu: Die gesamtwirtschaftliche Sparquote, die        und Einkommen wieder auf das Niveau vor Ausbruch
                im vierten Quartal 2019 noch bei 9,7 Prozent lag,       der Pandemie zu bringen.
                erreichte im ersten Quartal 2020 fast 17 Prozent
                (vgl. Siedenbiedel 2020).

ABBIL DUNG 4:

Corona-Pandemie führt zu stärkeren Wirtschaftseinbrüchen
als nach der ­Lehman-Pleite
Veränderungen des realen BIP in ausgewählten Regionen gegenüber dem Vorjahr, Angaben in Prozent, Daten ab 2020: Schätzwerte

 Land/Region                  2007           2008           2009           2010                 2019          2020           2021

 Welt                         5,6            3,0            -0,1           5,4                  2,9           -4,9           5,4

 Eurozone                     3,0            0,4            -4,5           2,1                  1,3           -10,2          6

 Deutschland                  3,0            1,0            -5,7           4,2                  0,6           -7,8           5,4

 Frankreich                   2,4            0,3            -2,9           1,9                  1,5           -12,5          7,3

 Italien                      1,5            -1,0           -5,3           1,7                  0,3           -12,8          6,3

 Vereinigtes Königreich       2,4            -0,3           -4,2           2,0                  1,4           -10,2          6,3

 Japan                        1,7            -1,1           -5,4           4,2                  0,7           -5,8           2,4

 USA                          1,9            -0,1           -2,5           2,6                  2,3           -8,0           4,5

Quelle: IMF, World Economic Outlook Database – April 2020 (Datenabruf am 20.5.2020) und IMF 2020.

                                                                                                                                    17
1 Pandenomics – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft

1.3 Wirtschaftspolitische Antworten
    auf die ­Corona-Pandemie

              Die Wirtschaftspolitik hat zwei grundsätzliche In­                      Ziel der expansiven Fiskalpolitik ist es, die ge-
                                                                                   2.	
              strumente, um auf einen Wirtschaftseinbruch zu re-                      samtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern und
              agieren – eine expansive Geldpolitik und eine expan-                    Dienstleistungen zu steigern und dadurch Pro-
              sive Fiskalpolitik:                                                     duktion und Beschäftigung zu erhöhen. Der Staat
                                                                                      kann dafür den staatlichen Konsum erhöhen, die
                 Eine expansive Geldpolitik hat das Ziel, die In-
              1.	                                                                    öffentlichen Investitionen steigern und zusätzli-
                  vestitionen der Unternehmen über sinkende Zin-                      che Beschäftigte einstellen. Die höheren Ausgaben
                  sen zu erhöhen. Bei geringeren Zinsen sind Unter-                   werden in der Regel durch eine Kreditaufnahme fi-
                  nehmen eher bereit, einen Kredit für Investitionen                  nanziert, weil Steuererhöhungen die verfügbaren
                  aufzunehmen. Gleichzeitig erhöhen sich die kre-                     Einkommen der Bürger:innen reduzieren und da-
                  ditfinanzierten Käufe von Konsumgütern. Wenn                        durch die private Konsumnachfrage schwächen.
                  sowohl die Nachfrage nach Investitionsgütern als                    Zudem kann der Staat Steuern und Sozialversi-
                  auch nach Konsumgütern steigt, passen sich die                      cherungsbeiträge senken und so die verfügbaren
                  Unternehmen an die höhere Nachfrage an – die                        Einkommen der privaten Haushalte erhöhen und
                  Wirtschaft wächst.                                                  den privaten Konsum forcieren.

AB B I LDUNG 5:

Schnelle Erholung in den G7-Staaten nach der Lehman-Pleite
Veränderung des realen BIP, Quartalsdaten, Angaben in Prozent

     Japan       Kanada         USA         OECD          Deutschland          Frankreich      Italien      Vereinigtes Königreich

2

1

0

-1

-2

-3

-4

-5

       Q1-2008            Q2-2008            Q3-2008             Q4-2008             Q1-2009             Q2-2009          Q3-2009    Q4-2009

Quelle: OECD.Stat (Datenabruf am 14.5.2020).

18
Beide Maßnahmen wurden 2008 und 2009 weltweit              achten, dass menschliche Kontakte zur Eindämmung
eingesetzt – und zwar mit Erfolg. Die meisten Volks-       der Infektionskrankheit weitgehend eingeschränkt
wirtschaften verzeichneten im Frühjahr 2009 bereits        werden (Social Distancing). Eine staatliche Förderung
den Tiefpunkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Da-      von personennahen Dienstleistungen wäre in diesem
nach begann eine rasche Erholung. Der Blick auf die        Zusammenhang nahezu absurd.
Quartalsdaten des realen BIP verdeutlicht, dass z. B.
die G7-Staaten im ersten Quartal 2009 bereits die          Dennoch ist eine expansive Geldpolitik auch während
Talsohle des Wirtschaftsabschwungs erreicht hatten.        einer Pandemie erforderlich. Ihre primäre Zielsetzung
In der zweiten Jahreshälfte 2009 wuchs das reale BIP       ist aber nicht die unmittelbare Steigerung der gesamt-
in allen G7-Ländern wieder an (siehe Abb. 5).              wirtschaftlichen Nachfrage, sondern die Liquiditätssi-
                                                           cherung für Unternehmen und Freiberufler:innen. Sie
Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Weltwirt-         können bei einem Produktionsstopp schließlich keine
schaftskrise wird voraussichtlich nicht so schnell über-   Erlöse erzielen, müssen ihre Fixkosten (Mieten, Pach-
wunden sein. Verantwortlich dafür ist u. a., dass die      ten, Zins- und Tilgungszahlungen, Löhne für Minimal-
beschriebenen geld- und fiskalpolitischen Maßnah-          besetzung) aber dennoch nach wie vor bezahlen. Kön-
men nun weniger wirksam sind als bei einer reinen          nen viele Unternehmen ihren Zahlungsverpflichtungen
Nachfragekrise.                                            nicht nachkommen, droht eine Insolvenzkrise. Das
                                                           bedeutet, dass zahlreiche Unternehmen den Betrieb
Die Geldpolitik hat das Problem, dass sich die Zinsen      einstellen und Konkurs anmelden müssen. Um dies zu
seit der Lehman-Pleite weltweit auf einem sehr ge-         vermeiden, sollte die Wirtschaft ausreichend mit zins-
ringen Niveau befinden. In den meisten Fälle liegen        günstigen Krediten unterstützt werden.
sie bereits nahe null. Weitere Zinssenkungen zur An-
kurbelung der Güternachfrage sind daher kaum mög-          Aufgrund der begrenzten Produktionskapazitäten und
lich. Hinzu kommt, dass durch die Corona-Pandemie          der erforderlichen sozialen Distanzierung gelten die
die Produktionskapazitäten eines Landes temporär           gleichen Einschränkungen auch für die Wirksamkeit
begrenzt sind. Wenn Unternehmen geschlossen sind,          der Fiskalpolitik. Trotzdem ist es sinnvoll, bereits in
weil ihnen die Vorleistungen aus anderen Unterneh-         der Lockdown-Phase umfangreiche Konjunkturpro-
men fehlen, Beschäftigte krankheitsbedingt nicht zur       gramme anzukündigen, die nach der Eindämmung des
Verfügung stehen oder die Regierung das Unterneh-          Corona-Virus starten sollen. Die Aussicht auf höhere
men zur Eindämmung der Pandemie schließt, kann die         staatliche Ausgaben und einen damit angestoßenen
Volkswirtschaft nur ein geringeres BIP produzieren.
Beim Erreichen dieser Kapazitätsgrenze hätte eine
weitere zinsinduzierte Nachfragesteigerung nur noch
inflationserhöhende Effekte. Darüber hinaus ist zu be-

                                                                                                                     19
1 Pandenomics – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft

              wirtschaftlichen Aufschwung erhöht das Vertrauen                 Maßnahmepaket umfasst 57 Elemente, u. a. eine be-
              von Unternehmen, Beschäftigten und Verbraucher:in-               fristete Absenkung des Mehrwertsteuersatzes von 19
              nen und wirkt so gesehen stabilisierend.                         auf 16 Prozent bzw. von 7 auf 5 Prozent, zahlreiche
                                                                               weitere vorübergehende steuerliche Entlastungen,
              Eine zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung              Überbrückungshilfen für kleine und mittlere Unter-
              besteht bei einer durch eine Pandemie ausgelösten                nehmen sowie verschiedene öffentliche Investitionen
              Wirtschaftskrise also darin, die eingeschränkten Pro-            (vgl. Koalitionsausschuss 2020). 2008 und 2009 gab es
              duktionskapazitäten wieder auszuweiten, ohne dabei               in Deutschland als Antwort auf die Rezession im Zuge
              eine Ausbreitung der Infektionskrankheit zu riskie-              der Lehman-Pleite zwei Konjunkturpakete im Umfang
              ren. Erforderlich sind neben Vorsichtsmaßnahmen                  von „nur“ etwa 62 Milliarden Euro: das im November
              in Betrieben und Geschäften auch Zusatzkapazitä-                 2008 verabschiedete Konjunkturpaket I belief sich
              ten im Gesundheitssystem. Erst wenn die „Funkti-                 auf 12 Milliarden Euro und das im Januar 2009 verab-
              onalität des Gesundheitssystems und der medizini-                schiedete Konjunkturpaket II erreichte ein Volumen
              schen Versorgung“ sichergestellt ist (vgl. Bofinger et           von rund 50 Milliarden Euro (vgl. Barabas, Döhrn und
              al. 2020, S. 261), können bestehende Beschränkun-                Gebhardt 2011).
              gen im gesellschaftlichen Leben gelockert werden –
              und das langsame Hochfahren der Produktion kann                  Ob diese Maßnahmen zu einer mehr oder weniger ra-
              beginnen. Da die Angebotskrise nun nachlässt, ma-                schen wirtschaftlichen Erholung in Deutschland führen
              chen nachfragesteigernde Konjunkturprogramme zu                  können, hängt auch davon ab, wie schnell die Weltwirt-
              diesem Zeitpunkt Sinn.                                           schaft und in ihrem Kontext vor allem die europäi-
                                                                               sche Wirtschaft wieder auf die Beine kommen. Für die
              Wegen des bereits erreichten niedrigen Zinsniveaus               größte Volkswirtschaft der EU hängt die ökonomische
              und der Schwere der wirtschaftlichen Schäden wer-                Entwicklung auch von den Umsatzerlösen ab, die deut-
              den die erforderlichen staatlichen Konjunkturpa-                 sche Unternehmen im europäischen Ausland erzielen
              kete weltweit wesentlich größer ausfallen als nach               können. Daher ist auch die Wirksamkeit der konjunk-
              der Lehman-Pleite. Das verdeutlicht bereits der Blick            turpolitischen Maßnahmen der EU eine Voraussetzung
              auf die bis Ende April 2020 in Deutschland beschlos-             für die wirtschaftliche Regeneration Deutschlands.
              senen staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der
              Wirtschaftskrise. Die damit verbundenen haushalts-
              wirksamen Maßnahmen belaufen sich auf gut 350 Mil-
              liarden Euro (vgl. BMF 2020). Anfang Juni 2020 wurde
              ein Konjunkturpaket im Umfang von rund 130 Milli-
              arden Euro für die Jahre 2020 und 2021 auf den Weg
              gebracht. Das vom Koalitionsausschuss beschlossene

20
Der Umstand, dass die Regierungen weltweit bereits                                                                                             höher aus als 2008 und 2009. Daher sind die für 2020
                    zum zweiten Mal seit 2008 riesige Geldsummen zur                                                                                               prognostizierten Finanzierungsdefizite für viele Län-
                    Stabilisierung der Wirtschaft in die Hand nehmen                                                                                               der wesentlich größer als 2009. Eine Ausnahme bilden
                    müssen, bringt die Staatsfinanzen doppelt unter                                                                                                drei südeuropäische Staaten – Griechenland, Portu-
                    Druck. Zum einen haben sich die Staatsschulden in                                                                                              gal und Spanien –, die 2008/09 besonders stark unter
                    den meisten Ländern noch nicht von den Rettungs-                                                                                               der globalen Rezession nach der Lehman-Pleite gelit-
                    maßnahmen im Zuge der Lehman-Pleite erholt. So ist                                                                                             ten haben (vgl. Abb. 6 rechts).
                    die Staatsschuldenquote – definiert als staatlicher
                    Schuldenstand in Relation zum BIP – in vielen europä-                                                                                          Die Staatsschulden werden folglich wegen der er-
                    ischen Staaten 2019 wesentlich höher als 2007 (siehe                                                                                           forderlichen Stützungsmaßnahmen ansteigen. Den-
                    Abb. 6 links). Deutschland ist hier eine Ausnahme.                                                                                             noch sind sie unvermeidlich, da ohne sie ein dauerhaf-
                    Zum anderen fallen die kreditfinanzierten staatlichen                                                                                          ter wirtschaftlicher Absturz mit erheblichen sozialen
                    Konjunkturprogramme ebenso wie die Steuerausfälle                                                                                              Spannungen droht.

ABBIL DUNG 6:

Corona-Krise setzt Staatsfinanzen erheblich unter Druck

Bruttoschuldenstand des Staates (konsolidiert) in ausgewählten                                                                                                        Finanzierungsdefizit des Staates in ausgewählten europäischen
­europäischen Ländern 2007 und 2019 (Angaben in Prozent des BIP)                                                                                                      ­Ländern 2009 und 2020 (Prognosewert; Angaben in Prozent des BIP)

  2007                   2019                                                                                                                                            2009        2020

                                                                                                                                                                                                          5            10             15
180
                                                                                                                                                                      Österreich
160
                                                                                                                                                                      Griechenland
140
                                                                                                                                                                      Portugal
120
100                                                                                                                                                                   Deutschland

 80                                                                                                                                                                   Finnland
 60                                                                                                                                                                   EU-27
 40
                                                                                                                                                                      Eurozone
 20
                                                                                                                                                                      Belgien

                                                                                                                                                                      Polen
      Polen

              Finnland

                         Deutschland

                                       Österreich

                                                    EU-27

                                                            Eurozone

                                                                                              Spanien

                                                                                                        Frankreich

                                                                                                                     Belgien
                                                                       Vereinig. Königreich

                                                                                                                               Portugal

                                                                                                                                          Italien

                                                                                                                                                    Griechenland

                                                                                                                                                                      Frankreich

                                                                                                                                                                      Spanien

                                                                                                                                                                      Vereinig. Königreich

                                                                                                                                                                      Italien

Quelle: Eurostat (Datenabruf am 21.5.2020).

                                                                                                                                                                                                                                      21
1 Pandenomics – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft

              Offen ist, ob sich aus der Kombination von massiven              die sogenannte zweite Welle einer Pandemie – und
              Wirtschaftseinbrüchen und stark steigenden Schulden              ein zweiter flächendeckender Lockdown erforderlich
              – nicht nur bei den Regierungen, sondern auch bei den            werden, könnte dies der Auslöser für massive Aktien-
              Unternehmen – eine Finanzmarktkrise ergibt. Stabi-               und Wertpapierverkäufe sein und damit einen erneu-
              lisierend wirkt die Ankündigung der meisten Zentral-             ten Kurseinbruch an den Börsen hervorrufen. Auch
              banken, Staats- und Unternehmensanleihen auf den                 eine Verschärfung der globalen Handelskonflikte –
              Wertpapiermärkten zu kaufen und damit die Finanz-                allen voran dem zwischen den USA und China – kann
              märkte zu stärken. Damit können Kursrückgänge bei                so ein Auslöser sein. Deshalb wird die Unsicherheit
              diesen Anleihen verhindert werden. Zudem versorgt                bezüglich möglicher Finanzmarktturbulenzen infolge
              dieser Anleihenkauf die Wirtschaft mit Liquidität. Die           einer geplatzten Spekulationsblase die Weltwirtschaft
              Geldpolitik flankiert so gesehen die expansive Fiskal-           weiterhin begleiten.
              politik. Dieses Zusammenspiel von Geld- und Fiskal-
              politik dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass
              es bei den meisten Börsen nach einem massiven Kurs­
              absturz rasch wieder aufwärtsging. So ist eine Finanz-                  Geld- und Fiskalpolitik stabi-
              marktkrise zunächst einmal vermieden worden.
                                                                                      lisieren vorerst die Realwirt-
              Allerdings ist diese Geldpolitik nicht ganz ungefährlich:
              Sie pumpt riesige Geldmengen in das Wirtschaftssys-                     schaft und Finanzmärkte.
              tem und stellt dadurch die monetäre Basis für weitere
              Spekulationsblasen bereit. Sollte es zu einem erneu-
              ten starken Anstieg der Infektionszahlen kommen –

22
Mittel- und langfristige Auswir­kungen                                                                              1.4
der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie ist längst noch nicht beendet          •	Auch viele Unternehmen müssen hohe Kredite auf-
und es wird voraussichtlich Jahre dauern, bis alle öko-      nehmen, um trotz der coronabedingten Umsatzaus-
nomischen und sozialen Schäden einigermaßen beho-            fälle die nach wie vor anfallenden laufenden Kosten
ben sind. Angesichts der Schwere der wirtschaftlichen        finanzieren zu können. Folglich wird die Unterneh-
Krise und der gewaltigen Anstrengungen zu deren Be-          mensverschuldung ebenfalls stark ansteigen – vor
wältigung dürfte klar sein, dass dieses einschneidende       allem in personennahen Dienstleistungsbranchen.
Ereignis langfristige Veränderungen für unser Wirt-          Wenn ein Nachholen des während der Pandemie
schaftsleben mit sich bringen wird. Diese Erwartung          ausgefallenen Konsums nicht erfolgt, kann das zur
besteht zwar bei jeder großen Wirtschaftskrise, aber         Zahlungsunfähigkeit führen. Die Folge wäre eine In-
die tatsächlichen Veränderungen halten sich meist            solvenzkrise, die die Struktur der Anbieter:innen
in Grenzen. Dieses Mal dürfte es jedoch wirklich an-         erheblich verändern würde. So standen beispiels-
ders sein:                                                   weise nach Einschätzung des Deutschen Reisever-
                                                             bands (DRV ) Anfang Mai zwei Drittel aller Unter-
•	Die großen finanziellen Mittel, die die meisten Staa-     nehmen in der deutschen Reisebranche vor einem
   ten zur Stabilisierung der Wirtschaft und zur sozia-      Insolvenzantrag (vgl. DRV 2020). Neben den damit
   len Abfederung der Einkommensverluste aufwen-             verbundenen Arbeitsmarktproblemen stellt sich
   den müssen, führen zu einem erheblichen Anstieg           auch die Frage, wer dann die nach wie vor existie-
   der staatlichen Verschuldung. Perspektivisch neh-         renden physischen Produktionskapazitäten über-
   men die finanziellen Handlungsspielräume der              nimmt. Sollte es in bestimmten Branchen zu einer
   Politik damit ab. So ist etwa die langfristige Finan-     marktbeherrschenden Stellung einzelner Anbie-
   zierbarkeit von gesellschaftlich zentralen Investiti-     ter:innen kommen, sind die Kartellbehörden ge-
   onen, z. B. zur digitalen, sozialen und ökologischen      fordert.
   Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft,
   fortan deutlich eingeschränkt. Das kann die poli-       •	Auch für Unternehmen, die diese wirtschaftliche
   tische Handlungsfähigkeit enorm beeinträchti-             Schwächephase kreditfinanziert überstehen, erge-
   gen. Für alternde Gesellschaften wie Deutschland          ben sich Herausforderungen. Eine wachsende Ver-
   stellt sich die Frage, wie die sozialen Sicherungs-       schuldung in Kombination mit pandemiebedingten
   systeme demografiefest gestaltet werden können,           Umsatzeinbußen und entsprechenden Verlusten
   noch drängender als ohnehin schon.                        macht es zunehmend schwierig, Forschungs- und
                                                             Entwicklungsausgaben sowie Investitionen zu fi-
                                                             nanzieren, die für den Einsatz moderner Technolo-
                                                             gien jedoch erforderlich sind. Ohne diese Investiti-
                                                             onen droht dem Wirtschaftsstandort Deutschland
                                                             der Verlust wichtiger Innovationskraft. Damit gerät

                                                                                                                     23
1 Pandenomics – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft

                  die internationale Wettbewerbsfähigkeit zuneh-               stiegen diese Emissionen 2010 um fast sechs Pro-
                  mend unter Druck – vor allem im Vergleich zu Volks-          zent – „die krisenbedingten Einsparungen wurden
                  wirtschaften, die ihre Unternehmen mit Subventio-            zunichtegemacht“ (Gschnaller, Lippelt und Pittel
                  nen und anderen staatlichen Instrumenten fördern.            2020, S. 74). Nach der Corona-Pandemie könnte
                  Damit nehmen auch die im Megatrend-Report #01                eine solche vollständige Kompensation aus mehre-
                  beschriebenen sozialen Spannungen zu, die im Fall            ren Gründen ausbleiben: Anders als 2008/09 trifft
                  einer nachlassenden internationalen Wettbewerbs-             die aktuelle Rezession zahlreiche Dienstleistungs-
                  fähigkeit drohen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2019a,           bereiche wesentlich stärker. Vor allem die Berei-
                  S. 51).                                                      che Gastronomie, Tourismus und Teile der Kultur-
                                                                               und Kreativwirtschaft (Theater, Konzerte, Messen
              •	Neben den bisher genannten eher negativen Ver-                und andere Veranstaltungen) leiden in erheblichem
                  änderungen sind aber auch positive Entwicklun-               Maße unter Kontakt- bzw. Versammlungsverboten
                  gen möglich. Der weltweite Einbruch von Produk-              und Reisebeschränkungen (vgl. Ehrentraut, Koch
                  tions- und Reiseaktivitäten hat den Energie- und             und Wankmüller 2020, S. 3 f.). In diesen Bereichen
                  Ressourcenverbrauch sowie die damit verbun-                  ist zu erwarten, dass während der Pandemie aus-
                  denen Treibhausgasemissionen erheblich redu-                 gefallene Konsumaktivitäten nicht – oder nur teil-
                  ziert. Dies geschah auch während der Weltwirt-               weise – nachgeholt werden. Hinzu kommt der ver-
                  schaftskrise 2008/09. Das weltweite Volumen der              stärkte Einsatz des Homeoffice, den es nach der
                  CO2-Emissionen ging 2009 um rund 1,4 Prozent                 Lehman-Pleite nicht gab. Das wochenlange Arbei-
                  zurück. Mit der raschen wirtschaftlichen Erholung            ten vieler Menschen von zu Hause aus hat das Ver-
                                                                               kehrsaufkommen erheblich reduziert. Der damit
                                                                               eingesparte Energieverbrauch wird jedoch nach
                                                                               der Eindämmung der Pandemie nicht nachgeholt.
                                                                               Denkbar ist schließlich auch, dass die Reiseaktivi-
                                                                               täten von Wirtschaft, Verwaltung und Politik auch
                                                                               nach dem Ende der Pandemie auf einem niedrigen
                                                                               Niveau bleiben, weil sich zahlreiche Unternehmen,
                                                                               Behörden und Organisationen an Online-Meetings

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und Videokonferenzen gewöhnt haben und diese                   vestitionen fehlen oder weil Zukunftsinvestitionen
Formen des Austauschs aus Kostengründen wei-                   wegen der hohen Unsicherheit im Hinblick auf die
terhin bevorzugen. Auch das Homeoffice könnte                  zukünftige wirtschaftliche Entwicklung nicht ge-
für viele Unternehmen und Beschäftigte mehr und                tätigt werden (vgl. ausführlicher Bertelsmann Stif-
mehr zum Normalfall werden, wodurch sich das Ver-              tung 2020).
kehrsaufkommen zusätzlich reduzieren würde. Ein
weiterer Schub für die ökologische Nachhaltigkeit           Aus Sicht der Megatrends spielen zwei weitere von uns
kann sich ergeben, wenn die Regierungen bei der             erwartete Entwicklungen eine besondere Rolle: eine
Ausgestaltung der Konjunkturpakete, die zur An-             durch die Corona-Pandemie zusätzlich beschleunigte
kurbelung der Wirtschaft geschnürt werden, ver-             Digitalisierung der Wirtschaft sowie eine Verkürzung
stärkt Maßnahmen zur ökologischen Transforma-               der globalen Wertschöpfungsketten.
tion von Wirtschaft und Gesellschaft finanzieren.
Konkrete Maßnahmen sind u. a. Investitionen in die
Sanierung und Dämmung von Häusern, der Ausbau
erneuerbarer Energien, die Umstellung auf Elektro-
fahrzeuge und die Förderung des zirkulären Wirt-                   Corona-Pandemie be­
schaftens (vgl. Fischedick und Schneidewind 2020,
S. 8 f.). Gleichzeitig ist allerdings zu berücksichtigen,          schleunigt Digitalisierung
dass der Wirtschaftseinbruch auch eine Bremse
für die ökologische Transformation der Wirtschaft                  und ­Strukturwandel, bremst
sein kann, u. a. weil den Unternehmen die finanziel-
len Mittel zur Durchführung der erforderlichen In-                 aber auch die ökonomische
                                                                   Globalisierung.

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