BURDAS NEUE STRATEGIE - team tietge
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AUSGABE 02/18 · SCHUTZGEBÜHR: 7,80 EURO RECHT, STEUERN & FINANZEN: DAS WIRTSCHAFTSMAGAZIN FÜR DIE ORTENAU BURDAS NEUE STRATEGIE Das Verhältnis von Burda und Offenburg ist wie eine Liebesgeschichte. Man sorgt sich, ärgert sich, liebt sich – und kann doch nicht ohne einander 04 MIT BIER, BITS UND BAUGRUPPEN: JUNGE CHEFS IM SÜDWESTEN 26 DIETER ILG: DAS MUSIK-BUSINESS ALS ICH-AG 34 DR. STEFFEN AUER: WEITERBILDEN ODER WEITER JAMMERN 38 DAVID SCHWARZ: QUEREINSTEIGER MIT GOLDENEM HÄNDCHEN 44 PETER RIELAND: DER BAU-BOOM GEHT EINFACH WEITER
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Ausgabe 2|2018
Titelfoto: Archiv / Hubert Burda Media; Fotos auf dieser Seite: Michael Bode
EDITORIAL
W
eihnachten ist die Zeit der Wünsche. Der neue „Strategie ohne Steine“ und die Beziehung zu Offen-
Erwartungen. Der Freude auf das neue Jahr burg ans Herz legen. Ein Stück weit ist es eine Liebesge-
und dem Hoffen, gute Vorsätze nun end- schichte voller Hoffnungen und Emotionen, natürlich geht
lich auch mal in die Tat umzusetzen. Nun: es aber auch um Zahlen und Realitäten, um Entscheidungen
Genau das sind die Themen dieser Ausgabe. und Befindlichkeiten. Eine Geschichte mit Happy End? Ur-
Es geht um die Hoffnung, dass die Große Koalition in Ber- teilen Sie einfach selbst…
lin doch noch einsieht, dass befristete Arbeitsverträge alles Last, not least haben wir noch unsere vier Könige aus dem
andere als Teufelswerk sind. Es geht um die Morgenland: Philipp Ketterer und Nina Zwie-
Wünsche des Handwerks in Sachen Nach- belhofer, Katrin Seidemann und Sebastian Pa-
wuchs und Fachkräfte – und um die guten Von den vier schun. Warum Sie sich diese Namen merken
Vorsätze, in diesem Bereich nun endlich mal Königen aus dem sollten? Weil diese vier zu den Unternehmer-
entschlossen und gemeinsam zu agieren. Hilfe persönlichkeiten von morgen gehören. Kö-
zur Selbsthilfe, wenn man so will. Morgenland bis nig Metall, die Familienbrauerei Ketterer, die
Freyler-Boss Peter F. Rieland vergleicht der- zu den Wünschen Werkzeugfabrik Wiha. Alles Betriebe, in de-
weil im Interview zu den Aussichten der Bau- nen eine neue Generation ihre Ideen in die
wirtschaft Wünsche an die Politik mit solchen
an die Politik Tat umsetzt – und jetzt wissen Sie auch, wie
an gute Feen und folgert: „Wir brauchen ver- wir das Morgenland vom Gesternland unter-
lässliche Rahmenbedingungen. Alles andere kriegen wir al- scheiden … Apropos gestern und morgen: Bis zum Jahres-
lein hin.“ wechsel ist es nicht mehr lange hin. Wir wünschen Ihnen
Passend zur Weihnachtszeit möchten wir Ihnen auch die daher von dieser Stelle frohe Weihnachten, alles Gute für
Titelgeschichte von Chefredakteur Ulf Tietge über Burdas 2019 und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Die Herausgeber
Dr. Frank Wertheimer Dr. Stefan Krauss Florian Künstle Patrick Reisch
Rechtsanwalt und Socius Rechtsanwalt, Wirtschafts- Wirtschaftsprüfer in eigener Steuerberater, Diplom-Be-
der Kanzlei KRAUSS-LAW in jurist und Gründer der Kanzlei Kanzlei, Steuerberater und triebswirt und Geschäftsfüh-
Lahr. Seine Themen: Medizin-, KRAUSS-LAW. Seit 2001 Fach- wie sein Kompagnon Kalkül- rer von Reisch & Künstle mit 03
Arbeits- und Hochschulrecht anwalt für Arbeitsrecht Herausgeber seit 2011 Sitz in Wolfach und Haslach
Hat guten Grund zum Lachen
Philipp Ketterer arbeitet schon seit 2001
in der Familienbrauerei Ketterer. Seit
2008 Geschäftsführer, hat er den Betrieb
voll aufs Slow Brewing eingestellt – und
liegt damit voll im Trend
04
Foto: Michael Bode
JUNG, INNOVATIV
UND ERFOLGREICH
Jedes Unternehmen muss sich irgendwann um die Nachfolge kümmern.
Wie der Generationswechsel gelingt – darüber berichten
Katrin Seidemann von Willi Hahn, Nina Zwiebelhofer von König Metall,
Sebastian Paschun von Visuelle Technik und
Philipp Ketterer von der Hornberger Familienbrauerei Ketterer
05
Motivationskünstlerin
Katrin Seidemann
fördert die Stärken ihrer
Mitarbeiter und ermutigt
sie in ihrer Arbeit. Dabei
setzt sie konsequent
auf den Nachwuchs
in der eigenen Firma.
Viele Azubis werden
nach ihrer Ausbildung
übernommen
06
Ausgabe 2|2018
W
ir haben uns vorgenommen, vier junge Chefs weiterzuentwickeln.“ Schon bald sollen die beiden Wiha-
der Region persönlich kennenzulernen. Als Schwesterunternehmen unter dem Dach einer Holding ver-
Erstes haben wir das Vergnügen, Katrin eint werden. Die Zeichen stehen auf Wachstum. Und auch,
Seidemann zu treffen. Ihr Unternehmen, wenn sie es so nicht geplant hatte: Katrin Seidemann sitzt
die Willi Hahn GmbH, wurde Ende der 1930er-Jahre durch plötzlich im Cockpit – und ist ziemlich froh darüber.
Namensgeber Willi Hahn in dessen Heimatstadt Wupper- An Selbstbewusststein mangelt es der Chefin im männer-
tal gegründet. Trotzdem kann man sagen: Die Wiha ist ein dominierten Industriebetrieb nicht. „Ich habe es ja schon
waschechter Schwarzwälder Familienbetrieb. Denn nach weit gebracht, bevor ich ins Unternehmen eingestiegen bin“,
den verheerenden Luftangriffen der Royal Air Force auf sagt sie. „Dass ich mein Selbstvertrauen schon mitgebracht
Wuppertal siedelte das Unternehmen nach nur vier Jahren habe, strahle ich auch aus.“ Dass das stimmt, wird schnell
nach Schonach um. An 30 Standorten weltweit entwickeln, klar, wenn man Katrin Seidemann trifft. Ihre Autorität fußt
produzieren und vertreiben heute 800 Mitarbeiter mehr als auf einem souveränen, weil erfrischend unaufgeregt-sach-
3500 Artikel. Von Schonach aus bedient die Wiha Werk- lichen Auftreten – und einem modernen Führungsstil, wie
zeuge GmbH unter Leitung von Katrin Seidemanns Cousin sie selbst sagt. Ihr Ziel sei es, Mitarbeiter in erster Linie
Wilhelm Hahn vorrangig Endkunden mit Schraubendrehern, zu fördern und zu ermutigen. „Wir setzen auf die Stärken
Drehmomentwerkzeugen, Stiftschlüsseln, Bits, Schonhäm- unserer Mitarbeiter, anstatt sie ständig auf ihre Schwächen
mern und Co. hinzuweisen“, sagt Katrin Seidemann. „Denn wenn man
Die 1962 ausgegliederte Willi Hahn GmbH dagegen produ- tut, was man am besten kann, bekommt man am Ende das
ziert in Sasbach Verbindungselemente für Großkunden aus beste Ergebnis und hat auch noch Freude dabei.“
der Automobilbranche wie VW – vom Motor bis hin zur
Heckklappe. „Was wir verbinden, ist uns eigentlich egal“,
sagt Katrin Seidemann. „Wir können alles.“
Nach ihrem BWL-Studium machte Katrin Seidemann zu-
nächst Karriere bei einer Heidelberger Kanzlei für Steuer- „WIR SETZEN
AUF DIE STÄRKEN
und Wirtschaftsprüfung. Die Geschäftsleitung war damals
noch weit weg. Dann sprach sie ihr Onkel Wilfried Hahn
an, damals Geschäftsführer der Wiha Werkzeugbau GmbH.
Ob Sie Controlling und Rechnungswesen des Betriebs re-
strukturieren könne. Das sei ursprünglich nur als Projekt
UNSERER
gedacht gewesen. Aber: „Nach zwei Monaten war ich plötz-
lich Abteilungsleiterin.“ Eineinhalb Jahre später ging es zu- MITARBEITER,
STATT SIE AUF IHRE
rück in die Steuerberatung, als Beiratsmitglied blieb Katrin
Seidemann dem Betrieb verbunden. „Aus der Distanz fiel
es mir aber schwer, mich mit fundierten Analysen einzu-
bringen. Also musste ich mich entscheiden: es sein lassen
oder mir das nötige Know-how aneignen?“ Katrin Scheide-
SCHWÄCHEN
mann entschied sich für Letzteres. 2014 übernahm sie das
Controlling, 2016 die Geschäftsführung. Warum? HINZUWEISEN“
„Eigentum verpflichtet“, sagt Katrin Seidemann. „Die Firma
KATRIN SEIDEMANN
existiert nicht, um die Gesellschafter zu ernähren, ohne
WILLI HAHN GMBH, SASBACH
dass diese dafür etwas tun müssen. Mir war es wichtig sie 07
Foto: Jigal Fichtner
Ausgabe 2|2018
„WER SIND WIR
EIGENTLICH? UND
WOFÜR STEHEN
WIR? DIESE FRAGEN die Menschen am Herzen. Wenn es hoch hergeht und der
zunehmende Stress auch Auswirkungen auf das Miteinan-
GEMEINSAM MIT der hat, will ich ausgleichend wirken.“ Die Firma habe ihr
Leitbild inzwischen überarbeitet. „Wir wollen ein Bewusst-
UNSEREN
sein für ein gutes Miteinander schaffen.“
Dass ihr das Zwischenmenschliche so wichtig ist, führt die
geschäftsführende Gesellschafterin auf ihre intensiven, frü-
MITARBEITERN ZU heren Erfahrungen bei den Pfadfindern zurück. „Meine viel-
fältigen Reisen in andere Kulturen haben mein Bewusstsein
BEANTWORTEN, IST für die Bedeutung von Umgangsformen in der Zusammen-
arbeit erweitert“, sagt sie. Die Unternehmenskultur weiter-
UNSER ANLIEGEN“
zuentwickeln, sehe sie deshalb als eine zentrale Aufgabe
an. „Ich denke Herr Leuze und ich haben da seit unserem
Amtsantritt schon einiges bewegt. Und mit Herrn Hoos ha-
NINA ZWIEBELHOFER ben wir einen zusätzlichen Mitstreiter gewonnen.“ Mit ihrer
KÖNIG METALL GMBH & CO. KG, GAGGENAU von den Angestellten anfangs nur sehr zögerlich aufgenom-
menen Werte-Kampagne will sie den kulturellen Wandel
weiter vorantreiben. „Was kann der Einzelne eigentlich zu
einem guten Miteinander beitragen? Wenn sich jeder an die
W
eigene Nase fasst und mit der Person im Spiegel anfängt,
as man heute Out-of-the-Box-Denken nennt, werden wir gemeinsam einen Sprung nach vorne machen“,
kultivierte der Uhrmacher und Imker Josef sagt sie. Es werde allerdings noch etwas Zeit brauchen, „bis
König schon vor mehr als 100 Jahren. Und wir alle Königmetaller überzeugt haben, eigenverantwortlich,
das mit seinem „Vulkan“. Angetrieben von auch im Sinne unserer Werte, zu arbeiten.“
einem Uhrwerk, erzeugte das Gerät Rauch, um die Bienen Nina Zwiebelhofer gibt sich im Gespräch locker, leger und
zu besänftigen und legte den Grundstein für eines der er- unkompliziert. Mit ihrer unprätentiösen Art wirkt sie gar
folgreichsten Unternehmen im Südwesten: die im Gaggenauer nicht, wie man sich die Geschäftsführerin eines millionen-
Stadtteil Bad Rotenfels beheimatete König Metall Group. Das schweren Industriebetriebs so vorstellt: routiniert und zu-
Unternehmen ist heute global aufgestellt und beschäftigt mehr rückhaltend in ihren Äußerungen. Sie nimmt sich Zeit, zeigt
als 1000 Mitarbeiter weltweit – 700 davon in Deutschland. Bilder von Fahrten, die sie bis nach Tibet führten und er-
Pioniergeist und Ideenreichtum zählen noch immer zu den klärt, was sie auf ihren Reisen in fremde Kulturen gelernt
Kerntugenden des metallverarbeitenden Betriebs. hat. „Wenn man mit durchnässten Sachen mehrere Tage im
Unter Leitung von Inhaberin Nina Zwiebelhofer und den Zelt übernachtet, dann sollte man die Nerven behalten und
beiden Geschäftsführern Stefan Hoos und Hans-Jörg Leuze sich nicht aufgeben.“ Nur ein lösungsorientiertes Miteinander
hat das Unternehmen seit 2013 eine imposante Entwicklung führe zu nachhaltigem Erfolg, davon ist Nina Zwiebelhofer
hingelegt und seinen Umsatz nahezu verdoppelt. Profitiert überzeugt. Sie sei selbst „kooperativ unterwegs“. Manchmal
haben davon auch die Arbeitnehmer: Die Zahl der Mitar- dauere eine Entscheidungsfindung eben länger, dann seien
beiter wuchs um 40 Prozent, fast 40 Millionen Euro wurden aber mehr Menschen überzeugt worden. Besonders stolz
ins Unternehmen reinvestiert – und im Boomjahr 2017 gab ist sie auf ihr neuestes Projekt: die König Metall Academy
es eine außerplanmäßige Gewinnbeteiligung. – eine hochmoderne Ausbildungswerkstatt auf 700 Qua-
Nina Zwiebelhofer, die im Unternehmen Personal und IT dratmetern. Im September 2019 sollen dort die ersten von
verantwortet, ist nun mit einigen zusätzlichen internen He- dann rund 30 Azubis unterrichtet werden. Zwei Jahre spä-
Fotos: Paul Gärtner, Jigal Fichtner
rausforderungen konfrontiert. Doch sie bleibt optimistisch: ter sollen es schon 70 sein. „Sie sind die Zukunft unseres
„Ich bin der Überzeugung, dass man für alles eine Lösung Unternehmens“, freut sich Nina Zwiebelhofer, die fest an
08 findet.“ Sie richtet ihren Blick in die Zukunft. „Mir liegen den Erfolg ihres Unternehmens glaubt.
Bessser gemeinsam Nina Zwiebelhofer vereint Know-how aus mehreren Welten. Sie ist sowohl technikaffin als auch kreativ veranlagt. In ihrem Unternehmen möchte sie die Kultur des Miteinanders und Austauschs voranbringen Unsere Reihe über Badens junge Unter- nehmer entsteht mit Dr. Stefan Krauss zusammen und wird in der nächsten Aus- gabe fortgesetzt. Der Wirtschaftsjurist und Kalkül-Mitherausgeber ist in Wirtschafts- 09 kreisen bestens vernetzt und vertritt als Fachanwalt für Arbeitsrecht zahlreiche erfolgreiche Mittelständler – auch Nina Zwiebelhofers (re.) König Metall Group.
Mittendrin statt nur dabei
Sebastian Paschun weiß, was
Nachwuchskräfte und
Kunden erwarten und hat
deshalb in Offenburg einen
neuen Standort eröffnet.
Der soll sein Unternehmen
attraktiver machen
10Ausgabe 2|2018
„FÜR JUNGE
FACHKRÄFTE IST
DER STANDORT
OFFENBURG
WESENTLICH
ATTRAKTIVER,
G
ut sieben Jahren ist es her, dass Sebastian Pa-
schun mit gerade einmal 33 Jahren technischer
Geschäftsführer des Wolfacher Unternehmens
Visuelle Technik wurde. Dass es nach dem
ALS WENN MAN INS
Studium so schnell gehen würde, hatte der heute 40-jährige
Hesse nicht geplant, sagt er. Er sei einfach zur richtigen Zeit KINZIGTAL
ZIEHEN MUSS“
am richtigen Ort gewesen.
Sebastian Paschun war bei einem Sondermaschinenbauer
aus Reutlingen angestellt, als ein Headhunter auf ihn auf-
merksam wurde und nach Wolfach einlud, um sich vorzu- SEBASTIAN PASCHUN
stellen. Der damalige Geschäftsführer der Visuellen Technik VISUELLE TECHNIK GMBH, WOLFACH
Karl-Heinz Blum suchte einen Nachfolger. „Wie der Zu-
fall es wollte, deckte sich der Businessplan, den ich nach
meinem Studium entwickelt hatte, zu 90 Prozent mit dem,
was die Visuelle Technik macht“, sagt Sebastian Paschun.
Das Bewerbungsgespräch habe höchstens 20 Minuten ge-
dauert. „Als mir angeboten wurde, mich am Unternehmen
zu beteiligen, war die Entscheidung einfach. Ich wollte ja
schon immer selbstständig sein. Heute weiß ich: Es war ge-
nau der richtige Weg.“
Selbst in einer Paar-Hundert-Seelen-Gemeinde nahe Bens- auch Großkonzerne wie Intel, der US-Halbleiterhersteller
heim aufgewachsen und deshalb bestens vertraut mit Globalfoundries oder der weltweit drittgrößte Chip-Hersteller
den Besonderheiten des Landlebens, packte Sebastian TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company). Das
Paschun also die Koffer und zog kurzerhand dorthin, wo Leistungsspektrum reicht von komplexen Mehrkamerasyste-
der Schwarzwald immer dichter wird und jeder jeden kennt: men bis hin zur Low-Cost-Variante – und das Unternehmen
ins Kinzigtal. Inzwischen lebt er in Gengenbach. „Ein guter fahre gut damit, sagt Sebastian Paschun. „Klar gibt es Wett-
Kompromiss, der auch aus unternehmerischer Sicht Sinn bewerb. Aber der Markt ist groß genug für alle.“
macht“, wie er findet. Warum? Um das zu erklären, holt Klingt zu schön, um wahr zu sein. Und in der Tat: „Es gibt
Sebastian Paschun ein wenig aus. Zukunftsweisend nennt in Deutschland nur zwei Studiengänge für Optoelektronik,
er die Technik, die sein Unternehmen entwickelt: optische beide mit rückläufigen Bewerberzahlen“, sagt Paschun. „Wir
Messgeräte und Sensoren. „Die Optotechnik sei für das haben damals mit 120 Kommilitonen angefangen. Am Ende
21. Jahrhundert das, was die Elektrotechnik für das 20. Jahr- waren es noch zehn. Sieben oder acht fangen in der Regi-
hundert war, hat mein Prof immer gepredigt“, sagt er. Aktu- on an. Bleiben für alle anderen Unternehmen gerade ein-
ell konzentriere man sich auf die Integration visueller Kon- mal zwei bis drei.“ Anfang des Jahres beschlossen Sebastian
trollmechanismen im Montage- und Fertigungsbereich, auf Paschun und sein Geschäftsführer-Kollege Meinrad Borho
die Optimierung von Fertigungsprozessen, auf Funktionalität, deshalb, einen zweiten Standort aufzubauen – in Offenburg.
Qualität und Ästhetik von Produkten. Für die Zukunft gebe „Für junge Fachkräfte ist der Standort Offenburg einfach we-
es aber vielfältige Anwendungsszenarien – zum Beispiel im sentlich attraktiver als das Kinzigtal“, sagt Sebastian Paschun.
Bereich des autonomen Fahrens. Zu den Kunden der Vi- Genau aus diesem Grund wohnt er heute schließlich selbst
suellen Technik gehören neben klassischen Mittelständlern in Gengenbach. 11
Foto: Jigal FichtnerAusgabe 2|2018
„DEN NAMEN DES
UNTERNEHMENS ZU
TRAGEN, DAS MAN
FÜHRT, IST EINFACH
ETWAS ANDERES.
ICH GLAUBE, AM
ENDE IST DAS MIT Anke und Philipp Ketterer: direkt neben der Brauerei. „Erst
EIN SCHLÜSSEL kürzlich musste ein Stück Garten dem Brauereigelände wei-
chen. Dafür aber haben wir jetzt eine riesige Terrasse“, sagt
ZUM ERFOLG“
Philipp Ketterer und lacht.
Die Familienbrauerei steht für gelebte Familiengeschichte,
Tradition und Leidenschaft, Gemeinschaft, Lebenswerk – und
PHILIPP KETTERER natürlich die Braukunst, für die sie in der Region bekannt
FAMILIENBRAUEREI M. KETTERER GMBH & CO. KG, HORNBERG ist. Auch da sind die Ketterers auf einer Wellenlänge. Dass
Anke und Philipp Kettterer gerade im Jahr des 125-jährigen
Jubiläums der Brauerei heirateten, war mehr als Zufall. „Es
ist eine besondere Aufgabe, die Tradition der Familie wei-
terzuführen“, sagt Philipp Ketterer. „Den Namen des Un-
K
ternehmens zu tragen, das man führt, ist einfach etwas an-
etterer sind netterer. In der Ortenau kennt diesen deres. Ich glaube, am Ende ist das mit ein Schlüssel zum
Spruch wohl jeder. Die Rede ist vom Slogan der Erfolg. Denn wir sind immer bereit, die Extrameile zu lau-
Hornberger Brauerei Ketterer, den man leicht fen. Das strahlt auf die Mitarbeiter ab, was wiederum auch
als hohle Phrase abtun könnte, würde man die unsere Kunden spüren.“ Dabei muss man wissen: Einige
Personen dahinter nicht kennen. Dass es sich nicht nur um Gastronomie-Kooperationen der Ketterers bestehen schon
einen lustigen Werbespruch handelt, wie die Brauerei selbst seit weit mehr als 100 Jahren.
auf ihrer Website bekräftigt, beweist Geschäftsführer Philipp Im vergangenen Jahr steigerte die Brauerei ihren Umsatz
Ketterer in persona. gegen den Trend auf dem Biermarkt fast zweistellig. Zu-
Müsste man den langen Schlaks mit den graumelierten Haa- rückzuführen sei das auf die ausgewiesene Expertise der
ren kategorisieren, würde man ihn wohl irgendwo zwischen Familienunternehmer. Philipp Ketterer ist diplomierter Brau-
Gentleman und Schwiegervaters Liebling einordnen. Und meister, Anke Ketterer studierte Getränke-Betriebswirtin. Ge-
läge damit wohl nicht einmal falsch. Immerhin hat Philipp meinsam haben sie die Familienbrauerei weiterentwickelt:
Ketterer den Nachnamen seiner Frau übernommen. Etwas, traditionsbewusst, dennoch modern. Dieser Spagat gelingt
das wohl nur für wenige Männer überhaupt in Frage kä- überraschend gut. Braukunst wird bei den Ketterers noch
me. Schwiegervater Michael Ketter, der mittlerweile schon als echtes Handwerk verstanden. Seit 2013 ist der Betrieb
seit 49 Jahren im Unternehmen ist, weiß diese familiäre zertifizierter Slow Brewer. Neben den klassischen Bieren
Verbundenheit sehr zu schätzen. Nicht umsonst übergab er produziert die Brauerei wechselnde Sorten hochwertiger,
die Verantwortung für den 141 Jahre alten Familienbetrieb handwerklich gebrauter Biere im höheren Preissegment. Die
2014 an die fünfte Generation: seine Tochter Anke und Rückbesinnung auf traditionelle Werte und nachhaltigen Kon-
eben ihren Ehemann Philipp Ketterer – ebenfalls ein Ver- sum liegt voll im Trend. Slow Brewing, das bedeutet: eine
trauensbeweis, zu dem sich auch nicht jeder Unternehmer langsame und schonende Gärung führt zu höher Qualität.
hinreißen lassen würde. Familie hin, Familie her. Bei den „Diesem Streben liegt bei uns alles zugrunde“, sagt Philipp
Ketterers aber ist die Familienbande stark. Geschäft ist nicht Ketterer. „Es ist schön zu wissen, dass wir in der Familie
12 einfach nur Geschäft. Das zeigt schon der Wohnort von dabei alle auf einer Wellenlänge liegen.“
Foto: Michael BodeMit ruhiger Hand
Jedes Jahr investiert die Familienbrau-
erei Ketterer erkleckliche Beträge in
Fläche und Substanz, um auf dem hart
umkämpften Biermarkt zu bestehen
13Ausgabe 2|2018
WAS HABT IHR
GEGEN GRÜNDER?
Wenn man Sonntagsreden glaubt, liebt Deutschland seine Gründer. Angeblich
werden Start-ups gefördert, bewundert und unterstützt. Stimmt alles nicht, schreibt
Sevenit-Gründer Fabian Silberer in seinem Beitrag. Doch: Er würde es wieder tun …
G
ründen war schon immer mein Traum. Mit A llen Vorurteilen zum Trotz entschied ich mich, ein
16 Jahren hatte ich meinen ersten Gewerbe- Unternehmen zu gründen. Es gibt schließlich genug Stellen
schein in der Hand, um neben der Schule draußen, die einen unterstützen, dachte ich. Doch je mehr
Webseiten programmieren zu dürfen. Das war Termine mein Partner Marco und ich mit den unterschied-
mein erstes selbst verdientes Geld und ich war ziemlich lichsten Personen und Behörden hatten, desto klarer wur-
stolz. Seitdem gab es für mich nie wirklich eine andere Op- de uns, dass man uns eigentlich gar nicht helfen konnte
tion, als selbstständig zu sein. Mein Umfeld sah das leider oder wollte und wir auf uns alleine gestellt waren. Es gibt
anders. „Gründen ist Quatsch“, durfte ich mir oft anhören, zwar gute Angebote und Programme, beispielsweise von
genauso wie „Du landest früher oder später eh in der Ar- den Landesbanken oder der KfW. Die kennt aber niemand,
mutsfalle“ oder „Warum gründest du? Es gibt doch genügend weil sie nicht publik gemacht werden.
gut bezahlte Jobs in Deutschland!“ Ermutigend war das al- Wir hatten uns auch eine Förderung vom Arbeitsamt er-
les nicht. Natürlich frage ich mich, warum die Vorurteile in hofft. Doch nur, wer nicht als Arbeitnehmer vermittelbar
Deutschland noch immer anhalten. Hat denn niemand Lust, ist, bekommt diese Förderung zur Selbstständigkeit. Wer –
etwas Langfristiges aufzubauen, Dinge zu bewegen und zu wie wir als Informatiker – auf jeden Fall einen Job finden
verändern? Einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen? konnte, war also raus. Und bei unserer Hochschule das
gleiche Spiel. Da war es wieder eine kleine Formalie, wes-
Wenn ich auf mein direktes Umfeld blicke, habe ich eine halb es mit dem EXIST-Stipendium nicht klappte. Egal wo
Vermutung, was der Grund für die Angst vor dem Gründen wir waren, man hatte immer das Gefühl, dass Selbststän-
sein könnte. Ich bin im Schwarzwald aufgewachsen und digkeit nicht erwünscht ist und alles, was mit dem Thema
komme aus einem ziemlich konservativen Umfeld. Mein zu tun hat, unnötig zeitintensiv und nervenaufreibend ist.
Vater war Landwirt und meine beiden Schwestern Karrie- Apropos zeitintensiv: Wussten Sie, dass man in
refrauen mit gutem Job. Sie haben immer zu mir gesagt, Deutschland durchschnittlich drei bis vier Mal
Foto: Sevenit; Illustration: www.shutterstock.com/MJgraphics
dass ich mit meinen Fähigkeiten am besten zu SAP gehen länger braucht, um ein Unternehmen zu
soll, denn da könne man gutes Geld verdienen, hätte viel gründen als beispielsweise in Frank
Urlaub und genügend Zeit für Freunde. Ich erinnere mich reich, Kanada oder Groß-
auch noch gut an die Geschichte eines selbstständigen Be- britannien? Gewerbe-
kannten, der mit 30 Jahren Burnout bekam und zurück ins schein, Verträge,
Angestelltenverhältnis ging. Das ist genau so eine Erzählung, Finanzamt,
wie sie die Deutschen lieben. Ein bisschen angsteinflößend,
mit dem Fokus auf die Fehler und ja nicht von denen han-
delnd, die erfolgreich sind, sondern von dem einen, der
vermeintlich gescheitert ist.
14Ausgabe 2|2018
Fabian Silberer
gründete 2013 zu-
sammen mit seinem
Kommilitonen und
Mitbewohner Marco
Reinbold die Sevenit
GmbH. Ihre Buchhal-
tungssoftware sevDesk
nutzen inzwischen fast
70 000 Selbstständige
und Kleinunternehmen
Steuerberater, Anwalt, Versicherungen, Notar, und vieles mehr.
Das sind unzählige Behördengänge, die auch wir durchlau-
fen mussten. Im Schnitt 15,3 Stunden pro Monat verbringt
der typische Selbstständige so mit Bürokratie. Natürlich un-
vergütet. Plus die Zeit für die Steuererklärungen und den
Jahresabschluss. In Summe macht das für alle rund 4,4 Mil-
lionen Selbstständigen in Deutschland einen Verdienstausfall
von 50,3 Milliarden Euro pro Jahr nur durch Bürokratie. Das
ist das Bruttoinlandsprodukt von Kroatien!
Mit der Sozial- und Rentenversicherung sieht es leider nicht
anders aus. Das war ein richtiges Chaos bei uns. Marco und
ich sind permanent von „sozialversicherungspflichtig“ zu
„nicht sozialversicherungspflichtig“ hin- und hergesprungen,
weil es das Gesetz so vorschrieb. Dann kam eine Reform,
ein neues Gesetz und es hat sich wieder etwas geändert.
Und wieder konnte uns niemand helfen.
Die Region, der Kreis, das Land und der Bund scheinen al-
le irgendetwas anderes zu machen, nur nichts Einheitliches.
Warum ist also alles so undurchsichtig und kompliziert?
Ich bin trotzdem froh, gegründet zu haben und würde es
auch immer wieder tun – wären da nicht der Bürokratie-
wahnsinn und das ganze Gründungschaos. Vielleicht sollten
sich die Verantwortlichen in unserem Land einfach mal über-
legen, warum die Zahl der Gründungen seit Jahren stark
zurückgeht, statt die Schuld für mangelnde Innovationskraft
bei uns Gründern zu suchen? Denn glauben Sie mir: Die
Ideen sind da – aber politisch gibt es in Deutschland noch
einiges zu tun!
15Ausgabe 2|2018
BEFRISTUNG: NEUES AUS
DEM KOALITIONSVERTRAG
Die Große Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag einige
arbeitsrechtliche Änderungen vorgenommen. Welche das sind und
welche Auswirkungen Änderungen des Befristungsrechts auf die Praxis hätten,
erläutert Rechtsanwalt Dr. Frank Wertheimer in diesem Beitrag
D
er Koalitionsvertrag der Regierungsparteien um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbe-
CDU/CSU und SPD vom 12. März 2018 enthält schäftigung zu erleichtern, der Arbeitnehmer zur Vertretung
in Kapitel V („Gute Arbeit, breite Entlastung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird, die Befristung
und soziale Teilhabe sichern“) einige arbeits- zur Erprobung erfolgt, die Eigenart der Arbeitsleistung die
rechtliche Reformvorhaben. Dazu gehört neben Erleichte- Befristung rechtfertigt (zum Beispiel bei Saisonarbeit) oder
rungen für Gründung und Wahl von Betriebsräten, der Fle- die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht.
xibilisierung der Höchstarbeitszeit, neuen Regelungen zur Auch weitere, ähnlich gelagerte Befristungsgründe sind vor-
Arbeit auf Abruf, der Einführung einer sogenannten Brücken- stellbar. Werden mehrere befristete Arbeitsverhältnisse nach-
teilzeit unter anderem auch eine stärkere Reglementierung einander abgeschlossen (sogenannte Kettenbefristungen),
der Befristung von Arbeitsverhältnissen. kommt es nach der Rechtsprechung auf die gesamten Um-
Letztere zeigen zwei Tendenzen auf: 2017 haben befristete stände des Einzelfalls an, wobei auch die Frage der Anzahl
Arbeitsverträge mit über 8 Prozent der Beschäftigten einen und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit dem
neuen Höchststand erreicht, weshalb im Koalitionsvertrag Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge Berücksich-
davon die Rede ist, den „Missbrauch“ von Befristungen ab- tigung finden muss.
zuschaffen. Befristete Arbeitsverhältnisse sind demgegenüber Durchgesetzt hat sich hierbei in der Rechtsprechung des
für viele Beschäftigte ein Eingangstor in eine unbefristete Bundesarbeitsgerichts (BAG) ein dreistufiges Prüfungs-
Beschäftigung, in den letzten Jahren haben Übernahmen aus schema: Grundlage ist die zweijährige Befristungsmöglich-
Illustration: www.shutterstock.com / Sylverarts Vectors
befristeten Verträgen kontinuierlich zugenommen. keit mit dreimaliger Verlängerung innerhalb der zwei Jah-
Der Status quo: Nach dem zum 1. Januar 2001 in Kraft re bei sachgrundlosen Befristungen. Unbedenklich sind
getretenen Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) können Sachgrundbefristungen, die nicht mindestens das Vier-
Arbeitsverhältnisse befristet werden, wenn sie durch einen fache eines dieser Werte oder das Dreifache beider Wer-
sachlichen Grund gedeckt sind. Das ist etwa der Fall, wenn te überschreiten (Stufe 1). Übersteigen Sachgrundbefri-
der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorüberge- stungen alternativ oder kumulativ diese Werte, muss der
hend besteht (sogenannte Projektbefristungen), die Befristung Arbeitnehmer einen Befristungsmissbrauch belegen (Stufe
16 im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, 2). Erst wenn die einzelnen Werte mehr als das Fünffacheoder beide Werte gemeinsam das Vierfache überschrei- des befristeten Arbeitsverhältnisses beschäftigungslos ge-
ten, ist ein Rechtsmissbrauch indiziert, den der Arbeitgeber wesen ist, Transferkurzarbeitergeld bezogen oder an einer
zu widerlegen hat (Stufe 3). öffentlichen Beschäftigungsmaßnahme teilgenommen hat.
Arbeitsverträge können ferner ohne Vorliegen eines Sach- Außerhalb der Befristungssystematik des TzBfG erlauben
grunds befristet werden. Eine Befristung ist – bei erstmaliger spezialgesetzliche Normen die Befristung von Arbeitsver-
Beschäftigung – bis zu einem Zeitraum von zwei Jahren zu- hältnissen, so zum Beispiel die Regelungen des Wissen-
lässig, wobei innerhalb dieser Höchstdauer schaftszeitvertragsgesetzes für wissen-
ein befristet abgeschlossener Vertrag bis schaftliche und künstlerische Mitarbeiter
zu dreimal verlängert werden kann. Eine an Hochschulen, das Gesetz über befriste-
erstmalige Beschäftigung wurde nach der
„Empirisch ist belegt, te Arbeitsverträge mit Ärzten in der Wei-
Rechtsprechung des BAG auch dann an- dass Leiharbeit für terbildung oder Befristungen nach dem
genommen, wenn eine frühere Beschäf- Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz,
viele Arbeitnehmer
tigung bei demselben Arbeitgeber länger Bestimmungen im Pflegezeitgesetz und
als drei Jahre zurücklag. Das Bundesver- den Zugang zum im SGB VI für Arbeitnehmer, die die
fassungsgericht hat diese Rechtsprechung Arbeitsmarkt Regelaltersgrenze schon erreicht haben.
aber durch einen Beschluss vom 6. Ju- Befristungsmöglichkeiten können schließ-
ni 2018 kassiert. Bei vormaliger Beschäf- erst ermöglicht“ lich auch aus einem Tarifvertrag folgen.
tigung ist eine sachgrundlose Befristung Welche Neuerungen sieht der Koalitions-
damit im Regelfall nicht (mehr) möglich. vertrag vor? Sachgrundlose Befristungen
Variationen der sachgrundlosen Befristung enthält das TzBfG sollen eingeschränkt werden: Zum einen ist vorgesehen,
bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern in Existenzgrün- dass Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch
dungsfirmen (vierjährige Höchstbefristungsdauer) sowie bei maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen
der Befristung älterer Arbeitnehmer, die bis zu einer Dauer dürfen. Bei Überschreiten dieser Quote soll jedes weitere
von fünf Jahren möglich ist, wenn der Arbeitnehmer das sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zu-
52. Lebensjahr vollendet hat und unmittelbar vor Beginn stande gekommen gelten. › 17Ausgabe 2|2018
50
Anzahl der Erwerbstätigen mit befristeten und unbefristeten Arbeitsverträgen
in Deutschland von 2005 bis 2017 (in Millionen)
40
4,86 4,79
4,67 4,62 4,68
5,12 5,05 5,13 5,01 4,74
4,85 4,99
30 4,67
Erwerbstätige in Millionen
Deutschlands
Arbeitsmarkt
20
Im Koalitiosvertrag der
32,09 32,5
28,56 29,04 29,08 29,25 29,23 29,85 30,44 30,85 31,18 Groko ist davon die
27,34 27,93
Rede, dass Arbeitgeber
10 befristete Arbeitsverträge
über Gebühr nutzten.
Statistisch belegen lässt
0 sich das indes nicht
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
Unbefristeter Arbeitsvertrag Befristeter Arbeitsvertrag Quelle: Statistisches Bundesamt
› Die Quote ist dabei jeweils auf den Zeitpunkt der letzten für den Sachgrund der Eigenart des Arbeitsverhältnisses zu
Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen. Rein rechnerisch treffen sein, wobei vornehmlich an Arbeitsverhältnisse von
dürften damit bei einer Belegschaftsgröße von bis zu 75 Ar- Künstlern oder Fußballspielern gedacht ist.
beitnehmern alle Arbeitsverhältnisse sachgrundlos befristet Sollte der Gesetzgeber die pauschalen Vorgaben des Koa-
werden, ab 76 bis zu 79 Arbeitnehmer in der Folge ledig- litionsvertrages ohne weitere Differenzierung übernehmen,
lich eines, ab dem 80. Arbeitnehmer zwei Arbeitsverhält- führte dies im Einzelfall zu negativen Auswirkungen auf Ar-
nisse und so weiter. Sinnvoll erscheint das nicht. Man muss beitnehmerseite, dafür zwei Beispiele: War ein Arbeitneh-
allerdings im konkreten Gesetzesvorhaben erst sehen, wie mer fünf oder mehr Jahre bei einem Arbeitgeber beschäftigt,
der Schwellenwert von 75 Beschäftigten berechnet wird, wäre eine anschließende Vertretungsbefristung aufgrund der
insbesondere mit welchem Anteil Teilzeitbeschäftigte gewer- Karenzregelung unmöglich.
tet werden. Daneben spielt auch die Berücksichtigung von Hätte ein Studierender neben seinem Studium über fünf
Auszubildenden oder Leiharbeitnehmern eine Rolle. Hierzu Jahre eine Teilzeitbeschäftigung als Aushilfe bei einem Ar-
enthält der Koalitionsvertrag keine Vorgaben. beitgeber ausgeübt, dürfte ihm dieser nach dem Studien-
Die sachgrundlose Befristung soll zukünftig auch nur abschluss keine Erprobungsbefristung für eine gänzlich an-
noch für 18 Monate statt bislang zwei Jahre zulässig ders gelagerte Tätigkeit anbieten, für die er sich mit seinem
sein, bis zu dieser Gesamtdauer ist auch nur noch ei- Studium qualifiziert hat. Der Gesetzgeber wäre gut beraten,
ne einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung mög- das jetzige austarierte System auf Basis der oben beschrie-
lich. Mit der vorgesehenen Höchstbefristungsdauer wür- benen Stufen nicht ohne Not auszuhebeln.
de der Rechtszustand wiederhergestellt, der unter der Eine weitere Einschränkung wäre, dass auf die Höchst-
Geltung des Beschäftigungsförderungsgesetzes aus dem dauer von fünf Jahren auch eine oder mehrere vorherige
Jahr 1985 galt. Welche praktischen Konsequenzen das Entleihung(en) des nunmehr befristeten Arbeitnehmers durch
auslöst, lässt sich nicht absehen. ein oder mehrere Verleihunternehmer
In Betracht kommen Entfristungen, An- angerechnet werden. Ein erneutes be-
schlussbefristungen mit Sachgrund wie fristetes Arbeitsverhältnis mit demselben
auch ein Auslaufen der Verträge mit Arbeitgeber ist so erst nach Ablauf
der Folge, dass ein Arbeitnehmer frü- einer Karenzzeit von drei Jahren mög-
her arbeitslos wird als unter Geltung lich.
der jetzigen zweijährigen Höchstdauer. Auch hier wird der Gesetzgeber zu
Die Koalitionsparteien wollen ferner bedenken haben, den Übergang von
die sogenannte Kettenbefristungen limi- Leiharbeitsverhältnissen in reguläre Ar-
tieren. Eine Befristung eines Arbeitsver- Rechtsanwalt Dr. Frank Wertheimer beitsverhältnisse nicht unnötig zu er-
hältnisses soll dann nicht mehr zulässig von KRAUSS-LAW berät Unternehmen, schweren.
sein, wenn mit demselben Arbeitgeber Kliniken, Geschäftsführer, Chefärzte und Empirisch ist belegt, dass Leiharbeit
bereits zuvor ein unbefristetes oder ein leitende Angestellte. Er ist Arbeitsrecht- für viele Arbeitnehmer erst den Zu-
ler und hat zu verschiedenen arbeits-
oder mehrere befristete Arbeitsverhält- gang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Ein
rechtlichen Themen publiziert. Er. Die
nisse mit einer Gesamtdauer von fünf konkreter Gesetzesentwurf zur Neure-
neuen Ideen zu befristeten Arbeitsver-
oder mehr Jahren bestanden haben. trägen sieht er kritisch. gelung des Befristungsrechts existiert
Autoreninfo
18 Eine Ausnahmeregelung soll lediglich bislang nicht.
Foto: Krauss-LawWIRTSCHAFTSRECHT ARBEITSRECHT VERTRAGSRECHT MEDIZINRECHT HOCHSCHULRECHT LUFTRECHT
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DR. FRANK WERTHEIMER DR. STEFAN KRAUSS PROF. DR.DR.H.C. MANFRED LÖWISCH
Rechtsanwalt und Socius der Kanzlei Rechtsanwalt, Wirtschaftsjurist und Rechtsanwalt, Leiter der
KRAUSS-LAW in Lahr. Seine Themen: Gründer der Kanzlei KRAUSS-LAW. Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht
Medizin-, Arbeits- und Hochschulrecht Seit 2001 Fachanwalt für Arbeitsrecht an der Universität Freiburg
Dornbusch / Fischermeier / Löwisch Löwisch / Schlünder / Spinner / Wertheimer
AR: KOMMENTAR ZUM GESAMTEN KOMMENTAR ZUM KÜNDIGUNGS-
ARBEITSRECHT SCHUTZGESETZ
Das Werk stellt das Arbeitsrecht in seiner ganzen Breite, ein- Ein fundierter und zuverlässiger Kommentar zu neuen Frage-
schließlich der Randgebiete dar. Damit bildet es das Kommen- stellungen des Kündigungsschutzrechts mit besonderem Fokus
tar-Fundament für die Generalisten im Arbeitsrecht: Rechtsan- auf der Erörterung von Einzelfällen. Mit Kommentierungen
wälte, Richter, Wissenschaftler, Personalverantwortliche sowie von Professor Löwisch unter anderem zu allgemeinen Grund-
Verbände. Professor Löwisch hat sätzen des Kündigungsschutzes sowie
zahlreiche Vorschriften aus dem von Dr. Wertheimer unter anderem zu
BGB sowie das Wissenschafts- Änderungskündigung und Massenent-
zeitvertragsgesetz kommentiert, lassung.
Dr. Krauss das Arbeitszeitgesetz.
9. Auflage 2019 11. Auflage 2018
ISBN: 978-3-472-09542-2 ISBN: 978-3-8005-3290-2
Die Kanzlei für den KRAUSS-LAW ADRESSE
Dr. Stefan Krauss Kaiserstrasse 84 T+49-7821-28899-90
Mittelstand. Dr. Frank Wertheimer D-77933 Lahr F+49-7821-28899-91
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DER GLANZ
VON GESTERN
Burda ist für Offenburg nicht einfach nur ein Arbeitgeber
oder Steuerzahler. Burda ist eine Identifikationsfigur,
eine Love-Brand und eigentlich eine Nummer zu groß.
Vielleicht gibt es daher immer wieder Ängste um den Verbleib
der schillerndsten Marke diesseits der Kinzig?
21
Foto: ArchivMitarbeiter im Konzern Umsatzentwicklung (in Mio. Euro) Mitarbeiter in Offenburg
12.500 11.918 3.000 2.500
2.617 2.672
10.017 10.297 2.500
10.000 2.211 2.000
2.176
1.725 1.678
7.941 8.248
2.000 1.586
7.500 7.118 1.687 1.500
1.587
1.500
5.000 1.000
1.000
2.500 500
500
0 0 0
2007 2009 2011 2013 2015 2017 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2010 2015 2018
Quelle: Statista, Hubert Burda Media
Umsatz 2016 und 2017 (in Mio. Euro)
2016 2.255,7
Insgesamt
2017 2.671,8
Digitalmarken 1.180,1
National 1.402,8
Medienmarken 660,6
National 670,4
272,3
Medienmarken
International 454,9
133,9
Druck
130,2
0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000
Quelle: Hubert Burda Media
22Ausgabe 2|2018
Ein Beitrag von Ulf Tietge
W
er vor 20 Jahren nach Offenburg fuhr, dem kannten Film- und Fernsehstars. Auf eine Wiederholung
dürfte es folgendermaßen ergangen sein: dieser Megasause aber hofft die Stadt seither jedes Jahr
Runter von der Autobahn. Zubringer. Dann aufs Neue vergeblich. Bambi gastierte stattdessen in Düs-
mitten durch Burdas Werksgelände. Rechts seldorf und Wiesbaden, in Potsdam und Berlin. Und jetzt
das Hochhaus mit den blauen, fünf Meter hohen Lettern auf wird Bambi auch noch reformiert. „Bambi soll 2019 of-
dem Dach. Links die alte Druckerei. Über einem der Steg fener werden, wir denken über ein Ereignis mit vielleicht
mit Burdas Logo, Pfeil nach rechts und dem Hinweis „Be- 10 000 Zuschauern in einer großen Arena nach“, ver-
sucher“. Als wäre es völlig klar, dass man zu Burda will, riet Burda-Vorstand Philipp Welte der Süddeutschen Zei-
wenn man nach Offenburg fährt. Das Ensemble wirkt wie tung. Aus der Gala im kleinen Kreis mit Fernsehübertra-
ein Stadttor. Architektonisch nicht sonderlich hübsch, dafür gung für das Volk soll ein Happening werden, das zum
aber eindrucksvoll wie ein Aufwärtshaken. Geist des 21. Jahrhunderts passt. Ob aber Offenburg dabei
20 Jahre später ist der Steg weg. Die blauen Lettern vom mit von der Partie darf, das steht in den Sternen.
Hochhausdach hat man auf den Boden der Tatsachen ge- Gleichzeitig spielt der Stammsitz im Konzern von Jahr zu
bracht und die alte Druckerei ist abgerissen. Stattdessen Jahr eine kleinere Rolle. Zum Jahresende 2010 waren es 1725
steht hier ein Ärztehaus. Medizinische Fußpflege, Zahnarzt, Mitarbeiter am Ufer der Kinzig. Fünf Jahre später noch 1678,
Reha-Doktor, Schmerztherapie, Apotheke. Alles da. Auch jetzt 1586. Das ist ein Minus von acht Prozent und vielleicht
eine bronzene Büste von Verleger Franz nicht weiter der Rede wert, wenn nicht
Burda. Immerhin muss der Senator, wie der Konzern im Ganzen mit 56 Prozent
man ihn in Offenburg nennt, nicht di- Burda investiert in mehr Beschäftigten völlig andere Zahlen
rekt auf die Banalitäten einer alternden vorweisen würde …
Gesellschaft blicken – sondern darf über Ideen und in Köpfe. Vor diesem Hintergrund muss man auch
die Hauptstraße hinweg den Stammsitz im Immobilien die emotionale Wirkung einer strategischen
Auge behalten. Hochhaus, Medienpark, Entscheidung des Konzerns sehen. „Wir
Eiermann-Bau. Die Keimzelle eines Kon-
gelten dagegen investieren in Köpfe, nicht in Beton“, heißt
zerns mit heute 12 000 Mitarbeitern. als verzichtbar und es aus dem Verlag. Sprecherin Bücher for-
muliert es vager, meint aber dasselbe: „Als
werden versilbert
Und Burda hat die Stadt verwöhnt. Mit Medien- und Technologieunternehmen ste-
dem Bau des Medienparks im Jahr 2000, hen vorrangig Investitionen ins operative
der Verwandlung von Aenne Burdas Ver- Geschäft im Fokus und nicht Investitionen
lagsgebäude zum Andy Warhol Building 2002, der Kernsa- in Immobilien. Die grundsätzliche Strategie des Immobili-
nierung des Media Towers 2004 und dem Bau des neuen enmanagements im Unternehmen besteht somit generell in
Druckzentrums im Offenburger Osten 2005. „Die infrastruk- der Anmietung von Gebäuden, um stets ideal, flexibel und
turellen Investitionen von Hubert Burda Media in den Un- effektiv den Flächenbedarf anpassen zu können.“
ternehmensstandort Offenburg belaufen sich seit dem Jahr Für Offenburg bedeutet das: Das Kronenwiese-Areal mit der
2000 auf über 100 Millionen Euro“, erklärt dazu Verena alten Druckerei hat Burda komplett verkauft, das Helios-
Bücher aus der Presseabteilung. Gebäude ist angemietet. Das Burda Sport Club Gelände im
Foto: Archiv / Hubert Burda Media
Die Krönung des Ganzen folgte 2008 mit der Bambi- Westen der Stadt ist ebenfalls verkauft, hier wird die Frei-
Verleihung. Die Welt schaute nach Offenburg und die burger Stuckert Wohnbau auf 30 000 Quadratmetern Wohn-
Stadt war pickepackevoll mit mehr oder weniger be- gebäude errichten. Auch das Andy Warhol Building gegen- ❯ 23Ausgabe 2|2018
„EIN FAMILIEN-
UNTERNEHMEN
ALS ERBE IST NICHT
Foto: Archiv Tietge Publishing
EINFACH NUR EIN
BESITZ, SONDERN
EIN PFAND, DAS
DU WEITER-
ENTWICKELN UND An dieser Stelle lohnt ein Blick auf Burdas Zahlen. Denn die
sind auf Konzernebene klasse, auch wenn es mit den drei
MEHREN SOLLST“
Milliarden Euro Umsatz in 2018 noch nichts wird. „Das macht
aber nichts“, verriet ein gut aufgelegter Hubert Burda un-
längst vor den Mitgliedern des Offenburger Marketing-Clubs.
„Wir werden wohl bei zwei-komma-acht liegen und die drei
HUBERT BURDA
ÜBER DAS SELBSTVERSTÄNDNIS STARKER FAMILIENUNTERNEHMEN dann halt 2019 machen.“
Eine Aufteilung der Erlöse nach Standorten gibt es bei Burda
nicht, stattdessen aber eine nach Segmenten. Mehr als die
Hälfte der Konzernerlöse entfallen demnach auf die natio-
nalen Digitalmarken. Darunter die Kontaktbörse Xing, das
❯ über vom Medienpark ist verkauft und gehört der Hurrle Arbeitgeber-Bewertungsportal Kununu, der Reisevermittler
GmbH aus Oberkirch. Burda ist hier nur noch Mieter. Für Daydreams oder auch Silkes Weinkeller, der Online-Florist
das Sechseck nebendran sucht Burda noch einen Käufer, Valentins, das Versicherungsportal ino24, Holiday-Check und
bestätigt Verena Bücher. „Wir sind gesprächsbereit für inte- viele mehr. Alles zusammen: rund 1,4 Milliarden Euro.
ressierte Investoren.“ Die nationalen Medienmarken von Focus über Playboy und
Ins Reich der Legenden verweist die Pressesprecherin Bunte (alle München) bis Glücks Revue, Frau im Trend und
dagegen Informationen, wonach auch große Teile des Lisa (alle Offenburg) bringen es auf 670 Millionen Euro.
Burda-Medienparks leer stünden. „Natürlich ziehen immer Das ist ein Plus von zehn Millionen gegenüber 2016 und
mal wieder Abteilungen um und entsprechend regelmäßig Verena Bücher stellt dazu klar: „Um die Wirtschaftlichkeit
sieht man bei uns auch Umzugskartons. Aber das ist für ein Burdas am Standort Offenburg ist es bestens bestellt. Nur
dynamisches Unternehmen doch ganz normal“, sagt Bücher. ein Beispiel aus dem Bereich der nationalen Medienmarken:
„Und überhaupt: Ist es nicht so, dass, seit die Bunte 1983 Gerade die Verlagsgruppen BurdaHome und BurdaLife in
nach München gezogen ist, diskutiert man in Offenburg Offenburg sind sehr profitabel. Top-Marken wie Freizeit
24 über den Abschied Burdas. Warum eigentlich?“ Revue gehören nach wie vor zu den Cashcows im Unter-Ausgabe 2|2018
Aug‘ in Aug‘
Die Enthüllung der Senator-Burda-
Statue auf dem Kronenplatz mit
Offenburgs damaliger Oberbürger-
meisterin Edith Schreiner und Verleger
Hubert Burda markiert das Ende
der Umnutzung von altem Druckerei-
gelände zu neuem Wohnquartier
nehmen.“ Offenburg sei zudem besonders tatkräftig und Jahr 1965 sei nach heutigen Standards in vielerlei Hinsicht
innovativ in der Entwicklung neuer Medienprodukte. Für ineffizient – etwa durch die vertikale Produktionsanordnung
die Pressesprecherin ist damit klar: „Wachstum als zentrales über mehrere Stockwerke.
Credo von Burda gilt auch am Stammsitz Offenburg.“ Und was passiert mit dem Gebäude? Es werde „auch über
Tatsächlich wird Burda auch am Stammsitz in naher Zukunft das Jahr 2020 hinaus“ betrieblich genutzt, teilt Burda mit.
wieder nennenswert investieren. Allerdings in den Geschäfts- Ob das nun bedeutet, dass auch dieses Gebäude veräußert
bereich Druck, der angesichts der boomenden Digitalmar- und angemietet wird, lässt das Unternehmen indes offen.
ken eher wie ein Sorgenkind anmutet. Zum Konzernergeb-
nis von 2,7 Milliarden Euro hat der Druck zuletzt nur 130,2 Vielleicht aber sind solche lokalen Befindlichkeiten auch
Millionen Euro (Vorjahr 133,9) beigesteuert. „BurdaDruck ist gar nicht so wichtig. Denn Hubert Burda hat im Okto-
in einem seit Jahren rückläufigen Markt nach wie vor eine ber 2018 mit seinem Sohn Jacob, mit Roland und Michael
der führenden und leistungsstärksten Druckereien in ganz Mack sowie Martin und Martin-Devid Herrenknecht eine in-
Europa“, erklärt dazu die Pressesprecherin. Burda werde teressante Initiative auf den Weg gebracht. Man wolle sich
daher rund 30 Millionen Euro in den Druckstandort Of- gemeinsam dafür einsetzen, das Rheintal als Media Valley
fenburg und den weiteren Ausbau des Druckzentrums am bekannter zu machen, um so mehr junge High Potenti-
Güterbahnhof investieren. als anzulocken – und schaue dabei selbstbewusst in Rich-
„Unsere Pläne für den Tiefdruckstandort Offenburg sind ein tung Silicon Valley. Hubert Burda: „Entlang des Oberrheins
klares Bekenntnis vom gesamten Vorstand und von Verle- hat sich von Karlsruhe über Straßburg und Offenburg bis
ger Hubert Burda zu dem Geschäftsbereich des Unterneh- Basel ein herausragender Medien- und Technologiecluster
mens, in dem es seine Wurzeln hat“, betont Heiko Engel- entwickelt, der seinesgleichen in Europa sucht.“
hardt, Geschäftsführer Burda Druck. Bis 2020 werde man Und noch etwas gibt Hoffnung. „Der Jacob spricht gut ba-
die Produktionshallen des Druckzentrums am Güterbahn- disch“, sagte der Verleger und schob gleich noch hinter-
hof ausbauen, die vorhandenen Druckmaschinen sowie die her, warum Familienunternehmen so erfolgreich sind, „weil
Weiterverarbeitung aus dem alten Werk an der Hauptstraße du in frühester Zeit mitkriegst, dass dein Erbe nicht dein
umziehen und wieder in Betrieb nehmen. Grund dafür: Das Besitz ist, sondern nur dein Pfand, das du weiterentwickeln
Gebäude des alten Druckwerks in der Hauptstraße aus dem und mehren sollst.“ 25Dieter Ilg
begann schon mit 13
Jahren an der Musik-
hochschule Offenburg
am Kontrabass zu
spielen. Heute gilt er als
einer der besten Jazz-
26
Kontrabassisten der WeltAusgabe 2|2018
KUNST, KONZERTE
UND KOMMERZ
Der weltbekannte Jazz-Kontrabassist Dieter Ilg aus Offenburg hat nichts
dagegen, erfolgreich zu sein. Ganz im Gegenteil: Er versteht sich als Musiker und
Unternehmer. Die wichtigste Komponente seines Geschäftsmodells: Qualität
E
in 16-Jähriger und sein erster großer Auftritt – mit Projekte veröffentlicht. Den Produktionsprozess lenkt, lei-
einem Solo am Kontrabass. Das anspruchsvolle tet und gestaltet er komplett in Eigenregie. „Ich vermarkte
Instrument zu spielen, hat er seit seinem 13. Le- mich als freiberuflicher Musiker genauso wie jeder andere
bensjahr gelernt. Heute aber heißt es zum ersten Selbstständige auch. Mein Produkt ist mein Trio, das ich
Mal: acht Takte nur er, sein Kontrabass und das Publikum. an den Mann bringen muss“, sagt er. „Da bin ich Musiker,
Plötzlich: Panik. Blackout. Ein paar Dutzend Augenpaare, Agent, Manager und Sekretär in einem.“
die nur auf ihn gerichtet sind. Doch dann – spielt er ein- Dieter Ilgs Geschäftsmodell: Er hat sich seine eigene Nische
fach drauf los. Die spontane Energie springt über. Der Saal geschaffen. Kaum einer spielt den Kontrabass im Grenzbe-
tobt für einen Moment und das ist ein Schlüsselerlebnis, reich zwischen Jazz und Klassik so virtuos wie er. Ilg zielt
das ihn für immer prägen wird. jedoch nicht aufs Massenpublikum und große Margen ab,
42 Jahre sind seither vergangen. Der Na- sondern auf den kleinen Kreis der Jazz-
me des Jungen von damals: Dieter Ilg. und Klassikfans. „Dass ich mit meiner Mu-
Einer der weltweit bedeutendsten Kon- „Ich vermarkte sik keine Reichtümer ansammle wie im
trabassisten im Jazz und seit 20 Jahren Pop, das ist klar. Aber darum geht es
mich als frei-
von Freiburg aus auf die großen Bühnen auch nicht. In einem Genre wie dem Jazz,
dieser Welt fliegend. beruflicher Musiker das sich irgendwo zwischen Kunst und
Seit Mitte der 1980er Jahre steht Ilg mit genauso wie Kommerz bewegt, kann sowieso nicht das
den Koryphäen des Genres auf der große Geld gemacht werden.“
Bühne. Dave Liebman. Mit Randy Bre- jeder andere Selbst- Dieter Ilg ist überzeugt, in diesem schwie-
cker, Chalie Mariano, Nguyên Lê und ständige auch“ rigen Marktumfeld den für ihn besten Weg
Thomas Quasthoff. 2018 veröffentli- gefunden zu haben, um als Künstler un-
chte er ein Album mit Trompeter Till abhängig wirken zu können: „Man tut zu-
Brönner, der auf Einladung von Barack Obama 2016 im erst etwas, hinter dem man als Künstler steht. Und dann
Weißen Haus spielte. vermarktet man es so, dass man sich damit identifizieren
Dieter Ilg hat geschafft, was nur die wenigsten seiner Be- kann“, sagt er. Soll heißen: Dieter Ilgs Musik ist nicht da-
rufskollegen von sich behaupten können: Er ist Profimusi- für gemacht erfolgreich zu sein. Sie steht für sich selbst. Sie
ker und kann von seiner Musik gut leben. „Ich sehe mich ist dafür dafür gemacht, Menschen anzuregen. Und gerade
genauso als Unternehmer wie als Künstler“, sagt Dieter Ilg. weil sie das tut, ist sie auch erfolgreich.
Die Musik sei nicht nur Leidenschaft, sondern eben auch Zwar gibt es objektiv bewertbare Faktoren wie die Aufnah-
die Tätigkeit, mit der er seine Brötchen verdient. Entspre- mequalität, an sich aber gefällt Musik einem Hörer oder
chend professionell hat er sich aufgestellt. Dieter Ilg re- eben nicht. Wie gut ein Musiker sein Instrument beherrscht,
least über das Münchner Jazz-Label ACT. 2011 gründete er ist nur eine Komponente. Sein Spiel muss die Hörer auch
sein eigenes Label fullfat, auf dem er ausschließlich eigene spontan berühren. Nur dann ist es erfolgreich. Planbar ist › 27
Foto: Dieter IlgSie können auch lesen
