Menschenrechte dringend gesucht - Neue Strategien für die Menschenrechts-politik gegenüber dem Nahen Osten und Nordafrika Nahed Samour/Anna Würth

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Essay

        Menschenrechte
        dringend gesucht
        Neue Strategien für die Menschenrechts-
        politik gegenüber dem Nahen Osten und
        Nordafrika

        Nahed Samour/Anna Würth
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 Deutsches Institut für Menschenrechte

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    Satz:
    Wertewerk
    Barrierefreies Publizieren
    Tübingen

    Essay Nr. 12
    2., aktualisierte Auflage, Dezember 2011

    ISBN 978-3-942315-32-6
    (PDF)

 © 2011 Deutsches Institut für Menschenrechte
    Alle Rechte vorbehalten

2
Menschenrechte
dringend gesucht
Neue Strategien für die Menschenrechts-
politik gegenüber dem Nahen Osten und
Nordafrika

Nahed Samour/Anna Würth

                                          3
Autorinnen - Deutsches Institut für Menschenrechte

Autorinnen
Nahed Samour promoviert an der Inter-                Dr. Anna Würth leitet den Arbeitsbereich
national Max Planck Research School for              Entwicklungspolitik und Menschenrechte
Comparative Legal History in Frankfurt/              am Deutschen Institut für Menschenrech-
Main und der Humboldt Universität zu                 te. Sie ist promovierte Islamwissenschaft-
Berlin. Sie ist Volljuristin und Islamwissen-        lerin und lehrte an der Freien Universität
schaftlerin. Ihr Studium absolvierte sie an          Berlin und der University of Richmond (Vir-
den Universitäten Bonn, Birzeit, London,             ginia). Neben ihrer praktischen Erfahrung
Berlin, Harvard und Damaskus. Sie verfügt            in der Nahostabteilung von Human Rights
über langjährige Erfahrung in der Men-               Watch (Washington D.C.) ist sie seit 15
schenrechtspraxis und -bildung im Nahen              Jahren als Gutachterin in der Entwick-
Osten. Ihre Forschungsschwerpunkte sind              lungspolitik tätig. Anna Würth veröffent-
klassisches und modernes islamisches                 licht sowohl zu Fragen des zeitgenössi-
Recht, Verfassungs- und Völkerrecht.                 schen islamischen Rechts wie zu Men-
                                                     schenrechten und Menschenrechtspolitik.

Deutsches Institut für Menschenrechte
Das Deutsche Institut für Menschen-                  schung zu menschenrechtlichen Themen
rechte ist die unabhängige Nationale                 sowie die Zusammenarbeit mit internati-
Menschenrechtsinstitution Deutschlands.              onalen Organisationen. Es wird vom Bun-
Es ist gemäß den Pariser Prinzipien der              desministerium der Justiz, vom Auswärti-
UNO akkreditiert (A-Status). Zu den Auf-             gen Amt und von den Bundesministerien
gaben des Instituts gehören Politikbera-             für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
tung, Menschenrechtsbildung, Information             Entwicklung sowie für Arbeit und Soziales
und Dokumentation, angewandte For-                   gefördert.
Einleitung

Einleitung
Die Demonstrationen und Ereignisse seit       und Nordafrika (MENA-Region). Darauf
dem Frühjahr 2011 in Tunesien, Ägypten        aufbauend zeigt der vorliegende Essay die
und anderen arabischen Ländern richten        Prioritäten für eine zukünftige Menschen-
sich gegen autoritäre und repressive          rechtspolitik in der deutschen Außen- und
Machthaber, die seit Jahrzehnten regieren.    Entwicklungspolitik auf. Er richtet sich an
Die Forderungen nach Beteiligung im poli-     Parlament, Bundesregierung und Zivilge-
tischen System sind unterlegt mit dem Ruf     sellschaft.
nach Menschenrechten und vor allem
Menschenwürde, dem den Menschenrech-          Nach einer kurzen Darlegung, warum in
ten zugrundeliegenden, universalen Kon-       der Region westliche Menschenrechtspo-
zept. Die Proteste sind auch eine deutliche   litik und –praxis als unglaubwürdig wahr-
Botschaft an die Politik des Westens: Sie     genommen werden (Abschnitt 1), wird die
zeigen, dass das In-Kauf-Nehmen schwe-        Menschenrechtslage in der MENA-Region
rer und systematischer Menschenrechts-        umrissen. Der Essay konzentriert sich auf
verletzungen keine dauerhafte Stabilität      fünf menschenrechtliche Themen, die zen-
und Sicherheit in der Region gewährt.         tral für die Ermöglichung von Freiheit in
                                              der MENA-Region sind. Westliche Men-
Zwar ist noch nicht abzusehen, in welche      schenrechtspolitik sollte Reformen in die-
Richtung sich die Politik in einzelnen Län-   sen Bereichen strategisch und in Abstim-
dern der Region entwickelt. Doch schon        mung mit Menschenrechtsakteuren in der
jetzt stehen die Chancen für externe          Region unterstützen.
Akteure des Westens gut, eine wirkungs-
vollere Menschenrechtspolitik gegenüber       Mit Blick auf die Zivilgesellschaft
der Region umzusetzen.                        (Abschnitt 2) empfehlen die Autorinnen
                                              eine Unterstützung bei Reformen des Ver-
Das Deutsche Institut für Menschenrechte      einsrechts und beim Aufbau beziehungs-
beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der     weise der Funktionswahrnehmung von
Menschenrechtspolitik Deutschlands            Nationalen Menschenrechtsinstitutionen,
gegenüber Staaten mit muslimischer            um so Kernakteure für den Menschen-
Bevölkerungsmehrheit im Nahen Osten           rechtsschutz zu stärken. Anschließend wird

                                                                                             5
Einleitung

 dargelegt, wie sich seit einigen Jahren der   verbotes im Mittelpunkt. Dabei wird
 Menschenrechtsdiskurs und die Men-            herausgearbeitet, dass gesellschaftlicher
 schenrechtsaktivitäten in der MENA-Regi-      Wandel in Richtung Diskriminierungsfrei-
 on auf wirtschaftliche und soziale Rechte     heit einen langen Atem braucht und west-
 erweitert haben (Abschnitt 3) und emp-        liche Politik unter Beachtung der Ausein-
 fohlen, dass die Entwicklungspolitik diesen   andersetzungen in der Region in diesem
 Impetus aufnimmt. Abschnitt 4 analysiert      Feld sensibel handeln muss. Dafür ist eine
 Verletzungen des Rechts auf Leben und die     Zusammenarbeit mit der Jugend zentral.
 Nutzung des Strafrechts für die Unterdrü-     Abschließend reflektiert der Essay (Abschnitt
 ckung jeglicher Opposition. Es wird emp-      6) kritisch den bisherigen Umgang westli-
 fohlen, die sicherheitspolitische Zusam-      cher Politik mit islamischen Gruppierungen
 menarbeit in menschenrechtsverträgliche       in der MENA-Region. Er empfiehlt auf der
 Bahnen zu lenken und Gesetzes- und Jus-       Basis der universellen Geltung der Men-
 tizreformen vor allem im Bereich des Straf-   schenrechte eine Herangehensweise, die
 rechts zu unterstützen. In Abschnitt 5 ste-   deren Charakter als oft stärkster politischer
 hen Verletzungen des Diskriminierungs-        Kraft entspricht.

6
Die bisherige westliche Menschenrechtspolitik gegenüber der MENA-Region ist unglaubwürdig            1

1. Die bisherige westliche
Menschenrechtspolitik gegenüber der
MENA-Region ist unglaubwürdig
Menschenrechte sind inzwischen ein fester             Unterstützung autoritärer Regime: Die
Bestandteil öffentlicher Diskurse in Län-             amerikanische und europäische Unterstüt-
dern mit muslimischen Mehrheiten und                  zung von oder die Zusammenarbeit mit
haben – über die privaten Fernsehsender               autoritären Staaten wie beispielsweise
und das Internet - vor allem auch die                 Tunesien, Ägypten oder Saudi-Arabien –
Jugend in der arabischen Welt erreicht. Im            aus wirtschaftlichen oder sicherheitspoli-
Gefolge der Popularisierung des Men-                  tischen Erwägungen - wird in der Region
schenrechtsdiskurses gibt es eine durch-              seit Jahrzehnten als Beleg dafür gesehen,
gehende Kritik an einer als doppelzüngig              dass es westliche Staaten mit Menschen-
erlebten westlichen Menschenrechtspolitik             rechten nicht ernst meinen. Auch wenn sie
und -praxis. Drei zentrale Punkte stehen              vereinzelt gegen besonders drastische Fäl-
dabei im Mittelpunkt:                                 le von Folter oder Verletzung der Presse-
                                                      freiheit protestiert haben, setzten sie auf
• Unterstützung autoritärer Regime,                   die vermeintlich stabilisierende Wirkung
  die Menschenrechtsverletzungen                      so genannter moderater beziehungsweise
  begehen,                                            pro-westlicher Autokraten, die sich selbst
                                                      als Bollwerk gegen einen radikalen Isla-
• Menschenrechtsverletzungen                          mismus profilierten.1 Die politischen Kos-
  westlicher Staaten in muslimischen                  ten dieser Haltung für die Gesellschaften
  Mehrheitsgesellschaften,                            der MENA-Region – die Verhinderung
                                                      demokratischer Beteiligung, schwere Men-
• Menschenrechtsverletzungen an                       schenrechtsverletzungen sowie die Stär-
  Muslimen und Musliminnen in
                                                      kung radikaler Kräfte ‑ blieben dabei aus-
  westlichen Staaten selbst.
                                                      geblendet.

1   Esposito, John; Mogahed, Dalia (2008): Who speaks for Islam? What a Billion Muslims Really Think.
    Gallup Press, S. 58.

                                                                                                        7
1    Die bisherige westliche Menschenrechtspolitik gegenüber der MENA-Region ist unglaubwürdig

     Wahrnehmung von Menschenrechtsver-                      tionswege ermöglichen heute, dass Politi-
     letzungen westlicher Staaten in der                     ken und Ereignisse am jeweils anderen Ort
     muslimischen Welt: Die Militäreinsätze in               unmittelbar wahrgenommen und im jewei-
     Afghanistan und Irak sollten Terrorismus                ligen politisch-kulturellen Kontext inter-
     bekämpfen sowie Demokratie und die Ach-                 pretiert werden. Auf diese transnationale
     tung der Menschenrechte herbeiführen.                   Verflechtung zwischen den Bevölkerungen
     Schon die Irak-Invasion unter Missachtung               in Europa und der MENA-Region muss sich
     des Völkerrechts schwächte die Berufung                 westliche Innen- und Außenpolitik genau-
     auf völkerrechtliche Menschenrechtsnor-                 so einstellen wie auf die notwendige Viel-
     men. Die militärischen Auseinandersetzun-               stimmigkeit des menschenrechtlichen Dis-
     gen führten zu Verletzungen des humani-                 kurses.
     tären Völkerrechts und der Menschenrech-
     te und beschädigten ihre Akzeptanz. In der
     gesellschaftlich wirksamen Konstruktion
     kollektiver Erinnerung in der MENA-Regi-
     on sind Abu Ghraib, Bagram und Gaza
     Symbole dafür, dass der Westen mit zwei-
     erlei Maß misst.

    Menschenrechtsverletzungen an Musli-
    men und Musliminnen in oder durch
    westliche Staaten: Menschenrechtswid-
    rige Inhaftierungen von Muslimen in
    Geheimgefängnissen und CIA-Verschlep-
    pungsflüge über Europa,2 das „Outsourcen“
    von Folter, europäische Innenpolitiken, die
    muslimische Minderheiten zum Teil unter
    Generalverdacht stellen,3 sowie eine ins-
    gesamt zunehmende Islamfeindlichkeit in
    Europa sind Entwicklungen, die westliche
    Menschenrechtspolitik in der MENA-Regi-
    on unglaubwürdig gemacht haben. Schnel-
    le Internet- und bildbasierte Kommunika-

     2   Ausführliche Zeitleiste zu Guantanamo: Reprieve (2009): Guantánamo Bay timeline (Stand 12.06.2009).
         http://www.reprieve.org.uk/2009_06_12guantanamobaytimeline (abgerufen am 03.02.2011).
     3   Shaaban, Bouthaina (2009): Burqa Committees and Minaret Referenda. http://www.bouthainashaaban.
         com/ENGLISH%20ARTICALES%202009/Burqa%20Committees%20and%20Minaret%20Referenda.htm
         (abgerufen am 02.06.2010); Al-Aswani, Alaa (2009): „Ihr seid doch unser Vorbild“. In: Spiegel Online 20.
         Juli 2009. http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,637268,00.html (abgerufen am 01.06.2010).

    8
Zivilgesellschaft durch Vereinigungsfreiheit stärken       2

2. Zivilgesellschaft durch
Vereinigungsfreiheit stärken
Die Entwicklung einer Demokratie und                 ten sind die Registrierungsprozesse über-
einer pluralistischen Gesellschaft ist auf           aus langwierig oder die Anforderungen
die Existenz einer vielfältigen Zivilgesell-         unverhältnismäßig hoch. Im Ergebnis wer-
schaft angewiesen, in der Menschen sich              den Nichtregierungs- und vor allem Men-
zur Verfolgung eigener Ziele frei zu Inter-          schenrechtsorganisationen oft illegalisiert.
essengruppen, Vereinen und Parteien                  Für westliche Geldgeber ist jedoch die
zusammenschließen und diese Ziele in eine            Registrierung einer NGO oft Voraussetzung
öffentliche Debatte einbringen können. Die           für eine Unterstützung. Die Verweigerung
Notstandsgesetzgebung, die in einigen                der Registrierung schließt die betreffenden
Staaten wie Ägypten und Algerien seit                Organisationen damit von der noch immer
Jahrzehnten herrscht, hat solche Zusam-              notwendigen externen Finanzierung aus.
menschlüsse und Debatten unmöglich
gemacht. Dazu unterliegt die Zivilgesell-            Auch die Aktivitäten von registrierten
schaft, darunter islamisch orientierte, kari-        NGOs werden in den meisten Staaten der
tative Nichtregierungsorganisationen                 Region durch restriktive Bestimmungen
(NGOs), Berufsverbände sowie Menschen-               eingeschränkt. Dazu gehören permanente
rechtsorganisationen, in allen Staaten der           Kontrollen der Haushaltsführung, der Mit-
Region einem restriktiven Vereinsrecht, das          glieder und Vorstände, regelmäßige Ins-
unverhältnismäßige Anforderungen stellt              pektionen, Berichterstattung gegenüber
und Zuwiderhandlungen empfindlich sank-              dem verantwortlichen Ministerium, die
tioniert. In Tunesien und Algerien weigern           Genehmigung der Statuten und der Vor-
sich Behörden, die Dokumente zur Regis-              standswahlen sowie die langwierige
trierung einer NGO entgegenzunehmen                  Anmeldung aller Aktivitäten. Hinzu kom-
oder eine Bestätigung der eingereichten              men staatliche Bemühungen, NGOs unter
Dokumente auszustellen.4 In anderen Staa-            dem Schirm einer Dachorganisation zu ver-

4   Euro-Mediterranean Human Rights Network (2010): Freedom of Association in the Euro-
    Mediterranean Region. A Threatened Civil Society, S. 28ff, 70ff. http://www.euromedrights.org/
    files.php?force&file=emhrn-statements-2008/FOA2010_EN_FINAL_267726910.pdf (abgerufen am
    04.02.2011).

                                                                                                          9
2    Zivilgesellschaft durch Vereinigungsfreiheit stärken

     einigen, unter dem Vorwand, diese könnten              Insgesamt sind in einem autoritären poli-
     sich dann besser koordinieren. Im Ergebnis             tischen Umfeld die Unabhängigkeit und
     führten all diese Maßnahmen oft zu mehr                Wirksamkeit von Nationalen Menschen-
     Kontrolle und zu einer Lähmung der zivil-              rechtsinstitutionen genauso gefährdet wie
     gesellschaftlichen Aktivität. Das restriktive          die der Zivilgesellschaft.6 Die Bedeutung
     Vereinsrecht trifft die Berufsverbände, Ver-           von Nationalen Menschenrechtsinstituti-
     eine, karitative Organisationen sowie NGOs             onen sollte jedoch nicht unterschätzt wer-
     im engeren Sinne und verringert den                    den. Regelmäßiger Austausch in interna-
     Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft               tionalen wie regionalen Foren, Dialog mit
     empfindlich. Dazu kommen Gerichtsver-                  Schwesterinstitutionen aus anderen Regi-
     fahren, geheimdienstliche Überwachung,                 onen - wie das jährliche Treffen der Euro-
     Infiltration oder Gründung einer Organi-               päischen und Arabischen Nationalen Men-
     sation mit ähnlichem Namen durch die                   schenrechtsinstitutionen - und nicht
     Regierung. Von derartigen Maßnahmen                    zuletzt die wiederkehrende Akkreditie-
     sind Organisationen, die Menschenrechts-               rungsprozedur sind wichtige Unterstüt-
     verletzungen systematisch beobachten, bis              zungs- und Kontrollmechanismen. Schon
     heute besonders betroffen.                             jetzt sorgen diese Verfahren dafür, dass
                                                            Regierungen, die ihre Nationalen Men-
     Auch Nationale Menschenrechtsinstituti-                schenrechtsinstitutionen zu stark gängeln,
     onen5 der MENA-Region sind durch die                   dies zumindest nicht unbemerkt tun kön-
     Dominanz der Exekutiven in ihren Wir-                  nen. Zusätzlich haben Nationale Men-
     kungsmöglichkeiten beschränkt. Derzeit                 schenrechtsinstitutionen in der Region
     hat die MENA-Region im internationalen                 einen wichtigen Beitrag dazu geleistet,
     Vergleich den geringsten Anteil an Natio-              dass die jeweiligen Regierungen in den
     nalen Menschenrechtsinstitutionen, die                 Menschenrechtsdiskurs eingetreten sind
     den internationalen Prinzipien für Natio-              anstatt Menschenrechtsverletzungen pau-
     nale Menschenrechtsinstitutionen ent-                  schal abzustreiten oder Menschenrechte
     sprechen.                                              für irrelevant zu erklären wie noch in den
                                                            vorangegangenen Jahrzehnten. Nationale

     5   Zu Nationalen Menschenrechtsinstitutionen: Aichele, Valentin (2009): Die Nationale
         Menschenrechtsinstitution. Eine Einführung. Deutsches Institut für Menschenrechte: Berlin.
     6   Siehe Fitzpatrick, Kieren / Renshaw, Catherine (2009): NHRIs in the Asia Pacific Region, S. 9.
         http://www.ahrcentre.org/documents/KFCR%20Final25August09.doc (abgerufen am 03.02.2011).

    10
Zivilgesellschaft durch Vereinigungsfreiheit stärken          2

Menschenrechtsinstitutionen haben in der
Region - trotz aller bestehenden Mängel
in ihrem politischen Umfeld - die Aufgabe
erfüllt, Regierungen in das Menschen-
rechtsregime hinein zu sozialisieren.7

Insgesamt waren bzw. sind die restriktive
Vereinsgesetzgebung und die Dominanz
der Exekutive über Parlamente und Justiz
die wichtigsten politischen Steuerungs-
mittel zur Kontrolle der Zivilgesellschaft.
Zu einer systematischen Strategie der För-
derung der Zivilgesellschaft gehört daher
die Unterstützung bei Reformen zur Rege-
lung der Vereinigungsfreiheit und beim
Aufbau von unabhängigen Nationalen
Menschenrechtsinstitutionen.

7   Siehe Würth, Anna / Engelmann, Claudia (2010): Governmental Human Rights Structures and National
    Human Rights Institutions in the Middle East. In: Elliesie, Hatem (Hg.): Islam and Human Rights,
    Frankfurt: Peter Lang, S. 239-256; Stacher, Joshua (2005): Rhetorical Acrobats and Reputations: Egypt’s
    National Council for Human Rights. Middle East Report 235. http://www.merip.org/mer/mer235/stacher.
    html (abgerufen am 31.05.2010).

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3     Wirtschaftliche und soziale Rechte als Menschenrechtsthema ernstnehmen

      3. Wirtschaftliche und soziale Rechte als
      Menschenrechtsthema ernstnehmen
     Lange waren Diskussionen über Menschen-                 Welle von Arbeitskämpfen in anderen
     rechte in der Region nahezu ausschließlich              Industrie- und Gewerbesektoren aus und
     auf bürgerliche und politische Rechte                   dehnten sich im Sommer 2007 auf Ange-
     (kurz: Zivilpaktrechte8) fokussiert. Drän-              stellte und Beamte aus.10 Standen bei der
     gende soziale Fragen, wie Analphabetis-                 ägyptischen Arbeiterschaft zunächst die
     mus, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und                  Auszahlung zugesagter Prämien, dann bes-
     Armut, wurden selten in einen menschen-                 serer Arbeitsschutz und Gesundheitsver-
     rechtlichen Rahmen gestellt. Dies hat sich              sorgung im Mittelpunkt, wurden immer
     inzwischen geändert. Exemplarisch für die               stärker auch Forderungen nach freier
     gestiegene Bedeutung der wirtschaftlichen               Gründung und Betätigung von Gewerk-
     und sozialen Rechte (kurz: Sozialpaktrech-              schaften laut.11 Eine ähnliche Dynamik
     te9) sind die Streiks und Demonstrationen,              haben die Proteste in Tunesien und Alge-
     die ägyptische Textilarbeiterinnen im Jah-              rien entfaltet.
     re 2006 anführten. Frauen sind, wie auch
     andernorts, stark in der von Liberalisierung            Ein weiteres Beispiel für das gestiegene
     und Privatisierung besonders betroffenen                Bewusstsein um den Zusammenhang zwi-
     Textil- und Bekleidungsindustrie vertreten              schen Sozial- und Zivilpaktrechten sind die
     und werden am schlechtesten bezahlt. Die                Proteste in Tunesien. Arbeitslosenquoten
     Streiks in der Textilindustrie lösten eine              von über 30 Prozent unter gebildeten jun-

      8 UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966).
      9 UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966).
      10 Eine fortlaufende Chronologie der ägyptischen Streiks findet sich bei: El-Hamalawy, Hossam (2009):
         Fayoumi: A working class hero. In: Al Masr al-Youm, 17. November 2009. http://www.almasryalyoum.
         com/en/news/fayoumi-working-class-hero (abgerufen am 31.05.2010). Siehe auch die Analysen von
         Lübben, Ivessa (2007): Erwachen der ägyptischen Arbeiterbewegung? In: INAMO 49, S. 51–55 und
         Beinin, Joel (2008): Prostestbewegung der Arbeiter, Neoliberalismus und der Kampf für Demokratie. In:
         INAMO 55, S. 9–15.
      11 Lübben (2007): siehe Fußnote 10, S. 54. Auch in Algerien und Marokko konnten Gewerkschaften
         übergreifende Proteste initiieren: Euro-Mediterranean Human Rights Network (EMHRN) (2008):
         Freedom of Association in the Euro-Mediterranean Region, S. 17, 41. http://en.euromedrights.org/index.
         php/publications/emhrn_publications/68/4075.html (abgerufen am 31.05.2010).

    12
Wirtschaftliche und soziale Rechte als Menschenrechtsthema ernstnehmen             3

gen Erwachsenen, grassierende Korruption             Migranten und Migrantinnen aus südasi-
und politische Repression brachten letzt-            atischen oder afrikanischen Ländern.13
lich das Regime zum Einsturz. Ähnliche
strukturelle Probleme, also die Verweige-            Gerade junge Menschenrechtsaktivisten
rung von politischen und wirtschaftlich-             und –aktivistinnen haben sich der bren-
sozialen Rechten, finden sich in allen               nenden sozialen und wirtschaftlichen The-
anderen Staaten der Region. Betroffen sind           men angenommen und so selbst an Legi-
davon vor allem junge Menschen, die die              timität und Breitenwirkung gewonnen.
Bevölkerungsmehrheit darstellen.                     Diese Entwicklungen müssen eine stärkere
                                                     Berücksichtigung finden. Die Unteilbarkeit
Deutlich wird dies nicht nur hinsichtlich            der Menschenrechte muss sich auch in
des Rechts auf Arbeit, sondern auch mit              westlicher Menschenrechtspolitik stärker
Blick auf das Recht auf angemessene                  ausdrücken. Gegenüber Staaten der
Unterkunft.12 Bevölkerungswachstum und               MENA-Region sollten nicht nur Mängel bei
Urbanisierung, aber auch andauernde                  der Beachtung der Zivilpaktrechte, sondern
bewaffnete Konflikte und die durch sie ver-          auch der Sozialpaktrechte angesprochen
ursachte hohe Anzahl von Flüchtlingen                werden. Vor allem die europäische Politik
führen in allen Städten zu drastischem               gegenüber der Region sollte verstärkt auf
Mangel an Wohnraum, der zunehmend                    Kohärenz ihrer Handels- und Wirtschafts-
auch als menschenrechtliches Problem                 politik mit den Verpflichtungen unter dem
wahrgenommen wird. Prominent werden                  UN-Sozialpakt achten. Zusätzlich sollten
Sozialpaktrechte auch im Kontext der weit            Programme der Entwicklungszusammen-
verbreiteten Arbeitsmigration diskutiert.            arbeit, in allen Sektoren, stärker auf die
Angefangen von Rechten der muslimischen              bestehende Bevölkerungsstruktur zuge-
Migranten und Migrantinnen im Westen                 schnitten werden und junge Menschen
und in den Golfstaaten gibt es inzwischen            stärker beteiligen.
auch Kampagnen für die Rechte von

12 Beispielsweise: Amman Center for Human Rights Studies (2008): The Jordanian Landlords and Tenants
   Law. http://www.achrs.org/english/index.php?option=com_content&task=view&id=82&Itemid=78
   (abgerufen am 01.06.2010).
13 Siehe Al Sharq al-Awsat (2009): Träume der ausländischen Arbeitsmigrantinnen im Libanon … wandeln
   sich zu Albträumen (arab.), 18. Dezember 2009. http://www.aawsat.com/details.asp?section=45&article
   =548973&issueno=11343 (abgerufen am 01.06.2010); Cairo Institute for Human Rights Studies (2008):
   Human Rights in the Arab Region. Annual Report 2008, S. 214-215. http://www.cihrs.org/Images/
   ArticleFiles/Original/382.pdf (abgerufen am 01.06.2010).

                                                                                                         13
4     Repressives Strafrecht und Anti-Terror-Gesetzgebung müssen reformiert werden

      4. Repressives Strafrecht und
      Anti-Terror-Gesetzgebung müssen
      reformiert werden
      Seit Jahrzehnten werden in der Region das               Sicherheitsbehörden weitreichende
      Recht auf Leben, das Folterverbot sowie                 Machtbefugnisse geben. Diese Rechtferti-
      die Garantien für faire Gerichtsverfahren               gung hat auch in der Region nach dem 11.
      systematisch verletzt – nicht nur von nati-             September 2001 an Gewicht gewonnen.
      onalen Organen wie Polizei, Sicherheits-                Die Mehrzahl der dortigen Regime bemüht
      behörden, Geheimnisdiensten und Militär,                sich zwar, die entsprechenden Maßnahmen
      sondern vermehrt auch durch ausländische                in ein rechtliches Gewand zu kleiden. Dabei
      militärische Truppen, Geheimdienste und                 höhlt die Gesetzgebung regelmäßig die
      private Militärfirmen.14                                Freiheitsrechte aus: Untersuchungshaft ist
                                                              für eine unbestimmte Dauer möglich, das
         Ziel des staatlichen Handelns ist oft eine           Recht der freien Meinungsäußerung ein-
         Unterdrückung oder Bestrafung der Oppo-              geschränkt und die polizeilichen Abhör,-
         sition. Da nach wie vor die gewichtigste             Durchsuchungs- und Festnahmebefugnis-
         politische Opposition in der Region islami-          se sind unverhältnismäßig erweitert.
         scher oder islamistischer Natur ist, treffen
         diese Menschenrechtsverletzungen sie                 De facto – zum Teil auch de jure – herrscht
         besonders.                                           weitgehende Straffreiheit auch bei Amts-
                                                              missbrauch. Die entsprechenden Gesetze
         Gerechtfertigt werden diese Menschen-                sowie das reguläre Strafrecht enthalten
         rechtsverletzungen mit Erfordernissen der            zudem eine Vielzahl von unklar definierten
         nationalen Sicherheit, die den staatlichen           Tatbeständen als politische Vergehen und

      14 Private Militärfirmen sind in unterschiedlicher Mission in einer Reihe von Ländern der muslimischen
         Welt tätig, darunter in Irak, Afghanistan, den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten, Libanon
         und Sudan. Privaten Militärfirmen vorgeworfene Menschenrechtsverletzungen blieben bisher mangels
         verwertbarer Beweise straflos, z.B. im Fall United States of America vs. Paul A. Slough et al 2010.
         http://www.scribd.com/doc/24675294/Black-Water-Dismissal-Opinion (abgerufen am 04.02.2011).

    14
Repressives Strafrecht und Anti-Terror-Gesetzgebung müssen reformiert werden               4

belegen sie mit empfindlichen Haftstrafen,             lichen Friedens“ zur Anwendung kommen.
zum Teil auch mit der Todesstrafe.15                   Das jordanische Terrorismuspräventions-
                                                       gesetz von 2006 kann gegen Personen, die
In der Mehrzahl der nahöstlichen Staaten               die „Infrastruktur schädigen“, eingesetzt
ist die Todesstrafe weder auf schwerste                werden.17
Verbrechen beschränkt noch für politische
Vergehen ausgeschlossen, wie in Artikel 6              Menschenrechtsrelevante Einschränkun-
(2) des Zivilpakts festgelegt. Den Zivilpakt           gen der Versammlungs-, Meinungs-, und
hat die Mehrheit der Staaten der Arabi-                Pressefreiheit gehören in dieselbe Katego-
schen Liga ratifiziert. In vielen Staaten sind         rie von missbräuchlich eingesetzten Geset-
Ausnahmegerichtsbarkeiten, vor allem                   zen. Vor allem Pressevergehen (darunter
Militär- und Staatssicherheitsgerichte,16              auch Internetvergehen), oft rechtlich
für eine große Anzahl von Straftaten                   unzureichend definiert, ziehen in vielen
zuständig. Von diesen Straftatbeständen                nahöstlichen Staaten empfindliche Haft-
stehen viele nicht im inneren Zusammen-                strafen nach sich. In Ägypten zeigt sich
hang mit dem Militär oder der Sicherheit               dies seit Januar 2011 in einer Vielzahl dies-
des Staates. Ausnahmegerichte sind auch                bezüglicher Verfahren vor Militärgerichten.
berechtigt, die Todesstrafe zu verhängen,
ohne dass zivile Instanzen diese Urteile               Die staatliche Anwendung von Folter ist
überprüfen.                                            im Nahen Osten nach wie vor weit verbrei-
                                                       tet. Die überregionale Arabische Organisa-
Die Anti-Terror-Gesetzgebung einiger                   tion für Menschenrechte fand im Zeitraum
Staaten, darunter die in Jordanien, Marok-             2006 bis 2008 in acht arabischen Staaten
ko und Tunesien, enthält Definitionen von              Nachweise für eine systematische Anwen-
Terrorismus, die dazu verwandt werden,                 dung von Folter. Für den gleichen Zeitraum
legitimen Protest einzuschränken. Das                  dokumentierte die Organisation rechtswid-
tunesische Anti-Terrorismus-Gesetz von                 rige Inhaftierungen in elf arabischen Staa-
2003 kann auch bei „Störung des öffent-                ten.18

15 Das ägyptische und tunesische Beispiel der Anti-Terror-Gesetzgebung diskutiert der UN-
   Sonderberichterstatter Scheinin, Berichte auf http://www2.ohchr.org/english/issues/terrorism/
   rapporteur/srchr.htm (abgerufen am 03.02.2011); zur Todesstrafe in der Region allgemein: Amman
   Center for Human Rights Studies (2008): The Death Penalty in the Arab World: The Annual Report
   by ACHRS. http://www.achrs.org/english/images/stories/news/pdf/Death_Penalty_Report_2008.pdf
   (abgerufen am 31.05.2010).
16 Überblick bei: Nasr, Hesham/Crystal, Jill/Brown, Nathan J. (2004): Criminal Justice and Prosecution in
   the Arab World. http://www.pogar.org/publications/judiciary/criminaljustice-brown-e.pdf (abgerufen am
   01.06.2010).
17 EMHRN 2008 (siehe Fußnote 11), S. 8.
18 UNDP, Arabischer Bericht über die menschliche Entwicklung 2009, Kurzfassung in deutscher Sprache, S. 7.

                                                                                                             15
4     Repressives Strafrecht und Anti-Terror-Gesetzgebung müssen reformiert werden

      Westliche Menschenrechtspolitik hat sich          licher Garant von Stabilität an Anzie-
      in den vergangenen Jahren durchaus zu             hungskraft. So kann westliche Menschen-
      einzelnen Vorfällen von Folter oder beson-        rechtspolitik gegenüber der Region nun
      ders drastischen Verletzungen der Presse-         dazu beitragen, die Ursachen der aufge-
      freiheit in der Region geäußert. Sie reagier-     zeigten Menschenrechtsverletzungen
      te aber nicht auf Ursachen dieser Verlet-         anzugehen. Dazu gehört auch, sicherheits-
      zungen, die in den jeweiligen autoritären         politische Zusammenarbeit menschen-
      Staatswesen begründet liegen. Mit der             rechtskonform auszurichten sowie Straf-
      Schwächung oder dem Zusammenbruch                 rechts-, Polizei- und Justizreformen zu
      autoritärer Herrschaftssysteme verliert           unterstützen.
      dieses Modell für den Westen als vermeint-

    16
Gesellschaftlicher Wandel braucht einen langen Atem – muss aber jetzt unterstützt werden           5

5. Gesellschaftlicher Wandel braucht
einen langen Atem – muss aber jetzt
unterstützt werden
Diskriminierung – zum Beispiel aufgrund               Fortschritte erzielt worden. Zu nennen sind
des Geschlechts, der Religion, der ethni-             vor allem Reformen des Staatsbürger-
schen Zugehörigkeit, des Alters, der sexu-            schaftsrechts und die zunehmende Präsenz
ellen Orientierung oder geschlechtlichen              von Frauen in öffentlichen Funktionen –
Identität – prägt das Alltagsleben in vielen          angefangen vom diplomatischen Dienst bis
Ländern der MENA-Region. Einige dieser                hin zu Regierungsämtern und der Justiz.19
Diskriminierungen werden mit religiösen               Frauen sind jedoch nach wie vor wenig in
oder kulturellen „Gewohnheiten und Tra-               den – nur selten frei und fair gewählten -
ditionen“ begründet, die auch in Gesetz-              Legislativen vertreten.20 Die meisten Refor-
gebung gegossen wurden; andere – wie                  men im Bereich der Frauenrechte sind an
rassistische Diskriminierung oder die gegen           den bestehenden Legislativen vorbei -
Menschen mit Behinderungen – sind pri-                durch präsidiale oder königliche Verord-
mär gesellschaftlich wirksam.                         nungen - beschlossen worden.

                                                      Die frauenrechtlichen Veränderungen wur-
5.1 Fortschritte bei der                              den von heftigen Kontroversen begleitet,
Bekämpfung der Diskriminierung                        darunter auch zur Rolle muslimischer Tra-
von Frauen                                            ditionen beziehungsweise ihrer Interpre-
                                                      tationen. Viele – wenngleich nicht alle -
In den vergangenen zehn Jahren sind in                Frauenrechtsaktivistinnen nutzten offensiv
der Region vor allem hinsichtlich der                 emanzipatorische Interpretationen des
Bekämpfung der Diskriminierung von Frau-              islamischen Rechts, um Reformen des
en im rechtlichen und politischen Bereich             Familienrechts voranzubringen, so zum

19 Einen Überblick gibt Euro-Mediterranean Human Rights Network (2009): Gender Equality in the
   Euro-Mediterranean Region: From Plan of Action to Action? http://www.euromedrights.org/files.
   php?force&file=emhrn-publications/istanbul_action_plan_shadow_report_ENG_896104668.pdf
   (abgerufen am 31.05.2010).
20 Nach Daten der International Parliamentary Union (Stand 31.12.2010) gibt es in den Unterhäusern der
   arabischen Legislativen lediglich 12,5% Frauen: http://www.ipu.org/wmn-e/world.htm (abgerufen am
   03.02.2011).

                                                                                                         17
5     Gesellschaftlicher Wandel braucht einen langen Atem – muss aber jetzt unterstützt werden

      Beispiel in Marokko und Ägypten. Nach wie             mehrheiten, wird homosexuelles Verhalten
      vor werden orthodoxe Interpretationen des             von Männern und zum Teil auch von Frau-
      islamischen Rechts aber auch von konser-              en kriminalisiert. Orthodoxe und traditio-
      vativen Kräften genutzt, um Reformen zu               nelle Interpretationen des Islams stellen
      verhindern – so im Jemen, wo unter ande-              Homosexualität bei bestimmten Voraus-
      rem daran im Jahr 2009 die Einführung                 setzungen unter Todesstrafe – so in den
      eines Mindestheiratsalters gescheitert ist.           Strafgesetzbüchern von Jemen, Iran, Mau-
      Die Auseinandersetzungen um die Diskri-               retanien, Saudi-Arabien, Sudan, den Ver-
      minierung der Frau zeigen: In der MENA-               einigten Arabischen Emiraten und Nigeria.
      Region gibt es anhaltend lebhafte Kontro-             In Adaptation europäischer Bestimmungen
      versen um die Rolle von Religion in Staat             aus der Kolonialzeit steht auch in Ägypten,
      und Gesellschaft. Viele Aktivisten und Akti-          Marokko, Algerien, Jordanien und dem
      vistinnen haben sich entschieden, die                 Libanon Homosexualität unter Strafe und
      Interpretation des islamischen Rechts                 kann mit Haft- und Geldstrafen geahndet
      nicht allein konservativen oder reaktionä-            werden.
      ren Kräften zu überlassen. Sie ringen viel-
      mehr um die Anerkennung des Pluralismus               Diese strafrechtlichen Bestimmungen fan-
      in den Interpretationen des Islams und die            den jahrzehntelang kaum Anwendung. Seit
      Möglichkeiten, muslimische Traditionen                Beginn der 2000er Jahre gibt es jedoch
      emanzipatorisch und menschenrechtskon-                regelmäßige Polizei-Razzien von Homose-
      form auszulegen. Andere konzentrieren                 xuellen-Treffpunkten in Ägypten, Marokko
      sich darauf, auf der Grundlage des Islams             und Kuwait, mit anschließender Inhaftie-
      Beiträge zur gesellschaftlichen Akzeptanz             rung, Anklage und Verurteilung. Misshand-
      der Menschenrechte zu entwickeln. Solche              lung und Folter von homosexuellen Män-
      Bestrebungen, die sich kritisch-konstruktiv           nern in der Untersuchungshaft sind dabei
      mit dem islamischen Erbe auseinanderset-              die Regel. Nach Ansicht von Human Rights
      zen, sollten von der Menschenrechtspolitik            Watch gehen diese Razzien weit über die
      wahrgenommen, verstanden und unter-                   bloße Anwendung bestehender Gesetze
      stützt werden.                                        hinaus; sie machten homosexuelle Männer
                                                            vielmehr zu Sündenböcken und leisteten
                                                            so auch Vorschub für die zunehmenden
      5.2 Diskriminierung aufgrund                          gesellschaftlichen Übergriffe gegen sie.21
      sexueller Orientierung                                Besonders deutlich wurde dies im Irak. Dort
                                                            stellen einvernehmliche homosexuelle
      In vielen Staaten dieser Welt, so auch in             Handlungen zwischen Erwachsenen keine
      Ländern mit muslimischen Bevölkerungs-                Straftat dar. Homosexuelle Männer werden

     21 Human Rights Watch (2009): Together, Apart. Organizing around Sexual Orientation and Gender
        Identity Worldwide, S. 15. http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/lgbt0509web.pdf (abgerufen
        am 31.05.2010).

    18
Gesellschaftlicher Wandel braucht einen langen Atem – muss aber jetzt unterstützt werden              5

hingegen von irakischen Milizen – unter               und definiert zu werden. Dies ist nicht nur
Berufung auf ihre Interpretation der Scha-            eine Diskursfrage: Einige Homosexuelle
ria – bedroht, entführt, gefoltert und                werden gerade auch wegen ihrer tatsäch-
ermordet.22                                           lichen oder vermuteten Bindung an den
                                                      Westen verfolgt. Die Bemühungen der
Menschenrechtsverletzungen aufgrund der               internationalen gay rights-Bewegung, auf
sexuellen Orientierung23 in Ländern mit               Menschenrechtsverletzungen an muslimi-
muslimischen Bevölkerungsmehrheiten                   schen sexuellen Minderheiten aufmerksam
führen auch zu Diskussionen um Identi-                zu machen, führe damit in den Gesell-
tätsfragen. Dabei trifft die internationale           schaften selbst zu einer verstärkten Stig-
gay rights-Bewegung auch auf Kritik.                  matisierung.
Joseph Massad, Professor für moderne ara-
bische Politik und intellektuelle Geschich-           Hier wiederholt sich das Dilemma, das aus
te (Columbia University) und Afsaneh                  der Frauenrechtsbewegung bekannt ist:
Najmabadi, Professorin für Geschichte und             Die internationale Aufmerksamkeit, die
Frauen-, Geschlechter- und Sexualitäts-               den Menschenrechten von Frauen
studien in Harvard, kritisieren, dass im              geschenkt wurde, kann es Menschen, die
Westen gleichgeschlechtliche Sexualprak-              sich in ihren Gesellschaften für diese ein-
tiken mit einer westlich geprägten, gleich-           setzen, noch schwerer machen. Gleichzei-
geschlechtlichen Identität gleichgesetzt              tig ist der – wenngleich noch immer
würden.24 Nicht jede Person, die gleichge-            begrenzte - Fortschritt im Schutz der Men-
schlechtlich liebe, definiere darüber ihre            schenrechte von Frauen ohne internatio-
Identität oder ihr öffentliches Lebenskon-            nale Aufmerksamkeit schwer denkbar. Da
zept. Vor allem, so Massad und Najmaba-               sexuelle Minderheiten jedoch eine viel
di, möchte nicht jede Person in der Öffent-           kleinere und sehr verwundbare Gruppe
lichkeit als von gesellschaftlichen Normen            darstellen, sollten menschenrechtspoliti-
abweichend vorverurteilt werden. Eine Ein-            sche Strategien, die sich für ihre Rechte
ordnung als lesbisch, schwul oder bisexu-             einsetzen, sorgfältig bedacht und vor allem
ell bedeute, ein weiteres Mal durch einen             mit ihnen abgestimmt werden.
eurozentristischen Blick wahrgenommen

22 Human Rights Watch (2009): “They Want Us Exterminated”: Murder, Torture, Sexual Orientation and
   Gender in Iraq. http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/iraq0809webwcover.pdf (abgerufen am
   31.05.2010).
23 Die Auseinandersetzungen um sexuelle Orientierung betreffen vorwiegend Personen, die
   gleichgeschlechtliche Beziehungen pflegen, nicht primär Trans- oder Intersexuelle. So sind
   Geschlechtsumwandlungen im Iran seit 1967 erlaubt und werden insbesondere von homosexuellen
   Männern genutzt, um der Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu entgehen:
   Najmabadi, Afsaneh (2008): Transing and Transpassing Across Sex-Gender Walls in Iran. In: Women‘s
   Studies Quarterly 36, 3-4, S. 23–42.
24 Vor allem: Massad, Joseph (2007): Desiring Arabs. Chicago: University of Chicago Press sowie Najmabadi
   (2008) (siehe Fussnote 23).

                                                                                                            19
5     Gesellschaftlicher Wandel braucht einen langen Atem – muss aber jetzt unterstützt werden

      5.3 Religionsfreiheit ist                              terium, bei der Planung solcher Anschläge
      gefährdet                                              gespielt haben, wird in Ägypten unter-
                                                             sucht. .26 Christliche Minderheiten werden
      In den meisten Staaten in der MENA-Regi-               zudem vor allem in Ägypten durch eine Flut
      on ist die Religionsfreiheit zwar verfas-              von Verfahrensvorschriften daran gehin-
      sungsrechtlich verankert, doch zugleich                dert, ihre Gemeindestrukturen, zum Bei-
      genießt eine Religion, der Islam, Verfas-              spiel durch Renovierung von Kirchen, zu
      sungsrang. Das erzeugt ein Spannungsver-               pflegen.
      hältnis, das oft zu autoritären Auslegungen
      zugunsten eines vorherrschenden, konser-               Westliche Menschenrechtspolitik muss
      vativen Islamverständnisses führt. Dies                sich der Diskriminierung von nicht-musli-
      betrifft im Prinzip die gesamte Bevölke-               mischen Minderheiten genauso entgegen-
      rung, besonders aber nicht-muslimische                 stellen wie den Einschränkungen der Reli-
      Minderheiten und Muslime, die nicht der                gionsfreiheit für Muslime und Muslimin-
      Mehrheit angehören. Religionsaustritt oder             nen, in der MENA-Region wie im
      Religionswechsel von Muslimen und Mus-                 europäischen Inland. Derzeit bestimmt
      liminnen ist in der Regel nicht von der in             eine Aufrechnung von jeweils beobachte-
      der Verfassung garantierten Religionsfrei-             ten Einschränkungen der Religionsfreiheit
      heit gedeckt.25                                        den medialen Diskurs („Warum sollen Mus-
                                                             lime Moscheen in Europa bauen dürfen,
      Angehörige religiöser Minderheiten, vor                wenn Christen im Nahen Osten keine Kir-
      allem Christen, sind in den vergangenen                chen bauen dürfen?“). Bei einer solchen
      Jahren vermehrt Opfer extremistischer                  Aufrechnung trifft man sich auf dem nied-
      Anschläge geworden – zuletzt vor allem                 rigsten Stand und bewegt sich außerhalb
      im Irak und in Ägypten. Welche Rolle                   der Religionsfreiheit, wie sie im UN-Zivil-
      staatliche Akteure, inklusive Innenminis-              pakt niedergelegt ist.

      25 Naeem, Naseef (2008): Einflüsse der Religionsklausel auf die Verfassungsgebung in islamisch geprägten
         Ländern. In: Krawietz, Birgit; Reifeld, Helmut (Hg.): Islam und Rechtsstaat. Zwischen Scharia und
         Säkularisierung. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, S. 77–86, hier S. 83; Tellenbach, Silvia (2006): Die
         Apostasie im islamischen Recht. Gesellschaft für Arabisches und Islamisches Recht, S. 8. http://www.
         gair.de/tellenbach_apostasie.pdf (abgerufen am 01.06.2010). Nur wenige Staaten kennen einen explizit
         normierten Straftatbestand der Apostasie, der mit Todesstrafe bewehrt ist, so der Jemen oder der Sudan.
         Aber auch ohne strafrechtliche Bewehrung berührt ein Religionsaustritt oder -wechsel die familiären
         Beziehungen empfindlich, zusammenfassend: Berger, Maurits (2003): Apostasy and Public Policy in
         Contemporary Egypt. An Evaluation of Recent Cases from Egypt‘s Highest Courts. In: Human Rights
         Quarterly 25, 3, S. 720–740. Zur innermuslimischen Diskussion zu Apostasie: Baderin, Mashood (2003):
         International Human Rights and Islamic Law. Oxford, New York: Oxford University Press, S. 123-125.
         Wie die Forschung von Berger zeigt, ist die Analyse von Apostasie-Klagen bzw. Urteilen in einzelnen
         Ländern essentiell für eine qualifizierte Debatte.
      26 Al-Arabiya (2011): Probe starts on Adly’s reported role in Alex church attack. http://www.alarabiya.net/
         articles/2011/02/07/136723.html (abgerufen 08.02.2011).

    20
Gesellschaftlicher Wandel braucht einen langen Atem – muss aber jetzt unterstützt werden         5

5.4 Marginalisierung und                            und ihr Potenzial entfalten können, gibt es
Benachteiligung junger                              außerhalb von Internet und Moschee
Menschen                                            kaum. Das Verhältnis zwischen den
                                                    Geschlechtern ist von Verboten und Vor-
Junge Menschen machen in der MENA-                  schriften geprägt und das Verhältnis zwi-
Region mit jeweils bis zu 70 Prozent die            schen den Generationen von Autorität und
Bevölkerungsmehrheit aus. Und junge                 Gehorsam – auch dagegen richten sich die
Menschen haben die Proteste in Tunesien             vorwiegend jungen Demonstrierenden in
und Ägypten sowie in anderen Ländern                der Region.
angeführt. So unterschiedlich die Länder
in der Region sind: Junge Männer und                Autoritäre Regime wie in der MENA-Regi-
Frauen sind überall mit ähnlich schlechten          on beruhen entscheidend auf autoritären
strukturellen Bedingungen konfrontiert.             Binnenstrukturen. Diese aufzubrechen und
Die öffentlichen Bildungssysteme sind               zu verändern, braucht Zeit und kontrover-
unterfinanziert, die Qualität der Bildung           se innergesellschaftliche Prozesse. Von
ungenügend. Der Arbeitsmarkt kann die               außen kann dies sensibel unterstützt wer-
Menge an Absolventen und Absolventin-               den. Maßnahmen der Entwicklungszusam-
nen nicht absorbieren. Die in Schule und            menarbeit, gleich in welchem Bereich,
Universität erworbenen Fähigkeiten qua-             müssen sich vor dem Hintergrund der
lifizieren sie auch nicht für einkommen-            demographischen Verhältnisse verstärkt
schaffende Betätigung in der freien Wirt-           auf junge Menschen konzentrieren und
schaft.27 Soziale oder ideelle Orte, an             Beiträge zu ihrer Beteiligung, Bildung und
denen sich junge Menschen einbringen                Beschäftigung ermöglichen.

27 Siehe schon die Bestandsaufnahme in: Weltbank (2006): Development and the Next Generation. World
   Development Report 2007. http://www-wds.worldbank.org/external/default/WDSContentServer/WDSP/
   IB/2006/09/13/000112742_20060913111024/Rendered/PDF/359990WDR0complete.pdf (abgerufen am
   31.05.2010).

                                                                                                      21
6     Die Ausgrenzung islamischer Gruppierungen ist weder klug noch machbar

      6. Die Ausgrenzung islamischer
      Gruppierungen ist weder klug noch
      machbar
      Seit einigen Jahren gibt es in der Region               Blogger der Muslimbrüder. Einer ihrer Ver-
      Annäherungen und Formen der Zusam-                      treter, Abdel Munem Mahmud, erklärte:
      menarbeit zwischen Menschenrechtsgrup-
      pen und Parteien, die eigentlich verschie-                  „Der gleiche Polizeistaat,
      denen Strömungen – eher säkular bezie-                      der Amer verurteilt hat, hat
      hungsweise eher islamisch – angehören.28                    Muslimbrüder … verurteilt.
      Über ideologische Grenzen hinweg wurden                     Ich habe in vielen Punkten
      gemeinsame Ziele formuliert und taktische                   eine andere Meinung als Amer,
      oder auch strategische Kooperationen ein-                   aber wenn wir Freiheit hätten,
      gegangen. In einer Reihe von arabischen                     könnten wir in Ruhe über
      Ländern mündete dies in gemeinsamen                         unsere Meinungsdifferenzen
      Erklärungen oder Vereinbarungen über ein                    diskutieren.“ 2 9
      gemeinsames Verständnis von politischer
      Partizipation, Menschenrechten und                      Die Annäherung von verschiedenen ideo-
      Demokratie sowie in gemeinsamen men-                    logischen Gruppierungen findet demnach
      schenrechtlichen Forderungen. Als der                   auch über die Wahl der Kommunikations-
      damals 23-jährige Blogger Karim Amer                    und Mobilisierungsmittel und somit vor
      2007 wegen „Beleidigung des Islam“ ver-                 allem unter der Jugend statt. Die ägypti-
      urteilt wurde, unterstützten ihn die jungen             sche Bürgerrechtsbewegung „Kefaya“

      28 Die Begriffe „säkular“, „islamisch“ und „ islamistisch“- und vor allem ihre Abgrenzung - sind umstritten
         und geben die bestehende Meinungsvielfalt kaum wieder. Eine Trennlinie verläuft im Wesentlichen
         entlang der Rolle des Islams bei der Legitimation und als Quelle von Gesetzgebung, politischen Rechten
         und Identität. Siehe Sallam, Hesham (2008): Opposition Alliances and Democratization in Egypt.
         United States Institute of Peace. http://www.usip.org/files/resources/USIP_0608.PDF (abgerufen am
         02.06.2010).
      29 Zitiert nach Lübben, Ivesa (2008): Junge Islamisten im Cyberspace. Die Blogs der Muslimbrüderjugend.
         In: INAMO 55, S. 25–30, hier S. 29. Siehe auch ein Interview mit Abdel Munem Mahmud auf http://
         advocacy.globalvoicesonline.org/2007/05/04/abdel-monem-mahmoud-the-egyptian-totalitarian-
         regime-is-the-problem/ (abgerufen 08.02.2011).

    22
Die Ausgrenzung islamischer Gruppierungen ist weder klug noch machbar                 6

(„Es reicht“) bloggte die Bewegung in das               „The Muslim Brotherhood that mobilizes
Zentrum der arabischen Öffentlichkeit.30                mindshare in the networked public sphere
Das gleiche gilt für die ägyptische Muslim-             is not longer the same Muslim Brother-
bruderschaft.                                           hood”, resumiert 2009 eine Studie des
                                                        Berkman Centers.34
   “Hundreds of Egyptian
   bloggers forcefully advocate                         In den neuen Medien im Internet haben
   for human rights, freedom                            sich vorwiegend junge Aktivisten und Akti-
   of speech, and an end to                             vistinnen verschiedener politischer Aus-
   corruption and torture. But                          richtungen damit das Recht auf freie Mei-
   two of the strongest groups                          nungsäußerung erkämpft und eine Gegen-
   among them are radical                               Öffentlichkeit geschaffen, die nicht – wie
   leftists … and Islamists,                            viele Fernsehsender und Printmedien -
   feared by some as the great                          staatlich dominiert ist.35
   threat of the new century.” 31
                                                        Wo restriktive Notstandsgesetzgebung die
Offline verboten und verfolgt, nutzt die                Artikulation und Teilhabe von Parteien und
Muslimbruderschaft die Blogosphäre zur                  Vereinigungen beschränkt oder unter-
Verbreitung und Diskussion ihrer Ideen und              drückt hat, sind Oppositionsgruppen gegen
öffnet sich dabei auch für die Kritik inner-            einen übermächtigen, autoritären Staat
halb und außerhalb ihrer eigenen Organi-                näher zusammen gerückt.36 Dies hat in
sation.32 Diese Online-Interaktion ist damit            einigen Staaten dazu geführt, dass Men-
auch eine Chance für interne Meinungs-                  schen- und Bürgerrechtsorganisationen
vielfalt und demokratische Praktiken.33                 gleich welcher politischen Ausrichtung vor

30 Etling, Bruce/Kelly, John/Faris, Robert/Palfrey, John (2009): Mapping the Arabic Blogosphere: Politics,
   Culture, and Dissent. Berkman Center for Internet and Society at Harvard University, S. 16. http://cyber.
   law.harvard.edu/publications/2009/Mapping_the_Arabic_Blogosphere (abgerufen am 31.05.2010).
31 Etling / Kelly / Fairs / Palfrey (2009), S. 49 (siehe Fußnote 30).
32 Lübben (2008), S. 28-29 (siehe Fußnote 29).
33 Etling / Kelly / Faris / Palfrey (2009), S. 47 (siehe Fußnote 30).
34 Etling / Kelly / Faris / Palfrey (2009), S. 49 (siehe Fußnote 30).
35 Viele arabische Regierungen nutzen elektronische Filter-Programme, um missliebige Webseiten zu
   sperren, so hat Syrien 225 Webseiten, Saudi-Arabien mehrere hundert Tausende gesperrt: Cairo Institute
   for Human Rights Studies (2009): Bastion of Impunity, Mirage of Reform. Human Rights in the Arab
   Region, Annual Report 2009, S. 37. http://www.cihrs.org/Images/ArticleFiles/Original/485.pdf (abgerufen
   am 31.05.2010).
36 MacQueen, Benjamin (2008): The reluctant partnership between the Muslim Brotherhood and human
   rights NGOs in Egypt. In: Akhbarzadeh, Shahram; MacQueen, Benjamin (Hg.): Islam and Human Rights
   in Practice, Perspectives across the Ummah. London: Routledge, S. 75–88.

                                                                                                               23
6     Die Ausgrenzung islamischer Gruppierungen ist weder klug noch machbar

      Endnoten

         allem unter der Jugend ein – ideologie-            Die Betrachtung dieser Frage als Dilemma,
         übergreifendes - Mobilisierungspotential           aus dem es keinen Ausweg gibt, verstellt
         entfaltet haben.37                                 den Blick auf die oben beschriebenen Ent-
                                                            wicklungen, die Binnenstrukturen islami-
         In der Außenpolitik ist das Erstarken isla-        scher Gruppen sowie die Erfahrungen in
         mischer und islamistischer Oppositionsbe-          einzelnen Ländern. So ist beispielsweise im
         wegungen spätestens seit den Wahlen in             Jemen 1993 die islamisch orientierte Islah-
         Algerien 1991 als Dilemma diskutiert wor-          Partei in die Regierungsverantwortung
         den: Freie Wahlen in der von autoritären           gewählt worden und hat sich 1997 auch
         Staaten geprägten MENA-Region, so das              wieder abwählen lassen. Solche Erfahrun-
         Argument, würden islamische oder isla-             gen muss man wahrnehmen. Islamische
         mistische Gruppen an die Macht bringen.            Gruppen, die – gegebenenfalls selektiv -
         Ihrerseits würden diese dann in ihrer              für Menschenrechte eintreten und sich
         Innenpolitik zentrale Menschenrechte –             demokratischen Verfahren stellen, sind
         wie politische Beteiligung, Freiheit der           relevante politische Kräfte im Nahen
         Meinungsäußerung und das Diskriminie-              Osten, die von der westlichen Menschen-
         rungsverbot – massiv einschränken und in           rechtspolitik nicht ignoriert werden kön-
         ihrer Außenpolitik einen radikal anti-west-        nen oder sollten.
         lichen und anti-israelischen Kurs fahren.

      37 Saaf, Abdallah (2009): For Gaza, Moroccan Civil Society Reveals itself as a Political Society. 1.
         Februar 2009. Arab Reform Initiative. http://www.arab-reform.net/spip.php?article1793 (abgerufen am
         31.05.2010); Stacher (siehe Fußnote 7).

    24
Die Ausgrenzung islamischer Gruppierungen ist weder klug noch machbar        6

                                                                        25
Deutsches Institut für Menschenrechte

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