MIGRÄNE AM ARBEITSPLATZ - Eine Analyse der Auswirkungen unter Zugrundelegung unionsrechtlicher Aspekte

 
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Eingereicht von
                                           Shirin Chiara Karel

                                           Angefertigt am
                                           Institut für Europarecht

                                           Beurteiler / Beurteilerin
                                           Univ.-Prof. Dr. Franz
                                           Leidenmühler

                                           Januar 2023

MIGRÄNE AM
ARBEITSPLATZ
Eine Analyse der Auswirkungen unter
Zugrundelegung unionsrechtlicher Aspekte

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
Rechtswissenschaften

                                           JOHANNES KEPLER
                                           UNIVERSITÄT LINZ
                                           Altenberger Straße 69
                                           4040 Linz, Österreich
                                           jku.at
Gendererklärung

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische
Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der
Gleichbehandlung für alle Geschlechter.

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................... 5
1.    Einleitung ................................................................................................................. 7
2.    Migräne – eine neurologische Erkrankung .............................................................. 8
      2.1. Ursachen der Migräne ...................................................................................... 9
      2.2. Formen der Migräne ....................................................................................... 10
             2.2.1. Migräne ohne Aura.............................................................................. 10
             2.2.2. Migräne mit Aura ................................................................................. 10
             2.2.3. Chronische Migräne ............................................................................ 10
      2.3. Ablauf einer Migräneattacke .......................................................................... 11
             2.3.1. Vorbotenphase .................................................................................... 11
             2.3.2. Auraphase ........................................................................................... 11
                       2.3.2.1. Visuelle Störungen ............................................................... 12
                       2.3.2.2. Sensorische Störungen ........................................................ 12
                       2.3.2.3. Motorische Störungen .......................................................... 12
             2.3.3. Kopfschmerzphase ............................................................................. 13
             2.3.4. Rückbildungsphase ............................................................................. 13
      2.4. Triggerfaktoren ............................................................................................... 14
      2.5. Abgrenzung zum Alltagskopfschmerz ............................................................ 15
      2.6. Migränebetroffenheit in Europa ...................................................................... 16
3.    Informationserfordernis bei Begründung des Arbeitsverhältnisses ....................... 17
      3.1. Fragerecht des AG und Antwortpflicht des AN .............................................. 17
      3.2. Offenbarungspflicht des AN ........................................................................... 18
      3.3. Gesetzliche Grundlagen ................................................................................. 18
      3.4. Bedeutung für die Migräne ............................................................................. 19
4.    Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit ................................................................... 21
      4.1. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit aufgrund einer Migräneattacke .......... 21
      4.2. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit aufgrund medikamentöser Behandlung
           ....................................................................................................................... 23
      4.3. Einschränkungen zwischen den Attacken ...................................................... 24
5.    Die Erfüllung von arbeitsvertraglich vereinbarten Pflichten ................................... 25
      5.1. Die Arbeitspflicht als Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers ..................... 25
             5.1.1. Leistungsbegriff und Qualität der Leistung.......................................... 26
             5.1.2. Die Verletzung der Arbeitspflicht ......................................................... 27
                       5.1.2.1. Nichtleistung ......................................................................... 28

                                                                                                                                   3
5.1.2.2. Minderleistung ...................................................................... 28
                       5.1.2.3. Pflichtverletzungen aufgrund von Migräneanfällen .............. 28
      5.2. Die Entgeltpflicht als Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers ........................ 29
      5.3. Die Fürsorgepflicht als Nebenleistungspflicht des Arbeitgebers .................... 31
             5.3.1. Präventive Maßnahmen ...................................................................... 32
             5.3.2. Gesundheitsschutz auf europäischer Ebene ...................................... 33
6.    Beendigung des Arbeitsverhältnisses.................................................................... 35
      6.1. Kündigung ...................................................................................................... 36
      6.2. Entlassung...................................................................................................... 37
             6.2.1. Arbeitsunfähigkeit................................................................................ 37
             6.2.2. Pflichtverletzung .................................................................................. 38
             6.2.3. Sonstige mögliche Entlassungsgründe ............................................... 38
7.    Unionsrechtliche Entwicklungen im Bereich der Migräne ...................................... 39
      7.1. European Headache Federation (EHF) ......................................................... 40
      7.2. European Migraine and Headache Alliance (EMHA) ..................................... 40
      7.3. Projekt Eurolight ............................................................................................. 40
      7.4. Gesamtauswertung der Veränderungen in Europa ........................................ 42
8.    Resümee ............................................................................................................... 43
Quellenverzeichnis........................................................................................................ 47

                                                                                                                              4
Abkürzungsverzeichnis

ABGB           Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch

Abs            Absatz

AEUV           Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AG             der, die Arbeitgeber

AN             der, die Arbeitnehmer

AnwBL          Österreichisches Anwaltsblatt

AngG           Angestelltengesetz

ArbVG          Arbeitsverfassungsgesetz

ARD            Aktuelles Recht zum Dienstverhältnis

Art            Artikel

BGBl           Bundesgesetzblatt

bspw           beispielsweise

bzw            beziehungsweise

DRdA           Das Recht der Arbeit

ecolex         Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht

EFZG           Entgeltfortzahlungsgesetz

EMRK           Europäische Menschenrechtskonvention

EU             Europäische Union

EWG            Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f              und der, die folgende

ff             und der, die folgenden

gem            gemäß

GewO           Gewerbeordnung 1859

                                                                      5
GRC        Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Hrsg       Herausgeber

idF        in der Fassung

LG         Landesgericht

lit        litera

Nr         Nummer

OGH        Oberster Gerichtshof

rdb        Rechtsdatenbank

Rz         Randzahl

vgl        vergleiche

Z          Ziffer

ZAS        Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht

ZellHB     Zeller Handbuch

Zellkomm   Zeller Kommentar

                                                           6
1. Einleitung

Resultieren aus einer Migräneattacke berufliche Einschränkungen? Werden
Vorgesetzte und Kollegen eine unsichtbare Krankheit nachvollziehen und
Verständnis dafür aufbringen können? Müssen Konsequenzen aufgrund von
Ausfällen befürchtet werden? Alle diese Fragen spiegeln Gedanken wider, die
sowohl mich als auch andere Migränepatienten stetig einholen und gewiss auch
noch in Zukunft beschäftigen werden.

Die Migräne zählt nicht nur zu den gängigsten neurologischen Erkrankungen,
sondern     nimmt    auch     zeitgleich   den    ersten    Platz    der   am     stärksten
beeinträchtigenden Leidenszustände bei unter 50-Jährigen ein.1 Betroffene
nehmen während einer Migräneattacke besonders intensive Kopfschmerzen
wahr. Hinzu treten zahlreiche Begleitsymptome, welche die Gesamtsituation
erschweren und ein Gefühl der vollkommenen Hilflosigkeit auslösen. Im besten
Fall klingen die Befindlichkeiten nach wenigen Stunden wieder ab. Sie können
aber auch dazu führen, dass Patienten über mehrere Tage hinweg
leistungsunfähig sind. Was darüber hinaus anhält ist die Gewissheit, dass es
nicht bei dieser einen Attacke bleiben wird. 2

Im Zuge der Recherche dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass trotz der starken
Betroffenheit nur wenige Quellen bestehen, die Bezugspunkte zwischen der
Erkrankung und den Auswirkungen am Arbeitsplatz herstellen. Auch die
Rechtsprechung scheint hier sehr zurückhaltend zu sein. Im Gegensatz dazu
sind reihenweise Werke, Zeitschriften und Entscheidungen auffindbar, die sich
mit der Krankheit im Allgemeinen oder mit spezifischen Berufsleiden
auseinandersetzen. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass
unzählige Krankheiten existieren, die sich allesamt in ihren Symptomen und
Ausprägungen voneinander unterscheiden. Der empirische Fokus der gesamten
Arbeit liegt folglich insbesondere darin, entsprechende Vergleiche zu den bereits
vorhandenen      Materialien     anzustreben      und    dessen     Anwendbarkeit       und

1
  Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002) 7;
Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 139.
2
  Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), V.

                                                                                              7
Übertragung im Hinblick auf die Migräne zu untersuchen. Denn lediglich durch
Einzelfallbetrachtungen und entsprechende Subsumierungen können konkrete
Erkenntnisse für die Migräne gewonnen und Literaturlücken geschlossen
werden.

Eingangs findet eine präzise Darstellung des komplexen Krankheitsbildes statt.
Im Anschluss daran wird ein Überblick über die rechtlichen Herausforderungen
und Auswirkungen verschafft, die in Verbindung mit der Migräne und einer damit
einhergehenden Einschränkung der Arbeitsfähigkeit stehen. Die Bezugnahme
auf unionsrechtliche Aspekte erfolgt kontextabhängig und findet sich aus
Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit an jeweils geeigneter Stelle. Es soll
aufgezeigt werden, welchen Stellenwert die Erkrankung auf europäischer Ebene
einnimmt, ob Fortschritte und Entwicklungen im Bereich der Gesundheitspolitik
verzeichnet werden können und welche gesetzlichen Schutzbestimmungen für
entsprechende Beurteilungen heranzuziehen sind. Denn insbesondere die
Europäische Gemeinschaft kann hier als Vorbild agieren, ein Umdenken
bewirken und wesentliche Schritte zur Unterstützung von Patienten setzen.

Ziel der Arbeit ist es, den Wissensstand über die Auswirkungen und Folgen einer
Migräne am Arbeitsplatz zu erweitern, eine Sensibilisierung der Gesellschaft zu
bewirken und einen Grundstein für mehr Beachtung, Verständnis und Integration
im Berufsleben zu schaffen.

      2. Migräne – eine neurologische Erkrankung

Unter dem Terminus Migräne versteht man episodisch wiederkehrende
Kopfschmerzattacken,            welche     mit   unterschiedlichen       Begleitsymptomen
korrelieren.3 Betroffene verfügen über ein Nervensystem, das besonders
sensibel      auf    abrupte,    kontinuierliche    oder    im   Übermaß       erscheinende
Sinneswahrnehmungen reagiert. Im Gegensatz zu gesunden Menschen, die sich
an das wiederholte Auftreten der Impulse gewöhnen, ist ein solcher Vorgang bei
Erkrankten nicht zu beobachten. Aufgrund ihrer Reizverarbeitungsstörung
können sie Eindrücke nur schwer ausblenden und sind daher der Gefahr von

3
    Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002), 3.

                                                                                                 8
Reizüberflutungen         ausgesetzt.4        Die     stetige      Wahrnehmungs-           und
Reaktionsbereitschaft führt zu einer erhöhten Gehirnaktivität, welche wiederum
Energiedefizite verursacht und Funktionsstörungen im Gehirn und in dessen
Blutgefäßen auslöst.5 Dadurch werden Botenstoffe freigesetzt, die sowohl für die
Migräneschmerzen als auch für die Nebenerscheinungen verantwortlich sind.6

    2.1.    Ursachen der Migräne

Die Ursachen der Erkrankung sind bisher noch nicht vollumfänglich geklärt.7 Es
wird jedoch angenommen, dass sie biologisch bedingt und auf Veränderungen
im Erbgut des Menschen zurückzuführen sind.8 Einerseits ist dieser Umstand
wesentlich, weil er die Migränebereitschaft signalisiert und verdeutlicht,
andererseits wird somit nachvollziehbar, warum die Krankheit als solche nicht
heilbar ist.9 Ob die Migräne tatsächlich auftritt, wie häufig und wie stark, hängt
außerdem von Umweltfaktoren, die sich bspw aus zu vielen parallelen Reizen
ergeben, ab.10 Wegen ihres anfallsweise auftretenden Charakters kann die
Krankheit nicht bereits mit der ersten Attacke diagnostiziert werden, sondern
erfordert mindestens vier weitere temporäre Schübe.11

4
  Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 104; Schmerzklinik Kiel, Schneller denken, tiefer
empfinden, ständig wahrnehmen, https://schmerzklinik.de/schneller-denken-tiefer-empfinden-
staendig-wahrnehmen/, (abgerufen am 06.01.2023).
5
  Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002), 3;
Schmerzklinik Kiel, Schneller denken, tiefer empfinden, ständig wahrnehmen,
https://schmerzklinik.de/schneller-denken-tiefer-empfinden-staendig-wahrnehmen/, (abgerufen
am 06.01.2023).
6
  Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 100.
7
  Vgl Brand, Ernährung und Migräne, https://www.migraeneliga.de/ernaehrung-und-migraene/,
(abgerufen am 03.01.2023).
8
  Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 99.
9
  Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002) 50;
Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020) 103.
10
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 149; Kyburz, Migräne im Berufsleben, in:
Agosti/Diener/Limmroth (Hrsg), Migräne & Kopfschmerzen, Ein Fachbuch für Hausärzte,
Fachärzte, Therapeuten und Betroffene (2015) 329 (329).
11
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 116.

                                                                                               9
2.2.   Formen der Migräne

Die      einzelnen   Ausprägungsarten        der   Migräne      werden     anhand      der
Kopfschmerzklassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS)
voneinander abgegrenzt.12 Einschlägige Indikatoren sind neben der Dauer und
des Verlaufes vor allem die Begleitphänomene.13 Aufgrund der Vielfalt an Typen
und Kennzeichen werden hier lediglich umrisshaft die wichtigsten Unterschiede
zwischen den drei geläufigsten Formen erläutert.14

      2.2.1. Migräne ohne Aura

Einseitige, pulsierende Migränekopfschmerzen, die mit einer Überempfindlichkeit
auf Licht und Lärm ebenso wie mit Übelkeit oder Erbrechen einhergehen, stellen
die häufigste Migräneform dar.15

      2.2.2. Migräne mit Aura

Charakteristisch sind abrupte und schlagartige neurologische Störungen, die
unmittelbar vor oder während des Eintritts des Migränekopfschmerzes beginnen
und zu einer Durchblutungsminderung in der jeweiligen Hirnregion führen.16 Der
Begriff Aura verkörpert dabei jenen Zeitraum, in welchem die Beschwerden zu
beobachten sind.17 Rund 15 Prozent der Erkrankten leiden an der genannten
Art.18

      2.2.3. Chronische Migräne

Bestehen die Kopfschmerzen über drei Monate hinweg an mehr als 15 Tagen
pro      Monat   und    sind    zumindest      acht    Tage     davon      durch    einen

12
    Vgl IHS, IHS Classification ICHD-3, https://ichd-3.org/de/1-migrane/, (abgerufen am
28.12.2022).
13
   Vgl Agosti, Einführung zur Klassifikation der Kopfschmerzen der International Headache
Society (IHS), in: Agosti/Diener/Limmroth (Hrsg), Migräne & Kopfschmerzen, Ein Fachbuch für
Hausärzte, Fachärzte, Therapeuten und Betroffene (2015) 3 (3).
14
   Vgl IHS, IHS Classification ICHD-3, https://ichd-3.org/de/1-migrane/, (abgerufen am
28.12.2022).
15
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 19 f.
16
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 21.
17
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 37.
18
   Vgl Agosti/Bumb/Limmroth, Migräne, in: Agosti/Diener/Limmroth (Hrsg), Migräne &
Kopfschmerzen, Ein Fachbuch für Hausärzte, Fachärzte, Therapeuten und Betroffene (2015),
31 (34).

                                                                                         10
Migränekopfschmerz gekennzeichnet, so bezeichnet man dies als chronische
Migräne.19

     2.3.   Ablauf einer Migräneattacke

Migräneattacken können zeitlich in vier Episoden unterteilt werden, die allesamt
eine Zu- und Abnahme von Symptomen verzeichnen.20

     2.3.1. Vorbotenphase

Ungefähr 30 Prozent der Migräneanfälle beginnen mit Ankündigungssymptomen,
welche in der Regel bereits bis zu drei Tage vor dem Eintritt der eigentlichen
Kopfschmerzphase wahrgenommen werden können.21 Die Vorboten bekunden
allgemeine Befindlichkeitsänderungen und können sich unter anderem in
Konzentrationsproblemen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, häufigem Gähnen und
in einer besonders hohen Sensibilität der Sinnesorgane äußern.22 Zu
berücksichtigen ist, dass diese Anzeichen nicht als Ursache der Migräne gelten,
sondern bereits einen Ausschnitt der Attacke verkörpern.23 Migränetrigger führen
dazu, dass das Nervensystem, welches aufgrund der außergewöhnlichen
Erbgenetik ohnehin rascher arbeitet, an seine Grenzen gelangt. Folglich
entstehen Energiedefizite in den Nervenzellen.24

     2.3.2. Auraphase

Bei einer Migräne mit Aura entwickeln sich neurologische Störungen rund 30 bis
60 Minuten vor dem Beginn der Kopfschmerzphase.25 Sie treten anfallsartig und
in Episoden auf, nehmen allmählich zu und klingen danach langsam wieder ab.26

19
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 120.
20
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 34 f.
21
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 101.
22
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 36 f.
23
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 102.
24
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 104.
25
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 107.
26
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 40.

                                                                                          11
Nur in Ausnahmefällen überschreitet diese Phase ein Zeitmaß von einer
Stunde.27

     2.3.2.1.   Visuelle Störungen
Beinahe in allen Fällen sind einseitige Ausfälle des Gesichtsfeldes maßgebend,
die unterschiedlich ausgeprägt sein können. Bekannt sind vor allem
Flimmererscheinungen in Form von Kreisen oder Zickzacklinien, die zu
Einschränkungen des Sichtfeldes führen.28

     2.3.2.2.   Sensorische Störungen
Diese werden größtenteils im Mund- und Handbereich registriert und machen
sich    insbesondere      durch     Kribbelempfindungen         oder     Taubheitsgefühle
bemerkbar.29

     2.3.2.3.   Motorische Störungen
Charakteristisch      sind    spezielle    Lähmungserscheinungen              ebenso      wie
Sprachstörungen und Artikulationsprobleme, die meist in Zusammenhang mit
sensorischen Störungen anzutreffen sind.30

Neben den bereits genannten neurologischen Ausfällen können auch noch
akustische oder olfaktorische Wahrnehmungsveränderungen, Bewusstlosigkeit
oder       Gefühlswandlungen          hervortreten.31       Die        Vielfältigkeit     der
Erscheinungsformen zeigt, wie unterschiedlich eine Auraphase ausfallen kann.
Ein isoliertes Auftreten eines einzelnen Symptomes ist nahezu ausgeschlossen.
Häufig kommt es zu einer Kombination von mehreren Störungen, die in der Regel
nicht zeitgleich, sondern der Reihe nach entstehen.32

27
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 119.
28
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 107.
29
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 48.
30
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 48 f.
31
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 50 f.
32
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 54.

                                                                                           12
2.3.3. Kopfschmerzphase

Die dritte Phase ist durch eine Kombination aus Schmerzmerkmalen und
Begleiterscheinungen          gekennzeichnet.          Migränepatienten         empfinden
typischerweise einseitige, pochende oder drückende Stiche im Schläfen- oder
Augenbereich, die sich allerdings im Laufe der Attacke verändern und an anderen
Regionen des Kopfes oder Nackens lokalisiert werden können. Schmerzphasen
erstrecken sich dabei auf vier bis 72 Stunden. Die Intensität variiert je nach
Patient und wird durch geringe körperliche Betätigungen wie Treppensteigen,
Heben von Gegenständen, Niesen, Husten oder Erbrechen verstärkt.33 Freizeit-
und Arbeitsaktivitäten können folglich nicht mehr ausgeübt werden. Zudem
zeichnet sich ein dringendes Bedürfnis nach einem Rückzug in einen
abgedunkelten Raum ebenso wie nach Ruhe und Schlaf ab.34

Im Vordergrund der Begleitsymptome steht die Übelkeit, die sich in
unterschiedlichen Variationen von der Appetitlosigkeit bis hin zum Erbrechen
auffindet.35 Eines der markantesten Merkmale ist die sensorische Reizstörung
während der Migräneattacke. Diese besteht überwiegend in einer erheblichen
Lärm-    und     Lichtüberempfindlichkeit,      kann     sich   aber     auch    in      einer
Geruchsüberempfindlichkeit offenbaren.36 Des Weiteren tritt eine enorme
Gesichtsblässe und Fahlheit ein, die anderen Mitmenschen gegenüber
signalisieren    kann,    dass     eine    Migräneattacke       fortwährend     ist.37    Die
Konzentrationsfähigkeit nimmt deutlich ab, Störungen des Denkvermögens
entstehen und vegetative Symptome wie Zittern, Frösteln, Schwitzen und Fieber
gelangen zum Vorschein.38

     2.3.4. Rückbildungsphase

Selbst mit dem Abklingen der Kopfschmerzen ist ein Migräneanfall noch nicht
überwunden. Es wird teilweise eine bis zu zwei Tage andauernde

33
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 56 f.
34
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 114 ff.
35
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 57.
36
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 60.
37
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 58.
38
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 59 f.

                                                                                            13
Erholungsphase benötigt, in der Nachwirkungen wie Müdigkeit, Erschöpfung und
Abgeschlagenheit weiterhin präsent sind.39

     2.4.    Triggerfaktoren

Die Ursachen der Migräne werden in den Erbanlagen eines Menschen vermutet.
Bei Vorhandensein von entsprechenden Risikogenen besteht eine gesteigerte
Reaktionsbereitschaft des Organismus.40 Treten bestimmte Auslöser, die als
Trigger bezeichnet werden, bei der genannten Personengruppe auf, so erhöht
sich die Entstehungswahrscheinlichkeit einer Migräneattacke binnen der
nächsten 48 Stunden.41 Maßgebend ist jedoch nicht nur der Auslöser selbst,
sondern auch die Genetik, die gegeben sein muss, damit der „Trigger“ überhaupt
Wirkung entfalten kann.42 Zwar werden Ursache und Auslöser hier in einem
Zusammenspiel betrachtet, dennoch sind die Begrifflichkeiten stets strikt
voneinander zu trennen.43

Der gemeinsame Nenner beinahe aller Trigger zeigt sich in einer abrupten
Veränderung des gewohnten Lebensrhythmus. Diesbezügliche Abweichungen,
welche am Arbeitsplatz von Relevanz sind, können bspw hervorgerufen werden
durch       plötzlichen   Stress,    Belastungen,       unvorhersehbare        Emotionen,
Umstrukturierungen von Arbeitsplänen oder das Auslassen von Mahlzeiten.44
Gleiches gilt für wechselnde Lichtverhältnisse durch Computerbildschirme oder
Tageslicht. Damit sich das Nervensystem nicht kontinuierlich an die variierenden
Helligkeitsgrade anpassen muss, sind starke Kontraste, Flimmerimpulse,
Lichteffekte und direkte Sonneneinstrahlung möglichst zu vermeiden.45
Regelmäßigkeit, Gleichmäßigkeit und Planung stellen außerdem wichtige
Komponenten dar, die davor schützen, dass „Auslöser“ Attacken bewirken.46

39
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 62.
40
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 103.
41
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 124.
42
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 103.
43
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 152.
44
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 153.
45
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 158.
46
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 106.

                                                                                          14
Zusammenfassend kann dargelegt werden, dass „Triggerfaktoren“ nahezu
endlos erscheinen, sich stark voneinander differenzieren und unterschiedliche
Wirkungen entfalten. Denn nicht jeder Trigger löst bei allen Erkrankten zum
selben Zeitpunkt eine Migräne aus.47 Die „Triggereigenschaft“ bestimmt sich an
und für sich nicht nur nach dem Reiz, sondern auch anhand der Bewertung des
Individuums und dessen Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen.48

   2.5.    Abgrenzung zum Alltagskopfschmerz

Laut WHO zählt die Migräne zu den Krankheiten, die Menschen am stärksten
beeinträchtigen.49 Nichtsdestotrotz wird sie oft mit Alltagskopfschmerzen
verwechselt. Das fehlende Bewusstsein, dass es sich um eine komplexe und
schwere neurologische Erkrankung handelt, belastet die Betroffenen stark –
zumal derzeit über 360 unterschiedliche Kopfschmerzformen bekannt sind und
differenziert werden.50
Charakteristisch für die Migräne sind nicht die (reinen) Kopfschmerzen, sondern
die damit zusammenhängende Vielfalt an Symptomen und neurologischen
Ausfällen, welche langsam zunehmen und schrittweise wieder abklingen. Bei
keinem anderweitigen Krankheitsbild ist ein solch zusammenhängendes
Störverhalten bislang bekannt.51 Auch die Schmerzintensität kann nicht als
Vergleichswert herangezogen werden, da diese bei der Migräne einen immens
hohen Schweregrad aufweist und mit einem starken Leidensdruck verbunden ist.
Kennzeichnend sind darüber hinaus ferner die Einschränkungen im Alltag bzw in
den verübten Aktivitäten, welche aus einer Attacke resultieren.52 Diese treten
bereits mit der Vorbotenphase ein, wodurch ersichtlich wird, welch erhebliche
Zeitspanne ein einziger Migräneanfall einnimmt.53

47
   Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002),
30.
48
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 168.
49
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 99.
50
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 107.
51
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 108.
52
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 69.
53
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 37.

                                                                                             15
Aus diesem Grund ist es erforderlich, den Alltag und das Leben an die Krankheit
anzupassen, denn selbst wenn „vermeintliche Trigger“ gefunden und vermieden
werden, die Bereitschaft zur Migräne bleibt weiterhin bestehen.54 Eine
Gleichstellung mit reinen Kopfschmerzen erscheint demnach keinesfalls
angemessen und gerechtfertigt.55

      2.6.   Migränebetroffenheit in Europa

In Europa leiden 41 Millionen Menschen an Migräne.56 In Österreich ist jeder
Zehnte       betroffen.57   Die   Rechtfertigung    der        Subsumierung    unter   die
Volkskrankheiten lässt sich folglich auf eine starke Verbreitung und die
Auswirkung auf die gesamte Bevölkerung zurückführen.58 Es kann festgehalten
werden, dass Kopfschmerzerkrankungen allgemein auf allen Kontinenten
anzutreffen sind und ein weltweites Gesundheitsproblem widerspiegeln. Die
Migräne ist vor allem in Europa stark verbreitet, wohingegen sie bspw in Afrika
nur äußerst selten anzutreffen ist.59 Wissenschaftler haben herausgefunden,
dass lediglich fünf Prozent der Menschen in Nigeria über eine spezielle Variante
des Gens TRPM8 verfügen. Demgegenüber besitzen 88 Prozent der Finnen eine
solche Veranlagung. Daraus ergibt sich mitunter, dass der Anteil der Bevölkerung
mit     entsprechender      Genetik    überwiegend        in     kälteren   Klimaregionen
vorherrschend ist.60 Zeitgleich ist bekannt, dass exakt dieser Erbbestandteil als

54
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 107.
55
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 69.
56
   Vgl Dumas/Ruiz de la Torre, Migraine in the EU: Bringing women out of the shadows,
https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/Women-M-Policy-Paper-FINAL23MARCH.pdf
(4), (abgerufen am 01.01.2023).
57
   Vgl Zebenholzer, Mythen & Fakten, Migräne ist eine ernstzunehmende Erkrankung,
https://www.migraene-service.at/mein-alltag/mythen-und-fakten, (abgerufen am 02.01.2023).
58
   Vgl Kolar, Neurologische Volkskrankheiten nehmen weiter zu,
https://www.oegn.at/presseinformation/neurologische-volkskrankheiten-nehmen-weiter-zu-2/,
(abgerufen am 02.01.2023); N.N., Volkskrankheit,
https://www.duden.de/rechtschreibung/Volkskrankheit, (abgerufen am 02.01.2023).
59
   Vgl Stovner/Hagen/Jensen/Katsarava/et al, The Global Burden of Headache: A
Documentation of Headache Prevalence and Disability Worldwide,
https://journals.sagepub.com/doi/10.1111/j.1468-2982.2007.01288.x (PDF 204 f),(abgerufen am
02.01.2023).
60
   Vgl Lanzke, Migräne, Der Kopfschmerz, der mit der Kälte kam,
https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Der-Kopfschmerz-der-mit-der-Kaelte-kam-227674.html,
(abgerufen am 02.01.2023); Key/Abdul-Aziz/Mundry/Peter/et al, Human local adaptation of the
TRPM8 cold receptor along a latitudinal cline,

                                                                                         16
einer der wesentlichsten Risikofaktoren der Migräne und somit als dessen
Ursache gewertet wird.61

Nennenswert ist zudem der Umstand, dass Europäer im Vergleich zu
Mitmenschen aus anderen Regionen ein höheres Alter erreichen. Sie sind daher
grundsätzlich vulnerabler, weshalb auch in Zukunft mit einem Anstieg an
neurologischen Erkrankungen in Europa zu rechnen ist.62

    3. Informationserfordernis bei Begründung des
       Arbeitsverhältnisses

Vor Abschluss eines Arbeitsvertrages wird es für den Arbeitgeber (AG) von
Relevanz sein, möglichst umfassende Informationen über einen potenziellen
Arbeitnehmer (AN) zu gewinnen, um einschätzen zu können, ob dieser für die
Tätigkeit geeignet ist. Nicht nur die fachliche Qualifikation, sondern auch der
Gesundheitszustand kann dabei eine wesentliche Rolle spielen.63 Der AN
hingegen wird ein Interesse daran haben, sich möglichst von seiner besten Seite
zu präsentieren, um eine Zusage zu erlangen und sich finanziell absichern zu
können.      Dies    führt    zu    einem      Spannungsverhältnis          zwischen      dem
Informationsbedarf des AG und dem Geheimhaltungswunsch des AN.64

    3.1.    Fragerecht des AG und Antwortpflicht des AN

Ob sich der AG nach der gesundheitlichen Verfassung erkundigen darf und ob
der AN dahingehend eine wahrheitsgemäße Antwort erbringen muss, hängt von
der jeweiligen beruflichen Position und den beidseitigen Interessen ab.65 Kann
die zu vereinbarende Leistung bspw dauerhaft oder in ständig wiederkehrenden
Zeitabschnitten nicht erbracht werden, so ist im Rahmen der Abwägung der

https://journals.plos.org/plosgenetics/article/file?id=10.1371/journal.pgen.1007298&type=printab
le (Abstract), (abgerufen am 02.01.2023).
61
   Vgl N.N., Migräne durch höhere Kältetoleranz, https://www.spektrum.de/magazin/migraene-
durch-hoehere-kaeltetoleranz/1573088, (abgerufen am 02.01.2023).
62
   Vgl DGN, Fast 60% der Deutschen leiden unter einer neurologischen Erkrankung,
https://dgn.org/artikel/2290, (abgerufen am 02.01.2023).
63
   Vgl Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, Individualarbeitsrecht7 (2018), 143 f Rz 39 ff.
64
   Vgl Rabanser, Fragerecht bei Krankheit, ecolex 1993, 39, 39.
65
   Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 46 ff.

                                                                                              17
Interessen jenes des AG schutzwürdiger. Die Frage muss vom AN ehrlich
beantwortet werden.66 Anderweitiges gilt bei Nichtüberwiegen der AG-
Interessen, da hier der AN zur bewusst unrichtigen Aussage berechtigt ist.67
Tragendes Argument hierfür war, dass der AN die Frage unbeantwortet lassen
und eine Absage in Kauf nehmen müsste, wenn ihm diese Möglichkeit nicht
zustehen würde.68 Bei der Gegenüberstellung der Interessen ist demnach
insbesondere der Wunsch des AN nach Erlangung eines Arbeitsplatzes zu
berücksichtigen.69

     3.2.   Offenbarungspflicht des AN

Bei Vorliegen von gewichtigen Interessen seitens des AG ist der AN darüber
hinaus sogar verpflichtet, bestimmte Tatsachen von sich aus aktiv preiszugeben,
selbst wenn der AG keine dahingehende Nachfrage angestrebt hat. Erfasst sind
Angelegenheiten, bei denen der AG damit rechnen darf, dass eine Aufklärung
durch den AN erfolgt.70 Fallkonstellationen, in denen eine Krankheit der
Begründung des Dienstverhältnisses gänzlich entgegensteht oder Belange, die
dem AG eine Beschäftigung unzumutbar machen, können hier genannt
werden.71 In allen anderweitigen Situationen trifft das Risiko für zeitweilige
Ausfälle grundsätzlich den AG, weshalb eine unaufgeforderte Offenbarung durch
den AN verneint wird. Andernfalls würde den Betroffenen der Zugang zu
Erwerbsmöglichkeiten erheblich erschwert werden.72

     3.3.   Gesetzliche Grundlagen

Erkundigungen über den gesundheitlichen Zustand eines Menschen berühren
dessen Privatsphäre.73 Diese ist mitunter dem Schutz des § 16 ABGB und jenem

66
   Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 46;
Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, Individualarbeitsrecht7 (2018), 145 Rz 50.
67
   Vgl Auer-Mayer, Personalfragebögen, in Reissner/Neumayr (Hrsg), ZellHB BV Besonderer
Teil, 2.BV, Rz 2.12 (Stand 01.08.2014, rdb.at).
68
   Vgl Rabanser, Fragerecht bei Krankheit, ecolex 1993, 39, 39.
69
   Vgl Auer-Mayer, Personalfragebögen, in Reissner/Neumayr (Hrsg), ZellHB BV Besonderer
Teil, 2.BV, Rz 2.13 (Stand 01.08.2014, rdb.at).
70
   Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 46.
71
   Vgl Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, Individualarbeitsrecht7 (2018), 146 Rz 56 f.
72
   Vgl Rabanser, Interessenabwägung beim Fragerecht des Arbeitgebers, ecolex 1993, 179,
179.
73
   Vgl Egger, Rechtsprobleme bei der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen, DRdA 1982, 89, 89.

                                                                                          18
des Art 8 EMRK unterstellt.74 Betrachtet man beide Normen in Zusammenschau,
so wird deutlich, dass dem AG durch die Normierungen der gegenseitigen
Interessensabwägung Grenzen auferlegt werden.75 Insgesamt orientiert sich die
Zulässigkeit von privaten Fragen und die damit verbundene (wahrheitsgemäße)
Beantwortung an objektiven Kriterien. Liegt ausnahmsweise ein höherrangiges
Informationsinteresse des AG vor, dann ist dieses als sachliche Rechtfertigung
für den Eingriff in die Privatsphäre zu werten.76

     3.4.   Bedeutung für die Migräne

Nachdem auch jene Fälle eine Mitteilungspflicht auslösen, in denen der AN aus
gesundheitlichen Gründen seine Leistungspflicht nicht oder nur unzulänglich
erfüllen kann, ist hier zu untersuchen, ob und ab welchem Grad eine bestehende
Migräneerkrankung dem potenziellen Vertragspartner bekannt gegeben werden
muss.77

Nachvollziehbar ist, dass ein AG möglichst hohe Gewinne erzielen möchte.78
Gesunde AN sind in der Regel leistungsfähiger und tragen erheblich zu einer
Steigerung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei.79 Kann der AG aus der
Beschäftigung eines AN keinerlei Nutzen ziehen, weil es ihm krankheitsbedingt
unmöglich ist, die Tätigkeit allgemein auszuführen, so wird aufgrund der
dauerhaften „Arbeitsunfähigkeit“ eine Offenbarungspflicht bejaht.80 Dem LG
Wien lag ein Sachverhalt vor, bei welchem ein AN einen krankheitsbedingten,
rund achtwöchigen Dienstausfall infolge eines Anfallsleidens verzeichnete. Eine
Einschätzung, ob weitere Schübe auftreten und zu welcher Zeit sich diese
ereignen würden, konnte nicht vorgenommen werden. Dieser Umstand war

74
   Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 45.
75
   Vgl Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 16 Rz 18 (Stand 01.03.2017, rdb.at).
76
   Vgl Sabara, Heikle Fragen im Bewerbungsgespräch: Antwortpflicht des Arbeitnehmers?, ARD
6400/5/2014, 1 (4).
77
   Vgl Assadi, Recruiting - was aus arbeitsrechtlicher Sicht zu beachten ist, AnwBl 2018/300,
795 (798).
78
   Vgl Rabanser, Interessenabwägung beim Fragerecht des Arbeitgebers, ecolex 1993, 179,
179.
79
   Vgl N.N., Gesunde Mitarbeiter sind leistungsfähiger, https://www.gesundheit-
aktuell.de/artikel/gesunde-mitarbeiter-sind-
leistungsfaehiger.html#:~:text=Gesunde%20und%20motivierte%20Mitarbeiter%20sind,Das%20
ergab%20eine%20finnische%20Studie, (abgerufen am 08.01.2023).
80
   Vgl Rabanser, Interessenabwägung beim Fragerecht des Arbeitgebers, ecolex 1993, 179,
179.

                                                                                           19
mitunter ausschlaggebend dafür, dass dem AN bei Begründung des
Arbeitsverhältnisses keine Bekanntgabepflicht hinsichtlich der Erkrankung
aufgetragen werden konnte.81

Überträgt man diese Judikatur unter Berücksichtigung der theoretischen
Ausführungen auf die Migräne, so ergibt sich, dass für eine Beurteilung
insbesondere die Häufigkeit der Attacken und die zahlreichen Formen der
Migräne heranzuziehen sind. AN, die einmal im Monat oder noch seltener
Migräneattacken erleiden, werden angesichts der Unvorhersehbarkeit der Anfälle
keinesfalls von sich aus über das Bestehen der Erkrankung aufklären müssen.82
Im Gegensatz dazu können schwerere Verlaufsformen wie bspw die chronische
Migräne zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit führen.83 In einem solchen
Kontext wird eine Offenbarungspflicht hingegen sehr wohl zu bejahen sein, zumal
der AG hier die Bekanntgabe erwarten darf. Unabhängig von einem bestehenden
Informationsanspruch des AG ist die wahrheitsgemäße Beantwortung einer von
ihm gestellten gesundheitsbezogenen Frage zu betrachten.84 Im Unterschied zu
einem Bürojob, bei dem Mitmenschen durch Migräneattacken nicht berührt
werden, ist bei einer Position als Chirurg eine Migräne, sofern sie wie im erst
genannten Beispiel monatlich auftritt, ehrlich anzuführen. Die Rechtfertigung liegt
in der Gefahr einer Schädigung von Patienten, die speziell durch eine Migräne
mit Aura verursacht werden könnte. Das Interesse des AG wird in diesem Fall als
höherrangig zu qualifizieren sein. Eine allgemeingültige Aussage kann folglich
nicht getroffen werden, da stets eine situationsbezogene Einzelfallbetrachtung zu
erfolgen hat.

Unabhängig von den konkreten Umständen ist es empfehlenswert, den AG und
das Kollegium gleichermaßen über eine Migräneerkrankung in Kenntnis zu
setzen. Dadurch kann ein bedürfnisorientiertes Unterstützungsangebot erarbeitet
und eine Rücksichtnahme in Akutsituationen gewährleistet werden. Trotz
etwaiger Ängste von Betroffenen, die sich vor allem auf Konfrontationen mit

81
   Vgl Rabanser, Interessenabwägung beim Fragerecht des Arbeitgebers, ecolex 1993, 179,
179.
82
   Vgl OGH 29.10.1993, 9 ObA 227/93.
83
   Vgl N.N., Migräne und Berufsunfähigkeit, https://www.leben-und-migraene.de/leben-mit-
migraene/arbeitsleben-recht/berufsunfaehigkeit, (abgerufen am 08.01.2023).
84
   Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 45.

                                                                                            20
Vorurteilen beziehen, ist zu berücksichtigen, dass eine Offenlegung der Migräne
aufgrund     angemessener        Verhaltensweisen       zu    einer    Verringerung      der
Ausfallzeiten beiträgt. Dadurch werden sowohl Vorteile für den AN selbst als auch
für den AG geschaffen.85 Überdies zeigte eine Umfrage der EMHA, dass im
Durchschnitt knapp 45 Prozent der AG und 63 Prozent des Teams Verständnis
hinsichtlich migränebedingter Einschränkungen aufbringen und dahingehende
Unterstützungsmaßnahmen ergreifen.86

     4. Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit

Als „Arbeitsfähigkeit“ wird die Gesamtheit aller Komponenten bezeichnet, die es
dem AN ermöglichen, die von ihm am Arbeitsplatz geforderten Tätigkeiten
erfolgreich zu verrichten.87 Sie wird sowohl als Maßstab für die Produktivität als
auch für die Leistungsergebnisse der Belegschaft herangezogen. Die
Aufrechterhaltung und Förderung hängt dabei nicht nur vom AN und dessen
gesundheitlichen Aspekten ab, sondern kann auch durch den AG verstärkt
werden.88

     4.1.   Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit aufgrund einer
            Migräneattacke

Der Mittelwert einer Betroffenenbefragung ergibt, dass AN aufgrund von
Migräneanfällen an rund 16 Arbeitstagen im Jahr an der Erbringung ihrer
vertraglich vereinbarten Leistung gehindert sind.89 In den erwerbsfähigen
Lebensjahren zwischen dem 20. und 40. Geburtstag erreicht die Migräne ihren
Höhepunkt.90 Häufigkeit und Intensität der Attacken variieren dabei stark und
können nicht einheitlich beantwortet werden. Die durchschnittliche Frequenz

85
   Vgl N.N., Migräne > Beruf, https://www.betanet.de/migraene-beruf.html, (abgerufen am
09.01.2023).
86
   Vgl Ruiz de la Torre, Migraine at work, European survey. Analsys [sic] of results and
conclusions, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/EMHA-Migraine-at-work.pdf (317,
342), (abgerufen am 10.01.2023).
87
   Vgl Rimser, Generation Resource Management, Nachhaltige HR-Konzepte im demografischen
Wandel (2014), 95.
88
   Vgl Rimser, Generation Resource Management, Nachhaltige HR-Konzepte im
demografischen Wandel (2014), 97.
89
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 70.
90
   Vgl Lunz, Migräne: Die Krankheit wird entschlüsselt,
https://www.profil.at/wissenschaft/migraene-die-krankheit-wird-entschluesselt-neue-therapien-
entwickelt/401072277, (abgerufen am 09.01.2023).

                                                                                           21
beläuft sich jedoch auf ein bis zwei Anfälle pro Monat.91 Während der
andauernden Attacken ist die Fähigkeit, Leistungen zu erbringen, eingeschränkt.
Das Ausmaß der Reduktion beurteilt sich anhand unterschiedlicher Kriterien wie
der    Migräneform,      der    Kopfschmerzstärke         und     dem     Auftreten     der
Begleiterscheinungen. Eine Allgemeinaussage zur Dimension kann folglich nicht
getroffen werden.92 Insbesondere die Migräne mit Aura kann aber ein
weitreichendes Hindernis für die Fortführung von Handlungen darstellen.93
Sinneseindrücke, die während eines Anfalls auf Betroffene einprasseln, werden
nahezu unerträglich und erfordern einerseits den Rückzug in ein dunkles, ruhiges
Zimmer, andererseits den Abbruch von gegenwärtigen Arbeitsaktivitäten.94

Ob und wie sich die Migräne auf kognitive Fähigkeiten auswirkt, ist nach wie vor
nicht eindeutig erforscht. Gründe hierfür liegen mitunter in der subjektiven
Selbstwahrnehmung der einzelnen Individuen. Ihr Empfinden spielt bei der
Beurteilung eine tragende Rolle. Patienten stellen jedoch übereinstimmend und
vermehrt fest, dass intellektuelle Einschränkungen den Beginn einer Attacke
symbolisieren.      Demnach        können       bereits     in    der     Vorbotenphase
Konzentrationsprobleme ebenso wie verlangsamte Denkprozesse auftreten.95

2018 führte die EMHA eine Umfrage durch,96 an welcher über 3300
Migränepatienten aus sieben EU-Ländern teilnahmen. Diese ergab, dass sich
rund 95 Prozent der Betroffenen mit dem Einsetzen einer Migräneattacke
(Akutsituation) außerstande fühlen, ihrer Arbeit weiterhin nachzukommen.
Darüber hinaus mussten bereits 19 Prozent einen Jobwechsel aufgrund der
Erkrankung vornehmen. Von erheblicher Relevanz ist, dass Betroffene

91
   Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 60.
92
   Vgl Gaul, Kopfschmerz und Migräne, in: Kraus/Letzel/Nowak (Hrsg), Der chronisch Kranke im
Erwerbsleben, Orientierungshilfe für Ärzte in Praxis, Klinik und Betrieb (2010), 249 (251).
93
   Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002),
18.
94
   Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 298.
95
   Vgl N.N., Migräne und ihre kognitiven Besonderheiten – Segen oder Fluch?,
https://headache-hurts.de/infos/migr%C3%A4ne-und-ihre-kognitiven-besonderheiten-segen-
oder-fluch, (abgerufen am 10.01.2023).
96
   Vgl EMHA, Women at work, https://www.emhalliance.org/project/women-at-work/, (abgerufen
am 09.01.2023).

                                                                                          22
grundsätzlich    jeden    Beruf     praktizieren    können.97       Selbst    Schicht-    und
Nachtarbeiten      stellen    für    die    wenigsten       eine     Schwierigkeit       dar.98
Erfahrungsgemäß          scheitert         es      jedoch      an       den       fehlenden
Anpassungsmöglichkeiten und Konditionen, die zwangsläufig für die erfolgreiche
Ausübung notwendig sind. Auch eine unzureichende Unterstützung durch den
AG kann mitursächlich sein. Dadurch werden den Betroffenen wichtige Wege
abgeschnitten und Optionen genommen, um entsprechende Fähigkeiten in den
jeweiligen Bereichen unter Beweis stellen zu können.99

Interessant ist zudem das Vergleichsergebnis zwischen Selbstständigen und
angestellten AN. Bei beiden Personengruppen dominierte die chronische
Migräne, die bei der zuletzt genannten Klasse am häufigsten im Bereich des
Baugewerbes anzutreffen war.100

   4.2.    Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit aufgrund
           medikamentöser Behandlung
Die Behandlung orientiert sich an dem Schweregrad der Attacke. Im Regelfall
werden speziell für Migräne entwickelte Medikamente verordnet, die als
„Triptane“ bekannt sind.101 Dessen Einnahme verhindert in Akutsituationen die
weitere    Ausschüttung       von     schmerzauslösenden            Botenstoffen.102       Der
entscheidende Faktor hierbei ist, dass sie zwar Linderung verschaffen und
Begleiterscheinungen reduzieren, nicht jedoch den Krankheitsprozess selbst bzw
den fortschreitenden vierstufigen Verlauf der Migräne unterbrechen.103 AN sind

97
   Vgl Ruiz de la Torre, Women at Work results from Migraine at Work survej, The voice of
Patients, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/women_at_work_.pdf, (abgerufen am
09.01.2023).
98
   Vgl Ruiz de la Torre, Migraine at work, European survey. Analsys [sic] of results and
conclusions, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/EMHA-Migraine-at-work.pdf
(339), (abgerufen am 10.01.2023).
99
   Vgl Ruiz de la Torre, Women at Work results from Migraine at Work survej, The voice of
Patients, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/women_at_work_.pdf, (abgerufen am
09.01.2023).
100
    Vgl Ruiz de la Torre, Migraine at work, European survey. Analsys [sic] of results and
conclusions, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/EMHA-Migraine-at-work.pdf
(330), (abgerufen am 10.01.2023).
101
    Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 309.
102
    Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 100.
103
    Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002),
100.

                                                                                             23
demgemäß nach wie vor in ihren Handlungen eingeschränkt.104 Zudem kann
insbesondere bei schweren Verlaufsformen die Situation eintreten, dass
Arzneimittel keine oder nicht ausreichende Wirkung entfalten. In diesem Fall ist
eine notärztliche bzw klinische Betreuung und intravenöse Versorgung
unvermeidbar.105 Selbst medikamentöse Prophylaxen tragen nur in einem
begrenzten Umfang zur Linderung bei. Eine Reduzierung der Attacken um
maximal die Hälfte wäre zwar realisierbar, dennoch ist eine gänzliche Heilung
ausgeschlossen. Ferner steht eine solche Möglichkeit nicht allen Patienten offen,
weil für die vorbeugende Medikamentengabe stets ein bestimmter Schweregrad
der Migräne erforderlich ist.106

Auch Beeinträchtigungen durch kurzzeitig anhaltende Nebenwirkungen infolge
der Einnahme von Präparaten sind denkbar.107 Die Schwierigkeit besteht hier
allerdings in der Abgrenzung zu den Symptomen, die durch die Migräne
verursacht werden. Es ist nicht zweifelsfrei zuordenbar, ob bspw die hochgradige
Müdigkeit, die wiederum die Leistungsfähigkeit einschränkt, aus der Attacke
selbst resultiert oder durch Arzneimittel hervorgerufen wird.108

      4.3.   Einschränkungen zwischen den Attacken

Außerhalb der Attacken ist die Mehrheit der Betroffenen in vollem Umfang
arbeitsfähig. Spezialisten im Bereich der Migräne beschreiben Patienten als
pflichtbewusste Persönlichkeiten, die einen Hang zum Perfektionismus
aufzeigen.      Sowohl       eine     besondere        Gewissenhaftigkeit         als     auch
Leistungsfähigkeit sind kennzeichnend für sie.109

104
    Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 137.
105
    Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt
vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 328.
106
    Vgl Gaul, Kopfschmerz und Migräne, in: Kraus/Letzel/Nowak (Hrsg), Der chronisch Kranke
im Erwerbsleben, Orientierungshilfe für Ärzte in Praxis, Klinik und Betrieb (2010), 249 (252).
107
    Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002),
108.
108
    Vgl Gaul, Kopfschmerz und Migräne, in: Kraus/Letzel/Nowak (Hrsg), Der chronisch Kranke
im Erwerbsleben, Orientierungshilfe für Ärzte in Praxis, Klinik und Betrieb (2010), 249 (254).
109
    Vgl Kyburz, Migräne im Berufsleben, in: Agosti/Diener/Limmroth (Hrsg), Migräne &
Kopfschmerzen, Ein Fachbuch für Hausärzte, Fachärzte, Therapeuten und Betroffene (2015)
329 (329 f).

                                                                                                 24
Bildgebende Verfahren zeigen, dass intellektuelle Einschränkungen, die
gegebenenfalls bereits in der Vorbotenphase auftreten, nicht bestehen bleiben,
sondern nach überstandenen Attacken wieder abklingen. Dadurch wird
erkennbar, dass sich die kognitiven Fähigkeiten zwischen den einzelnen
Migräneanfällen ausgleichen und stabilisieren. Lediglich bei der chronischen
Migräne können Defizite im Erinnerungsvermögen oder ähnlichen Bereichen
entstehen, die auf die lange Dauer und Häufigkeit der Attacken zurückzuführen
sind.110

   5. Die Erfüllung von arbeitsvertraglich vereinbarten Pflichten

Der   Arbeitsvertrag,      welcher    als    Dauerschuldverhältnis       ausgestaltet       ist,
verpflichtet sowohl den AG als auch den AN zur gegenseitigen Erbringung von
spezifischen Handlungen.111 Die Arbeitskraft des AN und die Zahlung des
Entgelts durch den AG stehen einander als Hauptleistungen gegenüber. Darüber
hinaus sind zusätzliche Nebenpflichten zu beachten, bei denen insbesondere die
Fürsorge durch den AG von Bedeutung ist.112

   5.1.     Die Arbeitspflicht als Hauptleistungspflicht des
            Arbeitnehmers

§ 1153 ABGB normiert, dass der AN die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu
erbringen        hat.113      Eine          allgemeine,      dauerhaft        gebührende
Stellvertretungsmöglichkeit          würde      demnach       den      Merkmalen        des
Arbeitsvertrages widersprechen. Zulässig ist jedoch die Delegation einzelner
Angelegenheiten, sofern der AG seine Zustimmung erteilt hat.114 Im Regelfall
wird für die Ausführung der vereinbarten Tätigkeit aber die konkrete
Vertragsperson von Relevanz sein.115

110
    Vgl N.N., Migräne und ihre kognitiven Besonderheiten – Segen oder Fluch?,
https://headache-hurts.de/infos/migr%C3%A4ne-und-ihre-kognitiven-besonderheiten-segen-
oder-fluch, (abgerufen am 10.01.2023).
111
    Vgl Brodil/Gruber-Risak, Arbeitsrecht in Grundzügen11 (2022), 92 Rz 221.
112
    Vgl Brodil/Gruber-Risak, Arbeitsrecht in Grundzügen11 (2022), 98 Rz 235 f.
113
    Vgl Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1153 ABGB Rz 2
(Stand 01.01.2018, rdb.at).
114
    Vgl Felten in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1153 Rz 8 (Stand 01.08.2022, rdb.at).
115
    Vgl Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1153 ABGB Rz 2
(Stand 01.01.2018, rdb.at).

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