MIGRÄNE AM ARBEITSPLATZ - Eine Analyse der Auswirkungen unter Zugrundelegung unionsrechtlicher Aspekte
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Eingereicht von Shirin Chiara Karel Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler Januar 2023 MIGRÄNE AM ARBEITSPLATZ Eine Analyse der Auswirkungen unter Zugrundelegung unionsrechtlicher Aspekte Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at
Gendererklärung Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter. 2
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................... 5 1. Einleitung ................................................................................................................. 7 2. Migräne – eine neurologische Erkrankung .............................................................. 8 2.1. Ursachen der Migräne ...................................................................................... 9 2.2. Formen der Migräne ....................................................................................... 10 2.2.1. Migräne ohne Aura.............................................................................. 10 2.2.2. Migräne mit Aura ................................................................................. 10 2.2.3. Chronische Migräne ............................................................................ 10 2.3. Ablauf einer Migräneattacke .......................................................................... 11 2.3.1. Vorbotenphase .................................................................................... 11 2.3.2. Auraphase ........................................................................................... 11 2.3.2.1. Visuelle Störungen ............................................................... 12 2.3.2.2. Sensorische Störungen ........................................................ 12 2.3.2.3. Motorische Störungen .......................................................... 12 2.3.3. Kopfschmerzphase ............................................................................. 13 2.3.4. Rückbildungsphase ............................................................................. 13 2.4. Triggerfaktoren ............................................................................................... 14 2.5. Abgrenzung zum Alltagskopfschmerz ............................................................ 15 2.6. Migränebetroffenheit in Europa ...................................................................... 16 3. Informationserfordernis bei Begründung des Arbeitsverhältnisses ....................... 17 3.1. Fragerecht des AG und Antwortpflicht des AN .............................................. 17 3.2. Offenbarungspflicht des AN ........................................................................... 18 3.3. Gesetzliche Grundlagen ................................................................................. 18 3.4. Bedeutung für die Migräne ............................................................................. 19 4. Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit ................................................................... 21 4.1. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit aufgrund einer Migräneattacke .......... 21 4.2. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit aufgrund medikamentöser Behandlung ....................................................................................................................... 23 4.3. Einschränkungen zwischen den Attacken ...................................................... 24 5. Die Erfüllung von arbeitsvertraglich vereinbarten Pflichten ................................... 25 5.1. Die Arbeitspflicht als Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers ..................... 25 5.1.1. Leistungsbegriff und Qualität der Leistung.......................................... 26 5.1.2. Die Verletzung der Arbeitspflicht ......................................................... 27 5.1.2.1. Nichtleistung ......................................................................... 28 3
5.1.2.2. Minderleistung ...................................................................... 28 5.1.2.3. Pflichtverletzungen aufgrund von Migräneanfällen .............. 28 5.2. Die Entgeltpflicht als Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers ........................ 29 5.3. Die Fürsorgepflicht als Nebenleistungspflicht des Arbeitgebers .................... 31 5.3.1. Präventive Maßnahmen ...................................................................... 32 5.3.2. Gesundheitsschutz auf europäischer Ebene ...................................... 33 6. Beendigung des Arbeitsverhältnisses.................................................................... 35 6.1. Kündigung ...................................................................................................... 36 6.2. Entlassung...................................................................................................... 37 6.2.1. Arbeitsunfähigkeit................................................................................ 37 6.2.2. Pflichtverletzung .................................................................................. 38 6.2.3. Sonstige mögliche Entlassungsgründe ............................................... 38 7. Unionsrechtliche Entwicklungen im Bereich der Migräne ...................................... 39 7.1. European Headache Federation (EHF) ......................................................... 40 7.2. European Migraine and Headache Alliance (EMHA) ..................................... 40 7.3. Projekt Eurolight ............................................................................................. 40 7.4. Gesamtauswertung der Veränderungen in Europa ........................................ 42 8. Resümee ............................................................................................................... 43 Quellenverzeichnis........................................................................................................ 47 4
Abkürzungsverzeichnis ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Abs Absatz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AG der, die Arbeitgeber AN der, die Arbeitnehmer AnwBL Österreichisches Anwaltsblatt AngG Angestelltengesetz ArbVG Arbeitsverfassungsgesetz ARD Aktuelles Recht zum Dienstverhältnis Art Artikel BGBl Bundesgesetzblatt bspw beispielsweise bzw beziehungsweise DRdA Das Recht der Arbeit ecolex Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht EFZG Entgeltfortzahlungsgesetz EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EU Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft f und der, die folgende ff und der, die folgenden gem gemäß GewO Gewerbeordnung 1859 5
GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union Hrsg Herausgeber idF in der Fassung LG Landesgericht lit litera Nr Nummer OGH Oberster Gerichtshof rdb Rechtsdatenbank Rz Randzahl vgl vergleiche Z Ziffer ZAS Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht ZellHB Zeller Handbuch Zellkomm Zeller Kommentar 6
1. Einleitung Resultieren aus einer Migräneattacke berufliche Einschränkungen? Werden Vorgesetzte und Kollegen eine unsichtbare Krankheit nachvollziehen und Verständnis dafür aufbringen können? Müssen Konsequenzen aufgrund von Ausfällen befürchtet werden? Alle diese Fragen spiegeln Gedanken wider, die sowohl mich als auch andere Migränepatienten stetig einholen und gewiss auch noch in Zukunft beschäftigen werden. Die Migräne zählt nicht nur zu den gängigsten neurologischen Erkrankungen, sondern nimmt auch zeitgleich den ersten Platz der am stärksten beeinträchtigenden Leidenszustände bei unter 50-Jährigen ein.1 Betroffene nehmen während einer Migräneattacke besonders intensive Kopfschmerzen wahr. Hinzu treten zahlreiche Begleitsymptome, welche die Gesamtsituation erschweren und ein Gefühl der vollkommenen Hilflosigkeit auslösen. Im besten Fall klingen die Befindlichkeiten nach wenigen Stunden wieder ab. Sie können aber auch dazu führen, dass Patienten über mehrere Tage hinweg leistungsunfähig sind. Was darüber hinaus anhält ist die Gewissheit, dass es nicht bei dieser einen Attacke bleiben wird. 2 Im Zuge der Recherche dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass trotz der starken Betroffenheit nur wenige Quellen bestehen, die Bezugspunkte zwischen der Erkrankung und den Auswirkungen am Arbeitsplatz herstellen. Auch die Rechtsprechung scheint hier sehr zurückhaltend zu sein. Im Gegensatz dazu sind reihenweise Werke, Zeitschriften und Entscheidungen auffindbar, die sich mit der Krankheit im Allgemeinen oder mit spezifischen Berufsleiden auseinandersetzen. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass unzählige Krankheiten existieren, die sich allesamt in ihren Symptomen und Ausprägungen voneinander unterscheiden. Der empirische Fokus der gesamten Arbeit liegt folglich insbesondere darin, entsprechende Vergleiche zu den bereits vorhandenen Materialien anzustreben und dessen Anwendbarkeit und 1 Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002) 7; Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 139. 2 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), V. 7
Übertragung im Hinblick auf die Migräne zu untersuchen. Denn lediglich durch Einzelfallbetrachtungen und entsprechende Subsumierungen können konkrete Erkenntnisse für die Migräne gewonnen und Literaturlücken geschlossen werden. Eingangs findet eine präzise Darstellung des komplexen Krankheitsbildes statt. Im Anschluss daran wird ein Überblick über die rechtlichen Herausforderungen und Auswirkungen verschafft, die in Verbindung mit der Migräne und einer damit einhergehenden Einschränkung der Arbeitsfähigkeit stehen. Die Bezugnahme auf unionsrechtliche Aspekte erfolgt kontextabhängig und findet sich aus Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit an jeweils geeigneter Stelle. Es soll aufgezeigt werden, welchen Stellenwert die Erkrankung auf europäischer Ebene einnimmt, ob Fortschritte und Entwicklungen im Bereich der Gesundheitspolitik verzeichnet werden können und welche gesetzlichen Schutzbestimmungen für entsprechende Beurteilungen heranzuziehen sind. Denn insbesondere die Europäische Gemeinschaft kann hier als Vorbild agieren, ein Umdenken bewirken und wesentliche Schritte zur Unterstützung von Patienten setzen. Ziel der Arbeit ist es, den Wissensstand über die Auswirkungen und Folgen einer Migräne am Arbeitsplatz zu erweitern, eine Sensibilisierung der Gesellschaft zu bewirken und einen Grundstein für mehr Beachtung, Verständnis und Integration im Berufsleben zu schaffen. 2. Migräne – eine neurologische Erkrankung Unter dem Terminus Migräne versteht man episodisch wiederkehrende Kopfschmerzattacken, welche mit unterschiedlichen Begleitsymptomen korrelieren.3 Betroffene verfügen über ein Nervensystem, das besonders sensibel auf abrupte, kontinuierliche oder im Übermaß erscheinende Sinneswahrnehmungen reagiert. Im Gegensatz zu gesunden Menschen, die sich an das wiederholte Auftreten der Impulse gewöhnen, ist ein solcher Vorgang bei Erkrankten nicht zu beobachten. Aufgrund ihrer Reizverarbeitungsstörung können sie Eindrücke nur schwer ausblenden und sind daher der Gefahr von 3 Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002), 3. 8
Reizüberflutungen ausgesetzt.4 Die stetige Wahrnehmungs- und Reaktionsbereitschaft führt zu einer erhöhten Gehirnaktivität, welche wiederum Energiedefizite verursacht und Funktionsstörungen im Gehirn und in dessen Blutgefäßen auslöst.5 Dadurch werden Botenstoffe freigesetzt, die sowohl für die Migräneschmerzen als auch für die Nebenerscheinungen verantwortlich sind.6 2.1. Ursachen der Migräne Die Ursachen der Erkrankung sind bisher noch nicht vollumfänglich geklärt.7 Es wird jedoch angenommen, dass sie biologisch bedingt und auf Veränderungen im Erbgut des Menschen zurückzuführen sind.8 Einerseits ist dieser Umstand wesentlich, weil er die Migränebereitschaft signalisiert und verdeutlicht, andererseits wird somit nachvollziehbar, warum die Krankheit als solche nicht heilbar ist.9 Ob die Migräne tatsächlich auftritt, wie häufig und wie stark, hängt außerdem von Umweltfaktoren, die sich bspw aus zu vielen parallelen Reizen ergeben, ab.10 Wegen ihres anfallsweise auftretenden Charakters kann die Krankheit nicht bereits mit der ersten Attacke diagnostiziert werden, sondern erfordert mindestens vier weitere temporäre Schübe.11 4 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 104; Schmerzklinik Kiel, Schneller denken, tiefer empfinden, ständig wahrnehmen, https://schmerzklinik.de/schneller-denken-tiefer-empfinden- staendig-wahrnehmen/, (abgerufen am 06.01.2023). 5 Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002), 3; Schmerzklinik Kiel, Schneller denken, tiefer empfinden, ständig wahrnehmen, https://schmerzklinik.de/schneller-denken-tiefer-empfinden-staendig-wahrnehmen/, (abgerufen am 06.01.2023). 6 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 100. 7 Vgl Brand, Ernährung und Migräne, https://www.migraeneliga.de/ernaehrung-und-migraene/, (abgerufen am 03.01.2023). 8 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 99. 9 Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002) 50; Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020) 103. 10 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 149; Kyburz, Migräne im Berufsleben, in: Agosti/Diener/Limmroth (Hrsg), Migräne & Kopfschmerzen, Ein Fachbuch für Hausärzte, Fachärzte, Therapeuten und Betroffene (2015) 329 (329). 11 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 116. 9
2.2. Formen der Migräne Die einzelnen Ausprägungsarten der Migräne werden anhand der Kopfschmerzklassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) voneinander abgegrenzt.12 Einschlägige Indikatoren sind neben der Dauer und des Verlaufes vor allem die Begleitphänomene.13 Aufgrund der Vielfalt an Typen und Kennzeichen werden hier lediglich umrisshaft die wichtigsten Unterschiede zwischen den drei geläufigsten Formen erläutert.14 2.2.1. Migräne ohne Aura Einseitige, pulsierende Migränekopfschmerzen, die mit einer Überempfindlichkeit auf Licht und Lärm ebenso wie mit Übelkeit oder Erbrechen einhergehen, stellen die häufigste Migräneform dar.15 2.2.2. Migräne mit Aura Charakteristisch sind abrupte und schlagartige neurologische Störungen, die unmittelbar vor oder während des Eintritts des Migränekopfschmerzes beginnen und zu einer Durchblutungsminderung in der jeweiligen Hirnregion führen.16 Der Begriff Aura verkörpert dabei jenen Zeitraum, in welchem die Beschwerden zu beobachten sind.17 Rund 15 Prozent der Erkrankten leiden an der genannten Art.18 2.2.3. Chronische Migräne Bestehen die Kopfschmerzen über drei Monate hinweg an mehr als 15 Tagen pro Monat und sind zumindest acht Tage davon durch einen 12 Vgl IHS, IHS Classification ICHD-3, https://ichd-3.org/de/1-migrane/, (abgerufen am 28.12.2022). 13 Vgl Agosti, Einführung zur Klassifikation der Kopfschmerzen der International Headache Society (IHS), in: Agosti/Diener/Limmroth (Hrsg), Migräne & Kopfschmerzen, Ein Fachbuch für Hausärzte, Fachärzte, Therapeuten und Betroffene (2015) 3 (3). 14 Vgl IHS, IHS Classification ICHD-3, https://ichd-3.org/de/1-migrane/, (abgerufen am 28.12.2022). 15 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 19 f. 16 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 21. 17 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 37. 18 Vgl Agosti/Bumb/Limmroth, Migräne, in: Agosti/Diener/Limmroth (Hrsg), Migräne & Kopfschmerzen, Ein Fachbuch für Hausärzte, Fachärzte, Therapeuten und Betroffene (2015), 31 (34). 10
Migränekopfschmerz gekennzeichnet, so bezeichnet man dies als chronische Migräne.19 2.3. Ablauf einer Migräneattacke Migräneattacken können zeitlich in vier Episoden unterteilt werden, die allesamt eine Zu- und Abnahme von Symptomen verzeichnen.20 2.3.1. Vorbotenphase Ungefähr 30 Prozent der Migräneanfälle beginnen mit Ankündigungssymptomen, welche in der Regel bereits bis zu drei Tage vor dem Eintritt der eigentlichen Kopfschmerzphase wahrgenommen werden können.21 Die Vorboten bekunden allgemeine Befindlichkeitsänderungen und können sich unter anderem in Konzentrationsproblemen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, häufigem Gähnen und in einer besonders hohen Sensibilität der Sinnesorgane äußern.22 Zu berücksichtigen ist, dass diese Anzeichen nicht als Ursache der Migräne gelten, sondern bereits einen Ausschnitt der Attacke verkörpern.23 Migränetrigger führen dazu, dass das Nervensystem, welches aufgrund der außergewöhnlichen Erbgenetik ohnehin rascher arbeitet, an seine Grenzen gelangt. Folglich entstehen Energiedefizite in den Nervenzellen.24 2.3.2. Auraphase Bei einer Migräne mit Aura entwickeln sich neurologische Störungen rund 30 bis 60 Minuten vor dem Beginn der Kopfschmerzphase.25 Sie treten anfallsartig und in Episoden auf, nehmen allmählich zu und klingen danach langsam wieder ab.26 19 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 120. 20 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 34 f. 21 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 101. 22 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 36 f. 23 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 102. 24 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 104. 25 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 107. 26 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 40. 11
Nur in Ausnahmefällen überschreitet diese Phase ein Zeitmaß von einer Stunde.27 2.3.2.1. Visuelle Störungen Beinahe in allen Fällen sind einseitige Ausfälle des Gesichtsfeldes maßgebend, die unterschiedlich ausgeprägt sein können. Bekannt sind vor allem Flimmererscheinungen in Form von Kreisen oder Zickzacklinien, die zu Einschränkungen des Sichtfeldes führen.28 2.3.2.2. Sensorische Störungen Diese werden größtenteils im Mund- und Handbereich registriert und machen sich insbesondere durch Kribbelempfindungen oder Taubheitsgefühle bemerkbar.29 2.3.2.3. Motorische Störungen Charakteristisch sind spezielle Lähmungserscheinungen ebenso wie Sprachstörungen und Artikulationsprobleme, die meist in Zusammenhang mit sensorischen Störungen anzutreffen sind.30 Neben den bereits genannten neurologischen Ausfällen können auch noch akustische oder olfaktorische Wahrnehmungsveränderungen, Bewusstlosigkeit oder Gefühlswandlungen hervortreten.31 Die Vielfältigkeit der Erscheinungsformen zeigt, wie unterschiedlich eine Auraphase ausfallen kann. Ein isoliertes Auftreten eines einzelnen Symptomes ist nahezu ausgeschlossen. Häufig kommt es zu einer Kombination von mehreren Störungen, die in der Regel nicht zeitgleich, sondern der Reihe nach entstehen.32 27 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 119. 28 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 107. 29 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 48. 30 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 48 f. 31 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 50 f. 32 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 54. 12
2.3.3. Kopfschmerzphase Die dritte Phase ist durch eine Kombination aus Schmerzmerkmalen und Begleiterscheinungen gekennzeichnet. Migränepatienten empfinden typischerweise einseitige, pochende oder drückende Stiche im Schläfen- oder Augenbereich, die sich allerdings im Laufe der Attacke verändern und an anderen Regionen des Kopfes oder Nackens lokalisiert werden können. Schmerzphasen erstrecken sich dabei auf vier bis 72 Stunden. Die Intensität variiert je nach Patient und wird durch geringe körperliche Betätigungen wie Treppensteigen, Heben von Gegenständen, Niesen, Husten oder Erbrechen verstärkt.33 Freizeit- und Arbeitsaktivitäten können folglich nicht mehr ausgeübt werden. Zudem zeichnet sich ein dringendes Bedürfnis nach einem Rückzug in einen abgedunkelten Raum ebenso wie nach Ruhe und Schlaf ab.34 Im Vordergrund der Begleitsymptome steht die Übelkeit, die sich in unterschiedlichen Variationen von der Appetitlosigkeit bis hin zum Erbrechen auffindet.35 Eines der markantesten Merkmale ist die sensorische Reizstörung während der Migräneattacke. Diese besteht überwiegend in einer erheblichen Lärm- und Lichtüberempfindlichkeit, kann sich aber auch in einer Geruchsüberempfindlichkeit offenbaren.36 Des Weiteren tritt eine enorme Gesichtsblässe und Fahlheit ein, die anderen Mitmenschen gegenüber signalisieren kann, dass eine Migräneattacke fortwährend ist.37 Die Konzentrationsfähigkeit nimmt deutlich ab, Störungen des Denkvermögens entstehen und vegetative Symptome wie Zittern, Frösteln, Schwitzen und Fieber gelangen zum Vorschein.38 2.3.4. Rückbildungsphase Selbst mit dem Abklingen der Kopfschmerzen ist ein Migräneanfall noch nicht überwunden. Es wird teilweise eine bis zu zwei Tage andauernde 33 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 56 f. 34 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 114 ff. 35 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 57. 36 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 60. 37 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 58. 38 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 59 f. 13
Erholungsphase benötigt, in der Nachwirkungen wie Müdigkeit, Erschöpfung und Abgeschlagenheit weiterhin präsent sind.39 2.4. Triggerfaktoren Die Ursachen der Migräne werden in den Erbanlagen eines Menschen vermutet. Bei Vorhandensein von entsprechenden Risikogenen besteht eine gesteigerte Reaktionsbereitschaft des Organismus.40 Treten bestimmte Auslöser, die als Trigger bezeichnet werden, bei der genannten Personengruppe auf, so erhöht sich die Entstehungswahrscheinlichkeit einer Migräneattacke binnen der nächsten 48 Stunden.41 Maßgebend ist jedoch nicht nur der Auslöser selbst, sondern auch die Genetik, die gegeben sein muss, damit der „Trigger“ überhaupt Wirkung entfalten kann.42 Zwar werden Ursache und Auslöser hier in einem Zusammenspiel betrachtet, dennoch sind die Begrifflichkeiten stets strikt voneinander zu trennen.43 Der gemeinsame Nenner beinahe aller Trigger zeigt sich in einer abrupten Veränderung des gewohnten Lebensrhythmus. Diesbezügliche Abweichungen, welche am Arbeitsplatz von Relevanz sind, können bspw hervorgerufen werden durch plötzlichen Stress, Belastungen, unvorhersehbare Emotionen, Umstrukturierungen von Arbeitsplänen oder das Auslassen von Mahlzeiten.44 Gleiches gilt für wechselnde Lichtverhältnisse durch Computerbildschirme oder Tageslicht. Damit sich das Nervensystem nicht kontinuierlich an die variierenden Helligkeitsgrade anpassen muss, sind starke Kontraste, Flimmerimpulse, Lichteffekte und direkte Sonneneinstrahlung möglichst zu vermeiden.45 Regelmäßigkeit, Gleichmäßigkeit und Planung stellen außerdem wichtige Komponenten dar, die davor schützen, dass „Auslöser“ Attacken bewirken.46 39 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 62. 40 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 103. 41 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 124. 42 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 103. 43 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 152. 44 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 153. 45 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 158. 46 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 106. 14
Zusammenfassend kann dargelegt werden, dass „Triggerfaktoren“ nahezu endlos erscheinen, sich stark voneinander differenzieren und unterschiedliche Wirkungen entfalten. Denn nicht jeder Trigger löst bei allen Erkrankten zum selben Zeitpunkt eine Migräne aus.47 Die „Triggereigenschaft“ bestimmt sich an und für sich nicht nur nach dem Reiz, sondern auch anhand der Bewertung des Individuums und dessen Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen.48 2.5. Abgrenzung zum Alltagskopfschmerz Laut WHO zählt die Migräne zu den Krankheiten, die Menschen am stärksten beeinträchtigen.49 Nichtsdestotrotz wird sie oft mit Alltagskopfschmerzen verwechselt. Das fehlende Bewusstsein, dass es sich um eine komplexe und schwere neurologische Erkrankung handelt, belastet die Betroffenen stark – zumal derzeit über 360 unterschiedliche Kopfschmerzformen bekannt sind und differenziert werden.50 Charakteristisch für die Migräne sind nicht die (reinen) Kopfschmerzen, sondern die damit zusammenhängende Vielfalt an Symptomen und neurologischen Ausfällen, welche langsam zunehmen und schrittweise wieder abklingen. Bei keinem anderweitigen Krankheitsbild ist ein solch zusammenhängendes Störverhalten bislang bekannt.51 Auch die Schmerzintensität kann nicht als Vergleichswert herangezogen werden, da diese bei der Migräne einen immens hohen Schweregrad aufweist und mit einem starken Leidensdruck verbunden ist. Kennzeichnend sind darüber hinaus ferner die Einschränkungen im Alltag bzw in den verübten Aktivitäten, welche aus einer Attacke resultieren.52 Diese treten bereits mit der Vorbotenphase ein, wodurch ersichtlich wird, welch erhebliche Zeitspanne ein einziger Migräneanfall einnimmt.53 47 Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002), 30. 48 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 168. 49 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 99. 50 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 107. 51 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 108. 52 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 69. 53 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 37. 15
Aus diesem Grund ist es erforderlich, den Alltag und das Leben an die Krankheit anzupassen, denn selbst wenn „vermeintliche Trigger“ gefunden und vermieden werden, die Bereitschaft zur Migräne bleibt weiterhin bestehen.54 Eine Gleichstellung mit reinen Kopfschmerzen erscheint demnach keinesfalls angemessen und gerechtfertigt.55 2.6. Migränebetroffenheit in Europa In Europa leiden 41 Millionen Menschen an Migräne.56 In Österreich ist jeder Zehnte betroffen.57 Die Rechtfertigung der Subsumierung unter die Volkskrankheiten lässt sich folglich auf eine starke Verbreitung und die Auswirkung auf die gesamte Bevölkerung zurückführen.58 Es kann festgehalten werden, dass Kopfschmerzerkrankungen allgemein auf allen Kontinenten anzutreffen sind und ein weltweites Gesundheitsproblem widerspiegeln. Die Migräne ist vor allem in Europa stark verbreitet, wohingegen sie bspw in Afrika nur äußerst selten anzutreffen ist.59 Wissenschaftler haben herausgefunden, dass lediglich fünf Prozent der Menschen in Nigeria über eine spezielle Variante des Gens TRPM8 verfügen. Demgegenüber besitzen 88 Prozent der Finnen eine solche Veranlagung. Daraus ergibt sich mitunter, dass der Anteil der Bevölkerung mit entsprechender Genetik überwiegend in kälteren Klimaregionen vorherrschend ist.60 Zeitgleich ist bekannt, dass exakt dieser Erbbestandteil als 54 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 107. 55 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 69. 56 Vgl Dumas/Ruiz de la Torre, Migraine in the EU: Bringing women out of the shadows, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/Women-M-Policy-Paper-FINAL23MARCH.pdf (4), (abgerufen am 01.01.2023). 57 Vgl Zebenholzer, Mythen & Fakten, Migräne ist eine ernstzunehmende Erkrankung, https://www.migraene-service.at/mein-alltag/mythen-und-fakten, (abgerufen am 02.01.2023). 58 Vgl Kolar, Neurologische Volkskrankheiten nehmen weiter zu, https://www.oegn.at/presseinformation/neurologische-volkskrankheiten-nehmen-weiter-zu-2/, (abgerufen am 02.01.2023); N.N., Volkskrankheit, https://www.duden.de/rechtschreibung/Volkskrankheit, (abgerufen am 02.01.2023). 59 Vgl Stovner/Hagen/Jensen/Katsarava/et al, The Global Burden of Headache: A Documentation of Headache Prevalence and Disability Worldwide, https://journals.sagepub.com/doi/10.1111/j.1468-2982.2007.01288.x (PDF 204 f),(abgerufen am 02.01.2023). 60 Vgl Lanzke, Migräne, Der Kopfschmerz, der mit der Kälte kam, https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Der-Kopfschmerz-der-mit-der-Kaelte-kam-227674.html, (abgerufen am 02.01.2023); Key/Abdul-Aziz/Mundry/Peter/et al, Human local adaptation of the TRPM8 cold receptor along a latitudinal cline, 16
einer der wesentlichsten Risikofaktoren der Migräne und somit als dessen Ursache gewertet wird.61 Nennenswert ist zudem der Umstand, dass Europäer im Vergleich zu Mitmenschen aus anderen Regionen ein höheres Alter erreichen. Sie sind daher grundsätzlich vulnerabler, weshalb auch in Zukunft mit einem Anstieg an neurologischen Erkrankungen in Europa zu rechnen ist.62 3. Informationserfordernis bei Begründung des Arbeitsverhältnisses Vor Abschluss eines Arbeitsvertrages wird es für den Arbeitgeber (AG) von Relevanz sein, möglichst umfassende Informationen über einen potenziellen Arbeitnehmer (AN) zu gewinnen, um einschätzen zu können, ob dieser für die Tätigkeit geeignet ist. Nicht nur die fachliche Qualifikation, sondern auch der Gesundheitszustand kann dabei eine wesentliche Rolle spielen.63 Der AN hingegen wird ein Interesse daran haben, sich möglichst von seiner besten Seite zu präsentieren, um eine Zusage zu erlangen und sich finanziell absichern zu können. Dies führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen dem Informationsbedarf des AG und dem Geheimhaltungswunsch des AN.64 3.1. Fragerecht des AG und Antwortpflicht des AN Ob sich der AG nach der gesundheitlichen Verfassung erkundigen darf und ob der AN dahingehend eine wahrheitsgemäße Antwort erbringen muss, hängt von der jeweiligen beruflichen Position und den beidseitigen Interessen ab.65 Kann die zu vereinbarende Leistung bspw dauerhaft oder in ständig wiederkehrenden Zeitabschnitten nicht erbracht werden, so ist im Rahmen der Abwägung der https://journals.plos.org/plosgenetics/article/file?id=10.1371/journal.pgen.1007298&type=printab le (Abstract), (abgerufen am 02.01.2023). 61 Vgl N.N., Migräne durch höhere Kältetoleranz, https://www.spektrum.de/magazin/migraene- durch-hoehere-kaeltetoleranz/1573088, (abgerufen am 02.01.2023). 62 Vgl DGN, Fast 60% der Deutschen leiden unter einer neurologischen Erkrankung, https://dgn.org/artikel/2290, (abgerufen am 02.01.2023). 63 Vgl Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, Individualarbeitsrecht7 (2018), 143 f Rz 39 ff. 64 Vgl Rabanser, Fragerecht bei Krankheit, ecolex 1993, 39, 39. 65 Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 46 ff. 17
Interessen jenes des AG schutzwürdiger. Die Frage muss vom AN ehrlich beantwortet werden.66 Anderweitiges gilt bei Nichtüberwiegen der AG- Interessen, da hier der AN zur bewusst unrichtigen Aussage berechtigt ist.67 Tragendes Argument hierfür war, dass der AN die Frage unbeantwortet lassen und eine Absage in Kauf nehmen müsste, wenn ihm diese Möglichkeit nicht zustehen würde.68 Bei der Gegenüberstellung der Interessen ist demnach insbesondere der Wunsch des AN nach Erlangung eines Arbeitsplatzes zu berücksichtigen.69 3.2. Offenbarungspflicht des AN Bei Vorliegen von gewichtigen Interessen seitens des AG ist der AN darüber hinaus sogar verpflichtet, bestimmte Tatsachen von sich aus aktiv preiszugeben, selbst wenn der AG keine dahingehende Nachfrage angestrebt hat. Erfasst sind Angelegenheiten, bei denen der AG damit rechnen darf, dass eine Aufklärung durch den AN erfolgt.70 Fallkonstellationen, in denen eine Krankheit der Begründung des Dienstverhältnisses gänzlich entgegensteht oder Belange, die dem AG eine Beschäftigung unzumutbar machen, können hier genannt werden.71 In allen anderweitigen Situationen trifft das Risiko für zeitweilige Ausfälle grundsätzlich den AG, weshalb eine unaufgeforderte Offenbarung durch den AN verneint wird. Andernfalls würde den Betroffenen der Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten erheblich erschwert werden.72 3.3. Gesetzliche Grundlagen Erkundigungen über den gesundheitlichen Zustand eines Menschen berühren dessen Privatsphäre.73 Diese ist mitunter dem Schutz des § 16 ABGB und jenem 66 Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 46; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, Individualarbeitsrecht7 (2018), 145 Rz 50. 67 Vgl Auer-Mayer, Personalfragebögen, in Reissner/Neumayr (Hrsg), ZellHB BV Besonderer Teil, 2.BV, Rz 2.12 (Stand 01.08.2014, rdb.at). 68 Vgl Rabanser, Fragerecht bei Krankheit, ecolex 1993, 39, 39. 69 Vgl Auer-Mayer, Personalfragebögen, in Reissner/Neumayr (Hrsg), ZellHB BV Besonderer Teil, 2.BV, Rz 2.13 (Stand 01.08.2014, rdb.at). 70 Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 46. 71 Vgl Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, Individualarbeitsrecht7 (2018), 146 Rz 56 f. 72 Vgl Rabanser, Interessenabwägung beim Fragerecht des Arbeitgebers, ecolex 1993, 179, 179. 73 Vgl Egger, Rechtsprobleme bei der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen, DRdA 1982, 89, 89. 18
des Art 8 EMRK unterstellt.74 Betrachtet man beide Normen in Zusammenschau, so wird deutlich, dass dem AG durch die Normierungen der gegenseitigen Interessensabwägung Grenzen auferlegt werden.75 Insgesamt orientiert sich die Zulässigkeit von privaten Fragen und die damit verbundene (wahrheitsgemäße) Beantwortung an objektiven Kriterien. Liegt ausnahmsweise ein höherrangiges Informationsinteresse des AG vor, dann ist dieses als sachliche Rechtfertigung für den Eingriff in die Privatsphäre zu werten.76 3.4. Bedeutung für die Migräne Nachdem auch jene Fälle eine Mitteilungspflicht auslösen, in denen der AN aus gesundheitlichen Gründen seine Leistungspflicht nicht oder nur unzulänglich erfüllen kann, ist hier zu untersuchen, ob und ab welchem Grad eine bestehende Migräneerkrankung dem potenziellen Vertragspartner bekannt gegeben werden muss.77 Nachvollziehbar ist, dass ein AG möglichst hohe Gewinne erzielen möchte.78 Gesunde AN sind in der Regel leistungsfähiger und tragen erheblich zu einer Steigerung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei.79 Kann der AG aus der Beschäftigung eines AN keinerlei Nutzen ziehen, weil es ihm krankheitsbedingt unmöglich ist, die Tätigkeit allgemein auszuführen, so wird aufgrund der dauerhaften „Arbeitsunfähigkeit“ eine Offenbarungspflicht bejaht.80 Dem LG Wien lag ein Sachverhalt vor, bei welchem ein AN einen krankheitsbedingten, rund achtwöchigen Dienstausfall infolge eines Anfallsleidens verzeichnete. Eine Einschätzung, ob weitere Schübe auftreten und zu welcher Zeit sich diese ereignen würden, konnte nicht vorgenommen werden. Dieser Umstand war 74 Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 45. 75 Vgl Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 16 Rz 18 (Stand 01.03.2017, rdb.at). 76 Vgl Sabara, Heikle Fragen im Bewerbungsgespräch: Antwortpflicht des Arbeitnehmers?, ARD 6400/5/2014, 1 (4). 77 Vgl Assadi, Recruiting - was aus arbeitsrechtlicher Sicht zu beachten ist, AnwBl 2018/300, 795 (798). 78 Vgl Rabanser, Interessenabwägung beim Fragerecht des Arbeitgebers, ecolex 1993, 179, 179. 79 Vgl N.N., Gesunde Mitarbeiter sind leistungsfähiger, https://www.gesundheit- aktuell.de/artikel/gesunde-mitarbeiter-sind- leistungsfaehiger.html#:~:text=Gesunde%20und%20motivierte%20Mitarbeiter%20sind,Das%20 ergab%20eine%20finnische%20Studie, (abgerufen am 08.01.2023). 80 Vgl Rabanser, Interessenabwägung beim Fragerecht des Arbeitgebers, ecolex 1993, 179, 179. 19
mitunter ausschlaggebend dafür, dass dem AN bei Begründung des Arbeitsverhältnisses keine Bekanntgabepflicht hinsichtlich der Erkrankung aufgetragen werden konnte.81 Überträgt man diese Judikatur unter Berücksichtigung der theoretischen Ausführungen auf die Migräne, so ergibt sich, dass für eine Beurteilung insbesondere die Häufigkeit der Attacken und die zahlreichen Formen der Migräne heranzuziehen sind. AN, die einmal im Monat oder noch seltener Migräneattacken erleiden, werden angesichts der Unvorhersehbarkeit der Anfälle keinesfalls von sich aus über das Bestehen der Erkrankung aufklären müssen.82 Im Gegensatz dazu können schwerere Verlaufsformen wie bspw die chronische Migräne zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit führen.83 In einem solchen Kontext wird eine Offenbarungspflicht hingegen sehr wohl zu bejahen sein, zumal der AG hier die Bekanntgabe erwarten darf. Unabhängig von einem bestehenden Informationsanspruch des AG ist die wahrheitsgemäße Beantwortung einer von ihm gestellten gesundheitsbezogenen Frage zu betrachten.84 Im Unterschied zu einem Bürojob, bei dem Mitmenschen durch Migräneattacken nicht berührt werden, ist bei einer Position als Chirurg eine Migräne, sofern sie wie im erst genannten Beispiel monatlich auftritt, ehrlich anzuführen. Die Rechtfertigung liegt in der Gefahr einer Schädigung von Patienten, die speziell durch eine Migräne mit Aura verursacht werden könnte. Das Interesse des AG wird in diesem Fall als höherrangig zu qualifizieren sein. Eine allgemeingültige Aussage kann folglich nicht getroffen werden, da stets eine situationsbezogene Einzelfallbetrachtung zu erfolgen hat. Unabhängig von den konkreten Umständen ist es empfehlenswert, den AG und das Kollegium gleichermaßen über eine Migräneerkrankung in Kenntnis zu setzen. Dadurch kann ein bedürfnisorientiertes Unterstützungsangebot erarbeitet und eine Rücksichtnahme in Akutsituationen gewährleistet werden. Trotz etwaiger Ängste von Betroffenen, die sich vor allem auf Konfrontationen mit 81 Vgl Rabanser, Interessenabwägung beim Fragerecht des Arbeitgebers, ecolex 1993, 179, 179. 82 Vgl OGH 29.10.1993, 9 ObA 227/93. 83 Vgl N.N., Migräne und Berufsunfähigkeit, https://www.leben-und-migraene.de/leben-mit- migraene/arbeitsleben-recht/berufsunfaehigkeit, (abgerufen am 08.01.2023). 84 Vgl Gerlach/Risak/Schrank/Höfle, Praxishandbuch Arbeitsvertragsgestaltung2 (2019), 45. 20
Vorurteilen beziehen, ist zu berücksichtigen, dass eine Offenlegung der Migräne aufgrund angemessener Verhaltensweisen zu einer Verringerung der Ausfallzeiten beiträgt. Dadurch werden sowohl Vorteile für den AN selbst als auch für den AG geschaffen.85 Überdies zeigte eine Umfrage der EMHA, dass im Durchschnitt knapp 45 Prozent der AG und 63 Prozent des Teams Verständnis hinsichtlich migränebedingter Einschränkungen aufbringen und dahingehende Unterstützungsmaßnahmen ergreifen.86 4. Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit Als „Arbeitsfähigkeit“ wird die Gesamtheit aller Komponenten bezeichnet, die es dem AN ermöglichen, die von ihm am Arbeitsplatz geforderten Tätigkeiten erfolgreich zu verrichten.87 Sie wird sowohl als Maßstab für die Produktivität als auch für die Leistungsergebnisse der Belegschaft herangezogen. Die Aufrechterhaltung und Förderung hängt dabei nicht nur vom AN und dessen gesundheitlichen Aspekten ab, sondern kann auch durch den AG verstärkt werden.88 4.1. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit aufgrund einer Migräneattacke Der Mittelwert einer Betroffenenbefragung ergibt, dass AN aufgrund von Migräneanfällen an rund 16 Arbeitstagen im Jahr an der Erbringung ihrer vertraglich vereinbarten Leistung gehindert sind.89 In den erwerbsfähigen Lebensjahren zwischen dem 20. und 40. Geburtstag erreicht die Migräne ihren Höhepunkt.90 Häufigkeit und Intensität der Attacken variieren dabei stark und können nicht einheitlich beantwortet werden. Die durchschnittliche Frequenz 85 Vgl N.N., Migräne > Beruf, https://www.betanet.de/migraene-beruf.html, (abgerufen am 09.01.2023). 86 Vgl Ruiz de la Torre, Migraine at work, European survey. Analsys [sic] of results and conclusions, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/EMHA-Migraine-at-work.pdf (317, 342), (abgerufen am 10.01.2023). 87 Vgl Rimser, Generation Resource Management, Nachhaltige HR-Konzepte im demografischen Wandel (2014), 95. 88 Vgl Rimser, Generation Resource Management, Nachhaltige HR-Konzepte im demografischen Wandel (2014), 97. 89 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 70. 90 Vgl Lunz, Migräne: Die Krankheit wird entschlüsselt, https://www.profil.at/wissenschaft/migraene-die-krankheit-wird-entschluesselt-neue-therapien- entwickelt/401072277, (abgerufen am 09.01.2023). 21
beläuft sich jedoch auf ein bis zwei Anfälle pro Monat.91 Während der andauernden Attacken ist die Fähigkeit, Leistungen zu erbringen, eingeschränkt. Das Ausmaß der Reduktion beurteilt sich anhand unterschiedlicher Kriterien wie der Migräneform, der Kopfschmerzstärke und dem Auftreten der Begleiterscheinungen. Eine Allgemeinaussage zur Dimension kann folglich nicht getroffen werden.92 Insbesondere die Migräne mit Aura kann aber ein weitreichendes Hindernis für die Fortführung von Handlungen darstellen.93 Sinneseindrücke, die während eines Anfalls auf Betroffene einprasseln, werden nahezu unerträglich und erfordern einerseits den Rückzug in ein dunkles, ruhiges Zimmer, andererseits den Abbruch von gegenwärtigen Arbeitsaktivitäten.94 Ob und wie sich die Migräne auf kognitive Fähigkeiten auswirkt, ist nach wie vor nicht eindeutig erforscht. Gründe hierfür liegen mitunter in der subjektiven Selbstwahrnehmung der einzelnen Individuen. Ihr Empfinden spielt bei der Beurteilung eine tragende Rolle. Patienten stellen jedoch übereinstimmend und vermehrt fest, dass intellektuelle Einschränkungen den Beginn einer Attacke symbolisieren. Demnach können bereits in der Vorbotenphase Konzentrationsprobleme ebenso wie verlangsamte Denkprozesse auftreten.95 2018 führte die EMHA eine Umfrage durch,96 an welcher über 3300 Migränepatienten aus sieben EU-Ländern teilnahmen. Diese ergab, dass sich rund 95 Prozent der Betroffenen mit dem Einsetzen einer Migräneattacke (Akutsituation) außerstande fühlen, ihrer Arbeit weiterhin nachzukommen. Darüber hinaus mussten bereits 19 Prozent einen Jobwechsel aufgrund der Erkrankung vornehmen. Von erheblicher Relevanz ist, dass Betroffene 91 Vgl Göbel, Migräne, Diagnostik – Therapie – Prävention (2012), 60. 92 Vgl Gaul, Kopfschmerz und Migräne, in: Kraus/Letzel/Nowak (Hrsg), Der chronisch Kranke im Erwerbsleben, Orientierungshilfe für Ärzte in Praxis, Klinik und Betrieb (2010), 249 (251). 93 Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002), 18. 94 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 298. 95 Vgl N.N., Migräne und ihre kognitiven Besonderheiten – Segen oder Fluch?, https://headache-hurts.de/infos/migr%C3%A4ne-und-ihre-kognitiven-besonderheiten-segen- oder-fluch, (abgerufen am 10.01.2023). 96 Vgl EMHA, Women at work, https://www.emhalliance.org/project/women-at-work/, (abgerufen am 09.01.2023). 22
grundsätzlich jeden Beruf praktizieren können.97 Selbst Schicht- und Nachtarbeiten stellen für die wenigsten eine Schwierigkeit dar.98 Erfahrungsgemäß scheitert es jedoch an den fehlenden Anpassungsmöglichkeiten und Konditionen, die zwangsläufig für die erfolgreiche Ausübung notwendig sind. Auch eine unzureichende Unterstützung durch den AG kann mitursächlich sein. Dadurch werden den Betroffenen wichtige Wege abgeschnitten und Optionen genommen, um entsprechende Fähigkeiten in den jeweiligen Bereichen unter Beweis stellen zu können.99 Interessant ist zudem das Vergleichsergebnis zwischen Selbstständigen und angestellten AN. Bei beiden Personengruppen dominierte die chronische Migräne, die bei der zuletzt genannten Klasse am häufigsten im Bereich des Baugewerbes anzutreffen war.100 4.2. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit aufgrund medikamentöser Behandlung Die Behandlung orientiert sich an dem Schweregrad der Attacke. Im Regelfall werden speziell für Migräne entwickelte Medikamente verordnet, die als „Triptane“ bekannt sind.101 Dessen Einnahme verhindert in Akutsituationen die weitere Ausschüttung von schmerzauslösenden Botenstoffen.102 Der entscheidende Faktor hierbei ist, dass sie zwar Linderung verschaffen und Begleiterscheinungen reduzieren, nicht jedoch den Krankheitsprozess selbst bzw den fortschreitenden vierstufigen Verlauf der Migräne unterbrechen.103 AN sind 97 Vgl Ruiz de la Torre, Women at Work results from Migraine at Work survej, The voice of Patients, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/women_at_work_.pdf, (abgerufen am 09.01.2023). 98 Vgl Ruiz de la Torre, Migraine at work, European survey. Analsys [sic] of results and conclusions, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/EMHA-Migraine-at-work.pdf (339), (abgerufen am 10.01.2023). 99 Vgl Ruiz de la Torre, Women at Work results from Migraine at Work survej, The voice of Patients, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/women_at_work_.pdf, (abgerufen am 09.01.2023). 100 Vgl Ruiz de la Torre, Migraine at work, European survey. Analsys [sic] of results and conclusions, https://www.emhalliance.org/wp-content/uploads/EMHA-Migraine-at-work.pdf (330), (abgerufen am 10.01.2023). 101 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 309. 102 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 100. 103 Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002), 100. 23
demgemäß nach wie vor in ihren Handlungen eingeschränkt.104 Zudem kann insbesondere bei schweren Verlaufsformen die Situation eintreten, dass Arzneimittel keine oder nicht ausreichende Wirkung entfalten. In diesem Fall ist eine notärztliche bzw klinische Betreuung und intravenöse Versorgung unvermeidbar.105 Selbst medikamentöse Prophylaxen tragen nur in einem begrenzten Umfang zur Linderung bei. Eine Reduzierung der Attacken um maximal die Hälfte wäre zwar realisierbar, dennoch ist eine gänzliche Heilung ausgeschlossen. Ferner steht eine solche Möglichkeit nicht allen Patienten offen, weil für die vorbeugende Medikamentengabe stets ein bestimmter Schweregrad der Migräne erforderlich ist.106 Auch Beeinträchtigungen durch kurzzeitig anhaltende Nebenwirkungen infolge der Einnahme von Präparaten sind denkbar.107 Die Schwierigkeit besteht hier allerdings in der Abgrenzung zu den Symptomen, die durch die Migräne verursacht werden. Es ist nicht zweifelsfrei zuordenbar, ob bspw die hochgradige Müdigkeit, die wiederum die Leistungsfähigkeit einschränkt, aus der Attacke selbst resultiert oder durch Arzneimittel hervorgerufen wird.108 4.3. Einschränkungen zwischen den Attacken Außerhalb der Attacken ist die Mehrheit der Betroffenen in vollem Umfang arbeitsfähig. Spezialisten im Bereich der Migräne beschreiben Patienten als pflichtbewusste Persönlichkeiten, die einen Hang zum Perfektionismus aufzeigen. Sowohl eine besondere Gewissenhaftigkeit als auch Leistungsfähigkeit sind kennzeichnend für sie.109 104 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 137. 105 Vgl Göbel, Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Ursachen beseitigen, gezielt vorbeugen, Strategien zur Selbsthilfe9 (2020), 328. 106 Vgl Gaul, Kopfschmerz und Migräne, in: Kraus/Letzel/Nowak (Hrsg), Der chronisch Kranke im Erwerbsleben, Orientierungshilfe für Ärzte in Praxis, Klinik und Betrieb (2010), 249 (252). 107 Vgl Diener, Migräne, Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten3 (2002), 108. 108 Vgl Gaul, Kopfschmerz und Migräne, in: Kraus/Letzel/Nowak (Hrsg), Der chronisch Kranke im Erwerbsleben, Orientierungshilfe für Ärzte in Praxis, Klinik und Betrieb (2010), 249 (254). 109 Vgl Kyburz, Migräne im Berufsleben, in: Agosti/Diener/Limmroth (Hrsg), Migräne & Kopfschmerzen, Ein Fachbuch für Hausärzte, Fachärzte, Therapeuten und Betroffene (2015) 329 (329 f). 24
Bildgebende Verfahren zeigen, dass intellektuelle Einschränkungen, die gegebenenfalls bereits in der Vorbotenphase auftreten, nicht bestehen bleiben, sondern nach überstandenen Attacken wieder abklingen. Dadurch wird erkennbar, dass sich die kognitiven Fähigkeiten zwischen den einzelnen Migräneanfällen ausgleichen und stabilisieren. Lediglich bei der chronischen Migräne können Defizite im Erinnerungsvermögen oder ähnlichen Bereichen entstehen, die auf die lange Dauer und Häufigkeit der Attacken zurückzuführen sind.110 5. Die Erfüllung von arbeitsvertraglich vereinbarten Pflichten Der Arbeitsvertrag, welcher als Dauerschuldverhältnis ausgestaltet ist, verpflichtet sowohl den AG als auch den AN zur gegenseitigen Erbringung von spezifischen Handlungen.111 Die Arbeitskraft des AN und die Zahlung des Entgelts durch den AG stehen einander als Hauptleistungen gegenüber. Darüber hinaus sind zusätzliche Nebenpflichten zu beachten, bei denen insbesondere die Fürsorge durch den AG von Bedeutung ist.112 5.1. Die Arbeitspflicht als Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers § 1153 ABGB normiert, dass der AN die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen hat.113 Eine allgemeine, dauerhaft gebührende Stellvertretungsmöglichkeit würde demnach den Merkmalen des Arbeitsvertrages widersprechen. Zulässig ist jedoch die Delegation einzelner Angelegenheiten, sofern der AG seine Zustimmung erteilt hat.114 Im Regelfall wird für die Ausführung der vereinbarten Tätigkeit aber die konkrete Vertragsperson von Relevanz sein.115 110 Vgl N.N., Migräne und ihre kognitiven Besonderheiten – Segen oder Fluch?, https://headache-hurts.de/infos/migr%C3%A4ne-und-ihre-kognitiven-besonderheiten-segen- oder-fluch, (abgerufen am 10.01.2023). 111 Vgl Brodil/Gruber-Risak, Arbeitsrecht in Grundzügen11 (2022), 92 Rz 221. 112 Vgl Brodil/Gruber-Risak, Arbeitsrecht in Grundzügen11 (2022), 98 Rz 235 f. 113 Vgl Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1153 ABGB Rz 2 (Stand 01.01.2018, rdb.at). 114 Vgl Felten in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1153 Rz 8 (Stand 01.08.2022, rdb.at). 115 Vgl Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1153 ABGB Rz 2 (Stand 01.01.2018, rdb.at). 25
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