Mit Kopftuch durch den Iran - Ich bin auf der falschen

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Mit Kopftuch durch den Iran - Ich bin auf der falschen
Eine westliche Touristin erlebt den vom Islam geprägten Alltag

     Mit Kopftuch durch den Iran

     I
             ch bin auf der falschen       Text: Katharina Pichler Bilder: Felix Hoch und Katharina Pichler             starrte mich an, es wurde getu-
             Seite. Auf der Seite der                                                                                   schelt und gelacht. «Was ist nur
             Männer. Der Hinweis           Katharina Pichler reiste mit ihrem Partner Felix Hoch in                     los?», fragte ich mich. Bald wurde
             «Women only» auf dem          einem aus­gebauten Mercedes-Kastenwagen überland von                         mir bewusst: Ich trug keinen
             Zugfenster ist mir zuvor      München nach ­Kathmandu. Dabei durchquerte sie im Juni                       Mantel.   Po und Schritt zu bede-
             nicht aufgefallen, und so                                                                                  cken, ist im Iran jedoch unerläss-
             stehe ich nun inmitten
                                           2012 auch den Iran: von der Hauptstadt Teheran durch die                     lich. Also suchte ich hastig das
     vieler Männer, die sich um mich       Wüste Dasht-e Kavir nach Isfahan, zu den Ruinen von Perse-                   nächste Mantelgeschäft auf. Dort
     drängen, und wünsche mich zu          polis, nach Schiras und Bam. Sie staunten nicht nur über den                 angekommen, standen mir die
     den Frauen. Eine fast unsichtbare     Zauber Persiens und die Gastfreundlichkeit und Neugierde                     Tränen    zuvorderst – keine der
     Linie trennt die Geschlechter im                                                                                   Angestellten schickte sich an, mir
                                           der Iraner – sondern auch über Vorschriften und ­Regeln,
     Zuginnern der Metro von Tehe-                                                                                      zu helfen, alle starrten mich bloss
     ran. Übersieht man den Hinweis        mit denen Katharina sich zuerst vertraut machen musste.                      an. Nachdem ich jedoch mit ei-
     auf Geschlechtertrennung beim                                                                                      nem Mantel bekleidet aus der
     Einsteigen, ist die Verwunderung gross – ent-     Des Kaisers neue Kleider. Als wir vor einigen      Umkleidekabine kam, lachten mir die irani-
     weder findet man sich dann als Frau aus- Tagen in Teheran ankamen, war ich mit den                   schen Verkäuferinnen herzlich entgegen.
     schliesslich von Männern umgeben oder als         Kleidervorschriften für Frauen im Iran noch
     Mann umhüllt von Parfümwolken und Ge-             nicht so vertraut. Ich dachte mir, es sei wichtig, Wer schön sein will. In der überlaufenen Me-
     schnatter. Ich spüre die neugierigen Blicke der   die Kopfhaare zu verdecken und schwarze, lan-      tro ist eines nicht zu übersehen: Der Iran ist
     Männer auf mir und bin zum ersten Mal froh,       ge Kleidung zu tragen. Verglichen mit den schi-    das Land der Schönheitsoperationen. Viele –
     einen Schleier tragen zu müssen. Nur noch         cken Iranerinnen sah ich höchst unansehnlich       und nicht nur Frauen – laufen mit einem weis­
     zwei Stationen bis zum Imam-Khomeini-Platz,       aus. Auf den ersten Metern in Teherans Stras­      sen Hansaplast auf der Nase herum. Da das
     dann bin ich erlöst.                              sen fühlte ich mich ziemlich unwohl. Man           Gesicht das Einzige ist, was die Iranerinnen

52   GLOBETROTTER-MAGAZIN   winter 2014
Mit Kopftuch durch den Iran - Ich bin auf der falschen
iran

                                                                                                         kommt mir zugute, dass ich bereits beim
                                                                                                         Grenzübergang von der Türkei in den Iran
                                                                                                         nicht nur andere Kleidung angezogen, son-
                                                                                                         dern mir auch einen «Ehering» angesteckt
                                                                                                         habe. Meine beste Freundin hat ihn mir vor
                                                                                                         der Reise gegeben. «Als Schutz», wie sie so
                                                                                                         schön sagte. Die Frauen kommen mit mir in
                                                                                                         unser Auto, wollen sich das Innenleben anse-
                                                                                                         hen. Plötzlich nehmen sie ihre Eheringe ab
                                                                                                         und zeigen sie mir ganz stolz. Auch die Gra-
                                                                                                         vur. Auweia – ich weiss gar nicht, ob meiner
                                                                                                         auch graviert ist. Mein Herz klopft, denn ich
                                                                                                         befürchte, eine Inschrift würde meine Notlüge
                                                                                                         aufdecken. Aber mein Ring ist blank. Ein ganz
                                                                                                         einfacher Ring. Die Iranerinnen sind fast ein
                                                                                                         bisschen enttäuscht – zu wenig «Bling-Bling»
                                                                                                         konstatieren sie. Ich bin jedoch unglaublich
                                                                                                         erleichtert, als wir das Thema wechseln und
                                                                                                         ich keine weiteren Lügengeschichten mehr er-
                                                                                                         finden muss.
    Lebhaftes Treiben. Im Basar von Teheran.
ç    Bitte lächeln! Die iranische Jugend ist
     aufgeschlossen und posiert gerne.
è    Zwischenhalt. Die Autorin in einem Teehaus.

aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Ver-
schleierung zur Schau stellen können, sind Na-
senkorrekturen sehr beliebt. Aber nicht nur so
versuchen diejenigen Frauen, die nicht streng
gläubig sind, aufzufallen. Highheels, Lippen-
stift, Schmuck, knallige Farben, gefärbte Haare
und Kopftücher, die nach hinten rutschen und
so den Blick auf Haaransätze freigeben – das
ist die Realität, vor allem in den Grossstädten.
     Dass es fast 40 Grad heiss ist, ist in der Me-
tro schnell vergessen, hier läuft die Klimaanlage
auf Hochtouren. Für mich ist unvorstellbar, wie
es die Frauen in den Sommermonaten in ihren
Tschadors aushalten – mir jedenfalls läuft der
Schweiss in Strömen herunter. «Es ist eine Tor-
tur für unsere Frauen», sagt Navid. Er ist in den
letzten Tagen unser Freund geworden. Mit sei-
ner lustigen, lockeren Art, seiner Höflichkeit
und Schüchternheit, seiner Dankbarkeit und
Traurigkeit berührt er mich sehr. Navid wartet
schon lange auf sein Visum für Deutschland,
denn er möchte in der Nähe von Aachen stu-            Ruhe. «Ich habe nur ein Leben. Warum sollte        Sittenpolizei und Gastfreundschaft. Auf dem
dieren. Seine Freundin hat es bereits geschafft       ich es aufs Spiel setzen?» Er will nach Deutsch-   Weg zu «Baame Tehran» – oder auch «Dach
und ist seit ein paar Monaten in Saarbrücken.         land, ein neues Leben aufbauen, dort vielleicht    von Teheran» – einem Berg im Norden der
Alles, was mit Deutschland zusammenhängt,             für immer bleiben.                                 Stadt – passiere ich mit Daryaa und ihrer
liebt er. Auf dem Desktop seines Computers er-                                                           Freundin Nasrin die Sittenpolizei. Männer und
scheint ein Bild des Fussballspielers Schwein-        Oh du schönes Teheran. Teheran ist die mo-         Frauen, islamisch korrekt gekleidet, stehen am
steiger. «Denkt ihr, es ist möglich, das Team von     derne Hauptstadt des Iran und zählt 15 Millio-     Strassenrand und werfen jedem Ankömmling
Bayern München in Deutschland zu treffen?»,           nen Einwohner. Trotz Chaos und Hitze liebe         kritische Blicke zu. Dass jemand wegen zu lo-
fragt er. Wenn er in München ist, will er die         ich diese Stadt. Drei Tage Aufenthalt sind ge-     ckerer Kleidung eine Nacht im Gefängnis ver-
Mannschaft unbedingt beim Training besuchen.          plant – wir bleiben schlussendlich zehn. Beim      bringen muss, ist keine Seltenheit. Die beiden
     Navid erzählt, dass er den Iran noch nie         Schlendern über den Bazar lassen wir uns von       Iranerinnen ziehen sich ihre Kopftücher etwas
verlassen hat. Unsere Gespräche wechseln zwi-         Teppichhändlern um den Finger wickeln, be-         tiefer ins Gesicht, und ich blicke angespannt
schen Themen wie unserem Musikgeschmack               suchen die Imam-Khomeini-Moschee wäh-              nach vorne.
und der grünen Revolution von 2009. Navid             rend des Freitagsgebets, bestaunen eine der vie-       Bloss keinen Augenkontakt herstellen. Wir
war dabei. Das Mädchen, das dort getötet und          len Kunst- und Fotoausstellungen und trinken       dürfen weiterfahren. Es macht den Anschein,
zum Gesicht der Revolution wurde, war eine            im Studentenviertel gemeinsam mit jungen Te-       dass das Wort «kontrovers» aus dem Iran
entfernte Bekannte von ihm. Navid glaubt              heranern ein alkoholfreies Bier. Alkohol ist im    stammt, denn dieses Land besteht aus zwei pa-
nicht, dass es bald wieder zu Aufständen kom-         Iran verboten.                                     rallelen Welten. Die eine spielt sich vor und die
men wird, denn die Menschen sind noch zu                  Eines Abends werden wir von einer irani-       andere hinter der Haustür ab. Sobald die Tür
sehr verletzt, und eigentlich will jeder nur seine    schen Familie zum Picknick eingeladen. Da          ins Schloss fällt, fällt in den meisten Häusern

                                                                                                                                                             53
Mit Kopftuch durch den Iran - Ich bin auf der falschen
ist wahrlich ein Erlebnis. Auch wenn es hier
                                                                                                                eigentlich «nichts» gibt, ändern sich die Land-
                                                                                                                schaftsbilder in der Kavir-Wüste doch enorm:
                                                                                                                von schroffen Berglandschafen über trockene
                                                                                                                Ebenen mit Büschen, zu trockenen buschlosen
                                                                                                                Flächen bis hin zur Sandwüste. Das Vehikel für
                                                                                                                die fast 500 Kilometer lange Fahrt muss selbst-
                                                                                                                verständlich fit sein, denn bis auf ein paar LKW
                                                                                                                und die eine oder andere Kamelherde kommt
                                                                                                                uns kaum jemand entgegen. Wir verbringen
                                                                                                                eine Nacht unter dem Sternenzelt und sind
                                                                                                                überwältigt. Unendliche Stille und das Univer-
                                                                                                                sum so nah. Unvergesslich.
                                                                                                                    Da ich mich in der Wüste wie der einzige
                                                                                                                Mensch auf Erden fühle, lege ich den Schleier
                                                                                                                trotz der rigorosen Vorschriften ab. Das Tragen
                                                                                                                des Kopftuchs ist im Iran überall Pflicht. Die
                                                                                                                Strasse ist in beide Richtungen menschenleer,

     auch der Schleier. Es wird gelacht, getrunken
     und Musik gehört. Nicht wenige führen hinter
     verschlossenen Türen ein Leben wie wir im
     Westen.
         Beim halbstündigen Spaziergang zur Spitze
     des kleinen Berges, wo sich ein beliebter Treff-
     punkt für junge Teheraner befindet, ist die Sit-
     tenpolizei vergessen und die Stimmung wieder
     gelöster. Die Aussicht von oben ist grandios,
     besonders bei Nacht.
         Als wir uns an einem der vielen Essens-
     stände ein Stück Pizza holen, wird das Ver-
     ständnis der Gastfreundschaft wie so oft deut-
     lich: «Ihr seid meine Gäste», versichert Daryaa
     und zahlt. So sehr ich mich auch anstrenge,
     Daryaa lässt nicht zu, dass ich selbst bezahle.
     Mit den wenigen Touristen, die den Iran berei-
     sen, sind wir uns stets einig: Die Gastfreund-
     schaft in diesem Land ist überwältigend. So
     ausgeprägt haben wir das auf unserer bisheri-
     gen Reise noch nirgends erlebt. Sicherlich wäre
     es möglich, einige Wochen als Tourist durch
     dieses wunderbare Land zu reisen, ohne jemals
     in einem Hotel unterkommen zu
     müssen. Vor allem Touristen, die den                                                                                kleine Windböen wirbeln Sand in die
     Iran mit dem Fahrrad oder per An-                                                                                   Luft, Stille umgibt uns. Doch plötz-
     halter erkunden, berichten von un-                                                                                  lich taucht ein Polizeiauto mit zwei
     zähligen Einladungen, die ihnen ge-                                                                                 Polizisten auf. «Wir sind im Iran.
     genüber ausgesprochen wurden.                                                                                       Bitte bedecken Sie Haare und Kör-
     Wild campen ist in vielen Regionen                                                                                  per!» Und das mitten in der Wüste
     auch kein Problem. Bis auf das Gebiet                                                                               bei 50 Grad. Skurril. Für Touristin-
     Belutschistan im Südosten ist der                                                                                   nen wie mich bleibt es gewöhnlich
     Iran derzeit ein sicheres Reiseland.                                                                                bei einer Verwarnung. Die Polizisten
     Natürlich muss die aktuelle Sicher-                                                                                 düsen mit einem Augenzwinkern da-
     heitslage vor jeder Reise abgeklärt                                                                                 von, und ich bin unglaublich erleich-
     werden.                                                                                                             tert.

     Wüstendurchquerung. Der Iran hat                                                                                    1001 Nacht in Isfahan. Wieder in der
     zwei Wüsten. Die Dasht-e Kavir im                                                                                     Zivilisation angelangt, erwartet uns
     Norden und die Dasht-e Lut im Sü-                                                                                     Isfahan, die Perle Persiens. Im Gegen-
     den. In Semnan – zirka 200 Kilome-                  ééé   Bezaubernd. Die jungen Iranerinnen sind                     satz zu Teheran ist die Stadt klein,
     ter östlich von Teheran – starten wir die Durch-          stets gut gekleidet und geschmackvoll gestylt.   überschaubar, sauber und touristisch. Hier
     querung der Dasht-e Kavir. Zuerst fahren wir        éé    Vermeintliche Freiheit. Ohne Schleier in         komme ich mir wahrhaftig vor wie in den Er-
     in Richtung Mo’alleman und dann weiter nach               der Wüste. Doch nichts bleibt unbemerkt...       zählungen aus 1001 Nacht: Moscheen, Märkte,
     Nain. Die Strasse ist meist gut geteert und zwei-        Abendstimmung. Während der Durchque-             Parkanlagen, historische Hotels und Restau-
                                                               rung der Wüste Dasht-e Kavir.
     spurig. Vierradantrieb ist nicht nötig. Von ei-                                                            rants – alles ist wunderschön und gepflegt. Rie-
     nem Ende der Wüste zum anderen zu reisen                                                                   sige Kuppeln und Säulen mit stilvollen Mosaik­

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Mit Kopftuch durch den Iran - Ich bin auf der falschen
iran

verzierungen ziehen uns immer wieder in ihren     der Innenhöfe des Bazars und ge-
Bann. Die Einwohner Isfahans erscheinen mir       niessen verschiedene Fleischspiesse
noch schicker als die restlichen Iraner.          mit Reis, dazu Joghurt, Salate und
    Der Imam-Platz hat abends besonderes          Nan – iranisches Fladenbrot. Mein
Flair: Ein grosser Brunnen in der Mitte, flan-    Leibgericht hier heisst «Mirza Gha-
kiert von der atemberaubenden Imam-Mo-            semi» – zerdrückte Auberginen mit
schee, kleine Grünflächen, das Hufgeklapper       Tomaten, Eiern und viel Knob-
der Pferdekutschen, Lichter ringsum und jede      lauch. Selbst wem nicht nach Essen
Menge Iraner beim Picknicken. Tagsüber er-        ist, sollte hier zumindest auf ein
scheint der Platz menschenleer, abends            Glas Schwarztee und ein paar Dat-
herrscht jedoch viel Trubel. Die Imam-Mo-         teln vorbeischauen.
schee ist laut etlicher Reiseführer eine der
schönsten Moscheen der Welt. Daran zweifle        Persische Höflichkeit. «Sind Sie
ich nicht, denn sie ist durchaus ein Meister-     aus Deutschland?», fragt uns der
werk. Allerdings nicht das Einzige. Sehenswert    Taxifahrer auf dem Weg vom So-
sind auch die Hakim- und die Jameh-Moschee.       nati zurück ins Hotel. Ahmed er-
Für ein Mittagsschläfchen ist der Park südwest-   zählt in gebrochenem Deutsch,                      éé   Mach mal Pause. Vor diesem geschlos-
lich des Imam-Platzes ideal. Dort strecken wir    dass sein Bruder in Düsseldorf lebt. Auch er            senen Geschäft sitzt sichs gemütlich.
uns im Gras unter einem der vielen Bäume aus      würde gerne nach Deutschland reisen, hat aber          Prachtbau. Imam-Moschee in Isfahan.
und schauen den Menschen bei ihrer Lieblings-     bis jetzt kein Visum bekommen. «Die denken,
beschäftigung zu – dem Picknicken. Oder wir       ich gehöre der Hisbollah an, ich sei ein Terro-    nizieren, ist für uns normalerweise kein Prob-
entspannen uns im Teehaus am Ufer des Zayan-      rist!», sagt er lachend. Beim Aussteigen hält er   lem. Hier ist das anders. Sehr oft ernten wir ein
deh-Flusses.                                      ein schmales Buch in die Höhe mit dem Titel        «Was? Ich verstehe nicht!». Auch haben die Ira-
    Wer auch beim Abendessen vom Zauber           «Die 10 besten Haushaltstipps» – seine Deutsch-    ner keine Hemmungen, fröhlich auf Farsi los-
Isfahans noch nicht genug hat, geht ins Sofreh    lektüre.                                           zulegen. Selbst wenn wir ankündigen, kein
Khane Sonati am Imam-Platz. Im Schneidersitz           Iranische Taxifahrer halten nicht nur lie-    Farsi zu sprechen, spricht unser Gegenüber
zu essen, mag nicht jedermanns Sache sein, je-    bend gerne einen Plausch, sondern sprechen         dennoch in seiner Muttersprache, einfach et-
doch ist das «Takht» – das Podium, auf welchem    oftmals unverzüglich eine Essenseinladung aus.     was langsamer und lauter.
gespeist wird – Tradition und erhöht zudem die    Auch wenn die Verständigung häufig schwer              Bei der nächsten Taxifahrt lädt uns Nasser
1001-Nacht-Atmosphäre. Durch die farben-          fällt, ist die Geste der Nahrungsaufnahme doch     zum Essen ein. Wir freuen uns, endlich die ira-
prächtigen Fensterläden blicken wir auf einen     recht klar. Mit Händen und Füssen zu kommu-        nische Hausmannskost kennenlernen zu dür-

                                                                                                                    winter 2014   GLOBETROTTER-MAGAZIN   55
Mit Kopftuch durch den Iran - Ich bin auf der falschen
fen, und nehmen dankend an. Bei der Verab-
     schiedung wollen wir uns für den Abend fest
     verabreden und unsere Nummern austauschen.
     Aber Nasser ruft freundlich lächelnd «Ich wün-
     sche euch einen schönen Tag» durch die halb
     geöffnete Fensterscheibe und gibt Gas. «Wie
     bitte? Haben wir die Einladung zum Essen etwa
     falsch interpretiert?» Nein, haben wir nicht.
     Doch wir haben uns nicht an die Regeln von
     «Taarof» gehalten.
          Die Erklärung für diese Höflichkeitsfloskel
     ist in den meisten Reiseführern zu finden. In-
     formiert man sich vor der Reise, dann wundert
     man sich auch nicht, wenn der Taxifahrer bei
     der Frage nach den Fahrtkosten mit vehemen-
     ter Geste abwinkt. Denn auch das ist «Taarof».
     Das bedeutet keineswegs, dass er kein Geld will.
     Er will es – nimmt es aber erst nach zwei- bis
                                                                                                                           Geselliges Isfahan. Auf dem Imam-Platz.
                                                                      rius errichtet, stellte Persepolis das          ç     Begegnung. Zwei Iraner bei einer LKW-
                                                                      religiöse und kulturelle Machtzen-                    Haltestelle in der Wüste Dasht-e Kavir.
                                                                      trum des persischen Reiches dar.
                                                                          Eine breite Strasse führt zum               die Namen der grossen persischen Poeten. Das
                                                                      Eingang des antiken Palastes. Ich               Mausoleum von Hafis wird jeden Abend zum
                                                                      schliesse die Augen und stelle mir              Pilgerort. Unzählige Leute möchten den stei-
                                                                      vor, wie Alexanders Truppen dort                nernen Sarg bestaunen. Ich geniesse es, einfach
                                                                      einmarschiert sind. Pferdegewie-                nur auf einer Bank unter Orangenbäumen zu
                                                                      her, Menschengeschrei, Hitze,                   sitzen und den Gedichten aus den Lautspre-
                                                                      Staub, Aufregung, Angst. Heute ist              chern lauschen. Ach, verstünde ich nur Farsi!
                                                                      Persepolis eine Touristenattrak-                Auf der Bank neben mir sitzt ein alter einhei-
                                                                      tion, auch bekannt aus dem gleich-              mischer Mann mit grauem Haar, leicht ge-
                                                                      namigen französischen Zeichen-                  krümmtem Kreuz, weissem Hemd und Hosen-
                                                                      trickfilm aus dem Jahr 2007. Allzu              trägern. Er blickt ins Leere und horcht. Ein
                                                                      viel ist nicht mehr übrig von Per-              schönes und trauriges Bild zugleich.
                                                                      sepolis, allerdings ist das Wenige
                                                                      von solcher Präzision und Schön-                «Can I talk to you?» Rund um den Hauptplatz
                                                                      heit, dass es uns staunen lässt.                          in Schiras tänzeln die Einheimischen ständig
                                                                      Auch wenn ich mir Persepolis ein-                         um uns herum. Ich übertreibe nicht – jeder will
                                                                      drücklicher und besser erhalten                           Kontakt mit uns aufnehmen. Manchmal erwi-
                                                                                                                                               sche ich mich beim typischen
     dreimaligem Anbieten an. Nach dem Motto:                                                                                                  Deutschsein. «Was will der von
                                                                     ARMENIEN ASERBAIDSCHAN
     «Ich habe es zwar nicht nötig, aber gut, dann        IR A N                                                                               mir? Bestimmt wittert er ein Ge-
                                                                                                                TURKMENISTAN
     nehme ich es halt.»                                                               Kaspisches                                              schäft – oder will womöglich so-
                                                                                          Meer
         Auf ähnliche Weise verhält es sich auch mit       TÜRKEI                                                                              gar klauen.» Dies ist natürlich
     Essenseinladungen. Iraner stehen für ihre Gast-                                                                                           nicht der Fall. Die Leute wollen
                                                                                  Teheran
     freundlichkeit und laden einen auch ein, wenn                                       Semnan           Dasht-e Kavir                        Englisch   üben und mehr über
     sie es sich vielleicht gar nicht leisten können.                                                                                          unser Herkunftsland erfahren.
     Als Eingeladener muss man dem Gastgeber laut                                              Isfahan
                                                                                                                                   AFGHANI-
                                                                                                                                   STAN        Persönliche Fragen wie «Seit
                                                                  IRAK
     «Taarof» die Möglichkeit geben, sich noch zu-                                                               Dasht-e Lut                   wann seid ihr verheiratet? Wart
                                                          SAUDI-
     rückziehen zu können. Deswegen gewöhnen              ARABIEN
                                                                                                    Persepolis                                 ihr davor schon verliebt? Habt
     wir uns an, jede Einladung mindestens zweimal                                                 Shiraz
                                                                                                                          Bam                  ihr Kinder? Warum nicht? Aus
                                                                                                                                     PAKISTAN
     mit «nein danke» zu beantworten. Besteht der                                                                                              welcher Stadt kommt ihr? Wie
     Gastgeber dann immer noch darauf, uns ein-                                       Persischer
                                                                                         Golf
                                                                                                                                               ist es da? Was denkt ihr über den
     zuladen, meint er es wirklich ernst.                                                                                                      Iran?», folgen oft rasch aufein-
                                                                                                   VAE          OMAN        Golf von Oman      ander. Ich komme kaum zum
     Reise in die Vergangenheit. Es gibt vermut-                                                                                               Antworten.
     lich nur einen Ort im Iran, an dem sich mehr                                                                                                   Fast zwei Stunden lang un-
     Touristen aufhalten als in Isfahan – und der       vorgestellt habe, bin ich doch sehr beeindruckt.                        terhalten wir uns mit einem 19-jährigen afgha-
     heisst Persepolis. Die Ruinen von Persepolis,      In mir breitet sich eine tiefe Ehrfurcht gegen-                         nisch-iranischen und einem 29-jährigen irani-
     die 50 Kilometer nordöstlich von Schiras lie-      über diesem historischen Ort aus.                                       schen Studenten. Vor allem das Finden einer
     gen, sind der Inbegriff des persischen Reiches.        In Schiras befinden sich die Mausoleen der                          passenden Ehefrau ist für die beiden ein essen-
     Bevor Alexander der Grosse die Palastanlage        Dichter Hafis und Saadi. Neben dem Koran hat                            zielles Thema. Sie gestehen uns, andauernd an
     330 v. Chr. von seinen Truppen zu Boden reis­      angeblich jeder Iraner ein Buch von Hafis in                            Mädchen denken zu müssen, denn sie seien ja
     sen liess, war sie das Juwel des Orients und der   seinem Haus. Gedichte sind ein wichtiger Be-                            immer von ihnen getrennt. «Meine Mutter
     ganze Stolz der Perser. 200 Jahre vor Alexan­      standteil im Leben der Iraner. Hafis, Saadi, Fir-                       wird die richtige Frau für mich finden», erklärt
     ders Angriff von dem Achämenidenkönig Da-          dausi, Rumi und Omar Chayyam – das sind                                 der Ältere der beiden. Seine Frau soll wie eine

56   GLOBETROTTER-MAGAZIN   winter 2014
Mit Kopftuch durch den Iran - Ich bin auf der falschen
iran

                                                                                                      delle «Arg-e Bam», wurde dabei fast komplett
                                                                                                      zerstört. Die grösste Lehmstadt der Welt zerfiel
                                                                                                      innerhalb weniger Sekunden zu Staub. Nach fast
                                                                                                      neun Jahren ist Bam aus den Ruinen auferstan-
                                                                                                      den, und ein grosser Teil des «Arg-e Bam» steht
                                                                                                      wieder. Der Charme einer 2000 Jahre alten Ru-

   Arg e-Bam. Ruine der Zitadelle in Bam.
ì   Autorenpaar. Schreiberin Katharina Pichler
    und Fotograf Felix Hoch.
è   Akbar. Die gute Seele von Bam.

beste Freundin sein und am liebsten aus
seinem Dorf kommen. So kann er sicher
sein, dass sie beide auf einer Wellenlänge
sind. Ausserdem möchte er gerne nach
Australien auswandern. Als ich ihm zum
Abschied die Hand reiche, weicht er irri-
tiert vor mir zurück: «Händeschütteln mit
Frauen ist für uns nicht üblich.» Ich bin
verunsichert und leicht beschämt. Auf                                                                 ine ging beim Wiederaufbau der Zitadelle leider
mein Nachfragen erklären sie mir, dass                                                                verloren, sie ist aber immer noch atemberau-
dieses Verhalten als eine Geste des Res-                                                              bend und absolut sehenswert.
pekts meinem Partner gegenüber verstanden          jedoch noch Platz angeboten. Von streng mus-           Neben der Besichtigung der Ruinen gibt es
wird.                                              limischen Männern werde ich häufig ignoriert,      noch ein weiteres Muss in Bam: Akbar's Guest
                                                   meine Fragen werden nicht beantwortet, selbst      House. Der Besitzer Akbar erscheint wie ein
Vorurteile adé. Der Iran ist für mich wie für      wenn – oder wohl eben gerade weil – ich sie        Zauberer aus dem Film Harry Potter, der einem
Felix eine andere Welt: Islam, Kopftuchpflicht,    direkt anspreche. Mein Reisealltag in diesem       ständig tolle Weisheiten zuflüstert. Er hat beim
kontrollierte Medien und dadurch Isolation         Land wäre eine deutlich grössere Herausforde-      Erdbeben 81 Familienmitglieder und Freunde
von der Aussenwelt, streng muslimische Ver-        rung geworden, wäre ich ohne Felix unterwegs:      verloren und danach alles von Neuem aufgebaut.
haltensweisen, Alkoholverbot. All das erschien     Ich würde viel mehr Zeit für das Suchen nach       Er strotzt nicht nur von unbändiger Willens-
uns im Vorfeld unserer Reise fremd und mach-       Unterkünften, Finden von Wegen, Sehenswür-         kraft, sondern besitzt auch einen erfrischenden
te uns auch ein bisschen Angst. Zudem hat man      digkeiten und Supermärkten benötigen.              Humor. «Ich bin aus Kalifornien», sagt er in
aufgrund der medialen Berichterstattung ne-                                                           überzeugendem Englisch bei der Begrüssung.
gative Bilder im Kopf, wenn man an den Iran        Starkes Bam. Die letzte Station auf der Reise      Bis sein verschmitztes Lächeln aufblitzt, glauben
denkt. Doch bereits in den ersten Tagen unse-      durch den Iran ist die Wüstenstadt Bam am süd-     wir das auch. Schnell lernen wir, dass Akbar
res Aufenthaltes lösten sich alle falschen Vor-    lichen Zipfel der Wüste Dasht-e Lut. Zuerst ste-   nicht immer alles ernst meint.
stellungen und Unsicherheiten in Luft auf.         chen uns die zahlreichen Dattelpalmen ins Auge,         Sein ganzer Stolz sind seine Gästebücher der
Noch nie habe ich so viel Gastfreundschaft er-     denn von hier wird ein grosser Teil der berühm-    letzten Jahrzehnte, die er bei dem Erdbeben
fahren, noch nie so viel Offenheit und Neugier-    ten iranischen Datteln exportiert. Die Bamis       glücklicherweise retten konnte. Er hat sie sozu-
de. Noch nie hat mich ein ganzes Volk so sehr      sprechen den Datteln sogar potenzsteigernde        sagen in letzter Sekunde aus den Trümmern
berührt.                                           Kräfte zu. Die Früchte sind sehr nahrhaft und      gezogen. Als ich die Seiten mit all den Fotos und
                                                                                                                                                          © Globetrotter Club, Bern

    Und doch bin ich froh, mit meinem Partner      unglaublich köstlich. Zwischen den Palmen und      Einträgen von Menschen unterschiedlichster
unterwegs zu sein. Als allein reisende Frau eine   Häusern erkennen wir die Überreste der Katas-      Nationen durchblättere, steigt die Vorfreude auf
Unterkunft zu finden, wäre bestimmt nicht im-      trophe, welche Bam 2003 heimsuchte. An einem       neue Reiseerlebnisse und Begegnungen. Und
mer einfach. Von anderen Reisenden erfahren        frühen Morgen im Dezember erschütterte ein         Akbar, die gute Seele, strahlt so viel Zuversicht
wir, dass manchmal keine Zimmer mehr frei          Erdbeben der Stärke 6,8 die kleine Stadt. Inner-   aus, dass die Weiterreise nur gut kommen kann.
sind, wenn eine allein reisende Frau in einem      halb weniger Sekunden starben mehr als 30 000      Inschallah – so Gott will.
Hotel ankommt – Männern oder Paaren wird           Bamis. Auch das Wahrzeichen Bams, die Zita-                        katharina_pichler@hotmail.com

                                                                                                                                                          57
Mit Kopftuch durch den Iran - Ich bin auf der falschen
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                                                                                         obetrotter-C
                                                                                  ive Gl
                                                                            Inklus

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