Mitgliedermagazin des BVF - HEILPÄDAGOGISCHE FRÜHERZIEHUNG IM WANDEL - NEUE FACHLICHKEIT

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Mitgliedermagazin des BVF - HEILPÄDAGOGISCHE FRÜHERZIEHUNG IM WANDEL - NEUE FACHLICHKEIT
Mitgliedermagazin des BVF
                 NR. 104 – JUNI 2021

   SCHWERPUNKT

HEILPÄDAGOGISCHE
 FRÜHERZIEHUNG
   IM WANDEL –
NEUE FACHLICHKEIT

      SEITE 7

                               FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
Mitgliedermagazin des BVF - HEILPÄDAGOGISCHE FRÜHERZIEHUNG IM WANDEL - NEUE FACHLICHKEIT
2      Inhaltsverzeichnis

Was wir diesmal zum
Thema machen:

Editorial................................................................................................   3
Aktuelles aus dem BVF....................................................................... 4

HFE im Wandel – neue Fachlichkeit

Evidenzbasierung in pädagogischen und
therapeutischen Zusammenhängen?
oder: Warum handele ich so, wie ich handele?...............................                                7

HFE im Kontext einer neuen Fachlichkeit
Denkanstösse und Wahrnehmungen aus der Praxis........................ 13

Ein Blick auf das «Damals», «Heute» und «Übermorgen»
Gedankenkarussell zum Feld der Heilpädagogischen
Früherziehung in den letzten vier Jahrzehnten................................. 22

Mu-Ki-Wasserspielgruppe ................................................................ 32

Kommunikation im Zentrum –
der Wandel in der Audiopädagogischen Früherziehung.................. 34

Was bleibt nach der HFE von der HFE?
Teil 2: qualitative Erhebung................................................................. 38

Kinderschutz Schweiz: Die starke Stimme der Kinder..................... 43

Entwicklungsdiagnostik bei Kindern
mit einer Sehbehinderung................................................................. 48

Kinderbetreuung und Behinderung:
Angebotsmangel trotz substanziellem Bedarf................................... 52

Rezension............................................................................................ 57
Abkürzungsverzeichnis....................................................................... 58
Vorstand................................................................................................ 61
Geschäftsstelle /Vorschau.................................................................. 62
Cartoon................................................................................................ 63
Impressum........................................................................................... 64

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
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Editorial    3

                Liebe Leserinnen und Leser
                                            Tanja Alther

Schon Charles Darwin wusste: «Nichts in der          Wandel in der audiopädagogischen Früherzie-
Geschichte des Lebens ist beständiger als der        hung aufgezeigt und wir erhalten einen weiteren
Wandel». Wandel vollzieht sich jederzeit und         Einblick in das laufende Forschungsprojekt des
unaufhaltsam – so auch in unserem Berufsfeld.        Kinderspitals Zürich zum Thema «Was bleibt
Mancher Wandel wird sehnlichst erwartet und          nach der HFE von der HFE?». Ferner erfahrt ihr
auf andere Neuerungen könnte wahrscheinlich          in der Rubrik «aktuelle Berufspolitik» wie sich der
getrost verzichtet werden.                           Kinderschutz Schweiz gegen Gewalt an Kindern
                                                     einsetzt (zusätzlich zu diesem Artikel findet ihr
Woher kommt dieses Verlangen nach Verände-           auch den Leitfaden «Früherkennung von Gewalt
rung, nach Erneuerung? Es ist ein Grundbedürf-       in der frühen Kindheit» als Beilage). Zum Ab-
nis der Menschen sich zu verbessern und wei-         schluss erwarten euch noch ein Einblick in eine
terzuentwickeln. Nur so konnten wir uns soweit       Masterarbeit, in welcher die Entwicklungsdiag-
entwickeln und verschiedene Hochkulturen ent-        nostik bei Kindern mit einer Sehbehinderung
stehen lassen. Gleichzeitig fallen uns persönlich    beleuchtet wird und eine Vorstellung des Be-
Veränderungen oftmals extrem schwer. Diesen          richts von Procap Schweiz zur ausserfamiliären
Widerspruch erleben wir – glaube ich – tagtäg-       Betreuungssituation von Kindern – es lohnt sich
lich an uns selbst und auch in unserer Arbeit mit    bis zum Schluss zu lesen.
den Familien.
                                                     Ich wünsche euch eine abwechslungsreiche
Ich bin überzeugt, dass ein Schlüssel zu einem       Lektüre und etwas Zeit für Reflexion.
gelungenen Wandel und damit zu Verbesserun-
gen in der Reflexion liegt. Wer sich und seine
Arbeit (kritisch und auch wertschätzend) hinter-
fragen kann, kann sich auch weiterentwickeln.
Diese Fähigkeit ist gerade in unserem Arbeitsfeld
unabdingbar und benötigt einen gewissen Raum
im Alltag. Nehmen wir uns also alle ein bisschen
Zeit für die Lektüre dieser Ausgabe und setzen       Mit herzlichen Grüssen
uns mit unserer Ab- oder Zuneigung zu gewissen
Veränderungen auseinander.

Was euch bei der heutigen Lektüre erwartet:
Nach den Aktualitäten aus dem BVF erfahrt ihr,
wie ihr eure Evidenzbasierung in der Arbeit stei-
gern könnt. Es geht um die neue Fachlichkeit in
der HFE und wir erhalten von drei gestandenen
Heilpädagogischen Früherzieherinnen Einblicke,
wie sich ihre Arbeit in den letzten rund 35 Jahren
verändert hat. Des Weiteren wird eine Mut-
ter-Kind-Wasserspielgruppe vorgestellt, der                Tanja Alther

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4   Aktuelles

                      Aktuelles aus dem BVF
                          Franziska Brüngger und Sarah Wabnitz

Wir setzen uns ein!                               Offener Brief an die Kantone
                                                  Mit der anhaltenden Pandemie und nach di-
                                                  versen Anfragen aus dem Berufsfeld bezüglich
                                                  Impfung hat sich der BVF entschieden, mit
                                                  einem offenen Brief an die Kantone zu gelan-
                                                  gen. Ziel des offenen Briefes war es, die Kan-
                                                  tone auf die Berufsgruppe der Heilpädagogi-
                                                  schen Früherziehung aufmerksam zu machen
                                                  und auf die besondere Ausgangslage sowie
                                                  die Klientel der Heilpädagogischen Früherzie-
EDK Totalrevision                                 hung hinzuweisen, mit der Bitte, diese Bedin-
Die EDK nimmt im Jahr 2021/2022 eine Total-       gungen in den Impfstrategien der Kantone zu
revision der Anerkennungsreglemente für die       berücksichtigen. Der offene Brief wurde allen
pädagogisch-therapeutischen Lehrberufe vor.       Mitgliedern zur Verfügung gestellt und auf der
Der BVF arbeitet in der Arbeitsgruppe, beste-     Homepage aufgeschaltet.
hend aus Vertreter*innen von Universitäten,
Hochschulen, Kantonen und Verbänden, mit
und vertritt ebenfalls die Anliegen der ARPSEI.   Wir plaudern gern mit euch!
Diskutiert werden aktuell die Studiengänge
der Logopädie, Psychomotorik und Sonder-
pädagogik und die damit verbundenen Ab-
schlüsse Bachelor/Master. Im Herbst wird
auch die Anerkennung altrechtlicher Diplome
der Heilpädagogischen Früherziehung ein
Thema sein.
Als Argumentationsgrundlage für die Aner-
kennung des Studienganges der Heilpädago-         Zooméro
gischen Früherziehung (auf Masterstufe) hat       Am 15.04.2021 führten wir unseren dritten
der BVF ein Kompetenzprofil erarbeitet, wel-      Zooméro durch. Wir freuen uns, dass sich
ches aufzeigt, in welchen und in wie vielen       einige zu dieser einfachen, überkantonalen
Bereichen eine Fachperson Heilpädagogische        Austauschrunde zusammengefunden haben.
Früherziehung Kompetenzen erwerben muss,          In zwei Runden wurden während einer Stunde
um einen berufsqualifizierenden Abschluss zu      in Gruppen allerhand unterschiedliche Fragen
erreichen.                                        aus dem Berufsalltag diskutiert. Themen wa-

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Aktuelles   5

ren unter anderem die verschiedenen Aus-          Wir haben Elisabeth Gubler und Denise Eng
gangslagen und Angebote in Bezug auf inte-        mit einem Blumenstrauss für ihre hervorra-
grative Kita- oder Spielgruppenplätze, der        gende Arbeit als Revisorinnnen verabschiedet.
Medienkonsum, die subjektiv wahrgenomme-          Neu gewählt wurden für diese Aufgabe Elisa-
ne Zunahme an Verdachtsdiagnosen Autis-           beth Handschin und Lina Hansen. Der Vor-
mus-Spektrum und die damit verbundenen            stand freut sich auf die neue Zusammenarbeit
gegenwärtig laufenden Projekte für diese Kin-     und bedankt sich für den Einsatz!
der sowie die in einigen Kantonen aktuell sehr
anspruchsvollen Einschulungsverfahren. Es ist
einerseits spannend zu erfahren, welche The-
men in der Praxis und in den unterschiedli-
chen Kantonen gerade aktuell sind. Anderer-
seits ist es inspirierend zu hören, welche Er-
fahrungen, Lösungsansätze und Ideen andere
auf eigene Frage- oder Problemstellungen
haben. So können wir alle unser Wissen und
unsere Erfahrungen miteinander teilen und         Elisabeth Handschin     Lina Hansen
gegenseitig voneinander profitieren.
Das Datum für den nächsten Zooméro er-
fährst du in unserem Newsetter oder auf Lin-      Wir sind aktiv!
kedIn – sei auch du das nächste Mal dabei!

Mitgliederversammlung
Am 28.05.2021 fand unsere Mitgliederver-
sammlung statt - auch dieses Jahr wieder
digital. Da wir alle im letzten Jahr enorm viel
im Umgang mit digitalen Medien dazu gelernt
haben, entschieden wir uns (anders als letztes
Jahr) dieses Mal das Fachreferat ebenfalls        Procap
durchzuführen. Erneut konnte Frau Waigand         An einer Online-Konferenz am 11.05.2021 prä-
dafür gewonnen werden. Mit ihrem Vortrag          sentierte Procap ihren Bericht zu «Familiener-
zum Thema «UK genau jetzt – nicht dann! –         gänzender Betreuung für Kinder mit Behinde-
Modelling in der Unterstützten Kommunikati-       rung: Wo steht die Schweiz heute?». Der BVF
on» zeigte uns Frau Waigand auf, wie UK in        hat für diese Studie seine Kontakte ins Feld
den Alltag eingebaut und dadurch für UK-Nut-      der HFE zur Verfügung gestellt. Integration/
zer*innen positive Voraussetzungen für den        Inklusion im Frühbereich ist weiterhin ein
Spracherwerb geschaffen werden können.            Thema das den BVF beschäftigt und mit Netz-
Der «dialogue carrousel» wurde umfassend          werkpartnern diskutiert wird. Eine Zusam-
genutzt für einen reichhaltigen Austausch und     menfassung des Berichtes findet sich in die-
Vernetzung der Mitglieder.                        sem Heft.

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6   Aktuelles

Mehr profitieren!                                zweite Runde gegangen, in Form eines Inter-
                                                 views. Dieses kann im internen Bereich ange-
                                                 schaut werden. Wir bedanken uns herzlich
                                                 bei Prof. Dr. Fröhlich-Gildhoff für eine ab-
                                                 schliessende Zusammenfassung in Form ei-
                                                 nes Artikels in dieser Forumausgabe.

                                                 Sehen wir uns?
Ressort Social Media
Die Sozialen Medien gewinnen nicht nur we-       Kommende Termine
gen der Pandemie an Wichtigkeit, sondern
ganz allgemein. Der Vorstand des BVF hat         23.09.2021
daher entschieden, ein neues Ressort zu kre-     Antrittsvorlesung von Prof. Christina Koch,
ieren – das Ressort Social Media. Carina         HfH Zürch
Speck ist für dieses neue Ressort zuständig.     Die HfH hatte eine Professor*innenstelle
Mit der Homepage und der Aktivität des BVF       «Heilpädagogik der frühen Kindheit» ausge-
auf LinkedIn sind erste Grundsteine bereits      schrieben und durch Christina Koch besetzt.
gelegt worden. Insbesondere auf LinkedIn         Die neue Stelle dient dazu die Bedeutsamkeit
wollen wir die Berufsgruppe der Heilpädago-      eines Themengebietes der Heil- und Sonder-
gischen Früherziehung sichtbarer machen.         pädagogik spezifisch hervorzuheben und wei-
Folge uns auf LinkedIn.                          ter zu stärken. Es freut uns, dass dadurch die
                                                 Heilpädagogische Früherziehung und ihre
Neu: Rabatt für SZH-Zeitschrift                  Nachbarsgebiete zusätzliche Aufmerksamkeit
Als Mitglied des BVF hast du die Möglichkeit,    erhalten.
ein Jahresabonnement der Schweizerischen
Zeitschrift für Heilpädagogik mit einem Rabatt   13.11.2021
von 20% zu beziehen. Wenn du gerne von           50 Jahre ISP Jubiläumstagung:
diesem Angebot profitieren möchtest, dann        «Auf dem Weg zu Learning Communities in
schreib bitte an edition@szh.ch. Weitere In-     Frühförderung, Logopädie und Schule» (Nä-
formationen finden sich auf der Website          here Informationen hinten im Heft)
www.frueherziehung.ch unter Publikationen.
                                                 04./05.03.2022
Aus- und Weiterbildungstag                       Münchner Symposium Frühförderung:
Der Aus- und Weiterbildungstag ist nach dem      Zutrauen-Vertrauen: Kernressourcen in der
Referat von Prof. Dr. Fröhlich-Gildhoff in die   Frühförderung

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Aus- und Weiterbildungstag        7

      Evidenzbasierung in pädagogischen und
         therapeutischen Zusammenhängen?
    oder: Warum handele ich so, wie ich handele? 1
    Die Grundanforderung an professionelles Handeln
                                      Klaus Fröhlich-Gildhoff

Professionelles pädagogisch bzw. thera-               gilt das Prinzip der Begründbarkeit: Als
peutisches Handeln muss – im Unterschied              professionelle Fachperson muss ich –
zu «Alltagshandeln» – durch zwei grundle-             ggfls. im Nachhinein – begründen können,
gende Voraussetzungen gekennzeichnet                  warum ich so und nicht anders gehandelt
sein: Zum einen ein hohes Mass an Re-                 habe.
flexivität: Als professionelle Fachperson
muss ich wissen, was ich mache und zu-                Dies verweist auf den generellen «Kreislauf
mindest im Nachhinein darüber nachden-                professionellen Handelns» (Fröhlich-Gildhoff,
ken und – fühlen können. Zum anderen                  Rönnau-Böse & Tinius, 2020):

Abbildung 1: Kreislauf professionellen Handelns

1 Dieser Beitrag basiert auf vorherigen Veröffentlichungen des Autors, besonders Fröhlich-Gildhoff & Hof-

fer (2017). Es wurde aus Gründen der Lesbarkeit die weibliche Geschlechtsform gewählt, andere sind damit
inkludiert.

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8   Aus- und Weiterbildungstag

Zur Realisierung dieses Handlungskreislaufs       • Wie sind Wirkungen und Wirksamkeitsfak-
müssen Fachkräfte ihre Beobachtungen sys-           toren zu beschreiben und empirisch zu er-
tematisch durchführen und reflektieren sowie        fassen? Klassischerweise erfolgt hier der
das Beobachtete auf der Grundlage von the-          Verweis auf die in Medizin und Psychologie
oretischem Wissen über Verhaltensentste-            etablierten Designs nach dem «Goldstan-
hung und die je spezifische Situation des Kin-      dard» randomisierter Experimentalstudien
des/Gegenübers verstehen und analysieren.           (RCT-Designs, Wirtz, 2014; Otto, 2007), die
Das Verstehen führt zu Hypothesen über die          jedoch insbesondere beim Transfer in die
Verhaltensentstehung und damit zu einer             Praxis deutlich ihre Grenzen finden und aus
Handlungsplanung von passgenauen Begeg-             methodologischer Perspektive umstritten
nungs-antworten, die im weiteren Schritt in         sind (Fröhlich-Gildhoff & Hoffer, 2017).
der Begegnung mit dem Kind, in der Zusam-
                                                  • Wie lassen sich die in systematischen und
menarbeit mit den Eltern und ggfls. weiteren
                                                    kontrollierten Studien erfassten Wirkungs-
Institutionen umgesetzt werden. Das Handeln
                                                    zusammenhänge auf die ‚alltägliche‘ päda-
wird dann überprüft und reflektiert, damit eva-
                                                    gogische Handlungspraxis so transferieren
luiert und möglicherweise sind weitere Beob-
                                                    und transformieren, dass sie der Praxis an-
achtungs- und Analyseschritte für eine verän-
                                                    gemessen sind? Pädagogische Prozesse
derte Handlungsplanung nötig.
                                                    sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich
Damit wird dem – verstehbaren – Wunsch,
                                                    nicht normieren und standardisieren lassen;
rasch wirksame «Rezepte» zur Verfügung zu
                                                    pädagogisches Handeln entfaltet seine Wir-
haben, also von der Beobachtung direkt zum
                                                    kung stets mit einer gewissen Eigendyna-
Handeln zu kommen, ein systematisches,
                                                    mik und Eigensinnigkeit (vgl. Honig, 2002)
langfristig jedoch wirksames Vorgehen entge-
                                                    und ist grundlegend durch ein gewisses
gen gestellt.
                                                    Mass von Unbestimmtheit gekennzeichnet.
Die Grundlage für das Handeln stellen also die
                                                    Trotz der entsprechend notwendigen Flexi-
Analyse und Handlungsplanung dar, die wie-
                                                    bilität muss die Pädagogin oder Therapeu-
derum auf wissenschaftlich überprüften
                                                    tin wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse
Theorien und Modellen – wie bspw. dem
                                                    zur Handlungsplanung, -durchführung und
Bio-Psycho-Sozialen Modell – und/oder re-
                                                    -reflexion zur Verfügung haben (z.B. Fröh-
flektierter, durch Theorie begründbare Erfah-
                                                    lich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann & Pietsch,
rung beruhen sollte. Dabei sollten bei der
                                                    2014).
Planung ebenfalls Handlungsweisen ausge-
wählt werden, deren Wirkung wissenschaft-         • Wie werden die Interessen der Adressatin-
lich überprüft wurde (Evidenzbasierung).            nen, der Kinder und Familien berücksich-
                                                    tigt? Diese haben ja schon aus ethischer
Wirkungsorientierung und                            Sicht ein Anrecht darauf, dass als wirksam
Wirksamkeitsforschung                               identifizierte Massnahmen – z.B. evidenz-
Die Themen «Wirkungsorientierung» und               gesicherte Formen der Sprachförderung –
«Wirksamkeitsforschung» hängen mit mehre-           in der Praxis bestmöglich und passgenau
ren grundlegenden Fragen zusammen:                  umgesetzt werden.

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Aus- und Weiterbildungstag    9

Anforderungen an die Untersuchung                 es immer darum, den «Ausgangs»-Zustand
von Wirkungen                                     vor der Intervention mit dem «End»-Zustand
Bei der gezielten Untersuchung der Wirkung        nach der Intervention zu vergleichen und da-
einer Intervention – also einer klar beschreib-   bei das Vorgehen bei der Umsetzung bzw.
baren Handlung, eines Programms etc. – geht       Implementation zu berücksichtigen:

Abbildung 2: Grundprinzip der Wirkungsforschung

Dabei gibt es Kern-Anforderungen an die Un-         Untersuchungsgegenstand zu ermöglichen;
tersuchung der Wirkung(en) von Massnah-             zu bevorzugen sind sog. Mixed Methods
men bzw. Interventionen – insbesondere unter        Designs (Creswell, 2003) aus quantitativen
Praxisbedingungen. Aus der Literatur zur            und qualitativen Untersuchungsmethoden.
(Wirkungs-) Evaluation (z. B. Bortz & Döring,     • es sind verschiedene Perspektiven (v.a.
2006; Stockmann, 2006) lassen sich zentrale         Selbstbeobachtung, Fremdbeobachtung) zu
Anforderungen an entsprechende Studien und          berücksichtigen
Designs zusammenfassen:                           • es muss eine Verbindung von Prozessdaten
                                                    und Ergebnissen hergestellt werden kön-
• eine Intervention oder Handlungspraxis ist        nen.
  über mehrere Messzeitpunkte zu beobach-
  ten (mindestens vorher und nachher)             Auf diese Weise lassen sich auch Wirkungen
• es ist eine Vielfalt von Methoden (z. B. Be-    und wirksame Prozesse jenseits der klassi-
  obachtung, Interviews, Fragebögen, …) ein-      schen Experimentalforschung abbilden.
  zusetzen, um verschiedene Zugänge zum           Wichtig ist dabei ein systematisches, begrün-

                                                     FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
10   Aus- und Weiterbildungstag

detes und nachvollziehbares Vorgehen, das          den pädagogischen Fachkräften der beteilig-
an einem Beispiel verdeutlicht werden soll:        ten vier Durchführungs- und drei Vergleich-
Untersuchungsbeispiel: Gezielter Einsatz           seinrichtungen erfasst (Nentwig-Gesemann,
qualitativer Methoden zum Erfassen von             2011). Die Gruppendiskussion ist ein offenes
Veränderungen bei quasi-experimenteller            Verfahren der qualitativen Sozialforschung,
Bedingungsvariation                                das es ermöglicht, konkrete Erfahrungen und
                                                   Erlebnisse zu erfassen, die Eigendynamik und
Im Rahmen eines Projekts zur Resilienzförde-       Eigensinnigkeit von Projektpraxis zu verstehen
rung in Kindertageseinrichtungen in sozial         und die Veränderung von Orientierungen und
belasteten Quartieren (Fröhlich-Gildhoff &         Deutungen zu rekonstruieren (vgl. Bohnsack,
Rönnau-Böse, 2012) wurden mögliche Wir-            2003). Insgesamt wurden 14 Gruppendiskus-
kungen durch ein Vergleichsgruppendesign           sionen durchgeführt, jeweils sieben zu Pro-
mit quantitativen Methoden (standardisierte        jektbeginn und Projektende mit den Teams
Testverfahren; prä-post-Messung; Randomi-          der vier Durchführungs- und drei Vergleichs-
sierung war nicht möglich) erfasst. Eine po-       gruppeneinrichtungen). Diese Forschungsan-
tentielle Einflussvariable stellen bei Interven-   lage ermöglichte, sowohl querschnittliche als
tionen in Kitas die «Haltungen» (handlungslei-     auch längsschnittliche Vergleiche zwischen
tende Orientierungen) der pädagogischen            Durchführungs- und Vergleichseinrichtungen
Fachkräfte dar. Diese wurden durch eine ex-        und auch innerhalb der jeweiligen Gruppe im
terne Evaluation, die prozessbegleitend ange-      Hinblick auf Veränderungen über die Projekt-
legt war, mittels Gruppendiskussionen mit          zeit; es waren mithin vier Vergleiche möglich:

Abbildung 3: Design einer qualitativen Wirkungsanalyse (Nentwig-Gesemann, 2011)

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
Aus- und Weiterbildungstag      11

Die Analyse der Gruppendiskussionen zeigte     Bei der Evaluation des eigenen Handelns un-
deutliche Änderungen der «Haltungen» der       ter Berücksichtigung wissenschaftlicher Stan-
Fachkräfte in den Durchführungsgruppen         dards ist es wichtig, die eigene Intervention
über den Projektverlauf hinweg, die sich in    klar zu beschreiben, mehrere Messzeitpunkte
den Vergleichsgruppen nicht rekonstruieren     (vorher/nachher) zu berücksichtigen, mög-
liessen (Nentwig-Gesemann, 2011). Diese Er-    lichst verschiedene «Instrumente» (Interview;
gebnisse liessen sich dann wiederum mit den    systematische Beobachtungen; standardisier-
quantitativen Daten verbinden und es ergaben   ter Test; …) einzusetzen und möglichst unter-
sich vertiefte Erkenntnisse zu Wirkungszu-     schiedliche Perspektiven (Beurteilung durch
sammenhängen und -mechanismen.                 verschiedene Personen, an verschiedenen
                                               Orten, zu verschiedenen Zeiten, …) einzube-
Fazit für die Praxis                           ziehen. Optimal ist es, Vergleiche herzustellen
Wirkungsorientiertes und evidenzbasiertes      – zu anderen Gruppen, die andere Interventi-
pädagogisches und therapeutisches Handeln      onen erhalten haben oder solchen, die keine
hat als Grundlage immer ein geplantes und      erhielten. Dies gilt auch bei entsprechenden
begründetes, systematisches Vorgehen, keine    systematisch kontrollierten Einzelfallstudien.
«Abkürzungspädagogik». Dies bedeutet, dass     Es ist schön und bedeutsam, wenn sich Prak-
es wichtig ist, Beobachtetes sorgfältig – am   tikerinnen trauen, systematisch die Wirkun-
besten im Austausch mit anderen – zu analy-    gen des eigenen Handelns zu untersuchen
sieren, darauf aufbauend unter Hinzuziehung    und dabei auch offen für «Abweichungen» zu
wissenschaftlicher Erkenntnisse Hypothesen     sein: Eine auch mit bescheidenen Mitteln
zu bilden und diese dann später zu prüfen,     durchgeführte Evaluation ist immer besser als
also das eigene Handeln und seine Wirkun-      gar keine!
gen zu überprüfen bzw. zu evaluieren.

                                                  FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
12   HFE im Wandel – neue Fachlichkeit

Literatur
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Ein Handbuch. 2. Auflage. (S. 369-384). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Bortz, J. & Döring, N. (2006). Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler.
Berlin: Springer.
Cresswell, J. W. (2003). Research Design. Qualitative, Quantitative and Mixed Methods Approaches.
Thousend Oaks: Sage.
Fröhlich-Gildhoff, K., Rönnau-Böse, M. & Tinius, C. (2020). Herausforderndes Verhalten in Kita und Grundschule
(2. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Fröhlich-Gildhoff, K. & Hoffer, R. (2017). Methodische und methodologische Herausforderungen der
Wirkungsforschung unter Praxisbedingungen in der Frühpädagogik – Lösungen jenseits des «Goldstandards».
In I. Nentwig-Gesemann & K. Fröhlich-Gildhoff (Hrsg.), Forschung in der Frühpädagogik X. Zehn Jahre
frühpädagogische Forschung – Bilanzierungen und Reflexionen (S. 209-228). Freiburg: FEL
Fröhlich-Gildhoff, K., Nentwig-Gesemann, I. & Pietsch, S. (2014). Kompetenzentwicklung und Kompetenzerfas-
sung in der Frühpädagogik. Konzepte und Methoden. Freiburg: FEL.
Fröhlich-Gildhoff, K. & Rönnau-Böse, M. (2012). Prevention of exclusion: the promotion of resilience in early
childhood institutions in disadvantaged areas. Journal of Public Health, 20 (2), 131-139.
Honig, M-S. (2002). Perspektiven frühpädagogischer Forschung. Drei Beiträge zur Frühpädagogik. Arbeitspapiere
des Zentrums für sozialpädagogische Forschung der Universität Trier. Arbeitspapier II – 01, Mai 2002. Trier.
Nentwig-Gesemann, I. (2011). Ergebnisse der externen Evaluation. In K. Fröhlich-Gildhoff et al., Förderung der
seelischen Gesundheit in Kitas für Kinder und Familien mit sozialen Benachteiligungen (S. 113-130). Freiburg: FEL.
Otto, H. U. (2007). Zum aktuellen Diskurs um Ergebnis und Wirkung im Feld der Sozialpädagogik und
Sozialarbeit – Literaturvergleich nationaler und internationaler Diskussion. Expertise im Auftrag Auftragsgemein-
schaft für Kinder- und Jugendhilfe. AGJ. Berlin: Eigendruck der AGJ. Bezug: AGJ: www.agj.de
Stockmann, R. (Hrsg.) (2006). Evaluationsforschung: Grundlagen und ausgewählte Forschungsfelder
(Sozialwissenschaftliche Evaluationsforschung). Münster: Waxmann.
Wirtz, M. A. (2014). Evidenzbasierung. In M. A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Lexikon der Psychologie (18. Aufl., S. 536).
Göttingen: Hogrefe.

                                                     Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff
                                                     Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der
                                                     Evangelischen Hochschule Freiburg (ZfKJ)
                                                     Bugginger Str. 38, 79114 Freiburg
                                                     Tel. 01778126700 oder 0761-47812400
                                                     froehlich-gildhoff@eh-freiburg.de

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
HFE im Wandel – neue Fachlichkeit      13

   HFE im Kontext einer neuen Fachlichkeit
     Denkanstösse und Wahrnehmungen
               aus der Praxis
                                       Petra Ulshöfer

Ein philosophischer Auftakt                      Wandel, ein sich langsam entwickelnder, in-
zum Wandel als Bewegung                          dem dieser immer eine Geschichte fort- und
                                                 umsetzt, Altes abgewandelt und in eine neue
«Wandlung ist notwendig
                                                 Richtung fokussiert wird (vgl. ebd.). Somit
wie die Erneuerung der Blätter im Frühling»
                                                 meint zur Lippe «Wandel hat viel mehr mit
                              Vincent van Gogh
                                                 Bewegung zu tun als mit der Forderung nach
                                                 Neuheit».
Gerade in der Frühlingszeit, wie es dieses Zi-   Und diese Geschichte des beweglichen Wan-
tat andeutet, wird das Thema des Wandels         dels in der Heilpädagogischen Früherziehung
besonders deutlich und augenscheinlich           setzt sich tatsächlich fort. Dies wurde mir wie-
drängt sich dieser in Form eines Wachstums       der bewusst, als ich den Nachdruck des Jah-
in den Vordergrund. Die Natur erwacht aus        resberichtes von 1990/91 des Heilpädagogi-
dem Winterschlaf mit dem Spriessen frischer      schen Seminars Zürich durchblätterte. In
grüner Blätter, den blumigen Frühlingsboten,     diesem Bericht greift die damalige Freie Ar-
den Sonnentagen. Auch wir entwickeln mit         beitsgruppe Früherziehung Schweiz diese
unseren körperlichen und geistigen Kräften       Thematik mit dem Artikel «Früherziehung im
eine Vielfalt an Ideen für neue Projekte und     Wandel – Veränderungen des Aufgabenver-
Lust auf Veränderung. Auf ein Verlangen nach     ständnisses von 1968 bis heute» auf. Die da-
immer Neuem als moderner, gesellschaftli-        malige Diskussion zu Entwicklungen und dem
cher Trend weist Rudolf zur Lippe, ein deut-
scher Philosoph, in seinem Buch «Das Den-
ken zum Tanzen bringen» hin. Das macht
nachdenklich, denn dies würde ja bedeuten,
dass alles Alte wertlos und unbrauchbar wäre
und alles müsste «zumindest den Anschein
der Neuheit aufweisen, um Anspruch und Gel-
tung erheben zu können» (2011, S. 8). Den
Wandel in dieser Auffassung zu denken, in-
dem einfach Altes gegen Neues ausgetauscht
wird, wäre geradezu impraktikabel. Vielmehr
geht es um ein evolutionäres Verständnis von     Abb.1 Eigenes Foto

                                                    FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
14   HFE im Wandel – neue Fachlichkeit

Hinwenden zu einer neuen Richtung in unse-          griffs durchaus gewinnbringend sein. Um bei
rem Berufsfeld macht deutlich, dass der Ver-        der Fachlichkeit zu bleiben, führt einen die
änderungsbedarf unserer Arbeit sich keines-         Recherche unter anderem in das Berufsfeld
wegs erst mit aktuellen gesellschaftlichen          der Sozialen Arbeit in dem dieser Begriff als
Neuerungen und Erscheinungen wie Corona             «eine Vielzahl von Wissensbeständen, Kom-
etc. in unser Bewusstsein getreten ist. Der         petenzen, Handlungspraxen und Haltungen
Blick von heute auf die damaligen Auseinan-         verstanden» wird (Businger & Biebricher,
dersetzungen und «Rezepte» ist insofern auf-        2020, S. 10f.). Schon aus dieser ersten Defini-
schlussreich, als doch einige Schwerpunkte          tion wird deutlich, dass Fachlichkeit nicht nur
und Themen in unserem Berufsfeld sozusagen          auf den Erwerb von reinem Wissen reduziert
beim «Alten» geblieben sind und es einzelne         wird, sondern als Zusammenspiel von Fach-
Akzentverschiebungen gibt, die den heutigen         wissen, Können und Erfahrungen verstanden
Diskurs immer noch oder wieder massgeblich          werden muss. Heinrich Greving (2011) ergänzt
bestimmen.                                          in seiner Definition der heilpädagogischen
                                                    Professionalität diese drei Elemente mit der
Fachlichkeit und Professionalität –                 Intuition der beruflich handelnden Person, die
Versuch einer begrifflichen Annäherung              mir im Rahmen der Fachlichkeit der HFE
Die Auseinandersetzung mit einer «Neuen             wichtig erscheint (vgl. S. 18).
Fachlichkeit», die einher geht mit dem Wandel
in der HFE, bringt einen zwangsläufig dazu,
sich erst einmal Fragen zur Bedeutung von
Fachlichkeit im beruflichen Setting zu stellen:
Was heisst Fachlichkeit überhaupt? Welche
Kompetenzen braucht es für eine neue Fach-
lichkeit und wie kann diese im beruflichen
Alltag der HFE realisiert werden?
Die Suche nach Begriffserklärungen zur Fach-
lichkeit ist nicht so leicht, wie ich mir gedacht
hatte, obwohl dieser in unserem beruflichen
Kontext doch allgegenwärtig scheint. Um sich
etwas heranzutasten, fallen bei der Durchsicht
verschiedener Wörterbücher Ausdrücke wie
Anforderung, Kompetenz, Eignung, Befähi-
gung, Know-how, Qualifikation, Professiona-
lität in den Blick. Gerade letzteres, die Profes-
sionalität als «begründete und fachlich ge-
konnte berufliche Handlung», (Greving, 2011,
S. 18f.) wird in einigen Publikationen mit dem
Terminus Fachlichkeit gleichgesetzt und kann        Abb. 2 Definition von Fachlichkeit (Eigene
daher für die Erfassung des Fachlichkeitsbe-        Darstellung)

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
HFE im Wandel – neue Fachlichkeit     15

Dem anzufügen ist, dass Professionalität nach    Einführung des Buches «Innovation und Sys-
dem socialnet Lexikon eine Bereitschaft zur      tementwicklung in der Frühförderung» zu
persönlichen Entwicklung im Sinne eines per-     sprechen. Er zeigt in seinen Ausführungen
sönlichen biografischen Prozesses beinhaltet,    Beispiele im Kontext der Frühförderung auf,
was zum Erwerb von Selbstbewusstsein und         die unter Berücksichtigung aktueller Anliegen
Sicherheit im beruflichen Handeln und in der     von Gesellschaft und Politik wesentliche Ver-
eigenen Rolle mit sich bringt. So kann durch-    änderungen für das gesamte System der
aus Fachlichkeit bzw. Professionalität nach      Frühförderung mit sich bringen. Sohns spricht
Greving (2011) «als persönliches Projekt» ana-   in diesem Zusammenhang von einem Span-
lysiert werden, indem nicht nur die Weiter-      nungsfeld fachlicher Forderungen und der
entwicklung der beruflichen Tätigkeiten be-      Umsetzung in der Praxis. Dies erfordert eine
rücksichtigt wird, sondern vielmehr auch die     dementsprechende kontinuierliche Einstel-
Balance zwischen den individuellen-subjekti-     lung der Fachlichkeit auf die Veränderungen
ven Personen im Einklang mit den gesell-         der Umwelt (vgl. 2013, S. 15f.). Dieser Wandel
schaftlichen Erwartungen beachtet werden         führt zwangsläufig zu neuen Herausforderun-
(vgl. S. 19).                                    gen in vielerlei Hinsicht bezüglich unseres
Professionalität als «Sinnbild von qualitativ    Berufsauftrags bzw. an uns Fachpersonen der
hochwertiger Arbeit» steht «im Kontext von       Heilpädagogischen Früherziehung und somit
berufstypischen Kompetenzen, über die der        auf die Fachlichkeit, die mit den veränderten
professionell Handelnde verfügt oder verfü-      Anforderungen wächst.
gen sollte» (ebd.). Hierbei scheint gerade ein
Blick auf das Studium der Heilpädagogischen      Was heisst das nun bezogen auf die Praxis
Früherziehung interessant als Schlüsselstelle    der Heilpädagogischen Früherziehung?
von Fachlichkeit bzw. Professionalität. Eine
Veränderung zu einer neuen Fachlichkeit hin-     In den nachfolgenden Ausführungen werde
sichtlich dieser berufstypischen Kompetenzen     ich diesbezüglich die Gedanken und Überle-
wird in den Ausführungen der neuen Broschü-      gungen aus der eigenen Praxis reflektieren.
re des «Kompetenzprofils Heilpädagogische        Dazu möchte ich darauf hinweisen, dass die-
Früherziehung» der Interkantonalen Hoch-         se lediglich meine persönlichen Erfahrungen
schule für Heilpädagogik (HfH) zu ihrem neu-     widerspiegeln und durchaus nicht als allge-
en Curriculum des Masterstudiengangs Heil-       meingültige Erkenntnisse in repräsentativer
pädagogische Früherziehung angesprochen.         Hinsicht zu sehen sind. Ich möchte auch an-
Ein Blick hineinzuwerfen ist durchaus interes-   merken, dass die einzelnen Aspekte des Wan-
sant, zu sehen, wie bereits im Studium, als      dels der HFE und demensprechende Verän-
«fachlicher Nährboden» sozusagen, sich neue      derung auf die Fachlichkeit, die in diesem
Trends abzeichnen.                               Beitrag diskutiert werden, durchaus nicht als
                                                 abschliessende und vollständige Abhandlung
Neue Fachlichkeit in der HFE                     betrachtet werden können, sondern vielmehr
Auf die neue Fachlichkeit im Berufsfeld der      Denkanstösse für einen fachlichen Diskurs
Frühförderung kommt Armin Sohns in der           liefern.

                                                    FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
16   HFE im Wandel – neue Fachlichkeit

Trendmap einer neuen Fachlichkeit                 habe ich lange Zeit den Aspekt des Wandels
in der HFE                                        auf Ebene der Fachperson selbst, als vierten
Die «Neue Fachlichkeit», resultierend aus Ver-    Punkt miteinbezogen, aber wieder verworfen,
änderungen aktueller Herausforderungen in         da er mir darin nicht passend schien. Dies aus
der Praxis der HFE, kann aus mehreren Blick-      einem Grund: Alle drei dargestellten Ebenen
winkeln nachgezeichnet werden und sie be-         betreffen Veränderungen, die von aussen ge-
zieht sich aus meiner Sicht, auf drei relevante   steuert sind, durch verschiedenste Einflüsse
Ebenen. Die Grafik fokussiert weniger auf eine    und Entwicklungen, die sich im umfassenden
historische Sicht der Veränderungen, vielmehr     gesellschaftlichen Kontext im Laufe der Zeit
wird auf aktuelle Themen eingegangen, die         so gewandelt haben. Auf diese können wir als
aus Beobachtungen der Praxis hergeleitet          Fachpersonen nur punktuell einwirken. Aber
sind. Die Form dieser «Trendmap», als eine        wir können durch persönliche und fachliche
Art zukunftsorientiertes Entwicklungsbild, fin-   Weiterentwicklung bzw. Stärkung darauf re-
de ich insofern sinnvoll, da sie sowohl die       agieren und zusammen mit der Transformati-
aktuelle Situation der HFE mit der Positionie-    on der inneren Haltung eine wichtige Grund-
rung von Trends abbildet und darin die Ak-        lage schaffen, um diesem veränderten beruf-
zentverschiebungen durch gesellschaftliche        lichen Kontext zu begegnen.
Wandlungsprozesse hinsichtlich der Fachlich-
keit aufzeigt.                                    Diesen Aspekt möchte ich aufgreifen und -
                                                  ganz im Sinne der Zeit – «Take-Away»-Denk-
Impulse auf dem Weg zu einer «neuen»              anstösse aus der eigenen Praxis im Sinne ei-
Fachlichkeit                                      nes frischen, modernen «Spirits» mitgeben:
Die vorangegangene «Trendmap» macht zwei-
erlei deutlich. Zum einen, welche Vielfalt an     • Achtsamkeit vor Entgrenzung: Entgren-
Herausforderungen und Aufgabenstellungen            zung meint eine Vereinnahmung des Alltags
an die Praxis der HFE gestellt werden und           durch die Arbeit und ist bezogen auf die
zum anderen zeigt sie eine deutliche Entwick-       Aufhebung der Grenzen des Arbeits- und
lungstendenz für unser Berufsfeld auf. Was          Privatlebens in Bezug auf Raum, Zeit, Ar-
meiner Ansicht nach in dieser Zusammenstel-         beitsinhalt, Sozialorganisation usw. Dies
lung fehlt, sind Aspekte des Wandels auf Ebe-       häufig hervorgerufen durch die beschleu-
ne der Fachperson selbst, da der Umgang mit         nigten Digitalisierungsprozesse, die es er-
den sich wandelnden Bedingungen nicht nur           möglichen, ausserhalb der regulären Ar-
für das Klientel grosse Unsicherheit mit sich       beitszeit immer und überall tätig und er-
bringt, sondern auch für unsere eigene Per-         reichbar zu sein. Dies macht sich auch in
sönlichkeit und berufliche Identität als Fach-      unserem Berufsfeld bemerkbar. Schnell
personen. Wir bewegen uns im Kontext der            wird ein Termin bei einem Kind per Whats-
erwähnten, wachsenden Ansprüche und der             App kurz vorher abgesagt, es erreicht uns
Veränderungen in einem zunehmend an-                ein Mail von einer Familie am Wochenende,
spruchsvolleren, diffuseren und unvertrauten        das dringende Bearbeitung verlangt, Eltern,
Terrain. Bei der Erstellung dieser «Trendmap»       die lieber 3 als nur 1 Stunde HFE pro Woche

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
HFE im Wandel – neue Fachlichkeit           17

            Wandel Zielgruppe                    Wandel Zielgruppe                          Wandel der Rahmen- und
Trendmap:   Ebene Kind                           Ebene Eltern/Familie                       Arbeitsbedingungen
                                                                                            Ebene Berufsfeld HFE
            Tendenzieller Rückgang               Veränderung der «Kundenbedürfnisse»        Steigende fachliche
            «klassischer» Behinderungen dafür    mit steigenden Ansprüchen, fordernde       Anforderungen aufgrund
            mehr Anmeldungen von diffusen,       Anliegen                                   gesellschaftlicher Veränderungen
            unklaren Verhaltensauffälligkeiten                                              - strukturelle Veränderungen,
                                                 Klarere Vorstellung von Zielen und         ändernde Arbeitsbedingungen
            Anstieg von Anmeldungen von          Inhalten der Förderung – daher
            Kindern mit:                         gemeinsame Zielformulierung erschwert,     Höhere Anmeldezahlen (nicht erst
            • diffusen, nicht klaren             häufiger Dysbalance in den                 seit Corona) dadurch Wartelisten
                Verhaltensauffälligkeiten        Zielsetzungen Eltern und HFE               oder Aufnahme von Kindern über
            • mit diagnostizierter ASS oder                                                 die eigenen Ressourcen,
                erhärtetem Verdacht darauf       Enormer Förderdruck der Eltern,            Zeitbudget hinaus – führt zu
            • mit «autismusähnlichen»            schneller, möglichst viel, Nichts          übervollen Stundenplänen,
                Verhaltensweisen im Kontext      verpassen wollen– sensibles Zeitfenster    weniger hoch frequentierte
                von schweren                     der frühen Jahre soll genutzt werden       Förderung möglich,
                Wahrnehmungsbeeinträchtigu
                ngen                             Selbstbewusstere Eltern:                   Forderung für mehr Flexibilität
            • mit massiven                       • Wahrnehmen ihrer Rolle als               steigt
                Problemstellungen in der             Auftraggeber
                emotionalen Regulation               Differenzierte Auftragsklärung rückt   Veränderung Fördersetting Kita
            • mit einer erhöhten                     daher mehr in den Vordergrund          statt Hausbesuch – Verschiebung
                Schwierigkeit in der sozialen    • Wahrnehmung ihres Rechts der             der Örtlichkeit der HFE
                Anpassung, Interaktion und           freien Wahl einer geeigneten HFE für
                Bindung                              ihr Kind - Selbstbestimmte Suche –     Kostendruck und
            • mit diffusen Angststörungen            weniger Akzeptanz für direkt           Sparmassnahmen von Seiten der
            • mit Schlaf- und Ess-Störungen          «zugewiesene» HFE von der              Finanzgeber haben Auswirkungen
                                                     Fachstelle                             auf die Versorgungslage:
            Bedarf nach spezifischen
            Fördergruppen steigt – oftmals ist   Aber auch Überforderte, unsichere Eltern   •   Reduktion Förderstunden vs.
            die Suche nach einem geeigneten      im Umgang mit dem Kind,                        – Diskrepanz Bedarf nach
            Kitaplatz durch die                  Erziehungsfragen                               intensiverer Unterstützung
            Verhaltensproblematik erschwert                                                 •   Kürzung der Altersspanne –
                                                 Komplexere Familiensysteme -                   HFE nur noch bis
                                                 Hoch belastete Eltern                          Kindergarten (Kanton Zürich)
                                                 Vereinbarkeit Beruf, Akzeptanz
                                                 Behinderung,                               Administrationsaufwand höher
                                                 Einschränkungen durch eigene schwere
                                                 Erkrankungen z. B. Depression,             Digitalisierung:
                                                 Erschöpfungszustände                       • bringt Erweiterung des
                                                 knappe, finanzielle Ressourcen                  Angebots
                                                                                            • erhöhte Flexibilität
                                                 Erschwerte Zusammenarbeit:                 • gewährleistet
                                                 • Wahrnehmung der HFE als                       Erreichbarkeit z. B. in
                                                     Dienstleistung nur für ihr Kind –           Krisenzeiten
                                                     Förderung ist Job der HFE, Eltern      • leistet jedoch keinen
                                                     wollen nichts damit zu tun haben            Ersatz für direkten
                                                 • Hohe Berufstätigkeit beider Eltern –          Kontakt – Beziehung zu
                                                     Kind 5 Tage Kita, daher                     Kind und Familie
                                                     Erreichbarkeit, gemeinsamer
                                                     Prozess mit den Eltern schwierig

                                                               14

                                                                              FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
18     HFE im Wandel – neue Fachlichkeit

     wünschen, Eltern, die fast in Panik geraten,        haften persönlichen Prozess zu entwickeln
     wenn man eine Woche in Ferien ist und das           und optimieren gilt. Hierbei geht es nicht
     Kind daher die wertvollen Inputs verpasst           um die Entwicklung von neuen Strukturen
     oder was mir in diesem Zusammenhang in              oder Methoden, sondern um ein Umdenken
     der Praxis begegnet ist, dass eine Familie          an sich in einer Abstimmung mit unseren
     mit einem Kind mit ASS von mir verlangte,           eigenen Grundhaltungen und mit einer Of-
     ich könnte doch die ABA-Therapie des Kin-           fenheit für neue Sichtweisen, Werte und
     des auch noch gerade in die HFE miteinbe-           Prinzipien.
     ziehen, so hätte das Kind doch jeden Tag
     Vollprogramm-HFE – alles nach dem Mot-            • Changekompetenz: Im beruflichen Kontext
     to «HFE – grenzenlos». Was es hier braucht,         bezieht sich das Changemanagement auf
     um dem Risiko einer Überforderung vorzu-            Massnahmen und Prozesse, die dem Ziel
     beugen, ist eine bewusste Achtsamkeit und           dienen, Abläufe zu verändern. Wie bereits
     Respekt seinen Grenzen gegenüber und                schon angedeutet, sind wir in unserer Arbeit
     diese, das ist in der Praxis wahrlich oft nicht     ständig wechselnden Situationen ausge-
     leicht, auch vor den Eltern selbstbewusst zu        setzt. Kein Tag gleicht dem anderen, keine
     vertreten.                                          Familie ist wie die andere. In unserem Beruf
                                                         können mit eingeschliffenen Abläufen kaum
• Agiles Mindset: Agilität ist in aller Munde            Ziele erreicht werden. Daher gilt es, sich
     und es gibt viele Definitionen dafür, ein           immer wieder neu zu organisieren, die Ar-
     Konsens ist jedoch, Agilität als Flexibilität       beitsweise der jeweiligen Situation anzu-
     oder wörtlich übersetzt als Wendigkeit zu           passen und vor allem auch eine hohe Be-
     verstehen. Nun sind diese beiden Begriffe           reitschaft zur Veränderung zu zeigen. Dass
     in unserem Berufsfeld durchaus nichts Neu-          Veränderungen durchaus auch Chancen
     es, sondern gehören quasi zum Standard.             beinhalten, im Sinne eines CHANGE =
     Tagtäglich sind wir in der Heilpädagogi-            CHANCE. Es geht darum, dass wir eine
     schen Früherziehung damit konfrontiert in           «neue Fähigkeit», die «Changekompetenz»
     unserer Arbeit flexibel zu sein und uns wen-        erwerben bzw. weiterentwickeln, um die
     dig auf die Rahmenbedingungen der Fami-             äusseren Veränderungen positiv annehmen
     lie, auf die aktuelle Situation des Kindes          zu können.
     oder die plötzliche Änderung des Settings
     anzupassen. Agiles Arbeiten verlangt ein          • Entschleunigung: Steigt der Druck, lohnt es
     hohes Mass an Eigenverantwortung und                sich langsamer zu werden, ganz nach dem
     kritischer Reflexionsfähigkeit. In unserer Ar-      japanischen Sprichwort «Wenn Du es eilig
     beit treffen wir eine grosse Vielfalt an Situ-      hast, gehe langsam». Dieses Prinzip, einen
     ationen an und sind darin konfrontiert mit          Gang zurückzuschalten, bewährt sich im-
     unterschiedlichen Sichtweisen, Werten und           mer mehr in unserem Arbeitsalltag, vor al-
     Vorstellungen. Um sich mit diesen Heraus-           lem bei Kindern, die dermassen überfordert
     forderungen auseinanderzusetzen, braucht            sind von Seiten ihres Umfeldes, das mög-
     es ein «agiles Mindset», das es als dauer-          lichst viel, möglichst schnell das Kind för-

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
HFE im Wandel – neue Fachlichkeit     19

  dern möchte und dabei zu übersehen                 werden, reicht aus meiner Erfahrung her-
  scheint, dass es oftmals förderlicher wäre         aus, das «Rüstzeug», das in Form von Fach-
  langsamer zu werden, sich zurück zu neh-           wissen und Methoden in der Ausbildung
  men und dem Kind Zeit bzw. Raum zum                weitergegeben wurde, oft nicht aus. Es
  Entfalten zu geben. Dazu kommt mir ein             braucht vielmehr ein kontinuierliches Up-
  Mädchen in den Sinn, deren Eltern völlig           date an fundiertem Fachwissen und prakti-
  unter Druck stehen, ihrem Kind, mit dem            schen Methoden, das auf aktuellen Er-
  Fokus das Beste zu wollen, eine möglichst          kenntnissen aus der Forschung und Praxis
  umfassende Förderung mit vielen verschie-          beruht, um so auf einer evidenzbasierten
  denen Unterstützungsangeboten anzubie-             Grundlage professionell handeln zu können.
  ten. Die Mutter selbst unterstützt das Kind        Vor allem im ASS Bereich ist eine fundierte,
  zuhause mit einem ausgearbeiteten «För-            umfassende Weiterbildung enorm gewinn-
  derprogramm», das täglich stattfindet. Und         bringend, um neben dem praktischen Er-
  selbst ich als HFE liess mich von diesem           fahrungswissen, das man sich im Laufe der
  «Drive» der Eltern anstecken. Dem Mäd-             Zeit angeeignet hat, einen kontinuierlichen,
  chen merkte man schnell an, dass ihr alles         fachlichen Hintergrund zu schaffen, die ei-
  zu viel wurde und zu schnell ging. Sie be-         genen Kompetenzen auszubauen, um das
  gann zu schlagen, an den Haaren zu ziehen          Kind wie auch die Eltern adäquat begleiten
  und war völlig blockiert. Nach mehreren            zu können.
  Gesprächen mit den Eltern wurde das enor-
  me Programm heruntergeschraubt und               • «Out of the box» – Denken: Damit ist nicht
  auch ich habe in der HFE wie einen «Reset»         der Einbezug neuer Methoden gemeint,
  gemacht und mich ganz auf den Flow des             sondern ein neues Denken über den eige-
  Kindes, auf sein Tempo und auf seine Inte-         nen Auftrag und die Grenzen hinaus. Dazu
  ressen eingelassen. Mit der Zeit hat sich die      ein kleines Fallbeispiel, das diesen Aspekt
  Situation entspannt und es war wieder              näher verdeutlicht. Anina (Name geändert),
  möglich mit dem Mädchen in freudvolle              ein knapp 2-jähriges Mädchen, bei dem ein
  Spielinteraktionen zu kommen. Neben die-           starker Verdacht auf ASS bestand, zeigte
  sem Beispiel merke ich immer wieder in der         deutliche Auffälligkeiten sowohl in der so-
  Praxis, wie wichtig es bei vielen Kindern ist,     zialen Interaktion, Kommunikation und im
  das Tempo zu drosseln, sich bewusst zu-            Spielverhalten. Was den Eltern im Alltag
  rück zu nehmen, zu beobachten und vor              besonders Sorge bereitet, sind das proble-
  allem den Eltern in dieser Hinsicht ein Vor-       matische, sehr eingeschränkte Essverhalten
  bild zu sein.                                      – meist ernährt sie sich nur von Milch-
                                                     schnitten – und extreme Schlafprobleme
• Erweiterung der Hard und Soft Skills: Um           mit starkem Weinen und einer maximalen
  der enormen Vielfalt an Problemstellungen          Durchschlafzeit von 1–2 Stunden am Stück.
  und vor allem wenig klar definierten Formen        Mit letzterem Thema, der Schlafstörungen,
  der Verhaltensbeeinträchtigungen von Kin-          wurde mit den Eltern zusammen mit ver-
  dern im beruflichen Handeln gerecht zu             schiedensten Möglichkeiten aus meiner

                                                      FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
20   HFE im Wandel – neue Fachlichkeit

  Methodenkiste, wie z. B. Schlafprotokoll,          sammenhang könnte es ergänzend durch-
  Einführung von Ritualen, Veränderung der           aus hilfreich sein, sich von Zeit zu Zeit
  Schlafsituation usw., probiert, die Situation      selbst zu reflektieren, um Rückschau zu
  zu verbessern, was alles wenig brachte.            halten, über sich Nachzudenken und die
  Auch eine medikamentöse Unterstützung              Sicht auf das eigene Handeln zu legen, um
  zeigte sich erfolglos. Nach vielen Gesprä-         so Grenzen zu erfassen und Ansatzpunkte
  chen mit den Eltern, auf der Suche nach            für Veränderungen zu finden.
  Hypothesen und differenzierten Analysen
  des Problems, wurde deutlich, dass das           Abschliessende Gedanken
  Schlafproblem nur im Elternhaus besteht.         Mit den Ausführungen des Beitrags und vor
  So begann ich mit den Eltern, im familiären      allem mit der Betrachtung der sieben Impulse
  Umfeld weitere Verursachermöglichkeiten          ist es weniger die Absicht, wesentliche Neu-
  zu suchen, wie Wasseradern, Erdstrahlen          heiten zu vermitteln, sondern eher bedeutsa-
  usw. bis mir die Idee kam, die Eltern anzu-      me Aspekte, die es für eine Fachlichkeit in
  regen, sämtliche Spiegel im Schlafzimmer         unserem wandelnden Berufskontext braucht,
  abzudecken oder zu entfernen und das             bewusst zu machen. Damit möchte ich zum
  überdimensionale Mobile über dem Bett            Nachdenken und zu einem fachlichen Diskurs
  abzuhängen, um dem Mädchen die mögli-            anregen. Anhand der sieben Impulse, die sich
  che Angst davor zu nehmen. Das wurde von         an den Trends der modernen Arbeitswelt ori-
  den Eltern umgesetzt und ab dieser Nacht         entieren, wird deutlich, wie zeitgemäss die
  schlief das Mädchen mehrere Stunden am           Grundpfeiler der HFE bereits ausgerichtet sind
  Stück durch, war fröhlicher, begann wieder       und wie von Zeit zu Zeit ein frisches Update
  einzelne Sachen zu essen und zunehmend           gewinnbringend sein könnte.
  entspannte sich die Situation. Was ich mit       Um abschliessend nochmal das eingangs ver-
  dem Beispiel aufzeigen möchte ist, dass es       wendete Zitat von Vincent van Gogh aufzu-
  sich lohnt manchmal über die Grenzen des         greifen, wird klar, dass Wandel etwas Not-
  eigenen Methoden- und Handlungsreper-            wendiges und an sich Unabwendbares ist. Der
  toires hinauszudenken, um so gemeinsam           Wandel hat durchaus seine positive Seite,
  mit dem Umfeld eine mögliche Lösung zu           indem er uns zwingt, in persönlicher wie be-
  finden.                                          ruflicher Hinsicht, die eigene Komfortzone zu
                                                   verlassen, neugierig zu bleiben und Mut zu
• Selbstmanagement: Dies bedeutet, sich            fassen, Unbekanntes zu entdecken, um somit
  nicht nur die (Arbeits)zeit gut einzuteilen,     neuen Möglichkeiten Raum für eine kontinu-
  sondern sich selbst zu motivieren, sich          ierliche Weiterentwicklung schaffen zu kön-
  selbst kurz- und langfristige Ziele zu setzen,   nen.
  eigene Strategien im Umgang mit den be-
  ruflichen Herausforderungen zu entwickeln,
  eigene Leistungsfähigkeit realistisch einzu-
  schätzen und Verantwortung gegenüber
  sich selbst zu übernehmen. In diesem Zu-

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
HFE im Wandel – neue Fachlichkeit             21

Literatur
Businger, S. & Biebricher, M. (2020). Sozialer Wandel
und Fachlichkeit in Sozialpädagogik. In S. Businger &
M. Biebricher. Von der Paternalistischen Fürsorge zu
Partizipation und Agency. Zürich: Chronos

Greving, H. (2011). Heilpädagogische Professionalität.
Eine Orientierung. Kohlhammer: Stuttgart.

Sohns, A. (2013). Einführung. In B. Maelicke, R.
Fretschner, N. Köhler & F. Frei. Innovation und
Systementwicklung in der Frühförderung. Wiesbaden:
Springer Fachmedien.

Freie Arbeitsgruppe Früherziehung Schweiz (1990).
Früherziehung im Wandel. Zürich.

Zur Lippe, R. (2011). Das Denken zum Tanzen bringen.
Philosophie des Wandels und der Bewegung. Freiburg
i. Breisgau: Karl Alber.

Petra Ulshöfer
Heilpädagogin MA
Erziehungswissenschaftlerin Msc
praxis 67, Zürich
praxis67.ulshoefer@hin.ch

    FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
22   HFE im Wandel – neue Fachlichkeit

Heilpädagogische Früherziehung im Wandel
     Ein Blick auf das «Damals», «Heute» und «Übermorgen»

     Gedankenkarussell zum Feld der Heilpädagogischen
       Früherziehung in den letzten vier Jahrzehnten

Der Titel dieser Ausgabe: «Heilpädagogi-         de Geschäftsleiterin und Bereichsleiterin Heil-
sche Früherziehung im Wandel», lädt dazu         pädagogische Früherziehung. Ebenso war ich
ein, den Blick ins Feld zu wenden und die        über viele Jahre gleichzeitig in der Berufspo-
langjährigen Erfahrungen, Veränderungen          litik aktiv (Vorstand BVF, Vorstand SZH, Ge-
und Erfolge aufzugreifen und sichtbar wer-       schäftsleiterin BVF). Vom Virus HFE ange-
den zu lassen. Dazu berichten drei Berufs-       steckt wurde ich durch Jörg Grond, dem
frauen der Heilpädagogischen Früherzie-          damaligen Leiter der Nachdiplomspezialisie-
hung über den Wandel der Heilpädago-             rung HFE am Heilpädagogischen Seminar
gischen Früherziehung in ihrer Berufslauf-       Zürich, heute HfH. Privat bin ich verheiratet
bahn während gut 35 Jahren. Ein spannen-         und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen.
des Stück Geschichte, das uns hier aufge-
zeigt wird.

Wer sind diese drei Berufsfrauen?

                                                                    Elisabeth

                                                 1991 stieg ich als Früherzieherin mit kleinem
                                                 Pensum bei der Heilpädagogischen Frühbe-
                  Brigitte                       ratung Winterthur, Andelfingen und Illnau-Ef-
                                                 fretikon ein. Ausschlaggebend für die Berufs-
Beruflich bin ich seit 1988 im Kanton Zug in     wahl war ein Filmportrait über HFE am dama-
der HFE tätig. Dies zunächst am HPD, dann        ligen HPS. Die im Engadin tätige Früherziehe-
freiberuflich in einem Zusammenschluss von       rin bewältigte den Weg zu den Familien auf
vier Früherzieher*innen. Seit 2008 bin ich       Skiern. Dies hat mich sehr beeindruckt. Leider
wieder zurück am HPD. Dort zunächst ange-        konnte ich dieses «Transportmittel» nie ein-
stellt als stellvertretende Leiterin, nach der   setzen. Die Berufswahl habe ich trotzdem nie
Umstrukturierung von 2020 als stellvertreten-    bereut!

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
HFE im Wandel – neue Fachlichkeit       23

Neben meiner Berufstätigkeit als HFE war ich     Kinder mit ASS und für Kinder mit kognitiven
von 2001 – 2004 an der Initiierung des Pilot-    Beeinträchtigungen).
projektes «Heilpädagogische Unterstützung,
Förderung und Beratung im Kindergarten» in       Wie hat sich ein Arbeitstag «Damals» zu
Zusammenarbeit mit der Bildungsdirektion         einem Arbeitstag «Heute» verändert?
massgeblich beteiligt. Ab 2008 übernahm ich
die Geschäftsleitung des Frühberatungsdiens-     Brigitte: Von «damals» zu «heute» gab es eine
tes Winterthur. Privat bin ich verheiratet und   kontinuierliche Entwicklung. Zu Beginn war
Mutter von zwei erwachsenen Söhnen.              die Heilpädagogische Früherziehung (HFE)
                                                 noch stark auf geistigbehinderte Kinder (da-
                                                 malige Bezeichnung) ausgerichtet. Die Diens-
                                                 te wurden ja grossmehrheitlich auch von El-
                                                 tern geistigbehinderter Kinder initiiert/aufge-
                                                 baut. Schon damals wurden im Kanton Zug
                                                 4-5 Familien pro Tag begleitet. Die Vor- und
                                                 Nachbereitung erfolgten handschriftlich. Die
                                                 schriftliche Vorbereitung der Stunde bezog
                  Silvia                         sich in der Regel hauptsächlich auf Tätigkeiten
                                                 mit dem Kind. Die Zusammenarbeit mit den
1985 war mein beruflicher Einstieg als eine      Eltern betraf hauptsächlich den Prozess der
von fünf Heilpädagogischen Früherzieher*in-      Akzeptanz der Behinderung des Kindes oder
nen in der damaligen Heilpädagogischen Be-       er ergab sich aus der Situation – ausser die
ratungs- und Behandlungsstelle in Luzern. Ab     Früherzieherin liess sich vom damaligen Den-
1990 arbeitete ich zusätzlich in einem kleinen   ken der Machbarkeit leiten. Dieses Denken
Pensum als Stellenleiterin, später dann mit      führte zu Eltern als Co-Therapeuten, die wäh-
grösserem Leitungsumfang als Co-Geschäfts-       rend der Woche täglich Übungen mit dem
leiterin bis zur Kantonalisierung des HFD im     Kind machen mussten. Doch schon nach we-
Jahre 2013. Danach übernahm ich die Leitung      nigen Jahren wurde das Co-Therapeutentum
des HFD mit über 60 Mitarbeitenden, der ei-      durch Partnerschaftlichkeit abgelöst.
ne kantonale Abteilung innerhalb der Dienst-     Die Wochen waren früher fast austauschbar.
stelle Volksschulbildung wurde und drei          Termine mussten kaum verschoben werden.
Zweigstellen, ein Tagesangebot sowie das         Regelmässigen Austausch mit Fachpersonen
Projekt KITAplus umfasste. Von 2016 bis zu       gab es am häufigsten mit Physiotherapeut*in-
meiner Pensionierung 2020 entwickelte sich       nen (bei mehrfachbehinderten Kindern). Es
daraus die Fachstelle für Früherziehung und      gab viel weniger Anlass für Interdisziplinarität,
Sinnesbehinderungen, ein kantonales Kom-         denn die Kinder mit geistiger Behinderung
petenzzentrum für Heilpädagogische Früher-       waren noch selten in Kitas oder Spielgruppen,
ziehung und Integrierte Sonderschulung (ne-      es gab viel weniger Kinder aus Migrationsfa-
ben HFE Fachstellen für Audio- und Visiopä-      milien (und wenn, dann waren es häufig Fa-
dagogik sowie integrative Fachdienste für        milien, mit denen italienisch gesprochen wer-

                                                    FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 2/2021
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