MINT:Mal erhellend, mal packend, mal anders Anna Göldi auf der Spur - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4

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MINT:Mal erhellend, mal packend, mal anders Anna Göldi auf der Spur - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH   4 | 2019

MINT: Mal erhellend, mal packend, mal anders
Anna Göldi auf der Spur

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MINT:Mal erhellend, mal packend, mal anders Anna Göldi auf der Spur - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
4 | 2019
EDITORIAL

                                                      Liebe Leserinnen und Leser

Ausgabe 4 | 2019 | 2. April 2019                      Sie lesen es bestimmt nicht zum ersten Mal: Die Arbeitslosenquote ist hier-
Zeitschrift des LCH, 163. Jahrgang der
Schweizer Lehrerinnen- und Lehrerzeitung (SLZ)
                                                      zulande so tief, wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das ist hervorragend, hat
BILDUNG SCHWEIZ erscheint 11 Mal jährlich             aber auch Schattenseiten. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist
                                                      nach wie vor problematisch. Gemäss «Fachkräftemangel Index Schweiz» für
Impressum
                                                      das Jahr 2018 gehören die Ingenieur-,Technik- und Informatikberufe zu jenen
                                                      Berufsgruppen, die von akutem Mangel betroffen sind. Und das, obschon an
Herausgeber/Verlag
Dachverband Lehrerinnen und Lehrer                    den Schweizer Hochschulen in den vergangenen Jahren ein grosser Zuwachs
Schweiz LCH                                           an Studierenden in MINT-Fächern zu verzeichnen war. Diese Entwicklung ist
• Beat W. Zemp, Zentralpräsident
• Franziska Peterhans, Zentralsekretärin              ein Lichtblick und zeigt, dass die zahlreichen MINT-Initiativen von Bund und
• Beat A. Schwendimann, Leiter der Pädagogischen      Kantonen greifen – aber eben doch nicht genug, um die Nachfrage auf dem
  Arbeitsstelle LCH
                                                      Arbeitsmarkt zu decken.
Zentralsekretariat und Redaktion
Pfingstweidstrasse 16, 8005 Zürich
Telefon 044 315 54 54, Fax 044 311 83 15
                                                      BILDUNG SCHWEIZ will die Tücken in der MINT-Förderung in den Blick nehmen
E-Mail: bildungschweiz@LCH.ch                         und widmet diesem Fächerbereich eine Serie, die hiermit startet. Wir werden
Internet: www.LCH.ch, www.bildungschweiz.ch
Erreichbar Mo–Do, 8–12 Uhr und 13.30–16.45 Uhr,
                                                      Ihnen ausgewählte Förderprojekte vorstellen, spezifische Weiterbildungs-
Fr bis 16 Uhr                                         angebote für Lehrpersonen ins Visier nehmen und uns fragen, was denn
                                                      guten MINT-Unterricht ausmacht. Woran liegt es, dass Mädchen sich seltener
Redaktion
• Belinda Meier (bm), Leitende Redaktorin             für ein Studium der Informatik oder Technik entscheiden? Und wie kann Nach-
• Deborah Conversano (dc), Redaktorin Print/Online    wuchsförderung nachhaltig gelingen? Das Interview mit Professorin Elsbeth
• Maximiliano Wepfer (mw), Redaktor Print/Online
• Anna Walser (aw), Redaktorin Print/Online           Stern von der ETH Zürich liefert Antworten und bildet zugleich den Auftakt
Ständige Mitarbeit: Adrian Albisser (Bildungsnetz),   (S. 19). Sie weiss genau, wo der Hund begraben liegt: «Genauso mühsam,
Claudia Baumberger, Peter Krebs, Marina Lutz
(Cartoon), Christian Urech, Roger Wehrli, Christa     wie es für die Lernenden ist,MINT-Themen zu verstehen,ist es für Lehrpersonen
Wüthrich, Michael Merker/Christine Zanetti (Schul-    schwierig, lernwirksam zu unterrichten.» Entscheidend sei, dass Lehrende
recht)
                                                      die Schwierigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler nachvollziehen könnten
Abonnemente/Adressen                                  und wüssten,was eine intuitive,aber falsche Vorstellung sei.
Bestellungen/Adressänderungen:
Zentralsekretariat LCH, 044 315 54 54,
adressen@LCH.ch                                       Apropos falsche Vorstellung: Dass regelmässiges Lüften bereits ausreiche,
Adressänderungen auch im Internet:
www.bildungschweiz.ch                                 um den CO2-Richtwert von 1400 parts per million (ppm) in Schulzimmern
Für Aktivmitglieder des LCH ist das                   einzuhalten, ist ebenfalls ein Trugschluss. Das Bundesamt für Gesundheit
Abonnement im Verbandsbeitrag
(CHF 74.– pro Jahr) inbegriffen                       (BAG) hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die nachweisen konnte, dass
Jahresabonnement für Nichtmitglieder:                 in zwei Dritteln der Schulen die Luftqualität ungenügend ist. Sowohl für das
Schweiz CHF 108.50, Ausland CHF 183.50
Einzelexemplar CHF 10.25, ab dem 8. Expl.             BAG als auch für die beiden Lehrerdachverbände LCH und SER ist das inak-
CHF 7.20 (jeweils plus Porto und MwSt.)               zeptabel. Mit Empfehlungen, Informationsbroschüren und einem Online-Tool
Dienstleistungen
                                                      will der Bund das Problem nun in den Griff kriegen.
Bestellungen/Administration: Zentralsekretariat
LCH, 044 315 54 54, adressen@LCH.ch
Reisedienst: Monika Grau, m.grau@LCH.ch
                                                      Wer seine Abstimmungsunterlagen für den 19. Mai ebenfalls unter Kontrolle
                                                      bringen will, kann sich zur Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) ab
Inserate/Druck                                        Seite 10 einen Überblick verschaffen. Nationalrätin Regula Rytz und Chef-
Inserateverkauf: Martin Traber, Fachmedien,
Zürichsee Werbe AG, Tel. 044 928 56 09                ökonom Daniel Lampart nehmen hierzu eine Lagebeurteilung vor.
martin.traber@fachmedien.ch                           Und zum Schluss noch dies: Das
Mediadaten: www.bildungschweiz.ch
Druck: FO-Zürisee, 8132 Egg ZH                        neu konzipierte Anna Göldi Museum
ISSN 1424-6880 Verkaufte Auflage:                     in Ennenda (GL) hat soeben wieder
42 722 Exemplare (WEMF/SW-Beglaubigung)
                                                      seine Tore geöffnet (S. 30). BILDUNG
                                                      SCHWEIZ durfte vorgängig bereits
                                                      Museumsluft schnuppern. Ein
                                                      Besuch lohnt sich!

                                                      Belinda Meier
                                                      Leitende Redaktorin
                                                                                              Redaktorin Belinda Meier (r.) im Gespräch mit Dominique
                                                                                              Tanner, Geschäftsleitungsmitglied des ZLV. Foto: zVg

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MINT:Mal erhellend, mal packend, mal anders Anna Göldi auf der Spur - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
MINT – Mutig Investieren,
Nachwuchs Trainieren
Text: Belinda Meier   MINT ist in aller Munde – und das nicht erst seit Kurzem. Die MINT-
Foto: Roger Wehrli
                      Förderung findet schweizweit seit mehreren Jahren intensiv und
                      vielschichtig statt. Das Ziel, den Fachkräftemangel in MINT-Berufen
                      zu entlasten, ist allerdings noch immer nicht erreicht. Grund genug,
                      um diesen Fächern und ihrer Förderung eine Serie zu widmen.
MINT:Mal erhellend, mal packend, mal anders Anna Göldi auf der Spur - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
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Obschon die Studienplätze in den Bereichen Mathema-              nend gelohnt. Eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt ist
tik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT)          kurzfristig dennoch nicht in Sicht, wie der Fachkräftemangel
begehrter denn je sind, mangelt es in der Schweiz noch           Index Schweiz deutlich gezeigt hat. Weitere Anstrengungen
immer stark an qualifizierten Fachkräften in den technischen     sind dringend notwendig. MINT-Förderung muss Kinder
Berufen. Gemäss den Ergebnissen des «Fachkräftemangel            und Jugendliche aller Schulstufen erreichen. Mädchen und
Index Schweiz» für das Jahr 2018, die Adecco Schweiz in          Jungen sollen dieselben Chancen haben. Lehrpersonen müs-
Zusammenarbeit mit dem Stellenmarkt-Monitor Schweiz              sen in der Lage sein, komplexe Aufgaben anschaulich und
der Universität Zürich jährlich veröffentlicht, sind es allen    ansprechend zu vermitteln, damit die Schülerinnen und
voran die Ingenieur-, Technik- und Informatikberufe, die         Schüler nachhaltig Wissen anreichern und Kompetenzen
von akutem Fachkräftemangel betroffen sind. Zusammen             erwerben können. Sie müssen Zusammenhänge verstehen,
mit den Berufen des Treuhandwesens und der Human-                erklären, auf verwandte Gebiete anwenden und auf höherer
medizin und Pharmazie bilden sie die fünf Berufsgruppen,         Schulstufe darauf aufbauen können.
die in der Schweiz den grössten Bedarf an qualifizierten
Arbeitskräften aufweisen. Die fehlenden Arbeitskräfte wer-       MINT-Förderung: Empfehlungen und Angebote
den dabei dem zu geringen Frauenanteil zugeschrieben:            Die Akademien der Wissenschaften Schweiz nehmen im Auf-
«Ein wichtiger Grund für den Fachkräftemangel in diesen          trag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innova-
Berufen dürfte (…) sein, dass es immer noch wenig Frauen         tion (SBFI) ein Mandat für die MINT-Förderung bei Kindern
gibt, die eine Ausbildung in den klassischen MINT-Berufen        und Jugendlichen wahr. Im Schlussbericht für das Mandat
(…) absolvieren und in diesen Berufen arbeiten.»                 2013–2016, der im Juli 2018 veröffentlicht wurde, hielten sie
                                                                 Handlungsempfehlungen fest, die dem Fachkräftemangel
Wachstum an Studierenden feststellbar                            und dem tiefen Frauenanteil in bestimmten MINT-Fächern
Betrachtet man an den Schweizer Hochschulen die Entwick-         entgegenwirken sollen. Diese beinhalteten unter anderem die
lung der Studienantritte und -abschlüsse, so ist hingegen        Förderung von MINT-Projekten, die Aus- und Weiterbildung
kaum begreifbar, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt         von Lehrpersonen, die Verbesserung und Produktion von
derart heikel ist. Die Hochschulstatistik 2018 des Bundesamts    Unterrichtsmaterialien, die Nachwuchsförderung sowie die
für Statistik hat gezeigt, dass sich im Studienjahr 2016/17      Förderung der Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit.
rund 70 000 Personen für ein MINT-Studium eingeschrieben            Das MINT-Lernzentrum der ETH Zürich setzt sich seit
haben. Dies kommt knapp einem Drittel aller Studierenden         zehn Jahren erfolgreich für einen guten MINT-Unterricht
gleich. Die Hälfte der MINT-Studierenden entscheidet sich        ein. Es entwickelt hochwertige Unterrichtsmaterialien, deren
für die beiden Bereiche «Technik und IT» oder «Chemie            Einsatz wissenschaftlich begleitet und evaluiert wird, und
und Life Sciences». Der Frauenanteil hängt dabei stark           bildet auch Lehrpersonen weiter. In den vergangenen Jahren
vom Bereich ab: Während die Frauen in Chemie und Life            haben Bildungsinstitutionen, aber auch die Privatwirtschaft
Sciences mit 54 Prozent an universitären Hochschulen (UH)        stark in die MINT-Förderung investiert. Zahlreiche MINT-
und mit 43 Prozent an Fachhochschulen (FH) besonders             Projekte für Lernende sowie Weiterbildungsangebote für
stark vertreten sind, ist ihr Anteil in den Technikbereichen     Lehrpersonen sind entstanden. Ebenfalls wurden spezifische
(UH: 20 Prozent; FH: 10 Prozent) und in Informatik (UH: 14       Angebote für Mädchen entwickelt, um die Untervertretung
Prozent; FH: 12 Prozent) vergleichsweise gering. Rund ein        von Frauen in MINT-Berufen längerfristig zu korrigieren.
Drittel der Masterabschlüsse (4400 Abschlüsse) an Universi-
täten wurden 2016 in MINT-Fächern vergeben, grösstenteils        Serie «MINT» startet jetzt!
in Chemie und Life Sciences. An den Fachhochschulen              In der vorliegenden Ausgabe startet BILDUNG SCHWEIZ
verhielt es sich wie folgt: Ein Drittel der Bachelorabschlüsse   nun die neue Serie «MINT». Über mehrere Nummern hin-
(4300 Abschlüsse) und ein Fünftel der Masterabschlüsse           weg wird die Redaktion ausgewählte MINT-Förderprojekte
(546 Abschlüsse) wurden in einem MINT-Fach vergeben,             vorstellen, einem guten MINT-Unterricht auf die Spur gehen,
grösstenteils in Technik und IT.                                 die Geschlechterunterschiede beleuchten, Massnahmen zur
                                                                 Nachwuchsförderung vorstellen, ein FabLab besuchen und
Noch immer keine Beruhigung in Sicht                             vieles mehr. Den Auftakt bilden das Interview mit Elsbeth
Die vielen verschiedenen MINT-Initiativen von Bund und           Stern, Professorin für Lehr- und Lernforschung an der ETH
Kantonen, die Schülerinnen und Schüler für ein Studium im        Zürich, ein bildungspolitischer Überblick und die Reportage
MINT-Bereich zu begeistern versuchen, haben sich anschei-        zur SWiSE-Tagung. ■

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MINT

«Früher mit harten Natur-
wissenschaften starten»
Elsbeth Stern ist Professorin für Lehr- und Lernforschung an der ETH Zürich.
Im Interview mit BILDUNG SCHWEIZ erklärt sie, weshalb sie von einer frühen
Profilbildung nichts hält und was guten MINT-Unterricht ausmacht.

BILDUNG SCHWEIZ: Frau Stern, geht es           Unterricht in der Schule noch blöder. Die
um MINT-Förderung, wird häufig mit             mathematischen Grundlagen, die man
dem Fachkräftemangel argumentiert.             braucht, sind trocken. Man muss sehr viel
Was ist für Sie das wichtigste                 Zeit darauf verwenden und viel üben.
Argument?
ELSBETH STERN: Für mich als Bildungs-          Es gibt häufig Projektwochen oder
forscherin und in der Lehrerausbildung         MINT-Workshops mit Eventcharakter.
Tätige ist erst einmal der Bildungsaspekt      Kann man sich das also sparen?
zentral. Bildung ist Weltverständnis. Es ist   Dann könnte man sich auch Wandertage
nicht gut, wenn wir ständig mit Technik zu     oder Exkursionen sparen. Es gehört mehr
tun haben und die wenigsten Menschen           zur Schule, als immer nur lehrergesteuert
auch nur eine Grundidee davon haben,           zu lernen. Von daher ist es vollkommen
wie sie funktioniert. Ich kann verstehen,      okay, wenn man mal etwas mit Event-
dass man den Fachkräftemangel als Pro-         charakter macht. Es darf aber nicht der
blem sieht, aber das alleine würde es nicht    Eindruck entstehen – und das ist fatal –,
rechtfertigen.                                 dass der ganze Unterricht so gestaltet sein
                                               müsste.
Noch immer scheint es, als seien die
MINT-Fächer in der Schule nicht sehr           MINT-Fächer sind harte Arbeit. Man muss
                                                                                             Die Lehr- und Lernforscherin Elsbeth Stern
beliebt. Woran könnte das liegen?              Ausdauer und Durchhaltewillen haben.
                                                                                             befasst sich intensiv mit MINT. Fotos: Philipp Baer
Es liegt teils daran, dass viele Dinge wirk-   Ja. Aber Lehrpersonen haben sehr viel
lich sehr schwer zu verstehen sind. Wis-       in der Hand. Man sollte dies nicht als
senschaften wie Physik und Chemie haben        Entschuldigung nehmen, schlechten und         ein Affe gewesen sein? Wenn die Lehrerin
sich erst in den letzten Jahrhunderten voll    trockenen Unterricht zu machen. Entschei-     also meint, sie hat die Evolutionstheorie
entwickelt. Es wurden neue Erkenntnisse        dend ist, dass Lehrpersonen den Schüle-       damit abgehakt, dann hat sie stattdessen
gewonnen, vieles musste verworfen wer-         rinnen und Schülern mehr Zeit geben, die      ein neues Missverständnis hervorgerufen.
den. Das war für den menschlichen Geist        schwierigen Sachen zu verstehen. Auch         Die Lehrpersonen müssen an diesen kon-
nicht einfach. Dazu kommt: Man kann sich       müssen sie nachvollziehen können, warum       traintuitiven Dingen arbeiten, das steht bei
mit geringen Französisch- oder Englisch-                                                     uns in der Lehrerbildung im Mittelpunkt.
Kentnissen schon etwas verständigen. Im                                                      Es nützt nichts, den Schülerinnen und
MINT-Bereich hat man die Dinge aber
                                               «Wenn Lehrpersonen die                        Schülern Aufgaben vorzugeben, bei denen
häufig entweder ganz oder gar nicht ver-       Tafel mit Merksätzen füllen,                  sie zentrale Begriffe wie Masse nicht ver-
standen. Wenn man nicht versteht, wovon        Aufgaben vorgeben und                         stehen. Darauf müsste man vermehrt Wert
der Lehrer spricht oder worauf es bei den                                                    legen. Wenn Lehrpersonen die Tafel mit
Aufgaben ankommt, ist man frustriert.          denken, die Intelligenten                     Merksätzen füllen, Aufgaben vorgeben und
                                               können es, die anderen                        denken, die Intelligenten können es, die
Sind Naturwissenschaften in der Schule                                                       anderen gehören sowieso nicht aufs Gym-
vielleicht zu wenig attraktiv? Bräuchte        gehören sowieso nicht aufs                    nasium, dann stimmt das einfach nicht. Die
es mehr Knalleffekte, «Bum-Tätsch»             Gymnasium, dann stimmt das                    Intelligenten können es nicht von selber. In
und rauchende, farbige Flüssigkeiten?                                                        der Physik gibt es sehr viele sogenannte
Nein, nein! Das braucht es eben gerade         einfach nicht.»                               Minderleister. Diese sind ansonsten sehr
nicht. Viele Leute würden die physika-                                                       gut in der Schule und auch intelligent,
lische Welt gern besser verstehen oder         es für die Kinder so schwierig ist. Häufig    haben aber das Fach abgeschrieben, weil
würden wissen wollen, wie ihr Handy funk-      liegt es daran, dass man Begriffe anders      sie mit dem Wissen nichts anfangen kön-
tioniert. Aber dahinter steckt viel formales   interpretieren muss. Ich gebe Ihnen ein       nen. Schülerinnen und Schüler möchten
Wissen, man muss teils sehr schwierige         Beispiel aus der Primarschule, Fach Bio-      merken, dass sie die Welt mit ihrem Wis-
Dinge verstehen. An der ETH arbeiten           logie: Die Tochter eines Mitarbeiters von     sen ein bisschen besser verstehen.
wir in all unseren Projekten bewusst ohne      mir hat erzählt: «Wir haben heute gelernt,
solche Knalleffekte, denn diese entfachen      der Mensch stammt vom Affen ab, stimmt        Was machen die Schulen in der Schweiz
nur ein kurzfristiges Feuer. Ich stehe Ange-   das?» Der Vater bejahte. Darauf fragte        im MINT-Bereich bereits gut?
boten kritisch gegenüber, die vor allem        die Kleine: «Wann war ich ein Affe?» Sie      Es ist eine spürbare Bereitschaft da. Die
Begeisterung und Interesse wecken wollen       konnte mit den Informationen aus der          Fortbildungen an der ETH, auch für
und auf ausserschulische Lernorte setzen.      Schule gar nichts anfangen. Sie wusste,       Primar- und Sekundarschullehrperso-
Natürlich gefällt das den Schülerinnen         dass sie ein Mensch ist und einmal ein        nen, werden rege genutzt. Lehrpersonen
und Schülern, aber danach finden sie den       Baby war. Warum soll sie nicht auch mal       frustriert es ja auch, wenn sie sich bei

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der Vorbereitung anstrengen und die            diese Stufe bieten wir neuen Unterricht          Wir konnten langfristige Effekte feststel-
Schülerinnen und Schüler dann schei-           an und prüfen, wie sie ihn nutzen können.        len. Schwächere Schülerinnen und Schüler
tern, wenn die Fragen bei der nächsten         Eigentlich wollen wir die Längsschnitt-          haben zumindest gelernt, was man ihnen
Klausur etwas anders gestellt werden. In       studie schon lange beenden, aber viele           beigebracht hat. Intelligentere Kinder
unserem grossen Projekt «Physik in der         Lehrpersonen möchten gern nochmals               können das Verständnis später sogar in
Primarschule» untersuchen wir, wie sich        teilnehmen. Deshalb findet es irgendwie          neuen Gebieten nutzen. Für die Gymna-
der Unterricht langfristig auswirkt. Der       nie ein Ende. Das ist natürlich schön, denn      siallehrpersonen entsteht daraus auch eine
Projektgeber glaubte, wir finden höchs-        bei naturwissenschaftlichen Studien zählt        Schwierigkeit. Sie bemängeln, was alles in
tens zehn Freiwillige – inzwischen sind es     auch die Datenmenge. Zudem sehen wir,            der Grundschule nicht gelernt worden sei.
600 Lehrpersonen. Man muss die richtigen       ob die Kinder mehr profitieren, wenn eine        Ich sage ihnen dann: Wenn wir den Unter-
Sachen anbieten. Am schlimmsten ist es,        Lehrperson das Material zum zweiten Mal          richt verbessern und die Schülerinnen und
nur kurzfristiges Interesse, «Strohfeuer»,     einsetzt. Für die MINT-Studie hat meine          Schüler mehr können, dann müsst ihr das
zu entfachen oder Lehrpersonen sich selbst     Kollegin Kornelia Möller an der Universi-        auch nutzen.
zu überlassen. Viele Primarlehrerinnen         tät Münster tolle Angebote entwickelt. Für
hatten Physik nicht als Lieblingsfach und      die fünfte bis siebte Klasse gibt es hingegen    Das fordert also auch die
fühlen sich fachlich unsicher. Da braucht      nur wenige Angebote.                             Gymnasiallehrpersonen heraus?
es eine gute, unterrichtsbegleitende Fort-                                                      Ja, das soll es aber auch, sonst wäre ja
bildung, um sie zu unterstützen. Genauso       Gibt es Steigerungspotenzial bei MINT-           alles für die Katz gewesen. In der Schweiz
mühsam, wie es für die Lernenden ist,          Unterrichtsthemen in der Schweiz?                besteht noch Nachholbedarf, es gibt noch
MINT-Themen zu verstehen, ist es für           Ja, klar. Die Frage ist: Wie muss ein gutes      immer eine Diskrepanz zwischen Lehrper-
Lehrpersonen schwierig, lernwirksam zu         Lehrmittel aussehen? Unserer Meinung             sonen für das Gymnasium auf der einen
unterrichten. Ein weiteres Problem ist der     nach muss es sehr konkret sein, Vor-             und den Primar- und Sekundarlehrperso-
Mangel an MINT-Lehrpersonen in allen           schläge für jede Stunde enthalten, eine          nen auf der anderen Seite. Ein Problem ist
Bereichen, weshalb man auch nicht einfach      sinnvolle Abfolge vorgeben und vor allem         auch, dass die Ausbildung an verschiede-
eine höhere Stundendotation vorschreiben       auch Aufträge bieten. Zudem sollte die           nen Institutionen stattfindet.
kann.                                          Lehrperson vor der Unterrichtsstunde
                                               mindestens zehn mögliche Fragen auflis-          Müssten Ihrer Meinung nach alle
Gibt es neben der Bereitschaft noch            ten, denn gute Fragen schüttelt man nicht        Lehrpersonen an Universitäten
etwas, was gut funktioniert?                   einfach aus dem Ärmel. Ebenfalls muss sie        studieren?
Die Schulen sind sehr autonom. Wir             verstehen, was wir uns bei unseren Materi-       Die Universität alleine macht es nicht aus.
müssen nicht durch hundert Behörden            alien gedacht haben. Wir entwickeln alles        Doch die Lehrpersonen der unterschiedli-
gehen, um etwas umzusetzen. Wir arbei-                                                          chen Stufen nehmen sich gegenseitig relativ
ten evidenzbasiert, schauen also, was die                                                       wenig zur Kenntnis. Bei den Übergängen
Schülerinnen und Schüler vor und nach          «Genauso mühsam, wie es für                      vom Kindergarten zur Primarschule und
unserem Unterricht können. Dann ver-           die Lernenden ist, MINT-                         von dieser zur Sekundarschule hat sich
gleichen wir sie mit einer Kontrollgruppe,                                                      viel getan, aber die Schnittstelle zu den
die den Unterricht nicht hatte. Bei Themen
                                               Themen zu verstehen, ist es für                  Gymnasien sollte optimiert werden. In
wie «Luft und Luftdruck» oder «Schwim-         Lehrpersonen schwierig, lern-                    meiner Vorlesung für künftige Gymnasi-
men und Sinken» konnten Sechstklässler                                                          allehrpersonen vermittle ich auch Wissen
ohne unseren Unterricht die Fragen weni-
                                               wirksam zu unterrichten.»                        zur Entwicklung von Primarschulkindern.
ger gut beantworten als Zweitklässler, die                                                      Die Studierenden sollen verstehen, was
ihn besuchten. Manches lernt man auch          gemeinsam mit ihnen, auch die Fortbil-           die Kinder, die zu ihnen in den Unterricht
ausserhalb der Schule, aber das gehört nicht   dung. Wichtig ist auch, dass die Lehrper-        kommen, schon durchgenommen haben
dazu, da war unser Unterricht entscheidend.    sonen die Wahl haben und der Unterricht          und wo es noch Probleme geben kann.
                                               nicht pfannenfertig ist. Sie sollen Unterstüt-
Das ist auch ein Resultat der MINT-            zung haben, aber dennoch frei darin sein,        Was macht guten MINT-Unterricht aus?
Studie, die 2011 startete und die Sie          wie sie den Unterricht gestalten möchten.        Am Anfang sollte eine Frage stehen, die
gemeinsam mit dem MINT-Lernzentrum             Lehrpersonen sind letztlich die Keyplayer        man nicht beantworten kann. Diese muss
der ETH leiten. Was ist der jetzige Stand?     im Unterricht.                                   nicht superspannend sein, aber es sollte
Wir sind mit 300 Schülerinnen und Schü-                                                         den Kindern klar sein: Wenn ich mich
lern gestartet. Sie besuchen heute das Gym-    Die MINT-Studie zeigt: Achtjährige               auf den Unterricht einlasse, kann ich sie
nasium. Später kamen mehrere tausend           Kinder konnten nach Ihrem speziellen             beantworten. Dann sollen die Kinder selbst
hinzu. Viele Schülerinnen und Schüler sind     Physikunterricht ihr Wissen deutlich             möglichst viele Antworten geben. Ein Bei-
nun in der fünften und sechsten Klasse,        und nachhaltig vergrössern. Was heisst           spiel für eine Frage ist: Warum schwimmt
einige auch in der siebten und achten. Für     das für die Lehrerausbildung?                    ein schweres Schiff aus Stahl? Die Kinder

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antworten dann mit «Es hat einen Kapitän»
oder «Es hat einen Motor». Anschliessend
kann man ihnen aufzeigen, dass ein Topf
aus Stahl auch schwimmt, und der hat
weder einen Motor noch einen Kapitän.
Man muss mit den Hypothesen der Schü-
lerinnen und Schüler arbeiten. Lehrperso-
nen müssen wissen, was eine intuitive, aber
falsche Vorstellung ist.

Kann man falsche Vorstellungen bei
jüngeren Kindern besser zurechtbiegen?
Man kann immer dazulernen. Manche
Dinge sollte man aber möglichst schnell
aufgeben. So kann man beispielsweise die
Welt nicht so gut verstehen, wenn man bis
zum 15. Lebenjahr glaubt, dass Luft ein
negatives Gewicht hat. Für den MINT-
Unterricht sollte man die Themen wählen,
die verstanden werden können, und nicht
die, die Spass machen. Intuitiv verstehen
                                              «Am Anfang des MINT-Unterrichts soll eine Frage stehen», erklärt Elsbeth Stern.
Kinder durch Experimente beispiels-
weise, warum ein Schiff schwimmt, und
lernen so eine Vorform von Dichte und         Ich glaube, dass die harten Naturwissen-             viele auch nichts dagegen zu sagen, sie
Auftrieb. Nach dem Unterricht können          schaften häufig zum ungünstigsten Zeit-              seien mathematisch oder sprachlich nicht
etwa 60 Prozent mit den Begriffen etwas       punkt anfangen. Wenn man in die Pubertät             begabt. Wir lassen das viel zu früh zu und
anfangen. Die anderen wissen immerhin,        kommt, interessiert man sich für alles Mög-          festigen damit bestehende Rollenbilder.
dass Holz schwimmt und Eisen untergeht.       liche – aber nicht unbedingt für die Schule.
Man sollte sich auch überlegen, welche        Genauso, wie man in der Schule selbstver-            Viele Jugendliche wählen das KV oder
Themen auch Faktenwissen bieten und in        ständlich Lesen und Schreiben lernt, sollte          den Detailhandel für ihre Lehre. Das
welchen es verschiedene Stufen des Ver-       man daher etwas über Naturwissenschaf-               sind Branchen, welche die Digitali-
stehens gibt. Schliesslich kann man eine      ten lernen, bevor die Geschlechtsidentität           sierung stark verändern wird. Wie
«Good-Enough»-Kompetenz definieren.           herausgebildet ist. Deshalb setzt die MINT-          könnten mehr junge Menschen für einen
Man legt dabei fest, was mindestens von       Studie im Primarschulalter an. Zudem bin             MINT-Beruf motiviert werden?
allen Schülerinnen und Schülern verstan-      ich der Meinung, dass man die Schwer-                Indem man ihnen früh aufzeigt, dass sie
den werden soll.                              punktfächer am Gymnasium zu früh fest-               auch in diesen Berufen ein Kompetenzerle-
                                              legt. Dazu kommt, dass ein Mädchen nicht             ben haben können. Auch Praktika können
Haben die Lehrpersonen einen solchen          gern als Einziges in einer Jungenklasse              helfen. Manchmal fehlt zudem schlicht das
Spielraum? Der Lehrplan gibt ihnen die        ist. Die Leistungsunterschiede zwischen              Wissen über die Möglichkeiten, deshalb
Themen doch vor.                              Jugendlichen in einer Schwerpunktklasse              informiert die ETH an den Gymnasien
Es muss sich niemand hinter dem Lehr-         und den anderen sind gar nicht so gross.             darüber, dass man dort viel mehr studie-
plan verstecken. Wie man die Themen           Deshalb sollte man die Wahlmöglichkeiten             ren kann als Physik und Chemie. Für alles
unterrichtet und einbettet, bleibt auch mit   für alle länger offenlassen! Den Mädchen             braucht man allerdings gute Mathematik-
dem Lehrplan 21 sehr offen – auch wenn        macht man es insgesamt zu leicht, sich               kenntnisse.
er viele Anregungen bietet. Man muss sich     von den Naturwissenschaften, den Jungs,
auch überlegen, welche Themen vor dem         sich von der Sprache zu verabschieden.                Interview: Deborah Conversano
Übertritt in die nächste Stufe behandelt      Ich kenne intelligente Jungen, die aufgrund
werden sollten.                               von Lesedefiziten nicht aufs Gymnasium
                                                                                                    Zur Person
                                              gehen. Man sollte sie lesen lassen, was sie           Prof. Dr. Elsbeth Stern ist ordentliche
PISA 2015 hat gezeigt, dass 15-jährige        interessiert – Hauptsache, sie lesen.                 Professorin für empirische Lehr- und
Mädchen in der Schweiz im Länder-                                                                   Lernforschung und Leiterin des Instituts für
vergleich weniger Interesse an MINT           Und wie ist das bei den Mädchen?                      Verhaltensforschung am Departement für
                                                                                                    Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften der
haben und sich weniger zutrauen als           Mathematik braucht man überall, beispiels-            ETH Zürich. Dort ist sie verantwortlich für den
ihre gleichaltrigen Mitschüler. Woran         weise auch im Psychologiestudium. Zwar                pädagogischen Teil der Ausbildung angehender
könnte das liegen?                            möchte niemand dumm sein, aber haben                  Gymnasiallehrpersonen.

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Dauerbrenner auf der
bildungspolitischen Agenda
MINT-Themen stehen regelmässig auf der Traktandenliste in der Schweizer Bildungspolitik.
Im Sinne einer kurzen Auslegeordnung gibt BILDUNG SCHWEIZ einen Überblick über erledigte
und hängige Vorstösse und Projekte des Bundesrats und des Parlaments.

 Gleich vorweg: Die MINT-Fächer und                  Verbesserungspotenzial erkannt                       fest, dass Bildung und Forschung im
-Berufe fliegen im Schweizer Parlament              Diesen integrierten Bericht hat der Bundes-           Hinblick auf die gestiegene Bedeutung
 nicht unter dem Radar. In den vergangenen          rat am 8. November 2017 verabschiedet.                der Digitalisierung bereits reagiert haben
 Jahren haben die Mitglieder des National-          Fazit des Berichts: Der Schweizer Arbeits-            und die Schweiz dank des durchlässigen
 und des Ständerats zahlreiche bildungspo-          markt befinde sich in einer sehr guten Aus-           Bildungssystems grundsätzlich eine gute
 litische Vorstösse zum Thema eingereicht.          gangslage und werde durch eine gezielte               Position aufweist. Gleichwohl ortet der
 Einige davon wurden auch angenommen,               Verbesserung der Rahmenbedingungen                    Bericht Handlungsbedarf in Bereichen, die
 wie beispielsweise das Postulat 15.3854            von der Digitalisierung profitieren. Dies             im dazugehörigen Aktionsplan für 2019
 von SP-Nationalrat Mathias Reynard aus             setze aber voraus, dass die Bildung noch              und 2020 aufgeführt sind. So falle die
 dem Wallis. Dieses verlangte vom Bun-              stärker auf die in der digitalen Wirtschaft           Schweiz zum Beispiel in aufkommenden
 desrat, mit Blick auf den Arbeitsmarkt             benötigten Kompetenzen ausgerichtet wird.             Forschungsfeldern der Digitalisierung wie
 einen Bericht über die Risiken, Chancen            Diese Schlussfolgerungen decken sich                  Big Data im internationalen Vergleich ab,
 und Folgen der durch die Digitalisierung           dabei mit denjenigen aus zwei anderen                 und in der Bildung müssten die MINT-
 ausgelösten Automatisierungsprozesse               Berichten, die 2017 erschienen sind. Zum              Fächer verstärkt gefördert werden.
 vorzulegen. Hier war der Bundesrat nicht           einen lieferte der Bundesrat am 11. Januar
 nur bereit, diese Fragen zu prüfen und             mit «Rahmenbedingungen der digitalen                  Gut, aber offenbar nicht gut genug
 über den aktuellen Stand zu informieren,           Wirtschaft» eine Auslegeordnung innerhalb             Strategie, Aktionsplan, Berichte: Es ist
 sondern er verknüpfte Reynards Vorstoss            seiner Strategie «Digitale Schweiz», die im           definitiv nicht so, dass der Bundesrat die
 gleich mit einem anderen, thematisch ähn-          September 2018 aktualisiert und für die               Hände in den Schoss legt. Er unterstützt
 lichen Postulat. Der Waadtländer FDP-              nächsten zwei Jahre verabschiedet wurde.              unter anderem auch das interkantonale
 Nationalrat Fathi Derder hatte in seinem           Zum anderen veröffentlichte das Staats-               Projekt FIDES (Föderation von Identitäts-
 angenommenen Postulat 17.3222 gefor-               sekretariat für Bildung, Forschung und                diensten für den Bildungsraum Schweiz),
 dert, die in der digitalen Wirtschaft neu          Innovation (SBFI) am 5. Juli den Bericht              das Lernenden und Lehrpersonen einen
 entstehenden Berufe sowie die Mittel zu            «Herausforderungen der Digitalisierung                einzigen gesicherten Zugang zu Online-
 deren Förderung zu beschreiben.                    für Bildung und Forschung». Dieser hält               Diensten ermöglichen soll. Dennoch stellt

Die MINT-Fächer und -Berufe kommen regelmässig auf das bildungspolitische Tapet von Bundesrat und Parlament. Foto: Thinkstock/mddphoto

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sich bei der Analyse der im Parlament ein-    sollte. In seiner Antwort sah der Bundes-      auf die zwei hängigen Motionen 19.3009
gereichten Vorstösse der Eindruck ein, die    rat davon ab, ein solches Programm zu          und 19.3010 an, die die WBK-N im Feb-
bundesrätlichen Aktivitäten seien für die     lancieren. Einerseits bestünde schon ein       ruar 2019 eingereicht hat. In einer Motion
Mitglieder des National- und des Stände-      breites Angebot an Initiativen zur MINT-       wird der Bundesrat beauftragt, innova-
rats nicht ausreichend. So forderte im Jahr   Förderung, andererseits habe der Bund          tive Digitalisierungsprojekte bekannt zu
2016 die SP-Nationalrätin Min Li Marti        aufgrund der Bildungshoheit der Kantone        machen. Dies könnte über eine Auswei-
in ihrer Motion 16.3730 den Bundesrat         keine Handlungskompetenzen auf Stufe           tung der Plattform digitalinform.swiss
dazu auf, Massnahmen zur Erhöhung             der obligatorischen Schule. Diese Begrün-      auf alle Bildungsstufen erfolgen, die seit
des im internationalen Vergleich unter-       dung kommt dann zum Tragen, wenn der           Dezember 2018 besteht und derzeit nur
durchschnittlichen Frauenanteils in den       Bund nicht eingreifen kann oder will.          auf die Berufsbildung beschränkt ist. Mit
MINT-Berufen zu ergreifen. Die Zürcherin                                                     der zweiten Motion soll ein zeitlich befris-
interessiert sich auch persönlich für die     Impulsprogramm auf freiwilliger Basis          tetes Digitalisierungs-Impulsprogramm für
Digitalisierung. «Obwohl ich ein wenig        Um dieses Argument zu entkräften und die       die Hochschul-, Berufs- und Weiterbildung
ein Nerd bin, habe ich weder Informatik       Kompetenzordnung in der Bildung einzu-         lanciert werden, um die Ziele der Strategie
studiert noch in der Branche gearbeitet.      halten, hat die CVP-Fraktion in der noch       «Digitale Schweiz» erreichen zu können.
Ich habe mich daher gefragt, wie man          hängigen Motion 18.3517 einen ande-            Für dieses Programm soll der Bundesrat
Mädchen und Frauen wie mich motivie-          ren Ansatz gewählt. Der Bundesrat soll         eine separate Vorlage parallel zur BFI-Bot-
ren könnte, in die IT zu gehen», begründet    die nötigen gesetzlichen Grundlagen für        schaft erarbeiten. «Die Anliegen unserer
Marti ihren Vorstoss.                         ein Impulsprogramm ausarbeiten, damit          Fraktionsmotion wurden somit von diesen
   Der Bundesrat lehnte aber ebenso wie       der Bund die Kantone und Gemeinden             beiden Kommissionsmotionen weitestge-
der Nationalrat die Motion ab: Er ver-        in der Stärkung der digitalen Kompeten-        hend übernommen», freut sich Egger.
wies in seiner Antwort einerseits auf die     zen an den Schulen unterstützen kann.
140 Millionen Franken zur Stärkung der                                                       Digitalisierung überstrahlt alles
MINT-Kompetenzen in der BFI-Botschaft         «Technik ist oft nur von der                   Zum Schluss dieser Analyse der parlamen-
2017–2020. Andererseits sei es nicht seine                                                   tarischen Vorstösse fällt einerseits auf, dass
Aufgabe, etwas zu fördern, das in Projekten   Machbarkeit getrieben, die                     die MINT-Fächer in der Diskussion häu-
von Organisationen der Arbeitswelt oder       Folgen werden zu wenig                         fig auf die Informatik beziehungsweise die
an den Hochschulen bereits erfolge. Zum                                                      Digitalisierung reduziert werden, während
Schluss heisst es etwas kryptisch: «Der       bedacht.»                                      die anderen Fächer ausgeblendet werden.
Bundesrat ist jedoch der Meinung, dass                                                       Diese Tendenz hat sich im Lauf der Jahre
die Rahmenbedingungen, die die Deckung        «Diese Unterstützung basiert immer auf         noch verstärkt. Andererseits haben Vor-
des Fachkräftemangels ermöglichen, gege-      dem Grundsatz der Freiwilligkeit», erklärt     stösse, die den Blick auf die MINT-Berufe
ben sind und es nicht in seiner Verantwor-    Thomas Egger, Walliser Nationalrat und         richten, bessere Chancen zur Annahme
tung liegt, selber weitere Massnahmen zu      Sprecher der Motion. «Projektträger            im Parlament als solche, die sich um die
ergreifen.» Marti selbst vermutet, dass bei   können daran partizipieren, müssen aber        MINT-Bildung drehen. Dies zeigt sich etwa
einigen im Rat auch die Vorstellung mit-      nicht.» Verschiedene Initiativen seien         in der abgelehnten Informatikoffensive, die
schwinge, dass Frauen für MINT-Berufe         zwar im Gang, aber nicht alle Kantone          die WBK-N mit ihrer Motion 17.3273 für
halt nicht geeignet seien. Sie betont aber    würden über die gleichen finanziellen und      die obligatorische Schule lancieren wollte
auch, dass die Auseinandersetzung mit         personellen Ressourcen verfügen. Hier          und stark dem Vorstoss der CVP-Fraktion
der Gesellschaft gestärkt werden könnte.      könne das Impulsprogramm entgegen-             ähnelt, aber auch in der angenommenen
«Technik ist oft nur von der Machbarkeit      wirken, damit sich der digitale Graben         Motion 17.3067 von FDP-Nationalrat
getrieben, die Folgen werden zu wenig         nicht noch weiter öffne. Dies liegt ihm als    Marcel Dobler aus St. Gallen. Er forderte,
bedacht.»                                     Berggebietsvertreter besonders am Herzen:      dass ausländische Masterabsolventen und
   Andere Vorstösse wiederum schaffen         «Dank der Digitalisierung könnte gerade in     Doktoranden aus Bereichen mit ausgewie-
es gar nicht erst zur Abstimmung im Par-      kleinen Bergdörfern der Unterricht völlig      senem Fachkräftemangel wie den MINT-
lament, wie beispielsweise die Motion des     neu gestaltet werden. Sie bleiben dadurch      Berufen unbürokratisch in der Schweiz
Neuenburger FDP-Nationalrats Laurent          attraktiv für Familien.»                       bleiben können. Der Einwand des Bun-
Favre 12.3622. Im Juni 2014 wurde sie wie         Gleichwohl ist Egger nicht überrascht,     desrats, dass dies mit den bestehenden
gesetzlich vorgesehen abgeschrieben, weil     dass der Bundesrat die Motion abgelehnt        erleichterten Zulassungsvoraussetzungen
sie nicht innert zwei Jahren abschliessend    hat. Die Diskussionen mit anderen Rats-        bereits heute möglich sei und daher keine
im Rat behandelt wurde. Sie verlangte vom     mitgliedern hätten aber das hohe Interesse     weiteren Ausnahmen vom Kontingentsys-
Bundesrat, gemeinsam mit den Kantonen         daran gezeigt. «Unser Vorstoss hat letztlich   tem vorgesehen seien, überzeugte weder
und Hochschulen ein Förderprogramm            auch dazu geführt, dass sich die national-     im Nationalrat noch im Ständerat.
für die MINT-Fächer auszuarbeiten,            rätliche Bildungskommission (WBK-N) des
das bereits in der Grundstufe ansetzen        Themas angenommen hat.» Er spricht hier        Maximiliano Wepfer

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MINT:Mal erhellend, mal packend, mal anders Anna Göldi auf der Spur - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
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                Cartoon: Marina Lutz

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MINT

Roboterbienen
im Kindergarten
In St. Gallen fand im März der 10. SWiSE-Innovationstag unter dem Motto «MINT einmal anders» statt. Er
bot nicht nur Impulse für den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht, sondern mit praxisorientierten
Ateliers und Kurzvorträgen auch Gelegenheit, sich mit der Digitalisierung an den Schulen auseinanderzusetzen.

«In der Informatik geht es nicht um Com-             hat. Im anderen Hauptvortrag rückte Pro-          führen. Einem Roboter gleich verstand sie
puter, ebenso wie es in der Astronomie               fessor Ralph Kugler von der PH St. Gallen         nur Einzelbefehle. Dazu benötigte Gärtner
nicht um Teleskope geht», erläuterte Bernd           das Thema «Making macht Schule» ins               vier mit Pfeilen versehene Bewegungskar-
Gärtner zu Beginn des Ateliers, welches              Zentrum. Die Kurzreferate widmeten sich           ten, die den Roboter Schritt für Schritt in
das Programmieren von klein auf zum                  aktuellen Themen wie «Big Data im Super-          die gewünschte Richtung lenkten. Logi-
Thema hatte. «Aber worum geht es dann?»,             markt – was Kundenkarten über mich ver-           sches und vorausschauendes Denken
fragte der ETH-Professor die kleine Schar            raten» und «Personalisierte Werbung am            waren gefragt.
der anwesenden Lehrpersonen. Er reichte              Beispiel Zalando». Weiter wurden auch
die Antwort gleich nach: «Informatik ist             neue Lehrmittel vorgestellt, wie zum Bei-         Auf Umwegen mit Roboterbienen
die Wissenschaft von der systematischen              spiel «NaTech 7–9», das sich konsequent           Nach dieser kurzen Einführung hatten die
Darstellung, Speicherung, Verarbeitung               am Lehrplan 21 orientiert.                        Kursteilnehmenden Gelegenheit, kleine
und Übertragung von Informationen. Wir                  Im eineinhalb Stunden dauernden                Roboterbienen, sogenannte Bee-Bots,
können dies mithilfe eines Algorithmus               Workshop «Programmieren von klein auf»            loszuschicken. Ein Bee-Bot hat auf seiner
tun, wie wir es von der Division kennen.             von Bernd Gärtner erfuhren Lehrpersonen,          Unterseite kleine Räder, die ihn in alle vier
Sie sehen, Informatik ist keinesfalls etwas          wie sie schon im Kindergarten und auf             Himmelsrichtungen fahren lassen. Auf sei-
Neues, sondern sehr alt.»                            der Unterstufe Konzepte der Informatik            nem Rücken befinden sich fünf Knöpfe,
                                                     vermitteln können. Um einen Computer
Informatik für die Unterstufe                        programmieren zu können, gilt es, eine
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des               Sprache zu finden, die dieser versteht.           «Computer sind sehr dumm.
diesjährigen Innovationstags von Swiss               «Sie müssen wissen, Computer sind sehr            Bisher ist es nicht möglich, sie
Science Education (SWiSE) an der Päda-               dumm», sagte Gärtner. «Bisher ist es nicht
gogischen Hochschule St. Gallen konnten              möglich, sie anhand unserer Sprache zu
                                                                                                       anhand unserer Sprache zu
zwischen 19 Ateliers und 10 Kurzreferaten            programmieren. Wir brauchen dazu einfa-           programmieren. Wir brau-
auswählen. Beherrschendes Thema war                  che Befehle.» Um zu veranschaulichen, wie
die Digitalisierung mitsamt ihren Möglich-           das funktioniert, hatte der Professor auf
                                                                                                       chen dazu einfache Befehle.»
keiten und Gefahren. In ihrem Hauptvor-              dem Boden ein Schachbrettmuster vorbe-
trag sprach Professorin Ira Diethelm von             reitet. Dieses bestand aus 16 Feldern und         die der Programmierung dienen. Je nach
der Universität Oldenburg über die digitale          war quadratisch. Das Ziel war nun, eine           Knopf bewegt sich die Biene ein Feld
Bildung und was diese mit MINT zu tun                Person von einem Feld auf ein anderes zu          vorwärts, rückwärts, dreht sich nach links,
                                                                                                       nach rechts oder legt eine Pause ein. Ins-
                                                                                                       gesamt kann sich der Roboter 40 Befehle
                                                                                                       merken, die er nacheinander ausführt.
                                                                                                       Nachdem jede Lehrperson ihren Bee-Bot
                                                                                                       einige Male auf ihrem Schachbrettmuster
                                                                                                       herumkurven liess, wurden die Aufgaben
                                                                                                       komplizierter. Beispielsweise setzten sich
                                                                                                       zwei Personen zusammen und liessen ihre
                                                                                                       Roboterbienen gleichzeitig auf einem Feld
                                                                                                       laufen. Jetzt galt es, den eigenen Bee-Bot so
                                                                                                       zu programmieren, dass er dem anderen
                                                                                                       nicht ins Gehege kam. Dies erforderte für
                                                                                                       das Gelingen nebst guter Kommunikation
                                                                                                       mit dem Gegenüber wiederum zielgerich-
                                                                                                       tetes Vorausschauen. Wenn sich die bei-
                                                                                                       den Bienen trotzdem einmal in die Quere
                                                                                                       kamen, löste das grosses Gelächter aus.
                                                                                                          Um mit dem Bee-Bot vom Ausgangs-
                                                                                                       punkt zum Ziel zu gelangen, sind mehrere
                                                                                                       Wege möglich. In einer Aufgabe, die sich
                                                                                                       diesem Thema widmete, wurde angemerkt,
                                                                                                       dass es keinen richtigen oder falschen Weg
                                                                                                       gebe. Wie könnte man also die Qualität
                                                                                                       einer Lösung messen? Eine mögliche
                                                                                                       Antwort darauf ist, dass der kürzeste Weg
                                                                                                       ein Qualitätsmerkmal ist, denn dadurch
Eine knifflige Programmieraufgabe: Die Roboterbienen, sogenannte Bee-Bots, dürfen sich nicht in die
Quere kommen. Fotos: Roger Wehrli

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Geduld und Fingerspitzengefühl sind gefragt, wenn die Gesetze der Mechanik   Mithilfe eines rudimentären «Seiltänzers» lernen die Teilnehmenden, die
anhand einfacher Beispiele ausprobiert werden.                               Hebelwirkung zu begreifen und den Schwerpunkt zu finden.

lässt sich Zeit sparen. Wenn jedoch zwei            Daher der Ausdruck «Haftreibung». Um                eine Maschine zu bauen, die mehr Arbeit
Roboterbienen gleichzeitig unterwegs                das Phänomen des Hebels zu begreifen,               leisten kann, als man in sie hineinsteckt,
sind, könnte es dazu kommen, dass sie               reichte schon ein dicker Karton, den man            ist uralt. Tatsächlich liefert der Hebel an
sich gegenseitig blockieren. In diesem              zuerst mit einer kleinen und danach mit             einem Ende mehr Kraft, als man am ande-
Fall ist der Umweg zeitsparender. Auch              einer grossen Schere zerschneiden musste.           ren aufwendet. Aber leistet er auch mehr
wenn die Aufgaben schwieriger wurden, so                Mit dem gleichen Phänomen setzten               Arbeit? Gibt es eine andere Vorrichtung,
blieb doch die Programmiersprache immer             sich die Lehrpersonen auseinander, die              also das berühmte Perpetuum mobile, wel-
einfach. Aus diesem Grund, meinte der               ein Mobile bastelten. Zur Verfügung                 ches dieses Ziel erreicht? Leider nein. Aber
Kursleiter, seien die Bee-Bots geeignet für         hatten sie einige Foldback-Klammern,                die ewige und bis heute vergebliche Suche
den Kindergarten und die Unterstufe und             Schnur und Lineale in verschiedenen Grös-           nach dem Perpetuum mobile führten zur
würden ausserdem fremdsprachigen Kin-               sen. Hier ging es darum, die Konstruktion           Mechanik und einer Vielzahl verblüffender
dern gleiche Chancen bieten.                        im Gleichgewicht zu halten, obwohl die              Erfindungen.
                                                    Lineale unterschiedlich lang und schwer
Die Gesetze der Mechanik erfahren                   waren. Ein wichtiger Teil der Aufgabe war,          Roger Wehrli
«Blättere die Seiten von zwei Büchern               die Lineale nicht immer in der Mitte auf-
möglichst abwechslungsweise ineinan-                zuhängen. Hier kam neu hinzu, dass alle
der. Ist es möglich, die beiden Bücher an           Kräfte mal Kraftarme auf der einen Seite
den Buchrücken auseinanderzuziehen?»                des Drehpunktes addiert werden mussten.
So lautete eine der Fragen, die im Atelier          Diese hatten gleich zu sein wie die Summe
«Mechanik verstehen» von Nicole Schwery             aller Lasten mal Lastarme auf der anderen
behandelt wurden. Dieses lud dazu ein, die          Seite.
Gesetze der Mechanik anhand einfacher                                                                   SWISE
Beispiele auszuprobieren. Dazu genügten             Der Traum vom Perpetuum mobile
Alltagsgegenstände wie ein Besen, um den            Das Schönste an diesem Atelier war, mit             SWiSE (Swiss Science Education) ist eine
Schwerpunkt zu ermitteln, Dominosteine,             welcher Begeisterung und Verspieltheit              interkantonale Kooperation und hat zum
um eine Brücke zu bauen, eine Kugel in              Lehrpersonen jeden Alters bei der Sache             Ziel, den naturwissenschaftlich-techni-
einem Glas, um die Fliehkraft zu erfahren,          waren. Die hier erworbenen Erkennt-                 schen Unterricht weiterzuentwickeln. Im
                                                                                                        Zentrum stehen der fachdidaktische Dia-
oder zwei ineinander verhakte Bücher, um            nisse und Erfahrungen werden sie gerne
                                                                                                        log und die breite Vernetzung. Seit 2009
die Haftreibungskraft zu spüren. Tatsäch-           mit in die Schulzimmer nehmen. Damit
                                                                                                        treffen sich Vertretungen aus acht päda-
lich war es nicht möglich, die zwei Bücher          lassen sich auch Schülerinnen und Schü-             gogischen Hochschulen der Deutsch-
voneinander zu lösen. Die Kursleiterin              ler der Mittelstufe begeistern. Erhellend           schweiz unter der Gesamtprojektleitung
erklärte, dass die Oberfläche eines Gegen-          war auch die Einführung in den Kurs. So             des Zentrums Naturwissenschafts- und
standes nie vollkommen glatt sei. Wenn ein          zeigte Nicole Schwery, dass der Beginn der          Technikdidaktik an der PH FHNW regel-
Gegenstand auf einem anderen liege, ver-            Mechanik mit dem Beginn der menschli-               mässig, um gemeinsame Produkte und
hakten sie sich ineinander und hafteten so.         chen Kultur zusammenfällt. Der Traum,               Projekte zu entwickeln und zu realisieren.

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Mit Magna das
Umweltbewusstsein schärfen
Text:             Magna, das neue Profil des Gymnasiums Unterstrass in Zürich, ermöglicht
Belinda Meier     seinen Lernenden, ihr naturwissenschaftlich-technisches Wissen im
Fotos:            Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen und ökologischen Wandel zu
Eleni Kougionis   begreifen. Mit Erfolg: Die Resonanz ist positiv und bereits haben sich
                  wieder 20 Jugendliche für das kommende Schuljahr angemeldet.

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MINT

Unsere Meere sind voller Plastik. Dieser bringt unser Öko-      viel fokussierter, daher ist es für Jugendliche sinnvoll, bereits
system zum Kollabieren, wenn nicht nachhaltig und innert        jetzt viel naturwissenschaftliches Grundwissen anzurei-
kurzer Frist eine Wende einkehrt. Ein junger, mutiger Hol-      chern und über gesellschaftliche Auswirkungen Bescheid
länder namens Boyan Slat stellte sich 2013 diesem mons-         zu wissen.»
trösen und schier ausweglosen Problem. Mit seinen damals           Kann Magna diesen hohen Anspruch erfüllen? Die zwan-
18 Jahren begann er ein System zu entwickeln, das die           zigköpfige «Magna-Elite» bestehend aus fünf Mädchen und
Meere von Kunststoffmüll befreien soll. Genau wie der           15 Knaben, die ein Aufnahmeverfahren von zehn Prüfungen
Kunststoff selbst bewegt sich dieses System passiv mit          in sieben Fächern bestehen und zusätzlich die Hürde der
den Strömungen des Meeres mit. Es besteht aus einem             erstsemestrigen Probezeit überstehen mussten, zeigt sich an
600 Meter langen Schwimmer, der sich an der Wasser-             diesem Mittwochmorgen im April jedenfalls überzeugt, den
oberfläche befindet, und einem drei Meter tiefen Rand. Der      richtigen Weg gewählt zu haben. Einer unter ihnen ist der
Schwimmer verleiht dem System Auftrieb und verhindert           16-jährige Florian. Er liebt Naturwissenschaften, vor allem
so, dass Plastik über das System fliessen kann. Während         Chemie. «Das Profil hat mich deshalb überzeugt, weil es
sich das schlauchförmige System durch das Wasser bewegt,        einen grossen Schwerpunkt auf die naturwissenschaftlich-
sammelt sich der Kunststoff innerhalb seiner U-förmigen         technischen Fächer legt, dabei trotzdem auch der Musik
Grenze an und wird schliesslich zum Recycling zurück an         Platz einräumt.» Zudem sei die Schule Unterstrass klein,
Land gebracht. Dieses erste «Ocean Cleanup» genannte            übersichtlich und habe eine gute Einstellung zu Umwelt-
System mit der Nummer 001 wurde im September 2018 mit           themen. «Das ist mir wichtig und macht die Schule sympa-
Erfolg vor der Küste San Franciscos eingewassert. Derzeit ist   thisch.» Auch Nicolo, 15 Jahre alt, fühlt sich im Magna-Profil
es in Richtung Great Pacific Garbage Patch unterwegs, der       am richtigen Ort. Von allen Fächern interessieren ihn die
weltweit grössten Anreicherungszone von Kunststoffen im         naturwissenschaftlichen am meisten. «Dass wir im Profil
Ozean, die sich zwischen Kalifornien und Hawaii befindet.       einen regelmässigen Austausch mit Hochschulen haben, ist
Das Unternehmen «The Ocean Cleanup» beschäftigt heute           ein grosser Vorteil.» Seine Eltern sind Umweltwissenschaft-
über 80 Ingenieure, Forscherinnen, Wissenschaftler und          ler, Umweltthemen werden im Familienverband daher öfter
Informatikerinnen, die sich täglich für die Beseitigung des     diskutiert. «Ich möchte wissen und auch verstehen, was auf
Kunststoffs in den Meeren einsetzen.                            der Welt passiert. Magna greift diesen Gedanken gut auf.»
                                                                Magna ist aber nicht nur für den Nachwuchs bildungsna-
Mit Magna Zusammenhänge besser verstehen                        her Bevölkerungsschichten erreichbar, sondern für alle, die
Mutige und engagierte Menschen und Macher wie Boyan             die Anforderungskriterien erfüllen – auch ohne finanzielles
Slat sind es, die das Gymnasium Unterstrass in Zürich           Polster. «Wir können vier Plätze pro Jahr anbieten, die
zum Vorbild nimmt, um Jugendliche für das neue Profil           mittels Stipendien finanziert werden», erklärt Schoch. Der
Naturwissenschaften+, kurz Magna genannt, zu begeistern.        16-jährige Ioannis konnte von diesem Angebot profitieren.
Mit rund 20 Schülerinnen und Schülern konnte dieses im          Sein Herz schlägt für Mathematik und Naturwissenschaften,
Schuljahr 2018/19 starten. Das Pluszeichen in der Profilbe-     in diesen Fächern ist er auch am stärksten. «Magna war die
zeichnung verrät: Magna ist mehr als ein gymnasiales Profil     richtige Entscheidung für mich.» Dass das Profil mit sechs
mit Schwerpunkt Naturwissenschaften. Magna verbindet            Lektionen Mathematik pro Woche gestartet hat, kam ihm
mathematisch-naturwissenschaftliche Themen mit Fra-             sehr entgegen. Wie Nicolo schätzt auch er die Koopera-
gen zum Umweltschutz und zur weltweiten Gerechtigkeit.          tion mit Hochschulen und damit verbunden insbesondere
Ökologische und soziale Themen nehmen einen ebenso              das ausserschulische Lernen. «Wir haben am Science Lab
zentralen Stellenwert ein wie das Vermitteln der fachlichen     der Uni Zürich teilgenommen und uns dabei mit Atomen
Kompetenzen selbst. Das Ziel dahinter: Magna möchte             und Elektronen auseinandergesetzt. Zudem besuchten wir
einen Beitrag leisten für die Bildung naturwissenschaftlich-    das Einstein Museum in Bern», erzählt er begeistert. Seine
technischer Fächer, damit später kompetente Fachkräfte          Erwartungen an das Profil hätten sich in diesem ersten Jahr
ausgebildet werden können, die Verantwortung für diese          vollumfänglich erfüllt.
Welt übernehmen. «Wir brauchen fähige Ingenieurinnen
und Ingenieure, die nach Lösungen suchen und dabei auch         Zellteilung versus Umweltreportage
darüber nachdenken, was links und rechts davon geschieht»,      Am besagten Mittwochmorgen stehen zwei Lektionen Che-
unterstreicht Jürg Schoch, Direktor am Unterstrass. «In         mie, zwei Lektionen Biologie und eine Lektion Musik auf
einem Ingenieurstudium arbeiten Studierende in der Regel        dem Programm, davon je eine Biologie- und Chemiestunde

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in Halbklassen. Florian, Nicolo und Ioannis ebenso wie
viele ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler werden auf ihre
Kosten kommen. Biologielehrerin Agnes Lüssi ist mit der
einen Halbklasse gerade daran, eine Präparation herzustel-
len, um die Zellteilung zu untersuchen. Parallel dazu gleist
die andere Hälfte bei Chemielehrer Reinhold Adam eine
Umweltreportage zum Waldsterben, zu den Schadstoffen
in der Luft, den Mooren als Kohlenstoffspeicher oder den
aus Erdöl hergestellten Medikamenten auf. Nachdem die
Jugendlichen im Fach Deutsch die verschiedenen journa-
listischen Textsorten kennengelernt haben, stecken sie in
der Chemiestunde nun das Thema ab, betreiben Recherche,
bestimmen mögliche Interviewpartner und welches Che-
miewissen noch fehlt, um die Reportage umzusetzen. In der
Biologiestunde erhitzen die Jugendlichen in Zweiergruppen
derweil ein kleines Stück einer Zwiebelwurzelspitze mit                    Jürg Schoch, seit 30 Jahren Direktor der Schule Unterstrass in Zürich.

Karminessigsäure im Reagenzglas. Die Zellen des Gewebes
werden so aufgespalten, dass der Farbstoff eindringen und                  MAR-Profil mit den Schwerpunkten Biologie und Chemie.
die Zellstoffe sichtbar machen kann. Die Schülerinnen und                  Im ersten Semester starten die Schülerinnen und Schüler mit
Schüler giessen den Farbstoff nun wieder ab, legen die ein-                sechs Lektionen Mathematik und je zwei Lektionen Biolo-
gefärbte Wurzelspitze auf einen Objektträger, geben einen                  gie, Chemie und Physik pro Woche. Im zweiten Semester
kleinen Tropfen Essigsäure hinzu und decken sie mit einem                  verhält es sich fast gleich, nur sind es dann fünf Lektionen
weiteren Glasplättchen ab – fertig ist die Präparation, die nun            Mathematik, dafür kommen zwei zusätzliche Lektionen
unter dem Mikroskop eingehend analysiert werden kann.                      Informatik hinzu. Musik, Bildnerisches Gestalten, Sport und
Lüssi geht während der Herstellung von Gruppe zu Gruppe,                   Religion sind zudem obligatorisch, ebenso die Teilnahme an
beantwortet Fragen und prüft laufend, ob die Arbeitsschritte               Schulanlässen, Lagern und Gruppenprojekten. «Ausgehend
korrekt eingehalten werden. Die Schülerinnen und Schü-                     von den Rahmenbedingungen, die für eine eidgenössische
ler arbeiten fokussiert, die Atmosphäre ist angenehm, der                  Matur gelten, möchten wir, dass unsere Schülerinnen und
Umgang untereinander respektvoll.                                          Schüler auch die musischen, gestalterischen Fächer ebenso
                                                                           wie Sport nicht vernachlässigen», so Schoch. Dies gehöre
Grosser MINT-Anteil, ohne andernorts zu kürzen                             sozusagen zu den Grundwerten der Schule. «Sport ist für
Magna umfasst alle Fächer einer schweizerischen Matu-                      Körper und Geist zentral. Auch sind wir der Meinung, dass
ritätsbildung und basiert auf dem naturwissenschaftlichen                  der Blick über den Tellerrand hinaus bereichernd ist. So
                                                                           können beispielsweise auch Religionskenntnisse in globalen
                                                                           Umweltfragen von grosser Bedeutung sein und die Perspek-
                                                                           tive auf ein spezifisches Thema abrunden», ergänzt er, der
                                                                           seit 30 Jahren als Direktor die Entwicklung des Unterstrass
                                                                           entscheidend mitgeprägt hat. Die höhere Stundendotation
                                                                           in den MINT-Fächern ist kennzeichnend für das Profil und
                                                                           wird andernorts nicht kompensiert. Am Gymnasium Unter-
                                                                           strass ist ein vollerer Stundenplan üblich.

                                                                           Im Fokus: Kooperation und Interdisziplinarität
                                                                           Kennzeichnend für Magna ist auch die intensiv gepflegte
                                                                           Kooperation mit Hochschulen, Naturschutzorganisationen
                                                                           und Hilfswerken. Neben dem bereits erwähnten Science
                                                                           Lab der Universität Zürich besuchten die Jugendlichen
                                                                           während des ersten Jahres auch das Institut für Umwelt
                                                                           und natürliche Ressourcen der ZHAW. «Solche ausser-
Die Jugendlichen erhitzen im Biologieunterricht eine in Karminessigsäure
eingelegte Zwiebelwurzelspitze.

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