MINT:Mal erhellend, mal packend, mal anders Anna Göldi auf der Spur - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
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Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4 | 2019 MINT: Mal erhellend, mal packend, mal anders Anna Göldi auf der Spur 1
4 | 2019 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser Ausgabe 4 | 2019 | 2. April 2019 Sie lesen es bestimmt nicht zum ersten Mal: Die Arbeitslosenquote ist hier- Zeitschrift des LCH, 163. Jahrgang der Schweizer Lehrerinnen- und Lehrerzeitung (SLZ) zulande so tief, wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das ist hervorragend, hat BILDUNG SCHWEIZ erscheint 11 Mal jährlich aber auch Schattenseiten. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist nach wie vor problematisch. Gemäss «Fachkräftemangel Index Schweiz» für Impressum das Jahr 2018 gehören die Ingenieur-,Technik- und Informatikberufe zu jenen Berufsgruppen, die von akutem Mangel betroffen sind. Und das, obschon an Herausgeber/Verlag Dachverband Lehrerinnen und Lehrer den Schweizer Hochschulen in den vergangenen Jahren ein grosser Zuwachs Schweiz LCH an Studierenden in MINT-Fächern zu verzeichnen war. Diese Entwicklung ist • Beat W. Zemp, Zentralpräsident • Franziska Peterhans, Zentralsekretärin ein Lichtblick und zeigt, dass die zahlreichen MINT-Initiativen von Bund und • Beat A. Schwendimann, Leiter der Pädagogischen Kantonen greifen – aber eben doch nicht genug, um die Nachfrage auf dem Arbeitsstelle LCH Arbeitsmarkt zu decken. Zentralsekretariat und Redaktion Pfingstweidstrasse 16, 8005 Zürich Telefon 044 315 54 54, Fax 044 311 83 15 BILDUNG SCHWEIZ will die Tücken in der MINT-Förderung in den Blick nehmen E-Mail: bildungschweiz@LCH.ch und widmet diesem Fächerbereich eine Serie, die hiermit startet. Wir werden Internet: www.LCH.ch, www.bildungschweiz.ch Erreichbar Mo–Do, 8–12 Uhr und 13.30–16.45 Uhr, Ihnen ausgewählte Förderprojekte vorstellen, spezifische Weiterbildungs- Fr bis 16 Uhr angebote für Lehrpersonen ins Visier nehmen und uns fragen, was denn guten MINT-Unterricht ausmacht. Woran liegt es, dass Mädchen sich seltener Redaktion • Belinda Meier (bm), Leitende Redaktorin für ein Studium der Informatik oder Technik entscheiden? Und wie kann Nach- • Deborah Conversano (dc), Redaktorin Print/Online wuchsförderung nachhaltig gelingen? Das Interview mit Professorin Elsbeth • Maximiliano Wepfer (mw), Redaktor Print/Online • Anna Walser (aw), Redaktorin Print/Online Stern von der ETH Zürich liefert Antworten und bildet zugleich den Auftakt Ständige Mitarbeit: Adrian Albisser (Bildungsnetz), (S. 19). Sie weiss genau, wo der Hund begraben liegt: «Genauso mühsam, Claudia Baumberger, Peter Krebs, Marina Lutz (Cartoon), Christian Urech, Roger Wehrli, Christa wie es für die Lernenden ist,MINT-Themen zu verstehen,ist es für Lehrpersonen Wüthrich, Michael Merker/Christine Zanetti (Schul- schwierig, lernwirksam zu unterrichten.» Entscheidend sei, dass Lehrende recht) die Schwierigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler nachvollziehen könnten Abonnemente/Adressen und wüssten,was eine intuitive,aber falsche Vorstellung sei. Bestellungen/Adressänderungen: Zentralsekretariat LCH, 044 315 54 54, adressen@LCH.ch Apropos falsche Vorstellung: Dass regelmässiges Lüften bereits ausreiche, Adressänderungen auch im Internet: www.bildungschweiz.ch um den CO2-Richtwert von 1400 parts per million (ppm) in Schulzimmern Für Aktivmitglieder des LCH ist das einzuhalten, ist ebenfalls ein Trugschluss. Das Bundesamt für Gesundheit Abonnement im Verbandsbeitrag (CHF 74.– pro Jahr) inbegriffen (BAG) hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die nachweisen konnte, dass Jahresabonnement für Nichtmitglieder: in zwei Dritteln der Schulen die Luftqualität ungenügend ist. Sowohl für das Schweiz CHF 108.50, Ausland CHF 183.50 Einzelexemplar CHF 10.25, ab dem 8. Expl. BAG als auch für die beiden Lehrerdachverbände LCH und SER ist das inak- CHF 7.20 (jeweils plus Porto und MwSt.) zeptabel. Mit Empfehlungen, Informationsbroschüren und einem Online-Tool Dienstleistungen will der Bund das Problem nun in den Griff kriegen. Bestellungen/Administration: Zentralsekretariat LCH, 044 315 54 54, adressen@LCH.ch Reisedienst: Monika Grau, m.grau@LCH.ch Wer seine Abstimmungsunterlagen für den 19. Mai ebenfalls unter Kontrolle bringen will, kann sich zur Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) ab Inserate/Druck Seite 10 einen Überblick verschaffen. Nationalrätin Regula Rytz und Chef- Inserateverkauf: Martin Traber, Fachmedien, Zürichsee Werbe AG, Tel. 044 928 56 09 ökonom Daniel Lampart nehmen hierzu eine Lagebeurteilung vor. martin.traber@fachmedien.ch Und zum Schluss noch dies: Das Mediadaten: www.bildungschweiz.ch Druck: FO-Zürisee, 8132 Egg ZH neu konzipierte Anna Göldi Museum ISSN 1424-6880 Verkaufte Auflage: in Ennenda (GL) hat soeben wieder 42 722 Exemplare (WEMF/SW-Beglaubigung) seine Tore geöffnet (S. 30). BILDUNG SCHWEIZ durfte vorgängig bereits Museumsluft schnuppern. Ein Besuch lohnt sich! Belinda Meier Leitende Redaktorin Redaktorin Belinda Meier (r.) im Gespräch mit Dominique Tanner, Geschäftsleitungsmitglied des ZLV. Foto: zVg 3
MINT – Mutig Investieren, Nachwuchs Trainieren Text: Belinda Meier MINT ist in aller Munde – und das nicht erst seit Kurzem. Die MINT- Foto: Roger Wehrli Förderung findet schweizweit seit mehreren Jahren intensiv und vielschichtig statt. Das Ziel, den Fachkräftemangel in MINT-Berufen zu entlasten, ist allerdings noch immer nicht erreicht. Grund genug, um diesen Fächern und ihrer Förderung eine Serie zu widmen.
4 | 2019 MINT Obschon die Studienplätze in den Bereichen Mathema- nend gelohnt. Eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt ist tik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) kurzfristig dennoch nicht in Sicht, wie der Fachkräftemangel begehrter denn je sind, mangelt es in der Schweiz noch Index Schweiz deutlich gezeigt hat. Weitere Anstrengungen immer stark an qualifizierten Fachkräften in den technischen sind dringend notwendig. MINT-Förderung muss Kinder Berufen. Gemäss den Ergebnissen des «Fachkräftemangel und Jugendliche aller Schulstufen erreichen. Mädchen und Index Schweiz» für das Jahr 2018, die Adecco Schweiz in Jungen sollen dieselben Chancen haben. Lehrpersonen müs- Zusammenarbeit mit dem Stellenmarkt-Monitor Schweiz sen in der Lage sein, komplexe Aufgaben anschaulich und der Universität Zürich jährlich veröffentlicht, sind es allen ansprechend zu vermitteln, damit die Schülerinnen und voran die Ingenieur-, Technik- und Informatikberufe, die Schüler nachhaltig Wissen anreichern und Kompetenzen von akutem Fachkräftemangel betroffen sind. Zusammen erwerben können. Sie müssen Zusammenhänge verstehen, mit den Berufen des Treuhandwesens und der Human- erklären, auf verwandte Gebiete anwenden und auf höherer medizin und Pharmazie bilden sie die fünf Berufsgruppen, Schulstufe darauf aufbauen können. die in der Schweiz den grössten Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften aufweisen. Die fehlenden Arbeitskräfte wer- MINT-Förderung: Empfehlungen und Angebote den dabei dem zu geringen Frauenanteil zugeschrieben: Die Akademien der Wissenschaften Schweiz nehmen im Auf- «Ein wichtiger Grund für den Fachkräftemangel in diesen trag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innova- Berufen dürfte (…) sein, dass es immer noch wenig Frauen tion (SBFI) ein Mandat für die MINT-Förderung bei Kindern gibt, die eine Ausbildung in den klassischen MINT-Berufen und Jugendlichen wahr. Im Schlussbericht für das Mandat (…) absolvieren und in diesen Berufen arbeiten.» 2013–2016, der im Juli 2018 veröffentlicht wurde, hielten sie Handlungsempfehlungen fest, die dem Fachkräftemangel Wachstum an Studierenden feststellbar und dem tiefen Frauenanteil in bestimmten MINT-Fächern Betrachtet man an den Schweizer Hochschulen die Entwick- entgegenwirken sollen. Diese beinhalteten unter anderem die lung der Studienantritte und -abschlüsse, so ist hingegen Förderung von MINT-Projekten, die Aus- und Weiterbildung kaum begreifbar, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt von Lehrpersonen, die Verbesserung und Produktion von derart heikel ist. Die Hochschulstatistik 2018 des Bundesamts Unterrichtsmaterialien, die Nachwuchsförderung sowie die für Statistik hat gezeigt, dass sich im Studienjahr 2016/17 Förderung der Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit. rund 70 000 Personen für ein MINT-Studium eingeschrieben Das MINT-Lernzentrum der ETH Zürich setzt sich seit haben. Dies kommt knapp einem Drittel aller Studierenden zehn Jahren erfolgreich für einen guten MINT-Unterricht gleich. Die Hälfte der MINT-Studierenden entscheidet sich ein. Es entwickelt hochwertige Unterrichtsmaterialien, deren für die beiden Bereiche «Technik und IT» oder «Chemie Einsatz wissenschaftlich begleitet und evaluiert wird, und und Life Sciences». Der Frauenanteil hängt dabei stark bildet auch Lehrpersonen weiter. In den vergangenen Jahren vom Bereich ab: Während die Frauen in Chemie und Life haben Bildungsinstitutionen, aber auch die Privatwirtschaft Sciences mit 54 Prozent an universitären Hochschulen (UH) stark in die MINT-Förderung investiert. Zahlreiche MINT- und mit 43 Prozent an Fachhochschulen (FH) besonders Projekte für Lernende sowie Weiterbildungsangebote für stark vertreten sind, ist ihr Anteil in den Technikbereichen Lehrpersonen sind entstanden. Ebenfalls wurden spezifische (UH: 20 Prozent; FH: 10 Prozent) und in Informatik (UH: 14 Angebote für Mädchen entwickelt, um die Untervertretung Prozent; FH: 12 Prozent) vergleichsweise gering. Rund ein von Frauen in MINT-Berufen längerfristig zu korrigieren. Drittel der Masterabschlüsse (4400 Abschlüsse) an Universi- täten wurden 2016 in MINT-Fächern vergeben, grösstenteils Serie «MINT» startet jetzt! in Chemie und Life Sciences. An den Fachhochschulen In der vorliegenden Ausgabe startet BILDUNG SCHWEIZ verhielt es sich wie folgt: Ein Drittel der Bachelorabschlüsse nun die neue Serie «MINT». Über mehrere Nummern hin- (4300 Abschlüsse) und ein Fünftel der Masterabschlüsse weg wird die Redaktion ausgewählte MINT-Förderprojekte (546 Abschlüsse) wurden in einem MINT-Fach vergeben, vorstellen, einem guten MINT-Unterricht auf die Spur gehen, grösstenteils in Technik und IT. die Geschlechterunterschiede beleuchten, Massnahmen zur Nachwuchsförderung vorstellen, ein FabLab besuchen und Noch immer keine Beruhigung in Sicht vieles mehr. Den Auftakt bilden das Interview mit Elsbeth Die vielen verschiedenen MINT-Initiativen von Bund und Stern, Professorin für Lehr- und Lernforschung an der ETH Kantonen, die Schülerinnen und Schüler für ein Studium im Zürich, ein bildungspolitischer Überblick und die Reportage MINT-Bereich zu begeistern versuchen, haben sich anschei- zur SWiSE-Tagung. ■ 18
4 | 2019 MINT «Früher mit harten Natur- wissenschaften starten» Elsbeth Stern ist Professorin für Lehr- und Lernforschung an der ETH Zürich. Im Interview mit BILDUNG SCHWEIZ erklärt sie, weshalb sie von einer frühen Profilbildung nichts hält und was guten MINT-Unterricht ausmacht. BILDUNG SCHWEIZ: Frau Stern, geht es Unterricht in der Schule noch blöder. Die um MINT-Förderung, wird häufig mit mathematischen Grundlagen, die man dem Fachkräftemangel argumentiert. braucht, sind trocken. Man muss sehr viel Was ist für Sie das wichtigste Zeit darauf verwenden und viel üben. Argument? ELSBETH STERN: Für mich als Bildungs- Es gibt häufig Projektwochen oder forscherin und in der Lehrerausbildung MINT-Workshops mit Eventcharakter. Tätige ist erst einmal der Bildungsaspekt Kann man sich das also sparen? zentral. Bildung ist Weltverständnis. Es ist Dann könnte man sich auch Wandertage nicht gut, wenn wir ständig mit Technik zu oder Exkursionen sparen. Es gehört mehr tun haben und die wenigsten Menschen zur Schule, als immer nur lehrergesteuert auch nur eine Grundidee davon haben, zu lernen. Von daher ist es vollkommen wie sie funktioniert. Ich kann verstehen, okay, wenn man mal etwas mit Event- dass man den Fachkräftemangel als Pro- charakter macht. Es darf aber nicht der blem sieht, aber das alleine würde es nicht Eindruck entstehen – und das ist fatal –, rechtfertigen. dass der ganze Unterricht so gestaltet sein müsste. Noch immer scheint es, als seien die MINT-Fächer in der Schule nicht sehr MINT-Fächer sind harte Arbeit. Man muss Die Lehr- und Lernforscherin Elsbeth Stern beliebt. Woran könnte das liegen? Ausdauer und Durchhaltewillen haben. befasst sich intensiv mit MINT. Fotos: Philipp Baer Es liegt teils daran, dass viele Dinge wirk- Ja. Aber Lehrpersonen haben sehr viel lich sehr schwer zu verstehen sind. Wis- in der Hand. Man sollte dies nicht als senschaften wie Physik und Chemie haben Entschuldigung nehmen, schlechten und ein Affe gewesen sein? Wenn die Lehrerin sich erst in den letzten Jahrhunderten voll trockenen Unterricht zu machen. Entschei- also meint, sie hat die Evolutionstheorie entwickelt. Es wurden neue Erkenntnisse dend ist, dass Lehrpersonen den Schüle- damit abgehakt, dann hat sie stattdessen gewonnen, vieles musste verworfen wer- rinnen und Schülern mehr Zeit geben, die ein neues Missverständnis hervorgerufen. den. Das war für den menschlichen Geist schwierigen Sachen zu verstehen. Auch Die Lehrpersonen müssen an diesen kon- nicht einfach. Dazu kommt: Man kann sich müssen sie nachvollziehen können, warum traintuitiven Dingen arbeiten, das steht bei mit geringen Französisch- oder Englisch- uns in der Lehrerbildung im Mittelpunkt. Kentnissen schon etwas verständigen. Im Es nützt nichts, den Schülerinnen und MINT-Bereich hat man die Dinge aber «Wenn Lehrpersonen die Schülern Aufgaben vorzugeben, bei denen häufig entweder ganz oder gar nicht ver- Tafel mit Merksätzen füllen, sie zentrale Begriffe wie Masse nicht ver- standen. Wenn man nicht versteht, wovon Aufgaben vorgeben und stehen. Darauf müsste man vermehrt Wert der Lehrer spricht oder worauf es bei den legen. Wenn Lehrpersonen die Tafel mit Aufgaben ankommt, ist man frustriert. denken, die Intelligenten Merksätzen füllen, Aufgaben vorgeben und können es, die anderen denken, die Intelligenten können es, die Sind Naturwissenschaften in der Schule anderen gehören sowieso nicht aufs Gym- vielleicht zu wenig attraktiv? Bräuchte gehören sowieso nicht aufs nasium, dann stimmt das einfach nicht. Die es mehr Knalleffekte, «Bum-Tätsch» Gymnasium, dann stimmt das Intelligenten können es nicht von selber. In und rauchende, farbige Flüssigkeiten? der Physik gibt es sehr viele sogenannte Nein, nein! Das braucht es eben gerade einfach nicht.» Minderleister. Diese sind ansonsten sehr nicht. Viele Leute würden die physika- gut in der Schule und auch intelligent, lische Welt gern besser verstehen oder es für die Kinder so schwierig ist. Häufig haben aber das Fach abgeschrieben, weil würden wissen wollen, wie ihr Handy funk- liegt es daran, dass man Begriffe anders sie mit dem Wissen nichts anfangen kön- tioniert. Aber dahinter steckt viel formales interpretieren muss. Ich gebe Ihnen ein nen. Schülerinnen und Schüler möchten Wissen, man muss teils sehr schwierige Beispiel aus der Primarschule, Fach Bio- merken, dass sie die Welt mit ihrem Wis- Dinge verstehen. An der ETH arbeiten logie: Die Tochter eines Mitarbeiters von sen ein bisschen besser verstehen. wir in all unseren Projekten bewusst ohne mir hat erzählt: «Wir haben heute gelernt, solche Knalleffekte, denn diese entfachen der Mensch stammt vom Affen ab, stimmt Was machen die Schulen in der Schweiz nur ein kurzfristiges Feuer. Ich stehe Ange- das?» Der Vater bejahte. Darauf fragte im MINT-Bereich bereits gut? boten kritisch gegenüber, die vor allem die Kleine: «Wann war ich ein Affe?» Sie Es ist eine spürbare Bereitschaft da. Die Begeisterung und Interesse wecken wollen konnte mit den Informationen aus der Fortbildungen an der ETH, auch für und auf ausserschulische Lernorte setzen. Schule gar nichts anfangen. Sie wusste, Primar- und Sekundarschullehrperso- Natürlich gefällt das den Schülerinnen dass sie ein Mensch ist und einmal ein nen, werden rege genutzt. Lehrpersonen und Schülern, aber danach finden sie den Baby war. Warum soll sie nicht auch mal frustriert es ja auch, wenn sie sich bei 19
4 | 2019 MINT der Vorbereitung anstrengen und die diese Stufe bieten wir neuen Unterricht Wir konnten langfristige Effekte feststel- Schülerinnen und Schüler dann schei- an und prüfen, wie sie ihn nutzen können. len. Schwächere Schülerinnen und Schüler tern, wenn die Fragen bei der nächsten Eigentlich wollen wir die Längsschnitt- haben zumindest gelernt, was man ihnen Klausur etwas anders gestellt werden. In studie schon lange beenden, aber viele beigebracht hat. Intelligentere Kinder unserem grossen Projekt «Physik in der Lehrpersonen möchten gern nochmals können das Verständnis später sogar in Primarschule» untersuchen wir, wie sich teilnehmen. Deshalb findet es irgendwie neuen Gebieten nutzen. Für die Gymna- der Unterricht langfristig auswirkt. Der nie ein Ende. Das ist natürlich schön, denn siallehrpersonen entsteht daraus auch eine Projektgeber glaubte, wir finden höchs- bei naturwissenschaftlichen Studien zählt Schwierigkeit. Sie bemängeln, was alles in tens zehn Freiwillige – inzwischen sind es auch die Datenmenge. Zudem sehen wir, der Grundschule nicht gelernt worden sei. 600 Lehrpersonen. Man muss die richtigen ob die Kinder mehr profitieren, wenn eine Ich sage ihnen dann: Wenn wir den Unter- Sachen anbieten. Am schlimmsten ist es, Lehrperson das Material zum zweiten Mal richt verbessern und die Schülerinnen und nur kurzfristiges Interesse, «Strohfeuer», einsetzt. Für die MINT-Studie hat meine Schüler mehr können, dann müsst ihr das zu entfachen oder Lehrpersonen sich selbst Kollegin Kornelia Möller an der Universi- auch nutzen. zu überlassen. Viele Primarlehrerinnen tät Münster tolle Angebote entwickelt. Für hatten Physik nicht als Lieblingsfach und die fünfte bis siebte Klasse gibt es hingegen Das fordert also auch die fühlen sich fachlich unsicher. Da braucht nur wenige Angebote. Gymnasiallehrpersonen heraus? es eine gute, unterrichtsbegleitende Fort- Ja, das soll es aber auch, sonst wäre ja bildung, um sie zu unterstützen. Genauso Gibt es Steigerungspotenzial bei MINT- alles für die Katz gewesen. In der Schweiz mühsam, wie es für die Lernenden ist, Unterrichtsthemen in der Schweiz? besteht noch Nachholbedarf, es gibt noch MINT-Themen zu verstehen, ist es für Ja, klar. Die Frage ist: Wie muss ein gutes immer eine Diskrepanz zwischen Lehrper- Lehrpersonen schwierig, lernwirksam zu Lehrmittel aussehen? Unserer Meinung sonen für das Gymnasium auf der einen unterrichten. Ein weiteres Problem ist der nach muss es sehr konkret sein, Vor- und den Primar- und Sekundarlehrperso- Mangel an MINT-Lehrpersonen in allen schläge für jede Stunde enthalten, eine nen auf der anderen Seite. Ein Problem ist Bereichen, weshalb man auch nicht einfach sinnvolle Abfolge vorgeben und vor allem auch, dass die Ausbildung an verschiede- eine höhere Stundendotation vorschreiben auch Aufträge bieten. Zudem sollte die nen Institutionen stattfindet. kann. Lehrperson vor der Unterrichtsstunde mindestens zehn mögliche Fragen auflis- Müssten Ihrer Meinung nach alle Gibt es neben der Bereitschaft noch ten, denn gute Fragen schüttelt man nicht Lehrpersonen an Universitäten etwas, was gut funktioniert? einfach aus dem Ärmel. Ebenfalls muss sie studieren? Die Schulen sind sehr autonom. Wir verstehen, was wir uns bei unseren Materi- Die Universität alleine macht es nicht aus. müssen nicht durch hundert Behörden alien gedacht haben. Wir entwickeln alles Doch die Lehrpersonen der unterschiedli- gehen, um etwas umzusetzen. Wir arbei- chen Stufen nehmen sich gegenseitig relativ ten evidenzbasiert, schauen also, was die wenig zur Kenntnis. Bei den Übergängen Schülerinnen und Schüler vor und nach «Genauso mühsam, wie es für vom Kindergarten zur Primarschule und unserem Unterricht können. Dann ver- die Lernenden ist, MINT- von dieser zur Sekundarschule hat sich gleichen wir sie mit einer Kontrollgruppe, viel getan, aber die Schnittstelle zu den die den Unterricht nicht hatte. Bei Themen Themen zu verstehen, ist es für Gymnasien sollte optimiert werden. In wie «Luft und Luftdruck» oder «Schwim- Lehrpersonen schwierig, lern- meiner Vorlesung für künftige Gymnasi- men und Sinken» konnten Sechstklässler allehrpersonen vermittle ich auch Wissen ohne unseren Unterricht die Fragen weni- wirksam zu unterrichten.» zur Entwicklung von Primarschulkindern. ger gut beantworten als Zweitklässler, die Die Studierenden sollen verstehen, was ihn besuchten. Manches lernt man auch gemeinsam mit ihnen, auch die Fortbil- die Kinder, die zu ihnen in den Unterricht ausserhalb der Schule, aber das gehört nicht dung. Wichtig ist auch, dass die Lehrper- kommen, schon durchgenommen haben dazu, da war unser Unterricht entscheidend. sonen die Wahl haben und der Unterricht und wo es noch Probleme geben kann. nicht pfannenfertig ist. Sie sollen Unterstüt- Das ist auch ein Resultat der MINT- zung haben, aber dennoch frei darin sein, Was macht guten MINT-Unterricht aus? Studie, die 2011 startete und die Sie wie sie den Unterricht gestalten möchten. Am Anfang sollte eine Frage stehen, die gemeinsam mit dem MINT-Lernzentrum Lehrpersonen sind letztlich die Keyplayer man nicht beantworten kann. Diese muss der ETH leiten. Was ist der jetzige Stand? im Unterricht. nicht superspannend sein, aber es sollte Wir sind mit 300 Schülerinnen und Schü- den Kindern klar sein: Wenn ich mich lern gestartet. Sie besuchen heute das Gym- Die MINT-Studie zeigt: Achtjährige auf den Unterricht einlasse, kann ich sie nasium. Später kamen mehrere tausend Kinder konnten nach Ihrem speziellen beantworten. Dann sollen die Kinder selbst hinzu. Viele Schülerinnen und Schüler sind Physikunterricht ihr Wissen deutlich möglichst viele Antworten geben. Ein Bei- nun in der fünften und sechsten Klasse, und nachhaltig vergrössern. Was heisst spiel für eine Frage ist: Warum schwimmt einige auch in der siebten und achten. Für das für die Lehrerausbildung? ein schweres Schiff aus Stahl? Die Kinder 20
4 | 2019 MINT antworten dann mit «Es hat einen Kapitän» oder «Es hat einen Motor». Anschliessend kann man ihnen aufzeigen, dass ein Topf aus Stahl auch schwimmt, und der hat weder einen Motor noch einen Kapitän. Man muss mit den Hypothesen der Schü- lerinnen und Schüler arbeiten. Lehrperso- nen müssen wissen, was eine intuitive, aber falsche Vorstellung ist. Kann man falsche Vorstellungen bei jüngeren Kindern besser zurechtbiegen? Man kann immer dazulernen. Manche Dinge sollte man aber möglichst schnell aufgeben. So kann man beispielsweise die Welt nicht so gut verstehen, wenn man bis zum 15. Lebenjahr glaubt, dass Luft ein negatives Gewicht hat. Für den MINT- Unterricht sollte man die Themen wählen, die verstanden werden können, und nicht die, die Spass machen. Intuitiv verstehen «Am Anfang des MINT-Unterrichts soll eine Frage stehen», erklärt Elsbeth Stern. Kinder durch Experimente beispiels- weise, warum ein Schiff schwimmt, und lernen so eine Vorform von Dichte und Ich glaube, dass die harten Naturwissen- viele auch nichts dagegen zu sagen, sie Auftrieb. Nach dem Unterricht können schaften häufig zum ungünstigsten Zeit- seien mathematisch oder sprachlich nicht etwa 60 Prozent mit den Begriffen etwas punkt anfangen. Wenn man in die Pubertät begabt. Wir lassen das viel zu früh zu und anfangen. Die anderen wissen immerhin, kommt, interessiert man sich für alles Mög- festigen damit bestehende Rollenbilder. dass Holz schwimmt und Eisen untergeht. liche – aber nicht unbedingt für die Schule. Man sollte sich auch überlegen, welche Genauso, wie man in der Schule selbstver- Viele Jugendliche wählen das KV oder Themen auch Faktenwissen bieten und in ständlich Lesen und Schreiben lernt, sollte den Detailhandel für ihre Lehre. Das welchen es verschiedene Stufen des Ver- man daher etwas über Naturwissenschaf- sind Branchen, welche die Digitali- stehens gibt. Schliesslich kann man eine ten lernen, bevor die Geschlechtsidentität sierung stark verändern wird. Wie «Good-Enough»-Kompetenz definieren. herausgebildet ist. Deshalb setzt die MINT- könnten mehr junge Menschen für einen Man legt dabei fest, was mindestens von Studie im Primarschulalter an. Zudem bin MINT-Beruf motiviert werden? allen Schülerinnen und Schülern verstan- ich der Meinung, dass man die Schwer- Indem man ihnen früh aufzeigt, dass sie den werden soll. punktfächer am Gymnasium zu früh fest- auch in diesen Berufen ein Kompetenzerle- legt. Dazu kommt, dass ein Mädchen nicht ben haben können. Auch Praktika können Haben die Lehrpersonen einen solchen gern als Einziges in einer Jungenklasse helfen. Manchmal fehlt zudem schlicht das Spielraum? Der Lehrplan gibt ihnen die ist. Die Leistungsunterschiede zwischen Wissen über die Möglichkeiten, deshalb Themen doch vor. Jugendlichen in einer Schwerpunktklasse informiert die ETH an den Gymnasien Es muss sich niemand hinter dem Lehr- und den anderen sind gar nicht so gross. darüber, dass man dort viel mehr studie- plan verstecken. Wie man die Themen Deshalb sollte man die Wahlmöglichkeiten ren kann als Physik und Chemie. Für alles unterrichtet und einbettet, bleibt auch mit für alle länger offenlassen! Den Mädchen braucht man allerdings gute Mathematik- dem Lehrplan 21 sehr offen – auch wenn macht man es insgesamt zu leicht, sich kenntnisse. er viele Anregungen bietet. Man muss sich von den Naturwissenschaften, den Jungs, auch überlegen, welche Themen vor dem sich von der Sprache zu verabschieden. Interview: Deborah Conversano Übertritt in die nächste Stufe behandelt Ich kenne intelligente Jungen, die aufgrund werden sollten. von Lesedefiziten nicht aufs Gymnasium Zur Person gehen. Man sollte sie lesen lassen, was sie Prof. Dr. Elsbeth Stern ist ordentliche PISA 2015 hat gezeigt, dass 15-jährige interessiert – Hauptsache, sie lesen. Professorin für empirische Lehr- und Mädchen in der Schweiz im Länder- Lernforschung und Leiterin des Instituts für vergleich weniger Interesse an MINT Und wie ist das bei den Mädchen? Verhaltensforschung am Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften der haben und sich weniger zutrauen als Mathematik braucht man überall, beispiels- ETH Zürich. Dort ist sie verantwortlich für den ihre gleichaltrigen Mitschüler. Woran weise auch im Psychologiestudium. Zwar pädagogischen Teil der Ausbildung angehender könnte das liegen? möchte niemand dumm sein, aber haben Gymnasiallehrpersonen. 21
4 | 2019 MINT Dauerbrenner auf der bildungspolitischen Agenda MINT-Themen stehen regelmässig auf der Traktandenliste in der Schweizer Bildungspolitik. Im Sinne einer kurzen Auslegeordnung gibt BILDUNG SCHWEIZ einen Überblick über erledigte und hängige Vorstösse und Projekte des Bundesrats und des Parlaments. Gleich vorweg: Die MINT-Fächer und Verbesserungspotenzial erkannt fest, dass Bildung und Forschung im -Berufe fliegen im Schweizer Parlament Diesen integrierten Bericht hat der Bundes- Hinblick auf die gestiegene Bedeutung nicht unter dem Radar. In den vergangenen rat am 8. November 2017 verabschiedet. der Digitalisierung bereits reagiert haben Jahren haben die Mitglieder des National- Fazit des Berichts: Der Schweizer Arbeits- und die Schweiz dank des durchlässigen und des Ständerats zahlreiche bildungspo- markt befinde sich in einer sehr guten Aus- Bildungssystems grundsätzlich eine gute litische Vorstösse zum Thema eingereicht. gangslage und werde durch eine gezielte Position aufweist. Gleichwohl ortet der Einige davon wurden auch angenommen, Verbesserung der Rahmenbedingungen Bericht Handlungsbedarf in Bereichen, die wie beispielsweise das Postulat 15.3854 von der Digitalisierung profitieren. Dies im dazugehörigen Aktionsplan für 2019 von SP-Nationalrat Mathias Reynard aus setze aber voraus, dass die Bildung noch und 2020 aufgeführt sind. So falle die dem Wallis. Dieses verlangte vom Bun- stärker auf die in der digitalen Wirtschaft Schweiz zum Beispiel in aufkommenden desrat, mit Blick auf den Arbeitsmarkt benötigten Kompetenzen ausgerichtet wird. Forschungsfeldern der Digitalisierung wie einen Bericht über die Risiken, Chancen Diese Schlussfolgerungen decken sich Big Data im internationalen Vergleich ab, und Folgen der durch die Digitalisierung dabei mit denjenigen aus zwei anderen und in der Bildung müssten die MINT- ausgelösten Automatisierungsprozesse Berichten, die 2017 erschienen sind. Zum Fächer verstärkt gefördert werden. vorzulegen. Hier war der Bundesrat nicht einen lieferte der Bundesrat am 11. Januar nur bereit, diese Fragen zu prüfen und mit «Rahmenbedingungen der digitalen Gut, aber offenbar nicht gut genug über den aktuellen Stand zu informieren, Wirtschaft» eine Auslegeordnung innerhalb Strategie, Aktionsplan, Berichte: Es ist sondern er verknüpfte Reynards Vorstoss seiner Strategie «Digitale Schweiz», die im definitiv nicht so, dass der Bundesrat die gleich mit einem anderen, thematisch ähn- September 2018 aktualisiert und für die Hände in den Schoss legt. Er unterstützt lichen Postulat. Der Waadtländer FDP- nächsten zwei Jahre verabschiedet wurde. unter anderem auch das interkantonale Nationalrat Fathi Derder hatte in seinem Zum anderen veröffentlichte das Staats- Projekt FIDES (Föderation von Identitäts- angenommenen Postulat 17.3222 gefor- sekretariat für Bildung, Forschung und diensten für den Bildungsraum Schweiz), dert, die in der digitalen Wirtschaft neu Innovation (SBFI) am 5. Juli den Bericht das Lernenden und Lehrpersonen einen entstehenden Berufe sowie die Mittel zu «Herausforderungen der Digitalisierung einzigen gesicherten Zugang zu Online- deren Förderung zu beschreiben. für Bildung und Forschung». Dieser hält Diensten ermöglichen soll. Dennoch stellt Die MINT-Fächer und -Berufe kommen regelmässig auf das bildungspolitische Tapet von Bundesrat und Parlament. Foto: Thinkstock/mddphoto 22
4 | 2019 MINT sich bei der Analyse der im Parlament ein- sollte. In seiner Antwort sah der Bundes- auf die zwei hängigen Motionen 19.3009 gereichten Vorstösse der Eindruck ein, die rat davon ab, ein solches Programm zu und 19.3010 an, die die WBK-N im Feb- bundesrätlichen Aktivitäten seien für die lancieren. Einerseits bestünde schon ein ruar 2019 eingereicht hat. In einer Motion Mitglieder des National- und des Stände- breites Angebot an Initiativen zur MINT- wird der Bundesrat beauftragt, innova- rats nicht ausreichend. So forderte im Jahr Förderung, andererseits habe der Bund tive Digitalisierungsprojekte bekannt zu 2016 die SP-Nationalrätin Min Li Marti aufgrund der Bildungshoheit der Kantone machen. Dies könnte über eine Auswei- in ihrer Motion 16.3730 den Bundesrat keine Handlungskompetenzen auf Stufe tung der Plattform digitalinform.swiss dazu auf, Massnahmen zur Erhöhung der obligatorischen Schule. Diese Begrün- auf alle Bildungsstufen erfolgen, die seit des im internationalen Vergleich unter- dung kommt dann zum Tragen, wenn der Dezember 2018 besteht und derzeit nur durchschnittlichen Frauenanteils in den Bund nicht eingreifen kann oder will. auf die Berufsbildung beschränkt ist. Mit MINT-Berufen zu ergreifen. Die Zürcherin der zweiten Motion soll ein zeitlich befris- interessiert sich auch persönlich für die Impulsprogramm auf freiwilliger Basis tetes Digitalisierungs-Impulsprogramm für Digitalisierung. «Obwohl ich ein wenig Um dieses Argument zu entkräften und die die Hochschul-, Berufs- und Weiterbildung ein Nerd bin, habe ich weder Informatik Kompetenzordnung in der Bildung einzu- lanciert werden, um die Ziele der Strategie studiert noch in der Branche gearbeitet. halten, hat die CVP-Fraktion in der noch «Digitale Schweiz» erreichen zu können. Ich habe mich daher gefragt, wie man hängigen Motion 18.3517 einen ande- Für dieses Programm soll der Bundesrat Mädchen und Frauen wie mich motivie- ren Ansatz gewählt. Der Bundesrat soll eine separate Vorlage parallel zur BFI-Bot- ren könnte, in die IT zu gehen», begründet die nötigen gesetzlichen Grundlagen für schaft erarbeiten. «Die Anliegen unserer Marti ihren Vorstoss. ein Impulsprogramm ausarbeiten, damit Fraktionsmotion wurden somit von diesen Der Bundesrat lehnte aber ebenso wie der Bund die Kantone und Gemeinden beiden Kommissionsmotionen weitestge- der Nationalrat die Motion ab: Er ver- in der Stärkung der digitalen Kompeten- hend übernommen», freut sich Egger. wies in seiner Antwort einerseits auf die zen an den Schulen unterstützen kann. 140 Millionen Franken zur Stärkung der Digitalisierung überstrahlt alles MINT-Kompetenzen in der BFI-Botschaft «Technik ist oft nur von der Zum Schluss dieser Analyse der parlamen- 2017–2020. Andererseits sei es nicht seine tarischen Vorstösse fällt einerseits auf, dass Aufgabe, etwas zu fördern, das in Projekten Machbarkeit getrieben, die die MINT-Fächer in der Diskussion häu- von Organisationen der Arbeitswelt oder Folgen werden zu wenig fig auf die Informatik beziehungsweise die an den Hochschulen bereits erfolge. Zum Digitalisierung reduziert werden, während Schluss heisst es etwas kryptisch: «Der bedacht.» die anderen Fächer ausgeblendet werden. Bundesrat ist jedoch der Meinung, dass Diese Tendenz hat sich im Lauf der Jahre die Rahmenbedingungen, die die Deckung «Diese Unterstützung basiert immer auf noch verstärkt. Andererseits haben Vor- des Fachkräftemangels ermöglichen, gege- dem Grundsatz der Freiwilligkeit», erklärt stösse, die den Blick auf die MINT-Berufe ben sind und es nicht in seiner Verantwor- Thomas Egger, Walliser Nationalrat und richten, bessere Chancen zur Annahme tung liegt, selber weitere Massnahmen zu Sprecher der Motion. «Projektträger im Parlament als solche, die sich um die ergreifen.» Marti selbst vermutet, dass bei können daran partizipieren, müssen aber MINT-Bildung drehen. Dies zeigt sich etwa einigen im Rat auch die Vorstellung mit- nicht.» Verschiedene Initiativen seien in der abgelehnten Informatikoffensive, die schwinge, dass Frauen für MINT-Berufe zwar im Gang, aber nicht alle Kantone die WBK-N mit ihrer Motion 17.3273 für halt nicht geeignet seien. Sie betont aber würden über die gleichen finanziellen und die obligatorische Schule lancieren wollte auch, dass die Auseinandersetzung mit personellen Ressourcen verfügen. Hier und stark dem Vorstoss der CVP-Fraktion der Gesellschaft gestärkt werden könnte. könne das Impulsprogramm entgegen- ähnelt, aber auch in der angenommenen «Technik ist oft nur von der Machbarkeit wirken, damit sich der digitale Graben Motion 17.3067 von FDP-Nationalrat getrieben, die Folgen werden zu wenig nicht noch weiter öffne. Dies liegt ihm als Marcel Dobler aus St. Gallen. Er forderte, bedacht.» Berggebietsvertreter besonders am Herzen: dass ausländische Masterabsolventen und Andere Vorstösse wiederum schaffen «Dank der Digitalisierung könnte gerade in Doktoranden aus Bereichen mit ausgewie- es gar nicht erst zur Abstimmung im Par- kleinen Bergdörfern der Unterricht völlig senem Fachkräftemangel wie den MINT- lament, wie beispielsweise die Motion des neu gestaltet werden. Sie bleiben dadurch Berufen unbürokratisch in der Schweiz Neuenburger FDP-Nationalrats Laurent attraktiv für Familien.» bleiben können. Der Einwand des Bun- Favre 12.3622. Im Juni 2014 wurde sie wie Gleichwohl ist Egger nicht überrascht, desrats, dass dies mit den bestehenden gesetzlich vorgesehen abgeschrieben, weil dass der Bundesrat die Motion abgelehnt erleichterten Zulassungsvoraussetzungen sie nicht innert zwei Jahren abschliessend hat. Die Diskussionen mit anderen Rats- bereits heute möglich sei und daher keine im Rat behandelt wurde. Sie verlangte vom mitgliedern hätten aber das hohe Interesse weiteren Ausnahmen vom Kontingentsys- Bundesrat, gemeinsam mit den Kantonen daran gezeigt. «Unser Vorstoss hat letztlich tem vorgesehen seien, überzeugte weder und Hochschulen ein Förderprogramm auch dazu geführt, dass sich die national- im Nationalrat noch im Ständerat. für die MINT-Fächer auszuarbeiten, rätliche Bildungskommission (WBK-N) des das bereits in der Grundstufe ansetzen Themas angenommen hat.» Er spricht hier Maximiliano Wepfer 23
4 | 2019 MINT Roboterbienen im Kindergarten In St. Gallen fand im März der 10. SWiSE-Innovationstag unter dem Motto «MINT einmal anders» statt. Er bot nicht nur Impulse für den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht, sondern mit praxisorientierten Ateliers und Kurzvorträgen auch Gelegenheit, sich mit der Digitalisierung an den Schulen auseinanderzusetzen. «In der Informatik geht es nicht um Com- hat. Im anderen Hauptvortrag rückte Pro- führen. Einem Roboter gleich verstand sie puter, ebenso wie es in der Astronomie fessor Ralph Kugler von der PH St. Gallen nur Einzelbefehle. Dazu benötigte Gärtner nicht um Teleskope geht», erläuterte Bernd das Thema «Making macht Schule» ins vier mit Pfeilen versehene Bewegungskar- Gärtner zu Beginn des Ateliers, welches Zentrum. Die Kurzreferate widmeten sich ten, die den Roboter Schritt für Schritt in das Programmieren von klein auf zum aktuellen Themen wie «Big Data im Super- die gewünschte Richtung lenkten. Logi- Thema hatte. «Aber worum geht es dann?», markt – was Kundenkarten über mich ver- sches und vorausschauendes Denken fragte der ETH-Professor die kleine Schar raten» und «Personalisierte Werbung am waren gefragt. der anwesenden Lehrpersonen. Er reichte Beispiel Zalando». Weiter wurden auch die Antwort gleich nach: «Informatik ist neue Lehrmittel vorgestellt, wie zum Bei- Auf Umwegen mit Roboterbienen die Wissenschaft von der systematischen spiel «NaTech 7–9», das sich konsequent Nach dieser kurzen Einführung hatten die Darstellung, Speicherung, Verarbeitung am Lehrplan 21 orientiert. Kursteilnehmenden Gelegenheit, kleine und Übertragung von Informationen. Wir Im eineinhalb Stunden dauernden Roboterbienen, sogenannte Bee-Bots, können dies mithilfe eines Algorithmus Workshop «Programmieren von klein auf» loszuschicken. Ein Bee-Bot hat auf seiner tun, wie wir es von der Division kennen. von Bernd Gärtner erfuhren Lehrpersonen, Unterseite kleine Räder, die ihn in alle vier Sie sehen, Informatik ist keinesfalls etwas wie sie schon im Kindergarten und auf Himmelsrichtungen fahren lassen. Auf sei- Neues, sondern sehr alt.» der Unterstufe Konzepte der Informatik nem Rücken befinden sich fünf Knöpfe, vermitteln können. Um einen Computer Informatik für die Unterstufe programmieren zu können, gilt es, eine Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Sprache zu finden, die dieser versteht. «Computer sind sehr dumm. diesjährigen Innovationstags von Swiss «Sie müssen wissen, Computer sind sehr Bisher ist es nicht möglich, sie Science Education (SWiSE) an der Päda- dumm», sagte Gärtner. «Bisher ist es nicht gogischen Hochschule St. Gallen konnten möglich, sie anhand unserer Sprache zu anhand unserer Sprache zu zwischen 19 Ateliers und 10 Kurzreferaten programmieren. Wir brauchen dazu einfa- programmieren. Wir brau- auswählen. Beherrschendes Thema war che Befehle.» Um zu veranschaulichen, wie die Digitalisierung mitsamt ihren Möglich- das funktioniert, hatte der Professor auf chen dazu einfache Befehle.» keiten und Gefahren. In ihrem Hauptvor- dem Boden ein Schachbrettmuster vorbe- trag sprach Professorin Ira Diethelm von reitet. Dieses bestand aus 16 Feldern und die der Programmierung dienen. Je nach der Universität Oldenburg über die digitale war quadratisch. Das Ziel war nun, eine Knopf bewegt sich die Biene ein Feld Bildung und was diese mit MINT zu tun Person von einem Feld auf ein anderes zu vorwärts, rückwärts, dreht sich nach links, nach rechts oder legt eine Pause ein. Ins- gesamt kann sich der Roboter 40 Befehle merken, die er nacheinander ausführt. Nachdem jede Lehrperson ihren Bee-Bot einige Male auf ihrem Schachbrettmuster herumkurven liess, wurden die Aufgaben komplizierter. Beispielsweise setzten sich zwei Personen zusammen und liessen ihre Roboterbienen gleichzeitig auf einem Feld laufen. Jetzt galt es, den eigenen Bee-Bot so zu programmieren, dass er dem anderen nicht ins Gehege kam. Dies erforderte für das Gelingen nebst guter Kommunikation mit dem Gegenüber wiederum zielgerich- tetes Vorausschauen. Wenn sich die bei- den Bienen trotzdem einmal in die Quere kamen, löste das grosses Gelächter aus. Um mit dem Bee-Bot vom Ausgangs- punkt zum Ziel zu gelangen, sind mehrere Wege möglich. In einer Aufgabe, die sich diesem Thema widmete, wurde angemerkt, dass es keinen richtigen oder falschen Weg gebe. Wie könnte man also die Qualität einer Lösung messen? Eine mögliche Antwort darauf ist, dass der kürzeste Weg ein Qualitätsmerkmal ist, denn dadurch Eine knifflige Programmieraufgabe: Die Roboterbienen, sogenannte Bee-Bots, dürfen sich nicht in die Quere kommen. Fotos: Roger Wehrli 25
4 | 2019 MINT Geduld und Fingerspitzengefühl sind gefragt, wenn die Gesetze der Mechanik Mithilfe eines rudimentären «Seiltänzers» lernen die Teilnehmenden, die anhand einfacher Beispiele ausprobiert werden. Hebelwirkung zu begreifen und den Schwerpunkt zu finden. lässt sich Zeit sparen. Wenn jedoch zwei Daher der Ausdruck «Haftreibung». Um eine Maschine zu bauen, die mehr Arbeit Roboterbienen gleichzeitig unterwegs das Phänomen des Hebels zu begreifen, leisten kann, als man in sie hineinsteckt, sind, könnte es dazu kommen, dass sie reichte schon ein dicker Karton, den man ist uralt. Tatsächlich liefert der Hebel an sich gegenseitig blockieren. In diesem zuerst mit einer kleinen und danach mit einem Ende mehr Kraft, als man am ande- Fall ist der Umweg zeitsparender. Auch einer grossen Schere zerschneiden musste. ren aufwendet. Aber leistet er auch mehr wenn die Aufgaben schwieriger wurden, so Mit dem gleichen Phänomen setzten Arbeit? Gibt es eine andere Vorrichtung, blieb doch die Programmiersprache immer sich die Lehrpersonen auseinander, die also das berühmte Perpetuum mobile, wel- einfach. Aus diesem Grund, meinte der ein Mobile bastelten. Zur Verfügung ches dieses Ziel erreicht? Leider nein. Aber Kursleiter, seien die Bee-Bots geeignet für hatten sie einige Foldback-Klammern, die ewige und bis heute vergebliche Suche den Kindergarten und die Unterstufe und Schnur und Lineale in verschiedenen Grös- nach dem Perpetuum mobile führten zur würden ausserdem fremdsprachigen Kin- sen. Hier ging es darum, die Konstruktion Mechanik und einer Vielzahl verblüffender dern gleiche Chancen bieten. im Gleichgewicht zu halten, obwohl die Erfindungen. Lineale unterschiedlich lang und schwer Die Gesetze der Mechanik erfahren waren. Ein wichtiger Teil der Aufgabe war, Roger Wehrli «Blättere die Seiten von zwei Büchern die Lineale nicht immer in der Mitte auf- möglichst abwechslungsweise ineinan- zuhängen. Hier kam neu hinzu, dass alle der. Ist es möglich, die beiden Bücher an Kräfte mal Kraftarme auf der einen Seite den Buchrücken auseinanderzuziehen?» des Drehpunktes addiert werden mussten. So lautete eine der Fragen, die im Atelier Diese hatten gleich zu sein wie die Summe «Mechanik verstehen» von Nicole Schwery aller Lasten mal Lastarme auf der anderen behandelt wurden. Dieses lud dazu ein, die Seite. Gesetze der Mechanik anhand einfacher SWISE Beispiele auszuprobieren. Dazu genügten Der Traum vom Perpetuum mobile Alltagsgegenstände wie ein Besen, um den Das Schönste an diesem Atelier war, mit SWiSE (Swiss Science Education) ist eine Schwerpunkt zu ermitteln, Dominosteine, welcher Begeisterung und Verspieltheit interkantonale Kooperation und hat zum um eine Brücke zu bauen, eine Kugel in Lehrpersonen jeden Alters bei der Sache Ziel, den naturwissenschaftlich-techni- einem Glas, um die Fliehkraft zu erfahren, waren. Die hier erworbenen Erkennt- schen Unterricht weiterzuentwickeln. Im Zentrum stehen der fachdidaktische Dia- oder zwei ineinander verhakte Bücher, um nisse und Erfahrungen werden sie gerne log und die breite Vernetzung. Seit 2009 die Haftreibungskraft zu spüren. Tatsäch- mit in die Schulzimmer nehmen. Damit treffen sich Vertretungen aus acht päda- lich war es nicht möglich, die zwei Bücher lassen sich auch Schülerinnen und Schü- gogischen Hochschulen der Deutsch- voneinander zu lösen. Die Kursleiterin ler der Mittelstufe begeistern. Erhellend schweiz unter der Gesamtprojektleitung erklärte, dass die Oberfläche eines Gegen- war auch die Einführung in den Kurs. So des Zentrums Naturwissenschafts- und standes nie vollkommen glatt sei. Wenn ein zeigte Nicole Schwery, dass der Beginn der Technikdidaktik an der PH FHNW regel- Gegenstand auf einem anderen liege, ver- Mechanik mit dem Beginn der menschli- mässig, um gemeinsame Produkte und hakten sie sich ineinander und hafteten so. chen Kultur zusammenfällt. Der Traum, Projekte zu entwickeln und zu realisieren. 26
Mit Magna das Umweltbewusstsein schärfen Text: Magna, das neue Profil des Gymnasiums Unterstrass in Zürich, ermöglicht Belinda Meier seinen Lernenden, ihr naturwissenschaftlich-technisches Wissen im Fotos: Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen und ökologischen Wandel zu Eleni Kougionis begreifen. Mit Erfolg: Die Resonanz ist positiv und bereits haben sich wieder 20 Jugendliche für das kommende Schuljahr angemeldet. 12
5 | 2019 MINT Unsere Meere sind voller Plastik. Dieser bringt unser Öko- viel fokussierter, daher ist es für Jugendliche sinnvoll, bereits system zum Kollabieren, wenn nicht nachhaltig und innert jetzt viel naturwissenschaftliches Grundwissen anzurei- kurzer Frist eine Wende einkehrt. Ein junger, mutiger Hol- chern und über gesellschaftliche Auswirkungen Bescheid länder namens Boyan Slat stellte sich 2013 diesem mons- zu wissen.» trösen und schier ausweglosen Problem. Mit seinen damals Kann Magna diesen hohen Anspruch erfüllen? Die zwan- 18 Jahren begann er ein System zu entwickeln, das die zigköpfige «Magna-Elite» bestehend aus fünf Mädchen und Meere von Kunststoffmüll befreien soll. Genau wie der 15 Knaben, die ein Aufnahmeverfahren von zehn Prüfungen Kunststoff selbst bewegt sich dieses System passiv mit in sieben Fächern bestehen und zusätzlich die Hürde der den Strömungen des Meeres mit. Es besteht aus einem erstsemestrigen Probezeit überstehen mussten, zeigt sich an 600 Meter langen Schwimmer, der sich an der Wasser- diesem Mittwochmorgen im April jedenfalls überzeugt, den oberfläche befindet, und einem drei Meter tiefen Rand. Der richtigen Weg gewählt zu haben. Einer unter ihnen ist der Schwimmer verleiht dem System Auftrieb und verhindert 16-jährige Florian. Er liebt Naturwissenschaften, vor allem so, dass Plastik über das System fliessen kann. Während Chemie. «Das Profil hat mich deshalb überzeugt, weil es sich das schlauchförmige System durch das Wasser bewegt, einen grossen Schwerpunkt auf die naturwissenschaftlich- sammelt sich der Kunststoff innerhalb seiner U-förmigen technischen Fächer legt, dabei trotzdem auch der Musik Grenze an und wird schliesslich zum Recycling zurück an Platz einräumt.» Zudem sei die Schule Unterstrass klein, Land gebracht. Dieses erste «Ocean Cleanup» genannte übersichtlich und habe eine gute Einstellung zu Umwelt- System mit der Nummer 001 wurde im September 2018 mit themen. «Das ist mir wichtig und macht die Schule sympa- Erfolg vor der Küste San Franciscos eingewassert. Derzeit ist thisch.» Auch Nicolo, 15 Jahre alt, fühlt sich im Magna-Profil es in Richtung Great Pacific Garbage Patch unterwegs, der am richtigen Ort. Von allen Fächern interessieren ihn die weltweit grössten Anreicherungszone von Kunststoffen im naturwissenschaftlichen am meisten. «Dass wir im Profil Ozean, die sich zwischen Kalifornien und Hawaii befindet. einen regelmässigen Austausch mit Hochschulen haben, ist Das Unternehmen «The Ocean Cleanup» beschäftigt heute ein grosser Vorteil.» Seine Eltern sind Umweltwissenschaft- über 80 Ingenieure, Forscherinnen, Wissenschaftler und ler, Umweltthemen werden im Familienverband daher öfter Informatikerinnen, die sich täglich für die Beseitigung des diskutiert. «Ich möchte wissen und auch verstehen, was auf Kunststoffs in den Meeren einsetzen. der Welt passiert. Magna greift diesen Gedanken gut auf.» Magna ist aber nicht nur für den Nachwuchs bildungsna- Mit Magna Zusammenhänge besser verstehen her Bevölkerungsschichten erreichbar, sondern für alle, die Mutige und engagierte Menschen und Macher wie Boyan die Anforderungskriterien erfüllen – auch ohne finanzielles Slat sind es, die das Gymnasium Unterstrass in Zürich Polster. «Wir können vier Plätze pro Jahr anbieten, die zum Vorbild nimmt, um Jugendliche für das neue Profil mittels Stipendien finanziert werden», erklärt Schoch. Der Naturwissenschaften+, kurz Magna genannt, zu begeistern. 16-jährige Ioannis konnte von diesem Angebot profitieren. Mit rund 20 Schülerinnen und Schülern konnte dieses im Sein Herz schlägt für Mathematik und Naturwissenschaften, Schuljahr 2018/19 starten. Das Pluszeichen in der Profilbe- in diesen Fächern ist er auch am stärksten. «Magna war die zeichnung verrät: Magna ist mehr als ein gymnasiales Profil richtige Entscheidung für mich.» Dass das Profil mit sechs mit Schwerpunkt Naturwissenschaften. Magna verbindet Lektionen Mathematik pro Woche gestartet hat, kam ihm mathematisch-naturwissenschaftliche Themen mit Fra- sehr entgegen. Wie Nicolo schätzt auch er die Koopera- gen zum Umweltschutz und zur weltweiten Gerechtigkeit. tion mit Hochschulen und damit verbunden insbesondere Ökologische und soziale Themen nehmen einen ebenso das ausserschulische Lernen. «Wir haben am Science Lab zentralen Stellenwert ein wie das Vermitteln der fachlichen der Uni Zürich teilgenommen und uns dabei mit Atomen Kompetenzen selbst. Das Ziel dahinter: Magna möchte und Elektronen auseinandergesetzt. Zudem besuchten wir einen Beitrag leisten für die Bildung naturwissenschaftlich- das Einstein Museum in Bern», erzählt er begeistert. Seine technischer Fächer, damit später kompetente Fachkräfte Erwartungen an das Profil hätten sich in diesem ersten Jahr ausgebildet werden können, die Verantwortung für diese vollumfänglich erfüllt. Welt übernehmen. «Wir brauchen fähige Ingenieurinnen und Ingenieure, die nach Lösungen suchen und dabei auch Zellteilung versus Umweltreportage darüber nachdenken, was links und rechts davon geschieht», Am besagten Mittwochmorgen stehen zwei Lektionen Che- unterstreicht Jürg Schoch, Direktor am Unterstrass. «In mie, zwei Lektionen Biologie und eine Lektion Musik auf einem Ingenieurstudium arbeiten Studierende in der Regel dem Programm, davon je eine Biologie- und Chemiestunde 13
5 | 2019 MINT in Halbklassen. Florian, Nicolo und Ioannis ebenso wie viele ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler werden auf ihre Kosten kommen. Biologielehrerin Agnes Lüssi ist mit der einen Halbklasse gerade daran, eine Präparation herzustel- len, um die Zellteilung zu untersuchen. Parallel dazu gleist die andere Hälfte bei Chemielehrer Reinhold Adam eine Umweltreportage zum Waldsterben, zu den Schadstoffen in der Luft, den Mooren als Kohlenstoffspeicher oder den aus Erdöl hergestellten Medikamenten auf. Nachdem die Jugendlichen im Fach Deutsch die verschiedenen journa- listischen Textsorten kennengelernt haben, stecken sie in der Chemiestunde nun das Thema ab, betreiben Recherche, bestimmen mögliche Interviewpartner und welches Che- miewissen noch fehlt, um die Reportage umzusetzen. In der Biologiestunde erhitzen die Jugendlichen in Zweiergruppen derweil ein kleines Stück einer Zwiebelwurzelspitze mit Jürg Schoch, seit 30 Jahren Direktor der Schule Unterstrass in Zürich. Karminessigsäure im Reagenzglas. Die Zellen des Gewebes werden so aufgespalten, dass der Farbstoff eindringen und MAR-Profil mit den Schwerpunkten Biologie und Chemie. die Zellstoffe sichtbar machen kann. Die Schülerinnen und Im ersten Semester starten die Schülerinnen und Schüler mit Schüler giessen den Farbstoff nun wieder ab, legen die ein- sechs Lektionen Mathematik und je zwei Lektionen Biolo- gefärbte Wurzelspitze auf einen Objektträger, geben einen gie, Chemie und Physik pro Woche. Im zweiten Semester kleinen Tropfen Essigsäure hinzu und decken sie mit einem verhält es sich fast gleich, nur sind es dann fünf Lektionen weiteren Glasplättchen ab – fertig ist die Präparation, die nun Mathematik, dafür kommen zwei zusätzliche Lektionen unter dem Mikroskop eingehend analysiert werden kann. Informatik hinzu. Musik, Bildnerisches Gestalten, Sport und Lüssi geht während der Herstellung von Gruppe zu Gruppe, Religion sind zudem obligatorisch, ebenso die Teilnahme an beantwortet Fragen und prüft laufend, ob die Arbeitsschritte Schulanlässen, Lagern und Gruppenprojekten. «Ausgehend korrekt eingehalten werden. Die Schülerinnen und Schü- von den Rahmenbedingungen, die für eine eidgenössische ler arbeiten fokussiert, die Atmosphäre ist angenehm, der Matur gelten, möchten wir, dass unsere Schülerinnen und Umgang untereinander respektvoll. Schüler auch die musischen, gestalterischen Fächer ebenso wie Sport nicht vernachlässigen», so Schoch. Dies gehöre Grosser MINT-Anteil, ohne andernorts zu kürzen sozusagen zu den Grundwerten der Schule. «Sport ist für Magna umfasst alle Fächer einer schweizerischen Matu- Körper und Geist zentral. Auch sind wir der Meinung, dass ritätsbildung und basiert auf dem naturwissenschaftlichen der Blick über den Tellerrand hinaus bereichernd ist. So können beispielsweise auch Religionskenntnisse in globalen Umweltfragen von grosser Bedeutung sein und die Perspek- tive auf ein spezifisches Thema abrunden», ergänzt er, der seit 30 Jahren als Direktor die Entwicklung des Unterstrass entscheidend mitgeprägt hat. Die höhere Stundendotation in den MINT-Fächern ist kennzeichnend für das Profil und wird andernorts nicht kompensiert. Am Gymnasium Unter- strass ist ein vollerer Stundenplan üblich. Im Fokus: Kooperation und Interdisziplinarität Kennzeichnend für Magna ist auch die intensiv gepflegte Kooperation mit Hochschulen, Naturschutzorganisationen und Hilfswerken. Neben dem bereits erwähnten Science Lab der Universität Zürich besuchten die Jugendlichen während des ersten Jahres auch das Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen der ZHAW. «Solche ausser- Die Jugendlichen erhitzen im Biologieunterricht eine in Karminessigsäure eingelegte Zwiebelwurzelspitze. 14
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