Mobile zahnmedizinische Versorgung für pflegebedürftige Menschen - Begleitevaluation zum Pilotprojekt im Kanton Uri 2019-2020
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Mobile zahnmedizinische Versorgung für pflegebedürftige Menschen Begleitevaluation zum Pilotprojekt im Kanton Uri 2019–2020
| Auftraggeber Verein Labucca | Autorinnen und Autoren Dr. Oliver Bieri (Projektleitung) Helen Amberg, MA Economics (Projektmitarbeit) Julia Rickenbacher, MA Politikwissenschaft (Projektmitarbeit) | Kontaktadresse Interface Politikstudien Forschung Beratung GmbH Seidenhofstrasse 12 CH-6003 Luzern Tel +41 (0)41 226 04 26 I Bild Titelseite Remo Nägeli | Druck Druckerei Varicolor AG, Münchenbuchsee I Auflage/Druck 100 Exemplare, Februar 2021 | Begleitgruppe Dr. med. et phil. Stefan Essig Leiter Forschung Institut für Hausarztmedizin und Community Care Thérèse Flückiger Leiterin Themenfeld Gesundheit Beisheim Stiftung Karin Weiss Leitung Förderbeiträge Age-Stiftung | Ansprechperson für Fragen zum Projekt Eric Schirrmann, Geschäftsführer Verein Labucca Dätwylerstrasse 9 CH-6460 Altdorf Tel +41 (0)79 396 80 25 eric.schirrmann@labucca.ch | Projektförderung Dieser Bericht dokumentiert ein Förderprojekt der Age-Stiftung – weitere Informationen dazu finden Sie unter www.age-stiftung.ch. Der Bericht ist integraler Bestandteil der Förderung. | Luzern, den 29. Januar 2021 2
Inhalt 1. Pilotprojekt im Kanton Uri | 5 1.1 Warum ein Pilotprojekt im Kanton Uri? | 6 1.2 Welche Akteure sind beim Pilotprojekt beteiligt? | 8 2. Herausforderungen für die zahnmedizinische Versorgung | 10 2.1 Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen regeln die zahnmedizinische Versorgung? | 10 2.2 Welche Herausforderungen entstehen für die Zahnmedizin aufgrund der demografischen Trends? | 12 2.3 Warum werden Besuche in der Zahnarztpraxis im Alter seltener? | 13 2.4 Warum ist die Mundgesundheit für ältere Menschen bedeutend? | 14 3. Zahnmedizinische Versorgung im Kanton Uri | 17 3.1 Wie sieht die zahnmedizinische Versorgung im Kanton Uri aus? | 18 3.2 Welche Schwierigkeiten sind bei der Mund- und Zahnhygiene im pflegerischen Alltag zu bewältigen? | 20 4. Wissenschaftliche Studie zur Mundgesundheit | 23 4.1 Warum eine wissenschaftliche Studie im Kanton Uri? | 23 4.2 Wie war der Ablauf der Studie geplant? | 25 4.3 Welche Anpassungen waren bei der Umsetzung notwendig? | 26 4.4 Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liefert die Studie? | 28 5. Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt | 32 5.1 Wie beurteilen die beteiligten Akteure das Pilotprojekt? | 32 5.2 Welcher Nutzen hat das Pilotprojekt für die Betroffenen? | 36 5.3 Was hat das Projekt insgesamt bewirkt? | 39 6. Versorgungsmodelle für die Zukunft | 40 6.1 Welche Modelle der mobilen Zahnversorgung gibt es? Wie häufig sind diese anzutreffen? | 40 6.2 Welches sind die Vor- und Nachteile der einzelnen Modelle? | 42 6.3 Welches Modell passt am besten in den Kanton Uri? | 45 7. Fazit und Ausblick | 48 Anhang | 50 Endnoten | 51 3
1. Pilotprojekt im Kanton Uri Für den grössten Teil der Bevölkerung gelten regelmäs- sige zahnärztliche Kontrollen, Pflege- und Prophylaxe- massnahmen heute als selbstverständlich. Was aber passiert mit älteren pflegebedürftigen Personen, die wegen Einschränkungen ihrer Mobilität nicht einfach zum nächsten Zahnarzt oder zur nächsten Zahnärztin gehen oder sich nicht mehr selbstständig um ihre Zahnpflege kümmern können? 5
1.1 Warum ein Pilotprojekt im Kanton Uri? zeigt, welche Lösungsansätze Erfolge versprechen. Die Er- Gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik leben in der kenntnisse und Lehren aus dem Pilotprojekt im Kanton Uri Schweiz rund 156’000 Personen in einem Alters- und Pflege- werden im vorliegenden Bericht dargelegt. Der Bericht ist in heim.1 Ein grosser Teil davon braucht umfassende Pflege und sieben Kapitel gegliedert: Betreuung und ist nicht in der Lage, selber für eine ausrei- – Im Kapitel 2 wird aufgezeigt, welche gesetzlichen Rahmenbe- chende Mundhygiene zu sorgen. Bei diesen Personen können dingungen und Finanzierungsmechanismen für die zahnmedi- verschiedene altersbedingte Einschränkungen die selbststän- zinische Versorgung gelten. Danach werden Herausforderun- dige Pflege von verbliebenen Zähnen oder Zahnprothesen be- gen des demografischen Wandels skizziert und die Bedeutung einträchtigen. Auch für einen Teil der rund 311’000 Personen, der Mundgesundheit für ältere Menschen erläutert. welche durch verschiedene Spitex-Organisationen regelmässig – Im Kapitel 3 wird der Status quo der zahnmedizinischen im eigenen Haushalt gepflegt werden,2 dürfte die tägliche Versorgung im Kanton Uri geschildert. Zahn- und Mundhygiene eine Herausforderung darstellen. – Im Kapitel 4 werden die Konzeption und die Durchführung Aufgrund der demografischen Alterung ist für die kommen- der wissenschaftlichen Studie «GeriaDent» beschrieben. Im den Jahre mit einem weiteren Anstieg von Menschen zu rech- Rahmen dieser Studie wurden Informationen zur Mundge- nen, welche zu Hause oder in Alters- und Pflegeheimen Pflege sundheit von pflegebedürftigen Personen im Kanton Uri er- und Betreuung benötigen. fasst. – Im Kapitel 5 werden Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Damit stellt sich die Frage, wie die aktuelle und künftige zahn- Umsetzung des Pilotprojekts geschildert. medizinische Versorgung von älteren pflegebedürftigen Men- – Im Kapitel 6 werden verschiedene Versorgungsmodelle ver- schen organisiert werden kann. Auf diese Frage hat der Urner glichen und davon ausgehend skizziert, mit welchen Versor- Verein Labucca Antworten gesucht und sich zum Ziel gesetzt, gungsmodellen auf die demografischen Herausforderungen im Kanton Uri eine mobile und integrierte zahnmedizinische reagiert werden kann. Versorgung aufzubauen. Als Grundlage für die Entwicklung – Schliesslich wird im Kapitel 7 ein Fazit gezogen. eines neuen Versorgungskonzepts hat der Verein zusammen mit weiteren Akteuren die wissenschaftliche Studie «Geria- Dent» realisiert. Das Pilotprojekt, welches im Kanton Uri zwischen 2018 und 2020 umgesetzt wurde, zeigt auf, welche Herausforderungen bei der zahnmedizinischen Versorgung von pflegebedürftigen älteren Menschen zu berücksichtigen sind. Zudem wird aufge- «Wie müssen eigentlich pflegebedürftige Menschen, die nicht mehr mobil sind, Zahnarztbesuche organisieren?» Eric Schirrmann, Geschäftsführer Labucca 6
1.2 Welche Akteure sind beim Pilotprojekt beteiligt? | Finanzielle Unterstützung durch Stiftungen und den Das Pilotprojekt im Kanton Uri hat verschiedene Akteure mit Kanton Uri unterschiedlichen Rollen zusammengebracht. Die Age-Stiftung, welche innovative Projekte zum Thema Wohnen und Älterwerden fördert, und die Beisheim Stiftung, | Initiativedurch den Verein Labucca welche Projektideen aus den Bereichen Bildung, Gesundheit, Mit der Frage, wie die Zahn- und Mundpflege der Zukunft für Kultur und Sport unterstützt, haben das Projekt im Kanton Uri ältere Menschen aussehen könnte, setzen sich die Verantwortli- als förderungswürdig beurteilt und finanziell unterstützt. Bei- chen des Vereins Labucca auseinander. Der aktuelle Geschäfts- den Stiftungen ist es wichtig, dass mit dem vorliegenden Be- führer und Mitbegründer dieses Vereins hatte sich gefragt, wie richt die gewonnenen Erkenntnisse aus dem Projekt interes- ältere Menschen, welche nicht mehr mobil sind, Zahnarztbesuche sierten Fachpersonen zugänglich gemacht werden. Zusätzlich organisieren müssen. Angeregt durch die «Flying Doctors», wel- zu den beiden Stiftungen hat sich die Gesundheits-, Sozial- che die medizinische Versorgung in Australien sicherstellen, hatte und Umweltdirektion des Kantons Uri an der Finanzierung er sich gefragt, welche Initiativen es in der Schweiz brauchen des Projekts beteiligt. würde, damit auch ältere und immobile Menschen einen einfa- chen Zugang zu zahnärztlichen Untersuchungen haben. Damit | Institutionen der stationären und ambulanten Lang- war die Idee des Vereins Labucca geboren, welcher sich seit 2017 zeitpflege für die Alterszahnmedizin einsetzt und die Zusammenarbeit un- Der Zugang zu pflegebedürftigen Personen wurde durch die ter den Akteuren der pflegerischen Zahnmedizin verbessern Kooperation mit den Alters- und Pflegeheimen im Kanton Uri möchte. Besonderen Fokus legt der Verein auf die Förderung in- sowie der Spitex Uri sichergestellt. novativer Zahnversorgungsangebote im ländlichen Raum. 8
D 1.1: Übersicht der Akteure im Pilotprojekt Zwei Arbeiten von Masterstudierenden Quelle: Darstellung Interface. | Urner Zahnärzteschaft Internet getätigt. Dazu gehören gesetzliche Grundlagen und Die zahnmedizinischen Untersuchungen von pflegebedürfti- verfügbare Statistiken. gen Personen wurde in Kooperation mit der Urner Zahnärzte- – Interviews: Ein bedeutender Zugang zum Untersuchungsge- schaft unter Einbezug des Kantonszahnarztes realisiert. genstand waren Interviews. Im Verlauf der Studie wurden mehrfach Interviews mit den Projektverantwortlichen ge- | Institut für Hausarztmedizin & Community Care Luzern führt. Zusätzlich wurden Vertreterinnen und Vertreter der (IHAM&CC Luzern) im Kanton Uri tätigen Pflegeorganisationen (Alters- und Für die Auswertung der zahnmedizinischen Befunde waren Pflegeheime, Spitex) sowie der Kantonszahnarzt interviewt. Masterstudierende unter der Leitung des Instituts für Haus- Eine Liste dieser Personen findet sich im Anhang des Be- arztmedizin & Community Care Luzern zuständig. richts. – Quantitative Daten: Schliesslich wurden quantitative Daten, | InterfacePolitikstudien Forschung Beratung welche im Rahmen der Studie «GeriaDent» erhoben wur- Das Team von Interface hat die Erkenntnisse zum Pilotprojekt den, in den Bericht eingearbeitet. gesammelt und für den vorliegenden Bericht aufbereitet. Dazu – Fallgeschichten: Der Nutzen der zahnmedizinischen Versor- wurden die folgenden Informations- und Datenquellen genutzt: gung für immobile ältere Menschen wird anhand von ausge- – Dokumentenanalyse und Internetrecherchen: Einen ersten wählten Fallgeschichten illustriert. Diese wurden mit Hilfe von Zugang zur Thematik gaben die verfügbaren Dokumentati- Erzählungen des zahnmedizinischen Fachpersonals erstellt. onen zum Projekt. Davon ausgehend wurden insbesondere für die Analyse der Rahmenbedingungen und Herausforde- rungen weitere Dokumente beigezogen und Recherchen im 9
2. Herausforderungen für die zahnmedizinische Versorgung Bei der zahnmedizinischen Versorgung gelten andere Regeln als bei der Versorgung durch den Hausarzt oder die Hausärztin. Dies gilt sowohl für die Finanzierung als auch für das Verhalten der Patientinnen und Patienten. Zusammen mit dem demografischen Wandel ergeben sich dadurch einige Herausforderungen. 2.1 Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen regeln die können».7 Der Kanton hat zudem die Aufgabe, die Entwick- zahnmedizinische Versorgung? lung und Verbreitung von neuen, innovativen Versorgungs- Die Regulierungsdichte bei der Zahnmedizin ist im Vergleich modellen zu fördern, die zur Verbesserung der medizini- zur Humanmedizin kleiner. Das hängt unter anderem damit schen Grundversorgung beitragen.8 zusammen, dass Zahnarztrechnungen zu grossen Teilen von – Auf kommunaler Ebene gibt es keine direkte Verknüpfung den Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden. Rund zur zahnmedizinischen Versorgung von älteren pflegebe- 90 Prozent der anfallenden Kosten von zahnmedizinischen dürftigen Menschen. Allerdings sind in den meisten Kanto- Behandlungen werden in der Schweiz durch Patientinnen und nen die Gemeinden für die Langzeitpflege und Betreuung Patienten getragen. Obwohl es in anderen Ländern andere Fi- sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich zu- nanzierungsmodelle gibt, zählt die Schweiz weltweit zu den ständig. Ländern mit der besten Zahnpflege und Zahngesundheit.3 Ge- – Die Leistungen, welche von der obligatorischen Kranken- mäss Bundesamt für Statistik betrug der Anteil der Schweizer pflegeversicherung (OKP) übernommen werden, sind auf Bevölkerung ohne Zahnbehandlung im Jahr 2015 weniger als nationaler Ebene geregelt. Die Krankenpflege-Leistungsver- 2,7 Prozent, verglichen mit 4,1 Prozent in der EU.4 ordnung (KLV) hält fest, dass zu den Leistungen der ambu- lanten oder im Pflegeheim stattfindenden Krankenpflege die Die zahnmedizinische Versorgung ist in der Schweiz auf ver- «allgemeine Grundpflege bei Patienten oder Patientinnen, schiedenen Ebenen gesetzlich verankert: welche die Tätigkeiten nicht selber ausführen können, wie – Auf Bundesebene hält die Bundesverfassung fest: «Bund […] Hilfe bei der Mund- und Körperpflege» gehört.9 Zahn- und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Ver- ärztliche Behandlungen werden gemäss Bundesgesetz über antwortung und privater Initiative dafür ein, dass […] jede die Krankenversicherung (KVG) hingegen nur vereinzelt Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält».5 von der OKP übernommen.10 Konkret fallen nur nicht ver- Des Weiteren «sorgen die Kantone für die Hilfe und Pflege meidbare Erkrankungen des Kausystems, Behandlungen in- von Betagten und Behinderten zu Hause».6 folge schwerer Allgemeinerkrankungen sowie durch Unfälle – Auf kantonaler Ebene regelt im Kanton Uri das Gesund- verursachte Schäden, die nicht durch die Unfallversicherung heitsgesetz, dass «der Kanton und die Gemeinden […] sich gedeckt sind, unter die OKP. im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine flächendeckende, bedarfsgerechte und wohnortnahe medizinische Grundver- sorgung ein[setzen]» und «diejenigen medizinischen Grundversorgungsangebote [fördern], die ohne Unterstüt- zung nicht oder nicht ausreichend bereitgestellt werden 10
Abb. 3 istockphoto Die Kosten für zahnärztliche Behand- bereits erwähnt, werden Arztbesuche unter Berücksichtigung allfälliger Selbstbehalte durch die obligatorische Grundversi- lungen werden überwiegend von den cherung sowie freiwillige Zusatzversicherungen abgedeckt. Patientinnen und Patienten selbst Bei der Finanzierbarkeit von zahnärztlichen Behandlungen spielt neben dem Alter auch das Einkommen eine bedeutende bezahlt. Rolle: 21 Prozent der über 65-Jährigen mit einem Einkom- men, welches unterhalb der Armutsgrenze liegt, geben an, aus Aus den gesetzlichen Grundlagen lässt sich ableiten, dass die finanziellen Überlegungen auf Zahnarztbesuche verzichtet zu Kosten für zahnärztliche Behandlungen überwiegend von den haben. Bei den über 65-Jährigen mit einem Einkommen über Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden oder eine der Armutsgrenze beträgt der entsprechende Anteil 10 Pro- von ihnen freiwillig abgeschlossene Versicherung für die Be- zent.13 Patientinnen und Patienten in schwierigen finanziellen handlungskosten aufkommt. In der Schweiz werden jährlich Verhältnissen werden von Fürsorge- und Sozialdiensten sowie gut vier Milliarden Franken für Zahnbehandlungen ausgege- über die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV unterstützt. Diese ben. Dies entspricht etwas über 500 Franken pro Person übernehmen Kosten, wenn die Behandlung zahnmedizinisch und Jahr. Davon fallen rund 79 Prozent auf Privathaushalte, nötig ist und die Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und 15 Prozent auf Privatversicherungen und 6 Prozent auf die Wirtschaftlichkeit erfüllt sind.14 Übernommen werden Not- OKP und andere Sozialversicherungen (Unfallversiche- fall- und Schmerzbehandlungen sowie Jahreskontrolle und rung, Invalidenversicherung, Militärversicherung, Ergän- Dentalhygiene. Personen, welche sich eine Zahnbehandlung zungsleistungen zur AHV/IV).11 Diese Kosten für zahnmedi- nicht leisten können und keinen Anspruch auf Ergänzungs- zinische Behandlungen können für Haushalte mit niedrigen leistungen oder Sozialhilfe haben, werden unter bestimmten Einkommen eine grosse Belastung darstellen. Es besteht daher Voraussetzungen auch von Hilfswerken, Gemeindefonds oder eine gewisse Gefahr, dass aus Kostengründen auf regelmässige privaten Stiftungen unterstützt.15 Für Kinder und Jugendliche präventive Untersuchungen verzichtet wird. Verschiedene Stu- bieten zudem zahlreiche Kantone im Rahmen der Schulzahn- dien zeigen, dass Personen mit tieferen Einkommen weniger pflege zahnärztliche Leistungen an.16 oft zahnärztliche Leistungen beanspruchen.12 In einer Um- frage bei über 65-Jährigen in der Schweiz gaben 13 Prozent an, aus Kostengründen auf eine Zahnarztkonsultation verzichtet zu haben. Im Vergleich dazu gaben 7 Prozent der Befragten an, aus Kostengründen auf Arztbesuche verzichtet zu haben. Wie 11
2.2 Welche Herausforderungen duell unterschiedliche Vorgehenswei- aufbauen. Oft fehle es den Patientinnen entstehen für die Zahnmedizin auf- sen angewandt werden müssen. und Patienten einerseits an Sensibilisie- grund der demografischen Trends? rung für das Thema und die Folgen ei- Die Bevölkerungszahlen der Schweiz Damit stellt sich die Frage, wie die ner mangelhaften Mundpflege. Ande- zeigen, dass knapp jede fünfte Person in Mundgesundheit von Personen mit ei- rerseits haben die Betroffenen teilweise der Schweiz 65 Jahre oder älter ist. 5 Pro- genen Zähnen, welche auf Unterstüt- Angst vor den Folgen einer zahnmedi- zent sind sogar 80 Jahre oder älter. Bis zungs- oder Pflegeleistungen angewie- zinischen Untersuchung wie etwa 2040 könnte der Anteil der über 65-Jäh- sen sind, aufrechterhalten werden schmerzvolle Behandlungen oder fi- rigen auf 25 Prozent und jener der über kann. Dies stellt auch Pflegepersonal nanzielle Kosten. Zudem sind aus Sicht 80-Jährigen auf 9 Prozent ansteigen. Ne- und andere Berufsgruppen im Umfeld der Befragten die zeitlichen Ressourcen ben der insgesamt ansteigenden Zahl von Pflegebedürftigen sowie pflegende in der Pflege beschränkt. Der Mund- älterer Menschen stellen sich für die Angehörige vor neue Herausforderun- pflege werde deshalb gegenüber ande- zahnmedizinische Versorgung aber wei- gen; denn die Pflege im Mundbereich ren Bedürfnissen, welche als drängen- tere Herausforderungen: Immer mehr und damit der Erhalt der eigenen Zähne der eingeschätzt werden, weniger ältere Menschen haben eigene Zähne, werden mit zunehmenden Alter kom- Priorität eingeräumt. Weiter sei die die auch im fortgeschrittenen Alter plexer. Mundpflege bei älteren Menschen auf- noch gepflegt werden sollten. Dank frü- grund von Orientierungsverlust, De- her und guter Prophylaxe gibt es immer In der Literatur und den geführten Ge- menz oder Sehschwäche erschwert. weniger ältere Menschen mit einem sprächen zeigt sich, dass die Mund- Ebenso kann das Aufsuchen einer vollständigen Zahnersatz. Teilimplan- pflege bei älteren Menschen eine be- zahnärztlichen Praxis eine körperliche tate stellen andere Anforderungen an sondere Herausforderung darstellt. Bei und auch finanzielle Belastung für die die Zahnpflege als der vollständige der alltäglichen Pflege müsse das Pfle- älteren Menschen sowie auch ihre Be- Zahnersatz. Für Pflegende bedeutet gepersonal erst ein Vertrauensverhält- treuenden darstellen. Dies hat zur das, dass bei der Zahnreinigung indivi- nis zu den Patientinnen und Patienten Folge, dass Zahnarztbesuche überwie- 12
D 2.1: Anteil der Bevölkerung, welcher innerhalb von 12 Monaten mindestens einmal eine Arztpraxis oder eine Zahnarztpraxis auf- gesucht hat (2017) 100% 80% 60% 40% 20% 0% 15-24 25-34 35-44 45-54 55-64 65-74 75+ Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Besuch bei Hausärztin/Hausarzt Besuch bei Zahnärztin/Zahnarzt Besuch bei Dentalhygienikerin/Dentalhygieniker Quelle: Bundesamt für Statistik (2019): Schweizerische Gesundheitsbefragung 2017. gend bei Notfällen stattfinden und pro Jahr eine Hausärztin, einen Haus- ner Hausärztin waren, liegt in Uri mit kaum zur Prävention. Regelmässige arzt oder eine Allgemeinpraktikerin, 35 Prozent deutlich höher als im Schwei- Kontrollen und dentalhygienische Be- einen Allgemeinpraktiker. Der Anteil zer Durchschnitt (29%). Und während handlungen wären gemäss den Befrag- Personen, die eine Zahnärztin oder ei- gesamtschweizerisch gesehen eine Per- ten insbesondere für ältere Menschen nen Zahnarzt aufsuchen, nimmt im Ge- son innerhalb eines Jahres durchschnitt- wichtig, um eine Verschlechterung der genteil dazu ab einem Alter von 75 Jah- lich 1,5-mal eine Spezialärztin oder ei- Mundgesundheit zu verhindern. Eine ren ab. Noch deutlicher zeigt sich diese nen Spezialarzt aufsucht, ist es in Uri nur gute Mundpflege sei jedoch nicht erst Entwicklung bei Besuchen bei einem einmal. Eine bedeutende Rolle spielt da- bei Eintritt ins Pflege- und Altersheim Dentalhygieniker oder einer Den- bei sicherlich auch, dass der Kanton die wichtig – welcher im schweizerischen talhygienikerin. Gleichzeitig steigt mit schweizweit tiefste Ärztedichte aufweist. Mittel rund zweieinhalb Jahre vor dem zunehmendem Alter das Risiko der Das Muster, dass ältere Personen häufi- Tod stattfindet –, sondern bereits zuvor, Erkrankungen im Mund- und Zahn- ger einen Arzt oder eine Ärztin aufsu- um die eigenen Zähne und eine mög- bereich. Beispielsweise weisen ältere chen, zeigt sich jedoch auch für den lichst hohe Lebensqualität zu erhalten Menschen signifikant häufiger einen Kanton Uri. Spezifische Zahlen zu und Krankheiten vorzubeugen. Schwund des Zahnhalteapparates (Par- Zahnarztkonsultationen sind für den odontose) auf als Jüngere. Kanton Uri nicht verfügbar, es kann al- 2.3 Warum werden Besuche in der lerdings angenommen werden, dass Zahnarztpraxis im Alter seltener? Aus der Gesundheitsbefragung 2017 auch diese in der Tendenz unter dem Aus der Gesundheitsbefragung 2017 geht weiter hervor, dass die Bevölke- Schweizer Durchschnitt liegen. geht hervor, dass mit zunehmendem rung im Kanton Uri seltener einen Arzt Alter auch der Anteil Personen, die eine oder eine Ärztin aufsucht als im schwei- Ärztin oder einen Arzt aufsuchen, zerischen Mittel. Der Anteil Personen, steigt. Bei über 75-Jährigen konsultie- welche innerhalb eines Jahres kein ein- ren rund 90 Prozent mindestens einmal ziges Mal bei einem Hausarzt oder ei- 13
«Bei Pflegebedürftigkeit wird die Mundhygiene oft zum Problem.» Zitat Dr. med. dent. Markus Maier, Heimzahnarzt im Pflege- zentrum Gehrenholz (ZH) Die Gründe, warum die Zahnarztkonsultationen eingeschränkt sind, zu grossen Teilen ungenügend mit steigendem Alter abnehmen, sind vielfältig. war.26 Das Nebeneinander unterschiedlicher Am Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zü- Krankheitsbilder (Multimorbidität), die abneh- rich haben Forscherinnen über zwanzig wissen- mende Feinmotorik oder die Abhängigkeit von schaftliche Untersuchungen, welche im Zeitraum anderen Menschen können zur Vernachlässigung 1995 bis 2012 publiziert wurden, zur Frage nach der Mundgesundheit führen. Zudem wird der der Inanspruchnahme zahnmedizinischer Dienst- Gang zur Zahnarztpraxis aufgrund körperlicher leistungen im Alter ausgewertet.25 Zusammenfas- Gebrechen beschwerlicher. Die Folgen mangelhaf- send hat sich gezeigt, dass prophylaktische Zahn- ter Mundgesundheit im Alter sind insbesondere arztkonsultationen im Alter häufig durch Fehl- und Unterernährung infolge reduzierter beschwerdeorientierte Konsultationen ersetzt wer- Funktionalität des Kauapparates sowie weniger den. Zudem scheinen Ängste und Kostenfolgen die Lebensfreude aufgrund von Schmerzen bei der Motivation für die Inanspruchnahme zahnmedizi- Nahrungsaufnahme.27 nischer Dienstleistungen zu beeinflussen. Oft er- kennen die Betroffenen schlicht keinen Behand- Aus diesen Gründen sind unterstützende Massnah- lungsgrund. Dies ist gemäss den Autorinnen der men zum Erhalt einer guten Mundgesundheit bei Studie häufig bei Personen mit Zahnprothesen be- pflegebedürftigen Menschen besonders wichtig. ziehungsweise einem geringen Grad an Eigenbe- Eine gesetzliche Verankerung im Sinne einer obli- zahnung der Fall. Schliesslich wird wegen der man- gatorischen Zahnpflegeversicherung wird jedoch gelnden Sensibilisierung die allgemeine Gesundheit insbesondere von den Krankenversicherern abge- nicht mit der Mundgesundheit in Verbindung ge- lehnt.28 Im Jahr 2017 forderte ein Mitglied des kan- bracht. tonalen Parlaments im Kanton Wallis im Rahmen eines Postulats eine bessere zahnmedizinische Ver- sorgung in Alters- und Pflegeheimen.29 Dem Postu- Schweizerische Gesundheitsbefragung lanten schwebte vor, dass bei Neuzugängen in Al- Die Schweizerische Gesundheitsbefragung findet seit ters- und Pflegeheime innerhalb der ersten drei 1992 alle fünf Jahre statt, die aktuellste Erhebung wur- Monate eine «Bestandsaufnahme» und anschlie- de 2017 durchgeführt. Befragt wird jeweils eine Stich- ßend halbjährliche Kontrolluntersuchungen bezie- probe der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren hungsweise Prophylaxesitzungen stattfinden. Vor- in Privathaushalten, wobei die erhobenen Daten nach bild für den Vorstoss war das Modell der Stadt der Gesamtheit der ständig in der Schweiz lebenden Zürich, welche ein solches System bereits länger Personen gewichtet werden. Die Datenerhebung er- kennt. In den Pflegezentren der Stadt Zürich wurde folgt mittels eines telefonischen Interviews und einem ab 2009 in Zusammenarbeit mit dem Zahnmedizi- anschliessenden schriftlichen Fragebogen. 2017 nischen Institut der Universität Zürich ein Projekt wurden 22’134 Personen telefonisch befragt und der zur Förderung der Mundgesundheit der Bewohne- schriftliche Fragebogen von 18’832 Personen retour- rinnen und Bewohner gestartet. Aufgrund der po- niert. sitiven Erfahrungen wurde das Projekt auf weitere städtischen Pflegezentren der Stadt Zürich ausge- dehnt. Die Erfahrungen aus der Projektumsetzun- 2.4 Warum ist die Mundgesundheit für ältere gen werden interessierten Pflegezentren und Fach- Menschen bedeutend? kräften in der Form eines Leitfadens mit Links zu Zwei Untersuchungen aus den Jahren 2009 und Merkblättern zur Verfügung gestellt.30 Trotzdem 2012 in Pflegeheimen der Stadt Zürich zeigten, dass verfügen nicht alle Pflegezentren der Stadt Zürich die Mundgesundheit von älteren Menschen, die über einen Heimzahnarzt oder eine Heimzahnärz- unterstützungsbedürftig oder in ihrer Mobilität tin. 14
D 2.2: Schlechte Mundhygiene hat gesundheitliche Folgen Verlust sozialer Ressourcen (Reden, Essen, Lächeln) Infizierte Atemwege Erschwerte (Nebenhöhlen, Bronchien, Nahrungsaufnahme Lungen) Schwächung durch Belastung des Kreislaufs durch Unterernährung Bakterien im Blut Belastung des Immunsystems durch Verdauungsbeschwerden durch chronische hohe Keimbelastung und Entzündungen im Mund ungenügende Kaufunktion Verlust der Selbständigkeit Quelle: Darstellung Interface in Anlehnung an Darstellung Labucca. Was ist Mundgesundheit? Die WHO definiert Mundgesundheit als Indikator für die allgemeine Gesundheit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität. Sie umfasst eine Reihe von Krankheiten und Leiden wie Karies, Parodontose, Zahn- verlust, Mundkrebs usw. Es besteht ein erwiesener Zusammenhang zwischen Mund- und Allgemeinge- sundheit.31 Die Mundgesundheit ist wichtig für viele Funktionen wie Atmen, Essen und Sprechen.32 Bei ungenügender Mundpflege entstehen Entzündungen durch die Bakterien, die in den Blutkreislauf ge- langen können. Durch verringerte Bakterienlast im Mund können viele Fälle von Lungenentzündungen, Aspirationspneumonie, Endokarditis, Hirn- und Herzinfarkt oder – wie neuste Erkenntnisse zeigen – so- gar Alzheimer verhindert werden. Man geht davon aus, dass bei guter Mundgesundheit fast die Hälfte der Lungenentzündungen in Altersheimen verhindert werden kann. Lungenentzündungen sind eine der häufigsten Todesursachen bei älteren Menschen. Die Darstellung D 2.2 fasst die gesundheitlichen Fol- gen einer schlechten Mundhygiene zusammen. 15
Abb. 4 Unsplash, Quang Nguyen 16
3. Zahnmedizinische Versorgung im Kanton Uri Die Schweiz leistet sich eines der teuersten Gesundheits- systeme und ist bekannt für einen hohen medizinischen Ver- sorgungsgrad. Dennoch gibt es erhebliche Differenzen bei der Dichte von Human- und Zahnmedizinern zwischen den Kanto- nen. Im Kanton Uri gibt es im Verhältnis zur Bevölkerungszahl vergleichsweise wenig Ärztinnen und Ärzte. Dasselbe trifft auch für die Verbreitung von Zahnärzten und Zahnärztinnen zu. Ist die Versorgung für die Bevölkerung und insbesondere für ältere Menschen trotzdem ausreichend? 17
3.1 Wie sieht die zahnmedizinische Versorgung im Kanton Uri aus? Betrachtet man die Situation für den Kanton Uri, zeigt sich, dass es im Juni 2020 23 aktive Zahnärzte/-innen gab, welche in zehn Zahnarztpraxen tätig waren. Dies entspricht einer Zahn- ärztedichte von 30 Zahnärztinnen und Zahnärzten pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwoh- ner. Damit weist der Kanton Uri im schweizweiten Vergleich (Durchschnitt: 51 Zahnärztinnen und Zahnärzte pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner) den zweitniedrigsten Wert auf (vgl. Darstellung D 3.1). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Ärztedichte. Generell lässt sich feststellen, dass städtische Kantone eine höhere Ärztedichte aufweisen als ländlich geprägte und weniger dicht besiedelte Kantone. Obwohl sich aus Darstellung D 3.1 erhebliche Differen- zen bei der Zahnarztdichte in den Kantonen zeigen, sind die Differenzen zwischen den Kanto- nen im Bereich der Zahnmedizin deutlich geringer als bei der Humanmedizin. Während die Zahnarztdichte zwischen 23 und 188 pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner schwankt, liegen die entsprechenden Werte für die Humanmedizin zwischen 113 und 440. Damit ist die Schwankung bei der Humanmedizin prozentual nahezu doppelt so gross wie bei der Zahnme- dizin.33 D 3.1: Anzahl Zahnärztinnen und Zahnärzte pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner (2018) 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 AR BS TI OW ZG ZH GE BE LU CH SG BL NW NE SZ GR VD SO AI AG SH GL VS FR TG UR JU Legende: Die hohe Dichte an Zahnärztinnen und Zahnärzten im Kanton Appenzell-Ausserrhoden kommt aufgrund der geringen Bevölkerungszahl zu Stande; zudem könnten auch die geografische Lage mit der Nähe zur Agglomeration der Stadt St. Gallen eine Rolle spielen oder die Zulassungsbedingungen durch die kantonalen Behörden relevant sein. Bis 2008 war im Kanton Appenzell-Ausserrhoden im Gegensatz zu den benachbarten Kantonen eine Zulassung als «kantonal approbierter» Zahnarzt ohne Universitätsabschluss möglich. Quelle: Bundesamt für Statistik: Bestand und Dichte der Ärzte, Zahnärzte und Apotheken nach Kanton im Jahr 2018. 18
Damit die zahnmedizinische Versorgung innerhalb des Kantons für die ältere Bevölkerung besser beurteilt werden kann, ist in der Darstellung D 3.2 die Verteilung der Zahnarztpraxen sowie der Alters- und Pflegeheime im Kanton Uri aufgeführt. Die Gemeinden sind zudem nach ihrem Anteil der Bevölkerung, welche über 80 Jahre alt ist, eingefärbt. Es zeigt sich, dass sich die Zahnarztpraxen auf die zentrumsnahen Talgemeinden konzentrieren. Je eine Zahnarztpraxis befindet sich in Göschenen und Andermatt. Gleichzeitig ist der Anteil Perso- nen im Alter von 80 Jahren oder älter ausserhalb der Zentrumsgemeinden – mit Ausnahme Altdorf – am höchsten. D 3.2: Anteil der über 80-Jährigen und Verteilung der Zahnarztpraxen sowie Alters- und Pflegeheime im Kanton Uri Quelle: Darstellung Interface, Datengrundlage Statistik der Bevölkerung und der Haushalte Bundesamt für Statistik (BFS), Geometrie BFS. Trotz der vergleichsweise geringeren Dichte von Zahnärzten und Zahnärztinnen im Kanton Uri sind sich der zuständige Kantonszahnarzt und der Verantwortliche der kantonalen Gesundheitsdi- rektion einig, dass die zahnmedizinische Versorgung als gut beurteilt werden kann. Sie weisen dar- auf hin, dass alle Patientinnen und Patienten im Kanton Uri zeitnah einen Termin beim Zahn- arzt erhalten würden. Eine Herausforderung ist hingegen, dass Besuche einer Zahnarztpraxis für einen grösseren Teil der Bevölkerung eine gewisse Mobilität voraussetzen. Für die Bevölke- 19
rung im Kanton Uri ist das jedoch nicht auch für Besuche einer Zahnarztpraxis Anlässlich eines Workshops wurde mit aussergewöhnlich und gehört für die genutzt. Der Fahrdienst wird dazu von Fachkräften aller Alters- und Pflege- Nutzung verschiedener Dienstleistun- den Personen, die zu Hause wohnen, heime des Kantons Uri sowie mit einer gen zum Alltag, sodass man sich «orga- selbst beziehungsweise deren Angehö- Vertretung der Spitex Uri über die Be- nisieren» muss. Die Problematik ver- rigen bestellt. Manchmal erfolgt die deutung der Mund- und Zahnhygiene schärft sich jedoch für diejenigen Kontaktnahme auch über die Spitex. im Alltag diskutiert. Eine Liste der Teil- Menschen, die weniger mobil sind, weil Bei Personen in Alters- und Pflegeheim nehmenden des Workshops ist im An- sie Mühe haben, die Angebote des öf- erfolgt die Bestellung des Fahrdienstes hang aufgeführt. In der Diskussion mit fentlichen Verkehrs zu nutzen oder direkt über die Verantwortlichen in den den Fachkräften stellte sich heraus, dass keine Angehörigen oder Nachbarn ha- entsprechenden Alters- und Pflegehei- die Mundpflege meistens bei der Kör- ben, welche sie zu Zahnarztterminen be- men. perpflege integriert wird. Bei vielen älte- gleiten können. ren Menschen mit hoher Pflegebedürf- 3.2 Welche Schwierigkeiten sind tigkeit würde das Bedürfnis nach Eine wichtige Dienstleistung für Perso- bei der Mund- und Zahnhygiene im Zahnhygiene gemeinsam mit der Ein- nen mit eingeschränkter Mobilität stel- pflegerischen Alltag zu bewältigen? schränkung der optischen und sensori- len Fahrdienste dar. Im Kanton Uri or- Die ausreichende Mund- und Zahnhy- schen Wahrnehmung abnehmen. Die ganisiert der Kantonalverband Uri des giene stellt für das pflegende Personal regelmässige und gründliche Mundhy- Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK sowohl im stationären als auch im am- giene erfordere bei der Pflege Geduld Uri) freiwillige Fahrerinnen und Fah- bulanten Bereich eine Herausforderung und Zeit. Vor allem bei dementen Perso- rer, welche betagten, behinderten und dar. Pflegende haben oft Hemmungen, nen könne der Zugang zum Mund und kranken Menschen Fahrten zum Arzt in den Mund der pflegebedürftigen Per- damit die Zahnpflege und Mundhygiene oder zur Ärztin, zu Kuraufenthalten, zu sonen zu schauen, oft ist die Zeit knapp zu einer Herausforderung werden. Therapien, in Spitäler oder für spezielle und nicht alle Pflegefachpersonen ver- Besorgungen ermöglichen.34 Gemäss fügen über genügend Wissen in der Zunehmend sehen sich die Pflegenden Auskunft der Verantwortlichen für den Mundhygiene. Herausnehmbare Pro- mit individuell sehr unterschiedlichem Rotkreuz-Fahrdienst werden die in An- thesen werden daher eher gereinigt als Zustand der Zähne konfrontiert, welcher spruch genommenen Fahrten häufig die noch verbliebenen Zähne. verbliebene Zähne sowie unterschiedli- 20
Abb. 5 che Arten des Zahnersatzes beinhaltet. tausch mit den Angehörigen. Während Unsplash, Jonathan Borba Gerade die fachgerechte Pflege von Im- die Alters- und Pflegeheime häufig di- plantaten erfordere spezifische Kennt- rekt mit den Zahnärzten oder Zahnärz- nisse. Die Fachkräfte gaben zu bedenken, tinnen zur Vereinbarung von Terminen dass es wichtig sei, gerade bei Personen, für Bewohnerinnen und Bewohner im welche ohne Beschwerden (Schmerzen) Kontakt stehen, laufen die Kontakte bei sind, auf die Mund- und Zahnhygiene zu Klientinnen und Klienten der Spitex achten. Angesprochen auf mögliche Be- eher über die Hausärztin, den Hausarzt handlungen oder Abklärungen, gäbe es oder die Angehörigen. Einige der inter- immer wieder ältere Menschen, die fra- viewten Fachpersonen vermuteten da- gen würden, ob sich für sie denn eine Be- her, dass die Bewohnerinnen und Be- handlung oder Zahnarztvisite noch loh- wohner in Alters- und Pflegeheimen nen würde. Entsprechende Bedeutung zahnmedizinisch besser versorgt werden komme daher der Motivation durch das als pflegebedürftige Personen, welche zu Pflegepersonal und die Angehörigen zu. Hause wohnen. Das ist daher bedeu- Eine Pflegeverantwortliche meinte dazu tend, weil die Gruppe der Pflegebedürf- Folgendes: «Wenn man den Betroffenen tigen, welche zu Hause wohnen, zahlen- aufzeigen kann, dass sie ohne Behand- mässig grösser ist und in den lung nicht mehr gut essen können, pas- kommenden Jahren stark wachsen wird. siert oft etwas». Wie verschiedene Fachpersonen aus den Bereichen der stationären und ambulan- Alle interviewten Fachpersonen versi- ten Pflege im Kanton Uri auf die er- cherten, dass pflegebedürftige Personen wähnten Herausforderungen reagiert bei der täglichen Mund- und Zahnhygi- haben, wird in Kapitel 5 gezeigt. ene unterstützt werden und bei Bedarf zahnärztliche Konsultationen organi- siert werden. Dies geschehe oft im Aus- 21
Abb. 6 istockphoto 22
4. Wissenschaftliche Studie zur Mundgesundheit Zur Analyse der Mundgesundheit von pflegebedürftigen Personen im Kanton Uri wurde die Studie «GeriaDent» durchgeführt. Im Rahmen der Studie wurden Informa- tionen zur Zahn- und Mundgesundheit von pflegebe- dürftigen Menschen erfasst und wissenschaftlich aus- gewertet. Die Erkenntnisse bestätigen die Befunde aus anderen Studien. 4.1 Warum eine wissenschaftliche Studie im Kanton Uri? Bisher fehlte es an fundierten Datengrundlagen zur Zahn- und Mundgesundheit von pflegebe- dürftigen Menschen. Auch zur Rolle der mundpflegerischen Betreuung im Hinblick auf die Le- bensqualität von betagten Menschen gibt es noch Forschungslücken. Mit der Studie «GeriaDent» sollen entsprechende wissenschaftliche Grundlagen für den Kanton Uri erarbeitet werden. Mit der Studie wurden die drei folgenden Ziele verfolgt: 1. Die allgemeine Mundgesundheit und der Zahnstatus bei pflegebedürftigen Menschen im Kanton Uri sollen erfasst werden. 2. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, die Mundgesundheit und die Lebensqualität pflege- bedürftiger Menschen nachhaltig zu verbessern. 3. Die zahnärztliche Grundversorgung für pflegebedürftige Menschen im Kanton Uri soll ver- bessert werden. Zusätzlich soll mit der Studie gezeigt werden, dass mithilfe staatlicher Unterstützung jedoch ohne Subventionen eine Regelversorgung in der Zahnmedizin umsetzbar ist. Dazu soll der im Projektteam involvierte Zahnarzt schrittweise durch freiwillige Patenzahnärztinnen oder Pa- tenzahnärzte im Kanton Uri ersetzt und der weitere Betrieb sichergestellt werden. Die Darstellung D 4.1 zeigt den zeitlichen Verlauf des Projekts und ordnet die wichtigsten Mei- lensteine zeitlich ein. Die «GeriaDent»-Studie hat für die Alters- und Pflegeheime im Kanton am 1. Juni 2018 und für die Spitex Uri am 1. Juli 2018 gestartet. 23
Verein Labucca Der gemeinnützige Verein Labucca wurde im Jahr 2017 gegründet mit dem Zweck die pflegerische Zahnmedizin in der Schweiz zu verbessern. Labucca versteht sich als unabhängige und privat organi- sierte Plattform für alle im Bereich der Alterszahnmedizin tätigen Stakeholder. Die Gründer des Vereins sind selbst nicht im Bereich der Pflege tätig und verfolgen dadurch keine Partikularinteressen. Das Ziel ist es, «mitenand» die pflegerische Zahnmedizin in der Schweiz zu verbes- sern. Labucca unterstützt interessierte Stakeholder bei der Auswahl passender Konzepte zur Versorgung im Bereich der Alterszahnmedizin, bei der Koordination zwischen verschiedenen Akteuren, der Organisation von Schulungen und Wei- terbildungen sowie der Beschaffung von mobilen Dentaleinheiten. Weiter Infos zum Verein Labucca: https://www.labucca.ch D 4.1: Zeitlicher Verlauf der Studie «GeriaDent» Beginn Studie Anpassung Abschluss «GeriaDent» Studien- Studie design «GeriaDent» Entstehung Projektidee 1. Masterarbeit 2. Masterarbeit «GeriaDent» 2017 2018 2019 2020 Gründung Verein Zusage Förderung Evaluation Pilotprojekt Labucca Beisheim Stiftung Interface Zusage Förderung Kanton Uri Zusage Förderung Age Stiftung Quelle: Darstellung Interface. 24
D 4.2: Ablauf der Studie «GeriaDent» Spitex/Alters- und Pflegeheime erfragen Bereitschaft der Klientinnen und Klienten für ein Einwilligungsgespräch (z.B. mittels Antwortkarte) Die Verantwortlichen der Pflege melden der Projektleitung freiwillige Studienteilnehmende Informations- und Einwilligungsgespräch durch Zahnärztin oder Zahnarzt Patientenbefragung mittels Fragebogen Durchführung der Befundung und anonyme Erfassung der Daten durch Zahnärztin oder Zahnarzt Kostenlose Zahnreinigung Mundpflegeempfehlung Risikoanalyse Tipps zur individuellen Mundhygiene Auswertung der Befunde und Fragebogen Publikation der Ergebnisse Quelle: Darstellung Interface in Anlehnung an Darstellung Labucca. 4.2 Wie war der Ablauf der Studie geplant? Für die Studie wurden im Kanton Uri pflegebedürftige Personen, die stati- onär und ambulant betreut werden, rekrutiert. Allen Personen, die im Zeit- raum zwischen Mai 2018 und April 2019 neu pflegerische Hilfe durch die Spitex beanspruchten oder in ein Alters-/Pflegeheim eintraten, wurde die Möglichkeit zur Teilnahme an der Studie angeboten. Dabei spielte es keine Rolle, wieviel Pflegeunterstützung sie benötigten und wie mobil sie waren. Die kontaktierten Personen konnten ihren Teilnahmewunsch per Ant- wortkarte bekunden. Wünschte die Person eine Studienteilnahme, wurden die Personalien an die Projektleitung weitergeleitet, die ein Einwilligungs- gespräch organisierte, um eine schriftliche Einwilligung einzuholen. In al- len Fällen erfolgte die Abklärung, ob und inwiefern auf eigene zahnärztli- che Betreuung zurückgegriffen werden kann. Nach Rücksprache mit den Pflegeverantwortlichen wurden die Befragung und Befundung durchge- führt und die Daten anonymisiert erfasst. Eine professionelle Zahnreini- gung und ein grobes Risikoprofil schlossen die Intervention ab. Die Erhe- bung der Mundgesundheit und des Zahnstatus sowie die Zahnreinigung wurden zu Hause bei den Teilnehmenden, im Heim oder beim bestehen- den Hausarzt/der bestehenden Hausärztin durchgeführt. Die gesammelten Daten wurden durch das Institut für Hausarztmedizin & Community Care Luzern ausgewertet. Der Ablauf der Erhebung ist in Darstellung D 4.2 abgebildet. 25
Abb. 7 Behandlung in der mobilen Zahnklinik Aufnahme Remo Nägeli Die Projektverantwortlichen schätzten zu Beginn der Studie, 4.3 Welche Anpassungen waren bei der Umsetzung not- dass während des Untersuchungszeitraums 184 Personen neu wendig? in Alters- und Pflegeheime sowie 66 neu in die Langzeitpflege Die Rekrutierung der Teilnehmenden und die Erhebung der der Spitex eintreten werden. Insgesamt wurden also 250 po- Daten begannen im Juni 2018. Nach vier Monaten Laufzeit tenzielle Teilnehmende erwartet. Diese Zahl konnte allerdings wurde ein Zwischenfazit gezogen, welches zeigte, dass die Stu- nur grob geschätzt werden, was eine gewisse Planungsunsi- die zwar auf hohes Interesse bei den Institutionen gestossen cherheit mit sich brachte. Den Projektverantwortlichen war war, die Gewinnung von Teilnehmenden sich jedoch als bewusst, dass 250 Teilnehmende das untere Limit für wissen- schwierig erwies. So konnten insgesamt lediglich sechs Teil- schaftliche, aussagekräftige Ergebnisse darstellte. nehmende gewonnen und damit anstatt der geplanten 30 Pro- zent aller Neueintritte deutlich weniger neu eintretende Perso- Die Teilnehmenden konnten im Rahmen der Studie von einer nen untersucht werden. Als Hindernisse wurden fehlende kostenlosen professionellen Dentalreinigung sowie der Etab- zeitliche Ressourcen des Pflegepersonals, eine Überforderung lierung eines individuellen Pflegeprogrammes (Mundpflege- der Patientinnen und Patienten sowie Auflagen des Daten- empfehlung) profitieren. Durch die stabilisierenden pro- schutzes identifiziert. Es wurde daher entschieden, eine Reihe phylaktischen Massnahmen wurde die Gesundheit der von Anpassungen am Studiendesign vorzunehmen: Untersuchten direkt und nachhaltig gefördert. Die Befundung – Ausweitung der Teilnahmemöglichkeit: Die Rekrutierung und Folgebehandlungen wurden dabei mit dem Hauszahnarzt von Teilnehmenden wurde auf alle Bewohnerinnen und Be- oder der Hauszahnärztin koordiniert. Die Kosten für die Auf- wohner in Alters- und Pflegeheimen und alle Klientinnen nahme der Befunde und Informationen für die Studie sowie und Klienten der Spitex ausgeweitet. Das heisst, dass nicht die Zahnreinigung und individuelle Mundpflegeempfehlung nur neu pflegebedürftige Personen an der Studie teilnehmen beliefen sich auf 279 Franken pro Fall und wurden durch die konnten. Fördergelder finanziert. – Verbesserte Kommunikation in Alters- und Pflegeheimen: Die Projektverantwortlichen entwickelten einen neuen Flyer Labucca arbeitete mit einem Zahnarzt zusammen, der mit einem mit dem Hinweis, dass eine kostenlose Mundbeurteilung zur mobilen Zahnarztpraxis umgebauten VW-Bus (mit Sterilisa- und Dentalhygiene vor Ort vorgenommen wird. Durch die tionszyklus, Röntgen- und Materialdispositiv) die Befundungen intensivere Kommunikation sollte auch die Rekrutierung vor Ort durchführen wollte. Im Rahmen des Projekts wurden je- verstärkt werden, insbesondere bei Personen, welche am doch lediglich stationäre Befundungen durchgeführt, da sich die- Anfang Interesse zeigen, von der tatsächlichen Teilnahme ses Modell als nicht geeignet erwies. dann jedoch absehen. 26
Abb. 8 Mobile Zahnarztpraxis im Podologiezimmer Aufnahme Interface – Verbesserte Kommunikation durch Spitex: Für die Spitex Dank diesen Anpassungen konnten schliesslich Daten von wurde ebenfalls eine neue Informationsbroschüre entwi- 56 Patientinnen und Patienten erhoben werden. 47 davon ckelt. Zudem wurde ausgewählten Mitarbeitenden die Auf- wurden aus Alters- und Pflegeheimen rekrutiert und neun gabe übertragen, Klientinnen und Klienten auf die Studie durch die Spitex. aufmerksam zu machen und die Bedingungen zum Daten- schutz zu erläutern. Die Kosten für das 10- bis 15-minütige Da sich die Datenerhebung im Projekt verzögert hatte, konnten Gespräch wurden von Labucca vergütet (35 Franken). Die die Daten nicht wie geplant im Rahmen der ersten Masterarbeit Mitarbeitenden der Spitex haben im Rahmen ihrer Kontakte ausgewertet werden. Die betroffene Studentin hat sich als Folge über 170 Informationsbroschüren abgegeben. Daraufhin davon mit einer Literaturarbeit zur Mundgesundheit bei älteren haben sich 45 Personen für die Teilnahme an der Studie ge- Menschen und deren Zugang zur zahnmedizinischen Versor- meldet. gung in verschiedenen europäischen Ländern befasst.35 – Kürzung des Befundungsformulars: Das Befundungsformu- lar wurde von sechs auf zwei Seiten gekürzt. Neben der ge- ringeren Belastung für die Teilnehmenden der Studie konn- ten dadurch pro Fall 140 Franken eingespart werden. – Einrichten von Infrastruktur: Im Alters- und Pflegeheim Rosenberg wurde das bestehende Podologiezimmer so ein- gerichtet, dass kleine zahnärztliche Behandlungen und Ge- spräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern durchgeführt werden konnten. Der Raum ist mit einem bequemen und verstellbaren Stuhl ausgestattet. Für die zahnärztliche Unter- suchung wird eine mobile Einheit verwendet. Die Pflege- fachkräfte vom Alters- und Pflegeheim Rosenberg können die Bewohnerinnen und Bewohner auf dem Weg zum Be- handlungszimmer ohne grossen Zeitaufwand unterstützen. Auch können sie bei Fragen oder zur Begleitung während der Behandlung zugezogen werden. 27
D 4.5: DMFT-Index in Abhängigkeit des Alters 30 25 20 15 10 50 60 70 80 90 100 Alter DMFT-Index (heute) DMFT-Index (Prognose) Quelle: Darstellung Interface auf Grundlage der Auswertungen von Borg-Bartolo, Roberta; von Wyttenbach, Thomas; Keller, Michael J.; Schirrmann, Eric; El Hajj, Aya; Essig, Stefan (2020): Delivery of mobile dental services to dependent elderly people: results from a pilot study in rural Switzerland. Swiss Dental Journal, akzeptiert zur Publikation. 4.4 Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse damit eine bessere Zahngesundheit auf als Perso- liefert die Studie? nen in Alters- und Pflegeheimen. Wobei zu berück- Im Folgenden beschreiben wir die Ergebnisse zu sichtigen ist, dass die Personen in Alters- und Pfle- den 56 realisierten Befundungen. Bei der Mehrheit geheimen durchschnittlich zehn Jahre älter waren. der Studienteilnehmenden lag der letzte Zahnarzt- Insgesamt nimmt die Anzahl an verfaulten und besuch mehr als ein Jahr zurück. Zudem zeigte sich, fehlenden Zähne mit dem Alter zu. Die Verfasser dass je länger eine Person im Alters- und Pflege- der Studie gehen davon aus, dass der DMFT-Index heim lebte, desto grösser die Wahrscheinlichkeit in Zukunft tiefer ausfallen wird, da heute die Pro- war, dass sie seit über einem Jahr nicht beim Zahn- phylaxe und der Zahnstatus besser sind als früher arzt war. Die Mehrheit der Studienteilnehmenden (vgl. Darstellung D 4.5). reinigte ihre Zähne oder ihren Zahnersatz zweimal täglich. Trotzdem zeigten die Befundungen bei zahlreichen Fällen eine unzureichende Mundhygi- ene. Prothesen waren dabei in einem besseren Zu- stand als verbliebene eigene Zähne. Anhand des DMFT-Indexes1 lässt sich veranschau- lichen, dass die Mundgesundheit mit zunehmen- dem Alter schlechter wird. Zu Hause lebende Per- sonen wiesen einen tieferen DMFT-Wert und 1 Der DMFT-Index setzt sich zusammen aus der Anzahl verfaulter (D = decayed), fehlender (M = missing) sowie ge- füllter oder mit einer Krone ersetzter Zähne (FT = filled/crown teeth). Je höher der DMFT-Index, desto mehr Zahnpro- bleme sind über die Lebensdauer aufgetreten. 28
D 4.6: Mundgesundheit der befundeten Personen im Kanton Uri, (N=56) 100% 17% 80% 76% 39% 60% 40% 20% 43% 11% 13% 0% Kumulierte Zahnprobleme über die gesamte Lebensdauer Aktuelles Risiko eines zukünftigen Zahnproblems tief mittel hoch Quelle: Darstellung Interface auf Grundlage der Auswertungen von Borg-Bartolo, Roberta; von Wyttenbach, Thomas; Keller, Michael J.; Schirrmann, Eric; El Hajj, Aya; Essig, Stefan (2020): Delivery of mobile dental services to dependent elderly people: results from a pilot study in rural Switzerland. Swiss Dental Journal, akzeptiert zur Publikation. Neben dem DMFT-Index wurden die Teilnehmen- enten. Jene mit einem hohen Risiko sollten häufiger den auch basierend auf dem Teamwerk-Index2 ein- zur Zahnärztin oder zum Zahnarzt, während für gestuft. Dieser schätzt das Risiko von zukünftigen jene mit einem tiefen Risiko eine Konsultation pro Zahnproblemen ab. Die Personen wurden dabei in Jahr ausreicht. Dies empfiehlt auch die Schweizeri- eine von drei Kategorien (tief, mittel, hoch) einge- sche Zahnärzte-Gesellschaft SSO.36 Aus den Befun- teilt. Über ein Fünftel der Heimbewohnerinnen den der Studie geht hervor, dass bei 17 Prozent eine und -bewohner mit eigenen Zähnen wiesen ein ho- zahnärztliche Konsultation ein bis zwei Mal pro hes Risiko auf. Die Mehrheit der zu Hause lebenden Jahr zu empfehlen ist. Für die restlichen Befunde ist Personen befand sich in der Gruppe mit einem eine jährliche zahnärztliche Behandlung angezeigt. mittleren Risiko. Die Darstellung D 4.6 zeigt die ku- Generell ist es zu empfehlen, den Status der Mund- mulierten Zahnprobleme über die gesamte Lebens- gesundheit bei jedem Besuch zu überwachen und dauer (DMFT-Index) und das Risiko eines zukünf- die Häufigkeit der Besuche entsprechend anzupas- tigen Zahnproblems (Teamwerk-Index). sen. Basierend auf dem Teamwerk-Index wird von den Verfasserinnen und Verfassern der Studie eine Empfehlung abgegeben, wie häufig die Untersuch- ten eine Zahnarztpraxis aufsuchen sollten. Die Häufigkeit der Zahnarztkonsultationen richtet sich nach den Bedürfnissen der Patientinnen und Pati- 2 Der Teamwerk-Index setzt sich aus verschiedenen Parametern zusammen und umfasst neben dem DMFT-Index auch Indikatoren zu Karies, dem Zahnfleischstatus und dem Mundpflegeverhalten. Die Nutzung sowohl des DMFT-Indexes als auch des Teamwerk-Indexes stärkt die Aussagekraft der Studie, da dadurch die Zahnbedürfnisse der Patientinnen und Patienten besser abgebildet werden. 29
Studie Zahn- und Mundgesundheitsstatus von pflege- bedürftigen älteren Menschen im Kanton Uri Ziel und Vorgehen Ergebnisse Mit dem Einsetzen der Pflegebedürftigkeit wird die Obwohl die Mehrheit der Bewohnerinnen und Be- Mundgesundheit tendenziell vernachlässigt, was wohner der Heime zweimal täglich ihre Zähne oder oft eine schlechte Mundgesundheit zur Folge hat. ihren Zahnersatz putzt, zeigte die Untersuchung bei Der zahnmedizinische Gesundheitszustand der äl- ihnen eine unzureichende Mundhygiene. Die Pro- teren Bevölkerung des Kantons Uri wurde bisher thesen befanden sich dagegen in einem besseren nicht dokumentiert. Ziel der Studie war es deshalb, Zustand. Insgesamt hatten die zu Hause wohnenden das Zahnpflegeverhalten und die Mundgesundheit Personen eine bessere Mundhygiene, obwohl die der älteren pflegebedürftigen Bewohnerinnen und meisten von ihnen ihre Zähne nur einmal täglich rei- Bewohner von Pflegeheimen und der pflegebe- nigen. Das Niveau der Prothesenhygiene variierte in dürftigen Personen, welche zu Hause wohnen, für dieser Gruppe stark. Die Studie ergab weiter, dass den Kanton Uri zu beurteilen. Dazu wurden Daten 20 Prozent der Teilnehmenden aus Alters- und Pfle- von insgesamt 56 Studienteilnehmenden erhoben. geheimen zahnlos waren, während alle zu Hause Davon lebten 47 in einem Pflegeheim und neun zu wohnenden Personen eigene Zähne besassen. Ins- Hause. Während das Durchschnittsalter der Studi- gesamt hatten 91 Prozent der Teilnehmenden einen enteilnehmenden der Alters- und Pflegeheime 86 herausnehmbaren Zahnersatz. Zudem hatte mehr Jahre betrug, waren die Studienteilnehmenden zu als die Hälfte aller Patientinnen und Patienten unbe- Hause im Durchschnitt zehn Jahre jünger. Mithilfe handelte Karies. Die Bewohnerinnen und Bewohner eines Fragebogens wurden Informationen zu Ge- aus den Pflegeheimen hatten im Vergleich zu den schlecht und Alter, Krankengeschichte, Schmerzen zu Hause wohnenden Patientinnen und Patienten und Zahnreinigung erhoben. Die Studienteilneh- durchschnittlich mehr kariöse und fehlende Zähne menden wurden zahnärztlich untersucht, womit Da- und wiesen auch weniger Zahnreparaturen auf. Eine ten zur Mundgesundheit gesammelt wurden. Dies Erklärung für diesen Befund könnte der erhebliche erfolgte durch den Einsatz mobiler zahnärztlicher Altersunterschied zwischen den beiden untersuchten Dienste. Gruppen sein. 30
Sie können auch lesen