Unbeirrbar K Ap Bayern - Landesverband Bayern der ...
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Nr. 71 Juni 2021 ApK Bayern Landesverband Bayern der Angehörigen psychisch Kranker e.V. Wir sind Angehörige. Wir helfen einander. unbeirrbar MITGLIEDERMAGAZIN APK BAYERN Selbstwirksamkeit: Tief erschüttert durch psychische Erkrankungen und dennoch wiederzugewinnen Psychisch erkrankt und wieder zurück in die Arbeit: Wie es gelingen kann aus Sicht der Betroffenen Fotografieren als Therapie
Impressum unbeirrbar – Mitgliedermagazin ApK Bayern Juni 2021/Nr. 71 Herausgeber Landesverband Bayern der Angehörigen psychisch Kranker e.V. Pappenheimstraße 7 80335 München Tel.: 089/51 086325 Fax: 089/51 086328 E-Mail: info@lapk-bayern.de www.lapk-bayern.de Redaktion Alexandra Chuonyo Cordula Falk Druck und Layout PROJEKT PRINT Druck·Satz·Kopie Admiralbogen 47 Geschäftszeiten 80939 München Mo – Fr: 10 bis 14 Uhr Die namentlich gekennzeichneten Artikel geben die Persönliche Beratung Meinung des jeweiligen Verfassers wieder. Beratung auch außerhalb der Geschäftszeiten nach telefonischer Terminvereinbarung Alle Texte sind bewusst nicht gegendert. Die männ- liche Form wurde gewählt um einen optimalen Bankverbindung Lesefluss zu gewährleisten. Es ist nicht die Absicht Bank für Sozialwirtschaft des Herausgebers, einzelne Personen direkt anzu- IBAN: DE07 7002 0500 0007 8181 00 sprechen oder andere auszuschließen. BIC: BFSWDE33MUE 2 unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71
unbeirrbar EDITORIAL Liebe Mitglieder, direkt an die Krisen- oder Akutstation einer psychiatri- schen Klinik vermitteln. Die Mitarbeiter der Krisendienste liebe Freunde und können jedoch keine Maßnahmen gegen den Willen des betroffenen Menschen einleiten. Förderer! Wir erhalten bereits einzelne Beschwerden darüber, dass die erhoffte Unterstützung durch den Krisendienst anscheinend nicht immer den Erwartungen von Ange- hörigen entspricht. Ich bitte Sie daher, uns eventuelle Der Psychiatrie-Verlag hat uns 2020 Erfahrungen – ob gut oder schlecht – mit dem für Ihre eine erhebliche Preiserhöhung für die Region zuständigen Krisendienst mitzuteilen (E-Mail Zeitschrift „Psychosoziale Umschau“ oder Brief an unsere Geschäftsstelle). Wir werden diese ab 2021 angekündigt. Dies hat uns Informationen, selbstverständlich anonymisiert, sam- vor eine große finanzielle Herausforderung gestellt. Auf meln und an die zuständigen Stellen weitergeben. Antrag konnte uns die Gruber Stiftung mit einer Zuwen- Das Thema „psychisch erkrankte Menschen ohne Krank- dung für die Kosten der „Psychosozialen Umschau“ wei- heitseinsicht und Behandlungsbereitschaft“ macht terhelfen. Zukünftig sehen wir uns jedoch nicht mehr Angehörigen mit am meisten zu schaffen. Manche von in der Lage, den erhöhten Preis zu bezahlen und daher Ihnen kennen das aus eigener, oft schmerzvoller Erfah- haben wir zum 31.12.21 den Vertrag für den Bezug für rung. Zusammen mit Prof. Dr. med. J. Bäuml haben wir unsere Mitglieder gekündigt. Sie haben jedoch die Mög- eine Initiative zur Verbesserung der Behandlungs- und lichkeit, die „Psychosoziale Umschau“ auf eigene Kosten Lebenssituation von Menschen mit einer psychischen – als Verbandsmitglied zu vergünstigten Konditionen – Erkrankung ohne Krankheits- und Behandlungseinsicht weiter zu beziehen. Ein entsprechendes Bestellformular und massiver Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität und liegt dieser Ausgabe von unbeirrbar bei. Ich empfehle mit negativer Rückwirkung auf die Lebenssituation ihrer allen Interessenten, diese Möglichkeit zu nutzen. Angehörigen ins Leben gerufen und sind zu der geschil- Inzwischen nimmt der flächendeckende Ausbau der derten Problematik bereits mit maßgeblichen Fachleu- Krisendienste in Bayern zunehmend Gestalt an. Die Kri- ten in Diskussion. Über die Ergebnisse werden wir Sie zu sendienste bieten erste Entlastung und Orientierung. gegebener Zeit informieren. Es ist ihre Aufgabe, Betroffene, Angehörige, Bezugs- Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer. Bleiben Sie personen und Hilfesuchende aus dem sozialen Umfeld gesund! fachkundig zu beraten und zu informieren. Falls nötig, Es grüßt Sie Ihr vermitteln sie kurzfristig einen Termin in der nächstgele- genen psychiatrischen Ambulanz, einer psychiatrischen Praxis oder einem wohnortnahen Sozialpsychiatrischen Dienst. Manchmal kann eine vorübergehende stationäre Behandlung der geeignete Weg sein, um eine Krise zu Karl Heinz Möhrmann überwinden. In diesen Fällen können die Krisendienste 1.Vorsitzender Inhalt „Ehrliche Anteilnahme und Interesse beim Anderen zu spüren, geben mir das Gefühl, 12–13 nicht mehr so allein mit dem Problem zu sein“ Editorial 3 Betreuungsrecht: Reform beschlossen – 14 Lust auf Mitgestalten? Dann werden Sie aktiv im 4 aber erst wirksam ab 2023 Vorstand des Landesverbandes! Das Behindertentestament: Sicherung eines 15 Schulungsangebot für Angehörige: 5 Lebensstandards über Sozialhilfeniveau Telefonische Beratung Gewichtszunahme und Metabolisches Syndrom 16–17 Zeigen Sie Ihr Gesicht! 6 unter Antipsychotika-Therapie: Was sind die Hintergründe ApK Bayern Jahresbericht und Jubiläumsband: 6 Jetzt bestellbar! Seminarübersicht 2021 17 Novellierung der Psychiatriegrundsätze: Theorie und 7 Psychisch erkrankt und wieder zurück in die Arbeit: 18 Praxis auf dem Prüfstand Wie es gelingen kann aus Sicht der Betroffenen Haben Sie sich schon für unseren 7 Fotografieren als Therapie 19 Newsletter angemeldet? Angehörige von psychisch Erkrankten: Outen 20 Was macht eigentlich der Bundesverband? 8–9 oder verheimlichen? Präventionsstellen: Neues Versorgungsangebot 9 Ein „Notfall-Koffer“ bei Trauma-Patienten? 21 in Bayern „Psycho-Tisch“: Geschichten und Bilder aus dem 22 Selbstwirksamkeit: Tief erschüttert durch psych. 10–11 Münchner Psychose-Seminar Erkrankungen und dennoch wiederzugewinnen Online-Seminare zu Rechtsthemen im Herbst 2021 22 unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71 3
unbeirrbar AUS DEM LANDESVERBAND Lust auf Mitgestalten? Dann werden Sie aktiv im Vorstand des Landesverbandes! Weiterhin soll mit der neuen Satzung die Möglichkeit geschaffen werden, einen hauptamtlichen Geschäfts- führer zu beschäftigen, um die ehrenamtlichen Vor- standsmitglieder noch mehr als bisher von Aufgaben des täglichen Geschäftes zu entlasten. Eine spannende Aufgabe wartet auf Sie Aktives Mitgestalten in einem Landesverband ist tat- sächlich eine spannende Aufgabe und gewährt tiefen Einblick in gesellschafts-, gesundheits- und sozialpoliti- sche Entwicklungen, auf die wir mit unserer Arbeit Ein- fluss nehmen wollen. Und nun müssen wir ehrlich sein: Ohne ein gewisses Kontingent an Zeit geht es nicht! Zeit, Bereits in einigen Ausgaben von unbeirrbar hat unser um an den monatlich stattfindenden Vorstandssitzun- langjähriger erster Vorsitzender, Karl Heinz Möhr- gen teilnehmen zu können (per Zoom-Meeting), um mann, für einen Nachfolger für sich geworben. Bisher sich in einzelne Themen einzuarbeiten und, um in regel- leider erfolglos. So haben wir uns zuletzt intensiv mit mäßigem E-Mail-Austausch mit den Vorstandskollegen der Zukunftsgestaltung des Landesverbandes beschäf- und der Geschäftsstelle zu bleiben, ist leider unerläss- tigt. Aus der Erkenntnis „Die Schuhe sind wohl zu groß.“ lich. Klar kann flexibel eingeteilt werden, wann die Zeit haben wir uns ein neues Modell für die zukünftige Vor- aufgebracht wird, aber der Faktor darf trotzdem nicht standsarbeit überlegt. Und wir sind ganz zuversichtlich unterschätzt werden. Zeit, die sich aber lohnt. Zumin- und hoffnungsvoll, dass dies eine Lösung für die Zukunft dest bestätigen das diejenigen, die schon jetzt aktiv in darstellen könnte. der Verbandsarbeit tätig sind oder waren. Arbeiten als Team ist garantiert Was braucht es neben Teamgeist und Zeit noch? Ange- Die neue Satzung, die wir in der Mitgliederversammlung höriger sollten Sie sein! Davon lebt die Glaubwürdigkeit im Herbst 2021 vorstellen und zur Abstimmung brin- eines Selbsthilfeverbandes. Verschiedene Erfahrungen gen werden, sieht vor, dass es nicht mehr wie bisher die prägen das Wissen und halten die Arbeit lebendig. Vor- dezidierten Vorstandsämter erster, zweiter und dritter standsarbeit kann aber nicht primär zur Bewältigung Vorsitzender, Schriftführer und Kassenwart geben wird. von eigenen Problemen als Angehöriger dienen. Das Es wird einen Vorstand geben, der aus mindestens drei geschieht auf anderer Ebene, in den Seminaren und in und höchstens fünf Mitgliedern bestehen wird. Dieser den Gruppen. neue Ansatz setzt mehr auf Teamarbeit mit Klärung von Da mindestens ein Vorstandsmitglied bei den nächs- Zuständigkeiten, ohne dass einer für alles verantwortlich ten Wahlen nicht mehr kandidieren wird, wäre es prima, sein muss. Auch wenn bisher schon die Arbeit im Team wenn diese Lücke mit einem neuen engagierten Ange- im Vordergrund stand, soll dies mit der neuen Satzungs- hörigen geschlossen werden könnte. formulierung deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Karl Heinz Möhrmann wird bei der Mitgliederversamm- Wenn wir Ihr Interesse an einer Beteiligung als Mitglied lung im Herbst 2021 unter diesen neuen Vorausset- des Vorstands geweckt haben, melden Sie sich bitte in der zungen wieder als Kandidat für den Vorstand antreten, Geschäftsstelle. Wir erzählen Ihnen gerne mehr über die damit er sein großes Wissen und seine über viele Jahre Aufgaben und die Arbeitsweise des Vorstandes! gewachsenen Erfahrungen einbringen kann. unbeirrbar ZITATE „Die Hand, welche uns beim Aufstehen hilft, muss nicht zwangsläufig diejenige sein, die uns beim Stehen stützt.“ (Damaris Wieser) 4 unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71
unbeirrbar AUS DEM LANDESVERBAND Schulungsangebot für Angehörige: Telefonische Beratung Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht noch an die 30./31. Oktober 2021 eigene erste Kontaktaufnahme mit der Angehörigen- 13./14. November 2021 selbsthilfe. Entweder sie geschah ganz spontan, oder 27./28. November 2021 wurde lange vor sich hergeschoben. Da sind Angehö- Somit ist die Schu- rige ganz unterschiedlich. Die einen greifen schnell zum lung doch mit einem Telefon, während die anderen lange zögern. Aber allen nicht unerheblichen ist gleich, dass sie in einer gewissen Not sind. Not, weil zeitlichen Aufwand im eine psychische Erkrankung zum ersten Mal aufgetreten Monat November ver- ist und die Verunsicherung groß ist. Not, weil plötzlich bunden, zumal der Schulungsort Bonn ist und damit eine neue Krankheitsepisode da ist, an die keiner mehr auch Zeit für die An- und Abreise anfällt. Der Vorteil glaubte. Not, weil sich der Gesundheitszustand immer ist aber, dass es sich somit um eine kompakte Fortbil- mehr verschlechtert und eine Behandlung abgelehnt dung handelt, die sich nicht über einen langen Zeitraum wird. Not, weil sich der Angehörige total verausgabt erstreckt. und nun keine Kraft mehr hat. Die Nöte sind vielfältig. Gleich sind aber die Hoffnungen, bei der Angehörigen- Kosten: selbsthilfe auf jemanden zu treffen, der einen versteht. Die Teilnehmer müssen selbst keinerlei Kosten tragen. Und der einem hilft, die Erkrankung und die Situation zu Die Kosten für die Fortbildung trägt der Bundesverband. durchleuchten, und mit ihr besser umgehen zu können. Die Kosten für Anreise, Übernachtung und Verpflegung Viele von Ihnen werden genau das erlebt haben: Da ist übernimmt der Landesverband. jemand am Telefon, der genau weiß, wovon man spricht, Verpflichtung: weil er Ähnliches selbst erlebt hat. Und das tut so gut! Für Teilnehmer ist es verpflichtend, an allen drei Endlich versteht mich jemand! Endlich gibt mir jemand Wochenenden teilzunehmen und die Schulung abzu- nicht nur Ratschläge! schließen. Die Teilnehmer verpflichten sich weiterhin Wir wissen, viele von Ihnen sind sehr dankbar für diese nach Abschluss der Schulung, ehrenamtlich Beratungen Erfahrung und wollen sie auch gerne anderen Angehö- zu übernehmen. rigen ermöglichen. Sie möchten etwas zurückgeben, Informationen: was ihnen selbst geholfen hat. Viele engagieren sich Landesverband Bayern ApK, Alexandra Chuonyo, genau aus diesem Grund schon heute in den Angehö- Telefon: 089/5108 6325, E-Mail: info@lapk-bayern.de rigengruppen und in der Angehörigenberatung. Andere BApK, Christian Kleißle-Fuchs, Telefon: 0228/71002403, hatten bisher nicht den Mut oder die Zeit. E-Mail: kleissle.bapk@psychiatrie.de Damit sich der Pool der beratenden Angehörigen erwei- tern kann, bietet unser Bundesverband im Herbst eine Kommentar Schulung für Angehörige an, die sich für Telefonbera- Drei „Werbeblocks“ für Engagement in der Angehö tung qualifizieren wollen. Wir als Landesverband begrü- rigenselbsthilfe finden Sie dieses Mal in unbeirrbar. ßen dieses Angebot mit Dank. Wir erleben eine große Mitarbeit hier, Engagement da, Schulung dort. Wir wol Nachfrage nach Beratung und wären daher sehr daran len nicht aufdringlich sein, aber deutlich machen, die interessiert, dass sich noch mehr Angehörige in diesem Möglichkeiten sind da, um ehrenamtlich tätig zu wer Bereich engagieren. den und die Notwendigkeit besteht auch. Wir sind froh, Viele trauen sich das aber nicht zu. Sie wissen nicht, was dass wir verschiedene Angebote machen können. Dem auf sie zukommt. Sie haben zwar die eigene Erfahrung einen liegt mehr der direkte Kontakt mit anderen Ange als Angehörige, reicht diese aber auch aus, um andere zu hörigen, der kann in der Telefonberatung aktiv werden beraten? Um Sicherheit, Selbstvertrauen und Wissen zu oder eine Selbsthilfegruppe leiten. Der andere interes gewinnen, ist die Teilnahme an dieser Schulung gedacht. siert sich mehr für das Verbandsgeschehen als Ganzes, Themen: der kann im Vorstand mitarbeiten. Und wiederum ein Den Teilnehmenden werden Inhalte vermittelt wie: anderer will keine längerfristige Verpflichtung einge • Grundwissen über die häufigsten psychischen hen, hat aber ein besonderes Interesse für ein Thema. Erkrankungen Der kann sich an der Erarbeitung der Psychiatrie • Gesprächsführung grundsätze beteiligen. Nur so wird Ehrenamt zukünftig • Umgang mit schwierigen Gesprächen aussehen: Nicht einer für alles, sondern jeder für eines. • Beratung – Was heißt das überhaupt? Und zusammen ist es ein Ganzes. Wir freuen uns auf Sie, Termine: wenn Sie ein aktiver Teil dieses Ganzen werden! Die Schulung umfasst drei Schulungseinheiten, die Alexandra Chuonyo jeweils an einem Wochenende stattfinden: unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71 5
unbeirrbar AUS DEM LANDESVERBAND Zeigen Sie Ihr Gesicht! Fotoaktion der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in ganz Deutschland zum Internationalen Tag der seelischen Gesundheit So können Sie mitmachen: Erstellen Sie ein Selfie und senden Sie dies zusammen mit einem kleinen Statement von Ihnen, das beschreibt, wie es Ihnen mit der Rolle als Angehörige(r) ergeht (max. 1 – 2 Sätze) an uns. Sollten Sie kein Selfie machen wol- len, können Sie uns auch ein Portraitfoto von Ihnen zusenden. Wir fügen dann beides in eine Aktionskarte unter dem Motto #angehörigeimmittelpunkt zusam- men und veröffentlichen es im Rahmen der Woche der seelischen Gesundheit im Oktober auf unseren Kanälen (Website,Social Media und Printmaterialien). Machen Sie mit und bewegen Sie etwas! Bitte senden Sie Ihr Foto nebst Statement per E-Mail an: So könnte es aussehen falk@lapk-bayern.de Setzen Sie sich ein für die Sichtbarkeit der Angehörigen Hinweis: Mit der Einsendung Ihres Fotos erklären Sie psychisch erkrankter Menschen: Mit einem Selfie und sich mit dessen Veröffentlichung ohne Namen einver- einem Statement zeigen Sie sich zugehörig zur starken standen. Dieses Einverständnis können Sie jederzeit Angehörigengemeinschaft. Wir sind viele. Wir haben widerrufen. eine Geschichte. Wir haben etwas zu sagen. Wir zeigen Gesicht gegen Diskriminierung. ApK Bayern Jahresbericht und Jubiläumsband: Jetzt bestellbar! In diesem Jahr haben wir etwas ganz Besonderes für Sie erstellt! Aufgrund unseres letztjährigen Jubiläums, wel- ches wir bedauerlicherweise Corona bedingt nicht fei- erlich begehen konnten, haben wir in diesem Jahr den Jahresbericht mit unserem Jubiläumsband zusammen- gelegt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In dieser Ausgabe finden Sie neben Grußworten, u.a. auch von unserem bayerischen Gesundheitsminister, viel Geschichtliches zur Entstehung des Landesverbands, Anekdoten aus 30 Jahren Angehörigenselbsthilfe. Außerdem erwartet Sie auch ein Ausblick in die Zukunft und eine Übersicht zu unserer Mitgliederbefragung aus dem letzten Jahr und vieles mehr. Lassen Sie sich überraschen! Möchten Sie mal hineinsehen? Gerne können Sie den Band auf unserer Website kostenfrei herunterladen oder ein oder auch mehrere Exemplare postalisch in unserer Geschäftsstelle bestellen. 6 unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71
unbeirrbar GESUNDHEITS- UND SOZIALPOLITIK Novellierung der Psychiatriegrundsätze: Theorie und Praxis auf dem Prüfstand Seit der letzten Überarbeitung der „Grundsätze zur Ver- Basis aller Überlegungen ist das Recovery Konzept sorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen Stabilisierung psychischer Gesundheit ist zu verstehen in Bayern“ im Jahr 2007 gab es zahlreiche neue Ent- als die individuelle Genesung bei sozialer Teilhabe unter wicklungen in der psychiatrischen, psychotherapeuti- Achtung der Selbstbestimmung. Primär geht es somit schen und psychosozialen Versorgung, aber auch neue bei jeder Betrachtung um die Inklusion von Menschen gesetzliche Grundlagen durch die UN-Behinderten- mit psychischer Erkrankung unter Wahrung der Men- rechtskonvention, das Bundesteilhabegesetz und das schenwürde und dem Selbstbestimmungsrecht. Und da Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. All das soll bei Inklusion alle Lebensbereiche ihre Bedeutung haben, nun in einem breit angelegten Diskussions- und Erarbei- sind zur Erarbeitung der neuen Psychiatriegrundsätze tungsprozess analysiert werden und in neuen Psychiat- verschiedene Arbeitsgruppen ins Leben gerufen worden, riegrundsätzen seinen Niederschlag finden. welche die unterschiedlichen Aspekte genau analysieren und daraus die Grundsätze erarbeiten, nach denen Hil- „Psychische Gesundheit ist ein Zustand fen für psychisch erkrankte Menschen und ihre Angehö- rigen in Bayern zukünftig zu gestalten sind. des Wohlbefindens, in dem eine Person Die Sicht der Betroffenen und Angehörigen ist ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die nor maßgeblich malen Lebensbelastungen bewältigen, Bei diesem vom Bayerischen Staatsministerium für produktiv arbeiten und einen Beitrag zur Gesundheit und Pflege initiierten und geleiteten Pro- zess kommt der Vertretung von Betroffenen und uns als Gemeinschaft leisten kann.“ Angehörigenvertretung eine wichtige Funktion zu. Wir haben nicht nur einen festen Sitz in der Lenkungsgruppe, Aus dieser WHO-Definition wird ersichtlich, dass ein sondern sind auch an allen Arbeitsgruppen beteiligt. ganzes Bündel an Beeinträchtigungen in verschiedenen Die Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit Themen wie Lebensbereichen einhergehen kann, wenn jemand nicht Gesundheitsförderung, Prävention, Anti-Stigma, Inklu- im Zustand guter psychischer Gesundheit ist. Selbst- sion, Beschäftigung, Arbeit, Wohnen, Rehabilitation, wertverlust, Autonomieeinschränkungen, erschwerte besondere Bedürfnisse verschiedener Altersgruppen, Bildungschancen, Arbeitslosigkeit, Armut, reduzierte Schnittstellen zwischen den Hilfesystemen und vieles soziale Teilhabe, Frühberentung – diese Reihe ließe mehr. Um in die Diskussion möglichst viele Sichtwei- sich beliebig fortsetzen. Es geht also nicht nur um die sen einbringen zu können, brauchen wir Ihre Mithilfe. medizinische und psychotherapeutische Behandlung Teilen Sie uns mit, wo Sie Lücken im System erleben von psychischen Erkrankungen, sondern mindestens und wo Sie Verbesserungsbedarf sehen. Und wenn Sie genauso wichtig ist die Abfederung von all diesen Ein- sich für eines der angesprochenen Themen im Beson- schränkungen, die als Folgen auftreten können und ganz deren interessieren, melden Sie sich bitte bei uns. vorne weg die Prävention, damit chronische Entwicklun- Sie können sich gerne aktiv beteiligen. gen und Behinderungen vermieden werden können. unbeirrbar AUS DEM LANDESVERBAND Haben Sie sich schon für unseren Newsletter angemeldet? Nach intensiven Vorbereitungen gibt es nun auch den vanz steht für uns ApK Bayern Newsletter. In Anbetracht des Überangebots an erster Stelle! an Newslettern haben wir lange überlegt und abgewo- Kein unnötiger gen. Doch begegnen uns nahezu täglich relevante Infos, Datenmüll – keine Termine und sozialpolitische Updates, Aktionen und hilf- täglichen Mails. reiche Links, die wir manchmal aus Gründen der Aktua- Probieren Sie es einfach aus: Unter https://www. lität nicht über „unbeirrbar“ vermitteln könnten. In einem lapk-bayern.de/newsletter/ können Sie sich anmel- Newsletter können wir Ihnen all diese Informationen den und unseren ApK Bayern Newsletter ausprobieren. schnell, unkompliziert und kompakt übermitteln. Und Natürlich alles kostenlos und mit einem Klick wieder aus dabei möchten wir Ihnen jetzt schon versprechen: Rele- dem Verteiler raus, falls Sie nicht mehr möchten. unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71 7
unbeirrbar INTERVIEW Was macht eigentlich der Bundesverband? Im Interview mit Dr. Rüdiger Hannig, stellv. Vorsitzender des BApK Der ApK Bayern ist, wie ist die Überarbeitung unserer derzeitigen Satzung u.a. elf weitere Landesver- im Hinblick auf eine Öffnung des BApK für andere Ver- bände in Deutschland bände. Dies hätte weiterreichende Folgen z. B im Hin- auch, Mitglied im Bun- blick auf Stimmgewichtung und Mitgliedsbeiträge. Ich desverband der Angehö- hoffe, dieses Thema noch 2021 abschließen zu können, rigen psychisch erkrank- um das Augenmerk von den Strukturen auf die Inhalte ter Menschen e.V. (BApK). legen zu können. Den BApK leitet seit dem 2. „Die 113 für die psychische Krise“ Tod von Frau Gudrun Damit meine ich einen bundesweiten niederschwelligen Schliebener im 02/2020 Zugang zum Krisendienst(telefon) vergleichbar mit dem der stellv. Vorsitzende bayerischen Krisendienst. Die Frage, wer Hilfe in einer Herr Dr. Rüdiger Hannig. akuten oder sich anbahnenden Krise leistet, ist zentral Doch was sind eigentlich für alle Angehörigen, Nachbarn, Arbeitskollegen und die zentralen Aufgaben Betroffenen, insbesondere, wenn sie das erste Mal mit und Projekte des Bun- einer solchen Situation konfrontiert werden. Eine ein- desverbands? Was sind heitliche, bundesweit gültige Nummer, die auch anonym (Quelle: BApK e. V.) die persönlichen Beweg- genutzt werden kann, ist in Zeiten von Corona mit den gründe für Herrn Hannig, einhergehenden steigenden psychischen Erkrankun- die „Angehörigen“ deutschlandweit zu vertreten? Diesen gen und damit Krisen für mich ein MUSS und eine große und anderen Fragen sind wir im Rahmen eines kurzen Chance – nicht nur für Angehörige. Interviews nachgegangen. 3. Locating-Your-Soul Seit wann gibt es den Bundesverband und worin sehen Locating-Your-Soul heißt die Redaktion der jungen Sie seine zentralen Aufgaben? Selbsthilfe im BApK. 11 junge Menschen schreiben hier Der Bundesverband wurde 1985 gegründet. Nach außen über verschiedene Themen: Über schwierige Abgren- sind wir Ansprechpartner für Bundesministerien und Bun- zungen und unerwartete Mutmomente, über verunsi- desorganisationen und auch in der europäischen Ange- chernde Begegnungen und widersprüchliche Gefühle. hörigen Organisation (EUFAMI) vertreten. Unsere Öffent- Dieses Projekt liegt mir besonders am Herzen, weil es lichkeitsarbeit will Angehörige, ihre Situation und ihre gerade in Zeiten, in denen das Thema Mitgliedergewin- Themen, bundesweit in den öffentlichen Fokus bringen nung und die Frage nach der Integration junger Ange- um Vorurteilen wirkungsvoll zu begegnen. Beispiele für höriger in die Verbandsarbeit eine zentrale Rolle spielen, die Antistigmaarbeit des BApK sind z.B. die Online-Re- zeigt, dass junge Angehörige bereit sind, sich ehrenamt- daktion www.Locating-Your-Soul.de, die Plattform www. lich für das Thema seelische Gesundheit zu engagieren. psychiatrienetz.de oder auch unsere Homepage www. bapk.de. Eine wichtige erste Anlaufstelle für ratsuchende Wo gilt es, noch mehr für Angehörige in unserer Gesell- Angehörige ist das SeeleFon. Am Telefon oder per E-Mail schaft zu tun? bieten die Berater*innen erste Hilfe bei Fragen und Prob- Ohne uns Angehörige als größte Gruppe im psychiatri- lemen und verweisen auf die Landesverbände. schen System würde dieses zusammenbrechen. Für uns gilt, wie für die Betroffenen: Nicht über uns ohne uns. Aufklärung ist ein weiteres großes Anliegen des BApK. Mit Veröffentlichungen, wie dem gerade erschiene- Daher wünschen wir uns … nen Angehörigen-Ratgeber „Wahnsinnig nah“, und in … von den Profis in den Kliniken, dass Angehörige als öffentlichen Vorträgen, vor allem aber auch durch die Gesprächspartner auf Augenhöhe einbezogen werden. Wahrnehmung zahlreicher Aufgaben in verschiedenen politischen Gremien, engagiert sich der BApK für die … von der Politik Unterstützung, die Berücksichtigung zentralen Interessen der Angehörigen. unserer Interessen bei der Gesetzgebung und finanzielle Entlastung. Welche Projekte des Bundesverbands liegen Ihnen besonders am Herzen? … von der Gesellschaft Respekt, Toleranz und die Bereit- 1. Modernisierung von Strukturen. schaft, sich mit dem Thema psychische Erkrankung vor- Die Anforderungen an unsere Verbände sind im Laufe urteilfrei auseinanderzusetzen. der Jahre komplexer und deutlich herausfordern- Was waren Ihre persönlichen Beweggründe, im der geworden. Um auch 2030 noch die Interessen der Vorstand des Bundesverbandes tätig zu werden? Angehörigen wirksam vertreten zu können, hat sich der Als ich vor über 10 Jahren in den Vorstand als Infor- BApK in verschiedenen Strategieworkshops mit dieser matiker eintrat, wollte ich den Bundesverband und die Thematik auseinandergesetzt. Ein wesentlicher Punkt Landesverbände in ihren Prozessen und Systemen 8 unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71
unbeirrbar INTERVIEW modernisieren und effizienter gestalten, weil ich die Weitere Informationen Angehörigenarbeit für unsere Gesellschaft als sehr wich- BApK e. V. (https://www.bapk.de/der-bapk.html) tig empfinde. Die „Psychiatrie“ und den Angehörigenbe- Offizielle Website des Bundesverbandes reich sehe ich derzeit noch nicht so in der Gesellschaft vertreten, wie er seiner Bedeutung tatsächlich entspricht. Psychiatrienetz.de (https://www.psychiatrie.de/) Dieses möchte ich gerne ändern. Wir brauchen daher eine Umfassende Informationen rund um das Thema Psych- starke Angehörigenbewegung mit einer starken Stimme! iatrie Was möchten Sie unseren Angehörigen gerne mit auf Locating your soul (https://locating-your-soul.de/) den Weg geben? Ein Blog von und für junge Leute, die sich für The- Wir Angehörige – und dazu zählen für den BApK alle, die men rund um die mentale Gesundheit interessieren. einen psychisch erkrankten Menschen begleiten, sich Ziel des Projekts ist es, jungen Menschen eine Platt- um ihn sorgen und gemeinsam mit ihm durch Höhen form zu geben, um über ihre Erfahrungen mit psychi- und Tiefen gehen – haben ein Recht auf Anerken- schen Erkrankungen als Betroffene, als Angehörige oder nung und Unterstützung. Auch, wenn der Weg aus der Freunde zu sprechen. Stigmatisierung lang und schwierig ist, gemeinsam können wir viel bewegen! unbeirrbar WICHTIG ZU WISSEN Präventionsstellen: Neues Versorgungsangebot in Bayern Mit der Eröffnung der ersten Präventionsstellen in Mün- Notwendig ist hierzu eine umfangreiche Diagnostik, Ein- chen und Lohr am Main zum 01. Mai 2021 wird ein zelpsychotherapie, Gruppenangebote, aber auch eine neues Angebot im Bereich der psychiatrischen Versor- engmaschige Krisenbegleitung und Familiengespräche. gung geschaffen. Bereits seit 2012 gibt es ein erfolgreich Zielgruppe sind Menschen mit schizophrenen Erkran- laufendes Modellprojekt einer Präventionsstelle in Ans- kungen und schweren Persönlichkeitsstörungen. bach. Und nun endlich werden sukzessive in allen sie- Prävention statt Nachsorge ben Regierungsbezirken Präventionsstellen geschaffen. Wie der Name sagt, steht Prävention von Gewalt hier Bayreuth und Regensburg werden noch in diesem Jahr im Fokus jeder therapeutischen Intervention. Dieses an den Start gehen, Landshut und Augsburg sollen spä- Ziel kann aber nur durch aktive Mitarbeit der Patien- testens 2022 folgen. ten erreicht werden. Aufgenommen werden können Für wen geeignet? in dieses ambulante Angebot daher nur Menschen mit Wie bekannt ist, neigt nur eine Minderheit von etwa 4 % entsprechender Krankheitseinsicht und Behandlungs- aller psychisch erkrankten Menschen im Rahmen einer bereitschaft. Für diejenigen ist es eine wichtige Vorsor- akuten Krankheitsphase zu Gewalttaten. Das sind nicht gemaßnahme. Auch wir Angehörigen sind froh, dass so viele, wie die öffentliche Darstellung vermuten ließe, der Freistaat Bayern im Jahr 2021 für den Aufbau der und trotzdem muss alles getan werden, um Gewaltta- Präventionsstellen 1.842.000 Euro zur Verfügung stellt. ten zu verhindern – zum Opferschutz, aber auch zum Nicht zu verwechseln sind die Präventionsstellen mit den Schutz der psychisch erkrankten Täter und zur Ver- Krisendiensten Psychiatrie und mit den forensisch-psy- meidung von Unterbringungen im Maßregelvollzug. chiatrischen Ambulanzen. Die Aufgaben und Angebote Präventionsstellen setzen da an, wo Menschen selbst unterscheiden sich grundsätzlich. ihr Aggressionspotential erkennen oder das von engen Bezugspersonen oder Therapeuten festgestellt wird. Betroffene und Angehörige können unter folgenden Ihr oberstes Ziel ist, neben der Behandlung der Grun- Telefonnummern Kontakt aufnehmen: derkrankung, der Abbau von Risikofaktoren für Gewalt Mittelfranken: 0981/46 532360 und der Aufbau von stabilisierenden Faktoren. Mittels ärztlicher, psychotherapeutischer und sozialpädagogi- Oberbayern: 089/200046582 scher Begleitung sollen Ressourcen im Bereich sozialer Unterfranken: 09352/5086 30 Kompetenzen und Impulskontrolle ausgebaut werden. unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71 9
unbeirrbar SELBSTHILFE UND WISSENSCHAFT Selbstwirksamkeit: Tief erschüttert durch psychische Erkrankungen und dennoch wiederzugewinnen Rund um das „Selbst“ ranken sich viele Begriffe: Selbstbe- 1.Eigene Erfolgserlebnisse wusstsein, Selbstsicherheit, Selbstliebe, Selbstvertrauen, Alles, was wir schon in unserem Leben geschafft haben, Selbsterkenntnis und eben auch Selbstwirksamkeit. Das alle Schwierigkeiten, die wir schon gemeistert haben, Wissen „Ich kann etwas bewirken“ scheint die Krönung stärken unsere Selbstwirksamkeitserwartung. des eigenen Selbst zu sein. Einzug in die Wissenschaft 2. Stellvertretende Erfolgserlebnisse der Psychologie hielt der Begriff Mitte der 1970er Jahre. Wenn wir beobachten, was andere gemeistert haben, die Der kanadische Psychologe Albert Bandura definierte die uns in ihrem Lebenskontext (Alter, Gesundheit, soziale subjektive Gewissheit, neue und schwierige Anforderun- Lebenssituation) ähnlich sind, können wir uns das zum gen meistern zu können, als die psychische Fähigkeit der Vorbild und zum Ziel nehmen. Wir stärken den Glauben Selbstwirksamkeit. in uns, dass wir das auch schaffen können. Inzwischen hielt die Theorie von der Selbstwirksamkeit 3. Ermutigung durch andere Einzug in die sozialpädagogische und psychotherapeu- Erhalten wir Zuspruch und Ermutigung von Menschen, tische Praxis. Über Erlebnispädagogik und begleitende die uns nahe stehen und die uns gut kennen, können Sozialarbeit werden genauso wie über die Verhaltens- wir durch diesen Glauben anderer an uns auch Glauben therapie Erfahrungen gesammelt, durch das eigene Han- an uns selbst gewinnen. Sätze wie: „Ich weiß, dass du deln etwas bewirken und erreichen zu können. Neben das kannst.“ sind keine Floskeln, ehrlich und empathisch Achtsamkeitskursen sind Selbstwirksamkeitskurse seit gesprochen können sie viel bewirken. Dieser Zuspruch neuestem auch im Leistungskatalog von Präventions- ist enorm wichtig! angeboten einiger Krankenkassen zu finden. Konzepte zur Selbstwirksamkeit haben also den Bereich der klas- 4. Stressreduktion sischen Psychotherapie verlassen und hielten Einzug Gelingt es uns in freudiger Erwartung und mit Überzeu- in die sich immer mehr füllende Angebotsvielfalt von gung an eine Herausforderung heranzugehen, senken psychologischen Kursen. wir den Stresspegel extrem. Da negative physiologische und emotionale Erregung die Selbstwirksamkeitserwar- Erfahrene Psychotherapeuten stehen dem kritisch tung blockieren, helfen Maßnahmen zur Stressreduk- gegenüber: Standardisierte Programme können nicht die tion, die Selbstwirksamkeit zu erhöhen. ganz individuellen Aspekte eines Einzelnen beachten, die aber gerade beim Konzept der Selbstwirksamkeit größte Psychische Erkrankung und Selbstwirksamkeit Bedeutung haben. So sei für Menschen mit psychischen Werfen wir einen Blick auf das Schaubild der Selbstwirk- Erkrankungen vor solchen Kursen ohne therapeutische samkeit (siehe nächste Seite) und die jeweils flankierenden Begleitung eher gewarnt. Sie greifen zu kurz und können Maßnahmen, werden wir sofort erkennen, dass die meis- im schlimmsten Fall gar das Gegenteil bewirken. Erwar- ten psychischen Erkrankungen entscheidenden Einfluss tet sich jemand große Veränderungen nach einem Kurs, haben. Lt. Wikipedia ist „eine psychische oder seelische Stö- die aber nicht eintreten, weil der individuelle Kontext zu rung ein Zustandsbild, das durch krankheitswertige Verän- wenig beachtet wurde, folgt große Enttäuschung und derungen des Erlebens und Verhaltens gekennzeichnet ist. im Bereich von Selbstwirksamkeit, Selbstsicherheit und Es kann mit Abweichungen der Wahrnehmung, des Selbstvertrauen eine Abwärtsspirale. Selbstoptimierung Denkens, Fühlens oder auch des Selbstbildes (Selbstwahr- ist zwar nicht das primäre Ziel dieser Kurse, kann aber nehmung) einhergehen. Ein wesentlicher Bestandteil die- leicht als solches interpretiert werden. Die Gefahr, sich ser Störungen ist zudem oft eine verminderte Selbstregu- als Versager zu fühlen, ist vorprogrammiert. lationskompetenz. In diesem Fall können die Betroffenen ihre Erkrankung auch durch verstärkte Bemühungen, Selbstwirksamkeit als Potential Selbstdisziplin oder Willenskraft nur schwer oder gar nicht Der Glaube an die eigene Selbstwirksamkeit, die beeinflussen.“ Wir wissen, viele psychische Erkrankungen Selbstwirksamkeitserwartung (SWE), beeinflußt ganz verlaufen in Phasen. Die Veränderungen des Denkens, entscheidend, wie energievoll und optimistisch wir Fühlens und Wahrnehmens betreffen vor allem die aku- an unsere Aufgaben herangehen. Sind wir von unse- ten Phasen. Einfluss auf die Selbstwirksamkeit können sie rer Selbstwirksamkeit überzeugt, sind wir grundsätzlich aber oft langfristig haben. Gerade auch das Erleben, dass einem niedrigeren Stresslevel ausgesetzt. Gehen wir die Fähigkeit der Selbstregulation während der Erkran- mit Überzeugung an etwas heran, verspüren wir weni- kung stark reduziert sein kann, kann jegliches Vertrauen ger Anspannung, was wiederum erfolgssteigernd sein in sich selbst auch nach Abklingen akuter Symptomatik kann. Daher ist die Selbstwirksamkeit ein sehr wichtiges über Bord werfen. Mühsam muss es dann über die oben Potential. Sie lässt uns glauben an unsere Möglichkei- genannten vier Faktoren wieder zurückerobert werden. ten der Einflussnahme, und stärkt uns, mit Optimismus Das ist die schlechte Nachricht, die gute aber ist, dass es an Veränderungen heranzugehen. Nach Badura gibt es vielen Menschen auch gelingt. Wenn wir von „Leben mit vier entscheidende Einflussfaktoren auf die Selbstwirk- psychischer Erkrankung“ sprechen, gehört das auch dazu: samkeit. Sich wieder im Leben einfinden, sein Leben anpassen und 10 unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71
unbeirrbar SELBSTHILFE UND WISSENSCHAFT eine gute Lebensqualität mit- Erfahrungen der Selbstwirk- samkeit entwickeln. Zurück zu mehr Selbstwirk- samkeit Schauen wir nicht immer nur nach dem Großen, dem Perfekten, dem optimalen Selbst, sondern bleiben wir realistisch, erkennen wir, dass Selbstwirksamkeit im ver- meintlich Kleinen ganz groß sein kann. Habe ich mich schon lange nicht mehr vor die Tür getraut, weil meine Sozialphobie es mir unmög- lich machte, kann es ein rie- siger Erfolg sein, wenn ich das erste Mal wieder um den (Quelle: Die Selbstwirksamkeitspyramide nach Lenarz, © Ein guter Verlag) Block gehe. Eine psychische Erkrankung überwunden oder mit ihr leben gelernt zu haben, ist ein eigenes riesi- Angehörige und ihre Selbstwirksamkeit ges Erfolgserlebnis. Leider wird dies viel zu wenig gese- Fragen wir Angehörige nach ihren Belastungen, stehen hen und anerkannt, sowohl von den Betroffenen, insbe- Hilflosigkeit und Ohnmacht oft ganz weit oben. Das sondere aber auch von der Umgebung. Gefühl, nichts bewirken zu können, nichts erreichen zu können, damit der Krankheitsverlauf besser wird, keine Stellvertretende Erfolgserlebnisse spielen bei psychisch Therapiebereitschaft herstellen zu können, kann ver- erkrankten Menschen ebenso eine enorm wichtige heerende Folgen für das Selbstwirksamkeitsgefühl von Rolle wie der Blick auf die eigenen Erfolge. Das ganze Angehörigen haben. Ist es erst einmal verloren gegan- Modell von EX-IN Genesungsbegleitern basiert dar- gen, muss es neu aufgebaut werden. Dazu müssen sich auf. Menschen, die selbst psychisch erkrankt sind, und Angehörige erst einmal bewusst werden, wie viel Ein- nun als Genesungsbegleiter arbeiten, sind die besten fluss sie tatsächlich auf den Krankheitsverlauf nehmen Mutmacher für andere nach dem Motto: Wenn der das können – nämlich oft gar nicht viel – oder ob es nicht geschafft hat, dann kann ich das auch schaffen. in erster Linie um ihren eigenen Umgang mit der Erkran- Bei der Ermutigung durch andere spielen die nächsten kung geht. Lernen, damit zu leben, zu trauern um Wün- Angehörigen oft die wichtigste Rolle. Sie sind die nahen sche und Hoffnungen, aktive Selbstfürsorge zu pflegen, Begleiter, die täglichen, nicht müde werdenden „Du Lebensfreude trotz Schwerem zu empfinden. Das sind schaffst das!“ Unterstützer! Diesen Zuspruch zu geben, Punkte, auf die Angehörige tatsächlich Einfluss haben. ist so unerlässlich wichtig. Wir brauchen Menschen, Hier können sie Selbstwirksamkeit leben und erleben. die an uns glauben, wenn wir selbst nicht mehr an uns Wenn ich mich aktiv um mein seelisches Wohlbefinden glauben. Nicht Menschen, die uns bedrängen mit „Du kümmere, indem ich soziale Kontakte pflege, und indem schaffst das, nun mach mal!“, sondern die uns ermutigen ich die psychische Erkrankung nicht zu meinem einzigen mit „Du kannst das schaffen. Welche Hilfe brauchst du Lebensthema werden lasse, spüre ich Selbstwirksamkeit: noch, um es zu schaffen?“. Ich nehme selbst und bewusst und wirksam auf meine psychische Gesundheit Einfluss. Das ist mindestens Und zu guter Letzt: Selbstwirksamkeit wird erschwert genauso wichtig, wie sich zu informieren über Therapie- durch hohes Stressempfinden. Haben wir große Angst, möglichkeiten für den Erkrankten und Motivations- und regen wir uns regelmäßig auf, machen wir uns permanent Unterstützungsarbeit zu leisten. Sorgen, schütten wir vermehrt Adrenalin und Cortisol aus. Grundsätzlich sind Adrenalin und Cortisol überlebens- Alle Angebote der Angehörigenselbsthilfe, sei es die per- wichtige Hormone und notwendig, um Herausforderun- sönliche Beratung, sei es der Erfahrungsaustausch mit gen zu meistern. Die Überlebensmechanismen Flucht anderen Angehörigen oder seien es auch die Angehö- und Angriff funktionieren nur mit diesen beiden Hormo- rigenseminare, zielen im Grunde alle auf eine Stärkung nen. Wird der Körper jedoch dauerhaft damit geflutet, ist der Selbstwirksamkeit ab. Wie waren die vier entschei- das nicht nur ein hoher Risikofaktor für unterschiedliche denden Faktoren? Eigene Erfolgserlebnisse, stellvertre- Erkrankungen, sondern hat auch negativen Einfluss auf tende Erfolgserlebnisse, Ermutigung durch andere und unser Vertrauen in unsere Selbstwirksamkeit. Stressreduktion – all das findet in der Selbsthilfe statt. unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71 11
unbeirrbar INTERVIEW „Ehrliche Anteilnahme und Interesse beim Anderen zu spüren, geben mir das Gefühl, nicht mehr so allein mit dem Problem zu sein“ Im Interview mit Martin Gommel ich mich in einem längeren Prozess schlussendlich dazu entschied, monothematisch über „Psychische Gesund- heit“ zu berichten und das bis heute noch bei Krautre- porter tue. Generell kann ich sagen, dass ich keine gro- ßen Ängste oder Bedenken hatte, meine Erkrankung öffentlich zu machen. Irgendwie war mir klar, dass wenn ich über das Thema schreibe, Menschen ein offenes Ohr haben würden, wenn man ehrlich darüber schreibt. Wie waren die Reaktionen auf Ihr „Coming out“ bzw. über die lebensnahe Berichterstattung zu Ihren Depressionen aber auch zu anderen Themen rund um die psychische Gesundheit? Die Reaktionen waren und sind noch immer recht hef- tig. Bei vielen Menschen löst die Auseinandersetzung mit den Texten etwas in ihnen aus. Sie schreiben mir dann. Betroffene aber auch Angehörige bedanken sich und sagen: „Danke, dass Du darüber geschrieben hast. Jetzt kann ich meine Partnerin besser verstehen!“. Bislang sind (Quelle: Martin Gommel) es ausschließlich positive Rückmeldungen, was mich Martin Gommel ist 40 Jahre, steht mitten im Leben, natürlich freut. arbeitet seit 2016 zunächst als Fotoredakteur, später Wann, würden Sie sagen, begannen die Depressionen als Reporter für das Online-Magazin „Krautreporter“ bei Ihnen? Gab es einen speziellen Auslöser? und berichtet regelmäßig über das Thema „Psychi- Einen Auslöser in dem Sinne gab es nicht. Angefangen sche Gesundheit“. Was ihn für uns Angehörige so inte- hat alles in meiner Kindheit. Ich weiß, dass ich damals mit ressant macht: Er leidet, wie er selbst sagt, bereits seit zunehmendem Alter immer mehr das Gefühl hatte, das seiner Kindheit an wiederkehrenden Depressionen und Leben wäre scheiße, hier stimmt etwas nicht. Später dann schreibt offen darüber in seinen Artikeln, aber auch auf begann das Mobbing in der Schule und ich dachte, ICH Instagram, Facebook und Twitter. Eines seiner wieder- wäre scheiße, es liegt an mir. Ich hatte große Schuldge- kehrenden Themen auf allen Kanälen ist, wie Außenste- fühle und dachte, ich selbst hätte Schuld daran, dass ich hende auf Menschen mit Depressionen reagieren. Was gemobbt wurde. Alles wirkte immer so düster und schwer er gut daran findet, und was eher weniger. Mit seiner und ich verstand nicht, warum mir das passiert. Ich litt direkten und offenen Art kommt er sowohl bei Betrof- unter Hoffnungslosigkeit und habe dann angefangen, die fenen als auch bei Angehörigen gut an. Viele schreiben Schule zu schwänzen. Damals habe ich meinen Eltern ihm, bedanken sich oder hoffen auf Rat. Seine Artikel, gesagt, ich wäre krank und fühlte mich schlecht dabei, Sprüche und Kommentare berühren und schockieren weil ich dachte, ich hätte sie angelogen. Heute weiß ich: bisweilen – niemals sind sie belanglos. Umso mehr freut Ich war krank! Ich hatte kein Fieber, keine Erkältung – es uns, dass wir ihm ein paar Fragen stellen und mit ihm aber ich brauchte die Ruhe, denn ich konnte einfach nicht über sein Leben mit der Erkrankung und was dies für mehr. 2010 ging es mir dann so schlecht, dass ich stati- Angehörige bedeuten kann, sprechen konnten. onär in eine Klinik musste. Dort erfuhr ich dann endlich, Herr Gommel, Sie selbst sind immer wieder von Depres- was mit mir nicht stimmte: Ich litt an einer Depression. sionen betroffen und gehen damit sehr offen um. Sie Wie sind Ihre Eltern damals damit umgegangen? schreiben darüber u.a. als Reporter für das Online-Ma- Sie wussten nicht, wie ich mich fühle. Sie verstanden gazin „Krautreporter“ und finden auch klare Worte nicht, was mit mir geschah. Ich fühlte mich daher sehr darüber auf Instagram und Facebook. Wann kam bei alleingelassen, was die Situation noch verschlimmert Ihnen der Punkt, an dem Sie beschlossen haben, ihre hat. Ich mache ihnen aber keine Vorwürfe. Sie wussten Erkrankung öffentlich zu machen? es damals einfach nicht besser. Ich bin eigentlich schon immer offen mit meiner Erkran- kung umgegangen. 2016 erhielt ich dann bei Krautrepor- Wie gehen Sie aktuell mit der Erkrankung um? Was tut ter, bei denen ich damals noch als Fotoredakteur gear- Ihnen gut? beitet hatte, die Möglichkeit, über meine Depression zu Heute weiß ich, dass ich an einer chronisch rezidivie- schreiben. Danach fing ich auch an, mehr dazu auf Twit- renden Form der Depression leide. Das heißt, es kommt ter und anderen Social-Media-Kanälen zu schreiben, bis immer wieder zu depressiven Episoden. Inzwischen 12 unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71
unbeirrbar INTERVIEW merke ich aber schon früh, wenn sich alles wieder hin Das muss wirklich jeder für sich selbst abstecken. Ich zu einer Krise zuspitzt und gehe frühzeitig in die Klinik. kann jeden verstehen, der nicht möchte, dass man über Außerdem bin ich medikamentös eingestellt. Daneben ihn oder seine Erkrankung berichtet. Für mich wäre es in versuche ich, gerade in der beschwerdefreien Zeit, mir Ordnung, wenn mein Bruder zu mir interviewt würde, Gutes zu tun: Ich gehe spazieren, schreibe viel darüber, so lange ich nicht gerade in einer Krise steckend in der was auch eine therapeutische Wirkung hat. Und ich habe Klinik bin. Ich denke, das muss man einfach individuell ein „Sicherheitsnetz“ bestehend aus Freunden, meiner miteinander klären. Grundsätzlich finde ich es aber sehr Familie und einem Psychotherapeuten, den ich selbst wertvoll, wenn auch Angehörige über ihre Situation oder bezahle. Zu wissen, dass diese Menschen in Krisenzeiten die ihres erkrankten Betroffenen sprechen. Vor allem für mich da sind, bedeutet mir viel. vor dem Hintergrund der Aufklärung: Viele Betroffene können, gerade in der Krise steckend, häufig nicht für In dem Krautreporter-Artikel „Worte, die mir guttun, sich selbst sprechen oder anderen gut erklären, was mit wenn ich depressiv bin“ schreiben Sie darüber, wie ihnen gerade geschieht. Ihre Angehörigen jedoch ken- schwer es auch für Angehörige sein kann, die richtigen nen die Situation oft schon gut und können so einen Worte zu finden. Sie zitieren Sätze, die Sie persönlich wertvollen Beitrag zur Aufklärung leisten. oder Leser*innen in der Krautreporter-Community als wohltuend erlebt haben. Dabei gab es einen Satz eines Freundes, der Ihnen, wie Sie beschreiben, besonders wertvoll war: „Ja, das ist echt scheiße, Martin. Was du gerade durchmachst, ist echt schlimm, das glaube ich dir“. Würden Sie allgemein sagen, es wäre besser, man versucht als Angehöriger zunächst dem Betroffenen emotional beizustehen? Ich glaube, es ist zunächst wichtig dem Betroffenen zu zeigen, dass man sich ehrlich für sein Problem interes- siert. Ehrliche Anteilnahme und Interesse beim anderen zu spüren, geben mir das Gefühl, nicht mehr so allein (Quelle: Instagram vom Martin Gommel) mit dem Problem zu sein. Das ist schon mal die halbe Miete. Für mein Verständnis geht es daher nicht so sehr Die Bedenken eines öffentlichen Coming-Outs bezie- darum, was man konkret fragen oder wie man sich ver- hen sich auch häufig auf die Zukunft des Betroffenen. halten soll – da gibt es viele Wege. Aber den anderen Was ist z.B., wenn ein Interview zu einer vorhandenen spüren zu lassen: „Ich interessiere mich für Dich, ich will Depression irgendwann ein potenzieller Arbeitgeber mehr darüber erfahren, ich möchte Dich verstehen.“ ist zu lesen bekommt? sicherlich die beste Basis, um für jemanden „da zu sein“. Was das betrifft kann man nur jedem Arbeitgeber sagen: Alles andere ergibt sich dann häufig. Eine psychische Erkrankung kann JEDEN treffen. Die Welche Tipps würden Sie Angehörigen mit auf den Wahrscheinlichkeit, dass es auch ihn trifft ist daher Weg geben wollen – allgemein, aber auch gerne auf nicht all zu gering. Möchte man in dem Fall dann von Depressionen bezogen? Mitarbeitern umgeben sein, die kein Verständnis dafür Es ist wichtig, dass die Angehörigen auch auf sich selbst haben? Vermutlich nicht. Geht ein Unternehmen offen Acht geben und sich nicht überfordern. Dass sie sich mit und unterstützend mit persönlichen Problemen um, fol- sich selbst und möglichen Schuldgefühlen auseinander- gen diesem Beispiel auch die Mitarbeiter, was wiederum setzen und sich eventuell Hilfe holen. Es ist von entschei- das Arbeitsklima verbessert. Aber natürlich muss man dender Bedeutung, dass es zunächst ihnen gut geht, ehrlich sagen, dass dies in manchen Branchen oder für bevor sie sich um den Erkrankten kümmern. Außerdem Menschen, die den Arbeitsplatz nicht so einfach wech- ist es wichtig, die Depression als Erkrankung zu sehen. seln können, sicherlich eine Hürde darstellt, offen über Wenn ich im Bett liege und nicht aufstehen kann, kann ihre Situation zu sprechen. Dies wird vermutlich noch ich es wirklich nicht. Weil ich krank bin. Das ist wie bei ein paar Generationen brauchen, bis eine psychische jeder körperlichen Erkrankung auch. Das als Angehöri- Erkrankung in der Arbeitswelt einer physischen gleich- ger zu akzeptieren ist sicherlich nicht leicht. Aber es ist gestellt ist. entscheidend, die Depression ganz klar als Erkrankung Wer mehr über und von Martin Gommel lesen möchte, zu sehen und die damit einhergehenden Symptome zu wird im Internet auf den wichtigsten Social Media- akzeptieren. Kanälen und bei den „Krautreporter“ fündig: Viele Angehörige von psychisch erkrankten Men- schen haben Bedenken, offen über ihre Situation oder Krautreporter.de (https://krautreporter.de/21813- auch über die des Betroffenen zu sprechen. Vor allem martin-gommel) öffentlich. Das erschwert die Anti-Stigma-Arbeit natür- Twitter (https://twitter.com/martingommel/) lich immens. Auf der anderen Seite machen dies viele Instagram (https://www.instagram.com/martingommel/) Angehörige auch, um ihren Betroffenen zu schützen. Facebook (https://www.facebook.com/martingommel) Wie sehen Sie das, aus der Sicht eines Betroffenen? unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71 13
unbeirrbar RECHT Betreuungsrecht: Reform beschlossen – aber erst wirksam ab 2023 Ziemlich genau 30 Jahre nach in Kraft treten des Betreu- Bei der Qualität bleibt Luft nach oben ungsrechts, das 1992 das alte Vormundschaftsrecht für Wenn dies so umgesetzt wird, kommt es der geforder- Erwachsene abgelöst hatte, wird ein neues Betreuungs- ten Qualitätssteigerung von Betreuungen gleich. Wor- recht in Kraft treten. Im März 2021 stimmten sowohl auf sich das Gesetz jedoch nicht eingelassen hat, ist die der Bundestag als auch der Bundesrat dem Gesetz zur Forderung nach einer qualifizierten Ausbildung zum Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zu. Berufsbetreuer. Neu wird zwar sein, dass sich Betreuer Spätestens mit der Ratifizierung der UN-Behinderten- bei einer Betreuungsbehörde registrieren lassen müs- rechtskonvention (Übereinkommen über die Rechte von sen, um als Berufsbetreuer arbeiten zu können. Es wird Menschen mit Behinderungen) durch die Bundesrepub- aber keine einheitlichen Standards für die Betreuungs- lik Deutschland im Jahr 2009 war ein Reformbedarf für behörden geben, wie die fachliche Eignung zur Tätigkeit dieses Gesetz gegeben. Das durch die UN-Behinderten- als Berufsbetreuer konkret nachgewiesen werden muss. rechtskonvention gestärkte Recht auf Selbstbestimmung Es wird zwar Fortbildungs- und Studienangebote geben, muss sich auch im Betreuungsrecht widerspiegeln. Dies aber deren Abschluss ist kein Muss, um als Berufsbetreuer ist jedoch nicht der einzige Punkt, der mit dem neuen arbeiten zu können. Ehrenamtliche Betreuer, die nicht in Gesetz verbessert werden soll. Die Qualität der recht- familiärer oder enger sozialer Beziehung zum Betreuten lichen Betreuung soll insgesamt verbessert werden. stehen, müssen zukünftig eine Anbindungserklärung an Betreuungen sollen nur noch dann eingerichtet werden, einen Betreuungsverein abgeben. Mit dieser Erklärung wenn sie wirklich notwendig sind, weil Assistenzleistun- verpflichten sie sich, regelmäßig an Fortbildungen teilzu- gen nicht ausreichen. Ehrenamtliche Betreuer sollen nehmen und sich bei Fragen beraten zu lassen. besser unterstützt werden und Ehegatten sollen sich im Der Gesetzestext wurde am 12. Mai 2021 veröf Krankheitsfall vertreten dürfen – unter eng gesetzten fentlicht: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetz Voraussetzungen. gebungsverfahren/Dokumente/Verkuendung_BGBl_ Ich bestimme selbst, was gut für mich ist G e s et z _ Refo rm _Vo rm un d s ch af t _ B etre u un g s- Bereits das jetzt gültige Betreuungsrecht sieht keine Ent- recht.pdf;jsessionid=9A134888BC99B2AC6A2E- mündigung von Menschen mehr vor. Diese wurde bereits A51C211F415E.2_cid289?__blob=publicationFile&v= 1992 abgeschafft. Rechtliche Betreuer haben aber die Möglichkeit, stellvertretend für den Betreuten aktiv zu wer- Kommentar den. Diese Stellvertretungsmöglichkeit wird ab 2023 nur Bei gesetzlichen Betreuungen läuft nicht immer alles noch sehr eingeschränkt wirksam sein. Zukünftig kommt rund. Davon können viele ein Lied singen. Die Gründe den Betreuern vielmehr die Aufgabe zu, die betreute Per- dafür sind unterschiedlich, und sie liegen auch sicher son dabei zu unterstützen, ihre Angelegenheiten selbst zu nicht immer nur in der Person oder in der Qualifizierung erledigen. Die Unterstützungsfunktion gewinnt stark an des Betreuers. Daher wage ich zu bezweifeln, ob sich das Stellenwert. Aber nicht nur die Hervorhebung der Unter- mit dem neuen Gesetz zu einem Besseren wenden wird. stützung ist besonders bedeutsam, sondern auch des Wil- Zum Glück bleiben noch eineinhalb Jahre, um sich auf die lens des Betreuten. Stand bisher insbesondere das Wohl Änderungen vorzubereiten. Auch für Angehörige wird es des Betreuten im Vordergrund, müssen zukünftig vielmehr auch sein Wunsch und Wille berücksichtigt werden. Bei der als Betreuer nicht einfacher. Diskussionen um Wunsch Verwendung von Geldern kann der Betreuer bisher mitbe- und Wille und Selbstbestimmung bergen ein großes Kon stimmen und kann Ausgaben, die nach objektiven Kriterien fliktpotential. Ich denke, zwischen Angehörigen noch nicht dem Wohl des Betreuten zugutekommen, verhin- mehr als bei Berufsbetreuern. Kann jemand mit persön dern. Das soll nicht mehr möglich sein. Will eine vermö- licher Distanz sich eher denken: „Dann mache es halt so.“, gende Person Geld verschenken oder sich Luxusreisen und wird sich ein Angehöriger oft schwerer damit tun. Der für teure Autos kaufen, muss diesem Wunsch nachgekom- sorgende Gedanke, das Wohl des Betreuten als Maßstab men werden. Maßgabe ist keine objektive Einschätzung zu haben, der bisher das Gesetz geprägt hat, kommt den der Sinnhaftung oder das Wohl, sondern der Wille. Diese Angehörigen oft näher. Sie wollen Fürsorge übernehmen Stärkung des Selbstbestimmungsrechts entspricht den für jemanden, der krankheitsbedingt für sich selbst nicht Grundgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention. In sorgen kann. Ein schwieriges Thema. Das war es schon der Praxis heißt dies, dass sich rechtliche Betreuer intensi- immer und wird es auch bleiben. Schon allein die Frage, ver mit den einzelnen Betreuten beschäftigen müssen, um ob man als Angehöriger eine Betreuung übernehmen soll ihre Wünsche zu ermitteln. Ein regelmäßiger persönlicher Kontakt, um alles zu besprechen, lässt sich nicht mehr oder nicht, ist nicht leicht zu beantworten. Deshalb haben umgehen. Betreuung vom Schreibtisch aus zu erledigen, wir vor ein paar Jahren einen Fragenkatalog erarbeitet, wird nicht mehr so einfach möglich sein. Betreuer werden der Angehörigen bei dieser Entscheidung behilflich sein verpflichtet, den Jahresbericht, den sie über die Betreu- kann. ung verfassen und dem Betreuungsgericht übermitteln Alexandra Chuonyo müssen, mit dem Betreuten zu besprechen. 14 unbeirrbar Juni 2021 / Nr. 71
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