Psychisch krank im Job. Was tun ? - Praxishilfe
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Praxishilfe Psychisch krank im Job. Was tun ?
Impressum Herausgeber: BKK Bundesverband und Familien-Selbsthilfe Psychiatrie (BApK e.V.) Kronprinzenstr.6 Am Michaelshof 4b D-45128 Essen D-53177 Bonn www.bkk.de www.bapk.de Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten BKK® und das BKK Logo sind registrierte Schutzmarken des BKK Bundesverbandes Autorin: Marlies Hommelsen, Dipl. Pädagogin Redaktion: M. Bellwinkel, A. Kresula, L. Julius, B. Lisofsky Gestaltung: Typografischer Betrieb Lehmann GmbH, Essen Druck: Siebengebirgsdruck, Bad Honnef Stand: April 2006
Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 Die Fakten 6 Die Praxishilfe 8 Normal und psychisch krank – die zwei Seiten einer Medaille 10 Belastungsfaktoren als Auslöser für eine psychische Erkrankung tress S 13 Burn-out Syndrom Mobbing Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben 14 epressionen D Bipolare (manisch-depressive) Erkrankungen Angststörungen Schizophrenien Psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen 22 Gemeinsamkeiten psychischer Erkrankungen 23 Erkennen einer psychischen Erkrankung im Arbeitsumfeld 24 Was tun? – Das „H-I-L-F-E Konzept“ für Unternehmen 27 Handlungshilfen andlungsmöglichkeiten in akuter Krise H 32 Unterstützung während einer ambulanten Behandlung Handlungsempfehlung beim stationären Aufenthalt Die Rückkehr in das Unternehmen Prävention – Pflichtaufgabe im betrieblichem Umfeld Zusammenfassung Anhang Hilfreiche Ansprechpartner und Adressen 38 Literaturhinweise
Quelle: Postkarte der Initiative HOPES. Hilfe und Orientierung für psychisch erkrankte Studierende und Irre menschlich e. V., Hamburg
Vorwort Ist es ein Thema? Oder immer noch ein Un-Thema? Was also tun? Fakt ist, dass eine viel größere Zahl an Menschen Hier setzt die Ihnen vorliegende Praxishilfe an. Mit psychisch krank waren und sind, als viele meinen. den Kompetenzen der Familien-Selbsthilfe Psychi- Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass viele bedeu- atrie, die mit den Beispielen aus dem Leben vieler tende Persönlichkeiten, die unsere Kultur geprägt Menschen vertraut ist, und des BKK Bundesverban- haben, an psychischen Krankheiten litten. Nehmen des, der die Erfahrungen aus der betrieblichen Ge- wir nur sundheitsförderung einbringt, wurde ein Ratgeber Frederic Chopin für die betriebliche Praxis entwickelt. Rainer Maria Rilke Winston Churchill Charles Darwin Vincent van Gogh Die Beispiele zeigen, dass psychisch kranke Men- schen nicht einfach aus der Gesellschaft bzw. aus dem Betrieb entfernt werden dürfen. Vielmehr ist es wichtig, die Ressourcen zu nutzen, die jeder Mensch hat. In den meisten Betrieben gibt es Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter, die psychisch krank sind oder in einer schweren seelischen Krise mit Krankheitscha- rakter stecken. Keine Hierachieebene ist davon aus- genommen. Unsicherheit macht sich breit, wodurch das Betriebsklima beeinträchtigt werden kann. Aus Gründen der Vereinfachung und besseren Lesbarkeit ist im folgenden Text nur die männliche Form bei Personen- und Funktionsbezeichnungen angegeben. Gemeint ist immer auch die weibliche Form.
Die Fakten Psychische Störungen nehmen dramatisch zu, sie zunehmend in den Blickpunkt betrieblicher Gesund- haben seit einigen Jahren auch den beruflichen heitspolitik und werden für viele Unternehmen zu Alltag der Beschäftigten erreicht. Depressionen einem Thema mit größer werdender Dringlichkeit. und Angsterkrankungen drohen zu Volkskrankhei- Personalverantwortliche, Kollegen und betriebliche ten am Arbeitsplatz zu werden. Der Anteil an den Helfer sind heute häufig mit psychischen Krankheits- Krankheitstagen durch psychische Störungen seit bildern konfrontiert, im Umgang mit betroffenen Beginn der neunziger Jahre hat sich mehr als ver- Mitarbeitern jedoch verunsichert: Ist der Mitarbei- doppelt. Der BKK Gesundheitsreport 2005 zeigt auf, ter überhaupt in einer Krise, kann er angesprochen dass mittlerweile jeder 12. Ausfalltag mit einer psy- werden, oder führt dies zu einer Verschlimmerung chischen Diagnose verbunden ist. Darüber hinaus der Problemlage? Wie sollte ein sensibler und ver- führen psychische Erkrankungen überproportional antwortungsvoller Umgang mit der Erkrankung aus häufig zu Frühverrentungen und haben den Verlust sehen? Dies sind u.a. Fragen, mit denen Verantwort- des Arbeitsplatzes zur Folge. Die Ursachen für diese liche im Unternehmen konfrontiert sind. Erkrankungen sind dabei vielfältig und komplexer Natur. Zu ihrer Entwicklung tragen gesellschaftliche Seelische Probleme gehören in den privaten Be- Faktoren, z. B. Angst vor Arbeitplatzverlust oder reich, über sie sollte am Arbeitsplatz nicht gespro- Stress und Überbelastung in der Arbeitswelt, ebenso chen werden, befinden auch heute noch viele Bür- bei wie individuelle Dispositionen. ger, trotz größer werdender Offenheit. Betroffene Menschen verschweigen deshalb häufig ihre psy- Die Zunahme der Erkrankungen, der Anstieg der chischen Krisen und ihre Krankheit aus Scham und Fehltage und der damit verbunden Kosten sowie Angst um ihren Arbeitsplatz. Erschwerend kommt die Sorge um die Gesundheit der Mitarbeiter rücken für die Betroffenen hinzu, dass Personalverantwort-
Die Fakten liche häufig signalisieren, psychisch beeinträchtigte rechtzeitiges Eingreifen und Handeln größeren Kri- Menschen seien aufgrund häufigerer Krankschrei- sen vorzubeugen und dem betroffenen Mitarbeiter bungen ökonomische „Risikofaktoren“ für das Un- frühzeitig Unterstützung zu geben. So können mög- ternehmen, nicht bedenkend, dass dies ebenfalls licherweise Fehlzeiten verringert, die Chronifizierung für Extremsportler, für rasante Fahrer oder Raucher der Krankheiten verhindert, der Arbeitsplatz erhalten zutreffen kann. und das Know-how des Mitarbeiters im Betrieb be- lassen werden. Psychische Leiden sind nach wie vor tabuisiert und haben Ausgrenzungen und Stigmatisierung zur Folge. Sie führen zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität der Betroffenen, der Angehörigen und im sozialen Umfeld. Vor diesem Hintergrund haben die Familien- Selbst- hilfe Psychiatrie (BApK e.V.) und der BKK Bundes- verband gemeinsam ein Projekt ins Leben gerufen mit dem Ziel, im beruflichen Umfeld psychisch Er- krankter präventiv für die Betroffenen tätig zu wer- den und gleichzeitig den Unternehmen Hilfestellung für den Umgang mit erkrankten Mitarbeitern anzu- bieten. Ein Mehr an Wissen und Information über diese Erkrankungen bietet die Möglichkeit, durch
Die Praxishilfe Die vorliegende Praxishilfe wendet sich an Füh- zungsangebot für Vorgesetzte und Personalverant- rungskräfte und Personalverantwortliche in großen wortliche entwickelt, die in zahlreichen Unternehmen Unternehmen. Sie soll sowohl Vorgesetzte wie Kolle- auf breites Interesse stieß. Diese je nach Interessen- gen ermutigen, Mitarbeiter, die Probleme durch Ver- lage des Unternehmens drei bis fünfstündige Veran- halten oder durch Leistungsveränderungen signali- staltung wird von Vertretern der Selbsthilfe, nämlich sieren, frühzeitig anzusprechen, ihnen Unterstützung Angehörigen psychisch Kranker, in den Betrieben anzubieten und eine Betriebskultur zu etablieren, die durchgeführt. Die Angehörigen betroffener Men- psychischer Gesundheit ebenso viel Bedeutung bei- schen sind als Gesundheitsbeauftragte der Selbst- misst wie körperlicher Gesundheit Die Praxishilfe ist hilfe für diese Tätigkeit geschult. Sie geben ihr Wis- zwar kein „Rezeptbuch“ oder eine „Checkliste“ zum sen, ihre gelebten Erfahrungen und ihre jahrelang Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern, bein- erworbene Kompetenz über diese Erkrankungen und haltet aber Basisinformationen über Auswirkungen über den Umgang mit den Betroffenen an interes- psychischer Krankheiten und kann für Vorgesetzte, sierte Unternehmen weiter. Die Rückmeldungen und Kollegen und betriebliche Helfer eine Unterstützung Erfahrungen zeigen denn auch: die Teilnehmer der sein. Schulungsveranstaltungen profitieren von dem Wis- sen der Angehörigen. Fragen zu Krankheitsbildern, Die Praxishilfe ist ein Baustein des Kooperationspro- den Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf jektes der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie mit dem die Arbeitssituation oder einem stationären Aufent- BKK Bundesverband. Als weiteres Ergebnis wurde halt konnten ebenso beantwortet werden wie Fra- eine Schulungs- und Informationsveranstaltung auf gen zum Umgang mit psychisch erkrankten Kollegen Grundlage des „H-I-L-F-E Konzepts“ als Unterstüt- oder Mitarbeitern. Mit den Veranstaltungen kann die
Die Praxishilfe Selbsthilfe der Arbeitswelt als unterstützender und professioneller Partner für betriebliche Gesundheits- politik zur Seite stehen. Die Praxishilfe bietet auch Unterstützung für be- triebliche Helfer, z. B. für Betriebs- und Personalräte, Integrationsteams und betriebliche Arbeitskreise. So enthält der erste Teil des Leitfadens Basisinfor- mationen über psychische Erkrankungen, Krank- heitsbilder und das Erkennen psychischer Erkran- kungen im Arbeitsumfeld. Im zweiten Teil wird das „H-I-L-F-E Konzept“ vorgestellt, das den verantwort- lichen Vorgesetzten als Handlungshilfe für Maßnah- men dienen kann, die im Umgang mit dem Betroffe- nen notwendig werden. Angelehnt an den gestuften Interventionsplan zum Umgang mit Suchterkrankten ist das im Projekt entwickelte „H-I-L-F-E Konzept“ Grundlage für die Gespräche mit Mitarbeitern, die unter einer psychischen Störung leiden.
10 „Normal“ und psychisch krank – zwei Seiten einer Medaille Sabine Blocher: Klaus Kraft: 34- jährige Juristin, arbeitet halbtags zusammen Herr Kraft ist 54 Jahre alt, er hat in einem Geldins- mit Frau H. und Herrn W. in der Rechtsabteilung titut von der Pike auf gelernt und sich in 35 Jahren einer großen Versicherung. Das Verhältnis zu ihren zum Leiter der Kreditabteilung hochgearbeitet. Die Arbeitskollegen ist freundlich und sachlich. Ab und Fusion mit einem anderen namhaften Geldinstitut zu trinken sie einen Kaffee in der Mittagspause zu- ist geplant. Herr Kraft sieht für sich eine Chance, sammen. Anfang des Jahres ärgern sich die Kolle- beruflich weiter aufzusteigen. Er ist bereit, diese gen allerdings mehrfach über Frau Blocher. Diese neue Herausforderung anzunehmen. Die an ihn hat Arbeitsaufträge vergessen oder unvollständig gestellten Erwartungen seiner Vorgesetzten, die- erledigt, auf diesbezügliches Nachfragen reagiert se Neuorientierung zu meistern, sind hoch. Seine sie nicht. Ein sehr ungewöhnliches Verhalten, das Frau hatte sich zudem erhofft, er werde häufiger die Kollegen von Frau Blocher bisher nicht kennen. zu Hause anwesend sein, zumal die beiden halb- Überhaupt wirkt die Sachbearbeiterin sehr „verän- wüchsigen Kinder mehr Probleme machen. Eine dert“. In den nächsten Wochen kommt sie verspä- familiäre Krise droht. tet zur Arbeit, wirkt müde, kraftlos und erschöpft. Die Kollegen erledigen Frau Blochers Aufträge Herr Kraft schläft seit Wochen schlecht, wacht zunächst mit. schweißgebadet auf und kann nicht wieder ein- schlafen. Er ist zunehmend beunruhigt darüber, Die Kollegen reden beim gemeinsamen Mittages- zumal sich tagsüber auch Herzrasen und Atemnot sen über die Situation. Herr W. plädiert dafür, al- einstellen. Kollegen haben ihn schon auf seine sicht- les auf sich beruhen zu lassen und abzuwarten. bare Unruhe angesprochen. Eine Sitzung muss er Wahrscheinlich habe Frau Blocher persönliche fluchtartig verlassen, sehr zur Verwunderung des Probleme, sei krank oder irgendetwas Ähnliches, Vorstandes. Herr Kraft ist sich sicher, die Vorboten und das gehe keinen etwas an. eines Herzinfarkts zu erleben. Er hat Angst, sein Va- ter ist an einem Herzinfarkt gestorben. Körperliche Sollen die Mitarbeiter Frau Blocher einfach anspre- Untersuchungen bleiben allerdings ohne Befund. chen? Oder sollen sie lieber so tun, als sei alles Seine Beschwerden am Arbeitsplatz nehmen zu, er „normal“? zieht sich mehr und mehr von den Kollegen zurück, bleibt einfach zu Hause. Sein beruflicher Aufstieg ist gefährdet. Es ist offensichtlich: Irgendetwas stimmt nicht mit Herrn Kraft. Aber was? Und vor allem, was ist zu tun?
„Normal“ und psychisch krank – zwei Seiten einer Medaille 11 Beide Mitarbeiter haben sich in ihrem Sozial- und ihrem stark abweichenden Verhalten, nicht nur weil Leistungsverhalten verändert, wirken aus dem sie ausgegrenzt werden, sondern auch weil sie sich Blickwinkel der anderen Beschäftigten nicht mehr nicht anders verhalten können. „normal“. Was die Veränderung ausgelöst hat, ist Die meisten Menschen haben schon Extremsituatio- für Kollegen und Vorgesetzte nicht nachvollziehbar. nen erlebt, in denen ihr Verhalten und Erleben nicht Sie sind unsicher, wie sie sich verhalten sollen und der Norm entsprach. Sie hatten das Gefühl „neben wie der „richtige“ Umgang mit dem Mitarbeiter oder sich“ zu stehen, sich im Spannungsfeld zwischen Kollegen aussehen kann. „normal“ und „unnormal“ zu bewegen und dabei Die Mitarbeiter in beiden Beispielen könnten in jedem die Erfahrung zu machen, dass der Übergang von Unternehmen arbeiten, im Dienstleistungs- oder im einem psychischen Zustand in den anderen fließend produzierenden Bereich, in Unternehmen verschie- ist. denster Branchen, in Verwaltungen und Organisati- onen, denn jeder dritte Mensch erkrankt einmal im Häufige, intensive und lang andauernde Normab- Leben so schwer an einem seelischen Leiden, dass weichung des Erlebens, Befindens und Verhaltens er einer psychiatrischen Behandlung bedarf. führen zu der Vermutung, dass bei dem betroffe- nen Menschen eine seelische Erkrankung vorliegen Innere Erlebnis- und Verarbeitungsweisen eines könnte. Menschen sind zunächst für Außenstehende un- Diese Erkrankungen werden in der Internationalen sichtbar und individuell sehr unterschiedlich. Was Klassifikation der Krankheiten als „Psychische und für den einen Menschen eine Herausforderung ist, Verhaltensstörungen“ 1 beschrieben. kann für den anderen bedrückend sein und eine Die Symptome der betroffenen Personen können Krise auslösen. Wenn aus den Erlebnis- und Verar- dabei zahlreich und wechselhaft sein, sie hängen beitungsweisen ein Verhalten hervorgeht, das be- vom Krankheitsbild und der speziellen Diagnose ab. stehende Normen „ver-rückt“ und deshalb auf die Oft gehen einzelne Krankheitsbilder ineinander über Umwelt unerklärlich, sonderbar oder gar bedrohlich und sind vom Symptombild her nicht klar voneinan- wirkt, neigt man dazu den Menschen als „nicht nor- der abgrenzbar, die Diagnosen selbst für Fachleute mal“ zu bezeichnen. Häufig wird dabei übersehen, schwer zu stellen. dass gerade Personen, die von fest gefügten Denk- weisen abweichen, als „Querdenker“ sehr kreative Bei länger andauerndem Krankheitszustand bedeu- Menschen mit innovativen Fähigkeiten sind. ten vor allem die sozialen Beeinträchtigungen in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Freizeit eine Ein- Ob ein Mensch als „psychisch krank“ gilt, ist aller- schränkung der Lebensqualität für die Betroffenen. dings abhängig von der Intensität, der Dauer und Wie bei körperlichen Krankheiten gibt es auch bei der Häufigkeit des „ver-rückten“ Verhaltens. Die psychischen Krankheiten ebensolche Schweregrade. meisten psychisch kranken Menschen leiden unter Sie können ausheilen oder auch chronisch werden, 1 Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, Version 2006 (ICD-10), Kap.V (F)
12 „Normal“ und psychisch krank – zwei Seiten einer Medaille ebenso wie dies z. B. bei Herzerkrankungen oder der Klapse? Du bist verrückt!“ Dies sind Aussagen, Bluthochdruck geschehen kann. Seelische Leiden mit denen Menschen mit einer psychischen Störung sind heute gut behandelbar, z. B. mit Medikamen- immer noch konfrontiert werden. Deshalb gehen ten und Psychotherapien, genauso wie körperliche Betroffene vielfach gar nicht oder zu spät zum Arzt, Erkrankungen mit geeigneten Therapien behandelt sie verschweigen ihre Krankheit aus Angst vor den werden können. unangenehmen Folgen einer psychiatrischen Dia- gnose. Wie jeder körperlich erkranken kann, so kann auch jeder von einem seelischen Leiden betroffen werden. Wie das Beispiel von Klaus Kraft zeigt, kann Es können junge wie alte Menschen erkranken, Män- auch bei anhaltender körperlicher Symptomatik ner wie Frauen, intelligente wie weniger intelligente, ein seelisches Leiden zu Grunde liegen. Wichtig prominente wie nicht-prominente Personen. ist sowohl für Betroffene wie für Arbeitgeber die Erkenntnis, dass psychische Erkrankungen, Menschen, die psychisch erkranken, haben aller- die nicht rechtzeitig behandelt werden, sich ver- dings mit wesentlich mehr Schwierigkeiten zu kämp- schlimmern und langfristig chronisch verlaufen fen als Menschen, die körperlich krank werden. Kör- können. perliche Krankheiten finden im Arbeitsleben mehr Verständnis als psychische Probleme. „Du warst in
Belastungsfaktoren als Auslöser für eine psychische Erkrankung 13 Belastungsfaktoren als Auslöser für eine psychische Erkrankung Viele Menschen verbinden mit dem Gedanken an psychische Erkrankungen Begriffe wie Stress, Burn- out oder Mobbing. Dies sind aber keine psychischen Erkrankungen im medizinischen Sinne. Es sind je- doch Risikofaktoren, die die Seele belasten und das Entstehen einer ernstzunehmenden psychischen Krankheit begünstigen. Häufig gehen diese Er- scheinungsbilder mit körperlichen Symptomen wie Schlaflosigkeit, Herz-Kreislauferkrankungen oder Leistungsabfall einher. Stress Unter arbeitsbedingtem Stress werden körperliche und emotionale Reaktionen auf schädliche oder un- günstige Aspekte der Arbeit, des Arbeitsumfeldes oder der Arbeitsorganisation verstanden. Stresszu- stände entstehen häufig durch Mehrfachbelastungen und sind in der Regel mit dem Gefühl verbunden, die Situation nicht mehr bewältigen zu können und Syndroms eine bislang nicht diagnostizierte Depres- überfordert zu sein. sion. Ob eine Person in einer bestimmten Arbeitssituati- Mobbing on Stress empfindet, ist individuell unterschiedlich und u. a. abhängig von der Übereinstimmung der Unter Mobbing wird verstanden, wenn ein im Ar- vorhandenen Qualifikationen mit den verlangten beitsumfeld Unterlegener über längere Zeit Angrif- Anforderungen. Wahrnehmung, Interpretation und fen durch Kollegen oder Vorgesetzte ausgesetzt ist. Bewertung von bestimmten Arbeitssituationen spie- Der Betroffene sieht keine Möglichkeit, sich gegen len ebenso eine Rolle wie die inneren und äußeren die Diskriminierung oder den Ausschluss aus der Ressourcen und Bewältigungsstrategien, die dem beruflichen Gemeinschaft zu wehren. Mobbing kann Beschäftigten zur Verfügung stehen. verschiedene Ausdrucksformen haben: durch Schä- digung der sozialen Beziehungen oder des Ansehens Burn-out Syndrom des Betroffenen, indem Gerüchte verbreitet werden oder die Kompetenz in Frage gestellt und der Mitar- Als Burn-out Syndrom bezeichnet man einen Er- beiter ignoriert wird. schöpfungszustand, ein seelisches Ausgebranntsein, bis hin zur völligen Kraftlosigkeit. Dies sind Sympto- me, die vor allem im Arbeitskontext auftreten und Menschen treffen, die sich über die Maßen in ihrem Arbeitsleben engagiert haben. Viele Fachleute ver- muten hinter dem Erscheinungsbild eines Burn-out
14 Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben Psychische Störungen stehen mittlerweile auf Rang Depressionen vier der häufigsten Leiden, noch vor den Erkrankun- gen des Kreislaufsystems. Laut BKK Gesundheitsre- Depressionen gehören zu den affektiven Störungen, port 2005 hat sich der Anteil der psychischen Stö- d.h. Störungen von Gefühl und Stimmung, die häufig rungen am Krankenstand in den letzten 20 Jahren mit Angst einhergehen und sich auf die Gesamtper- fast vervierfacht. Die Gründe für den Anstieg liegen sönlichkeit eines Menschen auswirken. Ca. 5 Prozent vermutlich sowohl in einer wachsenden Zunahme der Bevölkerung leiden zurzeit an einer Depression. der Erkrankungen, in einem wachsenden Frauenan- Die Menschen beschreiben ihre Empfindungen so, teil bei den BKK Pflichtmitgliedern als auch in verän- dass sie den „Geschmack am Leben“ verloren ha- derten Diagnosestellungen der Ärzte.2 ben. Anders als Befindlichkeitsstörungen, denen jeder Mensch unterliegt und die vorübergehender Im Arbeitsleben kommen vor allem Depressionen Natur sind, ist die Depression eine behandlungs- und Angsterkrankungen zunehmend häufiger vor, bedürftige Erkrankung, die in schweren Fällen zum gelegentlich auch schizophrene Psychosen. Suizid führen kann. Eine Depression beginnt selten plötzlich, sondern fast immer schleichend, meist tritt sie als sog. Episode oder in Phasen auf. In allen westlichen Industrieländern ist eine starke Zunahme der Krankheit zu verzeichnen. Neben den Angststö- rungen ist die Depression die häufigste psychische Erkrankung. Symptome bei Depressionen Depressionen äußern sich häufig in körperlichen Symptomen. Eines der auffälligsten Symptome bei Depressionen sind Schlafstörungen. Der Rhythmus des Schlafes kann völlig verändert sein und variie- ren. Manche Betroffene verlieren den Appetit, essen kaum noch etwas und nehmen stark an Gewicht ab. Weitere körperliche Beschwerden können Schweiß- ausbrüche, Herzklopfen, häufig auch Rückenschmer- zen, rasche Erschöpfung und Kraftlosigkeit sein. De- pressive Menschen bezeichnen diesen Zustand auch häufig als „innere Lähmung.“ 2 BKK Gesundheitsreport 2005 S.95
Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben 15 Depressionen im Arbeitsbereich Vorher aktive und integrierte Persönlichkeiten neh- Faktoren wie z. B. Stress oder negative Lebensereig- men an Veranstaltungen mit Kollegen nicht mehr nisse stärker belastet fühlen und fortgesetzte Belas- teil, wirken unsicher und tieftraurig. Kritik an der tungen ihr Bewältigungsvermögen auf Dauer über- Leistung oder dem Verhalten kann zu starken Selbst- fordern. Diese Erklärung wird unter Fachleuten auch zweifeln führen. als das „Vulnerabilitäts-Stress-Modell“ bezeichnet. Auslöser für eine depressive Erkrankung können Am Arbeitsplatz werden vor allem Aufmerksamkeits- auch im Verlust eines Partners, im Verlust des Ar- und Antriebsstörungen auffällig. Flüchtigkeitsfehler beitsplatzes, aber auch schon in einem Umgebungs- treten vermehrt auf, Arbeitsabläufe werden häufi- wechsel liegen. Eine weitere Ursache wird in gene- ger kontrolliert und unterbrochen. Der Beschäftig- tischen Anlagen gesehen, d. h. in Familien, in denen te ist unkonzentriert, vergesslich, häufig zerfahren. eine Depression auftritt, wird die Wahrscheinlichkeit Unpünktlichkeit und vermehrte Pausen treten auf. größer, an einem solchen Leiden zu erkranken. Eine Aufträge können nicht mehr vollständig erledigt direkte Erbkrankheit ist die Depression jedoch nicht. werden, weil dem Betroffenen die Kraft fehlt. In der Als Ursache für Depressionen werden ebenfalls Stö- Umgebung stoßen solche Verhaltensweisen häufig rungen des Hirnstoffwechsels vermutet, bei denen auf Unverständnis und die Erkrankten gelten als Si- die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin aus der mulanten oder Drückeberger. Bei den Betroffenen Balance geraten sind. Durch diese Stoffwechselstö- tritt in Folge der Krankheit häufig Panik auf, die Ar- rungen sinkt die Fähigkeit, positive Gefühle zu emp- beit nicht mehr bewältigen zu können und als Kon- finden. Diese Stoffwechselstörungen können auch sequenz den Arbeitsplatz zu verlieren. durch einschneidende Lebensereignisse verursacht werden. Es setzt ein Kreislauf von Schuld, Versagen, dem Ausdrücken von Wert-, Entschluss- und Hoffnungs- Behandlung und Prognose losigkeit ein („Ich bin nichts wert, ich bin unzumut- Depressionen sind heute in den meisten Fällen gut bar, keiner kann mir helfen“). behandelbar. Sie werden i. d. R. mit einer Kombinati- on aus Medikamenten (Antidepressiva) und psycho- Depressiv Erkrankte äußern Gedanken über Selbst- therapeutischen Verfahren behandelt. Zu diesen ge- mordabsichten und sehen häufig keinen Ausweg hören unterstützende Methoden wie Entspannungs-, mehr aus dem Negativkreislauf. Suizidäußerungen Ergo- oder Bewegungstherapie. Eine wichtige Rolle sind auf jeden Fall ernst zu nehmen. Bei Suizidgefahr bei der Behandlung spielt die Psychoedukation. Dar- sollte eine stationäre Aufnahme erfolgen. unter werden Interventionen zusammengefasst, die darauf abzielen, Patienten und Angehörige über die Ursachen Erkrankung zu informieren und den selbstverant- Die Ursachen einer Depression sind von vielen Fak- wortlichen Umgang des Betroffenen mit der Krank- toren abhängig. Es gibt keine einzelne Ursache, erst heit zu fördern. das Zusammenwirken unterschiedlicher innerer und äußerer Faktoren lässt eine Depression ent- 60 bis 80 Prozent der Betroffenen kann geholfen wer- stehen. Dazu zählt eine besondere anlagebedingte den, wenn eine Behandlung nach geltenden Richtli- Verletzlichkeit und eine ausgeprägte Feinfühligkeit, nien erfolgt. Wichtig ist dabei, dass der an Depressi- d.h. sensible, dünnhäutige Menschen laufen eher on Erkrankte die Behandlung mit trägt und nicht zu Gefahr, psychisch zu erkranken, da sie sich durch früh abbricht.
16 Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben ipolare Störungen B (manisch-depressive Erkrankungen) Eine besondere Form der affektiven Störungen sind Manie im Arbeitsbereich die sogenannten bipolaren affektiven Störungen, die In der manischen Phase sind die betroffenen Men- früher manisch-depressive Erkrankungen hießen. In schen, nicht nur im privaten Bereich sondern auch im Deutschland leben ca. zwei Millionen Menschen, Arbeitsumfeld, voller Tatendrang und Euphorie. Sie die von der Störung betroffen sind. Die Erkrankten schlafen wenig, sind voller Energie, heiter, arbeiten schwanken zwischen Trübsinn und Euphorie, d.h. exzessiv mit hektischer Aktivität, jedoch häufig mit neben depressiven Phasen treten Episoden beson- fehlender Kontinuität. Das Denken ist häufig beschleu- derer Aktivität und gehobener Stimmung auf. An nigt, der Rededrang gesteigert, das Selbstwertgefühl bipolaren Störungen erkrankte Personen haben ein gehoben bis übersteigert. Die Betroffenen erleben 30fach erhöhtes Suizidrisiko gegenüber der Normal- eine Steigerung des Lebensgefühls, am Arbeitplatz bevölkerung. Bei vielen Betroffenen bestehen die wirken sie auf Kollegen wie der „Hans Dampf“ voller Episoden in sich lang hinziehenden Depressionen Kraft und Überzeugung und sie gelten als engagierte und vergleichsweise kurzen und heftigen manischen Mitarbeiter. Je nach Ausprägung des Krankheitsbil- (euphorischen) Phasen oder in einer ständigen Un- des kann auch die gereizte Stimmungslage im Vorder- ausgeglichenheit der Stimmungslage. Die Episoden grund stehen und es kommt vermehrt zu Konflikten lassen sich nicht immer klar voneinander abgrenzen. mit Kollegen. Problematisch im privaten Umfeld wie Die Dynamik der depressiven und manischen Denk- im Arbeitsbereich sind die unüberschaubaren finan- muster bewegt sich dabei zwischen Selbstentwer- ziellen Aktionen und Unternehmungen, zu denen es in tung und Selbstüberschätzung, im Volksmund mit der manischen Phase kommen kann und die häufig für „Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt“ bezeich- alle Beteiligten gravierende Folgen haben. net. Ursachen Symptome Wie bei den Depressionen und anderen psychischen Die häufigsten Symptome einer bipolaren Erkran- Erkrankungen sind die Ursachen von vielen Faktoren kung sind wie bei der depressiven Erkrankung u.a. abhängig und liegen in einer vermuteten anlagebe- Schlafstörungen, Ängste, Unruhe, Antriebsarmut dingten Verletzlichkeit, einer biologisch-genetischen und Gefühlshemmungen, Interesselosigkeit und Empfänglichkeit und Störungen des Hirnstoffwech- Selbstwertprobleme. In der manischen Phase treten sels, wie sie auch bei den Auslösern für eine depres- u.a. euphorische Emotionen, übersteigerte Aktivi- sive Erkrankung vermutet werden. tät, plötzlich gereizte, gelegentlich auch aggressive Stimmungslage auf. Das Schlafbedürfnis ist gemin- Behandlung und Prognose dert, im motorischen Bereich weisen die Betroffenen Eine bipolare affektive Störung ist eine behandlungs- eine große Unruhe mit Sprunghaftigkeit im Handeln bedürftige Erkrankung und kann mit medikamentö- auf. ser Therapie, mit Psychotherapie (häufig Verhaltens- therapie) und Psychoedukation meistens effektiv be- Die Symptome variieren je nach Ausprägung des handelt werden, so dass sich die Symptome zurück- Krankheitsbildes und können sich je nach Persön- bilden. Wichtig sind dabei ein frühzeitiges Erkennen lichkeit des Betroffenen unterschiedlich darstellen. der Erkrankung und ein intensives Mitarbeiten der Betroffenen auch über die akute Krankheitsphase hinaus. In der Stabilisierungsphase sollte die Be- handlung fortgeführt werden, um einen Rückfall zu vermeiden.
Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben 17 Angststörungen Angst ist Teil des menschlichen Lebens, ein hilfrei- Symptome ches, oft lebenswichtiges Signal des Körpers und Symptome der Angst und Panik, oft nur schwer eine biologisch sinnvolle Reaktion, die den gesam- voneinander abzugrenzen, sind häufig Störungen, ten Organismus auf ein schnelles Reagieren in einer die am ganzen Körper auftreten und von Person zu Gefahrensituation vorbereitet. Person sehr unterschiedlich sein können. Beispiel- haft seien hier genannt: Schlafstörungen, Schwindel, Von Angststörungen spricht man dann, wenn sehr Herzrasen, Zittern, Erröten, Störungen im Magen- heftigen Angstreaktionen keine entsprechenden Ge- Darm-Bereich und Störungen im Bereich geistiger fahren oder realen Bedrohungen zugrunde liegen. Funktionen wie Gedächtnisstörungen. Auch Ent- Der Übergang von der normalen Angst zur behand- fremdungssymptome oder Unruhe können Sympto- lungsbedürftigen Krankheit ist fließend. Bis eine me einer Angsterkrankung sein. Die Diagnose wird Angststörung diagnostiziert wird, vergehen in der häufig sehr spät gestellt, da die körperlichen Sym- Regel mehrere Jahre. Anhaltspunkt für eine krank- ptome im Vordergrund stehen. Fast alle Menschen hafte Störung kann sein, wenn Angstgefühle über kennen Symptome der Angst aus eigenem Erleben, eine längere Dauer, zu oft und zu stark auftreten und ohne jedoch an einer Angststörung zu leiden. ohne fremde Hilfe nicht mehr bewältigt werden kön- nen. Die Erwartung, die „Angst vor der Angst“, ist Angststörungen im Arbeitsbereich stark ausgeprägt und der betroffene Mensch zieht Angststörungen können eine beträchtliche Auswir- sich zunehmend aus seinem sozialen Umfeld zurück. kung auf die Lebensqualität der betroffenen Men- Angstauslösende Situationen werden vermieden und schen haben. Sie sind abhängig von der Art und häufig beginnen Versuche der Selbstbehandlung mit Schwere der Erkrankung. Eine Störung – wie an den Alkohol und Drogen. Die Angststörungen haben in Panikattacken von Klaus Kraft – dargestellt, führt z. B. den westlichen Industrieländern auch aufgrund von dazu, dass die Erkrankten mehr und mehr versu- Arbeitsdruck und damit verbundener Zeitknappheit chen, Angst auslösende Situationen zu vermeiden, stark zugenommen. Etwa 14,5 Prozent der Bevölke- sich aus ihrem sozialen Bezugsfeld zurückzuziehen rung erleben mittlerweile innerhalb eines Jahreszeit- und sich zu isolieren. Wird eine Angsterkrankung zu raums Angststörungen, Frauen sind häufiger betrof- spät als solche erkannt, kann dies im Extremfall zum fen als Männer. Verlust des Arbeitsplatzes und damit verbunden zum sozialen Abstieg des Betroffenen führen. Es gibt verschiedene Angststörungen, u.a. die soge- nannte generalisierte Angststörung, d.h. die Betrof- Wie bei den depressiven Erkrankungen können die fenen leiden unter unaufhörlichen Sorgen und einer betroffenen Menschen im Kollegenkreis häufig auf Dauerangst, die Panikstörungen mit Panikattacken Unverständnis stoßen und das „Nicht-können“ der aus heiterem Himmel, die Belastungsstörungen Angsterkrankten wird als ein „Nicht-wollen“ inter- nach einem Trauma (posttraumatische Belastungs- pretiert, der Betroffene als Simulant und Drücke- störung) und die Phobien. Phobien sind starke und berger angesehen. Bei der häufigsten Störung aus unangemessene Ängste, die sich auf bestimmte Ob- diesem Bereich, der Sozialphobie, haben die Betrof- jekte oder Situationen beziehen, z. B. Klaustrophobie fenen Angst, in der Öffentlichkeit zu versagen, z. B (Furcht vor beengten Räumen). Eine Unterscheidung vor den Kollegen, dem Vorgesetzten zu stottern, zu zwischen den Angststörungen kann nicht immer stolpern oder sich lächerlich zu machen. Häufig tre- scharf getroffen werden. ten mehrere Angststörungen in Kombination mitein- ander auf.
18 Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben Ursachen Die Ursachen für Angst- und Panikstörungen oder erlernt in Angst besetzten Situationen durch sorg- Phobien sind nicht eindeutig geklärt, es gibt nicht fältig geplante Therapieschritte ein neues Verhalten. eine Ursache, sondern so viele Ursachen, wie es Andere psychotherapeutische Methoden kommen verschiedene Menschen gibt. Diskutiert werden ver- ebenfalls zum Einsatz, so z. B. gesprächstherapeu- schiedene Hypothesen: tisch orientierte Methoden sowie Entspannungsver- Ein Ansatz besagt, dass die Angst eine erlernte Ver- fahren. In der Behandlung mit Medikamenten spielen haltensweise ist, z. B. wenn ein Kind die Angst vor heute vor allem zwei Gruppen von Psychopharmaka einem Gewitter über das „Modell“ der Mutter „er- (Medikamente, die auf die Psyche wirken) eine Rolle: lernt“. Eine zweite Hypothese besagt, dass es mög- die Antidepressiva, die ursprünglich zur Behandlung licherweise eine ererbte Neigung gibt, eine Angststö- von Depressionen entwickelt wurden und die Tran- rung zu entwickeln. Eine weitere Hypothese sieht in quilizer. Die Tranquilizer werden zur Akutbehandlung übermäßigem Stress, lang anhaltenden Belastungen und nur zur Überbrückung empfohlen bis die Wir- oder Überarbeitung Risikofaktoren für den Ausbruch kung des Antidepressivums einsetzt, da die meisten einer Angsterkrankung. Tranquilizer eine Sucht auslösende Wirkung zeigen. Bei einer Angststörung steht häufig die körperliche Behandlung und Prognose Symptomatik im Vordergrund und die hinter den kör- Behandelnde Ärzte und Therapeuten machen immer perlichen Beschwerden liegende Angsterkrankung wieder die Erfahrung, dass weniger die Ursachen als wird häufig zu spät diagnostiziert. So besteht die die aktuellen Lebensbedingungen und die Vorbe- Gefahr, dass die Erkrankung chronisch wird. Je zei- handlung einen großen Einfluss darauf haben, wie tiger die Diagnose und der Beginn der Behandlung der Betroffene seine Krankheit lebt und erlebt. erfolgt, umso günstiger ist die Prognose. Die hauptsächlich eingesetzte Therapie bei Angst- störungen ist die Verhaltenstherapie. Der Betroffene
Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben 19 Schizophrenien Die Schizophrenie gilt als die bekannteste psychi- nen können auftreten, häufig verbunden mit körperli- sche Erkrankung, sie zählt zu dem Krankheitsbild der cher Symptomatik wie Schlafstörungen, Herzklopfen Psychosen. Der Begriff Schizophrenie lässt sich mit oder Zittern. „gespaltene Seele“ übersetzen, bedeutet aber nicht „Persönlichkeitsspaltung“, wie früher oft behauptet Die Symptome einer Schizophrenie wirken auf die wurde. Beschrieben wird mit dem Begriff „schizo- Umgebung sehr absonderlich und beängstigend. Vor phren“ das Vorhandensein von zwei für den Betroffe- allem das Erleben, dass für den Betroffenen neben nen nebeneinander existierenden Wahrnehmungs- der von der Mehrheit wahrgenommenen Wirklich- welten. Schizophrenie ist eine kulturunabhängige keit zusätzlich eine andere Realität existiert, verunsi- Erkrankung, d.h. sie ist auf der ganzen Welt bei ca. chert Angehörige, Freunde und Kollegen sehr stark. einem Prozent der Bevölkerung zu finden. Die Schi- Wichtig für den Umgang ist, dass die Betroffenen zophrenie kann leicht, schwer, akut oder schleichend aufgrund ihrer veränderten Wahrnehmung oft von sein. Sie kann ausheilen, in einer einmaligen Episode starken Ängsten geplagt sind. Die Ängste können verlaufen oder chronisch werden. Der Erkrankungs- sich auf alle Lebensbereiche beziehen. Es kann sich beginn der Schizophrenie liegt häufig zwischen der Angst vor Personen, Gegenständen, Stimmen, Ge- Pubertät und dem 30. Lebensjahr. Oft sind junge räuschen oder Angst vor Verfolgung entwickeln. Die Menschen in sich verändernden Lebenssituationen Intelligenz bei der Schizophrenie ist nicht beeinträch- betroffen, z. B. am Beginn einer Ausbildung, am Ende tigt, allerdings kann die Fähigkeit, das intellektuelle des Studiums oder in der Wehrdienstzeit. Potential zu aktivieren, gemindert sein. Symptome Die Schizophrenie im Arbeitsbereich Psychosen beginnen in der Regel schleichend. Die Bei einsetzender Positivsymptomatik wird im Ar- ersten Anzeichen treten oft über Jahre auf und wer- beitsbereich wie im privaten Umfeld meist schnell den häufig nicht als Symptome einer Erkrankung er- offensichtlich, dass mit dem Betroffenen etwas nicht kannt. In einer akuten Phase unterscheidet man Ne- in Ordnung ist. Da psychotische Erkrankungen sich gativ- und Positivsymptome. Bei den Negativsymp- bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich tomen kommt es zu Aktivitätsverlust in bestimmten darstellen, können die Betroffenen auch mit sehr Bereichen, z. B. Antriebsarmut und Gefühlsverände- unterschiedlichen Frühwarnzeichen reagieren. Als rungen wie Gereiztheit, Niedergeschlagenheit oder „Frühwarnzeichen“ werden individuelle Anzeichen Abschwächung aller Gefühlsempfindungen. Im so- einer drohenden Überforderung bzw. eines Rückfalls zialen Bereich erschwert die Beeinträchtigung des bezeichnet. Für die Betroffenen und das Umfeld ist Denkens den Kontakt mit anderen. Der Erkrankte es wichtig, diese frühzeitig zu erkennen und darauf wird – auch aufgrund des Nicht-Verstehens des Ver- rechtzeitig und angemessen zu reagieren. Neben haltens – häufig von seiner Umwelt isoliert oder er körperlicher Symptomatik wie Schlafstörungen, zieht sich selbst zurück. Kopfschmerzen, Herzproblemen, die der Betroffene bei sich wahrnehmen kann, können im Arbeitsum- Positivsymptome werden so genannt, weil ein Mehr feld folgende sichtbare Veränderungen auftreten: an Merkmalen hinzukommt. Dies können z. B. sein: vermehrtes Fehlen und häufigere Pausen, der Über- Wahnwahrnehmungen und Wahnvorstellungen wie blick über die Arbeitsbereiche geht verloren, der religiöse oder politische Berufung, Verfolgungsängs- Betroffene wirkt bei seiner Tätigkeit teilnahmslos, te und Denkstörungen, verbunden mit dem Gefühl, unkonzentriert und unstrukturiert. Häufig werden andere könnten die eigenen Gedanken mitdenken. strenge Arbeitsrituale eingeführt. Bei Abweichung Optische und akustische Halluzinationen und Illusio- wird der Betroffene in starke Unruhe versetzt.
20 Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben Bei steigendem psychischem Druck kann der Kon- chosoziale Faktoren wie Familienerfahrung, Schule, sum von Alkohol und Drogen zunehmen. Regeln Ausbildung und Beruf können den Verlauf der Er- und Vorschriften, auch Sicherheitsvorschriften, kön- krankung beeinflussen. Organische Veränderungen nen missachtet werden. Kollegen und Mitarbeiter oder Veränderungen durch Unfälle können ebenfalls nehmen bei dem Betroffenen mitunter ein unerklär- das Auslösen einer Schizophrenie begünstigen. Bei liches, plötzlich auftretendes Misstrauen bzw. eine der Stabilisierung nach Eintritt der Erkrankung spielt Feindseligkeit wahr, die nicht durch Vorkommnisse ein positives soziales Umfeld eine wichtige Rolle. Als am Arbeitsplatz erklärt werden kann. Der betroffene gesichert gilt, dass der Gebrauch von Drogen, auch Mitarbeiter scheint wie ausgewechselt, vermutet von weichen Drogen und auch von geringen Men- hinter jedem Kollegengespräch eine Verschwörung. gen, das Auftreten einer Schizophrenie begünstigen Gelegentlich führt dies auch zu nicht erklärbarem, oder auslösen kann. aggressivem Verhalten des Betroffenen. Menschen mit depressiver Struktur ziehen sich eher aus sozi- Behandlung und Prognose alen Kontakten zurück. Insgesamt fällt der Betroffene Bei der Schizophrenie steht die medikamentöse mehr und mehr durch das Nachlassen seiner Arbeits- Behandlung mit Neuroleptika im Vordergrund der leistungen und durch Veränderung seines Verhaltens Therapie. Die Medikamente lindern die Symptome auf, das krankheitsbedingt seiner willkürlichen Steu- und erleichtern die weitere Begleitung und Behand- erung entzogen ist. lung der Erkrankung. Bei einem frühzeitigen Erkennen von Frühwarnsig- Eine psychotherapeutische Behandlung als unter- nalen kann eine Verschlimmerung verhindert bzw. stützende Therapie versucht das Selbstbewusstsein einem Rückfall vorgebeugt werden. des Betroffenen zu stabilisieren und die Persönlich- keit zu stärken. Auch die von den Ärzten verordnete Ursachen Soziotherapie als „Hilfe zur Selbsthilfe“ spielt bei der Die Ursachen der Schizophrenie sind bis heute un- Behandlung der Schizophrenie eine wichtige Rolle. geklärt. Wie bei anderen psychischen Erkrankungen kommt zu einer vermuteten angeborenen Verletz- Eine Schizophrenie verläuft häufig in mehreren lichkeit und einer besonderen Sensibilität eine ge- Episoden, wobei sie bei einem Drittel der Erkrankten netische Disposition hinzu. Es ist bekannt, dass Schi- nur einmalig auftritt. Bei zwei Dritteln der Betrof- zophrenie familiär gehäuft auftreten kann. Weiterhin fenen treten mehrmalige Episoden mit bleibenden spielen biochemische Einflüsse eine Rolle, man ver- Beeinträchtigungen auf. Die Krankheit kann aber mutet eine Stoffwechselstörung im Gehirn. Beim aufgrund des therapeutischen Fortschrittes der letz- Ungleichgewicht bestimmter infomationsleitender ten Jahrzehnte heute vielfach gut behandelt wer- Botenstoffe (wie z. B. Dopamin, Serotonin, Gluta- den. mat) kann eine Schizophrenie auftreten. Auch psy-
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22 Psychische Erkrankung und Suchterkrankungen Suchtprobleme und psychische Erkrankungen von ken. Beachtet werden sollte auch die Tatsache, dass Mitarbeitern haben wesentliche Auswirkungen auf Suchterkrankungen häufig in Verbindung mit einer die Arbeitsleistung, die Produktivität und das Be- psychischen Erkrankung auftreten und psychische triebsklima. Heute begegnen viele Unternehmen Erkrankungen ebenso häufig begleitet werden von der Alkoholerkrankung bereits erfolgreich mit Auf- Suchtmittelgebrauch. klärungskampagnen, der Ausbildung von betriebli- chen Suchtberatern und Betriebsvereinbarungen. Beiden Krankheitsbildern ist eine Wesens- und Leis- tungsveränderung der Betroffenen gemeinsam, die Die nicht suchtbedingten psychischen Erkrankungen von Kollegen bzw. Vorgesetzten angesprochen wer- sind in den Betrieben heute auf dem Vormarsch und den muss. Von Seiten des Betriebes ist es wichtig, es steht zu befürchten, dass sie zukünftig zahlenmä- die Bereitschaft zur Unterstützung, zur partnerschaft- ßig die durch Alkohol bedingten Störungen überstei- lichen Hilfe auszudrücken, sowohl durch Vorgesetzte gen werden. Bei Mitarbeitern, die Minderleistungen als auch durch betriebliche Helfer. In den meisten oder auffällige Verhaltensweisen zeigen, ist also Betrieben steht den Vorgesetzten ein gestufter Inter- immer auch an den Beginn einer seelischen Krise ventionsplan für den Umgang von Beschäftigten mit und nicht allein an Suchtmittelmissbrauch zu den- Suchtproblemen zur Verfügung.
23 Gemeinsamkeiten von psychischen Erkrankungen Die Ursachen für fast alle psychischen Erkrankungen lanten“ und „Drückeberger“ beschimpft zu werden. sind unklar, es wird das Vulnerabilitäts-Stress-Modell Dies führt häufig zum Verschweigen oder Leugnen (besondere Verletzlichkeit in Verbindung mit Stress) von Krankheitssymptomen und in Folge zu einer zu im Zusammenwirken mit genetischen sowie bioche- späten Behandlung und einer Verschlimmerung der mischen und psychosozialen Einflussfaktoren disku- Krankheit. Fast alle psychischen Erkrankungen ha- tiert. Psychische Erkrankungen lösen häufig starke ben gemeinsam, dass die Betroffenen zeitweilig nur Ängste und Unsicherheiten aus, sowohl bei den Be- noch eingeschränkt ihre sozialen Rollen wahrneh- troffenen selbst als auch bei den Vorgesetzten und men können, z. B. in der Familie, im Betrieb oder im Kollegen, die Veränderungen in der Persönlichkeit, Freundeskreis und die an sie gestellten Erwartungen im Verhalten und in der Leistungsfähigkeit des be- nicht mehr erfüllen. Die betroffenen Menschen sind troffenen Mitarbeiters wahrnehmen. in ihrer Persönlichkeit plötzlich verändert und ver- halten sich anders als vorher, ohne dass das Umfeld Dazu kommt bei den Kranken die Angst, sich im dafür eine Erklärung findet. Dies wird von der Umge- Kollegen- und Freundeskreis zu „outen“. Sie schä- bung häufig zusammengefasst mit der Bemerkung men sich ihrer Krankheit und befürchten, als „Simu- „der/ die Person ist aber komisch geworden.“ Zusammenfassung eder Mensch kann psychisch krank werden, genauso wie jeder Mensch auch körperlich erkranken J kann. Psychische Erkrankungen können in jedem Unternehmen, in jeder Branche vorkommen. Die Zahl der seelischen Erkrankungen steigt dramatisch an. s gibt keine eindeutigen Ursachen für psychische Erkrankungen, sondern es wirken verschiedene E Faktoren zusammen. sychische Erkrankungen sind behandelbar, genauso wie körperliche Erkrankungen behandelbar sind. P Je früher eine Therapie beginnt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung nicht chronisch wird. ntgegen vielen Vorurteilen sind seelisch Erkrankte nicht geistig behindert, sondern normal intelligent. E Sie verfügen häufig über ein sehr kreatives Potential und sind sehr sensible Menschen. Unter einer psychischen Erkrankung kann es allerdings vorkommen, dass die Fähigkeit, das intellektuelle Potential zu aktivieren, gemindert ist.
24 Erkennen einer psychischen Erkrankung im Arbeitsumfeld Zeigt ein Mitarbeiter auffällige Wesens-, Verhaltens-, A. seinen Schreibtisch schon immer fast „zwang- und Leistungsveränderungen, ohne dass für Au- haft“ aufgeräumt verlässt, so ist dies „normal“. Für ßenstehende ein erkennbarer Grund vorliegt, muss Herrn B. wäre es „unnormal“, ist er doch seit Jahren an den Beginn einer psychischen Krankheit gedacht als „Sonderfall“ in der Firma dafür bekannt, dass er werden. Hierbei ist zwischen einer Befindlichkeitsstö- seinen Schreibtisch chaotisch verlässt. Doch selbst rung („nicht-so-gut-drauf-sein“), die jeder Mensch ein einmaliges „sich anders Verhalten“ ist natürlich kennt und zwischen einer behandlungsbedürftigen kein Grund, bei Herrn B. eine psychische Krise zu Erkrankung zu unterscheiden. Für Außenstehende ist vermuten, denn nicht jede Veränderung eines Men- diese Entwicklung nur schwer zu erkennen und häu- schen oder verändertes Verhalten, auch wenn dieses fig unklar, ob das veränderte Verhalten auf eine psy- auf den ersten Blick ungewohnt und merkwürdig er- chische Erkrankung zurückzuführen ist und der Be- scheint, ist gleich psychiatrisch relevant. Auch haben troffene sich nicht wie „früher“ verhalten kann, oder psychische Erkrankungen zunächst nicht zwingend ob das veränderte Verhalten die Folge mangelnden eine Leistungseinschränkung zur Folge. Verände- Wollens ist. Zudem hat jede Erkrankung ihre individu- rungen im Leistungsbereich können natürlich völlig elle Ausprägung mit einem individuellen Symptom- unabhängig von einer psychischen Erkrankung auf- bild, ähnlich wie dies z. B. bei einem Blutdruckleiden treten und eine andere Ursache haben. Ob es sich oder anderen körperlichen Erkrankungen der Fall ist. bei den Veränderungen eines Mitarbeiters um eine Die Vorstellung, an einer psychischen Erkrankung zu vorübergehende Situation oder den Beginn einer Er- leiden, ist zudem für viele Menschen so angstbesetzt, krankung handelt, kann selbstverständlich nur von erschreckend und beunruhigend, dass selbst bei of- einem Arzt und nicht von Vorgesetzten oder von Kol- fensichtlicher Symptomatik die Krankheitseinsicht legen beurteilt werden. nur schwer einsetzt. Viele Signale werden als „Cha- raktereigenschaft“ interpretiert, auch verharmlost, Erst fortgesetzte, über Wochen sich hinziehende Än- sowohl von den Betroffenen selbst wie vom Umfeld derungen in der Persönlichkeit, zusammen mit vie- als „normales“, vielleicht etwas skurriles Verhalten len anderen Leistungs-, Wesens-, und Verhaltensän- bewertet. derungen sollten an den Beginn einer psychischen Beeinträchtigung denken lassen. Zusammengefasst Um beurteilen zu können, ob einzelne Verhaltens- gehören im Arbeitsalltag neben den bei der Depres- weisen nicht Ausdruck eines individuellen Charak- sion, den Angsterkrankungen und den Schizophre- ters sind, ist es wichtig, die Persönlichkeit des Men- nien angeführten Symptomen nachfolgende Funk- schen im Gesamtkontext und über einen längeren tionseinbußen zu den Veränderungen bei psychisch Zeitraum zu sehen. Kennt jemand einen Menschen instabilen Mitarbeitern: nur kurz, kann er nicht beurteilen, welche Eigenar- ten zur Persönlichkeit gehören oder was Ausdruck einer wesensmäßigen Veränderung ist. Wenn Herr
Erkennen einer psychischen Erkrankung im Arbeitsumfeld 25 bwohl die fachlichen Fähigkeiten vorhanden sind, O nungen und Sorgen in den Kollegenkreis zu tra- kommt es durch das Nachlassen der Konzentrati- gen. Dies führt vermehrt zu Konflikten innerhalb on und Merkfähigkeit zu Leistungseinbußen und von Teams. Die psychisch instabilen Personen verringertem Arbeitsvolumen. Die Betroffenen geraten schnell in die Rolle von Querulanten arbeiten langsamer, sie können Informationen oder gelten als schwierige Mitarbeiter. Die Fä- nicht mehr so schnell verarbeiten, kontrollieren higkeit auf die Konflikte einzugehen und flexibel ihre Arbeit häufiger und geraten eher in Zeit- und auf kommunikative Anforderungen zu reagieren, Termindruck. kann ebenfalls eingeschränkt sein. or allem die Veränderungen im Sozialverhalten V ie Kritikfähigkeit ist insofern herabgesetzt, als das D werden für Vorgesetzte und Kollegen, aber auch Kritisieren der Arbeitsleistung oder des Verhaltens für die Betroffenen selbst, im Arbeitsalltag schnell häufig als persönliche Abwertung oder Angriff zum Problem. Sie nehmen die beginnenden per- empfunden wird. sönlichen Veränderungen bei sich selbst wahr, sind durch die auftretenden Symptome häufig as Selbstvertrauen ist bei fast allen psychischen D beunruhigt und durch die zunehmende Verunsi- Erkrankungen eingeschränkt. Dadurch findet eine cherung ziehen sich manche Betroffenen komplett Vermeidung von Anforderungen und Belastung aus dem sozialen Leben zurück. Bei anderen Be- statt, es wird weniger Leistung erbracht, wodurch einträchtigten kommt es im Kollegenkontakt eher das Selbstvertrauen weiter verringert wird, bis hin zu gereiztem und ungeduldigem Verhalten und zum völligen Verlust der Selbstachtung (Negativ- die Betroffenen neigen dazu, die inneren Span- kreislauf).
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Was tun? – Das „H-I-L-F-E Konzept“ für Unternehmen 27 Was tun? – Das „H-I-L-F-E Konzept“ für Unternehmen Besteht der Verdacht, dass ein Mitarbeiter psychisch se vor eine noch größere Herausforderung als ein instabil ist, erfährt ein Vorgesetzter davon und sieht alkoholkranker Mitarbeiter. Von diesem kann der er eine unerklärbare, schon länger andauernde Vorgesetzte klar verlangen, dass der Betroffene den Veränderung bei dem Mitarbeiter, so ist es für den Missbrauch einstellt und sich in fachliche Behand- Vorgesetzten sinnvoll, Handlungsschritte nach dem lung begibt. Dies muss er auch bei einem Mitarbeiter „H-I-L-F-E Konzept“ in Gang zu setzen. Das „H-I-L-F-E in andauernder psychischer Krisensituation verlan- Konzept“ als ein Ergebnis des Kooperationsprojek- gen, doch der Betroffene kann seine Krankheit nicht tes der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie (BApK e. V) einfach „einstellen“. mit dem BKK Bundesverband ist angelehnt an die Stufenintervention für den Umgang mit Suchter- Um hier Unterstützung zu bieten, hat die Selbsthilfe krankungen. Sein Ziel ist, als Handlungsleitfaden auf der Grundlage des „H-I-L-F-E Konzepts“ die erste Orientierung für Gespräche mit Beschäftigten Informations- und Schulungsseminare für Führungs- mit einer psychischen Störung zu bieten. Analog kräfte entwickelt, die mit Angehörigen von psychisch der Stufenintervention findet bei Auffälligkeiten ei- Kranken als Gesundheitsbeauftragten in den Unter nes Mitarbeiters zunächst ein Vier-Augen-Gespräch nehmen durchgeführt werden. (Kontaktadresse des Vorgesetzten mit dem Betroffenen statt. Bei S. 41) weiteren Gesprächen werden – wie im Stufenplan „Sucht“ – in Absprache mit dem Betroffenen die Der Stufenplan aus dem Bereich der Suchterkran- betrieblichen Helfer wie Betriebs- oder Personalrat, kungen findet seit langem seinen Ausdruck in Be- Betriebsarzt oder Schwerbehindertenvertretung hin- triebsvereinbarungen vieler Unternehmen für den zugezogen. Umgang mit ihren suchtkranken Mitarbeitern. Wün- schenswert ist es, dass die Unternehmen ebenfalls Der Umgang mit einem Mitarbeiter in einer psychi- eine Betriebsvereinbarung für den Umgang mit psy- schen Krise stellt den Vorgesetzten möglicherwei- chischen Erkrankungen abschließen. 1. H insehen 2. I nitiative ergreifen 3. L eitungsfunktion wahrnehmen 4. F ührungsverantwortung: Fördern – Fordern 5. E xperten hinzuziehen
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