MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei

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MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
MENSCHEN,    Dieses Heft ist über Menschen, die etwas
             tun, anpacken, unternehmen, um ihr Viertel
             lebenswert und sozial zu gestalten. Es enthält

DIE MACHEN
             eine Auswahl von vielen „Klasse Projekten“,
             die zwischen 2014 und 2019 in der Nachbar-
             schaft Samtweberei in Krefeld entstanden
             sind, und vor allem der Menschen dahinter.
             Sie stehen stellvertretend für Viele, die sich
             für das Gemeinwohl im Quartier engagieren –
             vereint durch ihren Mut, etwas zu bewegen.
MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
Mehr davon!
Die „Nachbarschaft Samtweberei“ – initiiert      Engagement für gutes Zusammenleben und
von der Montag Stiftung Urbane Räume aus         Miteinander, für Chancengerechtigkeit und
Bonn in Zusammenarbeit mit der Stadt Krefeld – sozialen Ausgleich, für den gemeinsamen
ist mittlerweile ein bundesweit beachtetes       Lebensraum und die Stärkung des Gemein-
Modell für gemeinwohlorientierte Quartiers-      wesens im „Samtweberviertel“, welches den
entwicklung geworden. Vordergründig fällt        gesamten Stadtteil und nicht nur den Block
dabei die Immobilie ins Auge. Die Alte Samt-     der Samtweberei umfasst.
weberei, ehemalige Textilfabrik und Bau-
denkmal, lange Zeit leer stehend und ohne        Dieses Projektbuch beschreibt einige von über
Anbindung in den Stadtteil, ist heute saniert    100 Gemeinwohl-Projekten, die zwischen
und Lebensraum zum Wohnen und Arbeiten           2014 und 2019 auf den Weg gebracht wurden.
von 150 Menschen geworden. Preise und Aus-       Es dokumentiert Engagement, Phantasie,
zeichnungen loben die Architektur, die be-       Durchsetzungskraft, Talente und die Haltung
sonderen Wohnformen im Denkmal und die           des praktischen Machens, womit sich Men-
umgenutzten Räume für kooperatives Arbeiten      schen aus dem Viertel für ihr Viertel einsetzen.
im Pionierhaus. Die Shedhalle ist ein neuer      Einige dieser „Macher“ sind auf den folgenden
Platz fürs Viertel und bietet Freiräume zur      Seiten portraitiert. Sie stehen für viele andere,
Selbstgestaltung, Aneignung und gemeinschaft- die – sei es als Mieter der Alten Samtweberei,
liche Nutzung. Das Nachbarschaftswohnzimmer sei es als Aktive in Vereinen, Initiativen und
steht für Kultur, nachbarschaftliche Begegnung   Einrichtungen oder sei es als verantwortliche
und als gastronomischer Treff im Viertel bereit. Stadtbürger – mit viel Herzblut gute Nachbar-
Das Ganze unternehmerisch entwickelt und in      schaft leben und entwickeln. Ihnen ist dieses
der Hand einer gemeinnützigen Projektgesell-     Heft gewidmet und soll Mut machen zum
schaft, die alle Überschüsse aus der Vermietung „Mehr davon!“.
für die Förderung von Gemeinwohl im Quartier
zur Verfügung stellt.                            Denn das Projekt der Nachbarschaft Samt-
                                                 weberei ist nicht mit dem Bauen abgeschlossen,
Doch ist der eigentliche Kern der Nach-          sondern beginnt jetzt erst richtig. Mit einer
barschaft Samtweberei nicht die Immobilie –      Immobilie, die dem Gemeinwohl dient und mit
diese ist lediglich dienendes Element für das    vielen Menschen im Viertel, die in Gemein-
zentrale Anliegen des Projektes. Im Mittel-      schaft neue Projekte anstoßen und ihre Nach-
punkt stehen die Menschen und ihr                barschaft selbst in die Hand nehmen.

Henry Beierlorzer,
Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH,
Krefeld im Februar 2019

                                            Vorwort
MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
Portraits                                                                              Projekte

    4     Michael Otto
          Der Hüter der Samtweberei           6      Claudia Reich
                                                     Die Welt mit wachen Augen sehen       10   „Letztes Jahr sind wir Dritter geworden“
                                                                                                 Die St. Josef Devils
                                                                                                 Bestrickende Ideen
                                                                                                                                              12     „Biep, Blink, Wuschhhh!“
                                                                                                                                                      Der Elektronik-Workshop
                                                                                                                                                      Lustige Brotgesichter
                                                                                                 Das Wollwerk                                         Ernährungsführerschein

    14    Nurten Kocaman
         „Meine Kunst passt zu Krefeld“     20       PlatzDa
                                                    „Man kann hier vieles machen, was in
                                                     anderen Städten kaum möglich wäre“
                                                                                           16   Kleine Alltagsmysterien
                                                                                                Die Schleichwegekarte                       20       Den Raum vor der Haustür
                                                                                                                                                     lebenswert gestalten
                                                                                                                                                     StadtRaumFestival Viertelpuls

    24   Markus Schlothmann
         Das Neapel am Niederrhein          34       Roland Boosen und Robert McCrory
                                                     Zwei Botschafter vom Alexanderplatz   22   „Mülle Grazie“
                                                                                                 Die „Null-Müll“-Gruppe
                                                                                                Tauschen statt kaufen
                                                                                                                                             26      „Wir zeigen denen, die immer sagen
                                                                                                                                                     ‚das bringt ja eh nix‘, dass sie sich irren“
                                                                                                                                                      Die Blumengruppe
2                                                                                                Die Givebox                                                                                        3

    38   Bürgerinitiative
         Rund um St. Josef
         Gemeinsam für
                                            40       Elif Manaz
                                                    „Ich möchte in Krefeld alt werden“     28   Eine Zeitung aus dem Samtweberviertel
                                                                                                Die Samtweber                               30       Feststimmung und Blütenpracht
                                                                                                                                                     Das Kirschblütenfest

         die Menschen vor Ort

    44   Andreas Weißpflug
         Ein Pate für Schüler               48       Markus Lechner
                                                     Sozialunternehmer durch und durch     36    Grenzenlos speisen
                                                                                                 Kulinarisch Reisen
                                                                                                „Hilfe ich habe ein Formular“
                                                                                                                                             42      Mit Kopf und Körper spielen
                                                                                                                                                     Biografisches Theater
                                                                                                                                                     Spielerisch lernt es sich leichter
                                                                                                 Die Formularhilfe                                   Interkulturelle Sprachförderung

                                                                                           46   Blinde Flecken
                                                                                                Supervision
                                                                                                Hilfe zur Selbsthilfe
                                                                                                                                            50       Sprachkurse aus Nächstenliebe
                                                                                                                                                     Sprachkurse der FeG für Geflüchtete
                                                                                                                                                     Die ECKE –
                                                                                                Tagestreff „Die Brücke“                              Eine Runde Sache
                                                      Im Text grün hinterlegte

    56                                                                                     52
                                                      Begriffe weisen auf                       Von der Vision zur Wirklichkeit –            Die Projekte sind miteinander verwoben –
                                                      Bausteine des Projekts hin.               Wie mache ich ein Projekt?                   eine grüne Markierung mit Seitenangabe
                                                      Sie werden ab Seite 56                                                                 verweist an die richtige Stelle.
                                                      gesammelt und erläutert.

                                          Inhaltsverzeichnis                                                                    Inhaltsverzeichnis
MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
Michael Ot�o

    Der Hüter
    der Samtweberei
    Die meisten Menschen können keine wahrhaftige Antwort
    geben, wenn man sie nach ihrem persönlichen Lieblingsort
    fragt. Fragt man hingegen Michael Otto, so erhält man direkt
    zwei Antworten: Die slowenischen Alpen und die Krefelder
    Südstadt. Auf den ersten Blick eine merkwürdige, in jedem
    Fall kontrastreiche Wahl. Den schönen Triglav Nationalpark,
    mächtige Bergketten mit Schneemänteln und die Slowenen,
    die von dem leben „was sie auf dem eigenen Acker anbauen
4   oder aus dem Fluss fischen.“ Die Liebe zur Natur, zu dem                             5
    was lebendig ist, was wächst und gedeiht, entdeckte Michael
    Otto schon während seiner Kindheit. „Mein Opa war Bauer
    mit G änsen, Schweinen und einer Apfelmosterei, und meine
    Eltern hatten einen großen Schrebergarten, wo ich oft mit-
    geholfen habe“, erzählt er. Später dann war Michael Otto
    nicht nur Student, er war Restaurator von Oldtimern und
    historischen Möbeln, er lebte in Spanien und an der Nordsee,
    pflegte Gärten und Häuser. Irgendwann landete er wieder
    in seiner Heimatstadt Krefeld und es dauerte nicht lange, da
    pflanzte er Blumen in die Baumbeete auf der Lewerentzstraße
    (S.26). Seit mehreren Jahren nun schon, ist er der „Hüter der
    Alten Samtweberei“, nicht bloß Hausmeister, sondern auch
    Nachbar, Pionier und vor allem: helfende Hand.

    P.S.: Seit 2018 hütet er außerdem rund 60.000 Bienen auf
    dem Dach des Pionierhauses.

                                                                      „ Ich liebe es,
                                                                    etwas entstehen
                                                                        zu sehen“
                           Michael Otto                                   Michael Otto
MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
Claudia Reich

                                          Die Welt mit
                                          wachen Augen sehen
                                          Schon als Kind wusste Claudia Reich, wenn sie groß ist, wird sie
                                          eine Künstlerin. Jahre später steht sie dort, alleine in ihrem Atelier,
                                          mit Borsten, Karton und einer Nylonstrumpfhose. Ein anderes
                                          Mal ist sie unter Gleichgesinnten: Mit Kindern bastelt sie Monta-
                                          gen, begehbare Aquarien aus Müll oder kleine Utopien, verpackt
                                          in einem Schuhkarton und die Welt, dieses „Schlaraffenland“, ist
                                          ihre aberwitzige Muse. Das atemberaubende Spiel zwischen dem
                                          Menschen und der Welt, zwischen dem Jetzt und der Zukunft.
                                          In der Tat ist es manchmal verwunderlich, doch aus eben diesem
6                                         Spiel schöpft Claudia Reich ihre Inspiration. „Viele meiner Arbeiten      7
                                          entstehen beim verwunderten Betrachten dieser Welt und der
                                          Menschen – wie das Leben in der Zukunft oder die Beziehungen der
                                          Menschen untereinander und zu sich selbst.“ So heißt eines ihrer
                                          Projekte: „Future is now – Cyborg, Klon oder Roboter“. „Dabei habe
                                          ich die Kinder gefragt, wie sie sich die Zukunft vorstellen und schon
                                          bald haben wir gemerkt, dass wir bereits heute mitten drin sind.“

                                          Claudia Reich beginnt ihre künstlerische Ausbildung mit Akt-
                                          zeichenkursen. Dann studiert sie Design an der Hochschule
                                          Niederrhein und schließt mit einem Malereistudium an der Uni-
                                          versität in Utrecht ab. Die Krefelderin ist Teil des Organisations-
                                          teams für Kunstausstellungen in der Pförtnerloge der Fabrik Heeder
                                          und organisierte eine Kultur-Wohnwagenfahrt durch den Nieder-
                                          rhein. Rund um die Südstadt leitet sie Kunstaktionen und Kreativ-
                                          angebote für Kinder und Jugendliche. Aber nicht ausschließlich.
    „Viele meiner Arbeiten entstehen      Auch der Handarbeitskurs „Café International kreativ“ ist aus ihrer
     beim verwunderten Betrachten         Hand zusammen mit der Caritas und ganz unterschiedlichen Frau-
                                          en entstanden. Ihr Atelier im Pionierhaus dient oft als Werkstatt
       der Welt und der Menschen –        und Treffpunkt.
    wie das Leben in der Zukunft oder
      die Beziehungen der Menschen
     untereinander und zu sich selbst.“

                Claudia Reich                                         Claudia Reich
MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
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    Projekte von Claudia Reich           Projekte von Claudia Reich
MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
St. Josef Devils

     „Letztes Jahr sind
       wir Dritter gew rden!“
      Die Meisterschaftsspiele der Krefelder Jugend- Trainerbeschäftigung bei der BI gekommen.
      zentren: ein schweißtreibendes Spektakel –        „Unsere Ansprechpartnerin Silvia Esters
      präzise Schüsse, schnelle Pässe, eine mauer-       kannte ich schon“, erzählt Lentini, „und da wir
      starke Abwehr und doch zählt vor allem: Fair-      beide hier im Viertel wohnen, hatten wir auch
      ness, Mannschaftsgeist und spielerische            schon vorher einen Bezug zu den Aktivitäten
      Kreativität. Ein Anspruch, dem die St. Josef       der BI.“ Mit den Devils trainieren sie wöchent-
      Devils durchaus gerecht werden. Denn bei der       lich, mal in der Turnhalle an der Lindenstraße,
      vergangenen Meisterschaft in der Torfabrik         mal in der Shedhalle, mal unter freiem Him-
      konnten sie sich so auf den dritten Platz          mel und immer mit einer nennenswerten
      schießen. Ein runder Erfolg für die Jugend-        Portion Spaß. Ihre Trikots konnten sie über
      mannschaft der Bürgerinitiative Rund um St.        den Projektfonds finanzieren und mit Viertel-
      Josef (S.38). Ekaterini Kiriaki und Melissa         stunden bedrucken lassen. Neben den klassi-
      Lentini sind Fußballerinen mit Leib und Seele, schen Übungen, wie Passspiel und Torschuss,
      sie sind ballverrückt und sportverliebt. Ekateri- geht es auch um Kondition, um Körpergefühl
      ni spielte sogar für die griechische Jugend-       und Selbstbewusstsein. „Es ist toll zu sehen,
      nationalmannschaft. Ihre Begeisterung teilen       wie sich die Kinder im Laufe des Trainings
10    sie mit Kindern und Jugendlichen aus dem           entwickeln!“ Die Trainerinnen sind stolz auf                                                                                           11
      Viertel. Durch die guten Drähte im Viertel         die kleine Mannschaft, die sie mit so großer
      sind Kiriaki und Lentini an ihre                   Leidenschaft anleiten.
                                                                                                                                                                                            8

                                              Das Wollwerk      Bestrickende Ideen
                                                                 Mit einfachen Mitteln hässliche Ecken      der Straße in die ECKE (S.51). Betreut  für die beiden Kursleiterinnen manch-
                                                                 schöner zu machen, ist ein wichtiger       von den beiden Studentinnen trafen      mal gar nicht so einfach. „Es kann
                                                                 Ansatz von „Urban Knitting“. Graue         sich dort einmal wöchentlich Menschen spannend sein, wenn sich plötzlich
                                                                 Betonpfähle oder Laternenmasten zu         mit Spaß an Strick- und Häkelnadeln,    Leute gegenübersitzen, die sich sonst
                                                                „bestricken“, ist aber nicht nur eine       oder solche, die den Umgang damit       nie treffen würden“, weiß Brinkmann,
                                                                „coole Aktion“. Für die Initiatorinnen      lernen wollten. „Es kamen vor allem    „aber auch ziemlich anstrengend. Zum
                                                                 des späteren „Wollwerk“Svenja Schrei-      Frauen ab 40“, erinnert sich Teresa     Glück waren wir nie gezwungen, jeman-
                                                                 ber und Teresa Brinkmann war es            Brinkmann, „aus denen schnell ein       den rauszuschmeißen.“ Auf dem
                                                                 zuerst ein Streetart-Projekt, das sie im   fester Kreis von vier bis fünf Teil-    Nachbarschafts- und dem Kirsch-
                                                                 Rahmen ihres Kulturpädagogik-              nehmerinnen entstand. Dank unserer      blütenfest (S.30) haben sie die ent-
                                                                 Studiums betrieben. Durch den Kon-         offenen Tür bekamen wir aber auch       standenen Werke anschließend für
                                                                 takt zur Bürgerinitiative Rund um St.      immer wieder Besuch von Leuten, die     bescheidenes Geld verkauft. „Unsere
                                                                 Josef wurde daraus eine feste Ver-         einfach mal gucken wollten, was wir      Einnahmen wurden dann bei einem
                                                                 anstaltung mit regelmäßigen Treffen.       hier machen. Manchmal waren auch         leckeren Glühwein auf dem Weihnachts-
                                                                 Auf diese Weise verlegten die Strick-      ziemlich skurrile Typen dabei.“ Diese    markt gemeinschaftlich verkloppt“,
                                                                 Guerillieras ihren Wirkungsort von         bunte Mischung zu moderieren, war        erzählt sie schmunzelnd.
                                                            9

                                      St. Josef Devils & Das Wollwerk                                                                      St. Josef Devils & Das Wollwerk
MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
Elektronikworkshop

     Biep, Blink,
     Wuschhhh!
     Dass Designer zugleich gute Technik-Schrauber sein               Ernährungsführerschein
     können, davon sind Andreas Kalinka und Florian
     Pfahl überzeugt. Sie selbst befassen sich beruflich
     jeden Tag zugleich mit digitaler Technik und Ge-
     staltung. Und sie sind überzeugt, dass auch Kinder
                                                                      Lustige
     Spaß an beiden Welten haben. Gesagt, getan, bieten               Brotgesichter
     die beiden im Rahmen ihrer Viertelstunden einen
     Workshop für Kinder an, der Basteln und Schrauben
     verknüpft. Mit dem Titel „Biep, Blink, Wuschhhh“                 „Kater Cook mag sehr gerne Brot mit       Ernährungsführerschein darum, das
     laden sie zum Elektronik Workshop ein.                            Käse!“ Solche Aussagen sind sonst        Bewusstsein der Teilnehmer für neue
                                                                       nicht im Vokabular von S3 Management     Ideen und Verhaltensweisen zu öffnen.“
     „Die Kinder hatten von Anfang an Spaß am Thema.                   GmbH. Die Zielgruppe des Angebots       Das scheint den beiden „Freizeit Food
      Einige waren sogar schon vor der Zeit da“, erzählt               waren Grundschulkinder aus der          Coaches“ auf Anhieb gelungen zu sein.
      Florian Pfahl. „Das Ziel des Workshops haben sie                 Krefelder Südstadt, die unter Anleitung Denn Eltern der kleinen Ernährungs-
12    dann ganz schnell verstanden und es geschafft, ihre              von Sabine Mackes und Ulrike Oehlert lehrlinge berichteten schon bald nach        13
      LEDs zum Leuchten zu bringen.“ Auf den ersten                    ihren „Ernährungsführerschein“ ab-      dem Kurs, dass ihre Kinder jetzt viel
     Schritt, das Konstruieren einfacher Schaltkreise, folgte          solvierten. Bei dem Kurs geht es darum, mehr auf gesundes Essen achten und
     dann die kreative Arbeit der Monster-Kreation. „Am                Grundschulkindern leckeres und          sogar gelernte Rezepte nachkochen.
     Anfang haben wir an Hand eines ‚Beispielmonsters‘                 zugleich gesundes Essen nahezu-
     gezeigt, was möglich ist, und waren ziemlich über-                bringen – und das ganz praktisch durch „Nach unserem Antrag hat die Jury
                                                                 10
     rascht, was die Kleinen in kurzer Zeit alles gezaubert            eigenes Tun: „Lustige Brotgesichter“,   des Projektfonds den Ernährungs-
     haben“, freut sich Andreas Kalinka. „Manchmal                    „Knackiger Gemüsespaß“ und „Frischer     führerschein und die 500 Euro für
     blinkten die Roboter-Augen, manchmal leuchteten                   Obstsalat“ heißen daher einige der      Küchengeräte und Lebensmittel sofort
     die Haare oder es bewegte sich ein Arm. Der Kreativi-             Unterrichtseinheiten.                   genehmigt“, strahlt Sabine Mackes.
     tät waren keine Grenzen gesetzt.“ „Auch uns hat die                                                        „Ein wichtiger Grund dafür war wohl,
     Aktion einen Riesenspaß gemacht. Wir finden es toll,             „Normalerweise beraten wir Unter-          dass wir etwas Handfestes für Kinder
     dass wir mit den Viertelstunden ein so spannendes                 nehmen bei der Verbesserung ihrer         tun wollten. Meiner Kollegin und mir
     Angebot für Kinder machen, dass Eltern nicht be-                  Prozesse und helfen deren Mit-            hat die Arbeit mit den Kindern einen
     zahlen müssen. Wir werden das bestimmt wieder-                    arbeitern, ihre Aufgaben, auch unter      Riesenspaß gemacht. Besonders
     holen“, ergänzt sein Kollege Andreas Kalinka.                     schwierigen Rahmenbedingungen, gut        deren Begeisterungsfähigkeit und
                                                                 11
                                                                       zu erfüllen“, erklärt Sabine Mackes.      Experimentierfreude waren eine tolle
                                                                      „Von daher war die Arbeit mit den          Erfahrung – und ein Anreiz, den Er-
                                                                       Kindern für uns etwas Außergewöhn-        nährungsführerschein-Kurs gerne
                                                                       liches. Andererseits geht es auch beim    zu wiederholen.“

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                                            Elektronikworkshop                             Ernährungsführerschein
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Nurten Kocaman

                           „Meine Kunst
                         passt zu Krefeld!“
     Ihre Mutter war eine kreative Schneiderin, ihr    ohne Bedeutung. Hier beginnt ihre Arbeit,
     Vater ein pfiffiger Handwerker. Das Kreative      bei der sie mit einem sicheren Gefühl für
     wurde ihr also von Hause aus mitgegeben.          harmonische Farbklänge, die Einzelteile zu
     Nurten stammt aus Kütahya, eine türkische         einem kunstvollen Neuen zusammenfügt.
     Großstadt und ein Zentrum für Handwerks-          Die Kunstwerke strahlen vor leuchtendem
     kunst. 2001 kam sie mit der Familie nach          Violett und feurigem Orange, von Grasgrün
     Krefeld und fühlt sich seitdem hier zuhause.      und Himmelblau.
     „Als Textilkünstlerin passe ich doch ideal zu
      dieser Stadt aus Samt und Seide“, erklärt sie    „Ich stelle nur Unikate her und liebe es, dass
      schmunzelnd, „und ich empfinde es als große       Kunst am Anfang immer offen ist und dann
14    Anerkennung, dass Objekte aus meinem              erst Stück für Stück entsteht.“ Neben der                        15
      Sortiment im Museumsshop des Deutschen           Textilkunst kommt auch das Kunsthandwerk
     Textilmuseums in Linn zu haben sind.“             mit eigenen Kreationen von Taschen, Kleidung
                                                       und Schmuck hinzu.
     „Ich wohne gerne in der Südstadt, finde es aber
     auch anderswo in Krefeld schön, und selbst        Einen weiteren Bereich stellen ihre Objekte
     wenn ich sehr viel Geld hätte, würde ich nicht    der Recycling- und Upcycling-Kunst dar. Ob
     wegziehen wollen, sondern nur Ausstellungs-       Bonbonpapier, Verschlüsse, leere Gläser:
     räume in anderen Städten anmieten, um dort        Dinge, die nutzlos erscheinen, werden von
     meine Kunst zu zeigen“                            Nurten kunstvoll und ideenreich zu neuen,
                                                       begehrten kleinen Kunstobjekten umgearbeitet.
     Mit ihrem Label „nurStil“ schafft sie einzig-     „Solche Arbeiten mache ich auch gerne mit
     artige Arbeiten im Bereich der Textilkunst. Sie    Kindern“, freut sie sich. „Manchmal sind sie
     arbeitet mit Batikstreifen, Fasern, Stoff- und     anfangs zurückhaltend, finden dann aber
     Garnresten, die in sich meist schon gemustert      schnell Spaß daran, aus scheinbar Wertlosem
     sind – noch zusammenhanglos, einzeln und           etwas neues Schönes herzustellen.“

                   „In Farbverläufen drücke ich
                meine Gefühle und Stimmungen aus“

                                            Nurten Kocaman                                              Nurten Kocaman
MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
PlatzDa
                                      Judith Cleve, Clemens Brück,
                                  Katrin Mevißen und Monika Jagla

     Die Schleichwegekarte

     Kleine
     Alltagsmysterien
     Der Blick auf ein altes Speicherhaus,
     ein Schlenker um „die Linde“, ein
     kurzer Gang zwischen hohen Haus-
     wänden hindurch und die Entdeckung
     einer stillen Oase hinter schwerem
16   Gemäuer. Jeder hat sie: Die Schleich-                                                                                                                                    17
     wege in der Stadt, Geheimnisse hinter                         13

     dicken Häuserfronten, bewährte Ab-
     kürzungen und abenteuerliche Ent-
     deckungen. Doch: Wo sind sie?

      Die Frage nach den Schleichwegen
      beschäftigte auch die Studentinnen                                              „Man kann hier vieles machen,
      Judith Cleve, Jennifer Aksu und Julia
      Wellmann. Gemeinsam begaben sie
                                                                               was in anderen Städten kaum möglich wäre“
      sich auf eine Entdeckungsreise durch

                                                                           I
      die Krefelder Südstadt. Sie befragten                        14
                                                                             n der Anfangszeit der Nachbarschaft           Den Büroraum bekamen sie und dazu den
      Bewohner nach ihren Schleichwegen,                                     Samtweberei, im Sommer 2014, zählten          Auftrag, sich um die vielen Gestaltungsfragen
      nach abgelegenen Pfaden und schönen                                    Judith Cleve, Monika Jagla und Katrin         rund um die Samtweberei zu kümmern. Sie
      Orten. Daraus entstanden ist eine                                    Mevißen zu den ersten Pionieren, die die        kreierten die „Tape-Schrift“, die heute grasgrün
      Karte. Nicht irgendeine Karte, sondern                               leerstehenden Büros der Alten Samtweberei       von der Pionierhausfassade leuchtet.
      eine, die auch als Regenschirm, als                                  bevölkerten. Durch ihr Designstudium an         „Wir haben viele Feste und Veranstaltungen
      Sonnenschutz und natürlich als Weg-                                  der Hochschule Niederrhein fanden die drei       begleitet“, so Judith Cleve. „Unter anderem
      weiser geeignet ist. Eine Karte mit 10                               schnell den Weg in die Lewerentzstraße.          haben wir das Design für das Kirschblütenfest
     „Geheimnissen“. „Schleichwege sind die                                „Ganz am Anfang stand ein Hochschulwett-         (S.32) entworfen.“ Eine große Gestaltungsauf-
     kleinen Alltagsmysterien, die direkt                                   bewerb für das Erscheinungsbild der Samt-       gabe war dann das Viertelpuls-Festival (S.20),
     vor der Haustür liegen“, es sind un-                                   weberei“, erinnert sich Katrin Mevißen,        an dem auch Clemens Brück maßgeblich
     bemerkte Geheimnisse, die im Schatten                                 „den wir gewonnen haben. Und je mehr wir        beteiligt war. Auf Initiative des Fachbereichs
     einer Stadt darauf warten, endlich                                     uns mit dem Projekt beschäftigten, desto       Design schwärmten die Studierenden in das
     entdeckt zu werden. Also: Worauf                                       mehr wollten wir Teil davon sein. Also haben   Samtweberviertel aus, um die Straßenräume
     wartest Du?                                                            wir uns für einen Büroraum beworben.“          zu verschönern und die Nachbarn dabei zu �
                                                                   15

                                             Schleichwegekarte                                                         PlatzDa
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     unterstützen, es ihnen nach zu tun. Ein wichti-     Nachbarn“, betont Clemens Brück. „Wir
     ger Part von Judith Cleve und Clemens Brück         stellen auch einmal gerne Sessel auf den
     war die Bemalung der „Cosmos“-Hauswand am           Westwall oder laden zu einem Tag der offenen
     Übergang von Lewerentzstraße zum Frankenring.       Tür in unser Atelier.“ Als Kreativ-Satelliten
     Ihre Grundhaltung ist, Design in die Öffentlich-    wollen sie Teil der Entwicklung Krefelds sein.
     keit zu bringen, und nicht nur im stillen Kämmer-   „Krefeld ist offen“, freut sich Monika Jagla,
     lein zu werkeln. 2016 haben die vier Gestalter      „man kann hier vieles machen, was in anderen
18   dazu das Büro „PlatzDa” gegründet. Sie miete-        Städten kaum möglich wäre, und durch die                            19
     ten das Haus Ramrath auf dem Westwall und            Nachbarschaft Samtweberei haben sich diese                     19

     praktizieren jetzt von dort eine moderne Kom-        Möglichkeiten noch einmal vervielfältigt.“
     bination von Wohnen und Arbeiten. „Dabei
     suchen wir immer den Kontakt zu unseren

                                                                                                                         20

                                                            17                                            18             21

                                                 PlatzDa                                                       PlatzDa
StadtRaumFestival Viertelpuls              Was haben eine gestaltete Mauer, neue            leisten: Es wurde gebaut und ge-         leerstehenden Ladenlokal an der Ecke
                                                Sitzgelegenheiten rund um eine alte Linde        schraubt, Konzepte wurden entwickelt     Südstraße/Tannenstraße entwickelte
                                                und große Schlüssellöcher gemeinsam? Es          und Choreographien einstudiert. Das      sich das Nachbarschaftswohnzimmer
                                                sind zugleich Designaktionen zur Auf-            Kulturbüro der Stadt beauftragte extra    ECKE (S.51), das aus dem Viertel nicht
                                                wertung des Lebensraums Stadt, die               für Viertelpuls ortsspezifische Tanz-    mehr wegzudenken ist. „Wir wollten
                                                vorübergehend oder auch langfristig              und Theaterinszenierungen. Und die       Akzente setzen, einzelne Orte auf-
                                                Wirkung zeigen. Diese drei und eine              Ergebnisse überraschten nicht nur die    werten und durch durch künstlerische
                                                Vielzahl anderer Projekte brachten Studie-       Bewohner des Samtweberviertels. Es       Aneignungen neue Stadträume schaf-
                                                rende der Hochschule Niederrhein zu-             gab Luftakrobaten und einen Sitz-        fen und erproben.“, erklärt Nico Beu-
                                                sammen mit Bewohnern des Viertels und            garten. Auf dem Corneliusplatz wurden    cker. „Dabei sollten gestalterische und
                                                lokalen Unternehmern im Rahmen des               Spruchbänder mit Gedanken der            nachbarschaftliche Aktionen Hand in
                                               „StadtRaumFestival Viertelpuls “ in die           Viertelbewohner aufgehängt. Tische       Hand gehen. Vieles davon ist heute
                                                Krefelder Südstadt. Grundlage für die            und Bänke auf der Straße luden zum       Vergangenheit, einiges wirkt aber auch
                                                neuntägige Designaktion war eine gute            Verweilen ein. Auch Aktionen wie das     in die Gegenwart und darüber hinaus.
     Den Raum                                   Zusammenarbeit von Hochschule, Stadt             jährliche Nachbarschaftsfest oder die    Ich freue mich zum Beispiel sehr, dass

     vor der Haustür                            und der Nachbarschaft. Ideengeber war
                                                Professor „Nico“ Beucker, der sich mit
                                                                                                 kulinarischen Stadtführungen, die
                                                                                                 seitdem fortleben, hatten ihren Anfang
                                                                                                                                          Studierende aus meinen Kursen sich
                                                                                                                                          für das Leben und Arbeiten im Viertel
     lebenswert gestalten                       seinem Lehrstuhl „Public & Social Design“        im Viertelpuls. Aus dem Infopunkt        entschieden haben und die Zukunft
                                                bereits länger mit den Wechselwirkungen          des StadtRaumFestivals im                Krefelds mitgestalten wollen.“
                                                von gebauter Umwelt und menschlichem
                                                Zusammenleben beschäftigt. „Die Idee
                                                war unterschwellig schon länger da,
                                                bevor ich sie beim Projektfonds 2014
20                                              vorstellte“, erinnert sich Nico Beucker.                                                                                                 21
                                               „Es hat mich sehr gefreut, dass unser
                                                Konzept dann auch die Jury begeisterte.“
                                                   So konnte das Festival ein gutes Jahr
                                                   später Realität werden. Bevor es los gehen
                                                   konnte, galt es aber noch viel Arbeit zu
                                                                                                                                                                                    24

                                                                                                                                     23

                                                                                                                                                                                    25

                                                                                            22                                       26                                             27

                                     Viertelpuls                                                                                          Viertelpuls
Mülleimer auf der Lewerentzstraße            Die Gruppe arbeitet weiter an kreativen
                                                                                              gesehen. Damit die Mülleimer auch            Ideen gegen zu viel Müll. So ist zum
                                                                                              wirklich wahrgenommen und genutzt            Beispiel eine „Plogging-Aktion“ an-
                                                                                              werden, beklebten die Müllaktivisten         gedacht, bei der Joggen und Müll-
                                                                                              sie später mit lustigen Sprüchen wie         sammeln kombiniert werden. Vielleicht
                                                                                             „Mülle Grazie“ oder „Ich bin ein Messi“       gelingt es hier sogar, das Müllsammeln
                                                                                              und markierten den Weg zu den Müll-          mit Ballsport zu verbinden – getreu dem
                                                                                              eimern mit Fußspuren. Für die Herr-          Mülleimerspruch „Wir geben dem Müll
                                                                                              chen und Frauchen der vierbeinigen           einen Korb.“
                                                                                              Müllsünder wurden Hinweisschilder
                                                                                              mit deutlicher Botschaft in Die Beete
                                                                                              gesteckt. Dass das Thema Müll vielen
                                                                                              wichtig ist, zeigte sich, als es der Null-
                                                                                              Müll-Gruppe gelang, mit Hilfe des
                                                                                              kommunalen Müllentsorgers GSAK
                                                                                              einige Aktionen, wie den Müllsammel-
                                                                                              tag, zu starten. Ausgerüstet mit Warn-
                                                                                              westen, Handschuhen, Müllsäcken und
                                                                                              Greifern wurde in der Südstadt Müll
                                                                                        28
                                                                                              gesammelt und von der GSAK abtrans-
                                                                                              portiert. Wesentlich koordiniert wird
     „Mülle Grazie“                Die „Null Müll“-Gruppe                                     die Null-Müll-Gruppe von Marianne
                                                                                              Hitpaß, die auch die Kontakte zur Stadt
22    Zu viel Müll auf der Straße ist nicht     um etwas gegen immer wieder voll-             pflegt, die Begeisterung der öffentlichen                                                            23
      nur in der Südstadt ein Problem – nach    gemüllten und von Hunden als Toilette         Stellen für die Anti-Müll-Aktionen aber
      Ansicht vieler Anwohner hier aber ein     benutzten Baumbeete (S.26) zu                 als sehr uneinheitlich erlebt. „Zum
      besonders Gravierendes, und genau         unternehmen. Als Mittel gegen zwei-          Umweltamt haben wir einen guten
      dies will die „Null Müll“-Gruppe          beinige Müllproduzenten wurde zu-            Draht und auch der Kontakt zur GSAK
      ändern. Begonnen hatte die Initiative,    nächst die Aufstellung weiterer              ist sehr konstruktiv“, erklärt Hitpaß.
                                                                                                                                                                                 29

                                  Tauschen
                                  statt kaufen                 Die GiveBox

                                  Ein Tauschregal – oder auch Givebox – ist im Grunde        Regal mit den Alltagsgegenständen, während           Kinder beobachtet, die mit einem Kaffee-
                                  ein Behälter, in den jeder, der möchte, gebrauchte, aber   zwei andere Nachbarinnen die Bücherbox               service Vater-Mutter-Kind gespielt haben,
                                  noch gut nutzbare Dinge hineinstellen oder heraus-         übernehmen. „Beide Tauschregale werden gut           und ein kleines Mädchen, dass mit viel zu
                                  nehmen kann. So ein Regal steht in der Shedhalle           angenommen“, freut sich Frühauf. „Ohne dass          großen High Heels durch die Halle stolzierte.“
                                  der Alten Samtweberei. „Nachdem ich hierher-               viel Werbung gemacht worden ist, kommen              Dabei scheint es kein Problem zu sein,
                                  gezogen bin, wollte ich erst eine Tauschbörse ein-         die Leute von draußen herein und schauen,            immer genug Dinge im Tauschregal zu haben.
                                  richten, aber das erwies sich schnell als zu auf-          was aktuell wieder da ist – von Kleidung über       „Wenn unser Regal mal fast leer ist, dauert es
                                  wendig“, erinnert sich Marie-Luise Frühauf, eine der       Haushaltsgegenstände bis zu Spielzeug“,              nicht lange, bis neue Gegenstände gebracht
                                  beiden Initiatorinnen. „Mithilfe eines Nachbarn            erzählt sie. „Manche gucken fast täglich             werden. Und auch mit Vandalismus haben wir
                                  haben wir dann zwei begehbare Holzkonstruktionen           vorbei. Darunter Ältere und Jüngere bis hin          keine Probleme. Anscheinend respektieren
                                  gebaut – je ein Tauschregal für Bücher und für andere      zu Kindern, die Spaß daran haben, die Sachen         die Menschen, dass hier Dinge stehen, mit
                                  Sachen“. Seitdem betreut die Viertelbewohnerin das         auszuprobieren. Einmal habe ich mehrere              denen andere glücklich gemacht werden.“
                             30

                       „Null-Müll“-Gruppe & Givebox                                                                             „Null-Müll“-Gruppe & Givebox
Markus
                                               Schlothmann
                                    Das Neapel
                                   am Niederrhein
                                  Die klimatischen Verhältnisse meint Markus Schloth-
                                  mann nicht, wenn er die Krefelder Südstadt als „Neapel
                                  des Niederrheins“ bezeichnet. Es gibt auch keine Pap-
                                  peln am Straßenrand, keinen Vulkan, der graue Wölk-
                                  chen spuckt – und doch gibt es neapolitanische Momen-
                                  te, wenn heiße Luft die Straße küsst und man plötzlich
                                  einer Feige begegnet. Ja, Krefeld ist eine entfernte Ver-
                                  wandte. Fragt man also Markus Schlothmann danach, so
                                  erhält man eine schöne Antwort: „Ich liebe die Einfach-
                                  heit und die Vielfalt des Samtweberviertels!“

24                                Schlothmann ist gelernter Landschaftsarchitekt und seit     25
                                  mehreren Jahren im Pionierhaus. „Als ich erfuhr, was für
                                  ein tolles Projekt hier in der Samtweberei stattfindet,
                                  wollte ich unbedingt ein Teil davon werden“, sagt er und
                                  fügt schmunzelnd hinzu: „Hätte ich das nötige Kapital,
                                  würde ich vielleicht eine eigene Stiftung gründen und
                                  nachhaltiges Handwerk und den Naturschutz fördern.“

                                  Natur und kreatives Handwerk sind Schlothmanns
                                  große Leidenschaft, sein immerwährendes „Stecken-
                                  pferd“. Gemeinsam mit Bewohnern, Kindern und
                                  Jugendlichen aus der Nachbarschaft legt er Gemüse-
                                  beete an, baut Gartenmöbel und hilft bei den kleinen
                                  Blumenbeeten an den Bäumen der Lewerentzstraße
                                  (S.26). Seine Lebendigkeit gewinnt er aus dem, was
                                  er tut. Er fragt sich, warum die meisten Menschen
                                  gerade darauf verzichten. „Es ist schade, dass viele

        „ …sie verpassen          nur meckern, sich aber selbst nicht engagieren… sie
                                  verpassen den Spaß, den es macht, etwas zu bewegen.“

     den Spaß, den es macht,
       etwas zu bewegen“
             Markus Schlothmann           Markus Schlothmann
„WIR ZEIGEN DENEN,
                        DIE IMMER SAGEN,
                       ‚DAS BRINGT JA EH NIX‘,
                      DASS SIE SICH IRREN.“
                                     Die Blumengruppe

                                                                                                                                                           31

      Gute Ideen brauchen Zeit zum Wachsen      ihrem Haus Sengüls Rosen gesehen            Samtweberviertel erhofft“, gibt sie zu
     – und dann kommt genau der richtige        und dachte: „Gute Idee! Das mach‘ ich       bedenken, „aber wir haben trotzdem
26    Moment: Mit dem ersten Kirschblüten-      auch!“. Durch parkende Autos, ab-           schon viel geschafft“. Vier Jahre nach                              27
      fest am Alexanderplatz begann die große   gestellte Fahrräder, Hundekot und Müll      der ersten großen Pflanzaktion besteht
      Baumbeet-Aktion auf der Lewerentzstra-    wurden ihre Bepflanzungen jedoch            die Blumengruppe aus rund 30 Leuten,
      ße. „Schon mindestens zwei Jahre          zerstört. Im nächsten Frühjahr wollte sie   die um die 20 Baumbeete pflegen. „Wir
     zuvor hatte Sengül, die heute auch bei     einen neuen Versuch starten – diesmal       haben schon viel Spaß miteinander
     der Blumengruppe mitmacht, ein Beet        aber zusammen mit den Nachbarn, die         gehabt, sind froh uns kennengelernt zu
     angelegt“, erinnert sich Eva Scheller.     sich bereit erklärt hatten, das Beet mit-   haben, planen und organisieren ge-
     Von ihrem Balkon aus blickte Sengül        zupflegen. Unterstützt durch die Viertel-   meinsam und wir unterstützen und                               32

     Aloglu nur auf Mauern und Steine. Sie       stunden und die Gärtnerei Kronenberg,      trösten uns gegenseitig, wenn unsere
     betete, dass vor ihrem Haus etwas Grün     die Hunderte bunt blühende Hornveil-        Pflanzen wieder verletzt werden“. Das
     erblühen solle. Ihr Wunsch wurde           chen, Narzissen und Tulpen spendete,        Müll- und Zerstörungproblem (S.22)
     Wirklichkeit, als eines Tages direkt vor   konnte die Aktion auf weitere Baum-         ist nicht gelöst, aber es ist schon etwas
     ihrem Balkon ein Baum gepflanzt wurde.     beete entlang der Lewerentzstraße aus-      besser geworden. „Viele Anwohner
     Und so beschloss sie, weitere Blumen       geweitet werden. Gemeinsam befreiten        helfen uns. Sie sprechen Leute an, die
     rund um den Baum zu pflanzen. „Grüne       Anwohner und Pioniere die Beete vom         Müll achtlos auf die Straße schmeißen,
     Sachen machen glücklich. Ich möchte        Unrat, tauschten Erde aus und setzten       Blumen klauen, Hunde ins Baumbeet
     schöne Sachen sehen. Für andere Leute      unzählige Pflanzen ein. Es entstand ein     machen lassen und so weiter.“ Für Eva
     ist das auch schön. Die freuen sich        sehr schönes Straßenbild. Aufgrund          Scheller und die Blumengruppe ist das
     auch!“, so Sengül, deren Name übrigens     ihrer negativen Erfahrungen aus dem         Projekt weit mehr als eine Straßenver-
     „Rose“ bedeutet. Ganz in der Nähe          Vorjahr beantragte Eva bei der Stadt,       schönerung. „Über unsere Blumen
      renovierte Eva ihre Hausfassade und       Papierkörbe umzulegen, fehlende Baum-       haben wir schon viele nette Nachbarn
      lernte dabei ihre Nachbarn besser ken-    bügel neu zu errichten und Fahrrad-         kennengelernt und gute Gespräche
      nen. Auch sie hatte zwei Baumbeete mit    bügel aufzustellen. „Leider sind Ver-       geführt. Es ist zugleich ein Mittel gegen
      Blumen und Sträuchern aus „Mutters        handlungen mit städtischen Behörden         Resignation. Wir zeigen denjenigen,
      Garten“ bepflanzt. Eva hatte nämlich      manchmal mühsam und ich hatte mir           die immer sagen ‚das bringt ja eh nix‘,
      irgendwann radelnd auf dem Weg zu         auch noch mehr Unterstützung aus dem        dass sie sich irren.“
                                                                                                                                                           33

                              Die Blumengruppe                                                                                          Die Blumengruppe
Die Samtweber

     Eine Zeitung
     aus dem
     Samtweberviertel

     Wo erfährt man, was alles im eigenen      Die Inhalte kreisen um das Sichtbare
     Viertel passiert? In der Bäckerei, beim   und Unsichtbare des Viertels: einen
     Friseur oder eher beim Nachbarn           kurdischen Imbissbetreiber und eine
     neben-an? Man glaubt es kaum, aber        italienische Ladenbesitzerin, einen
     im Digitalzeitalter läuft die Verbreitung Verein für Insektenkunde und eine
     von Informationen immer noch bestens Boxerweltmeisterin, einen jungen und
     auf bedrucktem Papier. Genau das          einen alten Polizisten. In einer wieder-
     dachte sich Nina Multhoff-Kohrs, als      kehrenden Kolumne wird erzählt, was
     sie ihr Projekt „Eine Zeitung für das     im Viertel vor 100 Jahren geschah und
     Samtweberviertel“ beim Projektfonds „Sammy - das Samtweberchen“ schreibt
     einreichte. Da auch die Projektjury       Geschichten für die kleinen Leserinnen
     schnell überzeugt war, kam im Pionier- und Leser. Die Redaktion ist dafür
      haus schon bald ein Team zusammen,       häufig unterwegs, stellt sich auf Festen
     dass das Projekt mit Elan anging.         den Fragen der Leser und sammelt
28   Grafik, Redaktion, Fotos, Druck und       Anregungen ein. Auch Gastschreiber                                    29
     Logistik. Für jede Aufgabe fand sich      sind immer herzlich willkommen. Denn
     schnell ein Experte oder eine Expertin.   am Ende sind es die Viertelbewohner
     Im April 2015 lag dann die erste Aus-     selbst, die die guten Geschichten erleben
     gabe von „Die Samtweber“ vor.             und das Leben ins Viertel schreiben.
                                                                                                                34

                                                                                           35                   36

                                             Die Samtweber                                      Die Samtweber
Das Kirschblütenfest

                                 Feststimmung
                                 und Blütenpracht

                                 W      er die heitere Stimmung des Kirsch-
                                        blütenfestes auf dem Krefelder
                                 Alexanderplatz erlebt, mag denken, dass
                                                                                   freut sich Roland Boosen. „Dadurch konnten
                                                                                   wir uns wertvolle Unterstützung holen.“
                                                                                   So kam es, dass der Bürgerverein das Kirsch-
                                 dieses wunderbare Nachbarschaftsfest bereits      blütenfest 2014 als Projektidee vorstellte,
                                 eine lange Tradition hat. Dabei fand es 2015      Unterstützung durch die UNS zugesagt
                                 zum ersten Mal statt. Dass die rosafarbene        bekam und das erste Fest im Frühjahr 2015
                                 Blütenpracht im Herzen der Südstadt gerade-       stattfinden konnte. „Wichtige Voraussetzung
                                 zu einlädt, hier ein Fest zu feiern, wird auch    für ein Kirschblütenfest ist natürlich die
                                 der eine oder andere Anwohner gedacht haben.      Kirschblüte“, schmunzelt Boosen, „und die
                                 Zur konkreten Idee kam es aber erst im Jahr       findet in Krefeld in der Regel in einem Zeit-
                                 2013 durch den Bürgerverein Bahnbezirk.           fenster zwischen dem 10. und 25. April statt,
                                 „Zeitweise wohnte ein großer Teil unseres         wie wir aufgrund jahrelanger Aufzeichnungen
                                  Vorstandes am Alexanderplatz“, erinnert sich     ermittelt haben. Am 18. April 2015 passte die
                                 der damalige Vorsitzende Roland Boosen,           Planung hervorragend. Die japanischen
                                 „und wir trafen uns öfters in der Pizzeria an     Zierkirschen auf unserem Platz standen in
30                                der Ecke, wo heute ein Kiosk ist.“ Die An-       voller Blüte.“ Den Auftakt am Morgen des          31
                                 wohner hatten sich schon seit der Neu-            ersten Kirschblütenfestes bildete ein „Früh-
                                 gestaltung Anfang der 1990er um die Pflege        jahrsputz“ entlang der Lewerentzstraße, bei
                                 des Platzes gekümmert, aufgrund des fort-         dem Müll beseitigt und Baumbeete (S.26)
                                 schreitenden Alters der Protagonisten wurden      bepflanzt wurden. Währenddessen bauten
                                 diese Aktivitäten allerdings zunehmend            Partner und Gäste des Bürgervereins ihre
                                 weniger. „Es passte ideal, dass unsere Idee       Stände auf, damit sich die Festbesucher später
                                 mit dem Start der Nachbarschaft Samt-             unter anderem an Souvlaki, Gözleme, Tira-
                                 weberei hier im Viertel zusammentraf“,            misu und Streuselkuchen laben konnren. �

                            37
                                                                                                                                38

     Das Kirschblütenfest                                              Das Kirschblütenfest
39

     Die Besucher kommen in wachsender Anzahl         und Aufführungen von Schulen und
     und mit großer Begeisterung. „2015 waren es      Kindergärten aus dem Viertel. Dazu infor-
     vielleicht 700 bis 900, beim Fest 2018 hatten    mieren Initiativen und Projekte aus dem
     wir über den Tag verteilt an die 2.000 Men-      Viertel an Ständen über ihre Anliegen.
     schen auf dem Alexanderplatz“, so Robert         Alle diese Angebote und Aktivitäten bilden                          42

     McCrory vom Bürgerverein. „Von Anfang an         den Rahmen für ein buntes Nachbarschafts-
     arbeiten wir mit bewährten Partnern, wie         fest im glücklicherweise meistens sonnigen
     dem italienischen, griechischen und türkischen   Krefelder April. Vom Mittag bis in den
32   Kulturverein und der Freien evangelischen        Abend freuen sich Besucherinnen und                                      33
     Gemeinde zusammen“, erklärt er. „Wir haben       Besucher an leckerem Essen, einem kurz-
     aber immer auch neue Stände.“                    weiligen Bühnenprogramm und der

     N     eben der Kulinarik bildet das Musik- und
           Kulturprogramm einen wichtigen Bestand-
     teil des Festkonzepts. Moderiert und musika-
                                                      Möglichkeit, sich einfach auf Bänke und
                                                      Wiesen zu setzen, und inmitten einer
                                                      fröhlichen Menschenmenge die Kirschblüte
     lisch begleitet wird das Fest vom Krefelder      zu genießen. Und wenn alles gut läuft,                              44

     Musiker-Urgestein Charly Niessen, ergänzt        wird das Kirschblütenfest irgendwann
     durch andere lokale Bands. Feste Programm-       wirklich auf eine lange Tradition zurück-
     punkte sind griechische und türkische Folklore   blicken können.
                                                                                                                43

                                                      40                                      41                45        46

                                         Das Kirschblütenfest                                      Das Kirschblütenfest
Roland Boosen
     und Robert McCrory

     Zwei Botschafter
     vom Alexanderplatz
     Bis zu seiner Rente hat der gelernte        hinschaut, findet man in der Südstadt
     Werbekaufmann Roland Boosen regel-          viele Ecken, die sich auch als Post-
34   mäßig für die Kaufhof-Zentrale mit der      kartenmotiv eignen, da brauche ich                                                   35
     Presse verhandelt und große Anzeigen        nicht mehr auf Reisen zu gehen.“
     platziert. Wenn er jetzt bei einer Tages-
     zeitung anruft, geht es in der Regel        Bevor Robert McCrory am Alexander-
     zwar „nur“ um Berichterstattung über        platz angekommen ist, hat er eine weite
     die Aktivitäten des Bürgervereins           Reise hinter sich gebracht. Der ge-
     Bahnbezirk – doch dieser Mann weiß,         bürtige Ire hatte nach Abschluss seines
     wie es geht! Zusammen mit seinem            Studiums das Bedürfnis, mehr von der
     Vorstandskollegen Robert „Bob“              Welt zu sehen als seine grüne Heimat-
     McCrory hat er das Kirschblütenfest         insel und wollte ein Jahr auf dem
     aus der Taufe gehoben. Beide sind seit      europäischen Festland verbringen.
     Jahren überzeugte Vereinsaktivisten         Doch dann kam es anders: „Als ich
     und Anwohner des Alexanderplatzes.          gerade vier Wochen in Deutschland
     Vor seiner Krefelder Zeit hatte Boosen      war, habe ich mich in eine Frau verliebt.
     in Düsseldorf-Niederkassel gewohnt          Jetzt bin ich seit 1973 hier“, erklärt er
     und die Kombination von Dorf und
     Großstadt ganz in der Nähe des Rheins
                                                 lächelnd. Die Liebe zum Alexander-
                                                 platz teilen beide Vereinsmitglieder.       „Wichtige Voraussetzung
     genossen. „Heute fühle ich mich sehr
     wohl in Krefeld und freue mich, hier
                                                 Mit ihrer Idee, ein Kirschblütenfest vor
                                                 ihrer Haustür zu feiern, haben diese          für ein Kirschblütenfest
     viele Freunde und Bekannte auf engs-
     tem Raum zu haben. Wenn man genau
                                                 Zuneigung nun auch hunderte andere
                                                 Krefelder entdeckt.                                 ist natürlich
                                                                                                   die Kirschblüte“.

                                                                                                     Roland Boosen & Robert McCrory
Die Formularhilfe

     Kulinarisch Reisen
                                                                                                       „Hilfe, ich habe
     Grenzenlos                                                                                          ein Formular!“
     speisen
                                                      Zitronenkuchen mit Vanilleeis verteilt wird,      Wer hat sich nicht schon über unver-    „Manchmal erklären wir auch nur,
                                                      können die meisten nur noch ein kleines           ständliche Formulare geärgert – nahezu wo eine Adresse auf den Brief
                                                      Stückchen probieren, das mit starkem Kaffee       kryptisch verschlüsselt, verlangen sie   gesetzt wird oder geben Tipps zu
                                                      heruntergespült werden muss. „Essen und           nach persönlichen Informationen und      anderen Alltagsfragen.“
                                                      Trinken verbindet, auch wenn man ansonsten        selbst, wenn man ihrer Sprache mächtig
                                                      nicht dieselbe Sprache spricht“, weiß Andrea      ist, so bleibt es doch oftmals ein       Unterstützt wird Kragiopoulou von
                                                      Erwert, eine der Initiatorinnen von „Kulina-      nervenzermürbender Akt. Wie proble-      Khaoula Bouaouda und den Archi-
                                                      risch Reisen“.                                    matisch wird es da erst, wenn einem die tekten von „Strauss & Fischer“, die ihre
                                                                                                       „Kultur der Bürokratie“ fremd und die     Viertelstunden für die Formularhilfe
                                                      Die Projektfonds-Jury konnten sie daher           Muttersprache eine andere ist?           einsetzen: „Als Architekten haben wir
36                                                    schnell überzeugen, 400 Euro für Zutaten                                                    auch beruflich viel mit Formularen zu    37
     Normalerweise finden sich einmal im Monat        und fehlende Küchenutensilien zu bewilligen.      Wasiliki Kragiopoulou weiß um solche      tun. Da können wir uns schnell in die
     freitags acht bis zehn Frauen zum gemein-        Alles darüber hinaus wird Dank des Im-            bürokratischen Schwierigkeiten. „Wäh-     Logik von Anträgen einfinden und den
     samen Kochen in der ECKE (S.51) ein. Heute       provisationstalents der Teilnehmerinnen           rend der offenen Tür in der ECKE (S.51)   Leuten helfen. Das Projekt schien
     hat Shonam schon zuhause vorgekocht. Sie         besorgt. So können jedes Mal unter der An-        kamen immer schon Menschen zu uns,        daher sofort wie für uns geschaffen.“
     fährt in Kürze für zwei Monate in ihre Heimat    leitung einer anderen „Chefköchin“ Gerichte       die Probleme mit Formularen hatten.       Gemeinsam klären sie, worum es in
     Kurdistan und möchte die anderen Kursteil-       aus einem Land gekocht werden, darunter           Als wir sahen, wie groß der Bedarf ist,   den Schriftstücken geht, sie geben
     nehmerinnen vorher noch einmal reichlich         italienische Lasagne, polnische Pelmeni oder      haben wir daraus ein regelmäßiges         Ratschläge oder leiten an fachliche
     bewirten. Obwohl an diesem Tag fast 20           marokkanisches Couscous. Dass gemeinsames         Angebot gemacht und seitdem über          Stellen weiter. Trotzdem ist die
     Frauen anwesend sind, ist genug für alle da:     Kochen und Essen Spaß macht, spricht sich im      250 Anliegen bearbeitet.“ Dabei geht      Formularhilfe keineswegs nur ein Ort
     Es gibt mit Hackfleisch gefüllte Klöße in        Viertel schnell herum. Immer wieder stoßen        es oft um Formulare vom Jobcenter, um     der Beratung, sondern vielmehr ein Ort
     würziger Suppe, Tabouleh – einen Bulgursalat     neue Kochwillige dazu. Aufgrund des großen        Elternpost aus der Schule oder Briefe     des Zusammenseins, der Nachbarschaft
     mit Tomate und frischer Petersilie – und einen   Zuspruchs hatte die Projektjury nach Ablauf       von der Auslandsbehörde, der Kranken-     und Gastfreundschaft, der in unserem
     gemischten Salat mit Paprika und Champig-        des ersten halben Jahres kein Problem damit,      kasse oder dem Stromversorger.            Viertel nicht fehlen darf.
     nons. Andere beteiligen sich mit großen          die Förderung zu verlängern, so dass die ECKE
     Portionen syrischem „Fattet Hummus“ –            noch viele Koch-Sessions sehen wird. Und
     Stücke von geröstetem Fladenbrot mit Kicher-     vielleicht gibt es sogar bald ein Kochbuch mit   ↘
     erbsen in einer Joghurt-Sesam-Sauce – und        den Rezepten der beteiligten Frauen. Ein Buch,        it der ECKE wurde eine Anlaufstation
                                                                                                           M
     einem weiteren Bulgur-Gericht mit Kicher-
     erbsen und Nudeln an dem Festmahl. Als
                                                      das bestimmt vielen Kochbegeisterten gute
                                                      Anregungen geben und zum Zusammenhalt
                                                                                                           geschaffen, in der den Menschen aus
     dann zum Schluss noch griechischer               der Freizeit-Chefköchinnen beitragen wird.           der Südstadt schnell und effektiv ge-
                                                                                                           holfen wird. – Stephan Strauss und Kaja Fischer
                                                                                                                       ↖

                                   Kulinarisch Reisen & Formularhilfe                                                  Kulinarisch Reisen & Formularhilfe
47

38 Bürgerinitiative                                                                                                                                                                39
   Rund um St. Josef                                                                                     Stadtspaziergang bis zum Fußballspielen mit
                                                                                                         den St. Josef Devils (S.10). Kunst- und Kreativ-
                                                                                                         angebote finden aufgrund des weitverbreiteten
   Gemeinsam für die                                                                                     Ganztags heute oft in den Schulen statt. Es gibt
                                                                                                         aber auch freie Kurse, die häufig in der ECKE
   Menschen vor Ort                                                                                      (S.51) durchgeführt werden. Überhaupt ist die
                                                                                                         ECKE seit ihrer Eröffnung 2015 zu einem festen
                                                                                                         Bestandteil der Arbeit der BI geworden. Sie ist
                                                                                                         Atelier, dient als Raum für Ferienkurse und
   Ein wichtiger Partner des Projekts Nachbar-        zusammenzubringen, die sonst vielleicht            beherbergt die Interkulturelle Sprachförderung                       48

   schaft Samtweberei ist von Anfang an die           keinen Kontakt miteinander haben würden,           (S. 42) für Grundschüler. Zunehmend wichtig
   Bürgerinitiative Rund um St. Josef – kurz „BI“     und eine Anlaufstelle für Familien im Viertel zu   für die Arbeit des BI-Teams sind Kenntnisse über
   genannt. 1974 als Bürgerinitiative gegründet ist   sein“, betont die Leiterin der Familien- und       verschiedene Förderprogramme. Sie schaffen die
   der Verein heute Teil des Paritätischen Wohl-      Weiterbildungsstätte Gudrun Tiefers-Sahafi.        Chance, auch finanziell schwächeren Familien
   fahrtsverbands und ist als Jugendfreizeitstätte,   Beim „Sprachcafé für Frauen“ zum Beispiel          den Zugang zu den Angeboten zu ermöglichen.
   Jugendkunstschule sowie als Familien- und          kommen Migrantinnen aus den unterschied-           „Wir sind nur wenige hauptamtliche Mitarbeiter
   Weiterbildungsstätte anerkannt. Aufgrund des       lichsten Ländern zusammen, um gemeinsam an          und unsere Mittel sind immer begrenzt“, erklärt
   Standortes in der multikulturell geprägten         ihrer sprachlichen und kulturellen Integration      Gudrun Tiefers-Sahafi. „Daher haben wir uns
   Krefelder Südstadt gehört die Integration von      zu arbeiten. Die Eltern-Kind-Angebote bieten        auch sehr gefreut, dass die Montag Stiftung sich
   Migranten und Migrantinnen genauso zu den          Eltern Raum für neue Kontakte, genauso wie          hier im Viertel engagiert. Mit der UNS haben
   sozialen und kulturellen Aufgaben des Vereins      Unterstützung bei Fragen rund um Entwicklung        wir von Anfang an konstruktiv zusammen-
   wie die Schaffung vielfältiger Angebote für        und Erziehung. Die Jugendfreizeitstätte bietet      gearbeitet und sehen gute Perspektiven für die
   Kinder, Jugendliche und deren Familien im          ebenso wie die Jugendkunstschule Angebote im        Zukunft. Wir werden uns weiter gemeinsam für
   Viertel. „Unser Ziel ist es, Menschen              Bereich der außerschulischen Bildung, vom           die Menschen vor Ort engagieren.“
                                                                                                                                                                              49

                                   Bürgerinitiative Rund um St. Josef                                                                    Bürgerinitiative Rund um St. Josef
„Ich möchte
                             in Krefeld                             Elif Manaz
                             alt werden“
                            In Krefeld geboren ist Elif Manaz zwar nicht, lebt aber bereits seit
                            ihrer Kindheit in der Stadt. Trotz auswärtigen Jobangeboten findet
                            ihr heute fast ausschließlich in der Krefelder Südstadt und den an-
                            grenzenden Quartieren statt. Von ihrer Wohnung am Lutherplatz
                            aus hat die Friseurmeisterin einen guten Blick über die Dächer von
                            Krefeld. Ihr Friseursalon „Pampelmuse“ liegt in Rufweite von Süd-
                            wall und Fußgängerzone. „Die einzige Stadt, die mir genauso gut
                            gefällt wie Krefeld, ist Bremen“, erklärt sie. „Hier habe ich mich beim
                            ersten Besuch sofort heimisch gefühlt. Es ist alles fußläufig erreich-
                            bar und die Menschen sind sehr politisch, was ich toll finde.“
                            Für sie steht fest: „Ich möchte in Krefeld alt werden“.
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                             Mit viel Herzblut und Energie betreibt sie die ungewöhnliche
                            „Pampelmuse“– mehr ein Kulturcafé mit Frisierstuhl, als nur Friseur-
                             salon. Couch, Kühlschrank und Plattenspieler sind hier auch für
                             Besucher da, die sich ihre Haare nicht frisieren lassen möchten.
                            „Für mich ist die Pampelmuse ein offener Raum, ein Treffpunkt
                             für Menschen aus dem Viertel“, betont sie. „In 08-15 Friseursalons
                             habe ich mich nie wohlgefühlt, da wollte ich auf Dauer nicht ar-
                             beiten, und schon gar nicht meinen eigenen Laden nach diesem
                             Muster gestalten.“

                            Müsste man Elif Manaz mit wenigen Worten beschreiben, wären
                            ehrlich, authentisch und unkonventionell drei Favoriten. „Wenn
                            ich etwas mache, möchte ich zu 100 Prozent dahinterstehen. Ich
                            bin eher Philanthropin als Unternehmerin. Mir geht es nur zum
                            geringen Teil ums Geldverdienen. Für mich stehen die Menschen
                            im Fokus und ich tue auch gerne etwas für die, die nichts bezahlen
                            können.“ Elif ist Mitglied im Viertelsrat, Initiatorin von Kinder-
                            Kunstprojekten und hat im Rahmen von „Das Viertel is(s)t multi-

      „Wenn man will,       kulti“ mitorganisiert, dass Geflüchtete ihre Helfer zum Essen
                            einladen. „Die Menschen in der Südstadt sind offen, ehrlich und
                            sehr solidarisch“, betont sie. „Ich lebe sehr gerne hier! Wenn man

     kennt man hier nach    will, kennt man hier nach einem Jahr alle.“

      einem Jahr alle.“
            Elif Manaz                    Elif Manaz
Biografisches Theater

                                                              Mit Kopf und                                für Kinder aus aller Welt. In Krefeld
                                                                                                          werden sie mit Hilfe der Bürger-
                                                                                                                                                    Theaterarbeit sehr, Teamgeist und
                                                                                                                                                    Verantwortungsbewusstsein zu ent-
                                                              Körper spielen                              initiative Rund um St. Josef (S.38) in    wickeln.“ Da die Teilnehmer der
                                                                                                          der Jugendkunstschule an der Cornelius-   Theaterprojekte zum großen Teil
                                                              „Wie wäre es, wenn Worte Geld kosten        straße realisiert. Fast ein Jahr lang     geflüchtete Kinder sind, nimmt Sprache
                                                               würden? Wenn nur sprechen kann, wer        proben die Kinder einmal die Woche        einen besonderen Stellenwert ein.
                                                               vorher dafür bezahlt? Wenn besonders       für ihren großen Auftritt. „Wenn ich      „Obwohl manche am Anfang kaum
                                                               schöne Wörter unbezahlbar sind? Für        gefragt werde, warum wir so lange          Deutsch können, brauchen wir keine
                                                               Menschen, die der Sprache nicht            für diese Stück brauchen, erkläre ich,     Übersetzer“, freut sich die Regisseurin.
                                                               mächtig sind, ist es ein bisschen so“,     dass die Kinder keine Rollen auswendig    „Vieles geht nonverbal und außerdem
                                                              erklärt die Tanz- und Theaterpädagogin      lernen, sondern die gesamte Auf-           arbeiten wir regelmäßig mit Schreibwerk-
                                                              Ani Crusius. Um dieses Thema darzu-         führung – Text und Choreographie –         stätten. Kinder, die sehr schüchtern
                                                              stellen, hat sie das Buch „Die große        zusammen entwickeln“, betont Ani           waren, gewinnen durch die Theater-
                                                              Wörterfabrik“ von Agnes de Lestrade         Crusius. „Biografisches Tanztheater        arbeit enorm an Selbstbewusstsein und
                                                              zum roten Faden ihrer Theaterreihe          fordert und fördert die Kinder ganz-       lernen zugleich, wie sie mit Scheitern
                                                              gemacht. „Herzrot“ ist eines der bio-       heitlich, weil wir Kopf und Körper         umgehen. Denn natürlich klappt auch
                                                              grafischen Theater- und Tanzprojekte        gleichermaßen einsetzen. Dazu hilft        bei uns nicht immer alles perfekt.“
                                                         50

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     Interkulturelle Sprachförderung
                                                      wöchentlichen Sprachförderkurs für Grund-           kann. So haben auch zurückhaltende oder
     Spielerisch lernt                                schulkinder in der ECKE (S.51). Bis 2015 war
                                                      sie selbst Lehrerin an der Josefschule, von der
                                                                                                          traumatisierte Kinder die Möglichkeit, gestal-
                                                                                                          terisch und nonverbal Erlebnisse und Kennt-
     es sich besser…                                  Kinder an dem Kurs ebenso teilnehmen wie            nisse auszudrücken. Dies weckt auch das
                                                      Kinder der Buchenschule. Als sie nach ihrer         Interesse der anderen Kinder und stärkt die
                                                      Pensionierung gefragt wurde, ob sie einen           Gemeinschaft. Ein besonderes Highlight ist
     Das gilt natürlich auch für Kinder, die sich     Sprachkurs für Kinder geben möchte, sagte sie       natürlich die Küche, in der gemeinsam gekocht
     plötzlich in einer ihnen fremden Sprache         gerne zu. Die Erst- bis Viertklässler lernen sehr   und gebacken werden kann. Damit die Kinder
     verständigen müssen. "Meine kleinen Schüle-      freudig und motiviert, auch, wenn sie nach der      nach fünf Stunden Schule nicht auch noch den
     rinnen und Schüler werden sozusagen ins kalte    Schule erschöpft sind. „Daher beginnen wir          gesamten Nachmittag drinnen verbringen
     Wasser geworfen, was mit Scheu, Angst und        stets mit einer gemeinsamen Essenspause,            müssen, verlegt die Kursleiterin ihren Unter­
     Frust verbunden ist. Man muss sich immer vor     damit die Kinder vom Unterricht abschalten          richt auch gerne nach draußen. Die kleinen
     Augen führen, wie es einem selbst ergeht,        können", so Jürgs. „Dann folgt unser Be-            Teilnehmer kommen aus Syrien, Italien, Griechen-
     wenn man in einem Land ankommt, dessen           grüßungsritual, indem wir ein Lied in allen         land, Polen, Rumänien und Bulgarien. „Das
     Sprache man nicht kennt! Aber zum Glück          Sprachen unserer teilnehmenden Kinder               Schönste ist für mich zu erleben, wie Kinder,
     lernen Kinder schnell und dazu trägt auch eine   singen. Ihren Fähigkeiten entsprechend erzäh-       die anfangs kein deutsches Wort sprachen,
     Gemeinschaft bei, in der sie erleben, dass sie   len sie in Worten oder bereits kleinen Sätzen,      spielerisch die neue Sprache erlernen und sich
     nicht allein sind mit diesem Problem.“ Gabrie-   was sie gerade bewegt und erst dann beginnen        in der Gemeinschaft wohlfühlen. Das bereitet
     le Jürgs betreut seit Herbst 2015 einen von      wir mit der geplanten Arbeit.“ Mit Freude           mir immer viel Freude, aber auch Dankbarkeit,
     der Bürgerinitiative Rund um St. Josef (S.38)    erzählt die Lehrerin von der Materialvielfalt,      diesen Kindern den Weg in die neue Heimat
     und dem Viertelsrat ins Leben gerufenen          mit der sie die Kreativität der Kinder fördern      erleichtern zu können.“
                                                                                                                                                                                                51

                        Biografisches Theater & Interkulturelle Sprachförderung                                               Biografisches Theater & Interkulturelle Sprachförderung
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