MENSCHEN, DIE MACHEN - Nachbarschaft Samtweberei
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
MENSCHEN, Dieses Heft ist über Menschen, die etwas tun, anpacken, unternehmen, um ihr Viertel lebenswert und sozial zu gestalten. Es enthält DIE MACHEN eine Auswahl von vielen „Klasse Projekten“, die zwischen 2014 und 2019 in der Nachbar- schaft Samtweberei in Krefeld entstanden sind, und vor allem der Menschen dahinter. Sie stehen stellvertretend für Viele, die sich für das Gemeinwohl im Quartier engagieren – vereint durch ihren Mut, etwas zu bewegen.
Mehr davon! Die „Nachbarschaft Samtweberei“ – initiiert Engagement für gutes Zusammenleben und von der Montag Stiftung Urbane Räume aus Miteinander, für Chancengerechtigkeit und Bonn in Zusammenarbeit mit der Stadt Krefeld – sozialen Ausgleich, für den gemeinsamen ist mittlerweile ein bundesweit beachtetes Lebensraum und die Stärkung des Gemein- Modell für gemeinwohlorientierte Quartiers- wesens im „Samtweberviertel“, welches den entwicklung geworden. Vordergründig fällt gesamten Stadtteil und nicht nur den Block dabei die Immobilie ins Auge. Die Alte Samt- der Samtweberei umfasst. weberei, ehemalige Textilfabrik und Bau- denkmal, lange Zeit leer stehend und ohne Dieses Projektbuch beschreibt einige von über Anbindung in den Stadtteil, ist heute saniert 100 Gemeinwohl-Projekten, die zwischen und Lebensraum zum Wohnen und Arbeiten 2014 und 2019 auf den Weg gebracht wurden. von 150 Menschen geworden. Preise und Aus- Es dokumentiert Engagement, Phantasie, zeichnungen loben die Architektur, die be- Durchsetzungskraft, Talente und die Haltung sonderen Wohnformen im Denkmal und die des praktischen Machens, womit sich Men- umgenutzten Räume für kooperatives Arbeiten schen aus dem Viertel für ihr Viertel einsetzen. im Pionierhaus. Die Shedhalle ist ein neuer Einige dieser „Macher“ sind auf den folgenden Platz fürs Viertel und bietet Freiräume zur Seiten portraitiert. Sie stehen für viele andere, Selbstgestaltung, Aneignung und gemeinschaft- die – sei es als Mieter der Alten Samtweberei, liche Nutzung. Das Nachbarschaftswohnzimmer sei es als Aktive in Vereinen, Initiativen und steht für Kultur, nachbarschaftliche Begegnung Einrichtungen oder sei es als verantwortliche und als gastronomischer Treff im Viertel bereit. Stadtbürger – mit viel Herzblut gute Nachbar- Das Ganze unternehmerisch entwickelt und in schaft leben und entwickeln. Ihnen ist dieses der Hand einer gemeinnützigen Projektgesell- Heft gewidmet und soll Mut machen zum schaft, die alle Überschüsse aus der Vermietung „Mehr davon!“. für die Förderung von Gemeinwohl im Quartier zur Verfügung stellt. Denn das Projekt der Nachbarschaft Samt- weberei ist nicht mit dem Bauen abgeschlossen, Doch ist der eigentliche Kern der Nach- sondern beginnt jetzt erst richtig. Mit einer barschaft Samtweberei nicht die Immobilie – Immobilie, die dem Gemeinwohl dient und mit diese ist lediglich dienendes Element für das vielen Menschen im Viertel, die in Gemein- zentrale Anliegen des Projektes. Im Mittel- schaft neue Projekte anstoßen und ihre Nach- punkt stehen die Menschen und ihr barschaft selbst in die Hand nehmen. Henry Beierlorzer, Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH, Krefeld im Februar 2019 Vorwort
Portraits Projekte 4 Michael Otto Der Hüter der Samtweberei 6 Claudia Reich Die Welt mit wachen Augen sehen 10 „Letztes Jahr sind wir Dritter geworden“ Die St. Josef Devils Bestrickende Ideen 12 „Biep, Blink, Wuschhhh!“ Der Elektronik-Workshop Lustige Brotgesichter Das Wollwerk Ernährungsführerschein 14 Nurten Kocaman „Meine Kunst passt zu Krefeld“ 20 PlatzDa „Man kann hier vieles machen, was in anderen Städten kaum möglich wäre“ 16 Kleine Alltagsmysterien Die Schleichwegekarte 20 Den Raum vor der Haustür lebenswert gestalten StadtRaumFestival Viertelpuls 24 Markus Schlothmann Das Neapel am Niederrhein 34 Roland Boosen und Robert McCrory Zwei Botschafter vom Alexanderplatz 22 „Mülle Grazie“ Die „Null-Müll“-Gruppe Tauschen statt kaufen 26 „Wir zeigen denen, die immer sagen ‚das bringt ja eh nix‘, dass sie sich irren“ Die Blumengruppe 2 Die Givebox 3 38 Bürgerinitiative Rund um St. Josef Gemeinsam für 40 Elif Manaz „Ich möchte in Krefeld alt werden“ 28 Eine Zeitung aus dem Samtweberviertel Die Samtweber 30 Feststimmung und Blütenpracht Das Kirschblütenfest die Menschen vor Ort 44 Andreas Weißpflug Ein Pate für Schüler 48 Markus Lechner Sozialunternehmer durch und durch 36 Grenzenlos speisen Kulinarisch Reisen „Hilfe ich habe ein Formular“ 42 Mit Kopf und Körper spielen Biografisches Theater Spielerisch lernt es sich leichter Die Formularhilfe Interkulturelle Sprachförderung 46 Blinde Flecken Supervision Hilfe zur Selbsthilfe 50 Sprachkurse aus Nächstenliebe Sprachkurse der FeG für Geflüchtete Die ECKE – Tagestreff „Die Brücke“ Eine Runde Sache Im Text grün hinterlegte 56 52 Begriffe weisen auf Von der Vision zur Wirklichkeit – Die Projekte sind miteinander verwoben – Bausteine des Projekts hin. Wie mache ich ein Projekt? eine grüne Markierung mit Seitenangabe Sie werden ab Seite 56 verweist an die richtige Stelle. gesammelt und erläutert. Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Michael Ot�o Der Hüter der Samtweberei Die meisten Menschen können keine wahrhaftige Antwort geben, wenn man sie nach ihrem persönlichen Lieblingsort fragt. Fragt man hingegen Michael Otto, so erhält man direkt zwei Antworten: Die slowenischen Alpen und die Krefelder Südstadt. Auf den ersten Blick eine merkwürdige, in jedem Fall kontrastreiche Wahl. Den schönen Triglav Nationalpark, mächtige Bergketten mit Schneemänteln und die Slowenen, die von dem leben „was sie auf dem eigenen Acker anbauen 4 oder aus dem Fluss fischen.“ Die Liebe zur Natur, zu dem 5 was lebendig ist, was wächst und gedeiht, entdeckte Michael Otto schon während seiner Kindheit. „Mein Opa war Bauer mit G änsen, Schweinen und einer Apfelmosterei, und meine Eltern hatten einen großen Schrebergarten, wo ich oft mit- geholfen habe“, erzählt er. Später dann war Michael Otto nicht nur Student, er war Restaurator von Oldtimern und historischen Möbeln, er lebte in Spanien und an der Nordsee, pflegte Gärten und Häuser. Irgendwann landete er wieder in seiner Heimatstadt Krefeld und es dauerte nicht lange, da pflanzte er Blumen in die Baumbeete auf der Lewerentzstraße (S.26). Seit mehreren Jahren nun schon, ist er der „Hüter der Alten Samtweberei“, nicht bloß Hausmeister, sondern auch Nachbar, Pionier und vor allem: helfende Hand. P.S.: Seit 2018 hütet er außerdem rund 60.000 Bienen auf dem Dach des Pionierhauses. „ Ich liebe es, etwas entstehen zu sehen“ Michael Otto Michael Otto
Claudia Reich Die Welt mit wachen Augen sehen Schon als Kind wusste Claudia Reich, wenn sie groß ist, wird sie eine Künstlerin. Jahre später steht sie dort, alleine in ihrem Atelier, mit Borsten, Karton und einer Nylonstrumpfhose. Ein anderes Mal ist sie unter Gleichgesinnten: Mit Kindern bastelt sie Monta- gen, begehbare Aquarien aus Müll oder kleine Utopien, verpackt in einem Schuhkarton und die Welt, dieses „Schlaraffenland“, ist ihre aberwitzige Muse. Das atemberaubende Spiel zwischen dem Menschen und der Welt, zwischen dem Jetzt und der Zukunft. In der Tat ist es manchmal verwunderlich, doch aus eben diesem 6 Spiel schöpft Claudia Reich ihre Inspiration. „Viele meiner Arbeiten 7 entstehen beim verwunderten Betrachten dieser Welt und der Menschen – wie das Leben in der Zukunft oder die Beziehungen der Menschen untereinander und zu sich selbst.“ So heißt eines ihrer Projekte: „Future is now – Cyborg, Klon oder Roboter“. „Dabei habe ich die Kinder gefragt, wie sie sich die Zukunft vorstellen und schon bald haben wir gemerkt, dass wir bereits heute mitten drin sind.“ Claudia Reich beginnt ihre künstlerische Ausbildung mit Akt- zeichenkursen. Dann studiert sie Design an der Hochschule Niederrhein und schließt mit einem Malereistudium an der Uni- versität in Utrecht ab. Die Krefelderin ist Teil des Organisations- teams für Kunstausstellungen in der Pförtnerloge der Fabrik Heeder und organisierte eine Kultur-Wohnwagenfahrt durch den Nieder- rhein. Rund um die Südstadt leitet sie Kunstaktionen und Kreativ- angebote für Kinder und Jugendliche. Aber nicht ausschließlich. „Viele meiner Arbeiten entstehen Auch der Handarbeitskurs „Café International kreativ“ ist aus ihrer beim verwunderten Betrachten Hand zusammen mit der Caritas und ganz unterschiedlichen Frau- en entstanden. Ihr Atelier im Pionierhaus dient oft als Werkstatt der Welt und der Menschen – und Treffpunkt. wie das Leben in der Zukunft oder die Beziehungen der Menschen untereinander und zu sich selbst.“ Claudia Reich Claudia Reich
St. Josef Devils „Letztes Jahr sind wir Dritter gew rden!“ Die Meisterschaftsspiele der Krefelder Jugend- Trainerbeschäftigung bei der BI gekommen. zentren: ein schweißtreibendes Spektakel – „Unsere Ansprechpartnerin Silvia Esters präzise Schüsse, schnelle Pässe, eine mauer- kannte ich schon“, erzählt Lentini, „und da wir starke Abwehr und doch zählt vor allem: Fair- beide hier im Viertel wohnen, hatten wir auch ness, Mannschaftsgeist und spielerische schon vorher einen Bezug zu den Aktivitäten Kreativität. Ein Anspruch, dem die St. Josef der BI.“ Mit den Devils trainieren sie wöchent- Devils durchaus gerecht werden. Denn bei der lich, mal in der Turnhalle an der Lindenstraße, vergangenen Meisterschaft in der Torfabrik mal in der Shedhalle, mal unter freiem Him- konnten sie sich so auf den dritten Platz mel und immer mit einer nennenswerten schießen. Ein runder Erfolg für die Jugend- Portion Spaß. Ihre Trikots konnten sie über mannschaft der Bürgerinitiative Rund um St. den Projektfonds finanzieren und mit Viertel- Josef (S.38). Ekaterini Kiriaki und Melissa stunden bedrucken lassen. Neben den klassi- Lentini sind Fußballerinen mit Leib und Seele, schen Übungen, wie Passspiel und Torschuss, sie sind ballverrückt und sportverliebt. Ekateri- geht es auch um Kondition, um Körpergefühl ni spielte sogar für die griechische Jugend- und Selbstbewusstsein. „Es ist toll zu sehen, nationalmannschaft. Ihre Begeisterung teilen wie sich die Kinder im Laufe des Trainings 10 sie mit Kindern und Jugendlichen aus dem entwickeln!“ Die Trainerinnen sind stolz auf 11 Viertel. Durch die guten Drähte im Viertel die kleine Mannschaft, die sie mit so großer sind Kiriaki und Lentini an ihre Leidenschaft anleiten. 8 Das Wollwerk Bestrickende Ideen Mit einfachen Mitteln hässliche Ecken der Straße in die ECKE (S.51). Betreut für die beiden Kursleiterinnen manch- schöner zu machen, ist ein wichtiger von den beiden Studentinnen trafen mal gar nicht so einfach. „Es kann Ansatz von „Urban Knitting“. Graue sich dort einmal wöchentlich Menschen spannend sein, wenn sich plötzlich Betonpfähle oder Laternenmasten zu mit Spaß an Strick- und Häkelnadeln, Leute gegenübersitzen, die sich sonst „bestricken“, ist aber nicht nur eine oder solche, die den Umgang damit nie treffen würden“, weiß Brinkmann, „coole Aktion“. Für die Initiatorinnen lernen wollten. „Es kamen vor allem „aber auch ziemlich anstrengend. Zum des späteren „Wollwerk“Svenja Schrei- Frauen ab 40“, erinnert sich Teresa Glück waren wir nie gezwungen, jeman- ber und Teresa Brinkmann war es Brinkmann, „aus denen schnell ein den rauszuschmeißen.“ Auf dem zuerst ein Streetart-Projekt, das sie im fester Kreis von vier bis fünf Teil- Nachbarschafts- und dem Kirsch- Rahmen ihres Kulturpädagogik- nehmerinnen entstand. Dank unserer blütenfest (S.30) haben sie die ent- Studiums betrieben. Durch den Kon- offenen Tür bekamen wir aber auch standenen Werke anschließend für takt zur Bürgerinitiative Rund um St. immer wieder Besuch von Leuten, die bescheidenes Geld verkauft. „Unsere Josef wurde daraus eine feste Ver- einfach mal gucken wollten, was wir Einnahmen wurden dann bei einem anstaltung mit regelmäßigen Treffen. hier machen. Manchmal waren auch leckeren Glühwein auf dem Weihnachts- Auf diese Weise verlegten die Strick- ziemlich skurrile Typen dabei.“ Diese markt gemeinschaftlich verkloppt“, Guerillieras ihren Wirkungsort von bunte Mischung zu moderieren, war erzählt sie schmunzelnd. 9 St. Josef Devils & Das Wollwerk St. Josef Devils & Das Wollwerk
Elektronikworkshop Biep, Blink, Wuschhhh! Dass Designer zugleich gute Technik-Schrauber sein Ernährungsführerschein können, davon sind Andreas Kalinka und Florian Pfahl überzeugt. Sie selbst befassen sich beruflich jeden Tag zugleich mit digitaler Technik und Ge- staltung. Und sie sind überzeugt, dass auch Kinder Lustige Spaß an beiden Welten haben. Gesagt, getan, bieten Brotgesichter die beiden im Rahmen ihrer Viertelstunden einen Workshop für Kinder an, der Basteln und Schrauben verknüpft. Mit dem Titel „Biep, Blink, Wuschhhh“ „Kater Cook mag sehr gerne Brot mit Ernährungsführerschein darum, das laden sie zum Elektronik Workshop ein. Käse!“ Solche Aussagen sind sonst Bewusstsein der Teilnehmer für neue nicht im Vokabular von S3 Management Ideen und Verhaltensweisen zu öffnen.“ „Die Kinder hatten von Anfang an Spaß am Thema. GmbH. Die Zielgruppe des Angebots Das scheint den beiden „Freizeit Food Einige waren sogar schon vor der Zeit da“, erzählt waren Grundschulkinder aus der Coaches“ auf Anhieb gelungen zu sein. Florian Pfahl. „Das Ziel des Workshops haben sie Krefelder Südstadt, die unter Anleitung Denn Eltern der kleinen Ernährungs- 12 dann ganz schnell verstanden und es geschafft, ihre von Sabine Mackes und Ulrike Oehlert lehrlinge berichteten schon bald nach 13 LEDs zum Leuchten zu bringen.“ Auf den ersten ihren „Ernährungsführerschein“ ab- dem Kurs, dass ihre Kinder jetzt viel Schritt, das Konstruieren einfacher Schaltkreise, folgte solvierten. Bei dem Kurs geht es darum, mehr auf gesundes Essen achten und dann die kreative Arbeit der Monster-Kreation. „Am Grundschulkindern leckeres und sogar gelernte Rezepte nachkochen. Anfang haben wir an Hand eines ‚Beispielmonsters‘ zugleich gesundes Essen nahezu- gezeigt, was möglich ist, und waren ziemlich über- bringen – und das ganz praktisch durch „Nach unserem Antrag hat die Jury 10 rascht, was die Kleinen in kurzer Zeit alles gezaubert eigenes Tun: „Lustige Brotgesichter“, des Projektfonds den Ernährungs- haben“, freut sich Andreas Kalinka. „Manchmal „Knackiger Gemüsespaß“ und „Frischer führerschein und die 500 Euro für blinkten die Roboter-Augen, manchmal leuchteten Obstsalat“ heißen daher einige der Küchengeräte und Lebensmittel sofort die Haare oder es bewegte sich ein Arm. Der Kreativi- Unterrichtseinheiten. genehmigt“, strahlt Sabine Mackes. tät waren keine Grenzen gesetzt.“ „Auch uns hat die „Ein wichtiger Grund dafür war wohl, Aktion einen Riesenspaß gemacht. Wir finden es toll, „Normalerweise beraten wir Unter- dass wir etwas Handfestes für Kinder dass wir mit den Viertelstunden ein so spannendes nehmen bei der Verbesserung ihrer tun wollten. Meiner Kollegin und mir Angebot für Kinder machen, dass Eltern nicht be- Prozesse und helfen deren Mit- hat die Arbeit mit den Kindern einen zahlen müssen. Wir werden das bestimmt wieder- arbeitern, ihre Aufgaben, auch unter Riesenspaß gemacht. Besonders holen“, ergänzt sein Kollege Andreas Kalinka. schwierigen Rahmenbedingungen, gut deren Begeisterungsfähigkeit und 11 zu erfüllen“, erklärt Sabine Mackes. Experimentierfreude waren eine tolle „Von daher war die Arbeit mit den Erfahrung – und ein Anreiz, den Er- Kindern für uns etwas Außergewöhn- nährungsführerschein-Kurs gerne liches. Andererseits geht es auch beim zu wiederholen.“ 12 Elektronikworkshop Ernährungsführerschein
Nurten Kocaman „Meine Kunst passt zu Krefeld!“ Ihre Mutter war eine kreative Schneiderin, ihr ohne Bedeutung. Hier beginnt ihre Arbeit, Vater ein pfiffiger Handwerker. Das Kreative bei der sie mit einem sicheren Gefühl für wurde ihr also von Hause aus mitgegeben. harmonische Farbklänge, die Einzelteile zu Nurten stammt aus Kütahya, eine türkische einem kunstvollen Neuen zusammenfügt. Großstadt und ein Zentrum für Handwerks- Die Kunstwerke strahlen vor leuchtendem kunst. 2001 kam sie mit der Familie nach Violett und feurigem Orange, von Grasgrün Krefeld und fühlt sich seitdem hier zuhause. und Himmelblau. „Als Textilkünstlerin passe ich doch ideal zu dieser Stadt aus Samt und Seide“, erklärt sie „Ich stelle nur Unikate her und liebe es, dass schmunzelnd, „und ich empfinde es als große Kunst am Anfang immer offen ist und dann 14 Anerkennung, dass Objekte aus meinem erst Stück für Stück entsteht.“ Neben der 15 Sortiment im Museumsshop des Deutschen Textilkunst kommt auch das Kunsthandwerk Textilmuseums in Linn zu haben sind.“ mit eigenen Kreationen von Taschen, Kleidung und Schmuck hinzu. „Ich wohne gerne in der Südstadt, finde es aber auch anderswo in Krefeld schön, und selbst Einen weiteren Bereich stellen ihre Objekte wenn ich sehr viel Geld hätte, würde ich nicht der Recycling- und Upcycling-Kunst dar. Ob wegziehen wollen, sondern nur Ausstellungs- Bonbonpapier, Verschlüsse, leere Gläser: räume in anderen Städten anmieten, um dort Dinge, die nutzlos erscheinen, werden von meine Kunst zu zeigen“ Nurten kunstvoll und ideenreich zu neuen, begehrten kleinen Kunstobjekten umgearbeitet. Mit ihrem Label „nurStil“ schafft sie einzig- „Solche Arbeiten mache ich auch gerne mit artige Arbeiten im Bereich der Textilkunst. Sie Kindern“, freut sie sich. „Manchmal sind sie arbeitet mit Batikstreifen, Fasern, Stoff- und anfangs zurückhaltend, finden dann aber Garnresten, die in sich meist schon gemustert schnell Spaß daran, aus scheinbar Wertlosem sind – noch zusammenhanglos, einzeln und etwas neues Schönes herzustellen.“ „In Farbverläufen drücke ich meine Gefühle und Stimmungen aus“ Nurten Kocaman Nurten Kocaman
PlatzDa Judith Cleve, Clemens Brück, Katrin Mevißen und Monika Jagla Die Schleichwegekarte Kleine Alltagsmysterien Der Blick auf ein altes Speicherhaus, ein Schlenker um „die Linde“, ein kurzer Gang zwischen hohen Haus- wänden hindurch und die Entdeckung einer stillen Oase hinter schwerem 16 Gemäuer. Jeder hat sie: Die Schleich- 17 wege in der Stadt, Geheimnisse hinter 13 dicken Häuserfronten, bewährte Ab- kürzungen und abenteuerliche Ent- deckungen. Doch: Wo sind sie? Die Frage nach den Schleichwegen beschäftigte auch die Studentinnen „Man kann hier vieles machen, Judith Cleve, Jennifer Aksu und Julia Wellmann. Gemeinsam begaben sie was in anderen Städten kaum möglich wäre“ sich auf eine Entdeckungsreise durch I die Krefelder Südstadt. Sie befragten 14 n der Anfangszeit der Nachbarschaft Den Büroraum bekamen sie und dazu den Bewohner nach ihren Schleichwegen, Samtweberei, im Sommer 2014, zählten Auftrag, sich um die vielen Gestaltungsfragen nach abgelegenen Pfaden und schönen Judith Cleve, Monika Jagla und Katrin rund um die Samtweberei zu kümmern. Sie Orten. Daraus entstanden ist eine Mevißen zu den ersten Pionieren, die die kreierten die „Tape-Schrift“, die heute grasgrün Karte. Nicht irgendeine Karte, sondern leerstehenden Büros der Alten Samtweberei von der Pionierhausfassade leuchtet. eine, die auch als Regenschirm, als bevölkerten. Durch ihr Designstudium an „Wir haben viele Feste und Veranstaltungen Sonnenschutz und natürlich als Weg- der Hochschule Niederrhein fanden die drei begleitet“, so Judith Cleve. „Unter anderem weiser geeignet ist. Eine Karte mit 10 schnell den Weg in die Lewerentzstraße. haben wir das Design für das Kirschblütenfest „Geheimnissen“. „Schleichwege sind die „Ganz am Anfang stand ein Hochschulwett- (S.32) entworfen.“ Eine große Gestaltungsauf- kleinen Alltagsmysterien, die direkt bewerb für das Erscheinungsbild der Samt- gabe war dann das Viertelpuls-Festival (S.20), vor der Haustür liegen“, es sind un- weberei“, erinnert sich Katrin Mevißen, an dem auch Clemens Brück maßgeblich bemerkte Geheimnisse, die im Schatten „den wir gewonnen haben. Und je mehr wir beteiligt war. Auf Initiative des Fachbereichs einer Stadt darauf warten, endlich uns mit dem Projekt beschäftigten, desto Design schwärmten die Studierenden in das entdeckt zu werden. Also: Worauf mehr wollten wir Teil davon sein. Also haben Samtweberviertel aus, um die Straßenräume wartest Du? wir uns für einen Büroraum beworben.“ zu verschönern und die Nachbarn dabei zu � 15 Schleichwegekarte PlatzDa
16 unterstützen, es ihnen nach zu tun. Ein wichti- Nachbarn“, betont Clemens Brück. „Wir ger Part von Judith Cleve und Clemens Brück stellen auch einmal gerne Sessel auf den war die Bemalung der „Cosmos“-Hauswand am Westwall oder laden zu einem Tag der offenen Übergang von Lewerentzstraße zum Frankenring. Tür in unser Atelier.“ Als Kreativ-Satelliten Ihre Grundhaltung ist, Design in die Öffentlich- wollen sie Teil der Entwicklung Krefelds sein. keit zu bringen, und nicht nur im stillen Kämmer- „Krefeld ist offen“, freut sich Monika Jagla, lein zu werkeln. 2016 haben die vier Gestalter „man kann hier vieles machen, was in anderen 18 dazu das Büro „PlatzDa” gegründet. Sie miete- Städten kaum möglich wäre, und durch die 19 ten das Haus Ramrath auf dem Westwall und Nachbarschaft Samtweberei haben sich diese 19 praktizieren jetzt von dort eine moderne Kom- Möglichkeiten noch einmal vervielfältigt.“ bination von Wohnen und Arbeiten. „Dabei suchen wir immer den Kontakt zu unseren 20 17 18 21 PlatzDa PlatzDa
StadtRaumFestival Viertelpuls Was haben eine gestaltete Mauer, neue leisten: Es wurde gebaut und ge- leerstehenden Ladenlokal an der Ecke Sitzgelegenheiten rund um eine alte Linde schraubt, Konzepte wurden entwickelt Südstraße/Tannenstraße entwickelte und große Schlüssellöcher gemeinsam? Es und Choreographien einstudiert. Das sich das Nachbarschaftswohnzimmer sind zugleich Designaktionen zur Auf- Kulturbüro der Stadt beauftragte extra ECKE (S.51), das aus dem Viertel nicht wertung des Lebensraums Stadt, die für Viertelpuls ortsspezifische Tanz- mehr wegzudenken ist. „Wir wollten vorübergehend oder auch langfristig und Theaterinszenierungen. Und die Akzente setzen, einzelne Orte auf- Wirkung zeigen. Diese drei und eine Ergebnisse überraschten nicht nur die werten und durch durch künstlerische Vielzahl anderer Projekte brachten Studie- Bewohner des Samtweberviertels. Es Aneignungen neue Stadträume schaf- rende der Hochschule Niederrhein zu- gab Luftakrobaten und einen Sitz- fen und erproben.“, erklärt Nico Beu- sammen mit Bewohnern des Viertels und garten. Auf dem Corneliusplatz wurden cker. „Dabei sollten gestalterische und lokalen Unternehmern im Rahmen des Spruchbänder mit Gedanken der nachbarschaftliche Aktionen Hand in „StadtRaumFestival Viertelpuls “ in die Viertelbewohner aufgehängt. Tische Hand gehen. Vieles davon ist heute Krefelder Südstadt. Grundlage für die und Bänke auf der Straße luden zum Vergangenheit, einiges wirkt aber auch neuntägige Designaktion war eine gute Verweilen ein. Auch Aktionen wie das in die Gegenwart und darüber hinaus. Den Raum Zusammenarbeit von Hochschule, Stadt jährliche Nachbarschaftsfest oder die Ich freue mich zum Beispiel sehr, dass vor der Haustür und der Nachbarschaft. Ideengeber war Professor „Nico“ Beucker, der sich mit kulinarischen Stadtführungen, die seitdem fortleben, hatten ihren Anfang Studierende aus meinen Kursen sich für das Leben und Arbeiten im Viertel lebenswert gestalten seinem Lehrstuhl „Public & Social Design“ im Viertelpuls. Aus dem Infopunkt entschieden haben und die Zukunft bereits länger mit den Wechselwirkungen des StadtRaumFestivals im Krefelds mitgestalten wollen.“ von gebauter Umwelt und menschlichem Zusammenleben beschäftigt. „Die Idee war unterschwellig schon länger da, bevor ich sie beim Projektfonds 2014 20 vorstellte“, erinnert sich Nico Beucker. 21 „Es hat mich sehr gefreut, dass unser Konzept dann auch die Jury begeisterte.“ So konnte das Festival ein gutes Jahr später Realität werden. Bevor es los gehen konnte, galt es aber noch viel Arbeit zu 24 23 25 22 26 27 Viertelpuls Viertelpuls
Mülleimer auf der Lewerentzstraße Die Gruppe arbeitet weiter an kreativen gesehen. Damit die Mülleimer auch Ideen gegen zu viel Müll. So ist zum wirklich wahrgenommen und genutzt Beispiel eine „Plogging-Aktion“ an- werden, beklebten die Müllaktivisten gedacht, bei der Joggen und Müll- sie später mit lustigen Sprüchen wie sammeln kombiniert werden. Vielleicht „Mülle Grazie“ oder „Ich bin ein Messi“ gelingt es hier sogar, das Müllsammeln und markierten den Weg zu den Müll- mit Ballsport zu verbinden – getreu dem eimern mit Fußspuren. Für die Herr- Mülleimerspruch „Wir geben dem Müll chen und Frauchen der vierbeinigen einen Korb.“ Müllsünder wurden Hinweisschilder mit deutlicher Botschaft in Die Beete gesteckt. Dass das Thema Müll vielen wichtig ist, zeigte sich, als es der Null- Müll-Gruppe gelang, mit Hilfe des kommunalen Müllentsorgers GSAK einige Aktionen, wie den Müllsammel- tag, zu starten. Ausgerüstet mit Warn- westen, Handschuhen, Müllsäcken und Greifern wurde in der Südstadt Müll 28 gesammelt und von der GSAK abtrans- portiert. Wesentlich koordiniert wird „Mülle Grazie“ Die „Null Müll“-Gruppe die Null-Müll-Gruppe von Marianne Hitpaß, die auch die Kontakte zur Stadt 22 Zu viel Müll auf der Straße ist nicht um etwas gegen immer wieder voll- pflegt, die Begeisterung der öffentlichen 23 nur in der Südstadt ein Problem – nach gemüllten und von Hunden als Toilette Stellen für die Anti-Müll-Aktionen aber Ansicht vieler Anwohner hier aber ein benutzten Baumbeete (S.26) zu als sehr uneinheitlich erlebt. „Zum besonders Gravierendes, und genau unternehmen. Als Mittel gegen zwei- Umweltamt haben wir einen guten dies will die „Null Müll“-Gruppe beinige Müllproduzenten wurde zu- Draht und auch der Kontakt zur GSAK ändern. Begonnen hatte die Initiative, nächst die Aufstellung weiterer ist sehr konstruktiv“, erklärt Hitpaß. 29 Tauschen statt kaufen Die GiveBox Ein Tauschregal – oder auch Givebox – ist im Grunde Regal mit den Alltagsgegenständen, während Kinder beobachtet, die mit einem Kaffee- ein Behälter, in den jeder, der möchte, gebrauchte, aber zwei andere Nachbarinnen die Bücherbox service Vater-Mutter-Kind gespielt haben, noch gut nutzbare Dinge hineinstellen oder heraus- übernehmen. „Beide Tauschregale werden gut und ein kleines Mädchen, dass mit viel zu nehmen kann. So ein Regal steht in der Shedhalle angenommen“, freut sich Frühauf. „Ohne dass großen High Heels durch die Halle stolzierte.“ der Alten Samtweberei. „Nachdem ich hierher- viel Werbung gemacht worden ist, kommen Dabei scheint es kein Problem zu sein, gezogen bin, wollte ich erst eine Tauschbörse ein- die Leute von draußen herein und schauen, immer genug Dinge im Tauschregal zu haben. richten, aber das erwies sich schnell als zu auf- was aktuell wieder da ist – von Kleidung über „Wenn unser Regal mal fast leer ist, dauert es wendig“, erinnert sich Marie-Luise Frühauf, eine der Haushaltsgegenstände bis zu Spielzeug“, nicht lange, bis neue Gegenstände gebracht beiden Initiatorinnen. „Mithilfe eines Nachbarn erzählt sie. „Manche gucken fast täglich werden. Und auch mit Vandalismus haben wir haben wir dann zwei begehbare Holzkonstruktionen vorbei. Darunter Ältere und Jüngere bis hin keine Probleme. Anscheinend respektieren gebaut – je ein Tauschregal für Bücher und für andere zu Kindern, die Spaß daran haben, die Sachen die Menschen, dass hier Dinge stehen, mit Sachen“. Seitdem betreut die Viertelbewohnerin das auszuprobieren. Einmal habe ich mehrere denen andere glücklich gemacht werden.“ 30 „Null-Müll“-Gruppe & Givebox „Null-Müll“-Gruppe & Givebox
Markus Schlothmann Das Neapel am Niederrhein Die klimatischen Verhältnisse meint Markus Schloth- mann nicht, wenn er die Krefelder Südstadt als „Neapel des Niederrheins“ bezeichnet. Es gibt auch keine Pap- peln am Straßenrand, keinen Vulkan, der graue Wölk- chen spuckt – und doch gibt es neapolitanische Momen- te, wenn heiße Luft die Straße küsst und man plötzlich einer Feige begegnet. Ja, Krefeld ist eine entfernte Ver- wandte. Fragt man also Markus Schlothmann danach, so erhält man eine schöne Antwort: „Ich liebe die Einfach- heit und die Vielfalt des Samtweberviertels!“ 24 Schlothmann ist gelernter Landschaftsarchitekt und seit 25 mehreren Jahren im Pionierhaus. „Als ich erfuhr, was für ein tolles Projekt hier in der Samtweberei stattfindet, wollte ich unbedingt ein Teil davon werden“, sagt er und fügt schmunzelnd hinzu: „Hätte ich das nötige Kapital, würde ich vielleicht eine eigene Stiftung gründen und nachhaltiges Handwerk und den Naturschutz fördern.“ Natur und kreatives Handwerk sind Schlothmanns große Leidenschaft, sein immerwährendes „Stecken- pferd“. Gemeinsam mit Bewohnern, Kindern und Jugendlichen aus der Nachbarschaft legt er Gemüse- beete an, baut Gartenmöbel und hilft bei den kleinen Blumenbeeten an den Bäumen der Lewerentzstraße (S.26). Seine Lebendigkeit gewinnt er aus dem, was er tut. Er fragt sich, warum die meisten Menschen gerade darauf verzichten. „Es ist schade, dass viele „ …sie verpassen nur meckern, sich aber selbst nicht engagieren… sie verpassen den Spaß, den es macht, etwas zu bewegen.“ den Spaß, den es macht, etwas zu bewegen“ Markus Schlothmann Markus Schlothmann
„WIR ZEIGEN DENEN, DIE IMMER SAGEN, ‚DAS BRINGT JA EH NIX‘, DASS SIE SICH IRREN.“ Die Blumengruppe 31 Gute Ideen brauchen Zeit zum Wachsen ihrem Haus Sengüls Rosen gesehen Samtweberviertel erhofft“, gibt sie zu – und dann kommt genau der richtige und dachte: „Gute Idee! Das mach‘ ich bedenken, „aber wir haben trotzdem 26 Moment: Mit dem ersten Kirschblüten- auch!“. Durch parkende Autos, ab- schon viel geschafft“. Vier Jahre nach 27 fest am Alexanderplatz begann die große gestellte Fahrräder, Hundekot und Müll der ersten großen Pflanzaktion besteht Baumbeet-Aktion auf der Lewerentzstra- wurden ihre Bepflanzungen jedoch die Blumengruppe aus rund 30 Leuten, ße. „Schon mindestens zwei Jahre zerstört. Im nächsten Frühjahr wollte sie die um die 20 Baumbeete pflegen. „Wir zuvor hatte Sengül, die heute auch bei einen neuen Versuch starten – diesmal haben schon viel Spaß miteinander der Blumengruppe mitmacht, ein Beet aber zusammen mit den Nachbarn, die gehabt, sind froh uns kennengelernt zu angelegt“, erinnert sich Eva Scheller. sich bereit erklärt hatten, das Beet mit- haben, planen und organisieren ge- Von ihrem Balkon aus blickte Sengül zupflegen. Unterstützt durch die Viertel- meinsam und wir unterstützen und 32 Aloglu nur auf Mauern und Steine. Sie stunden und die Gärtnerei Kronenberg, trösten uns gegenseitig, wenn unsere betete, dass vor ihrem Haus etwas Grün die Hunderte bunt blühende Hornveil- Pflanzen wieder verletzt werden“. Das erblühen solle. Ihr Wunsch wurde chen, Narzissen und Tulpen spendete, Müll- und Zerstörungproblem (S.22) Wirklichkeit, als eines Tages direkt vor konnte die Aktion auf weitere Baum- ist nicht gelöst, aber es ist schon etwas ihrem Balkon ein Baum gepflanzt wurde. beete entlang der Lewerentzstraße aus- besser geworden. „Viele Anwohner Und so beschloss sie, weitere Blumen geweitet werden. Gemeinsam befreiten helfen uns. Sie sprechen Leute an, die rund um den Baum zu pflanzen. „Grüne Anwohner und Pioniere die Beete vom Müll achtlos auf die Straße schmeißen, Sachen machen glücklich. Ich möchte Unrat, tauschten Erde aus und setzten Blumen klauen, Hunde ins Baumbeet schöne Sachen sehen. Für andere Leute unzählige Pflanzen ein. Es entstand ein machen lassen und so weiter.“ Für Eva ist das auch schön. Die freuen sich sehr schönes Straßenbild. Aufgrund Scheller und die Blumengruppe ist das auch!“, so Sengül, deren Name übrigens ihrer negativen Erfahrungen aus dem Projekt weit mehr als eine Straßenver- „Rose“ bedeutet. Ganz in der Nähe Vorjahr beantragte Eva bei der Stadt, schönerung. „Über unsere Blumen renovierte Eva ihre Hausfassade und Papierkörbe umzulegen, fehlende Baum- haben wir schon viele nette Nachbarn lernte dabei ihre Nachbarn besser ken- bügel neu zu errichten und Fahrrad- kennengelernt und gute Gespräche nen. Auch sie hatte zwei Baumbeete mit bügel aufzustellen. „Leider sind Ver- geführt. Es ist zugleich ein Mittel gegen Blumen und Sträuchern aus „Mutters handlungen mit städtischen Behörden Resignation. Wir zeigen denjenigen, Garten“ bepflanzt. Eva hatte nämlich manchmal mühsam und ich hatte mir die immer sagen ‚das bringt ja eh nix‘, irgendwann radelnd auf dem Weg zu auch noch mehr Unterstützung aus dem dass sie sich irren.“ 33 Die Blumengruppe Die Blumengruppe
Die Samtweber Eine Zeitung aus dem Samtweberviertel Wo erfährt man, was alles im eigenen Die Inhalte kreisen um das Sichtbare Viertel passiert? In der Bäckerei, beim und Unsichtbare des Viertels: einen Friseur oder eher beim Nachbarn kurdischen Imbissbetreiber und eine neben-an? Man glaubt es kaum, aber italienische Ladenbesitzerin, einen im Digitalzeitalter läuft die Verbreitung Verein für Insektenkunde und eine von Informationen immer noch bestens Boxerweltmeisterin, einen jungen und auf bedrucktem Papier. Genau das einen alten Polizisten. In einer wieder- dachte sich Nina Multhoff-Kohrs, als kehrenden Kolumne wird erzählt, was sie ihr Projekt „Eine Zeitung für das im Viertel vor 100 Jahren geschah und Samtweberviertel“ beim Projektfonds „Sammy - das Samtweberchen“ schreibt einreichte. Da auch die Projektjury Geschichten für die kleinen Leserinnen schnell überzeugt war, kam im Pionier- und Leser. Die Redaktion ist dafür haus schon bald ein Team zusammen, häufig unterwegs, stellt sich auf Festen dass das Projekt mit Elan anging. den Fragen der Leser und sammelt 28 Grafik, Redaktion, Fotos, Druck und Anregungen ein. Auch Gastschreiber 29 Logistik. Für jede Aufgabe fand sich sind immer herzlich willkommen. Denn schnell ein Experte oder eine Expertin. am Ende sind es die Viertelbewohner Im April 2015 lag dann die erste Aus- selbst, die die guten Geschichten erleben gabe von „Die Samtweber“ vor. und das Leben ins Viertel schreiben. 34 35 36 Die Samtweber Die Samtweber
Das Kirschblütenfest Feststimmung und Blütenpracht W er die heitere Stimmung des Kirsch- blütenfestes auf dem Krefelder Alexanderplatz erlebt, mag denken, dass freut sich Roland Boosen. „Dadurch konnten wir uns wertvolle Unterstützung holen.“ So kam es, dass der Bürgerverein das Kirsch- dieses wunderbare Nachbarschaftsfest bereits blütenfest 2014 als Projektidee vorstellte, eine lange Tradition hat. Dabei fand es 2015 Unterstützung durch die UNS zugesagt zum ersten Mal statt. Dass die rosafarbene bekam und das erste Fest im Frühjahr 2015 Blütenpracht im Herzen der Südstadt gerade- stattfinden konnte. „Wichtige Voraussetzung zu einlädt, hier ein Fest zu feiern, wird auch für ein Kirschblütenfest ist natürlich die der eine oder andere Anwohner gedacht haben. Kirschblüte“, schmunzelt Boosen, „und die Zur konkreten Idee kam es aber erst im Jahr findet in Krefeld in der Regel in einem Zeit- 2013 durch den Bürgerverein Bahnbezirk. fenster zwischen dem 10. und 25. April statt, „Zeitweise wohnte ein großer Teil unseres wie wir aufgrund jahrelanger Aufzeichnungen Vorstandes am Alexanderplatz“, erinnert sich ermittelt haben. Am 18. April 2015 passte die der damalige Vorsitzende Roland Boosen, Planung hervorragend. Die japanischen „und wir trafen uns öfters in der Pizzeria an Zierkirschen auf unserem Platz standen in 30 der Ecke, wo heute ein Kiosk ist.“ Die An- voller Blüte.“ Den Auftakt am Morgen des 31 wohner hatten sich schon seit der Neu- ersten Kirschblütenfestes bildete ein „Früh- gestaltung Anfang der 1990er um die Pflege jahrsputz“ entlang der Lewerentzstraße, bei des Platzes gekümmert, aufgrund des fort- dem Müll beseitigt und Baumbeete (S.26) schreitenden Alters der Protagonisten wurden bepflanzt wurden. Währenddessen bauten diese Aktivitäten allerdings zunehmend Partner und Gäste des Bürgervereins ihre weniger. „Es passte ideal, dass unsere Idee Stände auf, damit sich die Festbesucher später mit dem Start der Nachbarschaft Samt- unter anderem an Souvlaki, Gözleme, Tira- weberei hier im Viertel zusammentraf“, misu und Streuselkuchen laben konnren. � 37 38 Das Kirschblütenfest Das Kirschblütenfest
39 Die Besucher kommen in wachsender Anzahl und Aufführungen von Schulen und und mit großer Begeisterung. „2015 waren es Kindergärten aus dem Viertel. Dazu infor- vielleicht 700 bis 900, beim Fest 2018 hatten mieren Initiativen und Projekte aus dem wir über den Tag verteilt an die 2.000 Men- Viertel an Ständen über ihre Anliegen. schen auf dem Alexanderplatz“, so Robert Alle diese Angebote und Aktivitäten bilden 42 McCrory vom Bürgerverein. „Von Anfang an den Rahmen für ein buntes Nachbarschafts- arbeiten wir mit bewährten Partnern, wie fest im glücklicherweise meistens sonnigen dem italienischen, griechischen und türkischen Krefelder April. Vom Mittag bis in den 32 Kulturverein und der Freien evangelischen Abend freuen sich Besucherinnen und 33 Gemeinde zusammen“, erklärt er. „Wir haben Besucher an leckerem Essen, einem kurz- aber immer auch neue Stände.“ weiligen Bühnenprogramm und der N eben der Kulinarik bildet das Musik- und Kulturprogramm einen wichtigen Bestand- teil des Festkonzepts. Moderiert und musika- Möglichkeit, sich einfach auf Bänke und Wiesen zu setzen, und inmitten einer fröhlichen Menschenmenge die Kirschblüte lisch begleitet wird das Fest vom Krefelder zu genießen. Und wenn alles gut läuft, 44 Musiker-Urgestein Charly Niessen, ergänzt wird das Kirschblütenfest irgendwann durch andere lokale Bands. Feste Programm- wirklich auf eine lange Tradition zurück- punkte sind griechische und türkische Folklore blicken können. 43 40 41 45 46 Das Kirschblütenfest Das Kirschblütenfest
Roland Boosen und Robert McCrory Zwei Botschafter vom Alexanderplatz Bis zu seiner Rente hat der gelernte hinschaut, findet man in der Südstadt Werbekaufmann Roland Boosen regel- viele Ecken, die sich auch als Post- 34 mäßig für die Kaufhof-Zentrale mit der kartenmotiv eignen, da brauche ich 35 Presse verhandelt und große Anzeigen nicht mehr auf Reisen zu gehen.“ platziert. Wenn er jetzt bei einer Tages- zeitung anruft, geht es in der Regel Bevor Robert McCrory am Alexander- zwar „nur“ um Berichterstattung über platz angekommen ist, hat er eine weite die Aktivitäten des Bürgervereins Reise hinter sich gebracht. Der ge- Bahnbezirk – doch dieser Mann weiß, bürtige Ire hatte nach Abschluss seines wie es geht! Zusammen mit seinem Studiums das Bedürfnis, mehr von der Vorstandskollegen Robert „Bob“ Welt zu sehen als seine grüne Heimat- McCrory hat er das Kirschblütenfest insel und wollte ein Jahr auf dem aus der Taufe gehoben. Beide sind seit europäischen Festland verbringen. Jahren überzeugte Vereinsaktivisten Doch dann kam es anders: „Als ich und Anwohner des Alexanderplatzes. gerade vier Wochen in Deutschland Vor seiner Krefelder Zeit hatte Boosen war, habe ich mich in eine Frau verliebt. in Düsseldorf-Niederkassel gewohnt Jetzt bin ich seit 1973 hier“, erklärt er und die Kombination von Dorf und Großstadt ganz in der Nähe des Rheins lächelnd. Die Liebe zum Alexander- platz teilen beide Vereinsmitglieder. „Wichtige Voraussetzung genossen. „Heute fühle ich mich sehr wohl in Krefeld und freue mich, hier Mit ihrer Idee, ein Kirschblütenfest vor ihrer Haustür zu feiern, haben diese für ein Kirschblütenfest viele Freunde und Bekannte auf engs- tem Raum zu haben. Wenn man genau Zuneigung nun auch hunderte andere Krefelder entdeckt. ist natürlich die Kirschblüte“. Roland Boosen & Robert McCrory
Die Formularhilfe Kulinarisch Reisen „Hilfe, ich habe Grenzenlos ein Formular!“ speisen Zitronenkuchen mit Vanilleeis verteilt wird, Wer hat sich nicht schon über unver- „Manchmal erklären wir auch nur, können die meisten nur noch ein kleines ständliche Formulare geärgert – nahezu wo eine Adresse auf den Brief Stückchen probieren, das mit starkem Kaffee kryptisch verschlüsselt, verlangen sie gesetzt wird oder geben Tipps zu heruntergespült werden muss. „Essen und nach persönlichen Informationen und anderen Alltagsfragen.“ Trinken verbindet, auch wenn man ansonsten selbst, wenn man ihrer Sprache mächtig nicht dieselbe Sprache spricht“, weiß Andrea ist, so bleibt es doch oftmals ein Unterstützt wird Kragiopoulou von Erwert, eine der Initiatorinnen von „Kulina- nervenzermürbender Akt. Wie proble- Khaoula Bouaouda und den Archi- risch Reisen“. matisch wird es da erst, wenn einem die tekten von „Strauss & Fischer“, die ihre „Kultur der Bürokratie“ fremd und die Viertelstunden für die Formularhilfe Die Projektfonds-Jury konnten sie daher Muttersprache eine andere ist? einsetzen: „Als Architekten haben wir 36 schnell überzeugen, 400 Euro für Zutaten auch beruflich viel mit Formularen zu 37 Normalerweise finden sich einmal im Monat und fehlende Küchenutensilien zu bewilligen. Wasiliki Kragiopoulou weiß um solche tun. Da können wir uns schnell in die freitags acht bis zehn Frauen zum gemein- Alles darüber hinaus wird Dank des Im- bürokratischen Schwierigkeiten. „Wäh- Logik von Anträgen einfinden und den samen Kochen in der ECKE (S.51) ein. Heute provisationstalents der Teilnehmerinnen rend der offenen Tür in der ECKE (S.51) Leuten helfen. Das Projekt schien hat Shonam schon zuhause vorgekocht. Sie besorgt. So können jedes Mal unter der An- kamen immer schon Menschen zu uns, daher sofort wie für uns geschaffen.“ fährt in Kürze für zwei Monate in ihre Heimat leitung einer anderen „Chefköchin“ Gerichte die Probleme mit Formularen hatten. Gemeinsam klären sie, worum es in Kurdistan und möchte die anderen Kursteil- aus einem Land gekocht werden, darunter Als wir sahen, wie groß der Bedarf ist, den Schriftstücken geht, sie geben nehmerinnen vorher noch einmal reichlich italienische Lasagne, polnische Pelmeni oder haben wir daraus ein regelmäßiges Ratschläge oder leiten an fachliche bewirten. Obwohl an diesem Tag fast 20 marokkanisches Couscous. Dass gemeinsames Angebot gemacht und seitdem über Stellen weiter. Trotzdem ist die Frauen anwesend sind, ist genug für alle da: Kochen und Essen Spaß macht, spricht sich im 250 Anliegen bearbeitet.“ Dabei geht Formularhilfe keineswegs nur ein Ort Es gibt mit Hackfleisch gefüllte Klöße in Viertel schnell herum. Immer wieder stoßen es oft um Formulare vom Jobcenter, um der Beratung, sondern vielmehr ein Ort würziger Suppe, Tabouleh – einen Bulgursalat neue Kochwillige dazu. Aufgrund des großen Elternpost aus der Schule oder Briefe des Zusammenseins, der Nachbarschaft mit Tomate und frischer Petersilie – und einen Zuspruchs hatte die Projektjury nach Ablauf von der Auslandsbehörde, der Kranken- und Gastfreundschaft, der in unserem gemischten Salat mit Paprika und Champig- des ersten halben Jahres kein Problem damit, kasse oder dem Stromversorger. Viertel nicht fehlen darf. nons. Andere beteiligen sich mit großen die Förderung zu verlängern, so dass die ECKE Portionen syrischem „Fattet Hummus“ – noch viele Koch-Sessions sehen wird. Und Stücke von geröstetem Fladenbrot mit Kicher- vielleicht gibt es sogar bald ein Kochbuch mit ↘ erbsen in einer Joghurt-Sesam-Sauce – und den Rezepten der beteiligten Frauen. Ein Buch, it der ECKE wurde eine Anlaufstation M einem weiteren Bulgur-Gericht mit Kicher- erbsen und Nudeln an dem Festmahl. Als das bestimmt vielen Kochbegeisterten gute Anregungen geben und zum Zusammenhalt geschaffen, in der den Menschen aus dann zum Schluss noch griechischer der Freizeit-Chefköchinnen beitragen wird. der Südstadt schnell und effektiv ge- holfen wird. – Stephan Strauss und Kaja Fischer ↖ Kulinarisch Reisen & Formularhilfe Kulinarisch Reisen & Formularhilfe
47 38 Bürgerinitiative 39 Rund um St. Josef Stadtspaziergang bis zum Fußballspielen mit den St. Josef Devils (S.10). Kunst- und Kreativ- angebote finden aufgrund des weitverbreiteten Gemeinsam für die Ganztags heute oft in den Schulen statt. Es gibt aber auch freie Kurse, die häufig in der ECKE Menschen vor Ort (S.51) durchgeführt werden. Überhaupt ist die ECKE seit ihrer Eröffnung 2015 zu einem festen Bestandteil der Arbeit der BI geworden. Sie ist Atelier, dient als Raum für Ferienkurse und Ein wichtiger Partner des Projekts Nachbar- zusammenzubringen, die sonst vielleicht beherbergt die Interkulturelle Sprachförderung 48 schaft Samtweberei ist von Anfang an die keinen Kontakt miteinander haben würden, (S. 42) für Grundschüler. Zunehmend wichtig Bürgerinitiative Rund um St. Josef – kurz „BI“ und eine Anlaufstelle für Familien im Viertel zu für die Arbeit des BI-Teams sind Kenntnisse über genannt. 1974 als Bürgerinitiative gegründet ist sein“, betont die Leiterin der Familien- und verschiedene Förderprogramme. Sie schaffen die der Verein heute Teil des Paritätischen Wohl- Weiterbildungsstätte Gudrun Tiefers-Sahafi. Chance, auch finanziell schwächeren Familien fahrtsverbands und ist als Jugendfreizeitstätte, Beim „Sprachcafé für Frauen“ zum Beispiel den Zugang zu den Angeboten zu ermöglichen. Jugendkunstschule sowie als Familien- und kommen Migrantinnen aus den unterschied- „Wir sind nur wenige hauptamtliche Mitarbeiter Weiterbildungsstätte anerkannt. Aufgrund des lichsten Ländern zusammen, um gemeinsam an und unsere Mittel sind immer begrenzt“, erklärt Standortes in der multikulturell geprägten ihrer sprachlichen und kulturellen Integration Gudrun Tiefers-Sahafi. „Daher haben wir uns Krefelder Südstadt gehört die Integration von zu arbeiten. Die Eltern-Kind-Angebote bieten auch sehr gefreut, dass die Montag Stiftung sich Migranten und Migrantinnen genauso zu den Eltern Raum für neue Kontakte, genauso wie hier im Viertel engagiert. Mit der UNS haben sozialen und kulturellen Aufgaben des Vereins Unterstützung bei Fragen rund um Entwicklung wir von Anfang an konstruktiv zusammen- wie die Schaffung vielfältiger Angebote für und Erziehung. Die Jugendfreizeitstätte bietet gearbeitet und sehen gute Perspektiven für die Kinder, Jugendliche und deren Familien im ebenso wie die Jugendkunstschule Angebote im Zukunft. Wir werden uns weiter gemeinsam für Viertel. „Unser Ziel ist es, Menschen Bereich der außerschulischen Bildung, vom die Menschen vor Ort engagieren.“ 49 Bürgerinitiative Rund um St. Josef Bürgerinitiative Rund um St. Josef
„Ich möchte in Krefeld Elif Manaz alt werden“ In Krefeld geboren ist Elif Manaz zwar nicht, lebt aber bereits seit ihrer Kindheit in der Stadt. Trotz auswärtigen Jobangeboten findet ihr heute fast ausschließlich in der Krefelder Südstadt und den an- grenzenden Quartieren statt. Von ihrer Wohnung am Lutherplatz aus hat die Friseurmeisterin einen guten Blick über die Dächer von Krefeld. Ihr Friseursalon „Pampelmuse“ liegt in Rufweite von Süd- wall und Fußgängerzone. „Die einzige Stadt, die mir genauso gut gefällt wie Krefeld, ist Bremen“, erklärt sie. „Hier habe ich mich beim ersten Besuch sofort heimisch gefühlt. Es ist alles fußläufig erreich- bar und die Menschen sind sehr politisch, was ich toll finde.“ Für sie steht fest: „Ich möchte in Krefeld alt werden“. 40 41 Mit viel Herzblut und Energie betreibt sie die ungewöhnliche „Pampelmuse“– mehr ein Kulturcafé mit Frisierstuhl, als nur Friseur- salon. Couch, Kühlschrank und Plattenspieler sind hier auch für Besucher da, die sich ihre Haare nicht frisieren lassen möchten. „Für mich ist die Pampelmuse ein offener Raum, ein Treffpunkt für Menschen aus dem Viertel“, betont sie. „In 08-15 Friseursalons habe ich mich nie wohlgefühlt, da wollte ich auf Dauer nicht ar- beiten, und schon gar nicht meinen eigenen Laden nach diesem Muster gestalten.“ Müsste man Elif Manaz mit wenigen Worten beschreiben, wären ehrlich, authentisch und unkonventionell drei Favoriten. „Wenn ich etwas mache, möchte ich zu 100 Prozent dahinterstehen. Ich bin eher Philanthropin als Unternehmerin. Mir geht es nur zum geringen Teil ums Geldverdienen. Für mich stehen die Menschen im Fokus und ich tue auch gerne etwas für die, die nichts bezahlen können.“ Elif ist Mitglied im Viertelsrat, Initiatorin von Kinder- Kunstprojekten und hat im Rahmen von „Das Viertel is(s)t multi- „Wenn man will, kulti“ mitorganisiert, dass Geflüchtete ihre Helfer zum Essen einladen. „Die Menschen in der Südstadt sind offen, ehrlich und sehr solidarisch“, betont sie. „Ich lebe sehr gerne hier! Wenn man kennt man hier nach will, kennt man hier nach einem Jahr alle.“ einem Jahr alle.“ Elif Manaz Elif Manaz
Biografisches Theater Mit Kopf und für Kinder aus aller Welt. In Krefeld werden sie mit Hilfe der Bürger- Theaterarbeit sehr, Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein zu ent- Körper spielen initiative Rund um St. Josef (S.38) in wickeln.“ Da die Teilnehmer der der Jugendkunstschule an der Cornelius- Theaterprojekte zum großen Teil „Wie wäre es, wenn Worte Geld kosten straße realisiert. Fast ein Jahr lang geflüchtete Kinder sind, nimmt Sprache würden? Wenn nur sprechen kann, wer proben die Kinder einmal die Woche einen besonderen Stellenwert ein. vorher dafür bezahlt? Wenn besonders für ihren großen Auftritt. „Wenn ich „Obwohl manche am Anfang kaum schöne Wörter unbezahlbar sind? Für gefragt werde, warum wir so lange Deutsch können, brauchen wir keine Menschen, die der Sprache nicht für diese Stück brauchen, erkläre ich, Übersetzer“, freut sich die Regisseurin. mächtig sind, ist es ein bisschen so“, dass die Kinder keine Rollen auswendig „Vieles geht nonverbal und außerdem erklärt die Tanz- und Theaterpädagogin lernen, sondern die gesamte Auf- arbeiten wir regelmäßig mit Schreibwerk- Ani Crusius. Um dieses Thema darzu- führung – Text und Choreographie – stätten. Kinder, die sehr schüchtern stellen, hat sie das Buch „Die große zusammen entwickeln“, betont Ani waren, gewinnen durch die Theater- Wörterfabrik“ von Agnes de Lestrade Crusius. „Biografisches Tanztheater arbeit enorm an Selbstbewusstsein und zum roten Faden ihrer Theaterreihe fordert und fördert die Kinder ganz- lernen zugleich, wie sie mit Scheitern gemacht. „Herzrot“ ist eines der bio- heitlich, weil wir Kopf und Körper umgehen. Denn natürlich klappt auch grafischen Theater- und Tanzprojekte gleichermaßen einsetzen. Dazu hilft bei uns nicht immer alles perfekt.“ 50 42 43 Interkulturelle Sprachförderung wöchentlichen Sprachförderkurs für Grund- kann. So haben auch zurückhaltende oder Spielerisch lernt schulkinder in der ECKE (S.51). Bis 2015 war sie selbst Lehrerin an der Josefschule, von der traumatisierte Kinder die Möglichkeit, gestal- terisch und nonverbal Erlebnisse und Kennt- es sich besser… Kinder an dem Kurs ebenso teilnehmen wie nisse auszudrücken. Dies weckt auch das Kinder der Buchenschule. Als sie nach ihrer Interesse der anderen Kinder und stärkt die Pensionierung gefragt wurde, ob sie einen Gemeinschaft. Ein besonderes Highlight ist Das gilt natürlich auch für Kinder, die sich Sprachkurs für Kinder geben möchte, sagte sie natürlich die Küche, in der gemeinsam gekocht plötzlich in einer ihnen fremden Sprache gerne zu. Die Erst- bis Viertklässler lernen sehr und gebacken werden kann. Damit die Kinder verständigen müssen. "Meine kleinen Schüle- freudig und motiviert, auch, wenn sie nach der nach fünf Stunden Schule nicht auch noch den rinnen und Schüler werden sozusagen ins kalte Schule erschöpft sind. „Daher beginnen wir gesamten Nachmittag drinnen verbringen Wasser geworfen, was mit Scheu, Angst und stets mit einer gemeinsamen Essenspause, müssen, verlegt die Kursleiterin ihren Unter Frust verbunden ist. Man muss sich immer vor damit die Kinder vom Unterricht abschalten richt auch gerne nach draußen. Die kleinen Augen führen, wie es einem selbst ergeht, können", so Jürgs. „Dann folgt unser Be- Teilnehmer kommen aus Syrien, Italien, Griechen- wenn man in einem Land ankommt, dessen grüßungsritual, indem wir ein Lied in allen land, Polen, Rumänien und Bulgarien. „Das Sprache man nicht kennt! Aber zum Glück Sprachen unserer teilnehmenden Kinder Schönste ist für mich zu erleben, wie Kinder, lernen Kinder schnell und dazu trägt auch eine singen. Ihren Fähigkeiten entsprechend erzäh- die anfangs kein deutsches Wort sprachen, Gemeinschaft bei, in der sie erleben, dass sie len sie in Worten oder bereits kleinen Sätzen, spielerisch die neue Sprache erlernen und sich nicht allein sind mit diesem Problem.“ Gabrie- was sie gerade bewegt und erst dann beginnen in der Gemeinschaft wohlfühlen. Das bereitet le Jürgs betreut seit Herbst 2015 einen von wir mit der geplanten Arbeit.“ Mit Freude mir immer viel Freude, aber auch Dankbarkeit, der Bürgerinitiative Rund um St. Josef (S.38) erzählt die Lehrerin von der Materialvielfalt, diesen Kindern den Weg in die neue Heimat und dem Viertelsrat ins Leben gerufenen mit der sie die Kreativität der Kinder fördern erleichtern zu können.“ 51 Biografisches Theater & Interkulturelle Sprachförderung Biografisches Theater & Interkulturelle Sprachförderung
Sie können auch lesen