Monatsbericht des BMF - Juni 2019 - Bundesfinanzministerium
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Titelbild: Platz des Volksaufstandes von 1953 Im heutigen Detlev-Rohwedder-Haus, dem Haupt-Dienstsitz des BMF, wurde 1949 die DDR ausgerufen und es zog das „Haus der Ministerien“ ein, ein Zentrum der DDR-Regierung. Am 17. Juni 1953 – die junge DDR ist gerade mal etwas älter als dreieinhalb Jahre – erhob sich auf dem Platz vor dem Gebäude das Volk und forderte die Rücknahme der kurz zuvor be- schlossenen Arbeitsnormerhöhung sowie die Absetzung der Regierung. Die Kunde vom Aufstand verbreitete sich schnell im ganzen Land. Daraufhin griff die sowjetische Besatzungsmacht mit äußerster Brutalität durch und schlug den Aufstand blutig nieder. Heute ist der „Platz des Volksaufstandes von 1953“ ein Erinnerungsraum. Das dortige Bodendenkmal von Wolfgang Rüppel gedenkt der Geschehnisse und der Opfer und konterkariert sowohl inhaltlich als auch formal den ideali- sierenden Duktus des Kachelmosaiks „Aufbau der Republik“ von Max Lingner, das sich als Wandbild am Gebäude befindet. Weitere Informationen zur Geschichte des Bundesministeriums der Finanzen und seines Dienstgebäudes finden Sie unter: www.bundesfinanzministerium.de/geschichte
Editorial Editorial Monatsbericht des BMF Juni 2019 Auch auf europäischer Ebene hat es wichtige Fort- schritte gegeben, insbesondere zur Weiterentwick- lung der Wirtschafts- und Währungsunion. Bei den Sitzungen von Eurogruppe und ECOFIN-Rat am 13. und 14. Juni verständigten sich die Finanz- ministerinnen und Finanzminister u. a. auf die Re- form des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Er wird künftig die Funktion der gemeinsamen Letztsi- cherung für den europäischen Bankenabwicklungs- mechanismus übernehmen, eine stärkere Rolle bei der Krisenprävention spielen, stärker zur Schulden- tragfähigkeit der Mitgliedstaaten beitragen und effi- zienter vorsorgliche Hilfen an Mitgliedstaaten ver- geben können. Zudem gab es eine Verständigung Liebe Leserinnen, liebe Leser, auf zentrale Kernpunkte des künftigen Eurozonen- haushalts. Weitere Fragen – etwa zur Finanzierung auf dem Weg zu einer globalen effektiven Min- des Instruments – werden nun im Rahmen der lau- destbesteuerung haben wir einen weiteren Meilen- fenden Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanz- stein erreicht: Beim Treffen der Finanzministerin- rahmen der EU geklärt. Bei der Finanztransaktion- nen und Finanzminister im japanischen Fukuoka steuer sollen nach Jahren des Stillstands noch in am 8. und 9. Juni haben sich die G20-Staaten u. a. für diesem Jahr die Grundlagen dafür gelegt werden, den deutsch-französischen Vorschlag zur Mindest- die Steuer 2021 erheben zu können. All diese Fort- besteuerung ausgesprochen und dazu ein ehrgeizi- schritte spiegeln die Vereinbarungen Deutschlands ges Arbeitsprogramm beschlossen. Mit dem Kon- und Frankreichs vom vergangenen Jahr wider, die zept soll eine langfristige Lösung erreicht werden, die Entscheidungen auf europäischer Ebene mög- die in möglichst vielen Staaten weltweit umgesetzt lich machten. wird. Es erfasst Unternehmen aller Branchen glei- chermaßen – auch die der digitalen Wirtschaft – Auch wenn in wenigen Tagen die parlamentarische und stellt sicher, dass sie angemessen besteuert Sommerpause beginnt: Das BMF wird in den Som- werden. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte merwochen intensiv an wichtigen Themen weiter- die Initiative zur Mindestbesteuerung im vorigen arbeiten. So wird das Kabinett am 26. Juni den Haus- Jahr gemeinsam mit seinem französischen Kolle- haltsentwurf für 2020 beschließen. Außerdem wird gen Bruno Le Maire vorgestellt. Auf Grundlage die- nun endlich die Neuregelung zur Grundsteuer auf ses Vorschlags werden die Details derzeit auf Ebene den Weg gebracht. der OECD beraten; 129 Staaten beteiligen sich daran. Im kommenden Jahr soll die konkrete Vereinbarung Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine verabschiedet werden. Für diese klare Positionie- schöne Sommerzeit. rung hat Olaf Scholz bei dem G20-Treffen nochmals intensiv geworben. Mit der globalen Mindestbesteu- erung reagiert die Staatengemeinschaft darauf, dass grenzüberschreitend tätige Konzerne gegenwärtig Steuerzahlungen im großen Stil umgehen können, indem sie mit internationalen Firmenkonstruktio- nen Steuerschlupflöcher ausnutzen. Diesen Prakti- ken wollen die G20-Staaten künftig zuvorkommen. Im Kampf um mehr Steuergerechtigkeit sind die Be- Wolfgang Schmidt schlüsse von Fukuoka ein wichtiger nächster Schritt. Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 3
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick____________ 8 Verschuldung in Niedrigeinkommensländern____________________________________________________________ 14 Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019___________________________________________________ 21 Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch______________________________________ 32 Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________41 Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 42 Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 43 Steuereinnahmen im Mai 2019__________________________________________________________________________ 50 Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich Mai 2019___________________________________________ 54 Entwicklung der Länderhaushalte bis einschließlich April 2019__________________________________________ 59 Finanzmärkte und Kreditaufnahme des Bundes__________________________________________________________ 61 Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik_____________________________________________________________ 68 Aktuelles aus dem BMF__________________________________________73 Im Portrait: Dr. Levin Holle, Leiter der Abteilung für Finanzmarktpolitik_____________________________________________________________ 74 Termine_________________________________________________________________________________________________ 77 Publikationen___________________________________________________________________________________________ 78 Statistiken und Dokumentationen_______________________________79 Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 80 Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 81 Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten des Bundes________________ 81 Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 82
Analysen und Berichte Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick 8 Verschuldung in Niedrigeinkommensländern 14 Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019 21 Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch 32
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Juni 2019 Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Tech- nologie – ein finanzmarktbezogener Überblick ●● Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) ist eine potenzielle neue Basistechnologie der Digitali- sierung. ●● Die Emission von Krypto-Token hat das Potenzial, sich zu einer neuen Finanzierungsform von Start-ups und kleinen und mittleren Unternehmen zu entwickeln. ●● Das BMF arbeitet mit anderen Ministerien an der Schaffung eines nationalen Regulierungs- rahmens für Krypto-Token, um die Potenziale von DLT und Krypto-Token zu erschließen und Missbrauch zu verhindern. Einleitung Mobilitätssektor. Es gingen über 150 Stellungnah- men von Verbänden, Unternehmen, Organisatio- Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe ge- nen, Forschungseinrichtungen und aus der Zivil- macht, den digitalen Wandel von Wirtschaft, Arbeit gesellschaft ein. Diese gilt es nun im Rahmen der und Gesellschaft so zu gestalten, dass alle davon bis zum Sommer 2019 erfolgenden Fertigstellung profitieren. Dies umfasst auch die im Koalitionsver- der Strategie zu berücksichtigen. Die Leistungsfä- trag vom 12. März 2018 festgeschriebenen Ziele, das higkeit der Blockchain-Technologie wird hierbei – Potenzial der Blockchain-Technologie zu erschlie- auch im Vergleich zu anderen Technologien der Di- ßen, Missbrauchsmöglichkeiten zu verhindern und gitalisierung – kritisch auf den Prüfstand gestellt. die Rolle der Bundesrepublik als einen der führen- Gleichzeitig wird auch geprüft, ob und wie die den Digitalisierungs- und FinTech-Standorte zu Blockchain-Technologie mit anderen Politikzielen stärken. vereinbar ist, wie z. B. einem möglichst hohen Ni- veau an Datenschutz für die Bürgerinnen und Bür- Unter Federführung des Bundesministeriums für ger oder einem nachhaltigen Umgang mit Ressour- Wirtschaft und Energie (BMWi) und des BMF er- cen, beziehungsweise ob sie der Erreichung dieser arbeitet die Bundesregierung derzeit eine umfas- Ziele dienlich sein kann. sende Blockchain-Strategie, die über die in die- sem Artikel dargestellten finanzmarktbezogenen Die DLT beziehungsweise Blockchain gilt als eine Aspekte weit hinausgeht. Dazu haben BMF und potenzielle neue Basistechnologie der Digitali- BMWi in einem ersten Schritt ein Online-Konsul- sierung. Sie ermöglicht die technisch fälschungs- tationsverfahren durchgeführt, das breite Reso- sichere Speicherung und Verarbeitung von In- nanz fand. Der Konsultationsprozess umfasste ein formationen, Werten und Rechten sowie deren weites Spektrum möglicher Anwendungsfelder: Übertragung. In Deutschland und insbesondere in Neben dem Finanzsektor waren dies u. a. die Ener- Berlin hat sich ein weltweit anerkanntes Zentrum giewirtschaft, das Gesundheitswesen, Transport- für diese Technologie mit hohem Kreativpotenzial und Produktionsabläufe in komplexen Lieferket- gebildet. ten- und Wertschöpfungssystemen oder auch der 8
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick Juni 2019 Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) KMU) zu entwickeln, sofern ein ausreichender An- ist eine Technologie zur Aufzeichnung von legerschutz und Vertrauen in diese Art der Refinan- Informationen über eine auf mehrere Com- zierung hergestellt werden können. Analysen und Berichte putersysteme verteilte, d. h. dezentrale Da- tenbank. Regelmäßig beruht DLT auf der Public-Key-Kryptografie, einem kryptogra- Krypto-Token fischen System, das Schlüsselpaare verwen- oder Crypto-Assets sind die digitale, auf det: zum einen öffentliche Schlüssel, die öf- Kryptografie und der DLT beruhende Abbil- fentlich bekannt sind und der Identifizierung dung eines intrinsischen oder wahrgenom- dienen und zum anderen private Schlüs- menen Wertes. Der Wert kann dabei auf sel, die geheim gehalten werden und zur Au- verschiedensten Funktionalitäten, Eigen- thentifizierung und Verschlüsselung verwen- schaften oder mit dem Token verbundenen det werden. Rechten beruhen. Davon abgeleitet lassen sich vereinfacht drei Kategorien von Kryp- Blockchain to-Token bilden – wobei viele Token Charak- ist ein Unterfall der DLT, bei der mehre- teristika mehrerer Kategorien aufweisen: re Informationen zu einem Block zusam- 1. Zahlungstoken (virtuelle Währungen): mengefasst und Blöcke in chronologischer Ihnen kommt meist (exklusiv oder u. a.) die Reihenfolge miteinander unter Einsatz kryp- Funktion eines privaten Zahlungsmittels zu tografischer Verfahren verkettet in verteilten und sie verfügen regelmäßig über keinen Datenbanken gespeichert werden. intrinsischen Wert und werden nicht von ei- ner Zentralbank emittiert. 2. Wertpapier(-ähnliche) Token (Equity- Erster praktischer Anwendungsfall der Blockchain und sonstige Investment-Token): Wer die- war 2009 der Bitcoin. Dieser war ursprünglich ent- se nutzt, hat mitgliedschaftliche Rechte oder wickelt worden, um Online-Bezahlungen zu er- schuldrechtliche Ansprüche vermögens- leichtern, ohne dass ein Intermediär, also ein soge- werten Inhalts, ähnlich wie bei Aktien und nannter vertrauenswürdiger Dritter – in der Regel Schuldtiteln. ein Finanzdienstleister – benötigt wird. Seit 2015 3. Utility-Token (App-Token, Nutzungsto- entwickelt sich mit sogenannten Initial Coin Offe- ken, Verbrauchstoken): Sie können nur im rings (ICOs) eine neue DLT-basierte Finanzierungs- Netzwerk des Emissionsinstituts zum Be- form. ICOs stellen einen Prozess dar, bei dem sich zug von Waren oder Dienstleistungen ge- Projektträger oder in der Regel noch sehr junge Un- nutzt werden. Bei Utility-Token finden ternehmen Kapital für ihre Projekte im Austausch sich regelmäßig sehr komplexe rechtliche für virtuelle Währungen oder andere Krypto-To- Gestaltungen. ken beschaffen. Im Rahmen von ICOs wurde 2018 weltweit ein niedriger zweistelliger Milliardenbe- trag an Anlegergeldern eingesammelt. Gleichzeitig BaFin-Aufsicht bei Krypto-Token erreichte die Marktkapitalisierung von virtuellen und DLT Währungen und Krypto-Token Anfang 2018 rund 700 Mrd. €. Im Laufe des Jahres 2018 kam es jedoch Die Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsauf- zu einem starken Marktrückgang und erheblichen sicht (BaFin) hat bereits frühzeitig die Entwick- Verlusten bei Anlegerinnen und Anlegern. Den- lung der DLT und des Marktes für Krypto-Token noch hat die Emission von Krypto-Token das Po- begleitet. So hat die BaFin im Jahr 2011 Bitcoins tenzial, sich zu einer neuen Finanzierungsform von und vergleichbare Token mit bestimmungsgemä- insbesondere neuen beziehungsweise jungen sowie ßer Funktion als privates Zahlungsmittel als Finan- kleinen und mittleren Unternehmen (Start-ups, zinstrumente in Form von Rechnungseinheiten 9
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick Juni 2019 gemäß § 1 Abs. 11 Satz 1 Nr. 7 Kreditwesengesetz Neben der Adressierung der mit ihnen verbunde- (KWG) qualifiziert. Im Ergebnis können gewerbs- nen Risiken benötigen neue Finanztechnologien mäßige oder in einem kaufmännischen Umfang zu ihrer Entfaltung vor allem Rechtssicherheit. Ne- betriebene Geschäfte mit Bezug zu Zahlungstoken ben diversen früheren Veröffentlichungen hat die als erlaubnispflichtige Bank- und Finanzdienstleis- BaFin daher im Februar 2018 ein wertpapierrecht- tung eingestuft werden. Die entsprechenden Insti- liches Hinweisschreiben zur Einordnung von ICOs tute sind aufgrund ihrer Institutseigenschaft geld- zugrunde liegenden Krypto-Token veröffentlicht.2 wäscherechtlich Verpflichtete nach dem Gesetz zur Verhinderung der Geldwäsche (Geldwäschegesetz, GwG). Damit sind in Deutschland durch das GwG Elektronische Wertpapiere und KWG mit den Risiken aus den Bereichen Geld- und öffentliches Angebot von wäsche- und Terrorismusfinanzierung sowie dem Risiko für Anlegerinnen und Anleger bereits seit Krypto-Token 2011 wichtige Risiken von Krypto-Token grund- sätzlich adressiert. Als erste umzusetzende Maßnahme der Block- chain-Strategie der Bundesregierung haben das Die relative Anonymität von Zahlungstoken er- Bundesministerium der Justiz und für Verbrau- möglicht potenziellen Missbrauch für krimi- cherschutz und das BMF am 7. März 2019 ge- nelle und terroristische Zwecke. Mit der geldwä- meinsame „Eckpunkte für die regulatorische Be- scherechtlichen Verpflichtung für den Bank- und handlung von elektronischen Wertpapieren und Finanzdienstleistungsbereich mit Bezug zu Krypto-Token – Digitale Innovationen ermögli- Zahlungstoken wird diese relative Anonymität ein- chen – Anlegerschutz gewährleisten“3 veröffent- geschränkt: Denn die im Geltungsbereich des GwG licht. Am 7. Mai 2019 fand dazu eine Anhörung tätigen Dienstleister sind verpflichtet, ihre Kund- statt. Das Eckpunktepapier dient der Vorbereitung schaft und damit die Personen, die Zahlungstoken eines Gesetzentwurfs, mit dem insbesondere die nutzen, zu identifizieren und verdächtige Transak- elektronische Begebung von Schuldverschreibun- tionen der Zentralstelle für Finanztransaktionsun- gen über DLT-Systeme ermöglicht sowie das öf- tersuchungen zu melden. fentliche Angebot von bestimmten Krypto-Token reguliert werden soll. Die Erlaubnispflicht bei Bankgeschäften und Fi- nanzdienstleistungen in Bezug auf Zahlungstoken dient zudem dem Kunden- und Anlegerschutz, da Elektronische Wertpapiere die betreffenden Institute die für diese geltenden Regeln des Kreditwesengesetzes einzuhalten ha- Nach derzeitiger Rechtslage bedürfen Wertpapiere ben. Wie zahlreiche Anlegerskandale bei interna- in Deutschland zu ihrer Entstehung der (papierhaf- tionalen Krypto-Börsen (z. B. MtGox in Japan und ten) Verkörperung eines Rechts in einer Urkunde. Quadriga CX in Kanada) in den vergangenen Jahren Das obengenannte Eckpunktepapier sieht vor, das zeigen, bestehen gerade bei Dienstleistungen für deutsche Recht generell für elektronische Wertpa- Krypto-Token erhebliche Risiken für Anlegerinnen piere zu öffnen. Neben dem bewährten System der und Anleger, denen mit Regeln für eine ordnungs- Wertpapierurkunden soll optional eine elektroni- gemäße Geschäftsorganisation begegnet werden sche Begebung von Wertpapieren technologieneu könnte. Vor den Risiken von ICOs hat die BaFin be- tral auch im Rahmen eines DLT-Systems ermög- reits im November 2017 gewarnt.1 licht werden. Die Öffnung soll sich zunächst auf 2 Siehe https://www.bafin.de/dok/10506450 1 Siehe http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190611 3 Siehe http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190613 10
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick Juni 2019 elek tronische Schuldverschreibungen beschrän- von DLT-Systemen ausgeschlossen ist, dass Eintra- ken; die Einführung von elektronischen Aktien soll gungen im Wertpapierregister unbefugt verändert zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die Vorteile werden, d. h. Authentizität und Integrität der Wert- Analysen und Berichte des Verzichts auf Wertpapierurkunden bei elektro- papiere durch die Technik in gleicher Weise sicher- nischen Wertpapieren liegen in der Verringerung gestellt ist wie durch bewährte Systeme und Verfah- des zeitlichen und finanziellen Aufwands für die ren, wird in dem Eckpunktepapier zur Diskussion Emissionshäuser von Wertpapieren; zudem wird gestellt, dass auch das Emissionshaus selbst oder ein im Hinblick darauf, dass andere EU-Mitgliedstaa- von ihm beauftragter Dritter das Register führt. ten sowie die Schweiz „papierlose“ Wertpapiere er- möglichen, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanz- platzes Deutschland gestärkt. Gleichzeitig ist der Öffentliches Angebot von Krypto- Verzicht auf Wertpapierurkunden notwendige Token Voraussetzung, um Wertpapiere im Rahmen von DLT-Systemen zu ermöglichen. Im Rahmen von ICOs wurden in den vergangenen Jahren in erheblichen Umfang Krypto-Token an- Elektronische Wertpapiere sollen nach dem Vor- geboten, die, obwohl sie faktisch zu Anlage- bezie- bild des Bundesschuldenwesengesetzes durch Ein- hungsweise Finanzierungszwecken dienen und an tragung in ein Register entstehen; d. h. die Doku- Handelsplätzen handelbar sind, oftmals aufsichts- mentationsfunktion der Wertpapierurkunde soll rechtlich nicht als Wertpapiere, Vermögensanlagen bei elektronischen Wertpapieren durch Erfassung oder sonstige Finanzinstrumente eingeordnet wer- der Rechte in einem elektronischen Wertpapierre- den können. Damit fällt das öffentliche Angebot gister ersetzt werden. Die Kernelemente des Wert- dieser Token – anders als die zukünftige Emission papiers, die Legitimationsfunktion (dies bedeutet: von elektronischen Schuldverschreibungen – nicht An die Innehabung des Papiers ist die Rechtsver- unter die bestehenden kapitalmarktrechtlichen mutung zugunsten des Gläubigers geknüpft), die Vorschriften. Es besteht derzeit in der Regel keine Liberationswirkung (dies bedeutet: Durch die Leis- gesetzliche Verpflichtung zur Veröffentlichung ei- tung an die Person, die das Papier besitzt, wer- nes Prospekts oder Informationsblatts vor dem den der Schuldner oder die Schulderin von der öffentlichen Angebot dieser Krypto-Token. Die Leistungspflicht befreit, es sei denn, eine posi- gleichwohl regelmäßig veröffentlichten sogenann- tive Kenntnis von der Nichtberechtigung liegt vor) ten Whitepaper stellen keine vergleichbaren Infor- und die Übertragungsfunktion (dies bedeutet: Das mations- und Haftungsdokumente dar. Sie enthal- Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier) ten zumeist nur unzureichende Angaben u. a. zum sollen bei elektronischen Wertpapieren durch die Projekt, zu den Risiken, zu den mit den Token ver- Eintragung im Register gewährleistet sein. Daher bunden Rechten und zu potenziellen Interessen- müssen an die Verlässlichkeit der Registerführung konflikten. Sie ermöglichen regelmäßig keine in- und die Richtigkeit des Registerinhalts hohe An- formierte Investitionsentscheidung. Gleichzeitig forderungen gestellt werden, um die Authentizität birgt die Anlage in Krypto-Token erhebliche Risi- (d. h. Feststellung der Urheberschaft) und die Inte ken. Die Notwendigkeit, angemessene Risikoauf- grität (d. h. Unverfälschtheit seit der Herstellung) klärungspflichten zu schaffen, wird auch von der der Wertpapiere sicherzustellen. europäischen Finanzaufsichtsbehörde ESMA in ihrer Empfehlung an die europäischen Institutio- Um Manipulationsmöglichkeiten zu vermeiden, nen zu ICOs und Crypto-Assets vom 9. Januar 2019 soll grundsätzlich nicht das jeweilige Emissionsin- betont.4 stitut selbst das Wertpapierregister führen können, sondern die Registerführung soll durch eine zen- 4 Siehe Advice to the European Union Institutions on initial coin trale staatliche oder eine unter staatlicher Aufsicht offerings and crypto-assets, ESMA-157-1391 , http://www. stehende Stelle erfolgen. Wenn bei Verwendung bundesfinanzministerium.de/mb/20190614 11
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick Juni 2019 Vor diesem Hintergrund wird im Eckpunktepapier In Deutschland sind Dienstleister, die den Um- die Regulierung des öffentlichen Angebots dieser tausch von virtuellen Währungen in gesetzliche Token zur Diskussion gestellt. So könnte gesetzlich Währungen und umgekehrt, aber – über die Richt- bestimmt werden, dass ein öffentliches Angebot linie hinausgehend – auch in andere virtuelle Wäh- erst erfolgen darf, wenn die Anbieterfirma zuvor rungen anbieten, bereits heute regelmäßig als Fi- ein nach gesetzlichen Vorgaben erstelltes Informa- nanzdienstleistungsunternehmen erfasst und tionsblatt veröffentlicht, dessen Veröffentlichtung damit auch Verpflichtete nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 GwG. die BaFin gestattet hat. Geldwäscherechtlich und aufsichtsrechtlich bisher nicht in Deutschland erfasst ist allerdings der ge- werbliche Handel von Krypto-Token, die keine Ei- Umsetzung der Änderungs- genschaften von Zahlungstoken aufweisen und richtlinie zur Vierten EU-Geld- auch nicht unter die sonstigen Kategorien der Fi- nanzinstrumente in § 1 Abs. 11 Satz 1 KWG fal- wäscherichtlinie len, sowie die Verwahrung von kryptografischen Schlüsseln und virtuellen Währungen. Mit der stärkeren Verbreitung von virtuellen Wäh- rungen und anderen Krypto-Token sind die da- Das BMF hat am 20. Mai 2019 die Verbändeanhö- mit verbundenen Mißbrauchsrisiken gestiegen. Die rung zum Gesetzentwurf zur Umsetzung der Ände- G20-Staaten haben daher Anfang Dezember 2018 rungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäschericht- vereinbart, Krypto-Token zum Zweck der Bekämp- linie eingeleitet. In Umsetzung der Vorgaben der fung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung Richtlinie zu virtuellen Währungen sieht der Ge- zu regulieren. Auch die Änderungsrichtlinie zur setzentwurf zur Erfassung aller Verwendungsfor- Vierten EU-Geldwäscherichtlinie (EU) 2018/843 men von virtuellen Währungen die Schaffung ei- trägt u. a. dieser Zielstellung Rechnung. Zur Be- nes neuen Begriffs „Kryptowert“ vor. Kryptowerte kämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfi- sind demnach digitale Darstellungen eines Wer- nanzierung sollen bestimmte Dienstleistungsun- tes, der von keiner Zentralbank oder öffentlichen ternehmen zur Einhaltung geldwäscherechtlicher Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und Anforderungen verpflichtet und dabei von den zu- nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder ständigen Behörden überwacht werden. von Geld besitzt, aber von natürlichen oder juristi- schen Personen aufgrund einer Vereinbarung oder Die Richtlinie sieht vor, dass Dienstleister, die vir- tatsächlichen Übung als Tausch- oder Zahlungs- tuelle Währungen in gesetzliche Währungen und mittel akzeptiert wird oder Anlagezwecken dient umgekehrt tauschen, sowie Anbieter von elek und der auf elektronischem Wege übertragen, ge- tronischen Geldbörsen geldwäscherechtlich Ver- speichert und gehandelt werden kann. Damit wer- pflichtete sein sollen. Das Angebot elektronischer den nicht nur Zahlungstoken erfasst, sondern auch Geldbörsen umfasst Dienste zur Sicherung privater Krypto-Token, die Anlagezwecken dienen, unab- kryptografischer Schlüssel im Namen ihrer Kund- hängig davon, ob diese auch z. B. als Wertpapier schaft, um virtuelle Währungen zu halten, zu spei- oder Vermögensanlage zu qualifizieren sind. Wei- chern und zu übertragen. Der Begriff der „virtuellen terhin sieht der Gesetzentwurf das Kryptoverwahr- Währung“ wird dabei vom europäischen Gesetzge- geschäft als neue Finanzdienstleistung sowie den ber weit gefasst. Nach den Erwägungsgründen der Kryptowert als neues Finanzinstrument vor. Dies Richlinie sollen alle potenziellen Anwendungsfälle führt zusammen mit den bestehenden Regelungen von virtuellen Währungen abgedeckt werden. Als in § 1 Abs. 1a KWG und § 2 Abs. 1 Nr. 2 GwG dazu, Beispiel wird auch die Verwendung als Investition dass die jeweiligen Dienstleister nun konkret duch aufgeführt. Anknüpfung an das Geschäft mit Kryptowerten als erlaubnispflichtige Finanzdienstleistungsinstitute geldwäscherechtlich Verpflichtete werden. 12
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick Juni 2019 Steuerliche Behandlung von Standort für die Weiterentwicklung dieser Tech- Krypto-Token nologie etabliert. Mit der bestehenden Erlaubnis- pflicht für gewerbliche Finanzdienstleistungen mit Analysen und Berichte Neben der kapitalmarktrechtlichen Regulierung Zahlungstoken sind in Deutschland, anders als in von Krypto-Token stellt sich das BMF auch den anderen Ländern, die Risiken im Bereich der Geld- mit diesen verbundenen steuerrechtlichen Heraus- wäsche und des Schutzes der Anlegerinnen und forderungen. Zur umsatzsteuerlichen Behandlung Anleger bereits im erheblichen Umfang adressiert. von „virtuellen Währungen“ ist bereits am 27. Feb- Mit dem Gesetzentwurf zur Umsetzung der Ände- ruar 2018 ein BMF-Schreiben5 veröffentlicht wor- rungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäschericht- den. Für die ertragsteuerliche Einordnung diver- linie werden die Präventionssysteme gegen Geld- ser Sachverhalte im Zusammenhang mit virtuellen wäsche und Terrorismusfinanzierung sowie der Währungen arbeitet das BMF derzeit an einer Ver- Anleger- und Kundenschutz auch im Bereich Kryp- waltungsanweisung, die allen Beteiligten Orientie- to-Token weiter verbessert. Gleichzeitig schafft die rung für die Praxis geben soll. Vor der Veröffentli- vorgesehene Einführung von elektronischen Wert- chung des BMF-Schreibens muss der Entwurf mit papieren den notwendigen Rechtsrahmen, um den obersten Finanzbehörden der Länder abge- weitere DLT-Innovationen in Deutschland zu er- stimmt werden. möglichen. Mit der zur Diskussion gestellten Re- gulierung des öffentlichen Angebots bestimmter Krypto-Token wird zudem eine weitere Erhöhung Fazit des Schutzniveaus angestrebt. Mit diesen ergriffe- nen und noch geplanten Maßnahmen im Bereich Deutschland ist im Bereich DLT und Krypto-Token Krypto-Token leistet das BMF einen wichtigen Bei- im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Ins- trag, damit Deutschland auch weiterhin im Wettbe- besondere Berlin hat sich als weltweit anerkannter werb um DLT-basierte Innovationen eine führende Rolle einnehmen kann und gleichzeitig Verbrau- 5 III C 3 – S 7160-b/13/ 10001 (2018/0018436), cherinnen und Verbraucher geschützt werden. siehe http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190615 13
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Juni 2019 Verschuldung in Niedrigeinkommensländern ●● Die öffentlichen Schulden in Niedrigeinkommensländern haben wieder zugenommen, wobei eine Änderung der Zusammensetzung dieser Schulden zu beobachten ist. ●● Nach Auffassung des Internationalen Währungsfonds befindet sich knapp die Hälfte aller Nied- rigeinkommensländer in einer Situation, die durch ein hohes Risiko der Überschuldung gekenn- zeichnet ist, oder bereits in einer finanziellen Notlage. ●● Die Bundesregierung setzt sich für Schuldentragfähigkeit, Schuldentransparenz, besseres Schul- denmanagement und eine verstärkte Mobilisierung staatlicher Einnahmen in Niedrigeinkom- mensländern ein. Deutlicher Anstieg Niedrigeinkommensländer (Low-Income des Schuldenstands in Developing Countries, LIDCs) Niedrigeinkommensländern haben laut der Definition des IWF ein jährli- ches Bruttonationaleinkommen von weniger Seit der Finanzkrise 2008 ist eine grundsätzliche als 2.500 $ pro Kopf. Unter diese Definition Zunahme der globalen Verschuldung zu beobach- fallen 59 Länder (Stand 2017). ten. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Industrie-, sondern auch Entwicklungs- und Schwellenlän- der. Nach der Entschuldung von 36 hochverschul- Mehr als 80 % der Niedrigeinkommensländer ha- deten armen Ländern im Rahmen der Highly-In- ben eine Zunahme der Verschuldung seit 2012 debted-Poor-Countries-Initiative, kurz HIPC, zu verzeichnet. Insgesamt lag der öffentliche Schul- Beginn der 2000er Jahre hat die Verschuldung ins- denstand 2017 im Durchschnitt zwar immer noch besondere auch von Niedrigeinkommensländern weit unterhalb des Stands von 2000 (siehe Abbil- (Low-Income Developing Countries, LIDCs) in den dung 1). Jedoch ist die Schuldenvulnerabilität vieler vergangenen Jahren wieder stark zugenommen. In Länder gestiegen. Der durchschnittliche Schulden- den Niedrigeinkommensländern lag der öffentli- dienst der LIDCs lag 2018 bei 19,5 % des nationa- che Schuldenstand im Jahr 2010 noch bei 39 % und len Steuereinkommens (nach 12,5 % im Jahr 2012). stieg bis 2017 auf 52 %. Nach Einschätzung des Internationalen Währungs- fonds (IWF) befand sich Ende 2018 knapp die Hälfte aller LIDCs in einer Situation, die ein hohes Risiko der Überschuldung aufweist oder schon als Notlage anzusehen ist (siehe Abbildung 2). 14
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Verschuldung in Niedrigeinkommensländern Juni 2019 Öffentliche Verschuldung der LIDCs Abbildung 1 Durchschnitt, in % des BIP Analysen und Berichte 120 100 80 60 40 20 0 2000 2004 2008 2012 2016 LIDCs Alle anderen Die öffentliche Verschuldung in LIDCs nimmt wieder zu, bleibt aber noch unter dem Niveau des Jahres 2000. Quelle: IWF, WEO Oktober 2018, eigene Darstellung Überschuldungsrisiko Abbildung 2 Prozentualer Anteil der LIDCs an allen LIDCs mit einer Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF 50 40 30 20 10 0 Niedriges Risiko Moderates Risiko Hohes Risiko oder Notlage 2010 2018 Fast die Hälfte aller LIDCs weist ein hohes Risiko der Überschuldung auf oder befindet sich bereits in einer Situation, die als Notlage angesehen wird. Quelle: IWF, LIC DSA Datenbank, eigene Darstellung 15
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Verschuldung in Niedrigeinkommensländern Juni 2019 Die Forderungen des Bundes gegenüber Entwick- Problematisch an kommerzieller Verschuldung lungsländern (Stand 31. Dezember 2018) belaufen ist allerdings häufig, dass diese zu hohen Zin- sich insgesamt auf rund 15 Mrd. € (nach 16,1 Mrd. € sen entsprechend dem Rating der Länder aufge- im Jahr 2017). Insgesamt 17 % dieser Forderungen nommen werden muss. Die Konditionen der Kre- bestehen gegenüber Niedrigeinkommensländern, dite von multilateralen Entwicklungsbanken oder wovon 1,3 Mrd. € Forderungen aus finanzieller Zu- auch Entwicklungskredite von bilateralen Gebern sammenarbeit resultieren und 1,2 Mrd. € Handels- sind deutlich günstiger und haben relativ lange forderungen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Laufzeiten. Diese Kredite sind für Niedrigeinkom- Deutschland ausschließlich Zuschüsse und tech- mensländer besser, um ihre Schuldentragfähigkeit nische Hilfe, aber keine Kredite an Niedrigeinkom- zu sichern. Dies ist umso wichtiger, als schon jetzt mensländer vergibt, die im Rahmen der HIPC-Initi- Zinszahlungen die Ausgabeseite der LIDCs-Haus- ative entschuldet wurden. halte zunehmend belasten (siehe Abbildung 3). Al- lerdings ist die Verschuldung gegenüber multilate- ralen Institutionen von 19,6 % auf 15,7 % des BIP Was ist anders in der zurückgegangen. gegenwärtigen Situation? Dagegen treten Nicht-Pariser-Club-Gläubiger- Die geldpolitische Lockerung einiger großer Zen- länder vermehrt als Geber auf. Dazu gehören tralbanken hat weltweit zu einer hohen Liquidität zum Beispiel China und Indien. Die Verschul- geführt. Schwellen- und Entwicklungsländer ha- dung von LIDCs gegenüber bilateralen Nicht-Pa- ben sich auch deshalb in den vergangenen Jahren riser-Club-Gläubigern ist zwischen 2007 und 2016 zunehmend an den Kapitalmärkten refinanziert. von 6,8 % auf 13,8 % des BIP gestiegen und hat sich Insgesamt ist die Verschuldung von LIDCs bis 2016 damit verdoppelt. Im gleichen Zeitraum sind die auf fast 53 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an- Forderungen der Pariser-Club-Gläubiger gegen- gestiegen, nachdem sie zwischenzeitlich bis auf über LIDCs von 7,4 % auf 2,2 % des BIP gefallen knapp 40 % im Jahr 2013 zurückgegangen war. (siehe Tabelle 1). Damit betrug der Anteil der Forde- rungen der Pariser-Club-Gläubiger an den Gesamt- Dieser Anstieg der Verschuldung in der vergange- forderungen gegenüber diesen Ländern 2016 nur nen Dekade ist zu nahezu gleichen Teilen auf einen noch 6 %, während der entsprechende Anteil der Anstieg der ausländischen sowie der inländischen Nicht-Pariser-Club-Gläubiger auf 37 % anstieg. Verschuldung zurückzuführen. So ist der Anteil 2007 lagen die vergleichbaren Anteile hingegen der Auslandsverschuldung von LIDCs gegenüber noch bei 20 % beziehungsweise 19 %. kommerziellen Gebern von 2007 bis 2016 von 2,7 % auf 5,6 % des BIP angestiegen (siehe Tabelle 1): Da- mit machte die ausländische Verschuldung gegen- Der Pariser Club über kommerziellen Gebern 2016 bereits 15 % an ist ein 1956 gegründeter informeller Zu- der gesamten öffentlichen Auslandsverschuldung sammenschluss von derzeit 22 wichti- aus (nach 7 % im Jahr 2007). Angesichts des Ausbaus gen Gläubigerstaaten. Er schließt Um- heimischer Kapitalmärkte in den LIDCs hat auch schuldungsvereinbarungen ab, um die deren Inlandsverschuldung deutlich zugenom- Schuldentragfähigkeit in Ländern mit Zah- men. Dieser Teil der Verschuldung ist aber nicht lungsschwierigkeiten zu sichern. Weitere In- dem Wechselkursrisiko und auch weniger dem Ri- formationen unter www.clubdeparis.org. siko anderer externer Faktoren ausgesetzt. 16
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Verschuldung in Niedrigeinkommensländern Juni 2019 Öffentliche Verschuldung von LIDCs nach Gebern Tabelle 1 in % des BIP 2007 2013 2016 Analysen und Berichte Gesamtverschuldung 47,1 39,8 52,7 Auslandsverschuldung 36,5 28,7 37,3 davon: Multilateral 19,6 14,4 15,7 WB, IWF, IDB, AfDB, AsDB 16,8 9,4 9,9 Andere 2,8 5,1 5,8 Bilateral 14,2 11,4 16,0 Pariser Club 7,4 2,3 2,2 Nicht-Pariser Club 6,8 9,1 13,8 China 0,3 2,5 4,2 Kommerziell 2,7 2,9 5,6 Anleihen 0,5 0,6 1,4 Geschäftsbanken 1,1 0,8 1,1 Andere 1,1 1,5 3,2 Inlandsverschuldung 10,5 11,1 15,3 Zentralbankforderungen -0,8 0,3 2,8 Depositenbanken 0,6 2,6 6,2 Nichtbanken 10,7 8,2 6,3 Anmerkung: Weltbank (WB), Internationaler Währungsfonds (IWF), Inter-American Development Bank (IDB), African Development Bank (AfDB), Asian Development Bank (AsDB); Daten basieren auf Daten für 37 LIDCs, für die durchgängig Daten vorhanden sind; Zahlen sind einfache Durchschnitte. Quelle: IWF, Macroeconomic Developments and Prospects in Low-Income Developing Countries, 2018, Table 4 Maßnahmen seitens der von Korruption und übermäßiger Bürokratie eine Kreditnehmer zur Vermeidung hohe Bedeutung zu. von Überschuldung Resilienz ist wichtig, um exogene Schocks wie bei- Grundsätzlich gilt es, neue Schuldenkrisen in Nied- spielsweise abrupte Preisentwicklungen auf den rigeinkommensländern zu vermeiden. Die gemein- internationalen Märkten abzufedern. Der Preisein- samen Bemühungen von Gläubigern und Schuld- bruch an den Rohstoffmärkten 2012/2013 war z. B. nern sollten darauf abzielen, Schuldentragfähigkeit ein wichtiger Faktor für die schwierige Lage vieler zu sichern. Rohstoffexporteure. Davon betroffen waren beson- ders die Republik Tschad, die Republik Kongo und Je resilienter eine Volkswirtschaft und je solider ihr Nigeria. Für rohstoffexportierende Länder kommt Wirtschaftwachstum, desto weniger anfällig ist das es daher besonders darauf an, ihre Volkswirtschaf- Land für Überschuldung. Eine wichtige Rolle zur ten nach Möglichkeit zu diversifizieren. Aber auch Vermeidung von Überschuldungen spielen dabei bei diversifizierten Exporteuren war eine Zunahme der Willen zu nachhaltigen politischen Maßnah- der Verschuldung zu beobachten. men und Reformen der betreffenden Regierung für eine wachstumsorientierte Politik und tragfä- Neben einer stärkeren Resilienz ist auch das Schul- hige öffentliche Finanzen, insbesondere zur Erhö- denmanagement wichtig – und dabei auch Trans- hung der eigenen öffentlichen Einnahmen; dabei parenz und Datenmanagement. Das Verschul- kommt in vielen Ländern auch der Eindämmung dungsrisiko ist für Länder höher, wenn sie eine 17
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Verschuldung in Niedrigeinkommensländern Juni 2019 Veränderung der Ausgaben von Zentralregierungen in LIDCs zwischen 2012 und 2018 Abbildung 3 in % des BIP Sozialleistungen Nettoerwerb von Vermögensgütern Arbeitnehmerentgelte Zinszahlungen Andere Ausgaben -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 Zwischen 2012 und 2018 sind die Ausgaben der Zentralregierungen in LIDCs gesunken und die Zinszahlungen gestiegen. Quelle: IWF, Fiscal Monitor April 2019, eigene Darstellung geringe Schuldentranzparenz aufweisen. Das er- und Finanzministern der G20 und der Notenbank- schwert etwa zu überprüfen, ob bei einer Kredit- gouverneurin und den Notenbankgouverneuren vergabe die Schuldenbegrenzungspolitiken von der G20 bei ihrem Treffen im Juni 2019 verabschie- IWF und Weltbank eingehalten werden. Deshalb ist deten „Prinzipien für Qualitätsinfrastrukturinves- es wichtig, Entwicklungsländer mit entsprechen- titionen“. Die Zusammenarbeit und Koordinierung dem Bedarf dabei zu unterstützen, ihre Kapazitäten zwischen Entwicklungspartnern und dem jewei- zur Erstellung und Aufbereitung von Schuldenda- ligen Land ist dabei ebenfalls von Bedeutung und ten zu verbessern. Gerade IWF und Weltbank ha- sollte sich entlang der ebenfalls von den Finanzmi- ben hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. nisterinnen und Finanzministern der G20 und der Notenbankgouverneurin und den Notenbankgou- Die Herausforderung für die Entwicklungsländer, verneuren der G20 kürzlich beschlossenen „Prinzi- aber auch für die Geber ist es, Schuldentragfähigkeit pien für effektive Länderplattformen“ orientieren. mit den zur Erreichung der nachhaltigen Entwick- Dabei ist es besonders wichtig, dass die Empfänger- lungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) länder sich die Prinzipien zu eigen machen. Der- notwendigen Investitionen in Einklang zu bringen zeit arbeiten afrikanische Länder, die sich der Com- (siehe Abbildung 4). Deswegen ist es auch unver- pact-with-Africa-Initiative der G20 angeschlossen zichtbar, Mittel des Privatsektors zur Finanzierung haben, bereits in sogenannten Compact Teams an von notwendigen Investitionen gerade auch im In- einer Verbesserung der Wirksamkeit von Entwick- frastrukturbereich zu mobilisieren. Wichtige Leitli- lungszusammenarbeit und insbesondere an einer nien hierfür geben die von den Finanzministerinnen stärkeren Einbeziehung des Privatsektors. 18
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Verschuldung in Niedrigeinkommensländern Juni 2019 Anstieg der Investitionsausgaben pro Jahr: Abbildung 4 Ist (2016) vs. Soll zur Erreichung der SDGs im Jahr 2030 in % des BIP Analysen und Berichte 5,0 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 Gesundheit Bildung Energie Transport Wasser 2016 2030 Es bedarf zusätzlicher Investitionen in den LIDCs, um SDGs vollumfänglich zu erreichen. Quelle: IWF, Fiscal Monitor April 2019, eigene Darstellung Maßnahmen seitens der der Notenbankgouverneure der G20 in Fukuoka, Ja- Geber zur Sicherung der pan, am 8./9. Juni 2019 vorgelegten Bericht weisen Schuldentragfähigkeit IWF und Weltbank darauf hin, dass sie u. a. mehr technische Hilfe und Workshops zur Erhöhung der Maßnahmen zur Sicherung der Schuldentragfähig- Schuldentransparenz anbieten werden. Außerdem keit werden von der G20 und im Pariser Club vor- haben sie bereits die Kapazitäten zur Erstellung und angetrieben und unterstützt. Der Fokus liegt u. a. Aufbereitung von Schuldendaten in zehn Ländern auf mehr Schuldentransparenz, der Stärkung der verbessert. Einnahmeseite durch die Mobilisierung von heimi- schen Ressourcen, der Implementierung interna- Zudem arbeitet die internationale Gemeinschaft tionaler Standards und der Einbindung neuer Ge- kontinuierlich an der Weiterentwicklung und Imple- ber. IWF und Weltbank fokussieren ihre Arbeiten mentierung internationaler Standards. Schon wäh- zu Schuldentragfähigkeit innerhalb ihres mehrglei- rend der G20-Präsidentschaft Deutschlands 2017 sigen Ansatzes („Multipronged Approach“) auf vier wurde die Schuldentragfähigkeit von einkommens- Pfeiler: verbesserte Schuldenanalysen/Frühwarn- schwachen Ländern thematisiert (siehe hierzu auch systeme, höhere Schuldentransparenz, gestärkte Ka- Monatsbericht des BMF November 20171). Das Er- pazitäten für das Schuldenmanagement und Über- gebnis waren operative Leitlinien für Gläubiger- und prüfung von Schuldenpolitiken. In ihrem für das Treffen der Finanzministerinnen und Finanzminis- ter der G20 und der Notenbankgouverneurin und 1 http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190621 19
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Verschuldung in Niedrigeinkommensländern Juni 2019 Schuldnerländer für tragfähige öffentliche Finan- zuletzt im Januar 2019 (siehe Monatsbericht des zen – die „G20 Operational Guidelines for Sustain- BMF Februar 20192). able Financing“, die Kreditnehmer und Kreditge- ber zu verantwortungsvollem Handeln verpflichten. Im Pariser Club wird auch an konzeptionel- Im Rahmen der diesjährigen japanischen G20-Prä- len Fragen gearbeitet, z. B. wie finanzielle Risi- sidentschaft fand eine freiwillige Selbstevaluierung ken etwa durch Naturkatastrophen wie Hurrikans von Gläubigerländern innerhalb und außerhalb für Schuldnerländer eingegrenzt werden können. der G20 bezüglich der Umsetzung dieser Leitlinien 2015 wurde erstmals in einer Umschuldung mit statt. Hierzu haben IWF und Weltbank erste Emp- Grenada eine sogenannte Hurrikan-Klausel ver- fehlungen auf Basis der Antworten von 18 Ländern einbart, wonach das Land nach solchen Ereignissen erarbeitet. Danach sollten die Gläubiger ihre An- zukünftig die Möglichkeit hat, mit seinen Gläubi- strengungen insbesondere bezüglich des Informa- gern eine weitere Schuldenentlastung auszuhan- tionsaustauschs und der Transparenz sowie zur Si- deln. Damit nimmt der Pariser Club auch Fragestel- cherstellung konsistenter Verschuldungsgrenzen lungen zur Gestaltung von Krediten auf, die eine von IWF und Weltbank verstärken. Aber auch die kurzfristige Entlastung ohne dazu notwendige Ver- privaten Gläubiger, vertreten durch das Institute of handlungen zur Anpassung der Kreditbedingun- International Finance (IIF), haben freiwillige „Prin- gen ermöglichen sollen, falls etwa ein Hurrikan das zipien zur Schuldentransparenz“ erarbeitet, die u. a. entsprechende Land schädigt (sogenannte klimare- die Verantwortung des privaten Sektors bei der Ver- siliente Kredite). gabe von Krediten und die Notwendigkeit der Be- rücksichtigung von Schuldengrenzen betonen. Die Prinzipien wurden ebenfalls beim G20-Treffen in Schlussbemerkung Fukuoka vorgestellt. Die Verantwortung für tragfähige Verschuldung Auf internationaler Ebene spielt zudem die Zu- liegt sowohl beim Kreditgeber als auch beim Kre- sammenarbeit der Gläubigerländer im Pariser Club ditnehmer. Eine Voraussetzung für die Vermeidung für den Informationsaustausch und die Transpa- von Schuldenkrisen seitens der Kreditgeber ist eine renz eine wichtige Rolle. Diese Zusammenarbeit offene und transparente Zusammenarbeit in be- ist Grundlage für eine schnelle und effektive Be- stehenden Foren, wie z. B. dem Pariser Club. Da- wältigung von Schuldenkrisen. Dabei kommt der bei spielen neue staatliche Geber und private Geber verstärkten Zusammenarbeit des Pariser Clubs eine zentrale Rolle. Die Bundesregierung engagiert mit neuen Gläubigerländern eine besondere Be- sich in den entsprechenden Foren und multilatera- deutung zu. So konnten Brasilien und Korea im len Institutionen, um Kreditnehmerländer bei der Jahr 2016 als neue Mitglieder im Pariser Club be- Umsetzung für eine verantwortungsvolle Kredit- grüßt werden. Darüber hinaus beteiligen sich wei- aufnahme zu unterstützen und eine neue Schul- tere wichtige Gläubigerländer wie China und Süd- denkrise zu vermeiden. afrika seit 2013 und Indien seit Anfang 2019 als „Ad-hoc“-Teilnehmer an den Diskussionen im Pa- riser Club. Deutschland wirbt für diese Arbeiten auch bilateral, beispielsweise im Rahmen des hoch- rangigen deutsch-chinesischen Finanzdialogs, 2 http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190622 20
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Juni 2019 Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019 Analysen und Berichte ●● Die Steuereinnahmen steigen bis zum Jahr 2023 voraussichtlich auf 908,4 Mrd. € an. ●● Bund, Länder und Gemeinden können in allen Schätzjahren mit Mehreinnahmen rechnen. ●● Im Vergleich zur Steuerschätzung Herbst 2018 werden in allen Jahren Mindereinnahmen er- wartet. ●● In der Finanzplanung des Bundes wurde im Rahmen des Eckwertebeschlusses vom März 2019 allerdings ein erheblicher Teil der zu erwartenden Mindereinnahmen bereits berücksichtigt. Vom 7. bis 9. Mai 2019 fand in Kiel auf Einladung der Berücksichtigte Finanzministerin des Landes Schleswig-Holstein, Steuerrechtsänderungen Monika Heinold, die 155. Sitzung des Arbeitskrei- ses „Steuerschätzungen“ statt. Geschätzt wurden die Die Schätzung geht vom geltenden Steuerrecht Steuereinnahmen für die Jahre 2019 bis 2023. aus. In Tabelle 1 sind die finanziellen Auswirkun- gen von Gesetzen und sonstigen Regelungen ent- halten, die gegenüber der vorangegangenen Schät- Der unabhängige Arbeitskreis „Steuer- zung vom Herbst 2018 neu einzubeziehen waren. schätzungen“ Aufgrund der Umverteilung des Umsatzsteuerauf- erstellt in Deutschland die Steuerschät- kommens zugunsten von Ländern und Gemein- zung für Bund, Länder und Gemeinden. den infolge des Gesetzes zur fortgesetzten Betei- Dem seit 1955 bestehenden Gremium gehö- ligung des Bundes an den Integrationskosten der ren Fachleute der Länder, von fünf führen- Länder und Kommunen und zur Regelung der Fol- den Wirtschaftsforschungsinstituten (DIW, gen der Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Ein- Ifo, IfW, RWI, IWH), des Sachverständigen- heit“ vom 17. Dezember 2018 (BGBl. 2018 I, Nr. 47, rats, der Deutschen Bundesbank, des Statis- S. 2522) wird der Bund durch die neuen Rechtsän- tischen Bundesamts, des Deutschen Städte- derungen wesentlich stärker belastet als Länder tags, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Gemeinden. und Energie und des BMF an, welches den Vorsitz führt. In der Regel finden zwei Sit- zungen im Jahr statt: Im Frühjahr und Herbst. 21
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019 Juni 2019 Auswirkungen der neu in die Steuerschätzung einbezogenen Rechtsänderungen Tabelle 1 in Mrd. € 2019 2020 2021 2022 2023 Bund -8,3 -6,8 -7,1 -7,2 -7,2 Länder 2,7 -1,9 -2,2 -2,2 -2,3 Gemeinden 0,6 -2,0 -2,1 -2,0 -2,1 Zusammen¹ -5,0 -10,7 -11,4 -11,5 -11,6 1 Abweichung in den Summen durch Rundung der Zahlen möglich. Quelle: Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ Eine Aufzählung der neu einbezogenen Rechtsän- EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011 derungen wurde in der Pressemitteilung des BMF Der EuGH hatte im Rahmen einer Ver- Nr. 3/2019 vom 9. Mai 2019 veröffentlicht.1 tragsverletzungsklage der Europäischen Kommission gegen Deutschland mit Ur- Bei der Schätzung des Aufkommens der nicht ver- teil vom 20. Oktober 2011 in der Rechts- anlagten Steuern vom Ertrag wurden der Eingang sache C-284/09 entschieden, dass die und der Stand der Bearbeitung der Anträge auf Er- Abgeltungswirkung des Kapitalertragsteu- stattung von Kapitalertragsteuer nach § 32 Abs. 5 erabzugs bei gebietsfremden Körperschaf- Körperschaftsteuergesetz (KStG) (Umsetzung der ten mit Beteiligungen von weniger als 10 % Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen (sogenannte Streubesitzdividenden) an in- Union – EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011) be- ländischen Kapitalgesellschaften gegen die rücksichtigt. Die bisher hälftig für die Jahre 2019 unionsrechtliche garantierte Freiheit des und 2020 angenommene Minderung der Steuer- Kapitalverkehrs verstößt. Im Rahmen des einnahmen in Höhe von insgesamt circa 2,5 Mrd. € Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Ur- wurde daher um ein Jahr verschoben auf die teils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssa- Jahre 2020 und 2021. che C-284/09 vom 21. März 2013 wurde in § 32 Abs. 5 KStG die Erstattung der Kapita- lertragsteuer geregelt. Die Regelung enthält die Voraussetzungen, nach denen ausländischen Kapitalgesell- schaften aus der Europäischen Union/dem Europäischen Wirtschaftsraum die auf die Streubesitzdividenden einbehaltene Kapital ertragsteuer erstattet wird, sofern diese Di- videnden vor dem 1. März 2013 zugeflos- sen sind (sogenannte Altfälle). Gleichzeitig wurde in § 8b Abs. 4 KStG eine Steuerpflicht für nach dem 28. Februar 2013 zugeflosse- 1 Die Pressemitteilung ist auf der Internetseite des BMF zu finden: ne Streubesitzdividenden eingeführt (soge- http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190631 nannte Neufälle). 22
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019 Juni 2019 Die Schätzung der Grundsteuer erfolgte auf Basis Bundesregierung zugrunde gelegt. Die Erwartun- der bestehenden Rechtslage. Hierbei wurde ange- gen über die Entwicklung für die Steuerschätzung nommen, dass die vom Bundesverfassungsgericht wichtiger gesamtwirtschaftlicher Kennziffern sind Analysen und Berichte (BVerfG) mit Urteil vom 10. April 2018 gesetzten in Tabelle 2 dargestellt. Fristen zur gesetzlichen Neuregelung und Um- setzung dieser Neuregelung bis zum 31. Dezem- Für die Jahreswende 2018/2019 zeichnete sich eine ber 2024 durch den Gesetzgeber vollständig ausge- temporäre Abschwächung der wirtschaftlichen schöpft werden. Dynamik ab. Daher wurden in der Frühjahrspro- jektion 2019 wichtige gesamtwirtschaftliche Be- messungsgrundlagen für aufkommensstarke Steu- BVerfG-Urteil vom 10. April 2018 erarten insbesondere für die Jahre 2019 und 2020 Das BVerfG hat mit Urteil vom 10. April 2018 gegenüber der Herbstprojektion 2018 nach unten festgestellt, dass die Regelungen des Bewer- revidiert (Abbildung 1). Aufgrund der niedrigeren tungsgesetzes zur Einheitsbewertung von Ausgangsbasis bedeutet dies auch für den mittel- Grundvermögen in den „alten“ Ländern mit fristigen Vorausschätzungszeitraum bis 2023 abso- dem allgemeinen Gleichheitssatz unverein- lut ein niedrigeres Aufkommen, selbst wenn die Zu- bar sind. Das Festhalten am Hauptfeststel- wachsraten gegenüber der Herbstprojektion 2018 lungszeitpunkt 1964 führe zu gravierenden teilweise unverändert blieben beziehungsweise und umfassenden Ungleichbehandlungen, nur leicht gesunken sind. So wurden für die priva- für die es keine ausreichende Rechtfertigung ten Konsumausgaben – ein bedeutender Indikator gibt. Der Gesetzgeber ist angehalten, bis zum für die Steuern vom Umsatz – in den Jahren 2019 31. Dezember 2019 eine gesetzliche Neure- und 2020 niedrigere Zuwächse prognostiziert. Auch gelung zu treffen. Darüber hinaus wurde ihm für die Unternehmens- und Vermögenseinkom- vom BVerfG aufgrund des zu erwartenden er- men – die zentrale Bezugsgröße der gewinnabhän- heblichen Verwaltungsaufwands eine weite- gigen Steuern (veranlagte Einkommensteuer, Kör- re Frist von fünf Jahren bis zum 31. Dezem- perschaftsteuer und Gewerbesteuer) – wurden die ber 2024 zur Umsetzung der Neuregelung Erwartungen für die Jahre 2019 und 2020 beträcht- eingeräumt.2 lich nach unten korrigiert. Für das Jahr 2019 wird sogar ein Rückgang um 1,5 % erwartet. Mittelfristig wird mit gegenüber der Herbstprojektion 2018 un- veränderten Zuwachsraten gerechnet. Gesamtwirtschaftliche Annahmen Die Wachstumsannahmen für die Bruttolöhne und -gehälter – eine wichtige Bemessungsgrundlage für Der Steuerschätzung wurden die gesamtwirtschaft- die Lohnsteuer – wurden hingegen aufgrund der an- lichen Eckwerte der Frühjahrsprojektion 2019 der haltend guten Lage am Arbeitsmarkt und weiter stei- gender Effektivlöhne im Jahr 2019 leicht um 0,2 Pro- zentpunkte angehoben. Für die Folgejahre ab 2020 2 Siehe Pressemitteilung des BVerfG Nr. 21/2018 vom erfolgte nur eine leichte Absenkung der Wachstums 10. April 2018 unter http://www.bundesfinanzministerium.de/ mb/201906334. annahmen um 0,1 Prozentpunkte pro Jahr. Das Urteil des Ersten Senats des BVerfG vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 – Rn. (1-181) ist im Internet zu finden unter http://www.bundesfinanzministerium.de/ mb/201906335. 23
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