Monatsbericht des BMF - Juni 2019 - Bundesfinanzministerium

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Monatsbericht des BMF - Juni 2019 - Bundesfinanzministerium
Monatsbericht des BMF
Juni 2019
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Titelbild: Platz des Volksaufstandes von 1953

Im heutigen Detlev-Rohwedder-Haus, dem Haupt-Dienstsitz des BMF, wurde 1949 die DDR ausgerufen und es zog das
„Haus der Ministerien“ ein, ein Zentrum der DDR-Regierung. Am 17. Juni 1953 – die junge DDR ist gerade mal etwas älter
als dreieinhalb Jahre – erhob sich auf dem Platz vor dem Gebäude das Volk und forderte die Rücknahme der kurz zuvor be-
schlossenen Arbeitsnormerhöhung sowie die Absetzung der Regierung. Die Kunde vom Aufstand verbreitete sich schnell
im ganzen Land. Daraufhin griff die sowjetische Besatzungsmacht mit äußerster Brutalität durch und schlug den Aufstand
blutig nieder. Heute ist der „Platz des Volksaufstandes von 1953“ ein Erinnerungsraum. Das dortige Bodendenkmal von
Wolfgang Rüppel gedenkt der Geschehnisse und der Opfer und konterkariert sowohl inhaltlich als auch formal den ideali-
sierenden Duktus des Kachelmosaiks „Aufbau der Republik“ von Max Lingner, das sich als Wandbild am Gebäude befindet.

Weitere Informationen zur Geschichte des Bundesministeriums der Finanzen und seines Dienstgebäudes finden Sie unter:
www.bundesfinanzministerium.de/geschichte
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Juni 2019
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Editorial
           Editorial                                                                    Monatsbericht des BMF
                                                                                                     Juni 2019

                                                             Auch auf europäischer Ebene hat es wichtige Fort-
                                                             schritte gegeben, insbesondere zur Weiterentwick-
                                                             lung der Wirtschafts- und Währungsunion. Bei
                                                             den Sitzungen von Eurogruppe und ECOFIN-Rat
                                                             am 13. und 14. Juni verständigten sich die Finanz-
                                                             ministerinnen und Finanzminister u. a. auf die Re-
                                                             form des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Er
                                                             wird künftig die Funktion der gemeinsamen Letztsi-
                                                             cherung für den europäischen Bankenabwicklungs-
                                                             mechanismus übernehmen, eine stärkere Rolle bei
                                                             der Krisenprävention spielen, stärker zur Schulden-
                                                             tragfähigkeit der Mitgliedstaaten beitragen und effi-
                                                             zienter vorsorgliche Hilfen an Mitgliedstaaten ver-
                                                             geben können. Zudem gab es eine Verständigung
Liebe Leserinnen, liebe Leser,                               auf zentrale Kernpunkte des künftigen Eurozonen-
                                                             haushalts. Weitere Fragen – etwa zur Finanzierung
auf dem Weg zu einer globalen effektiven Min-                des Instruments – werden nun im Rahmen der lau-
destbesteuerung haben wir einen weiteren Meilen-             fenden Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanz-
stein erreicht: Beim Treffen der Finanzministerin-           rahmen der EU geklärt. Bei der Finanztransaktion-
nen und Finanzminister im japanischen Fukuoka                steuer sollen nach Jahren des Stillstands noch in
am 8. und 9. Juni haben sich die G20-Staaten u. a. für       diesem Jahr die Grundlagen dafür gelegt werden,
den deutsch-französischen Vorschlag zur Mindest-             die Steuer 2021 erheben zu können. All diese Fort-
besteuerung ausgesprochen und dazu ein ehrgeizi-             schritte spiegeln die Vereinbarungen Deutschlands
ges Arbeitsprogramm beschlossen. Mit dem Kon-                und Frankreichs vom vergangenen Jahr wider, die
zept soll eine langfristige Lösung erreicht werden,          die Entscheidungen auf europäischer Ebene mög-
die in möglichst vielen Staaten weltweit umgesetzt           lich machten.
wird. Es erfasst Unternehmen aller Branchen glei-
chermaßen – auch die der digitalen Wirtschaft –              Auch wenn in wenigen Tagen die parlamentarische
und stellt sicher, dass sie angemessen besteuert             Sommerpause beginnt: Das BMF wird in den Som-
werden. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte               merwochen intensiv an wichtigen Themen weiter-
die Initiative zur Mindestbesteuerung im vorigen             arbeiten. So wird das Kabinett am 26. Juni den Haus-
Jahr gemeinsam mit seinem französischen Kolle-               haltsentwurf für 2020 beschließen. Außerdem wird
gen Bruno Le Maire vorgestellt. Auf Grundlage die-           nun endlich die Neuregelung zur Grundsteuer auf
ses Vorschlags werden die Details derzeit auf Ebene          den Weg gebracht.
der OECD beraten; 129 Staaten beteiligen sich daran.
Im kommenden Jahr soll die konkrete Vereinbarung             Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine
verabschiedet werden. Für diese klare Positionie-            schöne Sommerzeit.
rung hat Olaf Scholz bei dem G20-Treffen nochmals
intensiv geworben. Mit der globalen Mindestbesteu-
erung reagiert die Staatengemeinschaft darauf, dass
grenzüberschreitend tätige Konzerne gegenwärtig
Steuerzahlungen im großen Stil umgehen können,
indem sie mit internationalen Firmenkonstruktio-
nen Steuerschlupflöcher ausnutzen. Diesen Prakti-
ken wollen die G20-Staaten künftig zuvorkommen.
Im Kampf um mehr Steuergerechtigkeit sind die Be-            Wolfgang Schmidt
schlüsse von Fukuoka ein wichtiger nächster Schritt.         Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen

                                                         3
Inhaltsverzeichnis

      Inhaltsverzeichnis
      Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick____________ 8
      Verschuldung in Niedrigeinkommensländern____________________________________________________________ 14
      Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019___________________________________________________ 21
      Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch______________________________________ 32

      Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________41
      Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 42
      Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 43
      Steuereinnahmen im Mai 2019__________________________________________________________________________ 50
      Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich Mai 2019___________________________________________ 54
      Entwicklung der Länderhaushalte bis einschließlich April 2019__________________________________________ 59
      Finanzmärkte und Kreditaufnahme des Bundes__________________________________________________________ 61
      Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik_____________________________________________________________ 68

      Aktuelles aus dem BMF__________________________________________73
      Im Portrait: Dr. Levin Holle,
      Leiter der Abteilung für Finanzmarktpolitik_____________________________________________________________ 74
      Termine_________________________________________________________________________________________________ 77
      Publikationen___________________________________________________________________________________________ 78

      Statistiken und Dokumentationen_______________________________79
      Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 80
      Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 81
      Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunktur­komponenten des Bundes________________ 81
      Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 82
Analysen
und Berichte

Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick    8

Verschuldung in Niedrigeinkommensländern                                                   14

Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019                                      21

Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch                          32
Analysen und Berichte                                                       Monatsbericht des BMF
                                                                                                   Juni 2019

Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Tech-
nologie – ein finanzmarktbezogener Überblick

    ●● Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) ist eine potenzielle neue Basistechnologie der Digitali-
       sierung.

    ●● Die Emission von Krypto-Token hat das Potenzial, sich zu einer neuen Finanzierungsform von
       Start-ups und kleinen und mittleren Unternehmen zu entwickeln.

    ●● Das BMF arbeitet mit anderen Ministerien an der Schaffung eines nationalen Regulierungs-
       rahmens für Krypto-Token, um die Potenziale von DLT und Krypto-Token zu erschließen und
       Missbrauch zu verhindern.

   Einleitung                                             Mobilitätssektor. Es gingen über 150 Stellungnah-
                                                          men von Verbänden, Unternehmen, Organisatio-
Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe ge-           nen, Forschungseinrichtungen und aus der Zivil-
macht, den digitalen Wandel von Wirtschaft, Arbeit        gesellschaft ein. Diese gilt es nun im Rahmen der
und Gesellschaft so zu gestalten, dass alle davon         bis zum Sommer 2019 erfolgenden Fertigstellung
profitieren. Dies umfasst auch die im Koalitionsver-      der Strategie zu berücksichtigen. Die Leistungsfä-
trag vom 12. März 2018 festgeschriebenen Ziele, das       higkeit der Blockchain-Technologie wird hierbei –
Potenzial der Blockchain-Technologie zu erschlie-         auch im Vergleich zu anderen Technologien der Di-
ßen, Missbrauchsmöglichkeiten zu verhindern und           gitalisierung – kritisch auf den Prüfstand gestellt.
die Rolle der Bundesrepublik als einen der führen-        Gleichzeitig wird auch geprüft, ob und wie die
den Digitalisierungs- und FinTech-Standorte zu            Blockchain-Technologie mit anderen Politikzielen
stärken.                                                  vereinbar ist, wie z. B. einem möglichst hohen Ni-
                                                          veau an Datenschutz für die Bürgerinnen und Bür-
Unter Federführung des Bundesministeriums für             ger oder einem nachhaltigen Umgang mit Ressour-
Wirtschaft und Energie (BMWi) und des BMF er-             cen, beziehungsweise ob sie der Erreichung dieser
arbeitet die Bundesregierung derzeit eine umfas-          Ziele dienlich sein kann.
sende Blockchain-Strategie, die über die in die-
sem Artikel dargestellten finanzmarktbezogenen            Die DLT beziehungsweise Blockchain gilt als eine
Aspekte weit hinausgeht. Dazu haben BMF und               potenzielle neue Basistechnologie der Digitali-
BMWi in einem ersten Schritt ein Online-Konsul-           sierung. Sie ermöglicht die technisch fälschungs-
tationsverfahren durchgeführt, das breite Reso-           sichere Speicherung und Verarbeitung von In-
nanz fand. Der Konsultationsprozess umfasste ein          formationen, Werten und Rechten sowie deren
weites Spektrum möglicher Anwendungsfelder:               Übertragung. In Deutschland und insbesondere in
Neben dem Finanzsektor waren dies u. a. die Ener-         Berlin hat sich ein weltweit anerkanntes Zentrum
giewirtschaft, das Gesundheitswesen, Transport-           für diese Technologie mit hohem Kreativpotenzial
und Produktionsabläufe in komplexen Lieferket-            gebildet.
ten- und Wertschöpfungssystemen oder auch der

                                                        8
Analysen und Berichte                                                                           Monatsbericht des BMF
          Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick                     Juni 2019

    Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT)                               KMU) zu entwickeln, sofern ein ausreichender An-
    ist eine Technologie zur Aufzeichnung von                              legerschutz und Vertrauen in diese Art der Refinan-
    Informationen über eine auf mehrere Com-                               zierung hergestellt werden können.

                                                                                                                                   Analysen und Berichte
    putersysteme verteilte, d. h. dezentrale Da-
    tenbank. Regelmäßig beruht DLT auf der
    Public-Key-Kryptografie, einem kryptogra-                                     Krypto-Token
    fischen System, das Schlüsselpaare verwen-                                    oder Crypto-Assets sind die digitale, auf
    det: zum einen öffentliche Schlüssel, die öf-                                 Kryptografie und der DLT beruhende Abbil-
    fentlich bekannt sind und der Identifizierung                                 dung eines intrinsischen oder wahrgenom-
    dienen und zum anderen private Schlüs-                                        menen Wertes. Der Wert kann dabei auf
    sel, die geheim gehalten werden und zur Au-                                   verschiedensten Funktionalitäten, Eigen-
    thentifizierung und Verschlüsselung verwen-                                   schaften oder mit dem Token verbundenen
    det werden.                                                                   Rechten beruhen. Davon abgeleitet lassen
                                                                                  sich vereinfacht drei Kategorien von Kryp-
    Blockchain                                                                    to-Token bilden – wobei viele Token Charak-
    ist ein Unterfall der DLT, bei der mehre-                                     teristika mehrerer Kategorien aufweisen:
    re Informationen zu einem Block zusam-                                        1. Zahlungstoken (virtuelle Währungen):
    mengefasst und Blöcke in chronologischer                                      Ihnen kommt meist (exklusiv oder u. a.) die
    Reihenfolge miteinander unter Einsatz kryp-                                   Funktion eines privaten Zahlungsmittels zu
    tografischer Verfahren verkettet in verteilten                                und sie verfügen regelmäßig über keinen
    Datenbanken gespeichert werden.                                               intrinsischen Wert und werden nicht von ei-
                                                                                  ner Zentralbank emittiert.
                                                                                  2. Wertpapier(-ähnliche) Token (Equity-
Erster praktischer Anwendungsfall der Blockchain                                  und sonstige Investment-Token): Wer die-
war 2009 der Bitcoin. Dieser war ursprünglich ent-                                se nutzt, hat mitgliedschaftliche Rechte oder
wickelt worden, um Online-Bezahlungen zu er-                                      schuldrechtliche Ansprüche vermögens-
leichtern, ohne dass ein Intermediär, also ein soge-                              werten Inhalts, ähnlich wie bei Aktien und
nannter vertrauenswürdiger Dritter – in der Regel                                 Schuldtiteln.
ein Finanzdienstleister – benötigt wird. Seit 2015                                3. Utility-Token (App-Token, Nutzungsto-
entwickelt sich mit sogenannten Initial Coin Offe-                                ken, Verbrauchstoken): Sie können nur im
rings (ICOs) eine neue DLT-basierte Finanzierungs-                                Netzwerk des Emissionsinstituts zum Be-
form. ICOs stellen einen Prozess dar, bei dem sich                                zug von Waren oder Dienstleistungen ge-
Projektträger oder in der Regel noch sehr junge Un-                               nutzt werden. Bei Utility-Token finden
ternehmen Kapital für ihre Projekte im Austausch                                  sich regelmäßig sehr komplexe rechtliche
für virtuelle Währungen oder andere Krypto-To-                                    Gestaltungen.
ken beschaffen. Im Rahmen von ICOs wurde 2018
weltweit ein niedriger zweistelliger Milliardenbe-
trag an Anlegergeldern eingesammelt. Gleichzeitig                               BaFin-Aufsicht bei Krypto-Token
erreichte die Marktkapitalisierung von virtuellen                               und DLT
Währungen und Krypto-Token Anfang 2018 rund
700 Mrd. €. Im Laufe des Jahres 2018 kam es jedoch                         Die Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsauf-
zu einem starken Marktrückgang und erheblichen                             sicht (BaFin) hat bereits frühzeitig die Entwick-
Verlusten bei Anlegerinnen und Anlegern. Den-                              lung der DLT und des Marktes für Krypto-Token
noch hat die Emission von Krypto-Token das Po-                             begleitet. So hat die BaFin im Jahr 2011 Bitcoins
tenzial, sich zu einer neuen Finanzierungsform von                         und vergleichbare Token mit bestimmungsgemä-
insbesondere neuen beziehungsweise jungen sowie                            ßer Funktion als privates Zahlungsmittel als Finan-
kleinen und mittleren Unternehmen (Start-ups,                              zinstrumente in Form von Rechnungseinheiten

                                                                          9
Analysen und Berichte                                                                             Monatsbericht des BMF
             Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick                       Juni 2019

gemäß § 1 Abs. 11 Satz 1 Nr. 7 Kreditwesengesetz                              Neben der Adressierung der mit ihnen verbunde-
(KWG) qualifiziert. Im Ergebnis können gewerbs-                               nen Risiken benötigen neue Finanztechnologien
mäßige oder in einem kaufmännischen Umfang                                    zu ihrer Entfaltung vor allem Rechtssicherheit. Ne-
betriebene Geschäfte mit Bezug zu Zahlungstoken                               ben diversen früheren Veröffentlichungen hat die
als erlaubnispflichtige Bank- und Finanzdienstleis-                           BaFin daher im Februar 2018 ein wertpapierrecht-
tung eingestuft werden. Die entsprechenden Insti-                             liches Hinweisschreiben zur Einordnung von ICOs
tute sind aufgrund ihrer Institutseigenschaft geld-                           zugrunde liegenden Krypto-Token veröffentlicht.2
wäscherechtlich Verpflichtete nach dem Gesetz zur
Verhinderung der Geldwäsche (Geldwäschegesetz,
GwG). Damit sind in Deutschland durch das GwG                                      Elektronische Wertpapiere
und KWG mit den Risiken aus den Bereichen Geld-                                    und öffentliches Angebot von
wäsche- und Terrorismusfinanzierung so­wie dem
Risiko für Anlegerinnen und Anleger be­reits seit
                                                                                   Krypto-Token
2011 wichtige Risiken von Krypto-Token grund-
sätzlich adressiert.                                                          Als erste umzusetzende Maßnahme der Block-
                                                                              chain-Strategie der Bundesregierung haben das
Die relative Anonymität von Zahlungstoken er-                                 Bundesministerium der Justiz und für Verbrau-
möglicht potenziellen Missbrauch für krimi-                                   cherschutz und das BMF am 7. März 2019 ge-
nelle und terroristische Zwecke. Mit der geldwä-                              meinsame „Eckpunkte für die regulatorische Be-
scherechtlichen Verpflichtung für den Bank- und                               handlung von elektronischen Wertpapieren und
Finanzdienstleistungsbereich mit Bezug zu                                     Krypto-Token – Digitale Innovationen ermögli-
Zahlungstoken wird diese relative Anonymität ein-                             chen – Anlegerschutz gewährleisten“3 veröffent-
geschränkt: Denn die im Geltungsbereich des GwG                               licht. Am 7. Mai 2019 fand dazu eine Anhörung
tätigen Dienstleister sind verpflichtet, ihre Kund-                           statt. Das Eckpunktepapier dient der Vorbereitung
schaft und damit die Personen, die Zahlungstoken                              eines Gesetzentwurfs, mit dem insbesondere die
nutzen, zu identifizieren und verdächtige Transak-                            elektronische Begebung von Schuldverschreibun-
tionen der Zentralstelle für Finanztransaktionsun-                            gen über DLT-Systeme ermöglicht sowie das öf-
tersuchungen zu melden.                                                       fentliche Angebot von bestimmten Krypto-Token
                                                                              reguliert werden soll.
Die Erlaubnispflicht bei Bankgeschäften und Fi-
nanzdienstleistungen in Bezug auf Zahlungstoken
dient zudem dem Kunden- und Anlegerschutz, da                                      Elektronische Wertpapiere
die betreffenden Institute die für diese geltenden
Regeln des Kreditwesengesetzes einzuhalten ha-                                Nach derzeitiger Rechtslage bedürfen Wertpapiere
ben. Wie zahlreiche Anlegerskandale bei interna-                              in Deutschland zu ihrer Entstehung der (papierhaf-
tionalen Krypto-Börsen (z. B. MtGox in Japan und                              ten) Verkörperung eines Rechts in einer Urkunde.
Quadriga CX in Kanada) in den vergangenen Jahren                              Das obengenannte Eckpunktepapier sieht vor, das
zeigen, bestehen gerade bei Dienstleistungen für                              deutsche Recht generell für elektronische Wertpa-
Krypto-Token erhebliche Risiken für Anlegerinnen                              piere zu öffnen. Neben dem bewährten System der
und Anleger, denen mit Regeln für eine ordnungs-                              Wertpapierurkunden soll optional eine elektroni-
gemäße Geschäftsorganisation begegnet werden                                  sche Begebung von Wertpapieren technologieneu­
könnte. Vor den Risiken von ICOs hat die BaFin be-                            tral auch im Rahmen eines DLT-Systems ermög-
reits im November 2017 gewarnt.1                                              licht werden. Die Öffnung soll sich zunächst auf

                                                                              2   Siehe https://www.bafin.de/dok/10506450
1   Siehe http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190611                   3   Siehe http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190613

                                                                           10
Analysen und Berichte                                                                                 Monatsbericht des BMF
           Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick                           Juni 2019

elek­
    tronische Schuldverschreibungen beschrän-                               von DLT-Systemen ausgeschlossen ist, dass Eintra-
ken; die Einführung von elektronischen Aktien soll                          gungen im Wertpapierregister unbefugt verändert
zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die Vorteile                          werden, d. h. Authentizität und Integrität der Wert-

                                                                                                                                                  Analysen und Berichte
des Verzichts auf Wertpapierurkunden bei elektro-                           papiere durch die Technik in gleicher Weise sicher-
nischen Wertpapieren liegen in der Verringerung                             gestellt ist wie durch bewährte Systeme und Verfah-
des zeitlichen und finanziellen Aufwands für die                            ren, wird in dem Eckpunktepapier zur Diskussion
Emissionshäuser von Wertpapieren; zudem wird                                gestellt, dass auch das Emissionshaus selbst oder ein
im Hinblick darauf, dass andere EU-Mitgliedstaa-                            von ihm beauftragter Dritter das Register führt.
ten sowie die Schweiz „papierlose“ Wertpapiere er-
möglichen, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanz-
platzes Deutschland gestärkt. Gleichzeitig ist der                               Öffentliches Angebot von Krypto-
Verzicht auf Wertpapierurkunden notwendige                                       Token
Voraussetzung, um Wertpapiere im Rahmen von
DLT-Systemen zu ermöglichen.                                                Im Rahmen von ICOs wurden in den vergangenen
                                                                            Jahren in erheblichen Umfang Krypto-Token an-
Elektronische Wertpapiere sollen nach dem Vor-                              geboten, die, obwohl sie faktisch zu Anlage- bezie-
bild des Bundesschuldenwesengesetzes durch Ein-                             hungsweise Finanzierungszwecken dienen und an
tragung in ein Register entstehen; d. h. die Doku-                          Handelsplätzen handelbar sind, oftmals aufsichts-
mentationsfunktion der Wertpapierurkunde soll                               rechtlich nicht als Wertpapiere, Vermögensanlagen
bei elektronischen Wertpapieren durch Erfassung                             oder sonstige Finanzinstrumente eingeordnet wer-
der Rechte in einem elektronischen Wertpapierre-                            den können. Damit fällt das öffentliche Angebot
gister ersetzt werden. Die Kernelemente des Wert-                           dieser Token – anders als die zukünftige Emission
papiers, die Legitimationsfunktion (dies bedeutet:                          von elektronischen Schuldverschreibungen – nicht
An die Innehabung des Papiers ist die Rechtsver-                            unter die bestehenden kapitalmarktrechtlichen
mutung zugunsten des Gläubigers geknüpft), die                              Vorschriften. Es besteht derzeit in der Regel keine
Liberationswirkung (dies bedeutet: Durch die Leis-                          gesetzliche Verpflichtung zur Veröffentlichung ei-
tung an die Person, die das Papier besitzt, wer-                            nes Prospekts oder Informationsblatts vor dem
den der Schuldner oder die Schulderin von der                               öffentlichen Angebot dieser Krypto-Token. Die
Leistungspflicht befreit, es sei denn, eine posi-                           gleichwohl regelmäßig veröffentlichten sogenann-
tive Kenntnis von der Nichtberechtigung liegt vor)                          ten Whitepaper stellen keine vergleichbaren Infor-
und die Übertragungsfunktion (dies bedeutet: Das                            mations- und Haftungsdokumente dar. Sie enthal-
Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier)                             ten zumeist nur unzureichende Angaben u. a. zum
sollen bei elektronischen Wertpapieren durch die                            Projekt, zu den Risiken, zu den mit den Token ver-
Eintragung im Register gewährleistet sein. Daher                            bunden Rechten und zu potenziellen Interessen-
müssen an die Verlässlichkeit der Registerführung                           konflikten. Sie ermöglichen regelmäßig keine in-
und die Richtigkeit des Registerinhalts hohe An-                            formierte Investitionsentscheidung. Gleichzeitig
forderungen gestellt werden, um die Authentizität                           birgt die Anlage in Krypto-Token erhebliche Risi-
(d. h. Feststellung der Urheberschaft) und die Inte­                        ken. Die Notwendigkeit, angemessene Risikoauf-
grität (d. h. Unverfälschtheit seit der Herstellung)                        klärungspflichten zu schaffen, wird auch von der
der Wertpapiere sicherzustellen.                                            europäischen Finanzaufsichtsbehörde ESMA in
                                                                            ihrer Empfehlung an die europäischen Institutio-
Um Manipulationsmöglichkeiten zu vermeiden,                                 nen zu ICOs und Crypto-Assets vom 9. Januar 2019
soll grundsätzlich nicht das jeweilige Emissionsin-                         betont.4
stitut selbst das Wertpapierregister führen können,
sondern die Registerführung soll durch eine zen-
                                                                            4   Siehe Advice to the European Union Institutions on initial coin
trale staatliche oder eine unter staatlicher Aufsicht                           offerings and crypto-assets, ESMA-157-1391 , http://www.
stehende Stelle erfolgen. Wenn bei Verwendung                                   bundesfinanzministerium.de/mb/20190614

                                                                         11
Analysen und Berichte                                                                        Monatsbericht des BMF
           Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick                  Juni 2019

Vor diesem Hintergrund wird im Eckpunktepapier                              In Deutschland sind Dienstleister, die den Um-
die Regulierung des öffentlichen Angebots dieser                            tausch von virtuellen Währungen in gesetzliche
Token zur Diskussion gestellt. So könnte gesetzlich                         Währungen und umgekehrt, aber – über die Richt-
bestimmt werden, dass ein öffentliches Angebot                              linie hinausgehend – auch in andere virtuelle Wäh-
erst erfolgen darf, wenn die Anbieterfirma zuvor                            rungen anbieten, bereits heute regelmäßig als Fi-
ein nach gesetzlichen Vorgaben erstelltes Informa-                          nanzdienstleistungsunternehmen erfasst und
tionsblatt veröffentlicht, dessen Veröffentlichtung                         damit auch Verpflichtete nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 GwG.
die BaFin gestattet hat.                                                    Geldwäscherechtlich und aufsichtsrechtlich bisher
                                                                            nicht in Deutschland erfasst ist allerdings der ge-
                                                                            werbliche Handel von Krypto-Token, die keine Ei-
   Umsetzung der Änderungs-                                                 genschaften von Zahlungstoken aufweisen und
   richtlinie zur Vierten EU-Geld-                                          auch nicht unter die sonstigen Kategorien der Fi-
                                                                            nanzinstrumente in § 1 Abs. 11 Satz 1 KWG fal-
   wäscherichtlinie                                                         len, sowie die Verwahrung von kryptografischen
                                                                            Schlüsseln und virtuellen Währungen.
Mit der stärkeren Verbreitung von virtuellen Wäh-
rungen und anderen Krypto-Token sind die da-                                Das BMF hat am 20. Mai 2019 die Verbändeanhö-
mit verbundenen Mißbrauchsrisiken gestiegen. Die                            rung zum Gesetzentwurf zur Umsetzung der Ände-
G20-Staaten haben daher Anfang Dezember 2018                                rungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäschericht-
vereinbart, Krypto-Token zum Zweck der Bekämp-                              linie eingeleitet. In Umsetzung der Vorgaben der
fung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung                             Richtlinie zu virtuellen Währungen sieht der Ge-
zu regulieren. Auch die Änderungsrichtlinie zur                             setzentwurf zur Erfassung aller Verwendungsfor-
Vierten EU-Geldwäscherichtlinie (EU) 2018/843                               men von virtuellen Währungen die Schaffung ei-
trägt u. a. dieser Zielstellung Rechnung. Zur Be-                           nes neuen Begriffs „Kryptowert“ vor. Kryptowerte
kämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfi-                              sind demnach digitale Darstellungen eines Wer-
nanzierung sollen bestimmte Dienstleistungsun-                              tes, der von keiner Zentralbank oder öffentlichen
ternehmen zur Einhaltung geldwäscherechtlicher                              Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und
Anforderungen verpflichtet und dabei von den zu-                            nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder
ständigen Behörden überwacht werden.                                        von Geld besitzt, aber von natürlichen oder juristi-
                                                                            schen Personen aufgrund einer Vereinbarung oder
Die Richtlinie sieht vor, dass Dienstleister, die vir-                      tatsächlichen Übung als Tausch- oder Zahlungs-
tuelle Währungen in gesetzliche Währungen und                               mittel akzeptiert wird oder Anlagezwecken dient
umgekehrt tauschen, sowie Anbieter von elek­                                und der auf elektronischem Wege übertragen, ge-
tronischen Geldbörsen geldwäscherechtlich Ver-                              speichert und gehandelt werden kann. Damit wer-
pflichtete sein sollen. Das Angebot elektro­nischer                         den nicht nur Zahlungstoken erfasst, sondern auch
Geldbörsen umfasst Dienste zur Sicherung privater                           Krypto-Token, die Anlagezwecken dienen, unab-
kryptografischer Schlüs­sel im Namen ihrer Kund-                            hängig davon, ob diese auch z. B. als Wertpapier
schaft, um virtuelle Währungen zu halten, zu spei-                          oder Vermögensanlage zu qualifizieren sind. Wei-
chern und zu über­tragen. Der Begriff der „virtuellen                       terhin sieht der Gesetzentwurf das Kryptoverwahr-
Währung“ wird dabei vom europäischen Gesetzge-                              geschäft als neue Finanzdienstleistung sowie den
ber weit gefasst. Nach den Erwägungsgründen der                             Kryptowert als neues Finanzinstrument vor. Dies
Richlinie sollen alle potenziellen Anwendungsfälle                          führt zusammen mit den bestehenden Regelungen
von virtuellen Währungen abgedeckt werden. Als                              in § 1 Abs. 1a KWG und § 2 Abs. 1 Nr. 2 GwG dazu,
Beispiel wird auch die Verwendung als Investition                           dass die jeweiligen Dienstleister nun konkret duch
aufgeführt.                                                                 Anknüpfung an das Geschäft mit Kryptowerten als
                                                                            erlaubnispflichtige Finanzdienstleistungsinstitute
                                                                            geldwäscherechtlich Verpflichtete werden.

                                                                         12
Analysen und Berichte                                                                        Monatsbericht des BMF
             Krypto-Token und die Distributed-Ledger-Technologie – ein finanzmarktbezogener Überblick                  Juni 2019

    Steuerliche Behandlung von                                                Standort für die Weiterentwicklung dieser Tech-
    Krypto-Token                                                              nologie etabliert. Mit der bestehenden Erlaubnis-
                                                                              pflicht für gewerbliche Finanzdienstleistungen mit

                                                                                                                                     Analysen und Berichte
Neben der kapitalmarktrechtlichen Regulierung                                 Zahlungstoken sind in Deutschland, anders als in
von Krypto-Token stellt sich das BMF auch den                                 anderen Ländern, die Risiken im Bereich der Geld-
mit diesen verbundenen steuerrechtlichen Heraus-                              wäsche und des Schutzes der Anlegerinnen und
forderungen. Zur umsatzsteuerlichen Behandlung                                Anleger bereits im erheblichen Umfang adressiert.
von „virtuellen Währungen“ ist bereits am 27. Feb-                            Mit dem Gesetzentwurf zur Umsetzung der Ände-
ruar 2018 ein BMF-Schreiben5 veröffentlicht wor-                              rungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäschericht-
den. Für die ertragsteuerliche Einordnung diver-                              linie werden die Präventionssysteme gegen Geld-
ser Sachverhalte im Zusammenhang mit virtuellen                               wäsche und Terrorismusfinanzierung sowie der
Währungen arbeitet das BMF derzeit an einer Ver-                              Anleger- und Kundenschutz auch im Bereich Kryp-
waltungsanweisung, die allen Beteiligten Orientie-                            to-Token weiter verbessert. Gleichzeitig schafft die
rung für die Praxis geben soll. Vor der Veröffentli-                          vorgesehene Einführung von elektronischen Wert-
chung des BMF-Schreibens muss der Entwurf mit                                 papieren den notwendigen Rechtsrahmen, um
den obersten Finanzbehörden der Länder abge-                                  weitere DLT-Innovationen in Deutschland zu er-
stimmt werden.                                                                möglichen. Mit der zur Diskussion gestellten Re-
                                                                              gulierung des öffentlichen Angebots bestimmter
                                                                              Krypto-Token wird zudem eine weitere Erhöhung
    Fazit                                                                     des Schutzniveaus angestrebt. Mit diesen ergriffe-
                                                                              nen und noch geplanten Maßnahmen im Bereich
Deutschland ist im Bereich DLT und Krypto-Token                               Krypto-Token leistet das BMF einen wichtigen Bei-
im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Ins-                            trag, damit Deutschland auch weiterhin im Wettbe-
besondere Berlin hat sich als weltweit anerkannter                            werb um DLT-basierte Innovationen eine führende
                                                                              Rolle einnehmen kann und gleichzeitig Verbrau-
5   III C 3 – S 7160-b/13/ 10001 (2018/0018436),                              cherinnen und Verbraucher geschützt werden.
    siehe http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190615

                                                                           13
Analysen und Berichte                                                       Monatsbericht des BMF
                                                                                                    Juni 2019

Verschuldung in Niedrigeinkommensländern
    ●● Die öffentlichen Schulden in Niedrigeinkommensländern haben wieder zugenommen, wobei
       eine Änderung der Zusammensetzung dieser Schulden zu beobachten ist.

    ●● Nach Auffassung des Internationalen Währungsfonds befindet sich knapp die Hälfte aller Nied-
       rigeinkommensländer in einer Situation, die durch ein hohes Risiko der Überschuldung gekenn-
       zeichnet ist, oder bereits in einer finanziellen Notlage.

    ●● Die Bundesregierung setzt sich für Schuldentragfähigkeit, Schuldentransparenz, besseres Schul-
       denmanagement und eine verstärkte Mobilisierung staatlicher Einnahmen in Niedrigeinkom-
       mensländern ein.

   Deutlicher Anstieg                                         Niedrigeinkommensländer (Low-Income
   des Schuldenstands in                                      Developing Countries, LIDCs)
   Niedrigeinkommensländern                                   haben laut der Definition des IWF ein jährli-
                                                              ches Bruttonationaleinkommen von weniger
Seit der Finanzkrise 2008 ist eine grundsätzliche             als 2.500 $ pro Kopf. Unter diese Definition
Zunahme der globalen Verschuldung zu beobach-                 fallen 59 Länder (Stand 2017).
ten. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Industrie-,
sondern auch Entwicklungs- und Schwellenlän-
der. Nach der Entschuldung von 36 hochverschul-           Mehr als 80 % der Niedrigeinkommensländer ha-
deten armen Ländern im Rahmen der Highly-In-              ben eine Zunahme der Verschuldung seit 2012
debted-Poor-Countries-Initiative, kurz HIPC, zu           verzeichnet. Insgesamt lag der öffentliche Schul-
Beginn der 2000er Jahre hat die Verschuldung ins-         denstand 2017 im Durchschnitt zwar immer noch
besondere auch von Niedrigeinkommensländern               weit unterhalb des Stands von 2000 (siehe Abbil-
(Low-Income Developing Countries, LIDCs) in den           dung 1). Jedoch ist die Schuldenvulnerabilität vieler
vergangenen Jahren wieder stark zugenommen. In            Länder gestiegen. Der durchschnittliche Schulden-
den Niedrigeinkommensländern lag der öffentli-            dienst der LIDCs lag 2018 bei 19,5 % des nationa-
che Schuldenstand im Jahr 2010 noch bei 39 % und          len Steuereinkommens (nach 12,5 % im Jahr 2012).
stieg bis 2017 auf 52 %.                                  Nach Einschätzung des Internationalen Währungs-
                                                          fonds (IWF) befand sich Ende 2018 knapp die Hälfte
                                                          aller LIDCs in einer Situation, die ein hohes Risiko
                                                          der Überschuldung aufweist oder schon als Notlage
                                                          anzusehen ist (siehe Abbildung 2).

                                                        14
Analysen und Berichte                                                                               Monatsbericht des BMF
      Verschuldung in Niedrigeinkommensländern                                                                         Juni 2019

Öffentliche Verschuldung der LIDCs                                                                                       Abbildung 1
Durchschnitt, in % des BIP

                                                                                                                                       Analysen und Berichte
120

100

 80

 60

 40

 20

  0
       2000                       2004                        2008                      2012                         2016
                                            LIDCs                                      Alle anderen

Die öffentliche Verschuldung in LIDCs nimmt wieder zu, bleibt aber noch unter dem Niveau des Jahres 2000.
Quelle: IWF, WEO Oktober 2018, eigene Darstellung

Überschuldungsrisiko                                                                                                     Abbildung 2
Prozentualer Anteil der LIDCs an allen LIDCs mit einer Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF

 50

 40

 30

 20

 10

  0
                  Niedriges Risiko                         Moderates Risiko                     Hohes Risiko oder Notlage

                                                  2010                   2018

Fast die Hälfte aller LIDCs weist ein hohes Risiko der Überschuldung auf oder befindet sich bereits in einer Situation, die als
Notlage angesehen wird.
Quelle: IWF, LIC DSA Datenbank, eigene Darstellung

                                                                  15
Analysen und Berichte                                                     Monatsbericht des BMF
           Verschuldung in Niedrigeinkommensländern                                               Juni 2019

Die Forderungen des Bundes gegenüber Entwick-           Problematisch an kommerzieller Verschuldung
lungsländern (Stand 31. Dezember 2018) belaufen         ist allerdings häufig, dass diese zu hohen Zin-
sich insgesamt auf rund 15 Mrd. € (nach 16,1 Mrd. €     sen entsprechend dem Rating der Länder aufge-
im Jahr 2017). Insgesamt 17 % dieser Forderungen        nommen werden muss. Die Konditionen der Kre-
bestehen gegenüber Niedrigeinkommensländern,            dite von multilateralen Entwicklungsbanken oder
wovon 1,3 Mrd. € Forderungen aus finanzieller Zu-       auch Entwicklungskredite von bilateralen Gebern
sammenarbeit resultieren und 1,2 Mrd. € Handels-        sind deutlich günstiger und haben relativ lange
forderungen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass    Laufzeiten. Diese Kredite sind für Niedrigeinkom-
Deutschland ausschließlich Zuschüsse und tech-          mensländer besser, um ihre Schuldentragfähigkeit
nische Hilfe, aber keine Kredite an Niedrigeinkom-      zu sichern. Dies ist umso wichtiger, als schon jetzt
mensländer vergibt, die im Rahmen der HIPC-Initi-       Zinszahlungen die Ausgabeseite der LIDCs-Haus-
ative entschuldet wurden.                               halte zunehmend belasten (siehe Abbildung 3). Al-
                                                        lerdings ist die Verschuldung gegenüber multilate-
                                                        ralen Institutionen von 19,6 % auf 15,7 % des BIP
   Was ist anders in der                                zurückgegangen.
   gegenwärtigen Situation?
                                                        Dagegen treten Nicht-Pariser-Club-Gläubiger-
Die geldpolitische Lockerung einiger großer Zen-        länder vermehrt als Geber auf. Dazu gehören
tralbanken hat weltweit zu einer hohen Liquidität       zum Beispiel China und Indien. Die Verschul-
geführt. Schwellen- und Entwicklungsländer ha-          dung von LIDCs gegenüber bilateralen Nicht-Pa-
ben sich auch deshalb in den vergangenen Jahren         riser-Club-Gläubigern ist zwischen 2007 und 2016
zunehmend an den Kapitalmärkten refinanziert.           von 6,8 % auf 13,8 % des BIP gestiegen und hat sich
Insgesamt ist die Verschuldung von LIDCs bis 2016       damit verdoppelt. Im gleichen Zeitraum sind die
auf fast 53 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an-       Forderungen der Pariser-Club-Gläubiger gegen-
gestiegen, nachdem sie zwischenzeitlich bis auf         über LIDCs von 7,4 % auf 2,2 % des BIP gefallen
knapp 40 % im Jahr 2013 zurückgegangen war.             (siehe Tabelle 1). Damit betrug der Anteil der Forde-
                                                        rungen der Pariser-Club-Gläubiger an den Gesamt-
Dieser Anstieg der Verschuldung in der vergange-        forderungen gegenüber diesen Ländern 2016 nur
nen Dekade ist zu nahezu gleichen Teilen auf einen      noch 6 %, während der entsprechende Anteil der
Anstieg der ausländischen sowie der inländischen        Nicht-Pariser-Club-Gläubiger auf 37 % anstieg.
Verschuldung zurückzuführen. So ist der Anteil          2007 lagen die vergleichbaren Anteile hingegen
der Auslandsverschuldung von LIDCs gegenüber            noch bei 20 % beziehungsweise 19 %.
kommerziellen Gebern von 2007 bis 2016 von 2,7 %
auf 5,6 % des BIP angestiegen (siehe Tabelle 1): Da-
mit machte die ausländische Verschuldung gegen-             Der Pariser Club
über kommerziellen Gebern 2016 bereits 15 % an              ist ein 1956 gegründeter informeller Zu-
der gesamten öffentlichen Auslandsverschuldung              sammenschluss von derzeit 22 wichti-
aus (nach 7 % im Jahr 2007). Angesichts des Ausbaus         gen Gläubigerstaaten. Er schließt Um-
heimischer Kapitalmärkte in den LIDCs hat auch              schuldungsvereinbarungen ab, um die
deren Inlandsverschuldung deutlich zugenom-                 Schuldentragfähigkeit in Ländern mit Zah-
men. Dieser Teil der Verschuldung ist aber nicht            lungsschwierigkeiten zu sichern. Weitere In-
dem Wechselkursrisiko und auch weniger dem Ri-              formationen unter www.clubdeparis.org.
siko anderer externer Faktoren ausgesetzt.

                                                       16
Analysen und Berichte                                                                       Monatsbericht des BMF
              Verschuldung in Niedrigeinkommensländern                                                                 Juni 2019

  Öffentliche Verschuldung von LIDCs nach Gebern                                                                           Tabelle 1
  in % des BIP

                                                                          2007                   2013                   2016

                                                                                                                                        Analysen und Berichte
 Gesamtverschuldung                                                               47,1                    39,8                   52,7
 Auslandsverschuldung                                                             36,5                    28,7                   37,3
 davon:
  Multilateral                                                                    19,6                    14,4                   15,7
      WB, IWF, IDB, AfDB, AsDB                                                    16,8                     9,4                    9,9
      Andere                                                                        2,8                    5,1                    5,8
  Bilateral                                                                       14,2                    11,4                   16,0
      Pariser Club                                                                  7,4                    2,3                    2,2
      Nicht-Pariser Club                                                            6,8                    9,1                   13,8
      China                                                                         0,3                    2,5                    4,2
  Kommerziell                                                                       2,7                    2,9                    5,6
      Anleihen                                                                      0,5                    0,6                    1,4
      Geschäftsbanken                                                               1,1                    0,8                    1,1
      Andere                                                                        1,1                    1,5                    3,2
 Inlandsverschuldung                                                              10,5                    11,1                   15,3
      Zentralbankforderungen                                                       -0,8                    0,3                    2,8
      Depositenbanken                                                               0,6                    2,6                    6,2
      Nichtbanken                                                                 10,7                     8,2                    6,3
 Anmerkung: Weltbank (WB), Internationaler Währungsfonds (IWF), Inter-American Development Bank (IDB), African Development Bank
 (AfDB), Asian Development Bank (AsDB); Daten basieren auf Daten für 37 LIDCs, für die durchgängig Daten vorhanden sind; Zahlen sind
 einfache Durchschnitte.
 Quelle: IWF, Macroeconomic Developments and Prospects in Low-Income Developing Countries, 2018, Table 4

   Maßnahmen seitens der                                               von Korruption und übermäßiger Bürokratie eine
   Kredit­nehmer zur Vermeidung                                        hohe Bedeutung zu.
   von Überschuldung
                                                                       Resilienz ist wichtig, um exogene Schocks wie bei-
Grundsätzlich gilt es, neue Schuldenkrisen in Nied-                    spielsweise abrupte Preisentwicklungen auf den
rigeinkommensländern zu vermeiden. Die gemein-                         internationalen Märkten abzufedern. Der Preisein-
samen Bemühungen von Gläubigern und Schuld-                            bruch an den Rohstoffmärkten 2012/2013 war z. B.
nern sollten darauf abzielen, Schuldentragfähigkeit                    ein wichtiger Faktor für die schwierige Lage vieler
zu sichern.                                                            Rohstoffexporteure. Davon betroffen waren beson-
                                                                       ders die Republik Tschad, die Republik Kongo und
Je resilienter eine Volkswirtschaft und je solider ihr                 Nigeria. Für rohstoffexportierende Länder kommt
Wirtschaftwachstum, desto weniger anfällig ist das                     es daher besonders darauf an, ihre Volkswirtschaf-
Land für Überschuldung. Eine wichtige Rolle zur                        ten nach Möglichkeit zu diversifizieren. Aber auch
Vermeidung von Überschuldungen spielen dabei                           bei diversifizierten Exporteuren war eine Zunahme
der Willen zu nachhaltigen politischen Maßnah-                         der Verschuldung zu beobachten.
men und Reformen der betreffenden Regierung
für eine wachstumsorientierte Politik und tragfä-                      Neben einer stärkeren Resilienz ist auch das Schul-
hige öffentliche Finanzen, insbesondere zur Erhö-                      denmanagement wichtig – und dabei auch Trans-
hung der eigenen öffentlichen Einnahmen; dabei                         parenz und Datenmanagement. Das Verschul-
kommt in vielen Ländern auch der Eindämmung                            dungsrisiko ist für Länder höher, wenn sie eine

                                                                    17
Analysen und Berichte                                                                      Monatsbericht des BMF
           Verschuldung in Niedrigeinkommensländern                                                                Juni 2019

     Veränderung der Ausgaben von Zentralregierungen in LIDCs zwischen 2012 und 2018                                Abbildung 3
     in % des BIP

                        Sozialleistungen

      Nettoerwerb von Vermögensgütern

                    Arbeitnehmerentgelte

                          Zinszahlungen

                       Andere Ausgaben

                                           -1,0               -0,5               0,0                0,5                   1,0

     Zwischen 2012 und 2018 sind die Ausgaben der Zentralregierungen in LIDCs gesunken und die Zinszahlungen gestiegen.
     Quelle: IWF, Fiscal Monitor April 2019, eigene Darstellung

geringe Schuldentranzparenz aufweisen. Das er-                         und Finanzministern der G20 und der Notenbank-
schwert etwa zu überprüfen, ob bei einer Kredit-                       gouverneurin und den Notenbankgouverneuren
vergabe die Schuldenbegrenzungspolitiken von                           der G20 bei ihrem Treffen im Juni 2019 verabschie-
IWF und Weltbank eingehalten werden. Deshalb ist                       deten „Prinzipien für Qualitätsinfrastrukturinves-
es wichtig, Entwicklungsländer mit entsprechen-                        titionen“. Die Zusammenarbeit und Koordinierung
dem Bedarf dabei zu unterstützen, ihre Kapazitäten                     zwischen Entwicklungspartnern und dem jewei-
zur Erstellung und Aufbereitung von Schuldenda-                        ligen Land ist dabei ebenfalls von Bedeutung und
ten zu verbessern. Gerade IWF und Weltbank ha-                         sollte sich entlang der ebenfalls von den Finanzmi-
ben hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.                            nisterinnen und Finanzministern der G20 und der
                                                                       Notenbankgouverneurin und den Notenbankgou-
Die Herausforderung für die Entwicklungsländer,                        verneuren der G20 kürzlich beschlossenen „Prinzi-
aber auch für die Geber ist es, Schuldentragfähigkeit                  pien für effektive Länderplattformen“ orientieren.
mit den zur Erreichung der nachhaltigen Entwick-                       Dabei ist es besonders wichtig, dass die Empfänger-
lungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs)                       länder sich die Prinzipien zu eigen machen. Der-
notwendigen Investitionen in Einklang zu bringen                       zeit arbeiten afrikanische Länder, die sich der Com-
(siehe Abbildung 4). Deswegen ist es auch unver-                       pact-with-Africa-Initiative der G20 angeschlossen
zichtbar, Mittel des Privatsektors zur Finanzierung                    haben, bereits in sogenannten Compact Teams an
von notwendigen Investitionen gerade auch im In-                       einer Verbesserung der Wirksamkeit von Entwick-
frastrukturbereich zu mobilisieren. Wichtige Leitli-                   lungszusammenarbeit und insbesondere an einer
nien hierfür geben die von den Finanzministerinnen                     stärkeren Einbeziehung des Privatsektors.

                                                                     18
Analysen und Berichte                                                                        Monatsbericht des BMF
            Verschuldung in Niedrigeinkommensländern                                                                  Juni 2019

     Anstieg der Investitionsausgaben pro Jahr:                                                                       Abbildung 4
     Ist (2016) vs. Soll zur Erreichung der SDGs im Jahr 2030
     in % des BIP

                                                                                                                                    Analysen und Berichte
      5,0

      4,5

      4,0

      3,5

      3,0

      2,5

      2,0

      1,5

      1,0

      0,5

      0,0
                    Gesundheit               Bildung               Energie                Transport             Wasser

                                                   2016                                    2030

     Es bedarf zusätzlicher Investitionen in den LIDCs, um SDGs vollumfänglich zu erreichen.
     Quelle: IWF, Fiscal Monitor April 2019, eigene Darstellung

   Maßnahmen seitens der                                               der Notenbankgouverneure der G20 in Fukuoka, Ja-
   Geber zur Sicherung der                                             pan, am 8./9. Juni 2019 vorgelegten Bericht weisen
   Schuldentragfähigkeit                                               IWF und Weltbank darauf hin, dass sie u. a. mehr
                                                                       technische Hilfe und Workshops zur Erhöhung der
Maßnahmen zur Sicherung der Schuldentragfähig-                         Schuldentransparenz anbieten werden. Außerdem
keit werden von der G20 und im Pariser Club vor-                       haben sie bereits die Kapazitäten zur Erstellung und
angetrieben und unterstützt. Der Fokus liegt u. a.                     Aufbereitung von Schuldendaten in zehn Ländern
auf mehr Schuldentransparenz, der Stärkung der                         verbessert.
Einnahmeseite durch die Mobilisierung von heimi-
schen Ressourcen, der Implementierung interna-                         Zudem arbeitet die internationale Gemeinschaft
tionaler Standards und der Einbindung neuer Ge-                        kontinuierlich an der Weiterentwicklung und Imple-
ber. IWF und Weltbank fokussieren ihre Arbeiten                        mentierung internationaler Standards. Schon wäh-
zu Schuldentragfähigkeit innerhalb ihres mehrglei-                     rend der G20-Präsidentschaft Deutschlands 2017
sigen Ansatzes („Multipronged Approach“) auf vier                      wurde die Schuldentragfähigkeit von einkommens-
Pfeiler: verbesserte Schuldenanalysen/Frühwarn-                        schwachen Ländern thematisiert (siehe hierzu auch
systeme, höhere Schuldentransparenz, gestärkte Ka-                     Monatsbericht des BMF November 20171). Das Er-
pazitäten für das Schuldenmanagement und Über-                         gebnis waren operative Leitlinien für Gläubiger- und
prüfung von Schuldenpolitiken. In ihrem für das
Treffen der Finanzministerinnen und Finanzminis-
ter der G20 und der Notenbankgouverneurin und                          1     http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190621

                                                                    19
Analysen und Berichte                                                          Monatsbericht des BMF
           Verschuldung in Niedrigeinkommensländern                                                    Juni 2019

Schuldnerländer für tragfähige öffentliche Finan-         zuletzt im Januar 2019 (siehe Monatsbericht des
zen – die „G20 Operational Guidelines for Sustain-        BMF Februar 20192).
able Financing“, die Kreditnehmer und Kreditge-
ber zu verantwortungsvollem Handeln verpflichten.         Im Pariser Club wird auch an konzeptionel-
Im Rahmen der diesjährigen japanischen G20-Prä-           len Fragen gearbeitet, z. B. wie finanzielle Risi-
sidentschaft fand eine freiwillige Selbstevaluierung      ken etwa durch Naturkatastrophen wie Hurrikans
von Gläubigerländern innerhalb und außerhalb              für Schuldnerländer eingegrenzt werden können.
der G20 bezüglich der Umsetzung dieser Leitlinien         2015 wurde erstmals in einer Umschuldung mit
statt. Hierzu haben IWF und Weltbank erste Emp-           Grenada eine sogenannte Hurrikan-Klausel ver-
fehlungen auf Basis der Antworten von 18 Ländern          einbart, wonach das Land nach solchen Ereignissen
erarbeitet. Danach sollten die Gläubiger ihre An-         zukünftig die Möglichkeit hat, mit seinen Gläubi-
strengungen insbesondere bezüglich des Informa-           gern eine weitere Schuldenentlastung auszuhan-
tionsaustauschs und der Transparenz sowie zur Si-         deln. Damit nimmt der Pariser Club auch Fragestel-
cherstellung konsistenter Verschuldungsgrenzen            lungen zur Gestaltung von Krediten auf, die eine
von IWF und Weltbank verstärken. Aber auch die            kurzfristige Entlastung ohne dazu notwendige Ver-
privaten Gläubiger, vertreten durch das Institute of      handlungen zur Anpassung der Kreditbedingun-
International Finance (IIF), haben freiwillige „Prin-     gen ermöglichen sollen, falls etwa ein Hurrikan das
zipien zur Schuldentransparenz“ erarbeitet, die u. a.     entsprechende Land schädigt (sogenannte klimare-
die Verantwortung des privaten Sektors bei der Ver-       siliente Kredite).
gabe von Krediten und die Notwendigkeit der Be-
rücksichtigung von Schuldengrenzen betonen. Die
Prinzipien wurden ebenfalls beim G20-Treffen in               Schlussbemerkung
Fukuoka vorgestellt.
                                                          Die Verantwortung für tragfähige Verschuldung
Auf internationaler Ebene spielt zudem die Zu-            liegt sowohl beim Kreditgeber als auch beim Kre-
sammenarbeit der Gläubigerländer im Pariser Club          ditnehmer. Eine Voraussetzung für die Vermeidung
für den Informationsaustausch und die Transpa-            von Schuldenkrisen seitens der Kreditgeber ist eine
renz eine wichtige Rolle. Diese Zusammenarbeit            offene und transparente Zusammenarbeit in be-
ist Grundlage für eine schnelle und effektive Be-         stehenden Foren, wie z. B. dem Pariser Club. Da-
wältigung von Schuldenkrisen. Dabei kommt der             bei spielen neue staatliche Geber und private Geber
verstärkten Zusammenarbeit des Pariser Clubs              eine zentrale Rolle. Die Bundesregierung engagiert
mit neuen Gläubigerländern eine besondere Be-             sich in den entsprechenden Foren und multilatera-
deutung zu. So konnten Brasilien und Korea im             len Institutionen, um Kreditnehmerländer bei der
Jahr 2016 als neue Mitglieder im Pariser Club be-         Umsetzung für eine verantwortungsvolle Kredit-
grüßt werden. Darüber hinaus beteiligen sich wei-         aufnahme zu unterstützen und eine neue Schul-
tere wichtige Gläubigerländer wie China und Süd-          denkrise zu vermeiden.
afrika seit 2013 und Indien seit Anfang 2019 als
„Ad-hoc“-Teilnehmer an den Diskussionen im Pa-
riser Club. Deutschland wirbt für diese Arbeiten
auch bilateral, beispielsweise im Rahmen des hoch-
rangigen deutsch-chinesischen Finanzdialogs,              2   http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190622

                                                        20
Analysen und Berichte                                                     Monatsbericht des BMF
                                                                                                  Juni 2019

Ergebnisse der Steuerschätzung
vom 7. bis 9. Mai 2019

                                                                                                               Analysen und Berichte
    ●● Die Steuereinnahmen steigen bis zum Jahr 2023 voraussichtlich auf 908,4 Mrd. € an.

    ●● Bund, Länder und Gemeinden können in allen Schätzjahren mit Mehreinnahmen rechnen.

    ●● Im Vergleich zur Steuerschätzung Herbst 2018 werden in allen Jahren Mindereinnahmen er-
       wartet.

    ●● In der Finanzplanung des Bundes wurde im Rahmen des Eckwertebeschlusses vom März 2019
       allerdings ein erheblicher Teil der zu erwartenden Mindereinnahmen bereits berücksichtigt.

Vom 7. bis 9. Mai 2019 fand in Kiel auf Einladung der        Berücksichtigte
Finanzministerin des Landes Schleswig-Holstein,              Steuerrechtsänderungen
Monika Heinold, die 155. Sitzung des Arbeitskrei-
ses „Steuerschätzungen“ statt. Geschätzt wurden die       Die Schätzung geht vom geltenden Steuerrecht
Steuereinnahmen für die Jahre 2019 bis 2023.              aus. In Tabelle 1 sind die finanziellen Auswirkun-
                                                          gen von Gesetzen und sonstigen Regelungen ent-
                                                          halten, die gegenüber der vorangegangenen Schät-
    Der unabhängige Arbeitskreis „Steuer-                 zung vom Herbst 2018 neu einzubeziehen waren.
    schätzungen“                                          Aufgrund der Umverteilung des Umsatzsteuerauf-
    erstellt in Deutschland die Steuerschät-              kommens zugunsten von Ländern und Gemein-
    zung für Bund, Länder und Gemeinden.                  den infolge des Gesetzes zur fortgesetzten Betei-
    Dem seit 1955 bestehenden Gremium gehö-               ligung des Bundes an den Integrationskosten der
    ren Fachleute der Länder, von fünf führen-            Länder und Kommunen und zur Regelung der Fol-
    den Wirtschaftsforschungsinstituten (DIW,             gen der Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Ein-
    Ifo, IfW, RWI, IWH), des Sachverständigen-            heit“ vom 17. Dezember 2018 (BGBl. 2018 I, Nr. 47,
    rats, der Deutschen Bundesbank, des Statis-           S. 2522) wird der Bund durch die neuen Rechtsän-
    tischen Bundesamts, des Deutschen Städte-             derungen wesentlich stärker belastet als Länder
    tags, des Bundesministeriums für Wirtschaft           und Gemeinden.
    und Energie und des BMF an, welches den
    Vorsitz führt. In der Regel finden zwei Sit-
    zungen im Jahr statt: Im Frühjahr und
    Herbst.

                                                        21
Analysen und Berichte                                                                          Monatsbericht des BMF
                 Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019                                                       Juni 2019

     Auswirkungen der neu in die Steuerschätzung einbezogenen Rechtsänderungen                                              Tabelle 1
     in Mrd. €

                                                  2019                   2020              2021             2022              2023
    Bund                                                   -8,3                  -6,8              -7,1             -7,2                -7,2
    Länder                                                  2,7                  -1,9              -2,2             -2,2                -2,3
    Gemeinden                                               0,6                  -2,0              -2,1             -2,0                -2,1
    Zusammen¹                                              -5,0                 -10,7             -11,4            -11,5             -11,6
    1 Abweichung in den Summen durch Rundung der Zahlen möglich.
    Quelle: Arbeitskreis „Steuerschätzungen“

Eine Aufzählung der neu einbezogenen Rechtsän-                                          EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011
derungen wurde in der Pressemitteilung des BMF                                          Der EuGH hatte im Rahmen einer Ver-
Nr. 3/2019 vom 9. Mai 2019 veröffentlicht.1                                             tragsverletzungsklage der Europäischen
                                                                                        Kommission gegen Deutschland mit Ur-
Bei der Schätzung des Aufkommens der nicht ver-                                         teil vom 20. Oktober 2011 in der Rechts-
anlagten Steuern vom Ertrag wurden der Eingang                                          sache C-284/09 entschieden, dass die
und der Stand der Bearbeitung der Anträge auf Er-                                       Abgeltungswirkung des Kapitalertragsteu-
stattung von Kapitalertragsteuer nach § 32 Abs. 5                                       erabzugs bei gebietsfremden Körperschaf-
Körperschaftsteuergesetz (KStG) (Umsetzung der                                          ten mit Beteiligungen von weniger als 10 %
Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen                                          (sogenannte Streubesitzdividenden) an in-
Union – EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011) be-                                           ländischen Kapitalgesellschaften gegen die
rücksichtigt. Die bisher hälftig für die Jahre 2019                                     unionsrechtliche garantierte Freiheit des
und 2020 angenommene Minderung der Steuer-                                              Kapitalverkehrs verstößt. Im Rahmen des
einnahmen in Höhe von insgesamt circa 2,5 Mrd. €                                        Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Ur-
wurde daher um ein Jahr verschoben auf die                                              teils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssa-
Jahre 2020 und 2021.                                                                    che C-284/09 vom 21. März 2013 wurde in
                                                                                        § 32 Abs. 5 KStG die Erstattung der Kapita-
                                                                                        lertragsteuer geregelt.
                                                                                        Die Regelung enthält die Voraussetzungen,
                                                                                        nach denen ausländischen Kapitalgesell-
                                                                                        schaften aus der Europäischen Union/dem
                                                                                        Europäischen Wirtschaftsraum die auf die
                                                                                        Streubesitzdividenden einbehaltene Kapital­
                                                                                        ertragsteuer erstattet wird, sofern diese Di-
                                                                                        videnden vor dem 1. März 2013 zugeflos-
                                                                                        sen sind (sogenannte Altfälle). Gleichzeitig
                                                                                        wurde in § 8b Abs. 4 KStG eine Steuerpflicht
                                                                                        für nach dem 28. Februar 2013 zugeflosse-
1    Die Pressemitteilung ist auf der Internetseite des BMF zu
     finden:
                                                                                        ne Streubesitzdividenden eingeführt (soge-
     http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190631                                  nannte Neufälle).

                                                                                22
Analysen und Berichte                                                                 Monatsbericht des BMF
              Ergebnisse der Steuerschätzung vom 7. bis 9. Mai 2019                                              Juni 2019

Die Schätzung der Grundsteuer erfolgte auf Basis                        Bundesregierung zugrunde gelegt. Die Erwartun-
der bestehenden Rechtslage. Hierbei wurde ange-                         gen über die Entwicklung für die Steuerschätzung
nommen, dass die vom Bundesverfassungsgericht                           wichtiger gesamtwirtschaftlicher Kennziffern sind

                                                                                                                               Analysen und Berichte
(BVerfG) mit Urteil vom 10. April 2018 gesetzten                        in Tabelle 2 dargestellt.
Fristen zur gesetzlichen Neuregelung und Um-
setzung dieser Neuregelung bis zum 31. Dezem-                           Für die Jahreswende 2018/2019 zeichnete sich eine
ber 2024 durch den Gesetzgeber vollständig ausge-                       temporäre Abschwächung der wirtschaftlichen
schöpft werden.                                                         Dynamik ab. Daher wurden in der Frühjahrspro-
                                                                        jektion 2019 wichtige gesamtwirtschaftliche Be-
                                                                        messungsgrundlagen für aufkommensstarke Steu-
      BVerfG-Urteil vom 10. April 2018                                  erarten insbesondere für die Jahre 2019 und 2020
      Das BVerfG hat mit Urteil vom 10. April 2018                      gegenüber der Herbstprojektion 2018 nach unten
      festgestellt, dass die Regelungen des Bewer-                      revidiert (Abbildung 1). Aufgrund der niedrigeren
      tungsgesetzes zur Einheitsbewertung von                           Ausgangsbasis bedeutet dies auch für den mittel-
      Grundvermögen in den „alten“ Ländern mit                          fristigen Vorausschätzungszeitraum bis 2023 abso-
      dem allgemeinen Gleichheitssatz unverein-                         lut ein niedrigeres Aufkommen, selbst wenn die Zu-
      bar sind. Das Festhalten am Hauptfeststel-                        wachsraten gegenüber der Herbstprojektion 2018
      lungszeitpunkt 1964 führe zu gravierenden                         teilweise unverändert blieben beziehungsweise
      und umfassenden Ungleichbehandlungen,                             nur leicht gesunken sind. So wurden für die priva-
      für die es keine ausreichende Rechtfertigung                      ten Konsumausgaben – ein bedeutender Indikator
      gibt. Der Gesetzgeber ist angehalten, bis zum                     für die Steuern vom Umsatz – in den Jahren 2019
      31. Dezember 2019 eine gesetzliche Neure-                         und 2020 niedrigere Zuwächse prognostiziert. Auch
      gelung zu treffen. Darüber hi­naus wurde ihm                      für die Unternehmens- und Vermögenseinkom-
      vom BVerfG aufgrund des zu erwartenden er-                        men – die zentrale Bezugsgröße der gewinnabhän-
      heblichen Verwaltungsaufwands eine weite-                         gigen Steuern (veranlagte Einkommensteuer, Kör-
      re Frist von fünf Jahren bis zum 31. Dezem-                       perschaftsteuer und Gewerbesteuer) – wurden die
      ber 2024 zur Umsetzung der Neuregelung                            Erwartungen für die Jahre 2019 und 2020 beträcht-
      eingeräumt.2                                                      lich nach unten korrigiert. Für das Jahr 2019 wird
                                                                        sogar ein Rückgang um 1,5 % erwartet. Mittelfristig
                                                                        wird mit gegenüber der Herbstprojektion 2018 un-
                                                                        veränderten Zuwachsraten gerechnet.
    Gesamtwirtschaftliche
    Annahmen                                                            Die Wachstumsannahmen für die Bruttolöhne und
                                                                        -gehälter – eine wichtige Bemessungsgrundlage für
Der Steuerschätzung wurden die gesamtwirtschaft-                        die Lohnsteuer – wurden hingegen aufgrund der an-
lichen Eckwerte der Frühjahrsprojektion 2019 der                        haltend guten Lage am Arbeitsmarkt und weiter stei-
                                                                        gender Effektivlöhne im Jahr 2019 leicht um 0,2 Pro-
                                                                        zentpunkte angehoben. Für die Folgejahre ab 2020
2   Siehe Pressemitteilung des BVerfG Nr. 21/2018 vom                   erfolgte nur eine leichte Absenkung der Wachstums­
    10. April 2018 unter
    http://www.bundesfinanzministerium.de/ mb/201906334.                annahmen um 0,1 Prozentpunkte pro Jahr.
    Das Urteil des Ersten Senats des BVerfG vom 10. April 2018 – 1
    BvL 11/14 – Rn. (1-181) ist im Internet zu finden unter
    http://www.bundesfinanzministerium.de/ mb/201906335.

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