Potenziale für mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen
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Potenziale für mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen Martin Albrecht (IGES Institut GmbH) Arbeitspapier 05/2018*) November, 2018 *) Die Arbeitspapiere geben die persönliche Meinung der Autoren wieder und nicht notwendigerweise die des Sachverständigen- rates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
| Gesundheit | Mobilität | Bildung | Potenziale für mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen Expertise Kontakt: Dr. Martin Albrecht T +49 30 230 809 0 martin.albrecht@iges.com IGES Institut GmbH Friedrichstraße 180 10117 Berlin www.iges.com IGES Institut. Ein Unternehmen der IGES Gruppe
IGES 2 Expertise für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Berlin, 19. September 2018
IGES 3 Inhalt 1. Hintergrund und Ziel der Expertise 6 2. Wesentliche Märkte und Wettbewerbsfelder im Gesundheitswesen 8 2.1 Wettbewerbliche Besonderheiten im Gesundheitswesen 8 2.2 Märkte und Wettbewerbsfelder der Gesundheitsversorgung 10 2.3 Wettbewerbsansätze im Gesundheitswesen 11 3. Potenziale und Grenzen des Wettbewerbs zwischen Krankenkassen und zwischen Leistungserbringern 15 3.1 Effizienzmängel als Ausgangspunkt für eine stärkere Wettbewerbsorientierung 15 3.2 Wettbewerbspotenziale in der Krankenhausversorgung 18 3.2.1 Gegenwärtige Wettbewerbsbedingungen auf dem Krankenhausmarkt 18 3.2.2 Aktuelle Steuerungsansätze 22 3.2.3 Wettbewerbliche Steuerungsansätze 31 3.3 Wettbewerbspotenziale in der ambulanten Versorgung 38 3.3.1 Gegenwärtiger Stand der Wettbewerbsorientierung in der ambulanten ärztlichen Versorgung 38 3.3.2 Ansätze für eine stärker wettbewerbliche Steuerung 41 3.4 Wettbewerb um neue, sektorenübergreifende Versorgungsformen 45 3.4.1 Gegenwärtige Hemmnisse des selektivvertraglichen Innovationswettbewerbs 45 3.4.2 Ansätze für eine Stärkung des Innovationswettbewerbs 47 3.5 Wettbewerbspotenziale auf dem Krankenversicherungsmarkt 50 3.5.1 Versicherungsmarkt der GKV 50 3.5.2 Wettbewerb in der PKV und an der Systemgrenze 54 Anhang: ergänzende graphische und tabellarische Darstellungen 59 Literaturverzeichnis 76
IGES 4 Abbildungen Abbildung 1: Märkte und Wettbewerbsfelder in der Gesundheitsversorgung 10 Abbildung 2: Wettbewerbsfelder und -parameter aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen 13 Abbildung 3: Gesundheitsausgaben insgesamt im Verhältnis zum BIP im OECD-Vergleich, 2017 59 Abbildung 4: Gesundheitsausgaben insgesamt pro Kopf der Bevölkerung im OECD-Vergleich (in US-$ Kaufkraftparitäten zu konstanten Preisen), 2017 60 Abbildung 5: Gesundheitsausgaben in Deutschland im Verhältnis zum BIP, 1992-2017 61 Abbildung 6: Veränderung der öffentlichen Gesundheitsausgaben und des BIP pro Kopf im OECD-Vergleich, 2000-2017 62 Abbildung 7: Veränderung der öffentlichen Gesundheitsausgaben und des BIP pro Kopf im OECD-Vergleich, 1995-2008 63 Abbildung 8: Entwicklung zentraler Kennziffern der Krankenhausversorgung, 1991-2017 64 Abbildung 9: Anzahl der kurativ-akuten Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner im OECD-Vergleich, 2016 65 Abbildung 10: Entlassungen kurativ-akuter Krankenhausfälle je 100.000 Einwohner im OECD-Vergleich, 2016 66 Abbildung 11: Durchschnittliche Verweildauer kurativ-akuter Krankenhaus- fälle (Tage) im OECD-Vergleich, 2016 67 Abbildung 12: Veränderung der Anzahl kurativ-akuter Krankenhausbetten im OECD-Vergleich, 2000-2016 68 Abbildung 13: Entwicklung der Investitionsförderung gemäß KHG und der Krankenhausausgaben der GKV, 1991-2017 69 Abbildung 14: Entwicklung der Zahl der Personalvollkräfte in allgemeinen Krankenhäusern nach Funktionsgruppen, 2000-2016 70 Abbildung 15: Zahl der Pflegefach- und Pflegehilfskräfte sowie Hebammen (Vollzeitäquivalente) in Krankenhäusern je 1.000 Krankenhausfälle im OECD-Vergleich, 2016 71 Abbildung 16: Zahl der Pflegefach- und Pflegehilfskräfte sowie Hebammen (Vollzeitäquivalente) in Krankenhäusern je 1.000 Einwohner im OECD-Vergleich, 2016 72
IGES 5 Abbildung 17: Zahl der Krankenhausfälle mit Diabetes je 100.000 Einwohner (alters- und geschlechtsstandardisiert) im OECD-Vergleich, 2015 73 Abbildung 18: Stornowahrscheinlichkeiten in der PKV, 2016 75 Abbildung 19: Entwicklung der Anzahl der Versichertenwechsel zwischen GKV und PKV, 1990-2017 75 Tabellen Tabelle 1: Finanzielle Auswirkungen einer monistischen Krankenhausfinanzierung auf die Bundesländer 74
IGES 6 1. Hintergrund und Ziel der Expertise Das Ziel, die Ressourcenallokation im Gesundheitswesen wettbewerblich im Sinne einer marktwirtschaftlichen Steuerung zu organisieren, trifft im Vergleich zu ande- ren Märkten auf erschwerte Rahmenbedingungen. Bei Gesundheitsleistungen handelt es sich häufig um (hoch)komplexe Dienstleistungen, deren Qualität Ver- braucher oft nicht oder nur begrenzt beurteilen können; sie haben Erfahrungs-, häufiger aber noch Vertrauensgutcharakter. Darüber hinaus gilt das Gesundheits- wesen in den Industriestaaten als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und unter- liegt entsprechend (durch Politik und Gesetzgebung konkretisierten) Gemeinwohl- verpflichtungen. Hierzu zählt an erster Stelle, dass sich die Ressourcenallokation in zentralen Leistungsbereichen explizit nicht an den individuellen Zahlungsbereit- schaften der Verbraucher orientiert und die Höhe des individuellen Einkommens nicht über den Umfang an essentiellen Gesundheitsleistungen entscheidet, die Pa- tienten im Bedarfsfall erhalten. Eine vollständig wettbewerbliche bzw. marktwirtschaftliche Organisation des Ge- sundheitswesens findet sich daher in keinem entwickelten Industrieland. Die Fi- nanzierung der Nachfrage nach wesentlichen Gesundheitsleistungen wird – zu- mindest teilweise – im Rahmen staatlicher oder parafiskalischer Systeme organisiert. Die Leistungsanbieter unterliegen – je nach Bereich – spezifischen, teil- weise weitreichenden Marktregulierungen im Hinblick auf den Marktzugang und die Wettbewerbsparameter (vor allem Preis, Qualität, aber auch z. B. Marketing). Effizienzprobleme, die aus Informationsasymmetrien resultieren, werden hier- durch verlagert bzw. teilweise auch adressiert, sie verschwinden aber nicht. Die Herausforderungen, die Ressourcenallokation im Gesundheitswesen effizient zu gestalten, sind ubiquitär. So lassen sich in den entwickelten Gesundheitssyste- men unabhängig von ihrer unterschiedlichen institutionellen und organisatori- schen Ausgestaltung sehr ähnliche Problemlagen beobachten. Sie betreffen zum einen die Finanzierung eines superioren Gutes („Kostenexplosion“), zum anderen die Angemessenheit von Zugang und Qualität in der Versorgung („Über-, Unter- und Fehlversorgung“). Eine (ganzheitliche) Patientenversorgung erfordert in den aufwendigeren Fällen (chronisch Kranke, Ältere) ein komplexes Bündel an Versi- cherungs-, Personal- und Sachleistungen, die u. U. zwischen einer Vielzahl von Be- teiligten – oft über längere Zeiträume – zu koordinieren sind. Angesichts dieser Herausforderungen stoßen auch regulative Ansätze, die eine wettbewerbliche Koordination unterbinden, erfahrungsgemäß an Grenzen. Vor al- lem in den 1990er-Jahren hat sich daher die Gesundheitspolitik mehrerer Indust- rieländer zunehmend an dem Ansatz eines regulierten Wettbewerbs („Managed Competition“) orientiert – mit teilweise unterschiedlichen Ausgangspunkten (vgl. Enthoven 1993). Ein wesentliches gemeinsames Merkmal dieses Ansatzes besteht darin, die Beschränkung der Krankenversicherung auf die Rolle eines passiven Zah- lers zu überwinden und sie stärker wettbewerblich gegenüber den Leistungsanbie- tern agieren zu lassen, dabei die Nachfrage der Versicherten zu bündeln und so die Effizienz der medizinischen Versorgung zu erhöhen.
IGES 7 Der Beginn einer grundsätzlich stärker wettbewerblichen Organisation des Ge- sundheitswesens in Deutschland wird allgemein im Gesundheitsstrukturgesetz ge- sehen, das zu Jahresbeginn 1993 in Kraft trat. Damit wurde die gesetzliche Grund- lage für einen umfassenden Wettbewerb in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gelegt1: Seit dem Jahr 1996 gilt die freie Wahl der Krankenkasse, verbunden mit einem Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den Krankenkassen. Allerdings entsprang dies originär nicht einem Effizienzziel bzw. Bekenntnis zum Managed Competition, sondern dem Gerechtigkeitsziel, Ungleichheiten beim Kassenwahl- recht zwischen Arbeitern und Angestellten zu beseitigen. Nach anfänglichem Wi- derstand stellten sich die Krankenkassen der neuen Wettbewerbssituation und entwickelten im Rahmen der Selbstverwaltung ein Konzept der „Solidarischen Wettbewerbsordnung“ (ARGE 1994). Aus gesundheitsökonomischer Perspektive wird jedoch kritisiert, dass in der Ge- sundheitspolitik und in der Gesetzgebung eine klare wettbewerbspolitische Kon- zeption bis heute nicht erkennbar sei und es keine konsequente Ausrichtung der Steuerungssystematik der GKV an der Logik von Kassenwettbewerb gebe (vgl. z. B. Wasem 2015). Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs in seiner gegenwärtigen Form wird teilweise als unzureichend bewertet, so wie jüngst beispielsweise durch den Sonderbericht des Bundesversicherungsamtes (BVA 2018). In der gesundheits- politischen Diskussion wird eine einseitige Ausrichtung des Wettbewerbs in der GKV an dem Ziel der Kostendämpfung kritisiert, die zu Lasten der Versorgungsqua- lität gehe.2 Darüber hinaus werden wettbewerbliche Ansätze im Gesundheitswe- sen teilweise aber auch grundsätzlich in Frage gestellt, sei es, weil die Vorausset- zungen für seine Funktionsfähigkeit nicht existierten und er daher nur zu „ineffekti- ver Konkurrenz“ führe (vgl. Häring 2012), sei es, weil Wettbewerb in einer sich ver- selbständigenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung resultiere, die zur sys- tematischen Erosion eines solidarischen Sicherungssystems führe (vgl. Gerlinger/ Mosebach 2013). Dagegen kam die Monopolkommission zu dem Ergebnis, dass es im Krankenversicherungssystem in Deutschland noch eine Vielzahl ungenutzter Wettbewerbspotenziale gebe, deren Erschließung erhebliche Systemverbesserun- gen ermögliche (Monopolkommission 2017). Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge- samtwirtschaftlichen Entwicklung die vorliegende Expertise zum Thema „Wettbe- werb im Gesundheitswesen und Potenziale für dessen Steigerung“ erstellen las- sen. Es soll hierbei zunächst beschrieben werden, welche wesentlichen Märkte und Wettbewerbsfelder im Gesundheitswesen existieren und welche wettbewerb- lichen Besonderheiten auf dem Gesundheitsmarkt bestehen. Anschließend sollen 1 Auf die spezifischen Probleme des Wettbewerbs innerhalb der Privaten Krankenversiche- rung (PKV) und zwischen den beiden Versicherungssystemen GKV und PKV wird später ein- gegangen (vgl. Kapitel 3.5.2). Zunächst liegt der Fokus auf der GKV, da über sie rd. 90 % der Bevölkerung krankenversichert sind. 2 Vgl. beispielsweise die kritischen Anfragen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag zum Wett- bewerb in der GKV, u. a. in Reaktion auf den o. a. BVA-Sonderbericht (Deutscher Bundestag 2016 und 2018).
IGES 8 Potenziale und Grenzen aufgezeigt werden, wie der Wettbewerb zwischen Kran- kenkassen und zwischen Leistungserbringern gestärkt werden kann und welche In- strumente hierfür eingesetzt werden können. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem stationären Sektor und die Auswirkungen des Krankenhausstrukturgesetzes sowie auf der Sektoralisierung des Gesundheitswesens. 2. Wesentliche Märkte und Wettbewerbsfelder im Ge- sundheitswesen Ziel der folgenden Ausführungen ist eine nähere Beschreibung von wettbewerbs- relevanten Bereichen, d. h. „Märkten“, des Gesundheitswesens. Als zentrale und idealtypische Wesensmerkmale des Wettbewerbs sollen hierbei gelten: Konkurrenz um knappe Ressourcen wird durch Wahlentscheidungen der Verbraucher gesteuert (wirkt zugunsten Präferenzgerechtigkeit der Res- sourcenverwendung), Offenlegung der Nachfragepräferenzen in Form von Zahlungsbereitschaft, Koordination von Angebot und Nachfrage über Preise als Knappheitsindi- katoren (wirkt in Richtung Kostenminimierung), Wettbewerb als Such- und Entdeckungsverfahren: optimale Nutzung vor- handenen Wissens bei begrenzten individuellen Kapazitäten durch De- zentralisierung von Entscheidungen (schafft Innovationsanreize). Im Gesundheitswesen in Deutschland ist die Ressourcenallokation an zahlreichen Stellen durch diese Wesensmerkmale gekennzeichnet. Hervorzuheben sind in die- sem Zusammenhang die freie Krankenkassen- und Arztwahl. In zentralen Berei- chen findet hingegen im Hinblick auf diese Wesensmerkmale keine wettbewerbli- che Steuerung statt. So hat die individuelle Zahlungsbereitschaft der Konsumenten in Kernbereichen der Gesundheitsversorgung keinen Einfluss auf die Ressour- cenallokation. Preise übernehmen zwar häufig eine wesentliche Steuerungsfunk- tion, sie unterliegen jedoch teilweise weitreichenden Regulierungen und resultie- ren nicht aus individuellen Angebots- und Nachfrageentscheidungen. Schließlich werden in einem solidarisch3 finanzierten Krankenversicherungssystem, wie es die GKV darstellt, Entscheidungen über innovative Angebote meist zentralisiert getrof- fen. 2.1 Wettbewerbliche Besonderheiten im Gesundheitswesen Im Gesundheitswesen werden die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedin- gungen häufig bewusst so gestaltet, dass eine wettbewerbliche Steuerung unter- bunden wird. Teilweise wird dies mit Marktunvollkommenheiten begründet, die 3 „Solidarisch“ ist hier im Sinne von § 3 SGB V zu verstehen, wonach sich die Beiträge der GKV- Mitglieder in der Regel nach ihren beitragspflichtigen Einnahmen richten und für Familien- angehörige ohne beitragspflichtige Einnahmen keine Beiträge erhoben werden.
IGES 9 vor allem durch die Gutseigenschaften verursacht werden, teilweise aber auch mit sozial- und verteilungspolitischen Zielen, die im Widerspruch zu marktwirtschaftli- chen bzw. wettbewerblichen Verteilungsergebnissen gesehen werden. Die für das Gesundheitswesen prägenden Gesundheits- und Versiche- rungsleistungen sind durch substantielle Informationsasymmetrien ge- kennzeichnet: Wissensgefälle betreffen Diagnose- und Therapiemöglich- keiten in der Gesundheitsversorgung sowie Informationen über Gesundheitsrisiken im Rahmen der Krankenversicherung. Patienten ent- scheiden zwar noch weitgehend autonom, ob und welches Versorgungs- angebot sie aufsuchen, mit Beginn einer Versorgung ist ihre Entschei- dungssouveränität jedoch i. d. R. eingeschränkt. Ein weiterer wettbewerbswidriger Umstand bei Gesundheitsleistungen ist das Uno- actu-Prinzip, dass trotz erster telemedizinischer Ansätze nach wie vor maßgeblich die Leistungserbringung prägt. Neben diesen Gutseigenschaften werden Abweichungen von einer wett- bewerblichen Steuerung auch damit begründet, dass Kapazitäten zur (akuten) Gesundheitsversorgung als Teil der öffentlichen Infrastruktur flä- chendeckend vorzuhalten und auch bei geringer Auslastung (z. B. in dünn besiedelten Regionen) zu finanzieren sind. Zu den sozial- bzw. verteilungspolitisch begründeten Abweichungen von einer marktwettbewerblichen Steuerung zählt vor allem das Ziel, die Zu- teilung des Güter- und Leistungsangebots unabhängig von den individu- ellen Zahlungsbereitschaften der Konsumenten zu gestalten. Stattdessen sollen für alle Versicherten bedarfsabhängig identische Leistungsansprü- che gelten, die damit verbundene Finanzierungsbelastung sich aber nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unterscheiden. Institutionell sind entwickelte Gesundheitsmärkte durch Versicherungssysteme gekennzeichnet, welche die Funktion haben, krankheitskostenbedingte Einkom- mensschwankungen intertemporal zu glätten. In Deutschland gilt seit dem Jahr 2007 eine allgemeine Krankenversicherungspflicht für alle Bürger in einem Um- fang, der den GKV-Pflichtleistungen entspricht. Aus dem Versicherungsprinzip re- sultiert für die Gesundheitsmärkte eine weitere, wettbewerbswidrige Rahmenbe- dingung: die Aufspaltung der Nachfrage in die Leistungsinanspruchnahme durch Versicherte bzw. Patienten einerseits und der Zahlung für diese Leistungsinan- spruchnahme durch die Krankenversicherung andererseits. In der GKV wird diese Aufspaltung durch das Sachleistungsprinzip in besonderer Weise akzentuiert, weil es eine nahezu vollständig unentgeltliche Inanspruchnahme ermöglicht, denn die Versicherten haben Anspruch auf Erstattungen, ohne Vorauszahlungen leisten zu müssen.
IGES 10 2.2 Märkte und Wettbewerbsfelder der Gesundheitsversorgung Die Aufspaltung der Nachfrage in der Gesundheitsversorgung führt dazu, dass An- gebot und Nachfrage auf drei verschiedenen Märkten zu koordinieren sind (Abbil- dung 1). Diese Aufspaltung erschwert in Verbindung mit den jeweils dort beste- henden Informationsasymmetrien eine effiziente Ressourcenallokation. Die hieraus entstehenden Probleme werden in den Wirtschaftswissenschaften im Rah- men der Prinzipal-Agent-Theorie (auch Vertretungstheorie) analysiert. Prinzipal- Agenten-Beziehungen bestehen auf Gesundheitsmärkten mehrfach.4 Sie führen zu grundsätzlichen Anreizproblemen, die weitreichende Markteingriffe und Regulie- rungen nach sich ziehen. Abbildung 1: Märkte und Wettbewerbsfelder in der Gesundheitsversorgung Patienten – Versicherte Behandlungsmarkt Versicherungsmarkt Leistungsanbieter Vertragsmarkt Krankenkassen Quelle: IGES Zu unterscheiden sind also drei verschiedene Wettbewerbsfelder, auf denen je- weils unterschiedliche, teilweise wettbewerbswidrige Rahmenbedingungen beste- hen Auf dem Behandlungsmarkt konkurrieren die Anbieter von Gesundheits- leistungen um Patienten, die zwischen Ärzten und Krankenhäusern i. W. frei wählen können. Da aber für einen großen Teil der Gesundheitsleistun- gen in der GKV keine unmittelbaren (entgeltlichen) Vertragsbeziehungen zwischen den Anbietern und den Patienten bestehen, geht es den Leis- tungsanbietern primär darum, über die Gewinnung von Patienten Vergü- tungsansprüche gegenüber den Krankenkassen zu erhalten. Der Behand- lungsmarkt ist durch ausgeprägte, beidseitige Informationsasymmetrien gekennzeichnet, die Qualitätsunsicherheit verursachen und Ineffizienzen 4 Patienten bedienen sich als Prinzipale der Dienste der besser informierten ärztlichen Leis- tungsanbieter (Agenten). Bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen handeln Patienten gegenüber den Leistungserbringern als Agenten ihrer Krankenversicherung (Prin- zipal). Bei direkten Vertragsbeziehungen sind Krankenkassen die Prinzipale der Leistungser- bringer (Agenten). Und wenn Krankenversicherer Versorgungsverträge verhandeln, dann tun sie dies als Sachwalter (Agenten) ihrer Versicherten (Prinzipale).
IGES 11 (vor allem in Form von sog. angebotsinduzierter Nachfrage) begünstigen. Daher gelten teilweise sehr restriktive Regulierungen für den Marktzu- gang der Leistungserbringer sowie für die Erstattungsfähigkeit in An- spruch genommener Leistungen durch die Krankenkassen. Auf dem Versicherungsmarkt konkurrieren Krankenkassen um Versiche- rungsnehmer. Versicherungsmärkte sind ebenfalls durch Informationsas- ymmetrien bezüglich der Versicherungsrisiken gekennzeichnet. Hieraus entstehen die versicherungsökonomischen Probleme der adversen Selek- tion und des moralischen Risikos, die zu einer gravierenden Destabilisie- rung der Märkte führen können. In der GKV werden diese Probleme durch weitreichende Markteingriffe eingedämmt, nämlich die Versicherungs- pflicht, die Begrenzung von Wahlmöglichkeiten beim Versicherungsum- fang und einen weitreichenden Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen zur Vermeidung von Risikoselektion. Darüber hinaus ver- fügen die Krankenkassen über zahlreiche, gesetzlich definierte Instru- mente und Möglichkeiten, die „Schadenregulierung“ auf dem Behand- lungsmarkt zu beeinflussen. Auf dem Vertragsmarkt können Krankenkassen und Leistungsanbieter un- tereinander und gegenseitig um Versorgungsverträge konkurrieren. Tat- sächlich wird in der GKV der überwiegende Anteil der Versorgung durch sog. Kollektivverträge geregelt, in denen die Krankenkassenverbände („gemeinsam und einheitlich“, d. h. als Nachfragemonopol) und die maß- geblichen Organisationen der Leistungserbringer – auf Basis gesetzlicher Vorgaben – die Grundlagen der ambulanten und stationären Versorgung sowie der Leistungsvergütung vereinbaren. Alternativ kann Versorgung auch selektivvertraglich organisiert werden: Hierbei können einzelne oder Gruppen von Leistungserbringern mit einzelnen oder mehreren Kranken- kassen freiwillig Versorgungsverträge schließen – wofür ebenfalls be- stimmte gesetzliche Vorgaben gelten. Darüber hinaus ist die Nachfrageseite durch eine Doppelrolle der Konsumenten geprägt: Sie übertragen nicht nur die Zahler-Rolle ihrer Krankenversicherung, son- dern nehmen sowohl Versicherungs- als auch Behandlungsleistungen in Anspruch. Hieraus resultieren typischerweise widersprüchliche Präferenzstrukturen: Als Ver- sicherungsnehmer sind Konsumenten vor allem an einer geringen Beitragsbelas- tung interessiert und damit an einem möglichst sparsamen Umgang der Kranken- kassen mit ihren Beitragseinnahmen, als Patienten präferieren die Konsumenten hingegen maximale Behandlungsmöglichkeiten. 2.3 Wettbewerbsansätze im Gesundheitswesen Die zentrale Herausforderung einer wettbewerblichen Steuerung im Gesundheits- wesen besteht darin, die effizienzmindernden Wirkungen der Aufspaltung der Nachfrage zu minimieren. Um dies zu erreichen, können zwei prinzipielle Ansätze unterschieden werden:
IGES 12 Patientenzentrierter Wettbewerb mit Konzentration auf den Behand- lungsmarkt: Durch eine Steigerung der Kosten- und Qualitätstransparenz einerseits sowie finanzielle Anreize für Versicherte und Patienten, etwa in Form von spürbaren Selbstbeteiligungen im Rahmen des Kostenerstat- tungsprinzips, andererseits soll die Marktposition der Nachfrager auf dem Behandlungsmarkt gegenüber den Leistungsanbietern gestärkt werden. Letztere erhielten dadurch größere Anreize, ihr Leistungsangebot weniger an den Erstattungskonditionen der Krankenkassen, sondern mehr an den Bedürfnissen der Patienten und Versicherten ausrichten. Von der stärke- ren unmittelbaren finanziellen Beteiligung der Patienten wird zudem er- wartet, dass diese einen entscheidenden Beitrag zur Erhöhung der Wirt- schaftlichkeit der Gesundheitsversorgung leisten können. Patienten hätten größere Anreize, Informationsasymmetrien zu ihren Ungunsten abzubauen, also den Leistungsanbietern als informierte Patienten "auf Augenhöhe" gegenüberzutreten und hierfür entsprechende Informati- onsangebote nachzufragen. Tendenzen einer suboptimalen Überversor- gung würde auf diese Weise entgegengewirkt. Eine in diesem Sinne sou- veränere Rolle der Versicherten bzw. Patienten könnte neben der freien Wahl der Leistungsanbieter durch erweiterte Wahlmöglichkeiten in der Krankenversicherung flankiert werden. Kostenträgerzentrierter Wettbewerb mit Konzentration auf den Versi- cherungs- und den Vertragsmarkt: Der alternative Ansatz gründet dage- gen auf einer gewissen Skepsis gegenüber einer wirkungsvollen direkten Wirtschaftlichkeitskontrolle des Leistungsangebots durch die Patienten. Die effizienzmindernde Wirkung der Informationsasymmetrien auf dem Behandlungsmarkt werden als gravierend eingeschätzt. Die Nachfra- gesouveränität der Versicherten und Patienten sollte sich daher primär gegenüber den Krankenversicherern entfalten, die wiederum als Sachwal- ter ihrer Versicherten gegenüber den Leistungsanbietern auftreten. Die- ser Ansatz basiert auf der Vorstellung, dass Krankenversicherer besser als einzelne Versicherte in der Lage sind, das Problem der Informationsasym- metrien zugunsten der Leistungsanbieter zu bewältigen und dadurch auf die Effizienz von Gesundheitsleistungen hinzuwirken. Dieser Ansatz setzt zwei funktionsfähige Wettbewerbssysteme voraus: Der Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt muss gewährleisten, dass Krankenkassen effek- tive Anreize haben, ihre Sachwalterfunktion gegenüber ihren Versicher- ten zu erfüllen; der Wettbewerb auf dem Vertragsmarkt eröffnet den Krankenkassen die hierfür erforderlichen Möglichkeiten und Instrumente. Die unterschiedlichen Wettbewerbsfelder und die zahlreichen regionalen, anbie- ter- und therapiebezogenen Submärkte im Gesundheitswesen sprechen dafür, dass – insoweit Wettbewerbspotenziale gegeben sind – unterschiedliche Formen einer wettbewerblichen Steuerung in Betracht kommen, um Effizienzsteigerungen zu erzielen. Neuere Forschungsergebnisse stützen diese Annahme. So analysieren
IGES 13 Boone/Douven (2014) die Wohlfahrtseffekte unterschiedlicher Typen des Wettbe- werbs unter Leistungsanbietern (kein Wettbewerb, kostenträgerbasierter Ver- tragswettbewerb, patientenbasierter Wettbewerb mit vollständiger Wahlfreiheit). In Abhängigkeit von der Informationsverteilung hinsichtlich der Versorgungsquali- tät, den Präferenzunterschieden zwischen Krankenkassen und Patienten sowie den Mobilitätskosten der Patienten kann sich jeder dieser Wettbewerbstypen im Hin- blick auf die Wohlfahrtseffekte als überlegen erweisen („‘One size fits all‘ will not work.“).5 Die Gesundheitspolitik in Deutschland hat in der Vergangenheit Elemente der bei- den o. a. Ansätze aufgegriffen, jedoch keinen von ihnen konsequent verfolgt. Mit der Erweiterung der Kassenwahlfreiheit in den 1990er Jahren war eine entschei- dende Weichenstellung in Richtung eines kostenträgerbasierten Wettbewerbsan- satzes in der GKV verbunden. Allerdings konzentrierte sich das Wettbewerbsge- schehen zunächst weitgehend einseitig auf den Versicherungsmarkt (Abbildung 2). Abbildung 2: Wettbewerbsfelder und -parameter aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen Wettbewerb Versicherungsmarkt Beitragssatz Krankenkassenwahl Zusatzbeitrag/Prämie Wahltarife (Satzungs-)Leistungen Selektivverträge Vertragsmarkt Wahl Anbieter/Organisation Kosten/Preis Rabattverträge der Leistungserbringung Arzneimittel, Hilfsmittel Qualität/Wirtschaftlichkeit Neue Versorgungsformen Innovationen HzV, §73c, IV, DMP, Modellvorh. Prozesse, Produkte Innovationen Quelle: IGES Im Vordergrund stand der Beitragswettbewerb zwischen den Krankenkassen und die Diskussion über den Risikostrukturausgleich. Diese asymmetrische Wettbe- werbsorientierung klammerte den Vertragsmarkt weitgehend aus, mit der Folge, 5 Mikkers/Ryan (2014) diskutieren am Beispiel Irlands die Voraussetzungen eines funktions- fähigen kostenträgerbasierten Wettbewerbs. Ob der Übergang zu einem Kostenträger- bzw. Vertragswettbewerb zu Effizienzsteigerungen führen kann, hängt nach ihrer Einschätzung maßgeblich von den vorhandenen Angebotsstrukturen (v. a. Ausmaß regionaler Monopoli- sierung in der stationären Versorgung) und der Transparenz der (Ergebnis-)Qualität klini- scher Versorgung ab.
IGES 14 dass sich der Krankenkassenwettbewerb überwiegend nur auf einen kleinen Teil des Leistungsgeschehens (Verwaltungskosten/Service, Zusatzleistungen) be- schränkte, auf wesentliche Teile der Gesundheitsleistungen aber keinen Einfluss hatte und damit die Bereiche nicht adressierte, für welche die größten Effizienzpo- tenziale vermutet werden. In den 2000er Jahren wurden daher die Bemühungen um mehr Wettbewerbsori- entierung auch auf dem Vertragsmarkt verstärkt, indem durch die Gesetzgebung zusätzliche Möglichkeiten für alternative Versorgungs- und Vertragsformen (z. B. Verträge zur Integrierten Versorgung) geschaffen und deren Umsetzungsvoraus- setzungen sukzessive erleichtert wurden (vgl. Albrecht/Rürup 2010). Das vorläufig deutlichste Bekenntnis der Gesetzgebung zu einem kostenträgerbasierten Wettbe- werbsansatz enthielt das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz im Jahr 2007, wonach die Entwicklung der Versorgungsstrukturen – zumindest im ambulanten Bereich – ausschließlich durch einen dezentralen selektivvertraglichen Wettbewerb gesteu- ert werden sollte (vgl. Deutscher Bundestag 2006, S. 113). Doch die hoch gesteckten Erwartungen an den Vertragswettbewerb wurden bis- lang nicht erfüllt. Den größten Effekt haben Selektivverträge in der Arzneimittel- versorgung in der Form von Rabattverträgen; die hierdurch erzielten Einsparungen beliefen sich zuletzt (2017) auf etwas mehr als 4 Mrd. Euro und reduzierten die Arzneimittelausgaben der GKV um rd. 10 %. Im Rabattvertragswettbewerb zielen die Krankenkassen auf Kostensenkung, um dadurch ihre preisliche Wettbewerbs- fähigkeit auf dem Versicherungsmarkt zu erhöhen. Dagegen hat der selektivvertragliche Wettbewerb in der bisherigen Form nicht zu der erhofften Erhöhung der Wirtschaftlichkeit durch Qualitätssteigerungen und (Prozess-)Innovationen geführt, wie sie im Rahmen der sog. Neuen Versorgungs- formen ermöglicht werden sollten. Für den mangelnden selektivvertraglichen In- novationswettbewerb wird eine Reihe von Gründen diskutiert. Hierzu zählt eine inkonsistente, wechselhafte Gesetzgebung in Verbindung mit restriktiven regulati- ven Kontrollen (vgl. Jacobs/Rebscher 2014), die jedoch auch als Ausdruck ander- weitiger Hemmnisse eines selektivvertraglichen Wettbewerbs gedeutet werden können (vgl. Albrecht/Neumann/Nolting 2015, S. 21 ff. und Kapitel 3.4). Selektiv- verträge sind zwar mittlerweile auch in der ärztlichen Versorgung etabliert, im Ver- hältnis zur kollektivvertraglichen Versorgung ist ihre Bedeutung jedoch nach wie vor gering. So beliefen sich die GKV-Ausgaben für selektivvertragliche Versorgung im Jahr 2017 auf rd. 3,6 Mrd. Euro, das entspricht ca. 3,2 % der Gesamtausgaben für die Versorgung durch Vertragsärzte und Krankenhäuser. Diese relativ einseitige Nutzung einzelvertraglicher Wettbewerbsmöglichkeiten zur Kostendämpfung wird in der gesundheitspolitischen Diskussion zunehmend mit Qualitätseinbußen in der Versorgung in Verbindung gebracht, so etwa mit Lie- ferengpässen bei Arzneimitteln. In der Hilfsmittelversorgung hat der Gesetzgeber auf die vielfache Kritik an Qualitätsdefiziten (z. B. bei Inkontinenzhilfen) im Rah- men des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) im Jahr 2017 reagiert.
IGES 15 So müssen seitdem Ausschreibungen zur Hilfsmittelversorgung neben Preis bzw. Kosten auch Qualitätsaspekte explizit berücksichtigen. In der jüngeren Gesetzgebung für den Bereich der GKV ist eine grundsätzliche Wettbewerbsorientierung kaum noch zu erkennen. Aktuelle Reformen sind statt- dessen durch Detailregulierungen und eine nicht-wettbewerbliche Zentralisierung der Gestaltungsverantwortung geprägt, während den einzelnen Krankenkassen immer weniger eine Rolle als Gestalter der Gesundheitsversorgung im gegenseiti- gen Wettbewerb zugestanden wird (vgl. Albrecht/Neumann/Nolting 2015, S. 16 ff.). 3. Potenziale und Grenzen des Wettbewerbs zwischen Krankenkassen und zwischen Leistungserbringern An eine stärker wettbewerbliche Steuerung im Gesundheitswesen richtet sich die Erwartung, dass hierdurch Effizienzsteigerungen erzielt werden, indem sich das Kosten-Qualitäts-Verhältnis bzw. die Kosteneffektivität der Gesundheitsversor- gung – u. a. auch durch Innovationen – verbessert. 3.1 Effizienzmängel als Ausgangspunkt für eine stärkere Wettbe- werbsorientierung Das Gesundheitswesen wird zu den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge gezählt, so dass die Schaffung von Wettbewerbsspielräumen eher als begrün- dungspflichtig angesehen wird als dies für regulative Eingriffe gilt. Um mehr wett- bewerbliche Ansätze zu begründen, sollte sich daher zeigen lassen, dass a) versor- gungsrelevante Effizienzmängel bestehen und b) sich diese durch wettbewerbliche Steuerung effektiver mindern oder beseitigen lassen als durch regulative Eingriffe. In einer Analyse für das Bundesministerium der Finanzen hat sich das IGES Institut vor einigen Jahren umfassend mit der Frage nach bestehenden Ineffizienzen im deutschen Gesundheitswesen befasst (vgl. Albrecht/Sander/Wolfschütz 2010, Alb- recht et al. 2009). Im Ergebnis konnte eine Vielzahl von Hinweisen auf Ineffizienzen sowie Effizienzsteigerungspotenzialen identifiziert werden; die Evidenzlage erwies sich allerdings als äußerst lückenhaft. Insbesondere ließen sich Ausmaß, Wirkun- gen und Kosten von Ineffizienzen kaum belastbar, d. h. empirisch gestützt, quanti- fizieren. Hinsichtlich der überschaubaren Zahl an Studien und Schätzungen hierzu wurden z. T. grundlegende methodische und datentechnische Schwierigkeiten festgestellt. Aus diesem Befund wurde ein Argument für die Stärkung dezentraler Wettbewerbsprozesse im Gesundheitswesen abgeleitet, um Ineffizienzen effekti- ver zu identifizieren und auf ein optimales Ausmaß zu verringern. Eine überblicksartige Einschätzung der Effizienz des deutschen Gesundheitswe- sens liefert regelmäßig die OECD im Rahmen internationaler Vergleiche (OECD 2017). In ihrer jüngsten Betrachtung gelangt sie zu dem Ergebnis, dass für das deut- sche Gesundheitssystem einerseits überdurchschnittlich viele Ressourcen einge- setzt werden – und zwar mit Blick sowohl auf das Gesundheitspersonal als auch
IGES 16 auf die Pro-Kopf-Ausgaben (preisbereinigt zuletzt um 40 % über dem OECD-Durch- schnitt; vgl. auch Abbildung 3 und Abbildung 4 im Anhang). Bei zentralen Ergebnis- indikatoren erziele Deutschland jedoch nur teilweise überdurchschnittlich positive Resultate. So erreiche die Lebenserwartung nur durchschnittliche Werte. Aller- dings gilt der Einfluss des Gesundheitssystems auf die Lebenserwartung als be- grenzt. Darauf weisen auch die von der OECD betrachteten Risikofaktoren wie Rau- chen, Alkoholkonsum und Übergewicht hin, bei denen Deutschland ungünstigere Werte als der OECD-Durchschnitt aufweist. Überdurchschnittlich und eindeutig positiv stuft die OECD hingegen den Zugang zu Gesundheitsleistungen in Deutsch- land ein; dies betrifft sowohl Umfang und Verbreitung von Krankenversicherungs- schutz als auch den Anteil der von Patienten direkt selbst zu zahlenden Behand- lungsleistungen. Unterschiedlich sind die Ergebnisse schließlich für die verwendeten Qualitätsindikatoren: positiv z. B. für Darmkrebsmortalität oder die zurückhaltende Verwendung von Antibiotika, negativ dagegen für die Herzinfarkt- mortalität und vor allem mit Blick auf die hohe Krankenhaushäufigkeit bei ambu- lant behandelbaren Erkrankungen. Eine erste Orientierung zur Einschätzung der Steuerungswirksamkeit im deutschen Gesundheitssystem mit Blick auf die Kosten erlaubt eine vergleichende Betrach- tung der Ausgabenentwicklung. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sind die gesamten Gesundheitsausgaben im Zeitraum 1992 bis 2016 von 9,4 % auf 11,3 % gestiegen. Dabei sind einige der stärker ausgeprägten Steigerungen primär auf eine relativ schwache (2002-2003) bzw. negative (2009) Entwicklung des BIP zu- rückzuführen (vgl. Abbildung 5 im Anhang). Insbesondere für die Gesundheitsaus- gaben der GKV zeigt sich eine im Verhältnis zum BIP relativ stabile Entwicklung: Sie erhöhten sich zwischen 1992 und 2017 von 6,3 % auf 7,0 %, wobei dieser Anstieg im Wesentlichen auf einen Niveausprung im Jahr 2009 zurückzuführen ist, in dem sich infolge der Weltfinanzkrise das BIP stark verringerte. In Bezug auf diesen Indi- kator lässt sich demnach keinerlei „Kostenexplosion“ konstatieren. Auch im internationalen Vergleich ist für Deutschland keine auffällig starke Steige- rung der öffentlichen Gesundheitsausgaben6 feststellbar. Ihr Anstieg war – pro Kopf und preisbereinigt – im Zeitraum 2000 bis 2017 zwar deutlich stärker als der entsprechende Anstieg des BIP, allerdings weniger stark als im Durchschnitt der OECD-Länder (vgl. Abbildung 6 im Anhang). Dabei ist zu berücksichtigen, dass ab dem Datenjahr 2009 aufgrund der Einführung der allgemeinen Versicherungs- pflicht auch die Ausgaben der PKV in die Werte für Deutschland einbezogen wer- den. Für den Zeitraum davor (1995-2008) weist Deutschland einen der relativ ge- ringsten Zuwächse der öffentlichen Gesundheitsausgaben im OECD-Vergleich aus (vgl. Abbildung 7 im Anhang). Welchen Beitrag die Schaffung und die Nutzung der wettbewerblichen Spielräume im Gesundheitswesen – speziell in der GKV seit Einführung der Kassenwahlfreiheit 6 Die OECD subsumiert unter dieser Kategorie (current expenditure on health by govern- ment/compulsory schemes) neben der GKV auch die Gesundheitsausgaben der anderen So- zialversicherungszweige sowie des Staates.
IGES 17 – zu dieser relativ stabilen Ausgabenentwicklung geleistet haben, ist bislang nicht umfassend quantifizierbar. Nur für Teilbereiche, wie z. B. die Arzneimittelversor- gung, lassen sich die Ausgabeneffekte einer stärker wettbewerblichen Steuerung (Rabattverträge) ermitteln (vgl. Kapitel 2.3). Die teilweise grundlegende Kritik am Wettbewerb in der GKV stellt jedoch seine Kostenwirksamkeit gerade nicht in Ab- rede, sondern bemängelt – im Gegenteil – deren Stärke, die zu einer Entkopplung von Effizienz-, Qualitäts- und Solidaritätszielen führe (vgl. Gerlinger/Mosebach 2012, S. 33). Zusammenfassend lässt sich in mehrfacher Hinsicht begründen, die Nutzung von Wettbewerbspotenzialen im Gesundheitswesen stärker in den Blick zu nehmen: Die hohe Komplexität von Gesundheitsleistungen und Gesundheitsmärk- ten spricht für dezentrale und damit wettbewerbliche Suchprozesse, um Ineffizienzen zu identifizieren und um differenzierte Lösungsansätze zu entwickeln. Zur Beseitigung oder Verringerung bestehender Qualitätsdefizite sollten wettbewerbliche Steuerungsansätze insbesondere dann als Alternative in Betracht gezogen werden, wenn zentralisierte regulative Steuerungsan- sätze nur begrenzte oder unerwünschte Wirkungen zeigen. Die vielfach vorgebrachte Kritik an den Wirkungen des Wettbewerbs im Gesundheitswesen sollte Anlass sein, durch eine Veränderung der Rah- menbedingungen die Funktionsfähigkeit von Wettbewerb zu verbessern. Einen konzeptuellen Wettbewerbsansatz findet man in der GKV für den Kranken- kassenwettbewerb („solidarische Wettbewerbsordnung“ i. V. m. der Einführung der Kassenwahlfreiheit). Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Formen von Wettbewerb im Gesundheitswesen, insbesondere auf den (teilweise hochregulier- ten) Leistungsmärkten, auf denen unterschiedliche Anbieter (private und öffentli- che Unternehmen, Freiberufler, freigemeinnützige Organisationen) miteinander konkurrieren. Teilweise, insbesondere auf dem Arzneimittelmarkt, stehen Anbie- ter in einem intensiven internationalen Wettbewerb. Vor dem Hintergrund der Tendenzen der Gesundheitspolitik in jüngerer Zeit, wie- der verstärkt auf regulative anstatt auf wettbewerbliche Ansätze zu setzen, werden im Folgenden Wettbewerbspotenziale im Gesundheitswesen aufgezeigt. Ange- sichts der ausgeprägten Heterogenität der einzelnen Märkte werden die Wettbe- werbspotenziale bereichsspezifisch beschrieben, ausgehend von den jeweils gege- benen, unterschiedlichen (regulativen) Rahmenbedingungen. Der dabei verfolgte Ansatz ist demnach nicht, ein konsequent marktwirtschaftliches Steuerungsmodell bereichsübergreifend zu definieren und dessen Umsetzung auf den einzelnen Ge- sundheitsmärkten gedanklich durchzugehen, sondern zu prüfen, wo und wie sich unter Berücksichtigung der bestehenden Rahmenbedingungen (zusätzliche) wett- bewerbliche Steuerungselemente einfügen und begründen lassen.
IGES 18 Das gemeinsame Ziel für alle betrachteten Bereiche ist dabei, durch eine Stärkung wettbewerblicher Steuerung bestehenden Monopolen oder Monopolisierungs- tendenzen sowie Einschränkungen der Wahlfreiheit entgegenzuwirken, um so die Nachfrageorientierung des Angebots (Präferenzgerechtigkeit) und damit auch des- sen Kosteneffektivität zu erhöhen. Ob und wie dieses Ziel erreicht werden kann, wird im Folgenden vertiefend für die Versorgungssektoren (stationär, ambulant) zunächst separat, anschließend sektorenübergreifend sowie für den Krankenversi- cherungsmarkt diskutiert. 3.2 Wettbewerbspotenziale in der Krankenhausversorgung 3.2.1 Gegenwärtige Wettbewerbsbedingungen auf dem Krankenhausmarkt Die schrittweise Umstellung der Vergütung von Krankenhausleistungen vom sog. Selbstkostendeckungsprinzip auf leistungsbezogene Fallpauschalen seit dem Jahr 1993 hat den wirtschaftlichen Druck auf die Kliniken deutlich erhöht und damit den Wettbewerb unter ihnen intensiviert. Mit dieser Entwicklung einher ging eine starke Reduzierung der durchschnittlichen stationären Verweildauern der Patien- ten, die im vergangenen Jahr mit 7,3 Tagen nur noch etwa die Hälfte ihres Wertes zu Beginn der 1990er Jahre betrug. Dadurch wurde es möglich, dass im Jahr 2017 mit einer um rd. ein Viertel reduzierten Bettenkapazität und einer um knapp ein Drittel geringeren Zahl von Belegungstagen rd. ein Drittel mehr stationäre Fälle be- handelt werden konnten (knapp 19,5 Mio.) als damals (vgl. Abbildung 8 im An- hang). Da der Rückgang der Verweildauer im Gesamtzeitraum stärker ausfiel als derjenige der Bettenzahl, ist die durchschnittliche Bettenauslastung von rd. 84 % auf unter 78 % gesunken. In den letzten zehn Jahren hat die Abnahme der Zahl der Krankenhäuser kaum noch zu einem Abbau der Bettenzahl und einer Erhöhung der Bettenauslastung geführt. Aus dem internationalen Vergleich ergeben sich deutliche Hinweise auf stationäre Überkapazitäten (vgl. Abbildung 9 bis Abbildung 12 im Anhang): Deutschland ver- fügt im OECD-Vergleich nach Japan und Korea über die höchste Bettenkapazität, die mit einer entsprechend sehr hohen Krankenhaushäufigkeit einhergeht. Auch bei der durchschnittlichen Verweildauer von Patienten im Krankenhaus belegt Deutschland international einen Spitzenplatz. Der Abbau von Krankenhausbetten war in Deutschland in den letzten Jahren z. T. wesentlich schwächer als in den Ver- gleichsländern. Hinzu kommt, dass der Bettenabbau nur zu geringen Teilen mit vollständigen Marktaustritten von Krankenhäusern verbunden war, sondern eher mit dem Abbau von Kapazitäten in weiterhin existierenden Krankenhäusern oder Zusammenschlüssen von Kliniken (vgl. Preusker et al. 2014).7 7 Die Analyse ergab für den Zeitraum 2003 bis 2012, dass von den insgesamt 204 nicht mehr in der Statistik geführten Krankenhäusern nur 74 oder rd. 36 % vollständige Marktaustritte darstellten. Überwiegend handelte es sich dabei um kleine Krankenhäuser, so dass von dem Bettenabbau nur rd. 11 % auf vollständige Marktaustritte entfielen.
IGES 19 Dass der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern gegenwärtig nicht in einem stärkeren Ausmaß dazu führt, dass leistungsschwächere Krankenhäuser aus dem Markt ausscheiden, ist maßgeblich auf den Kontrahierungszwang zurückzuführen: Krankenkassen sind verpflichtet, die stationäre Behandlung ihrer Versicherten in jedem Plankrankenhaus zu vergüten. Krankenhäuser werden außerdem häufig als wichtiger Bestandteil der regionalen Wirtschaftsstruktur angesehen, (Teil-)Schlie- ßungen, aber auch Privatisierungen öffentlich-rechtlicher oder freigemeinnütziger Kliniken stehen regelmäßig im Fokus lokalpolitischer Diskussionen und Berichter- stattung. Marktaustritte stoßen unter diesen Rahmenbedingungen vielfach auf Wi- derstände. Als Konsequenz werden auch längerfristig defizitäre Krankenhäuser am Markt gehalten. Hierauf deuten u. a. die Ergebnisse der jährlichen Krankenhaus Rating Reports8 zur wirtschaftlichen Lage der Kliniken hin, wonach die Anteile de- fizitärer Krankenhäuser in einkommensstärkeren Bundesländern wie Baden-Würt- temberg, Hessen und Bayern höher sind, da wohlhabendere Landkreise und Kom- munen eher bereit sein dürften, Verluste ihrer Kliniken auszugleichen. Der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser wurde auch durch die Mängel des Systems der dualen Finanzierung erhöht, wonach die Investitionskosten durch öf- fentliche Förderung von den Bundesländern gedeckt werden sollen, während die Krankenhäuser ihre laufenden Betriebskosten aus den Krankenhausvergütungen (der Krankenkassen und weiterer Kostenträger) finanzieren. Abgesehen von kon- zeptionellen Mängeln der dualen Finanzierung – u. a. können Krankenhausträger die Finanzierung von Investitionen und Betrieb nicht kohärent planen bzw. verhan- deln – haben die Bundesländer ihre Fördermittel für Krankenhausinvestitionen in den vergangenen Jahren deutlich reduziert: Mit 2,76 Mrd. Euro im Jahr 2017 wa- ren diese um rd. 24 % niedriger als im Jahr 1991, während sich gleichzeitig die GKV- Ausgaben für Krankenhausbehandlung um etwa das 2,5-fache erhöht haben (vgl. Abbildung 13 im Anhang). Auf Basis der vom Institut für das Entgeltsystem im Kran- kenhaus (InEK) ermittelten Investitionsbewertungsrelationen lässt sich der jährlich bestandserhaltende Investitionsbedarf ermitteln; nach Berechnungen der Deut- schen Krankenhausgesellschaft (DKG) für das Jahr 2017 betrug dieser 6,38 Mrd. Euro, also mehr als das Doppelte der tatsächlichen Förderung (DKG 2018, S. 8 f.). Die gesetzlichen Krankenkassen kritisieren, dass die Krankenhäuser daher in gro- ßem Umfang Betriebsmittel, die von der GKV finanziert würden, für Investitionen gesetzeswidrig zweckentfremdeten und damit Länderhaushalte aus Beitragsmit- teln quersubventioniert würden (vgl. z. B. GKV-SV 2016, S. 7). Zusammen mit den Hinweisen auf stationäre Überkapazitäten und dem Rückgang der Investitionsförderungen gibt es zudem deutliche Anzeichen einer unzureichen- den Spezialisierung der Krankenhäuser. So konnte die G-DRG-Begleitforschung für den Zeitraum nach Umstellung des Vergütungssystems (2006-2010) keine Hin- weise auf eine in der Breite vollzogene Leistungsspezialisierung oder -diversifika- tion finden (Fürstenberg et al. 2013, S. 448 f.). Neuere Untersuchungen zeigen, 8 Vgl. http://krankenhausratingreport.de/
IGES 20 dass – trotz umfangreicher Evidenz über positive Zusammenhänge zwischen Leis- tungsmenge und Ergebnisqualität für zahlreiche Indikationen – in Deutschland viele Krankenhäuser nur geringe Fallzahlen aufweisen, für welche die Vorhaltung einer hochspezialisierten, schnell einsetzbaren 24/7-Versorgung kaum wirtschaft- lich wäre (vgl. Mansky et al. 2017, Nimptsch/Mansky 2018).9 Dies lässt sich bemer- kenswerterweise auch für Ballungsräume feststellen. Eine stärkere Spezialisierung bzw. (räumliche) Konzentration von Behandlungsangeboten und -fällen wäre in Deutschland möglich, ohne dass die Erreichbarkeit von Krankenhäusern nennens- wert eingeschränkt würde.10 In der Gesamtschau zeigt der Krankenhausbereich Züge eines ruinösen Wettbe- werbs: Infolge einer – teilweise (kommunal-)politisch motivierten – Verhinderung von Marktaustritten konkurrieren insbesondere in Ballungsgebieten zu viele zu wenig spezialisierte Krankenhäuser miteinander. Ein kontinuierlich hoher Anteil der Kliniken ist defizitär.11 Bei einheitlichen Preisen (DRG-Fallpauschalen) und weit- gehender Qualitätsintransparenz bleibt die Menge bzw. Mengenstruktur als we- sentlicher Wettbewerbsparameter. Das Wettbewerbsverhalten der Kliniken ist dar- über hinaus durch das Bemühen um Kostensenkungen sowie zunehmend auch durch Leistungsexpansion in die ambulante Versorgung geprägt. Maßnahmen zur Kostensenkung betrafen primär das nicht-ärztliche Per- sonal. Den stärksten Personalabbau gab es im Wirtschafts- und Versor- gungsdienst, dessen Bereiche (z. B. Wäscherei, Kantine) besonders von Outsourcing betroffen waren. Hier sank die Anzahl der Vollkräfte in den allgemeinen Krankenhäusern im Zeitraum 2000 bis 2016 um rd. 46 %, während sich die Personalzahl insgesamt um 4 % erhöhte (Abbildung 14 im Anhang).12 Im Fokus der öffentlichen Diskussion steht aber aktuell die 9 Beispielsweise behandelte im Jahr 2014 ein Viertel der Krankenhäuser in Deutschland we- niger als 34 Herzinfarkte pro Jahr (im Durchschnitt 17). Von ihnen verfügten mehr als 80 % über keinen Linksherzkatheterplatz. (Mansky 2017, S. 179 ff.) 10 Eigene Untersuchungen auf Basis von Simulationen kamen zu dem Ergebnis, dass die räum- liche Konzentration von Versorgungsangeboten und Behandlungsfällen in ausgewählten Leistungsbereichen sogar deutlich gesteigert werden könnte, ohne dass Mindesterreichbar- keitszeiten von 30 bzw. 60 Minuten überschritten würden (Loos et al. 2016). 11 Nach Angaben der Krankenhaus Rating Reports schrieben in den Jahren 2010 bis 2015 auf Konzernebene jeweils zwischen 20 % und 33 % der Krankenhäuser einen Jahresverlust. Im Jahr 2016 verbesserte sich die Ertragslage, der Anteil der Krankenhäuser mit Verlust sank auf 13 %. Die Autoren führen dies auf die positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu- rück, halten die Verbesserung aufgrund der strukturellen Probleme des Krankenhaussektors aber für vorübergehend. (vgl. https://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/klinikma- nagement/article/965277/krankenhaus-rating-report-kliniken-profitieren-guter-wirt- schaftslage-voruebergehend.html) 12 Der Anteil der Kosten für den Wirtschafts- und Versorgungsdienst an den gesamten Perso- nalkosten ist in dieser Zeit von 5,9 % auf 2,6 % gesunken. Personal von Fremdfirmen für ausgelagerte Leistungen wird vom Statistischen Bundesamt nicht erfasst. Seit dem Jahr 2010 werden aber die Kosten für ausgelagerte Leistungen (z. B. externe Reinigungsfirma, Cate- ringservice für die Kantine) nachrichtlich erfasst. Ihr Anteil an den gesamten Sachkosten der
IGES 21 Personalsituation im Pflegedienst. Hier verringerte sich die Zahl der Voll- kräfte im Zeitraum 2000 bis 2007 um knapp 11 %, seitdem hat sie sich wieder erhöht (+7,5 % bis 2016), liegt aber immer noch um rd. 13.000 un- ter dem Ausgangswert. Der Anteil der Kosten der allgemeinen Kranken- häuser für den Pflegedienst an den gesamten Personalkosten ist entspre- chend von knapp 39 % (2000) auf rd. 29 % (2016) gesunken. Dagegen hat die Zahl der Vollkräfte im ärztlichen Dienst in derselben Zeit stark (um fast 45 %) zugenommen, der Anteil seiner Kosten an den gesamten Personal- kosten von rd. 22 % auf knapp 33 %. In der gesundheitspolitischen De- batte wird mit dieser Entwicklung ein Übermaß an Krankenhausbehand- lungen (durch Ärzte) bei einem gleichzeitigen „Pflegenotstand“ in den Krankenhäusern assoziiert. Hinsichtlich der Ärztezahlen gilt jedoch die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie zu berücksichtigen, welche zum verstärkten Anstieg ab dem Jahr 2004 beigetragen hat. Die Feststellung eines „Pflegenotstands“ gründet teilweise auf den hohen Krankenhauska- pazitäten. So zeigt sich im internationalen Vergleich für Deutschland be- zogen auf die Zahl der Behandlungsfälle bzw. Bettentage eine der gerings- ten Pflegepersonalausstattungen in Krankenhäusern, bezogen auf die Einwohnerzahl rangiert Deutschland hingegen näher am OECD-Durch- schnitt (vgl. Abbildung 15 und Abbildung 16 im Anhang). Durch die Gesetzgebung wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Möglichkeiten geschaffen, dass Krankenhäuser auch ambulante Versor- gungsleistungen erbringen können. Die GKV-Ausgaben für diese ambulan- ten Krankenhausleistungen sind zwar noch relativ gering, haben aber in den letzten Jahren überproportional stark zugenommen.13 Daneben be- teiligen sich die Krankenhäuser in erheblichem und zunehmendem Maße an der ambulanten Notfall- und Akutversorgung.14 Seit dem Jahr 2004 bie- tet die Organisationsform des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) allgemeinen Krankenhäuser hat sich von 6,4 % (rd. 1,9 Mrd. Euro) im Jahr 2010 auf 9,0 % bzw. rd. 3,3 Mrd. Euro im Jahr 2016 erhöht. 13 Auf ambulantes Operieren im Krankenhaus, ärztliche Behandlung in Hochschulambulanzen, vor- und nachstationäre Krankenhausbehandlung, ambulante spezialfachärztliche Versor- gung in Krankenhäusern, Krankenhausbehandlung einschl. teilstationärer Behandlung in Di- alysestationen und stationärer Anschluss-Rehabilitation, Behandlung in sozialpädiatrischen Zentren, psychiatrischen und geriatrischen Institutsambulanzen entfielen im Jahr 2017 rd. 4,8 % der gesamten GKV-Ausgaben für Krankenhausbehandlung. Seit dem Jahr 2009 haben sich die GKV-Ausgaben für diese ambulanten Krankenhausleistungen um knapp 73 % er- höht, die gesamten Ausgaben für Krankenhausbehandlung dagegen um rd. 33 %. Zusätzlich können Krankenhäuser bzw. Krankenhausärzte ambulante Leistungen im Rahmen von Er- mächtigungen und – seit Jahresbeginn 2018 – stationsäquivalenter psychiatrischer Behand- lungen erbringen. 14 Im Jahr 2015 wurden etwas mehr als die Hälfte (53 % bzw. rd. 10 Mio.) aller ambulanten Notfälle in Krankenhäusern behandelt (vgl. SVR-G 2018, S. 567 ff.). Dabei variiert die Bedeu- tung der ambulanten Notfallversorgung zwischen den Krankenhäusern und regional deut- lich. In Berlin werden von den Krankenhäusern mit Notfallambulanzen mittlerweile mehr
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