Museumskurier - Louis Ferdinand Schönherr LebenundWirken S.14 - Sächsisches Industriemuseum

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Museumskurier - Louis Ferdinand Schönherr LebenundWirken S.14 - Sächsisches Industriemuseum
39. Ausgabe ▪ Juni 2017

                      Museumskurier
                      des Chemnitzer Industriemuseums und seines Fördervereins

                                                          Louis Ferdinand Schönherr
                                                          Leben und Wirken S. 14

                          Mode & Mobile -
                          Depotgeschichten
                          S. 08
Schutzgebühr 3,00 ¤
ISSN 1862-8605

                          Maschinenfabrik
                          Hermann Michaelis
                          S. 26                               www.saechsisches-industriemuseum.de
Museumskurier - Louis Ferdinand Schönherr LebenundWirken S.14 - Sächsisches Industriemuseum
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            Editorial
            Liebe Leserinnen und Leser,
            liebe Freunde des Industriemuseums Chemnitz,
            seit vielen Jahren erscheint regelmäßig der Museumskurier als Ge-
            meinschaftsausgabe des Industriemuseums und seines Förderver-
            eins. Seit mehr als 25 Jahren arbeiten Museum und Verein eng zu-
            sammen, um die Industriegeschichte der Region Chemnitz sichtbar
            und erlebbar zu gestalten. Die immense Leistung zur Sicherung von
            Zeitzeugnissen der Industriegeschichte wurde insbesondere in der
            Zeit des Umbruchs in den 1990er Jahren entwickelt, um drohende
            Verluste von Kulturgut zu vermeiden. Der Förderverein spielte dabei
            eine entscheidende Rolle.                                              Inhalt
            Auch heute sind viele Mitglieder des Fördervereins aktiv in den ver-
            schiedensten Arbeitsgruppen tätig, um wertvolle Zeitzeugnisse zu       02 Aktuelle Hinweise
            sammeln, zu restaurieren und instand zu halten, zu katalogisieren      03 Editorial & Inhalt
            oder die Industriegeschichte der Region zu erforschen. Dabei wird es   04 Technisches Uhrenmuseum
            zunehmend schwieriger, Fachleute für die im Museum beheimatete            Chemnitz e. V.
            Technik zu finden. Das Spektrum der Arbeiten ist entsprechend des      05 Die Gebrüder Becker und ihr
            unterschiedlichen Charakters und Alters der Ausrüstungen äußerst          „Industriepalast"
            differenziert und spannend.                                            08 Mode & Mobile – Depotgeschichten
            Ich wende mich deshalb an dieser Stelle an Sie, einmal zu prüfen, ob   10 1842 – erste Gewerbeausstellung
            nicht auch Ihre Mitarbeit an Projekten des Museums für Sie selbst         in Chemnitz
            oder Fachleute in Ihrem Bekanntenkreis interessant sein könnte?        12 Unternehmer einer neuen
            Vielleicht sind Sie oder Ihre Bekannten gerade in Rente gegangen          Generation
            und suchen eine neue, interessante, sinnvolle und abwechslungs-        14 Louis Ferdinand Schönherr
            reiche Tätigkeit?                                                         (1817-1911)
            Wir treffen uns in unseren Arbeitsgruppen aller zwei Wochen, man-      19 Stahl aus dem Rennofen – Eisen
            che Arbeitsgruppen wöchentlich. Und auch für gemeinsame Veran-            aus dem Hochofen
            staltungen wie Exkursionen und Feiern ist Raum.                        22 Die Papierindustrie in der
            Zurzeit bereiten wir gemeinsam mit dem Museum eine Sonderaus-             Region Chemnitz
            stellung für das 875jährige Jubiläum der Stadt Chemnitz vor.           24 Textile Zukunft gestalten
            Für die Erweiterung der Sammlung des Industriemuseums um Zeit-         26 Maschinenfabrik
            zeugnisse der Jahre ab 1990 suchen wir Fachleute der unterschied-         Hermann Michaelis
            lichsten Gebiete: Rechen- und Steuerungstechnik, Maschinenbau,         28 Bündnis für Arbeit auf Aktien
            Gießereitechnik oder Textiltechnik. Ihre Mitarbeit kann auch auf       30 Buchempfehlung
            dem Gebiet der Erforschung der sächsischen Industriegeschichte            „F. Louis Tuchscherer"
            erfolgen. Dabei ist nicht die Menge der eingesetzten Stunden das       30 Nachrufe
            Maß, sondern die Freude und das Erfolgserlebnis, an einer gemein-      31 Informationen des Fördervereins|
            schaftlichen Aufgabe mitzuwirken.                                         Impressum
            Ich freue mich auf Ihre Meinung und Ihre Mitwirkung. Gern können
            Sie auch Ihre Ideen und Hinweise an den Förderverein des Industrie-
            museums richten.

            Ihr
            Eberhard Kühlfluck

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              Technisches Uhrenmuseum Chemnitz e. V.
              Der Freundeskreis technikhistorische Museen stellt sich vor | Teil 11

                 Dirk Röder
              Der Verein Technisches Uhrenmu-
              seum Chemnitz e. V. wurde 2008 in
              Chemnitz gegründet. Erstes Domizil
              war das Schloss Lichtenwalde. Seit
              Oktober 2012 sind Verein und Mu-
              seum in Chemnitz an der Zwickauer
              Straße, gleich neben dem Straßen-
              bahnmuseum, ansässig.

              Die Ausstellung zeigt verschiedenste
              Zeitmesser der Vergangenheit. Sie
              werden von den 13 Mitgliedern des
              Vereins gepflegt, im Originalzustand
              erhalten und bei Bedarf aufwändig         Schauwerkstatt
              restauriert. Beeindruckend ist die
              Sammlung von ca. 80 Turmuhren,            500 Jahren, unter ihnen auch eng-      Für den Ausbau des Museums und
              von denen mehr als die Hälfte aus         lische und französische, sind dank     der Ausstellung ist der Verein auf
              der Region Chemnitz stammt. An-           des handwerklichen Geschicks der       Spenden angewiesen und benötigt
              hand dieser großen Exponate kön-          Vereinsmitglieder fast alle funkti-    dringend finanzielle Mittel.
              nen die Besucher erleben, welche          onstüchtig und vorführbar. Ferner      Spendenkonto:
              riesigen Uhrwerke die Zeiger in           können die Besucher Spezialuhren       IBAN: DE12870500003537005295
              Gang setzen, die sich um die Außen-       wie Chronometer, Flieger- und Ei-      Kontoinhaber: Technisches Uhren-
              zifferblätter in exakter Ganggenau-       senbahnuhren sowie ein Chrono-         museum Chemnitz e. V.
              igkeit bewegen müssen. So ist bei         skop für die Ultrakurzzeitmessung
              diesen Ausstellungsstücken optisch        in Physik und Medizin betrachten.      Für Ihre Fragen und Anregungen
              und akustisch alles gut für die Besu-                                            stehen wir Ihnen jederzeit gern zur
              cher nachvollziehbar. Das Museum          Der Verein freut sich über neue        Verfügung. Wir freuen uns auf Ihr
              ist neben dem Turmuhrenmuseum             Mitstreiter mit Interesse für histo-   Interesse und einen Besuch!
              in Naunhof das zweite in Sachsen,         rische Uhren als Zeitzeugnisse der
              welches den Besuchern das oft ver-        Technikgeschichte. Gesucht werden      Technisches Uhrenmuseum
              borgene Innenleben der meist rie-         Vereinsmitglieder, die Freude und      Chemnitz e. V.
              sigen mechanischen Turmuhrwerke           Geschick an der Restaurierung der      Zwickauer Straße 164a                        Fotos: Dirk Röder (l.), Sammlung Nitsche (r.o.), Privatbesitz (r.u.)

              nahe bringt.                              verschiedenen Zeitmesser sowie an      09116 Chemnitz
                                                        einem regen Vereinsleben haben.
              Auch elektrisch gesteuerte Uhren                                                 Telefon: 0371 3342841
              wie Haupt- und Signaluhren, Stem-                                                E-Mail: info@uhrenmuseum-
              peluhren sowie viele Nebenuhren                                                  chemnitz.de
              gehören zur Sammlung. Früher                                                     URL: www.uhrenmuseum-
              zeigten sie in Werkhallen und auf                                                chemnitz.de
              Bahnhöfen den Menschen die rich-
              tige Zeit an. Für viele Besucher ist es                                          Öffnungszeiten:
              immer wieder interessant zu sehen,                                               Mo - Fr nachmittags sowie nach
              wie genau es damals in den einzel-                                               telefonischer Vereinbarung
              nen Firmen zuging. Auch Läuteein-
              richtungen für verschiedene Zwe-                                                 Eintritt:
              cke, z. B. ein Bahnläutewerk, sind        Turmuhren-Zimmer                       2 €/Erwachsener; 0,50 €/Kind
              zu sehen. Die Uhren aus den letzten

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            Die Gebrüder Becker und ihr „Industriepalast“
            Eine Spurensuche

               Jürgen Nitsche
            Vor 87 Jahren (1930) verlegte die
            Firma Gebrüder Becker, die den
            Weltruf der sächsischen Stoffhand-
            schuhindustrie mit begründet hat-
            te, ihren Betrieb aus dem Grund-
            stück Annaberger Straße 77 in das
            Grundstück Crusiusstraße 4, Ecke
            Annaberger Straße.
            Auch die neue Fabrikationsstät-
            te lag im Industrieviertel in Alt-
            chemnitz, wo die Firmen Schubert
            & Salzer, Marschel Frank Sachs
            AG, Bachmann & Ladewig AG, die
            Gebrüder Sussmann AG und viele          Die Firma in der Annaberger Straße 77, um 1925.
            andere bekannte Firmen seit Jah-
            ren ihren Sitz hatten. „Anlage und      großes Ansehen genoss. So betonte                 brechern der sächsischen Hand-
            Ausstattung des neuen Betriebes         der Oberbürgermeister in seiner An-               schuh-Industrie, in bescheidenem
            machten dem Chemnitzer Archi-           sprache, dass „der neue Industrie-                Umfange gegründet. Der Firmensitz
            tekten Erich Basarke alle Ehre“, hieß   palast der Stadt Chemnitz zur Zier-               befand sich anfangs in der Berns-
            es in einem ausführlichen Bericht in    de“ gereichen würde. Chemnitz, das                bachstraße (heute Fritz-Reuter-
            der Berliner Textil-Zeitung.            während der Weltwirtschaftskrise                  Straße) 12. Durch Fleiß und Tatkraft
            Die Einweihung der modernen Fa-         besonders unter der wirtschaftli-                 gelang es den Gründern sehr bald,
            brikanlage fand am 4. Juni 1930         chen Not litt, wäre und bliebe „eine              das Unternehmen auf eine breite-
            vor einem Kreis geladener Gäste         Industriestadt“. Eine überlieferte                re Basis zu stellen. In den Jahren
            aus Politik und Wirtschaft sowie        Farbzeichnung zeigt noch heute,                   1906/07 konnte ein neuer Fabrik-
            Vertretern der Israelitischen Religi-   wieso Arlart das Gebäude mit einem                bau in der Annaberger Straße 77
            onsgemeinde statt. Im Verlauf der       Industriepalast verglich.                         von den Architekten Wenzel Bürger
            eher schlichten Feier sprachen u. a.    Zur Vorgeschichte: Das Unterneh-                  und Karl Johann Benirschke errich-
            Fabrikbesitzer Fritz Vogel für den      men wurde am 1. Juli 1883 von den                 tet werden1. Die Firma nahm weiter
            Verband Sächsischer Industrieller,      jüdischen Brüdern Eduard und Adolf                eine günstige Entwicklung, so dass
            Oberbürgermeister Walter Arlart         Becker, zwei verdienstvollen Bahn-                auch diese Betriebsstätte bald zu
            für die Stadt, Otto Schlesinger für
            die Firma Marschel Frank Sachs
            AG, Stadtverordnetenvorsteher Carl
            Hermann Schiersand für die Stadt-
            verordneten, Hans Stickel für die
            Handelskammer, Syndikus Johannes
            Röthig für den Verband der Stoff-
            handschuhfabrikanten,       Rabbiner
            Dr. Hugo Fuchs für die Israelitische
            Religionsgemeinde, Fabrikant Georg
            Mecklenburg für die Lieferanten
            sowie Justizrat Adolf Beutler als
            Freund des Hauses ihre Glückwün-
            sche aus.
            Die erschienenen Ehrengäste waren       Die Firma in der Crusiusstraße 4, um 1930.
            Beweis dafür, dass die Firma damals

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              klein wurde und zur Vergrößerung                                              in die herrschaftliche Villa Parkstra-
              zwang.                                                                        ße 22, die seit Juli 1915 im Besitz
              Der Hauptgrund für die Schaffung                                              der Familie war. Karl Becker beauf-
              größerer und modernerer Räume                                                 tragte den Chemnitzer Architekten
              war vor allem die Steigerung der                                              Erich Basarke, das Interieur der in
              Leistungsfähigkeit der Betriebe. Der                                          den späten 1880er Jahren erbauten
              mit den neuesten Maschinen aus-                                               Villa meisterhaft umzugestalten.
              gestattete Großbetrieb in der Cru-                                            Arthur Becker wurde im Januar
              siusstraße umfasste 24.000 m�. In                                             1919 Teilhaber der Firma. Wenig
              hellen Räumen, die den höchsten                                               später vermählte sich der damals
              Standards des damaligen Arbeits-                                              knapp 30-jährige Unternehmer mit
              schutzes entsprachen, wurden ele-                                             der aus Leipzig stammenden Char-
              gante Handschuhe hergestellt, die                                             lotte Clara Frank. Die Eheleute zo-
              sowohl von zarten Damenhänden                                                 gen in das Haus Goetheplatz 3. Die
              als auch von der eleganten Her-                                               Villa hatte sich bis 1925 im Besitz
              renwelt in vielen Ländern getragen                                            des Fabrikanten Georg Hilscher be-
              wurden. Besonders die Handschuhe       Karl Becker (1890-1939).               funden.
              in Leder- und Wildleder-Imitationen                                           Im August 1924 gründeten die Brü-
              wurden von den Kunden sehr ge-         Karl und Arthur Becker, die Söh-       der die OHG Eduard Becker Söhne
              schätzt. Die Firma stellte u. a. die   ne von Eduard Becker, in die Firma     als eine Absonderung der Firma Ge-
              bekannten BEDOWA-Fabrikate her.        ein. Die Brüder führten das Unter-     brüder Becker. Als Unternehmens-
              Erst unlängst wurden in dem Chem-      nehmen in den 1920er Jahren zu         gegenstand ließen sie Strumpfwa-
              nitzer Auktionshaus Bossard Da-        neuem Aufschwung. Die Garne be-        renfabrikation und Großhandel in
              men-Handschuhe der Marke BEDO-         zogen sie weiterhin aus England,       das Handelsregister eingetragen.
              WA Beckers Doppelware versteigert.     der Schweiz und Italien. Neben um-     Die gesamte Palette der Strumpf-
              Nach dem Tod der Begründer traten      fangreicher Belieferung des Binnen-    und Wirkwaren wurde in Jahnsdorf
                                                     marktes wurde ein beträchtlicher       (Erzgebirge) hergestellt, nachdem
                                                     Export nach England und Amerika,       die Brüder die dortige Firma H. F.
                                                     Skandinavien und den meisten an-       Mauersberger übernommen hatten.
                                                     deren Kulturstaaten, wie es damals     Verwaltung und Appretur befan-
                                                     hieß, betrieben. Die Firma verfügte    den sich weiterhin in der Becker-
                                                     über eine vorbildlich ausgebaute       straße 27-29. Beide Werke wurden
                                                     Verkaufsorganisation und durch         im Mai 1927 in die Eduard Becker
                                                     einen großen Stab von Vertretern       Söhne Aktiengesellschaft mit einem
              Handschuhe der Fa. Gebrüder Becker.    und Reisenden hielt sie eine stetige   Grundkapital von einer Million RM
                                                     persönliche Fühlung mit der Kund-      überführt.
                                                     schaft aufrecht. Gute Passform, ein-   Neben den Brüdern gehörte u. a.
                                                     wandfreie Konfektion und vorteil-      der Rechtsanwalt Dr. Arthur Weiner
                                                     hafte Farbsortimente verhalfen den     dem Aufsichtsrat an. Nach dessen               Fotos: Archiv Industriemuseum (l.m.), Privatbesitz (l.o., l.u., r.)

                                                     Fabrikaten zu ihrem Weltruf.           Entführung und Ermordung in der
                                                     Die Firma Gebrüder Becker war auch     Nacht zum 11. April 1933 verlegten
                                                     die erste, die in Chemnitz die Ma-     Karl und Arthur Becker mit ihren
                                                     ratti-Maschinen (Erfinder: S. A. Ma-   Familien im September 1933 ihren
                                                     ratti, Schweiz) in der Handschuh-      Wohnsitz nach Holland. Der Rechts-
                                                     industrie einführte. Sie unterhielt    anwalt Dr. Willy Schumann, bisher
                                                     auch das größte und bestsortierte      Weiners Sozius, wurde neuer Auf-
                                                     Lager an Handschuhen in Deutsch-       sichtsratsvorsitzender.
                                                     land.                                  Ende 1934 wurde die Firma Gebrü-
                                                     Bereits im Mai 1911 war Karl Becker    der Becker ebenfalls in die Eduard
                                                     Prokurist der Firma geworden. Im       Becker Söhne AG überführt. Nach-
                                                     November 1916 vermählte sich der       dem der ehemalige Vorstands-
                                                     Unternehmer mit Erna Lucie Bern-       vorsitzende Fritz Kirsch sowie die
              Villa Karl Becker, Herrenzimmer.       stein, der Tochter des Fabrikanten     Prokuristen Otto Wolfsheimer und
                                                     Julius Bernstein. Die Eheleute zogen   Günther Nothmann, die jüdischer

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Museumskurier - Louis Ferdinand Schönherr LebenundWirken S.14 - Sächsisches Industriemuseum
Museumskurier - Louis Ferdinand Schönherr LebenundWirken S.14 - Sächsisches Industriemuseum
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              Museumskurier 39|2017

              Mode & Mobile – Depotgeschichten
              Einblicke in die Sammlung des Industriemuseums Chemnitz

                 Gisela Strobel | Nicole Kling
              Wer wirft nicht gern einen Blick
              hinter die Kulissen, gleich ob im
              Theater, einer Firma oder im Indus-
              triemuseum? Im Depot des Indus-
              triemuseums lagern, wie in nahezu
              allen Museen, viele Exponate, die
              den Besuchern noch nie oder lange
              nicht gezeigt wurden.
              So entstand die Idee für in loser
              Folge gestaltete Präsentationen, die
              Einblicke in die Sammlung gewähren.
              „Mode & Mobile – Depotgeschich-
              ten“ ist der Auftakt dazu. Eher zu-
              fällig wird mit dieser Präsentation     Blick in die Ausstellung
              ein Blick auf Alltag und Freizeit der
              Menschen mit ihren Träumen, Wün-        Wie aber kam die Sammlung                  halten. Sonja Wahl, die viele Jahre
              schen und Ideen in den 1970er und       König ins Industriemuseum?                 lang in einem Webereimuseum im
              1980er Jahren gewährt. Es bleibt        Im Sommer 2007 erhielt der Direk-          Norden der USA tätig war, konnte
              bei einer exemplarischen Auswahl        tor des Industriemuseums Chemnitz          auf diesem Weg dem Industriemu-
              – eine umfassende Darstellung ist       eine Information von einem Kollegen        seum mehr als 90 Kleidungsstücke,
              weder geplant noch möglich.             aus der Schweiz: in Freital bei Dres-
                                                      den befände sich eine bemerkens-
              Im Mittelpunkt der Präsentation         werte Sammlung außergewöhn-
              steht eine Kollektion extravaganter     licher Kleidung, die eine begabte
              Modelle – Unikate, geschaffen von       Schneiderin hinterlassen hätte. Der
              Ursula Hauptmann-König (1923-           Schweizer Museumsleiter hatte die
              2013), einer Schneidermeisterin aus     Information wiederum von einer
              Freital. Sie kreierte in ganz eigenem   Jugendfreundin der Schneiderin er-
              Stil für ihre Kundinnen, Freundinnen

                                                                                                                                                       Foto: Archiv Industriemuseum (l.u.), G. Strobel (l.o., r.), H. Zschocke (l.m.)
              und sich selbst Garderobe. Zu ihren
              Kunden zählten auch Künstler, die
              sich Bühnengarderobe nähen ließen.
              Kreativität, beeindruckend hohes
              handwerkliches Können und Ele-
              ganz, gepaart mit einer gehörigen
              Portion Phantasie und Eigensinn                                                    Kleid aus Souvenirtüchern vom Bodensee
              zeichnete die Schneiderin aus. Ein
              Markenzeichen waren ihre kunst-                                                    dazu Arbeitsmittel und Dokumente
              vollen, genähten oder gestickten                                                   aus dem Leben von Ursula Haupt-
              Applikationen. Auch ihr Fernweh                                                    mann-König übergeben. Aus Freital
              und ihre Liebe zur Kunstgeschichte                                                 über die USA und die Schweiz nach
              lassen sich in ihren Modellen erken-                                               Chemnitz! Diese Kuriosität passt
              nen. Wer außer ihr käme wohl auf                                                   zur Schneiderin „Ursi“, deren Leben
              die Idee, sich einen Mantel mit der                                                wohl nicht besonders aufregend
              applizierten Freiheitsstatue zu nä-     Ursula Hauptmann-König nähte sich einen    war, umso mehr aber die Kleidung,
              hen, wenn sich Gäste aus den USA        Mantel mit der Freiheitsstatue, als 1990   die sie mit einfachen Mitteln und
                                                      Freunde aus den USA zu Besuch kamen.
              angemeldet haben?                                                                  überreicher Phantasie schuf.

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                                                                                           Trabant und Wartburg – ergänzt.
                                                                                           Das legendäre Moped Schwalbe
                                                                                           befindet sich in guter Gesellschaft
                                                                                           mit MZ-Motorrädern und Diamant-
                                                                                           Fahrrädern. Diese bestimmten maß-
                                                                                           geblich das Straßenbild über viele
                                                                                           Jahre, denn die verschiedenen Typen
                                                                                           dieser Zweiräder wurden in hoher
                                                                                           Auflage hergestellt. Bis zu 200.000
                                                                                           Fahrräder verließen jährlich das
                                                                                           Diamant-Werk in Karl-Marx-Stadt.
                                                                                           Die MZ TS 125 bzw. 150 gehören
                                                                                           mit rund 326.000 Exemplaren zu
                                                                                           den meistgebauten deutschen Mo-
                                                                                           torrädern. Das Moped Schwalbe
            Blick in die Ausstellung                                                       wurde mehr als eine Million1 mal
                                                                                           hergestellt.
            Diesen extravaganten Unikaten ge-        hergestellte Kleidung kam von Zeit
            genüber steht Modernes für Alltag        zu Zeit ins Museum, teils auch im     Fahren wir eben zum Camping! Das
            und Freizeit.                            Zusammenhang mit anderen Aus-         war die gängige Antwort Vieler auf
            In den Geschäften gibt es nicht ge-      stellungen. Werbefotos, Zeitschrif-   das lange Anstehen im Reisebü-
            nügend Kleidung für den modernen         ten und Plakate aus den 1970er und    ro nach einer ersehnten und dann
            Geschmack? Stoff, Muster, Schnitt        1980er Jahren ergänzen die Prä-       doch nicht erhaltenen Ferienreise
            oder Preis gefallen nicht? Gehen wir     sentation und erlauben einen ver-     oder die im Sommer nie ausrei-
            doch ins Modeatelier! Oder nähen         tiefenden Blick auf die schon fast    chend vorhandenen Ferienplätze in
            wir selbst! Hobbyschneiderinnen          vergessene Mode.                      den Betriebsferienheimen. Deshalb
            wendeten viel Zeit und Mühe für          Der Zeitgeschmack bei der Wahl der    gesellt sich zu den Fahrzeugen ein
            ihre Kleidung auf und brachten es        Kleidung erscheint uns zuweilen       Wohnwagen Typ Weferlingen. Be-
            auch später nicht übers Herz, die-       schon wenige Jahre später seltsam.    nannt sind diese mobilen Heime
            se wegzuwerfen, obwohl sie nicht         Manches ist, vor allem für die Jün-   nach dem Produktionsort bei Hal-
            mehr dem aktuellen Modetrend             geren, kaum noch vorstellbar.         densleben in Sachsen-Anhalt. Der
            entsprach. In die Sammlung des                                                 Weferlinger wurde mit einem Ge-
            Museums kam auf diese Weise              Der zweite Schwerpunkt der Prä-       wicht von nur 220 kg speziell für
            selbst Geschneidertes, das nun ge-       sentation sind Mobile: Zweiradfahr-   die zulässige Anhängerlast der PKW
            zeigt wird. Aber auch im Modeate-        zeuge aus der Sammlung des Muse-      Trabant ausgelegt und war in den
            lier genähte festliche und industriell   ums werden durch Leihgaben – PKW      1970er und 1980er Jahren auf vie-
                                                                                           len Campingplätzen zu finden. Auf
                                                                                           nur 3,25 m� Grundfläche sammel-
                                                                                           ten sich gut verstaut: ausziehbares
                                                                                           Doppelbett, Sitzecke mit Klapptisch,
                                                                                           Kleinküche mit Propangaskocher
                                                                                           und Kleiderschrank.

                                                                                           Mode & Mobile – Depotgeschichten
                                                                                           20.05. bis 30.07.2017

                                                                                           1
                                                                                            Schwalbe Gezwitscher – Das Magazin zum
            Wohnwagen Typ Weferlingen                                                      Jubiläum, Suhler Verlagsgesellschaft mbH &
                                                                                           Co. KG, 2014, S. 6

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Museumskurier - Louis Ferdinand Schönherr LebenundWirken S.14 - Sächsisches Industriemuseum
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              1842 – erste Gewerbeausstellung in Chemnitz

                 Enrico Hochmuth
              Die jüngste Beschäftigung mit dem
              Thema Industriekultur lässt auch
              im mitteldeutschen Raum die In-
              dustrie- und Gewerbeausstellungen
              wieder mehr in den Fokus zu rü-
              cken. So erinnern das Sächsische
              Wirtschaftsarchiv Leipzig oder das
              Stadt- und Bergbaumuseum Frei-
              berg dieses Jahr museal an Indus-      Seidenbild der Halle der Chemnitzer Industrieausstellung 1867, nach einer Vorlage von G. Köhler,
              trie- und Gewerbeausstellungen.        gewebt von A. Dittrich, J. Lippold im Jahr 1866.
              In Chemnitz begann die Geschich-
              te der Industrie- und Gewerbeaus-      det und sollte übrigens nicht nur als              bald alle „gangbaren“ Artikel prä-
              stellungen vor 175 Jahren mit der      Chemnitzer Stadtverordneter, Ab-                   sentiert werden. Die Einschränkung
              Gewerbeausstellung 1842. Sie war       geordneter des Sächsischen Land-                   der Ausstellungsexponate und die
              der Auftakt für weitere gleichartige   tages und Zweiter Vizepräsident der                wenig bekannten Anliegen und
              Veranstaltungen in der Stadt.          Frankfurter Nationalversammlung                    Ziele der Ausstellungen hatten zu-
              Die Technische Deputation des 1829     von sich reden machen. Er setzte                   nächst für Zurückhaltung bei den
              gegründeten Handwerkervereins in       sich für den Bau einer erzgebir-                   umworbenen Produzenten gesorgt.
              Chemnitz hatte bereits 1836 da-        gischen Eisenbahn ein, wurde 1843                  Erst mit der Vorlage und Umsetzung
              mit begonnen sich mit wöchent-         Vorsitzender des in Leipzig gegrün-                eines neuen Konzeptes im Jahr 1831
              lichen Vorträgen für den Austausch     deten Deutschen Industrievereins                   konnte Abhilfe geschaffen werden
              von Ideen und Erfahrungen auf          und machte sich um die Einführung                  und die Teilnehmerzahlen stiegen.
              dem gesamten Gebiet des „tech-         der Flachsspinnerei in Sachsen ver-                Neben Handwerksprodukten wur-
              nischen Lebens“ einzusetzen. Wie       dient.                                             den nun zunehmend industriell ge-
              bereits Wolfgang Uhlmann in sei-       Fortschrittliches und wirtschafts-                 fertigte Waren präsentiert. Hinter
              nen Forschungen zur Chemnitzer         liberales Denken verbindet sich                    der Idee stand der 1828 gegründete
              Wirtschaftsgeschichte nachweisen       auch mit dieser recht frühen Aus-                  Industrieverein für das Königreich
              konnte, ging die Initiative für eine   stellungsinitiative des Chemnitzer                 Sachsen, der von nun an in die Or-
              Industrie- und Gewerbeausstel-         Wirtschaftsbürgertums. Nach fran-                  ganisation der Veranstaltungen
              lung im Jahr 1842 von eben diesem      zösischem Vorbild, aber auch mit                   einbezogen wurde. Ein erster säch-
              Handwerkerverein und nicht etwa        Blick auf Preußen und England hatte                sischer Höhepunkt war die deut-
              von dem im selben Jahr von Fabri-      die sächsische Landesregierung ei-                 sche Nationalausstellung 1850 in
              kanten und Kaufleuten gegründe-        nige Jahre vorher begonnen, Model-                 Leipzig. Zwar erfüllte diese (nach
              ten „Fabrik- und Handelsstand zu       le und Ideen der Gewerbeförderung                  Mainz 1842 und Berlin 1844) dritte
              Chemnitz“ aus. Deren Interesse rich-   auf ihre hiesige Praktikabilität zu                Ausstellung der deutschen Staaten
              tete sich eher auf die überregionale   überprüfen. Neben der Einrichtung                  die Erwartungen der Organisatoren
              Darstellung und die Exportmärkte.      polytechnischer Bildungsanstalten                  nicht, trotzdem konnte sich das Kö-
              Der Handwerkerverein gründete im       gerieten dabei die Industrie- und                  nigreich Sachsen überregional als
                                                                                                                                                               Foto: Sammlung Industriemuseum (l.)

              März 1842 einen „Ausschuß für die      Gewerbeausstellungen in den Fokus                  moderner Industriestaat darstellen.
              Gewerbausstellung zu Chemnitz“,        der staatlichen „Landesökonomie-,                  Im „Ausstellungszeitalter“ nach der
              dem der Webereibesitzer Johann         Manufaktur- und Kommerziende-                      Londoner Weltausstellung von 1851
              Friedrich Waldau gemeinsam mit         putation“. Von ihr wurde eine Reihe                sollten auch in Sachsen die alleror-
              dem Mitbesitzer einer Kattundru-       staatlicher Landesausstellungen ini-               ten entstehenden und eng mit dem
              ckerei Jakob Bernhard Eisenstuck       tiiert, die 1824 begannen und mit der              Namen Friedrich List verknüpften
              vorstand.                              zwölften Ausstellung 1845 endeten.                 Gewerbevereine und Industrie- und
              Der liberale Eisenstuck hatte einst    Nachdem anfänglich nur Luxuspro-                   Handelskammern Motoren der Aus-
              den Handwerkerverein mitbegrün-        dukte ausgestellt wurden, konnten                  stellungen werden, die bald Volks-

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            festcharakter annahmen.                alausstellungen“ veranstaltet hätten.    nerei, der Kammwollweberei, der
            Nach bisherigen Erkenntnissen fand     Auf die Werbung für das Ausstel-         Tuchmacherei, der Spitzenfabrikati-
            1830 in Zwickau die erste (nicht       lungsvorhaben hin meldeten sich          on, der Färberei, der Bleicherei und
            landesstaatliche) Ausstellung au-      170 Gewerbetreibende als Aussteller      Appretur, der Papierfabrikation und
            ßerhalb der Landeshauptstadt statt.    an. Eine Beteiligung, die, wenn man      der Töpferei gewünscht.
            Damit begann sich in der west-         bedenkt, dass die ersten Landesaus-      Als die Ausstellung nach rund vier
            sächsischen Subregion ein frühes       stellungen kaum mehr Teilnehmer          Wochen am 18. August 1842 ihre
            Interesse an dieser neuartigen Ge-     verzeichneten, für eine erste Regi-      Pforten schloss, war sie von 7.000
            werbeförderung zu regen. So prä-       onalausstellung durchaus passabel        Besuchern, darunter Prinz Johann
            sentierte sich bald das Vogtland auf   ist. Schon kurze Zeit später öffneten    von Sachsen und Angehörige könig-
            Ausstellungen 1839 und 1841 in         sich am 16. Juli 1842 die Türen des      licher Behörden, besichtigt worden.
            Plauen. Die Erzgebirgsregion sollte    Chemnitzer Stadttheaters für das         Besucherzahlen und Pressebericht-
            1839 in Annaberg und schließlich       Ausstellungspublikum. Im Saal des        erstattung ließen ahnen, welche Öf-
            erstmals in größerem Umfang auf        Hauses hatten die Aussteller unge-       fentlichkeit man mit diesem neuar-
            der hier vorgestellten Chemnitzer      fähr 2.000 Objekte arrangiert, die       tigen Medium erreichen konnte. Für
            Ausstellung von 1842 präsentiert       dem Besucher im 629 Nummern              290 Taler wurden Exponate verkauft,
            werden. Es folgten kleinere Aus-       umfassenden Katalog des Stadtrats        andere innerhalb der Ausstellungs-
            stellungen 1844 in Marienberg und      Schink erläutert wurden. Wie an-         lotterie verlost. Die Besucher konn-
            1846 in Freiberg. Fast gleichzeitig    gedacht, waren es zumeist Hand-          ten Lose zu zehn Neugroschen das
            fanden 1835 in Bautzen und 1836        werksprodukte aus Strumpfwirkerei,       Stück erwerben und trugen damit
            in Zittau erste Ausstellungen in       Weberei, Kattundruckerei, Baum-          zur Refinanzierung der Veranstal-
            Ostsachsen statt. 1847 vereinbarten    wollspinnerei, Spielwarenfabrikation     tung und zum Kassenüberschuss von
            dort die Gewerbevereine Bautzen,       oder Eisenfabrikation, die den Besu-     174 Talern bei. Ausstellungslotterien
            Zittau und Kamenz abwechselnd          chern näher gebracht wurden. Der         sollten übrigens eines der beliebtes-
            Präsentationen von Industrie und       Klein- und Hausindustrie machte          ten PR- und Finanzinstrumente des
            Gewerbe der Oberlausitz durchfüh-      nicht nur der Konkurrenzdruck der        19. Jahrhunderts werden.
            ren zu wollen.                         entstehenden Großindustrie son-          Dieses insgesamt positive Fazit mag
            Am 14. Mai 1842 veröffentlichte        dern auch der durch immer bessere        neben der erfolgreichen Teilnahme
            der Chemnitzer Handwerkerverein        Infrastrukturen und liberalere Wirt-     Chemnitzer Unternehmen auf der
            eine „Aufforderung und Bitte“ im       schaftsbedingungen        vereinfachte   Nationalausstellung 1850 in Leipzig
            Chemnitzer Anzeiger. Darin wird        Import zu schaffen. Auch das Berg-       auch Ansporn für den Handwerker-
            das Ausstellungsvorhaben der Öf-       und Hüttenwesen und der Maschi-          verein gewesen sein, sich der Or-
            fentlichkeit vorgestellt. Ausdrück-    nenbau durften bei ihrer Bedeutung       ganisation weiterer Ausstellungen
            lich wünscht man sich für den „Ge-     für den Chemnitzer Raum auf der          in den Jahren 1852 und 1867 zu
            werbsmann“ das „Bekanntwerden          Ausstellung nicht fehlen. So zeigte      widmen.
            mit den Leistungen der Berufsge-       der ehemalige Chemnitzer Gewer-
            nossen […]“, einen vergleichenden      belehrer Carl August Rabenstein, der     Jahr     Aussteller   Besucher Gewinn/Verlust
            „Ueberblick über Alles, was über-      im gleichen Jahr mit der Produktion      1842     170          7.000       174 Taler
            haupt in der betreffenden Provinz      von Dampfkesseln begonnen hatte,
            gewerblich geleistet wird […]“,        einen Lokomotivkolben. Constan-          1852     500          35.136      1.615 Taler
            möchte aber auch das „consumiren-      tin Pfaff stellte mit seinem 1835 in     1867     1.223        183.875     Defizit unbek.
            de Publicum“ über die Angebote der     Chemnitz gegründeten Unterneh-
            Region informieren. Im Hinblick auf    men einen „neuen englischen Fein-        Industrie- und Gewerbeausstellungen
            die Landesausstellungen in Dresden     flyer für Baum- und Kammwolle"           Chemnitz im Vergleich
            wird bemerkt, dass sie „ausschließ-    sowie einen „Krempelspeiseapparat,
            lich der Beförderung der Fabrikindu-   mit Tombour-Reinigungstrommel            Die Industrie- und Gewerbeaus-
            strie gelten, auch für einen großen    für Baumwolle" dem Publikum vor.         stellungen sind nicht nur als un-
            Theil des betheiligten Publicums der   Wie zeitgenössische Quellen an-          terhaltsame und Identität stiftende
            Entfernung wegen nicht zugänglich      merken, hätten sich die Organisa-        Volksfeste im kollektiven Gedächtnis
            sind […]“. Es wird auch argumen-       toren aber für einen umfassenderen       haften geblieben. Sie trugen auch
            tiert, dass „[…] mehrere inländische   Überblick über die westsächsische        dazu bei, das kulturelle und wirt-
            Gewerbsvereine, durchdrungen von       Produktionslandschaft eine stär-         schaftliche Image von Produktions-
            der Wichtigkeit der vorgenannten       kere Beteiligung der erzgebirgischen     regionen auf vielfältige Weise nach-
            Vortheile […]“ mit Erfolg „Provinzi-   Bandfabrikation, der Wollgarnspin-       haltig zu prägen.

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              Unternehmer einer neuen Generation
              Zum 175. Geburtstag von Gustav Hartmann

                 Cynthia Kempe-Schönfeld
              „Und zwar reise ich morgen früh für
              einige Tage nach Oberschlesien; am
              24. cr habe ich eine Sitzung in Ber-
              lin, am 25. cr eine solche in Köln am
              Rh., und am 2. März reise ich noch-
              mals nach Berlin, um am 3., 4. und
              5. März daselbst Abschlußsitzungen
              von 3 Gesellschaften, bei denen ich
              im Aufsichtsrat bin, dabeizuwoh-
              nen.“1

              Was sich hier wie der Auszug aus
              dem Terminkalender eines vielbe-
              schäftigten Managers unserer Tage
              liest, stammt aus dem Jahr 1910.
              Inhaber des Kalenders war Gustav
              Hartmann, der trotz seiner fast 70      Porträt Gustav Hartmann,
              Lebensjahre noch immer ein beacht-      unten rechts signiert
                                                      Dietrich u. Witte Chemnitz,
              liches Arbeitspensum absolvierte.       um 1890
              Aus heutiger Sicht ist er durchaus
              als Manager zu bezeichnen, ver-
              stand er es doch hervorragend,          stav Hartmann eine kaufmännische        halten bezeugen ein systematisches,
              Unternehmen und Banken durch            Ausbildung in Hamburg, Liverpool        in sich abgestimmtes Ausbildungs-
              Kapitalfluss und Wissenstransfer        und Manchester, die durch weitere       programm. Das erworbene Wissen
              strategisch miteinander zu verbin-      Stationen in Belgien, Frankreich        um nationale und internationale
              den, Netzwerke aufzubauen und           und Russland ergänzt wurde. 1868        Abläufe in Produktion, Verwaltung,
              Kompetenzen zu bündeln. Gustav          ernannte Richard Hartmann seine         Buchhaltung und Vertrieb ließen ihn
              Hartmann verkörperte die Weiter-        Söhne Richard jun. und Gustav so-       Verständnis für die Mechanismen
              entwicklung des Unternehmers von        wie seinen Schwiegersohn Eduard         und das Zusammenspiel der einzel-
              den Wurzeln handwerklicher Tradi-       Keller zu Teilhabern seiner Fabrik.     nen Geschäftsfelder innerhalb eines
              tion hin zu einem Netzwerk-Mana-        Mit der Übertragung der Teilha-         Unternehmens gewinnen. Darüber
              ger. Sein Leben und Wirken zeugen       berschaft, die die stetig wachsen-      hinaus erhielt er wertvolle Einblicke
              von diesem Wandel.                      de Arbeitslast des prosperierenden      in die Industrie vor allem der Staa-
                                                      Werkes auf mehrere Personen auf-        ten, denen die Industrialisierung
              Gustav Hartmann wurde am 10. Juni       teilte, endete die beinahe zehnjähri-   einen Entwicklungsvorsprung ver-
              1842 als zweiter Sohn des Fabrikan-     ge Vorbereitung Gustav Hartmanns        schafft hatte. Die in diesen Jahren
              ten Richard Hartmann in Chemnitz        auf eine Führungsposition im Fa-        geknüpften Kontakte im In- und
              geboren. Der Vater, ein gelernter       milienunternehmen. Zwar gehörte         Ausland und die vorgenannten Fak-
              Zeugschmied aus dem elsässischen        er noch nicht der Unternehmer-          toren bildeten die Basis für seine
                                                                                                                                            Fotos: Sammlung Industriemuseum

              Barr, war während seiner Gesellen-      generation mit universitärer Aus-       spätere Arbeit.
              wanderung 1832 nach Chemnitz            bildung an, doch durchlief er eine
              gekommen, wo er innerhalb weniger       umfassende und vorausschauend           Den Kern dieser Arbeit stellte sein
              Jahrzehnte eine der bedeutendsten       geplante Lehrzeit. Der Wechsel vom      Wirken im Familienunternehmen
              Maschinenfabriken in Sachsen auf-       Erlernen theoretischer Grundlagen       dar. 1870 wurde es in eine Aktien-
              baute.                                  über praxisbezogene Erfahrungen         gesellschaft umgewandelt, die den
              Nach seiner Schulzeit in Chem-          hin zu repräsentativen Aufgaben         Namen „Sächsische Maschinen-
              nitz und Annaberg durchlief Gu-         und zahlreichen Auslandsaufent-         fabrik zu Chemnitz“ trug. Richard

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            Hartmann übernahm bis zu seinem                sen in andere Firmen. Er wurde zu      die Förderung des Maschinenbaus
            Tod 1878 den Vorsitz des Aufsichts-            einem profunden Kenner der säch-       die Würde eines Doktor-Ingenieur
            rates; Gustav Hartmann, Eduard                 sischen und deutschen Wirtschaft       Ehrenhalber.
            Keller sowie zwei Stellvertreter ge-           und einem führenden Netzwerkspe-
            hörten dem ersten Direktorium an.              zialisten. Seine Kenntnisse und Fä-    Am 20. Oktober 1910 starb Gustav
            Zum 1. Januar 1880 wechselte Gu-               higkeiten waren stark nachgefragt,     Hartmann im Sanatorium Ebenhau-
            stav an die Spitze des Aufsichtsrates          so dass er in verschiedene Gremien,    sen bei München. Nachrufe in groß-
            und leitete diesen bis zu seinem               Vereine und Aufsichtsräte – 1906       en Zeitungen sowie Traueranzeigen
            Tod 1910. Damit bestimmte er 40                hielt er 13 Aufsichtsratsmandate –     zahlreicher Unternehmen, mit de-
            Jahre die Geschicke des Unterneh-              berufen wurde, nicht ohne dass die-    nen er verbunden war, würdigten
            mens und führte es durch stetiges              ser Einfluss wieder der Sächsischen    sein Andenken und beklagten den
            Wachstum zu weiteren Erfolgen. Es              Maschinenfabrik AG zugutekam.          schweren Verlust für die deutsche
            wurde die auf Jahre größte Maschi-                                                    Industrie. 7.000 Menschen sollen
            nenbauanstalt Sachsens, gemessen               Belege für dieses Engagement sind      Gustav Hartmann am 24. Oktober
            an Beschäftigtenzahlen, Produktivi-            u. a. sein Wirken in der Mitteldeut-   das letzte Geleit durch die Chem-
            tät und Fläche. Beispielhaft für das           schen Gruppe des Vereins Deutscher     nitzer Innenstadt bis zum Neuen
            Wachstum in allen Bereichen waren              Eisen- und Stahlindustrieller, seine   Friedhof gegeben haben, wo er im
            die Vergrößerung der Produktions-              Rolle bei der Sanierung der Lauch-     Familiengrab beigesetzt wurde.
            stätten und –anlagen, die Erschlie-            hammer AG, seine Tätigkeit als Auf-
            ßung neuer Absatzmärkte durch                  sichtsrat und Direktor der Dresdner
            Entsendung von Vertretern oder ei-             Bank sowie die Mitgründung der
            gene Reisen Gustav Hartmanns und               Russischen Gesellschaft der Ma-
            die Fortsetzung der Sozialfürsorge             schinenbaubetriebe Hartmann in
            für die Arbeiterschaft.                        Lugansk.
                                                           Eine besondere Bedeutung kommt
            Sein Wirken blieb jedoch nicht auf             der Verbindung Gustav Hartmanns
            die eigene Stellung innerhalb des              mit der Familie und Firma Krupp
            Familienunternehmens begrenzt.                 in Essen zu. Zuerst nur geschäft-
            Gustav Hartmann investierte neben              lich miteinander verbunden, ent-
            Kapital auch Arbeitskraft und Wis-             wickelten sich zwischen ihm und
                                                           Friedrich Alfred Krupp, Sohn des
                                                           Firmengründers      Alfred    Krupp,
                                                           freundschaftliche und später ver-
                                                           wandtschaftliche       Beziehungen.
                                                           Eine wichtige Aufgabe fiel ihm mit
                                                           dem frühen Tod Krupps 1902 zu.
                                                           Dieser hatte testamentarisch fest-
                                                           gelegt, dass nach seinem Ableben
                                                           die Firma in eine Aktiengesellschaft
                                                           umzuwandeln sei. Gustav wurde zu
                                                           einem von zwei Testamentsvollstre-
                                                           ckern bestellt. Von 1903 bis 1909
                                                           stand er zudem an der Spitze des
                                                           Aufsichtsrates der Fried. Krupp AG.

                                                           Für seine Verdienste auf dem Wirt-
                                                           schafts- und Finanzsektor wurde
                                                           Gustav Hartmann vielfach geehrt.
                                                           So erhielt er 1903 den Titel eines
                                                           Königlich-Sächsischen Geheimen
                                                           Kommerzienrates und 1909 verlieh
                                                           ihm die Königlich-Sächsische Tech-
            Pokal, Russische Gesellschaft der Maschinen-   nische Hochschule zu Dresden in        1
                                                                                                      Familienarchiv Hügel 4 C 276, Bl. 24-25
            baubetriebe Hartmann in Lugansk, 1898          Anerkennung seiner Verdienste um

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              Louis Ferdinand Schönherr (1817-1911)
              Louis F. Schönherr gründete eine der bedeutendsten Textilmaschinenfabriken in Chemnitz und lieferte tau-
              sende Webstühle nach Sachsen, Deutschland und Europa. Sein Werk wurde unter der Leitung seiner Söhne
              Max und Paul als Aktiengesellschaft fortgeführt und gehörte auch von 1945 bis 1990 als VEB Webstuhlbau
              zum festen Bestandteil des Textilmaschinenbaus der Stadt Chemnitz. Heute erinnern vor allem seine immer
              noch funktionsfähigen Webstühle, die Schönherr Weba GmbH auf dem Gelände seiner ehemaligen Fabrik
              und nach ihm benannte Straßen in Chemnitz und Plauen an den Textilmaschinenbauer von Weltruf.

                 Karin Meisel
              Die Kindheit in Plauen
              Louis F. Schönherr wurde am
              22. Februar 1817 in Plauen als
              jüngstes von acht Kindern in eine
              Weberfamilie hineingeboren. In
              seinem Geburtsjahr standen die
              deutschen Weber vor großen He-
              rausforderungen; durch den Fall der
              Kontinentalsperre strömten eng-
              lische Waren ungehindert ins Land.

              Der Vater Christian Wilhelm Schön-
              herr war Meister der Zeug-, Lei-
              nen- und Wollweberei. Er verkaufte
              mit einem kleinen Hundefuhrwerk
              seine Waren im Umland und bis ins
              angrenzende Böhmen. Die Mutter
              Johanne Magdalene Riedel ent-             Porträt Louis
              stammte einer Müllerfamilie.              Schönherr,
                                                        Gemälde von Hugo
              Die Familie lebte in bescheidenen         Schimmel, um 1900
              Verhältnissen.

              Louis F. Schönherr war kaum ein Jahr      Rolle bei der Ausbildung von Louis     Die Ausbildung und erste
              alt, als sein Vater für die Familie ein   einnehmen. Er hatte nach Abschluss     Schritte in die Selbständigkeit
              kleines zweigeschossiges Wohnhaus         seiner Lehre auf Wanderschaft und
              mit Gärtchen vor den Toren von            Reisen nach Österreich, Italien, in    Als Zwölfjähriger folgte Louis Fer-
              Plauen erwerben konnte. Der Web-          die Schweiz, nach Frankreich und       dinand seinem Bruder Christian
              stuhl der Eltern stand in der oberen      England umfangreiche Erfahrungen       Wilhelm nach Chemnitz und ar-
              Etage. In zwei Räumen im Erdge-           gesammelt, die sich in seinen Ideen    beitete zunächst in der Werkstatt
              schoss befand sich eine Werkstatt.        und Arbeiten niederschlugen. Louis     von Friedrich Georg Wieck. 1829
              Die finanziellen Mittel der Familie       musste schon als Neunjähriger zum      wurde Louis F. Lehrjunge in der
              reichten nur für die einfachste Aus-      Lebensunterhalt der Familie beitra-    Maschinenfabrik von Carl Gottlieb
              stattung der kleinen Arbeitsstätte, in    gen, er war Hütejunge und ging spä-    Haubold, einem der Pioniere des
              der sich sowohl der Vater als auch        ter seinen Brüdern mit Hilfsarbeiten   Chemnitzer Maschinenbaus. 1832
              die beiden älteren Brüder Christian       in der Werkstatt zur Hand. Vermut-     wechselte Christian Wilhelm eben-
                                                                                                                                            Fotos: Archiv Indusrriemuseum

              Wilhelm und Friedrich August mit          lich wurden hier die Grundlagen für    falls in das Unternehmen von Carl
              Verbesserungen an den Webstühlen          seine weitere Entwicklung gelegt.      Gottlieb Haubold, auf dessen Ge-
              beschäftigten. Wahrscheinlich för-        Die Eltern starben beide in Plauen.    lände sollte Jahre später die eigene
              derten gerade diese Bedingungen           Die Mutter wurde 74 Jahre alt. Der     Fabrik Louis Ferdinand Schönherrs
              die Kreativität der Schönherr-Brüder.     Vater verstarb im Alter von 86 Jah-    entstehen. In der Hauboldschen
              Vor allem der 15 Jahre ältere Chri-       ren, er erlebte noch den Beginn der    Fabrik und der Sächsischen Ma-
              stian Wilhelm sollte eine besondere       Erfolgsgeschichte seines Sohnes mit.   schinenbau-Compagnie begannen

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            Maschinenfabrik Schönherr & Seidler in Chemnitz, um 1856

            neben Schönherr auch andere, spä-               wurden die Webstühle in England,       Webstuhlbau ein und beauftragte
            ter sehr erfolgreiche Chemnitzer                Frankreich, Österreich, Sachsen und    Christian Wilhelm mit deren Aufbau
            Maschinenbauunternehmer          wie            weiteren deutschen Staaten paten-      und Leitung. Er übertrug hier er-
            Richard Hartmann, Constantin Pfaff              tiert. Musterstühle zur Ansicht und    folgreich die Konstruktion der Web-
            und Johann Zimmermann ihr Wir-                  Probenutzung in Chemnitz halfen,       stühle auf Tuchwebstühle. Er erhielt
            ken. Im Anschluss an die vierjährige            Vorurteile den neuen Webstühlen        dafür viel Lob, leider ohne die ent-
            Lehrzeit erhielt Louis ab 1833 durch            gegenüber abzubauen und den Ver-       sprechenden Verkaufserfolge. Nach
            die Vermittlung von Bruder Wilhelm              trieb weiter zu fördern. Die Gewer-    drei Jahren schieden die Brüder
            ein Stipendium des sächsischen                  beausstellung 1840 in Dresden prä-     wieder aus dem Unternehmen aus
            Staates für ein zweijähriges Studi-             sentierte die auf den Webstühlen       und ihre Lebenswege trennten sich.
            um an der Technischen Bildungsan-               hergestellten Stoffe. Man lobte die
            stalt in Dresden.                               Webstühle für ihren ruhigen Gang,      Louis F. wechselte 1844 ins Eisen-
                                                            die Leichtigkeit in der Bewegung,      werk Erla bei Schwarzenberg. Auch
            Am 6. März 1837 erhielten Chri-                 das „hübsche“ Äußere und auch den      in diesem Unternehmen baute er
            stian Wilhelm und seine beiden                  Bau ganz aus Eisen. Im Gewerbe-        drei Jahre lang Webstühle. Vor
            Brüder eine Konzession zur Ein-                 blatt für Sachsen erfolgte eine aus-   allem entwickelte er den Tuch-
            richtung einer Weberei und Ma-                  führliche Darstellung.                 webstuhl weiter. Leider blieb der
            schinenfabrik in der Rittergutmühle                                                    wirtschaftliche Erfolg noch immer
            von Niederschlema. Dort tüftelten               In dieser Zeit unternahm Louis F.      aus. In der deutschen Öffentlichkeit
            die Schönherr-Brüder weiter an                  eine zweijährige Reise nach Eng-       allerdings erlangte der junge Kon-
            der Verbesserung der Webstühle.                 land, um in Leeds und Manchester       strukteur Aufmerksamkeit. In Erla
            Durch Einsatz von Eisenguss ver-                40 dieser Webstühle aufzubauen.        reifte der Plan, 1848 in Dresden
            loren die neuen Webstühle zwar                  Er sammelte dabei Kenntnisse über      eine neue Fabrik zu gründen. Durch
            ihre Tauglichkeit für die Hausindu-             Geschäftsabläufe in englischen Un-     die revolutionären Unruhen1848/49
            strie, jedoch wurden dadurch die                ternehmen und Erfahrungen über         zogen sich jedoch Finanziers zu-
            Voraussetzungen für den Einsatz                 die Arbeitsweise der bis zu dieser     rück. Völlig mittellos ging Louis F.
            in Fabriken geschaffen. Noch wa-                Zeit weltbesten Webmaschinen. Bei      ins Elternhaus nach Plauen zurück
            ren die Webstühle relativ klein und             seiner Rückkehr war der Betrieb in     und wurde für seine Verdienste als
            sollen deshalb von den Engländern               Niederschlema fast zum Erliegen        Plauener Stadtverordneter gewählt.
            als „Nürnberger Spielzeug“ bezeich-             gekommen. Die Brüder Wilhelm und
            net worden sein. Durch Verkäufe an              Louis kehrten deshalb 1841 zurück      Schon 1849 zog es Louis F. wieder
            Unternehmen in Sachsen, im Rhein-               nach Chemnitz und fanden Anstel-       nach Chemnitz. Er nahm eine An-
            land, in Schlesien und in Russland              lung in der Sächsischen Maschinen-     stellung bei Richard Hartmann als
            stellten sich endlich erste beschei-            bau-Compagnie. Das Unternehmen         Akkordmeister im Webstuhlbau an
            dene finanzielle Erfolge ein. Zudem             richtete eine Abteilung für den        und brachte hier die wichtigsten

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                                                                                             verschiedene Nebengebäude und
                                                                                             auch die ehemalige Hauboldsche
                                                                                             Gießerei.

                                                                                             Bereits 1857 schied Ernst Seidler
                                                                                             mit einer Abfindung von 30.000 Ta-
                                                                                             lern als anteiligem Gewinn aus der
                                                                                             Firma aus. Louis F. Schönherr führte
                                                                                             das Unternehmen von nun an unter
                                                                                             der Bezeichnung „Webstuhlfabrik
                                                                                             Louis Schönherr“ allein weiter. Die
                                                                                             Geschäfte liefen sehr gut, der Ab-
                                                                                             satz der Webstühle erhöhte sich und
                                                                                             die Beschäftigtenzahlen stiegen.
                                                                                             Das Produktportfolio wurde um
                                                                                             Buckskin-Webstühle erweitert, so
                                                                                             konnten auch die gefragten gemu-
              Schönherr in Thossfell                                                         sterten Stoffe hergestellt werden.
                                                                                             Die ersten beiden Buckskin-Web-
              Verbesserungen am Tuchwebstuhl         Jahres an Unternehmen in Chem-          stühle lieferte Schönherr Anfang
              zum Abschluss. Die Konstruktion        nitz und der Region geliefert und       1862 aus. Im gleichen Jahr kaufte
              wurde in einem Patent vom 19. Juni     bereits nach neun weiteren Mona-        er das Fabrikgelände und begann
              1850 auf fünf Jahre für Sachsen        ten konnte der 100. Webstuhl ge-        mit umfangreichen Um- und Neu-
              geschützt. Richard Hartmann durf-      liefert werden. Untersuchungen der      bauten. Die Energie wurde nun-
              te die von Schönherr entwickelten      Eintragungen im Webstuhlregister        mehr nicht nur durch Wasserkraft,
              Webstühle laut Vertrag nachbau-        zeigen u. a., dass ein Großteil der     sondern auch mittels Dampfkraft
              en. Louis F. Schönherr erhielt dafür   Webstühle in das heutige Nordr-         erzeugt. Vorhanden waren 463
              eine Patentprämie pro Webstuhl.        hein-Westfalen (39 %) und ins Aus-      Arbeitsmaschinen zum Schleifen
              Offenbar nach Patentstreitigkeiten     land (32 %) geliefert wurde. Unter-     und Schmirgeln, Fräsen und Ho-
              entschied sich Schönherr Ende 1851     nehmer aus England gehörten nicht       beln, Drehen und Bohren, dazu 32
              zur Gründung einer eigenen Fabrik.     zu den Käufern. In Sachsen verblie-     Schmiedefeuer.
                                                     ben nur reichlich 14 % der Erzeug-
              Das eigene Unternehmen                 nisse, ein Drittel davon in Chemnitz.   1869 machte die als Sächsischer
                                                     Es zeigte sich, dass die Unternehmer    Eisenbahnkrieg in die Geschichte
              Gemeinsam mit Ernst Seidler, dem       im Ruhrgebiet und im Ausland die        eingegangene Auseinandersetzung
              Prokuristen aus der Fabrik von         teuren Tuchwebstühle beim Kauf          mit Richard Hartmann Schlagzeilen.
              Richard Hartmann, gründete Louis       bevorzugten. Die preiswerten Zeug-      Richard Hartmann hatte 1847 mit
              F. Schönherr am 2. November 1851       webstühle wurden überwiegend in         dem Bau von Lokomotiven begon-
              die Maschinenfabrik Schönherr &        der Region verkauft.                    nen, obwohl Chemnitz noch über
              Seidler. Sie bezogen gemietete Räu-                                            keinen eigenen Eisenbahnanschluss
              me der früheren Kühnschen Fabrik       Bei den steigenden Produktions-         verfügte. Bei der Eröffnung der er-
              in Altchemnitz und erhielten die       zahlen wurden die Räume in der          sten Eisenbahnlinie 1852 war die
              Konzession zum Betrieb einer Ma-       Kühnschen Fabrik nach zwei Jahren       Innenstadt in Richtung Bahnhof be-
              schinenbauwerkstatt, einer Eisen-      zu klein und die beiden Geschäfts-      reits so dicht bebaut, dass keine di-
              gießerei mit drei Kupolöfen sowie      führer suchten nach größeren            rekte Anbindung vom Werksgelände
              die Erlaubnis zur Angliederung einer   Räumlichkeiten. Sie mieteten einen      Hartmanns an die neu entstandenen
                                                                                                                                           Fotos: Archiv Industriemuseum

              Maschinenweberei. Diese diente ne-     Teil des Geländes der ehemaligen        Bahnlinien möglich war. Hartmann
              ben der praktischen Erprobung der      Sächsischen Maschinenbau-Com-           musste seine Lokomotiven mit Pfer-
              Webstühle auch zur Ausstellung der     pagnie. Dieses hatte 1852 der Kauf-     defuhrwerken zum Bahnhof trans-
              hergestellten Erzeugnisse für poten-   mann Louis Benndorf für 50.000          portieren. Dies bedeutete einen
              zielle Kunden. Sie starteten mit zu-   Taler erworben und den ersten           immensen finanziellen und logisti-
              nächst 20 Arbeitern. Die ersten drei   Gewerbepark in Chemnitz einge-          schen Aufwand. Er strebte deshalb
              Webstühle wurden innerhalb eines       richtet. Zu dieser Zeit umfasste das    einen Eisenbahnanschluss in Rich-

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            tung Glösa an. Louis F. Schönherr
            verweigerte jedoch den Gleisbau auf
            seinen Grundstücken und konnte
            auch deren Enteignung verhindern.
            Gründe für diese Entscheidung wa-
            ren die gerade fertiggestellten Um-
            bauten auf seinem Fabrikgelände,
            aber auch die Erinnerung an sein in
            Unfrieden von statten gegangenes
            Ausscheiden aus dem Unternehmen
            von Hartmann. Dieser scheiterte mit
            seinem Ansinnen und musste seine
            Lokomotiven bis zu seinem Lebens-
            ende mit Pferd und Wagen zum
            Bahnhof transportieren.

            Das Unternehmen zwischen
            1872 und 1945
                                                    Zeugwebstuhl, Baujahr 1902, Sammlung Industriemuseum
            1872 schied Louis F. Schönherr aus
            der aktiven Geschäftsführung aus.       Turbulenzen, Aufschwünge und Kri-             Das Unternehmen ab 1945
            Seine Söhne Max Louis und Paul          sen mit sich. Man reagierte in der            bis heute
            führten sein Lebenswerk fort. Un-       Weltwirtschaftskrise auf die ver-
            ter der Leitung von Max Louis er-       änderte wirtschaftliche Situation             Die Zerstörungen auf dem Werks-
            folgte 1872 die Umwandlung des          durch verstärkte Zusammenarbeit               gelände im 2. Weltkrieg fielen im
            Unternehmens in eine Aktiengesell-      mit anderen Firmen gleicher Sparte.           Vergleich zu anderen Chemnitzer
            schaft mit einem Stammkapital von                                                     Fabriken moderat aus. Nach der
            1.000.000 Talern. Sie firmierte unter   Am 22. Juni 1932 unterzeichneten              vollständigen Demontage der Fir-
            dem Namen „Sächsische Webstuhl-         Bevollmächtigte der Textilmaschi-             ma begann mit 70 Beschäftigen
            fabrik AG zu Chemnitz (vormals          nenbauunternehmen Sächs. Textil-              der Wiederaufbau. Bereits 1948
            Louis Schönherr)“.                      maschinenfabrik AG (vorm R. Hart-             war die Beschäftigtenzahl auf 450
                                                    mann) Chemnitz, Carl Hamel AG,                angewachsen und die Weiterent-
            Louis F. Schönherr übernahm den         Schönau, Sächs. Webstuhlfabrik AG             wicklungen an den Webmaschinen
            Vorsitz des Aufsichtsrates. Sohn        (vorm L. Schönherr) Chemnitz und              hatten begonnen. Der erste kom-
            Max Louis gehörte dem Vorstand          Textilmaschinenfabrik und Eisen-              plett neue Webstuhl verließ 1950
            bis 1930 an. Paul trat 1893 als Kon-    gießerei Kettling & Braun, Crimmit-           den Betrieb. Seit 1. Januar 1952
            strukteur in das Unternehmen ein.       schau einen Vertrag über die Bil-             gehörte der VEB Webstuhlbau zur
            Später war er Prokurist und ab 1902     dung einer Interessengemeinschaft             Vereinigung Volkseigener Betriebe
            Vorstandsmitglied.                      der Textil-Maschinen-Compagnie                Textima, später zum VEB Kombinat
                                                    (TeMaCo).                                     Textima. Mit der Verstaatlichung
            1880 wurde die Produktion von                                                         1952 schieden die letzten Familien-
            Webstühlen zur Herstellung von          Wieder veränderte sich das Pro-               mitglieder aus den Leitungsgremien
            Teppichen und Möbelstoffen auf-         duktionsprofil in der Sächsischen             des Unternehmens aus.
            genommen. Im Jahr 1912 stellte          Webstuhlfabrik AG: ab 1932 lieferte
            das Unternehmen 84 verschiedene         die Firma zweischützig arbeitende             Nach 1990 wurde der VEB zur
            Webstühle her, die weltweiten           Doppelteppichwebstühle aus, deren             Chemnitzer Webmaschinen GmbH
            Absatz fanden. Die Beschäftig-          Konstrukteur Paul Schönherr war.              umgewandelt. Die Beschäftigten-
            tenzahlen stiegen weiter auf etwa       Im Zweiten Weltkrieg wurden im                zahl wurde von etwa 1.600 auf
            1.400. Im Jahr 1902 erhielt die         Unternehmen auch Kriegsprodukte,              etwa 800 reduziert. 1992 kaufte
            Firma einen direkten Eisenbahnan-       wie Granaten, Rohre für Panzerab-             zunächst ein Schweizer Unter-
            schluss.                                wehrraketen, Minenstühle u. a. her-           nehmen das Werk, welches 1994
            Die Jahrzehnte zwischen Erstem          gestellt.                                     von der österreichischen Ventana
            Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und                                                   Gruppe übernommen wurde, die
            Zweitem Weltkrieg brachte viele                                                       mit Umstrukturierungen begann. Es

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             Museumskurier 39|2017

              Familie Schönherr - Louis Schönherr, seine erste Ehefrau Johanne Christiane und ihre 12 Kinder:
              hinten stehend v. r. Woldemar, Lydia, Max, Bertha, Robert, Fanny, Willie, vorn sitzend v. r. Curt,
              Rudolf, Louis Schönherr, Paul, Hans, Frau Christiane, ganz vorn Johanna, um 1866

              wurden drei Tochterunternehmen                      für kurze Zeit nach Dresden. Aus
              gegründet: die Schönherr Metall-                    dieser Ehe gingen zwei Kinder her-
              verarbeitung GmbH (Gießerei), die                   vor. Mit 64 Jahren wurde er Vater
              Schönherr Webstuhlbau GmbH und                      einer unehelichen Tochter. Nach
              die Schönherr Teilefertigung GmbH.                  Informationen der heute noch le-
              1998 setzte die Umnutzung und                       benden Nachfahren arbeitete deren
              Entwicklung des Gewerbestand-                       Mutter als Hauslehrerin in der Heil-
              ortes Webstuhlbau ein, unterstützt                  anstalt Oberwaid bei Sankt Gallen.
              durch Fördermittel des URBAN-Pro-                   Im Sommer 1885 hatte Louis F.
              grammes und Eigenmitteln der Stadt                  Schönherr seinen Wohnsitz in das
              Chemnitz. Seither entstand auf dem                  nordöstlich von Plauen gelegene
              ehemaligen Schönherrschen Areal                     Rittergut Thoßfell verlegt. Es wur-
              der Gewerbepark Schönherr Weba                      de sein Alterssitz und gleichzeitig
              GmbH mit derzeit etwa 120 Mietern                   Rückzugsort für seine ganze Fami-
              bzw. Firmen und 1.400 Mitarbei-                     lie. Der rechte Flügel des Gutes be-
              tern, dessen neunter Bauabschnitt                   herbergte eine Maschinenbauwerk-
              2017 zum Abschluss gebracht wird.                   statt, so dass er bis ins hohe Alter
                                                                  an der weiteren Verbesserung an                  Meisel, Karin; Schaller, Barbara:
                                                                                                                                                                         Fotos: Günter Schaefer (r.), Archiv Industriemuseum (l.)

              Louis F. Schönherrs Familie                         Webstühlen arbeiten konnte. We-                  Louis Ferdinand Schönherr – 1817-
                                                                  nige Tage vor Vollendung seines                  1911 : Textilmaschinenbauer von
              Louis F. Schönherr heiratete 1842                   94. Lebensjahres verstarb Louis F.               Weltruf. – Chemnitz : Verlag Hei-
              die erst 16jährige Tochter eines                    Schönherr am 8. Januar 1911 auf                  matland Sachsen, 2017. – 63 Seiten :
              Fleischermeisters und Schankwirts,                  seinem Gut in Thoßfell. Die Beiset-              Illustrationen
              Johanne Christiane Wendler. Bis zu                  zung des Hochgeehrten fand unter                 Chemnitzer Lebensbilder; 13
              ihrem Tod im Februar 1869 brachte                   großer Anteilnahme im Erbbegräb-                 ISBN: 978-3-910186-96-5
              sie dreizehn Kinder zur Welt, zwölf                 nis auf dem Chemnitzer Schloß-                   Preis: 12,95 Euro
              davon erreichten das Erwachsenen-                   friedhof statt.
              alter.
              Einige Jahre nach dem Tod sei-
              ner ersten Frau heiratete Louis F.
              Schönherr ein zweites Mal und zog                                                                    Quellennachweise liegen der Redaktion vor.

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