Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt

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Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
1. QUARTAL   DAS MAGAZIN DER

2018         KASSENÄRZTLICHEN
             BUNDESVEREINIGUNG

Mauern
überwinden
Wie sich sektorenübergreifend die
Versorgung sichern lässt

   Mission Zukunftspraxis      Interview mit Dr. Gaß, DKG      Gesundheit anderswo
Ideenwettbewerb um           „Wir sollten nicht auf         Polen: Grundversorgung
digitale Lösungen            Abgrenzung setzen. “           in Gefahr
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
Editorial

    KBV Klartext
    Das Magazin der Kassenärztlichen
    Bundesvereinigung

    Erscheinungsweise:                                             Liebe Leserin, lieber Leser,
    vierteljährlich

    Herausgeber:                                                  die intersektorale Versorgung bietet Chancen, die heute noch
    Kassenärztliche Bundesvereinigung                             zu wenig genutzt werden. Wenn wir auch in strukturschwachen
    Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvor-
    sitzender der KBV, V.i.S.d.P.)                                Gegenden Deutschlands wohnortnah medizinische Angebote
                                                                  erhalten wollen, müssen wir der gemeinsamen Versorgung eine
    Redaktion:
    Alexandra Bodemer (Chefredakteurin),                          größere Bedeutung beimessen. Dazu gehört auch die (Teil-)
    Meike Ackermann, Nicolas Ebert, Sarah
    Weckerling, Corina Glorius, Filip Lassahn
                                                   Umwandlung von Krankenhäusern in ambulante Zentren mit teilstationären
                                                   Angeboten (ab Seite 4).
    Redaktionsbeirat:
    Dr. Roland Stahl
                                                   „Das Grundprinzip, sektorenübergreifend zu denken und Ressourcen zusam-
    Redaktionsanschrift:
    Kassenärztliche Bundesvereinigung
                                                   menzuführen, ist ein Modell, an dem wir zukünftig gar nicht mehr vorbeikom-
    Redaktion Klartext                             men“, sagt auch der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr.
    Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin
    Tel.: 030 4005-2205                            Gerald Gaß. Im Interview kritisiert er außerdem eine „dramatische Überregulie-
    Fax: 030 4005-2290                             rung“ (ab Seite 20).
    E-Mail: redaktion@kbv.de
    www.kbv.de
                                                   Der Innovationsfonds fördert besondere Projekte, um die Versorgung weiter-
    Gestaltung:
    KloseDetering, Hamburg                         zuentwickeln. Voraussichtlich wird er das auch über das Jahr 2019 hinaus tun.
                                                   Doch was ist seit seiner Einführung im Jahr 2016 bereits geschehen? Wir haben
    Druck:
    Druckerei Kohlhammer, Stuttgart                eine Zwischenbilanz gezogen (ab Seite 10).
    Fotos:
    Titel: © iStock.com/erhui1979/Klose-           Innovativ sind auch die Projekte Zukunftspraxis und KV Digital der KBV und
    Detering > S. 2: © Lopata/axentis.de > S. 3:   ihres Tochterunterunternehmens KV Telematik. Die KBV lässt ausgewählte Ent-
    © iStock.com/erhui1979; Nicolas Ebert > S.
    4: © iStock.com/erhui1979/KloseDetering >      wickler und Start-ups an ihrem Know-how des KV-Systems teilhaben. Außerdem
    S. 5: © iStock.com/PeopleImages > S. 6:
    © iStock.com/sturti > S. 7: © iStock.com/
                                                   ermöglicht sie ihnen, ihre Produkte unter realen Bedingungen in Arztpraxen zu
    AndreyPopov > S. 8: © BNHO e. V. > S. 9:       testen. Im März fand eine erste Auswahlrunde statt (ab Seite 13).
    © iStock.com/Wavebreakmedia > S. 10:
    © iStock.com/treety > S. 13: © Nicolas Ebert
    > S. 14: © Meike Ackermann > S. 15-16:         Zu viel staatlicher Einfluss auf ein Gesundheitssystem hilft weder den Ärzten
    © Nicolas Ebert > S. 17: © picture alliance/
    PantherMedia; dpa > S. 18-20: © Alexandra      noch den Patienten. Das zeigt in dieser Ausgabe die Serie „Gesundheit anders-
    Bodemer > S. 22: © Alexandra Bodemer >         wo“. Der Blick in unser Nachbarland Polen verdeutlicht, wie gut wir es hier in
    S. 23-25: © Sarah Weckerling > S. 26:
    © iStock.com/scanrail > S. 27: © iStock.       Deutschland tatsächlich haben (ab Seite 28).
    com/Anastasiia_New > S. 28 © picture
    alliance/NurPhoto > S. 30: © picture
    alliance/ZUMA Press                            Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre.

                                                   Ihr Dr. Andreas Gassen,
                                                   Vorsitzender des Vorstandes

          www.twitter.com/kbv4u                            KBV Klartext
                                                                                                       Die App KBV2GO!
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2   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
Inhalt

Titel                                       Themen                                    Interview
                                            10   Innovationsfonds: Zwischenbilanz     20   DKG-Präsident Gaß will nicht auf
4 Grenzen                                        des Förderprogramms                       Abgrenzung setzen

überwinden: Mit                             13   Zukunftspraxis: Testlabor für
intersektoralen Zentren                          digitale Angebote
                                                                                      Gesundheit anderswo
Versorgung sichern                          18   Vertreterversammlung: Lösungen
                                                 statt Scheindebatten                 28   Polen: Wie Staatsmedizin die
                                                                                           Versorgung gefährdet
                                            26   Bericht aus Brüssel: EU-weite
                                                 Standard-Nutzenbewertung
                                                 soll kommen
                                                                                      Kurz gefasst
                                                                                      9    Meldungen aus dem Bund
                                            Reportage aus den KVen
                                                                                      17   Meldungen aus den Ländern
                                            23   Thüringen: Niederlassungstag macht
                                                 fit für die Praxis                   31   Angeklickt und aufgeblättert

          Beim 1. KV-Digital-Pitching-Day
            bewarben sich Start-up's um
                               Förderung.

                                                                                                     KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   3
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
TITEL

    Gemeinsam Grenzen
    überwinden
    In der intersektoralen Versorgung liegt viel Potenzial, vor allem in Gegenden, in denen
    Krankenhäuser mangels Wirtschaftlichkeit und medizinischer Notwendigkeit schließen
    müssen. Die Umwandlung solcher Häuser in Zentren, in denen Niedergelassene und
    (ehemalige) Klinikärzte gemeinsam arbeiten können, wäre ein Beitrag zum Abbau der
    Sektorengrenzen und zum Erhalt der wohnortnahen Versorgung.

4   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
D         ie Mauer muss weg! Diese oft
          skandierte Forderung vieler
          DDR-Bürger aus der Vorwende-
zeit ging 1989 in Erfüllung. Im deutschen
Gesundheitswesen verläuft im Jahr 2018
                                              rung voran. Nicht alle Krankenhäuser sind
                                              diesen neuen Herausforderungen gewach-
                                              sen. Gerade bei kleinen Häusern mit wenig
                                              spezialisiertem Angebot stellt sich zudem
                                              die Frage nach der Qualität der Versor-
                                                                                             Sorgenfall sind kleinere Krankenhäuser
                                                                                             in ländlichen Regionen, die wirtschaftlich
                                                                                             aus sich heraus nicht überlebensfähig und
                                                                                             daher von der Schließung bedroht sind.
                                                                                             Ein Beispiel, das es jüngst in die überre-
immer noch eine „Mauer“ – wenn auch           gung. So hatten im Jahr 2012 35 Prozent        gionale Berichterstattung schaffte, ist das
weniger martialisch und nur bildlich          der Plankrankenhäuser keinen Computer-         Krankenhaus im sachsen-anhaltinischen
gesprochen – zwischen den Sektorengren-       tomografen und 18 Prozent keine Intensiv-      Genthin. Das Haus mit 150-jähriger
zen. Diese ist zwar im Lauf der Jahre durch   betten. Dennoch leistet sich Deutschland       Geschichte verfügte zuletzt noch über
diverse gesetzliche Maßnahmen immer           nach Zahlen der OECD eine Bettenzahl           35 Betten. Nun muss es schließen. Ein
durchlässiger geworden. Allerdings funk-      auf Rekordniveau – mit entsprechenden          Schritt, über den Politiker und Einwohner
tioniert diese Durchlässigkeit vor allem in   Überkapazitäten. „Ziel einer modernen          vor Ort natürlich nicht glücklich sind. Aus
eine Richtung: Die Krankenhäuser und de-      Versorgungsplanung kann nicht sein,            Sicht der KBV sollte in solchen Fällen die
ren Institutionen sind verstärkt ambulant     die Bettenzahl X vorzuhalten. Ziel muss        Frage erörtert werden, wie ein Standort,
unterwegs, sei es in Form klinikeigener       ein vernünftiger und sinnvoller Ressour-       gegebenenfalls samt der vorhandenen und
Medizinischer Versorgungszentren, beim        ceneinsatz sein. Das wiederum erfordert,       oft teuren Infrastruktur sowie Arbeits-
ambulanten Operieren, bei Ermächtigun-        die Kapazitäten dem Bedarf anzupassen          plätzen, für die Versorgung in der Region
gen, Institutsambulanzen und derglei-         – und nicht umgekehrt!“, so Gassen. Der        erhalten werden kann. Eine Umwidmung
chen mehr. In umgekehrter Richtung gibt       KBV-Chef kritisiert in diesem Zusammen-        in ambulante oder auch teilstationäre
es vergleichsweise wenige Tätigkeiten,        hang auch eine finanzielle Fehlallokation:     Angebote – eben intersektorale Zentren –
die den Niedergelassenen einen „Pas-          „Eine Milliarde Euro im Jahr sind es, die in   wäre die Lösung.
sierschein“ gewähren: als Honorararzt, bei    den Krankenhausstrukturfonds gesteckt
der sogenannten Besonderen Versorgung         werden. Ich würde das eine aussichtslose       Konkret könnte das so aussehen: Nieder-
nach Paragraf 140a SGB V, in Praxisklini-     Reanimation nennen“, sagte er auf der          gelassene Ärzte nutzen ehemalige Kli-
ken oder als Belegarzt.                       KBV-Vertreterversammlung am 2. März.           nikgebäude oder -räume, um dort Praxen
                                                                                             oder Zweigpraxen einzurichten. Sie bieten
Die Forderung, die Mauer zwischen den                                                        dort operative Eingriffe an, die sowieso
Sektoren zu überwinden, ist nicht neu,                                                       ambulant oder belegärztlich vorgenom-
wird aber immer dringlicher. „Die künst-                                                     men werden, und halten im Hintergrund
liche Trennung zwischen ambulant und          Vor-Ort-Versorgung erhalten                    einige Betten vor, falls etwa ein Patient
stationär ist heutzutage immer schwerer                                                      nach einer OP noch überwacht werden
nachvollziehbar – besonders für die           Tatsache ist: Zu viele Krankenhaus-            muss. Als Erweiterung dazu hält das Zen-
Patienten“, meint der Vorstandsvorsitzen-     standorte mit einem zu breiten Spektrum        trum Betten für das sogenannte „betreute
de der KBV, Dr. Andreas Gassen. Hinzu         und zu wenig Personal liefern sich einen       Schlafen“ vor. Dort können Patienten, die
kommt: Aufgrund des medizinisch-tech-         ruinösen und die Qualität der Versorgung       keiner vollstationären Versorgung, aber
nischen Fortschritts werden immer mehr        beeinträchtigenden Wettbewerb um Pa-           dennoch einer Betreuung bedürfen, bis zu
Leistungen, für die früher ein stationärer    tienten und Ressourcen. Dies meint nicht       72 Stunden bleiben. Die Anzahl der Betten
Aufenthalt nötig war, ambulant in Praxen      nur die KBV, sondern auch der Präsident        würde sich nach dem Bedarf beziehungs-
erbracht. Aus dem gleichen Grund schrei-      der Deutschen Krankenhausgesellschaft          weise der Lage des Hauses richten: In
tet im stationären Bereich die Spezialisie-   (siehe Interview ab Seite 20). Ein anderer     einem dünn besiedelten Landstrich         >

                                                                                                             KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   5
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
TITEL

    wären die Stationen kleiner als in einem        frastruktur geführt habe: „Dort tauchten      Rahmenbedingungen unterstützt wird.
    Gebiet, in dem mehr Menschen versorgt           genau solche Fragen auf: Wer könnte Trä-      Im Gegenteil: Die sogenannte „Versäu-
    werden müssen. „Eine maßgebliche Rolle          ger sein? Kann das die KV machen? Wer         lung“ des Gesundheitswesens – hier die
    wird dabei das regionale fachärztliche          übernimmt nötige Investitionen? Bleibt        Kliniken, dort die Niedergelassenen in
    Angebot spielen, das heißt der Bedarf an        der Budgetdeckel?“ Derlei Unsicherheiten      ihren Praxen – verdankt sich auch der
    Betten, der sich seitens der mit der Einrich-   würden zeigen, wie wichtig es ist, solche     Finanzierungssystematik: Ambulante
    tung kooperierenden Ärzte ergibt“, erläu-       Umwandlungsprozesse frühzeitig anzusto-       Leistungen werden über den Einheitlichen
    tert der stellvertretende KBV-Vorstands-        ßen und zu begleiten, resümierte KBV-         Bewertungsmaßstab (EBM) abgedeckt,
    vorsitzende Dr. Stephan Hofmeister. Als         Chef Gassen: “... und nicht erst, nachdem     stationäre über das DRG-System. „Für das
    Betreiber solcher Einrichtungen kommen          das Krankenhaus geschlossen wurde.“ Die       Interim fehlt die Struktur. Dabei sollte
    aus Sicht des KBV-Vorstands verschiedene        KBV hat ein Gutachten in Auftrag gegeben,     für diese moderne Form der Versorgung
    Player in Betracht, auch eine Kassenärzt-       das die Machbarkeit solcher Umwandlun-        Geld verfügbar sein, weil dadurch teure
    liche Vereinigung (KV). „Wir fordern vom        gen entsprechend regionaler Gegebenhei-       stationäre Strukturen entfallen“, mahnt
    Gesetzgeber das Recht für die KVen, solche      ten analysieren und dabei die konkrete        der stellvertretende KBV-Chef Hofmeister.
    Zentren als Eigeneinrichtungen zu tragen,       rechtliche und finanzielle Ausgestaltung      Diese Mauer zwischen den Vergütungssys-
    zumindest in der Anfangsphase. Mittelfris-      berücksichtigen soll. Die Studie wird von     temen sei auch ein Grund dafür, warum
    tig könnten andere Interessenten überneh-       der Universität Bayreuth durchgeführt und     das Belegarztwesen – gewissermaßen die
    men, etwa die beteiligten Ärzte vor Ort“,       soll bis zum Herbst abgeschlossen sein.       personifizierte intersektorale Versorgungs-
    erklärt Hofmeister. Dass eine frühzeitige                                                     form – zurzeit eher ein Schattendasein
    Planung und finanzielle Absicherung bei                                                       friste, so Hofmeister. „Belegärztliche
    solchen Überlegungen eine wesentliche                                                         Leistungen sind nur über Verträge mit
    Rolle spielt, zeigt das Beispiel Genthin. In                                                  einzelnen Krankenkassen realisierbar. Das
    der Vertreterversammlung der KBV am 2.          Hemmnisse beseitigen                          erschwert es sehr, diese an sich abso-
    März berichtete der Vorstandsvorsitzende                                                      lut sinnvolle und zeitgemäße Form der
    der KV Sachsen-Anhalt, Dr. Burkhard             Die Zentrenlösung ist eine, die in lokalen    Versorgung ‚groß‘ zu denken“, kritisiert
    John, von Gesprächen, die seine KV mit          und regionalen Einzelfällen bereits prak-     Hofmeister. Das Motto „Das Geld muss der
    den ortsansässigen Vertragsärzten über          tiziert, von der Bundespolitik bislang aber   Leistung folgen“ gilt auch hier. Notwendig
    eine mögliche Weiternutzung der Klinikin-       nicht mit entsprechenden gesetzlichen         wäre dafür allerdings, durch die Um-

6   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
strukturierung frei werdende Gelder aus         mal mehr als 30 Kilometer fahren muss,
dem Krankenhausbereich entsprechend             ist hinnehmbar, wenn die Grundversor-         FAZIT
umzuwidmen. Dies muss der Gesetzgeber           gung vor Ort gewährleistet bleibt“, so
den Kassen ermöglichen und die Rah-             Gassen. Die Kommunen dürften ebenfalls
menbedingungen entsprechend ändern.             ein vitales Interesse daran haben, dass       Weniger und dafür besser ausge-
Das Interesse der Krankenkassen an einer        ihren Bürgern eine wohnortnahe Versor-        stattete Kliniken für die intensiv-
solchen Lösung liegt auf der Hand, denn         gung erhalten bleibt. Gleiches gilt für das   medizinische und hochspeziali-
unnötige Krankenhausbehandlungen las-           ärztliche und pflegerische Personal. Für      sierte Versorgung, im Gegenzug
sen die Kosten explodieren. Im Gegenzug         jenes eröffnen sich viele Möglichkeiten:      Abbau ineffizienter stationärer
müssten dafür aber auch die Budgets in          Klinikangestellte können genauso gut          Einheiten und Aufbau ambulanter
der ambulanten Versorgung abgeschafft           in ambulanten Einrichtungen arbeiten.         und teilstationärer Strukturen
werden. Außerdem notwendig: eine über-          Krankenhausärzte könnten mit einem vol-       in Form von Zentren – das ist die
sektorale Bedarfsplanung.                       len oder halben Vertragsarztsitz an einer     Versorgungslandschaft, die das
                                                belegärztlichen Versorgung teilnehmen,        deutsche Gesundheitswesen
                                                Vertragsärzte könnten sich im Gesund-         aus Sicht der KBV zukunftsfest
                                                heitszentrum anstellen lassen. „Das Ganze     machen würde. Andere Länder
                                                soll keine Einbahnstraße sein, sondern fle-   haben diesen Strukturwandel
Keine Einbahnstraße                             xible Versorgungs- und Arbeitsformen für      bereits vorgemacht und damit die
                                                beide Seiten schaffen“, betont Hofmeister.    Sektorengrenzen geöffnet.
Standorte zu erhalten und somit keine
größeren versorgungstechnischen weißen          Eine zentrale Rolle in den Überlegungen
Flecken auf der Landkarte zu riskieren,         der KBV spielt das Belegarztwesen, stellt
müsste eigentlich im Interesse aller liegen.    es doch schon heute ein Bindeglied dar
„Für die Patienten ist die wohnortnahe          zwischen dem ambulanten und stationä-
Versorgung von Alltagserkrankungen              ren Bereich. In der künftigen intersektora-
wichtig. Ob auf dem Schild vor dem              len Versorgung soll die Belegarzttätigkeit
Gebäude dann Klinik oder Ärztezentrum           nicht auf bestimmte Prozeduren und Fach-
steht, ist ihnen letztendlich egal“, ist KBV-   gruppen beschränkt bleiben, sondern wei-
Chef Gassen überzeugt. Und dass eine            ter ausgebaut werden. Auch die Hausärzte
Hüftoperation schon aus Qualitätsgrün-          sollen einen wichtigen Part übernehmen,
den nicht in jedem Provinzkrankenhaus           indem sie beispielsweise die Bettenabtei-
durchgeführt werden sollte, leuchte wohl        lungen der Zentren organisieren.
auch jedem ein: „Dass man für einen
solchen planbaren Eingriff dann auch                                    Alexandra Bodemer

                                                                                                          KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   7
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
TITEL

    Versorgung aus einer Hand
    Gemeinsam mit dem Berufsverband der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen so-
    wie dem Bundesverband der Belegärzte hat die Vertragswerkstatt der KBV ein Konzept zur
    sektorenübergreifenden Versorgung entwickelt. Eine zentrale Rolle spielen Belegärzte.

    K        ern des Konzepts ist, dass Krebspa-
             tienten sowohl in der Praxis als
             auch bei kurzfristigen stationären
    Aufenthalten vom selben Arzt betreut wer-
    den. Dazu sollen Belegärzte sogenannte
                                                   Ansprechpartnern sowie eine lückenlose
                                                   Therapie sicherzustellen. Neben der Team-
                                                   struktur definiert das Konzept weitere
                                                   Anforderungen, etwa hinsichtlich des
                                                   Schnittstellenmanagements und der Qua-
                                                                                                  in Berlin. Der Entwurf der Versorgungsver-
                                                                                                  einbarung soll den Bundesmantelvertrag
                                                                                                  zwischen Ärzten und Krankenkassen als
                                                                                                  Anlage ergänzen und somit allen Versi-
                                                                                                  cherten offenstehen. Voraussetzung dafür
    Kompetenznetzwerke bilden, denen weite-        litätssicherung. Neben dem intensiven kol-     ist allerdings – wie bei allen Versorgungs-
    re Fachleute angehören, etwa onkologisch       legialen Austausch im Team gehören dazu        konzepten der KBV-Vertragswerkstatt –
    qualifizierte Medizinische Fachangestell-      spezifische Fortbildungen, Qualitätszirkel,    dass Krankenkassen sich bereit erkären,
    te, Psychotherapeuten beziehungsweise          die Implementierung verbundspezifischer        das Ganze zu unterstützen.
    Psychoonkologen sowie ein Case Manager.        Behandlungspfade sowie eine elektroni-
    Weitere Hilfsangebote, etwa aus dem            sche Dokumentation. „Mit diesem Konzept
    pflegerisch-sozialen Bereich, sollen eben-     haben wir einen konkreten Vorschlag ent-
    falls einbezogen werden. Das Team mit          wickelt, wie Versorgung aus einer Hand            Weitere Informationen unter:
    den behandlungsführenden Ärzten soll 24        unabhängig von den Sektorengrenzen                www.kbv.de/html/32818.php
    Stunden am Tag erreichbar sein. Ziel ist,      funktionieren kann“, erklärte KBV-Vor-
    eine kontinuierliche Betreuung sowohl          standsvorsitzender Dr. Andreas Gassen am
    ambulant als auch stationär mit festen         17. Januar bei der Vorstellung des Konzepts

                                                   DREI FRAGEN AN ... PROF. STEPHAN SCHMITZ
                                                   VORSITZENDER DER VORSTANDS DES BERUFSVERBANDES DER NIEDERGELASSENEN
                                                   HÄMATOLOGEN UND ONKOLOGEN IN DEUTSCHLAND (BNHO)

                                                   plexen Bedarfs ist es nur folgerichtig, hier   etwa nach einem Klinikaufenthalt eine kri-
                                                   ein qualifiziertes, multiprofessionelles       tische Medikation nahtlos fortgeführt und
                                                   und sektorenübergreifendes Versorgungs-        überwacht werden. Umgekehrt ist eine sta-
                                                   konzept zu etablieren.                         tionäre Aufnahme in Krisenfällen jederzeit
                                                                                                  und ohne Informationsverlust möglich.
                                                   Warum eignet sich dieser Ansatz beson-
                                                   ders für Krebspatienten?                       Wie bewerten Sie die Rolle der Beleg-
    Warum engagiert sich der BNHO für eine                                                        ärzte hierbei?
    sektorenübergreifende Versorgung?              Das Vertrauensverhältnis zur behandeln-
                                                   den Ärztin oder zum behandelnden Arzt ist      Belegärzte sind sozusagen von Natur aus
    Aufgrund des prognostizierten demografi-       besonders wichtig. Eine Krebsdiagnose ist      in beiden Welten, Klinik und Praxis, zu
    schen Wandels erwarten wir einen starken       ein drastischer Lebenseinschnitt. Je nach      Hause. Sie arbeiten sowohl mit niederge-
    Anstieg onkologischer Erkrankungen in          Krankheitsphase zwischen Klinik und Pra-       lassenen Haus- und Fachärzten als auch
    den nächsten Jahren. Eine Krebserkran-         xis „hin- und hergereicht“ zu werden, mit      mit Krankenhäusern zusammen. Deshalb
    kung ist heutzutage jedoch dank des            entsprechend wechselnden Ansprechpart-         sind sie prädestiniert dafür, ein sekto-
    Fortschritts der Medizin kein unausweich-      nern, bedeutet eine zusätzliche Belastung      renübergreifendes Behandlungsteam
    liches Todesurteil mehr, sondern eine          für die Patienten. Die Kontinuität in der      zu leiten und eine Therapie ohne Ver-
    behandelbare chronische Erkrankung             Betreuung über alle Versorgungsebenen          sorgungsbrüche zu gewährleisten. Und:
    mit wiederkehrenden Klinikaufenthalten.        hinweg ist sowohl in psychologischer als       Die Patienten genießen mit ihnen immer
    Gleichzeitig bedarf es neben der rein me-      auch in medizinscher Hinsicht wünschens-       „Chefarztbehandlung“.
    dizinischen oft auch einer psychosozialen      wert. Wenn ein Arzt die Patientin oder den
    Betreuung. Angesichts eines derart kom-        Patienten die ganze Zeit begleitet, kann

8   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
MELDUNGEN AUS DEM BUND

 Ärztemonitor thematisiert
 Gewalt in den Praxen
 Auch 2018 führt die KBV wieder gemeinsam mit dem
 NAV-Virchow-Bund einen Ärztemonitor durch. Dazu
 befragt das Institut für angewandte Sozialwissenschaft
 (infas) von Februar bis Mai netto 11.000 Ärzte und
 Psychotherapeuten telefonisch nach ihren Erfahrungen         Bessere Versorgung für
 im Praxisalltag. Neben den wiederkehrenden Themen
 berufliche Zufriedenheit, Arbeitszeit und Einkommen
                                                              Beatmungspatienten
 werden die Teilnehmer in diesem Jahr zu neuen Themen
 befragt: zu ihren persönlichen Erfahrungen mit Gewalt        Patienten, die zu Hause beatmet werden, sollen künftig
 in der Praxis – sowohl verbal als auch körperlich –, zur     von einer fachübergreifenden und abgestimmten Be-
 Zusammenarbeit mit Kliniken im Rahmen des Entlass-           treuung durch Ärzte und Pflegekräfte profitieren können.
 managements sowie zur Arzt-Patienten-Kommunikation.          Die KBV hat gemeinsam mit dem Bundesverband der
 Der Ärztemonitor ist die bundesweit größte Befragung         Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner ein
 niedergelassener Ärzte und Psychotherapeuten. Die            entsprechendes Versorgungsprogramm erarbeitet. In
 aktuelle Auflage ist bereits die vierte. Der Vergleich der   Deutschland werden immer mehr Patienten außerhalb
 Ergebnisse der Befragungen in den Jahren 2012, 2014          des Krankenhauses beatmet. Schätzungen gehen von
 und 2016 ermöglicht es, Entwicklungen wie auch stabile       rund 15.000 invasiv und einer weit größeren Anzahl
 Muster aufzuzeigen und Probleme zu erkennen. Der Ärz-        nichtinvasiv beatmeter Menschen aus. Für die Zukunft ist
 temonitor bildet somit eine wichtige Grundlage für die       mit einer weiteren Zunahme zu rechnen. Neben Ärzten
 politische Arbeit der KBV. Die Resultate der diesjährigen    sind andere Akteure, etwa spezialisierte Pflegedienste,
 Befragung sollen im Sommer vorliegen. (abo)                  in die Betreuung involviert. Hier setzt das Konzept an:
                                                              Teilnehmende Fachärzte sollen regionale Netzwerke
                                                              schaffen, die eine koordinierte und qualitätsgesicherte
                                                              Behandlung sicherstellen. Ziele sind neben einer höhe-
                                                              ren Lebensqualität der Patienten unter anderem, ihre Ab-
                                                              hängigkeit von künstlicher Beatmung zu reduzieren und
                                                              wiederkehrende Krankenhausaufenthalte zu vermeiden.
                                                              Nähere Informationen gibt es hier:
                                                              www.kbv.de/html/33618.php. (abo)

 Laborreform gestartet
 Die überproportional wachsenden Ausgaben im Labor-
 bereich in den Griff zu kriegen ist das Ziel einer Reform,   Urteil zum Medizinstudium
 deren erste Stufe zum 1. April in Kraft tritt. Dabei haben
 sich die KBV und der Spitzenverband der gesetzlichen         Die Vergabe von Studienplätzen im Fach Humanmedizin
 Krankenversicherung unter anderem auf eine neue Ver-         muss neu geregelt werden. Das hat das Bundesverfas-
 gütungssystematik verständigt. Außerdem sollen stär-         sungsgericht in Karlsruhe in einem Urteil am 19. Dezem-
 kere Anreize für eine wirtschaftliche Veranlassung und       ber vorigen Jahres entschieden. Demnach soll die Verga-
 Abrechnung von Laboruntersuchungen gesetzt werden.           be bis Ende 2019 reformiert werden. Die Bundesländer
 Nach Berechnungen der KBV steigen die Ausgaben für           wollen die Zulassung zum Studium nun per Staatsvertrag
 Laboruntersuchungen jedes Jahr um rund fünf Prozent          regeln, wie die Deutsche Presseagentur berichtete. Ent-
 und damit stärker als die morbiditätsbedingte Gesamt-        scheidungen sind hierzu noch nicht gefallen. Das Gericht
 vergütung. Dies geht zulasten anderer ärztlicher Leis-       hatte das bisherige Verfahren als teilweise verfassungs-
 tungen. Ein Grund für den überproportionalen Anstieg         widrig eingestuft. Dabei hatte es die Beschränkung der
 sind Veränderungen in der Versorgung, etwa im Bereich        Zulassungen nicht grundsätzlich abgelehnt. Allerdings
 der Onkologie. Dem ersten Reformschritt sollen weitere       müsse es standardisierte und strukturierte Verfahren ge-
 folgen. Ziel der KBV ist, statt über Mengenbegrenzungen      ben, beim Auswahlverfahren an den Hochschulen müsse
 über qualitative Vorgaben den Bereich Labor ganz neu         eine Vergleichbarkeit der Abiturnoten über Landesgren-
 auszurichten. (abo)                                          zen hinweg sichergestellt werden. Zurzeit kommen auf
                                                              jeden Studienplatz für Humanmedizin in Deutschland
                                                              fast fünf Bewerber. (abo)

                                                                                                KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   9
Mauern überwinden Wie sich sektorenübergreifend die Versorgung sichern lässt
THEMA

     Innovationsfonds
     zahlt sich aus
     Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 2015 hat der Bundestag den Innovationsfonds
     beschlossen. Für die Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung sollen in den Jahren
     2016 bis 2019 insgesamt 1,2 Milliarden Euro in innovative Projekte im Gesundheitswesen
     fließen. Zeit für eine Zwischenbilanz.

10   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
F      ür die vier Jahre 2016 bis 2019 stehen
       jeweils 300 Millionen Euro bereit –
       225 Millionen Euro für neue Versor-
gungsformen und 75 Millionen Euro für
die Versorgungsforschung. Ziel ist es, über
                                                der ambulanten Versorgung stark. Nicht
                                                nur in Großprojekten, sondern auch in
                                                kleineren Vorhaben steckt häufig enormes
                                                Potenzial. „Die KBV war aus diesem Grund
                                                von Beginn an bei der Errichtung und
                                                                                               sowie Internisten aus den teilnehmenden
                                                                                               KVen für RESIST ein und absolvierten
                                                                                               erfolgreich die Online-Schulung. Momen-
                                                                                               tan läuft die qualitative Evaluation, bei der
                                                                                               sich eine hohe Teilnahmebereitschaft an
die Förderung verschiedenster Projekte die      der Erreichung der Arbeitsfähigkeit des        der Befragung zeigt. „Die ersten Eindrücke
medizinische Versorgung in der gesetz-          Innovationsausschusses maßgeblich und          zeigen ein durchweg positives Feedback.
lichen Krankenversicherung dauerhaft            sehr intensiv beteiligt“, so Gassen, „seit     Im zweiten Schritt wollen wir nun auch
weiterzuentwickeln und zu verbessern.           zwei Jahren beobachten wir mit Freude          Praxismitarbeiter und Patienten befra-
Die Mittel für den Fonds kommen von             regelrechte Antragsfluten, die wir in guter    gen“, sagt Gassen.
den gesetzlichen Krankenkassen sowie            Zusammenarbeit mit den anderen Akteuren
aus dem Gesundheitsfonds und werden             bewerten und abarbeiten.“
vom Bundesversicherungsamt verwaltet.
Angesiedelt ist der Innovationsfonds beim       In der ersten Förderwelle im Jahr 2016
Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).             erhielt unter anderem das Modellvorhaben       Versorgungsforschung
Über die Vergabe der Mittel bestimmt im         „RESISTenzvermeidung durch adäquaten           profitiert
Rahmen jährlicher Förderwellen ein zehn-        Antibiotikaeinsatz bei akuten Atem-
köpfiger Innovationsausschuss aus Vertre-       wegsinfektionen“ unter Konsortialführung       Die KBV begrüßt die Einführung des
tern der Träger des G-BA und zweier Minis-      des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) in       Innovationsfonds nach wie vor, da auf
terien (Bundesministerium für Gesundheit        Zusammenarbeit mit der KBV sowie acht          diese Weise relevante Versorgungsthemen
sowie Bundesministerium für Bildung und         Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen)          aufgegriffen werden können, mit dem Ziel
Forschung). Für die Interessen der Ver-         einen Zuschlag. Das Projekt RESIST zielt       der Weiterentwicklung der Versorgung.
tragsärzte und Vertragspsychotherapeuten        darauf ab, den rationalen Einsatz von          Die gewonnenen Erkenntnisse werden
im Rahmen der Entscheidungsprozesse             Antibiotika zu fördern. Dazu werden Ärzte      veröffentlicht und sind damit allgemein
setzt sich Dr. Andreas Gassen als Vor-          und Patienten für die Themen Antibiotika-      nutzbar. „Insbesondere die Förderung der
standsvorsitzender der KBV ein. Gassen          einsatz und Resistenzbildungen sensibili-      Versorgungsforschung ist als sehr positive
macht sich für eine breite Nutzung des          siert. Bis zum Ende der Frist schrieben sich   Entwicklung hervorzuheben, da Deutsch-
Innovationsfonds zur Weiterentwicklung          2.481 Haus-, Kinder- und HNO-Fachärzte         land in diesem Bereich im internationalen >

BEISPIELE FÜR AUSGEWÄHLTE FÖRDERPROJEKTE

DIMINI – Aktivierung der Gesundheitskompetenz von Versicherten mit erhöhtem Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 mittels Coa-
ching in der Vertragsarztpraxis (Dimini – Diabetes mellitus? – Ich nicht!)

KV-BETEILIGUNG:                                 ZIEL:                                          Bewegungstagebuch zu führen. Dadurch
Schleswig-Holstein und Hessen                   Die Entstehung eines DMT2 soll ver-            sollen die individuellen Gesundheitsres-
                                                zögert beziehungsweise verhindert              sourcen gestärkt und langfristige Verhal-
HINTERGRUND:                                    werden, wodurch letztlich auch Kosten          tensänderungen angestoßen werden.
Etwa acht Prozent der Erwachsenen sind          eingespart werden können. Dazu sol-
von Diabetes mellitus Typ 2 (DMT2) be-          len Betroffene frühzeitig anhand eines         VORGEHEN:
troffen. Zusätzlich leben drei bis fünf Mil-    flächendeckenden Screenings (FINDRISK)         Die Inhalte zur Lebensstilveränderung
lionen Menschen mit einem unentdeckten          erkannt werden und die bedarfsgerechte         können die Teilnehmer in der eigens kon-
DMT2 oder Prädiabetes. Langfristig kann         Lebensstilintervention „aha!“ erhalten.        zipierten aha-App abrufen und dokumen-
dieser zu schweren Spätfolgen, wie bei-         Die Intervention beinhaltet ein Set von ge-    tieren. Dieses Präventionsangebot wird
spielsweise kardiovaskulären Erkrankun-         sundheitsrelevanten Informationen und          in Form von Zwischencoachings durch
gen, sowie hohen Kosten führen.                 die Aufforderung, ein Ernährungs- und          Hausärzte unterstützt und begleitet.

                                                                                                                KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   11
BILANZ

     DEMAND – Implementierung einer standardisierten Ersteinschätzung als Basis eines
     Demand-Managements in der ambulanten Notfallversorgung

     KV-BETEILIGUNG:                               dadurch, dass Patienten mit nicht dring-       Patient an die bedarfsgerechten Versor-
     Berlin, Baden-Württemberg, Hessen,            lichem oder weniger schwerwiegendem            gungssettings verwiesen. Die Patienten
     Nordrhein, Rheinland-Pfalz,                   Beratungs- und Behandlungsbedarf in den        können so beispielsweise dem Rettungs-
     Schleswig-Holstein, Thüringen,                Notaufnahmen versorgt werden.                  dienst, einer ambulanten Behandlung
     Westfalen-Lippe, Bremen, Brandenburg,                                                        oder telefonischen ärztlichen Beratung
     Bayerns sowie das Zentralinstitut für die     ZIEL:                                          zugeteilt werden.
     kassenärztliche Versorgung                    Um die Situation in den Notaufnahmen zu
                                                   verbessern, wird zunächst an bestimm-          VORGEHEN:
     HINTERGRUND:                                  ten Erstkontaktstellen zur (ambulanten)        Die Effektivität und Umsetzbarkeit dieser
     Die stetig steigende Inanspruchnahme von      Notfallversorgung der tatsächliche Ver-        Zuteilung wird anhand von Routinedaten
     Notaufnahmen in Krankenhäusern führt          sorgungsbedarf des Patienten bestimmt.         der beteiligten KVen und Krankenkassen
     zu einer Überbeanspruchung der Notfall-       Nach der Ersteinschätzung, die telefo-         und auf Grundlage von Patienten- und
     ressourcen. Die Problematik entsteht auch     nisch oder vor Ort stattfindet, wird der       Mitarbeiterbefragungen bewertet.

     COCARE – Erweiterte koordinierte ärztliche Pflegeheimversorgung (coordinated medical care)

     KV-BETEILIGUNG:                               ZIEL:                                          VORGEHEN:
     Baden-Württemberg                             Um vermeidbare Krankenhauseinweisun-           Die Bewohner werden hinsichtlich ihres
                                                   gen und Krankentransporte zu reduzie-          Gesundheitszustandes, der ärztlichen
     HINTERGRUND:                                  ren, sind in der neuen Versorgungsform         Betreuung und der Kooperation zwischen
     Viele Klinikeinweisungen von Altenheim-       unter anderem gemeinsame haus- und             Ärzten und Pflegekräften, wahrgenomme-
     bewohnern wären vermeidbar, wenn die          fachärztliche Visiten durch Ärzte und          ner Versorgungskontinuität und -qualität
     ärztliche Versorgung in Heimen ver-           Pflegeheimkoordinatoren, die Bildung           sowie zur Zufriedenheit mit verschiede-
     bessert würde. Allerdings erschweren          von Ärzteteams, eine gemeinsame                nen Versorgungsleistungen befragt. Bei
     unattraktive Vergütungsstrukturen und         elektronische Patientenakte, gemein-           Pflegekräften und Ärzten werden zudem
     organisatorische Barrieren die ausrei-        same Schulungen und eine erweiterte            Einschätzungen zur Zusammenarbeit
     chende medizinische Versorgung in             Erreichbarkeit der ärztlichen Versorgung       sowie zur resultierenden Versorgungs-
     solchen Einrichtungen.                        vorgesehen.                                    kontinuität und -qualität erhoben.

     Vergleich noch einen deutlichen Nach-         innovativen Projekten, unter anderem zur       200 Millionen Euro jährlich fortsetzen zu
     holbedarf aufweist“, sagt der stellver-       Verzahnung des Bereitschaftsdienstes mit       wollen – mit dem Bestreben, erfolgreiche
     tretende KBV-Vorstandsvorsitzende und         der stationären Notfallversorgung, zur         Versorgungsansätze zügig in die Regelver-
     stellvertretendes Mitglied des Innovations-   Verbesserung der Arzneimitteltherapie-         sorgung zu überführen“, sagt Gassen.
     ausschusses, Dr. Stephan Hofmeister.          sicherheit, zur Nutzung von Telemedizin,
                                                   zur Gesundheitskompetenz oder zur in-                                        Nicolas Ebert
                                                   terprofessionellen Zusammenarbeit, zum
                                                   Beispiel zwischen Hausärzten und Pfle-
                                                   geheimen, gefördert und getestet werden.
     Starke Beteiligung des                        Gerade die Beteiligung vieler KVen zeigt
     KV-Systems                                    die Innovationskraft im vertragsärztlichen        Am 28. Mai 2018 findet in Berlin
                                                   Bereich!“, so Gassen.                             der Kongress „Zwei Jahre Inno-
     In den ersten beiden Jahren der Förderung                                                       vationsfonds – Impulsgeber für
     konnten die vorhandenen Mittel jeweils        Auch die Politik scheint die vielverspre-         eine bessere Versorgung“ statt.
     komplett ausgeschöpft und auf insgesamt       chenden Projekte zu registrieren. „Wir freu-      Nähere Infos finden Sie hier:
     etwa 200 Projekte verteilt werden. „Aus       en uns über die Entscheidung von Union            https://innovationsfonds.g-ba.de/
     Sicht des KBV/KV-Systems können wir das       und SPD, den Innovationsfonds über das
     Fazit ziehen, dass eine ganze Fülle von       Jahr 2019 hinaus mit einem Volumen von

12   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
THEMA

In der Höhle der Ärzte
Die KBV geht mit der Zukunftspraxis neue Wege in der Digitalisierung. In einem
Ideenwettbewerb sucht sie innovative Anwendungen, die den Alltag für Praxen und
Patienten vereinfachen.

D      as dunkle Sofa steht auf einem
       Podest mitten im Raum. Darauf
       Platz genommen haben
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsit-
zender der KBV, KBV-Vorstandsmitglied
                                          Superstar“. Acht Jungunternehmer stellen
                                          der Jury beim heutigen ersten Pitching-
                                          Day der Innovationsplattform KV Digital
                                          in den Räumen des KBV-Tochterunterneh-
                                          mens KV Telematik ihre digitalen Ideen
                                                                                      Praxistest für digitale Produkte

                                                                                      Mit dieser etwas anderen Art der Veranstal-
Dr. Thomas Kriedel und KV-Telematik-      und Apps vor. Und wie beim Casting-         tung möchte die KBV innovative digitale
Geschäftsführer Dr. Florian Fuhrmann.     Show-Vorbild kann die Jury ein Ticket für   Dienste und Dienstleistungen identifizieren
Die Atmosphäre ist spannungsgeladen.      die nächste Runde vergeben: Der Sieger      und fördern, die dazu geeignet sind, den
Die Szenerie mutet an wie eine Mischung   des Pitching-Days hat damit die Chance,     Alltag in den Arztpraxen nachhaltig zu
aus den Fernsehsendungen „Die Höhle       am Projekt KBV-Zukunftspraxis teilzuneh-    verbessern. Darüber hinaus füllt sie ihr Po-
der Löwen“ und „Deutschland sucht den     men.                                        sitionspapier zur Digitalisierung aus dem >

                                                                                                      KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   13
THEMA

     Dr. Bernhard Tenckhoff (links) und Dr. Florian Fuhrmann im Gespräch.

     Pitching-Days und KBV-Zukunftspraxis                  lisierung, holt letztendlich den Umset-     anderen Branchen und der besondere
     sind mehr als einzelne Projekte – zu-                 zungstand in den Praxen ein. Sozusagen      Stellenwert des Datenschutzes führen
     sammen ergeben sie eine Mission. Im                   handelt es sich um eine Mission – mit       dazu, dass wir in der Versorgung noch
     Interview verraten Dr. Bernhard Tenck-                bewusst getrennten Projekten, die jedoch    nicht ganz so weit sind. Noch zu oft sind
     hoff, KBV-Abteilungsleiter für Innovation,            eng aneinander angelehnt sind.              es kleine Insellösungen, mit wenig Chan-
     Strategische Analyse und IT-Beratung,                                                             cen in der Regelversorgung anzukommen.
     und Dr. Florian Fuhrmann, Geschäftsfüh-               Woher rührt die Motivation, dass KBV        Es ist nun unsere Aufgabe, gute Ansätze
     rer der KV Telematik, warum.                          und KV Telematik gleich eine ganze          zu finden, zu testen, zu evaluieren und in
                                                           Mission starten?                            die Versorgung zu bringen. Gleichzeitig
     Wie ist die Idee zu diesem                                                                        wollen wir den Kassenärztlichen Verei-
     Wettbewerb entstanden?                                Fuhrmann: Die Digitalisierung voll-         nigungen (KVen) die Möglichkeit geben,
                                                           zieht sich in allen Branchen. Es ist kein   sich stärker mit den digitalen Ansätzen
     Tenckhoff: Die Idee der KBV-Zukunfts-                 Forschungsthema, es ist die Realität. Im    der Start-up-Szene auseinanderzuset-
     praxis ist im Zusammenhang mit dem                    Gesundheitswesen haben wir allerdings       zen. Digitalisierungsansätze im Rahmen
     KBV-Positionspapier zur Digitalisierung               besondere Regeln und Prozesse, die den      des Innovationsraums mit Gründern und
     im Gesundheitswesen entstanden. Im                    Einzug der Digitalisierung schwieriger      Experten zu erleben, kann für den Auftrag
     Zuge dessen ist der Bedarf an sinnvollen              machen. Nehmen wir das Beispiel E-Com-      der KVen und den Arbeitsalltag wichtige
     digitalen Lösungen deutlich geworden.                 merce: Normalerweise ist es so, dass der    Impulse geben. Wir möchten eine Pforte
     Darauf wollten wir reagieren und haben                derjenige, der die Entscheidung für ein     für digitale Transformation im KV-System
     eine Plattform geschaffen, wo wir gute                Produkt trifft, auch die Leistung bekommt   schaffen.
     Ideen sammeln und testen können. Letzt-               und am Ende bezahlt. Im Gesundheitswe-
     endlich ist daraus ein Dreiklang entstan-             sen wird die Entscheidung in den meisten    Eine längerfristige Mission?
     den: KV Digital berät und führt Pitching-             Fällen vom Arzt getroffen, der Patient
     Days durch, die KBV-Zukunftspraxis stellt             erhält die Therapie beziehungsweise         Fuhrmann: Es ist ein agiles Format! Wie
     den Testmodus dar und eine Befragung                  das Medikament und die Krankenkasse         wir das weiterentwickeln, ist noch offen.
     von Ärzten, das PraxisBarometer Digita-               trägt die Kosten. Dieser Unterschied zu     Wir haben nicht vor, die nächsten drei

14   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
Jahre immer das Gleiche zu machen. Wir      Format ohne klassische Gremienarbeit,             INTERVIEW MIT
wollen erst einmal das Feedback der         bei dem wir nicht bestimmten Etiketten            DR. BERNHARD TENCKHOFF UND
Start-ups mitnehmen und schauen, was        folgen. Wir wollten das so gestalten, dass        DR. FLORIAN FUHRMANN
funktioniert und was nicht. Regelmäßig      sich die Teilnehmer wohlfühlen und keine
werden wir ein Fazit ziehen und unter       Bange vor der Selbstverwaltung haben.
Berücksichtig des ärztlichen Nutzens die    Es soll ein offener Austausch sein, der
Formate anpassen.                           ihnen Spaß macht. Wir möchten gern ein        Welcher Anspruch wird damit an die
                                            offener Ansprechpartner für die Start-ups     Bewerber gestellt?
Was ist das besondere an diesem Format?     sein.
                                                                                          Fuhrmann: Wir sind auf der Suche nach
Tenckhoff: Für das KBV/KV-System ist es     In welchen Bereichen sehen Sie den            kommunikations- und umsetzungsstar-
ein eher ungewöhnliches Unterfangen.        meisten Digitalisierungsbedarf?               ken Teams, die in der Lage sind, ihre
Normalerweise handeln wir nach gesetz-                                                    sinnvollen Konzepte nach vorne zu brin-
lichen Aufträgen, bei denen zunächst        Tenckhoff: Die digitale Anwendung sollte      gen. In den Pitching-Runden wollen wir
ein Plan und eine Ausschreibung erstellt    für den Arzt schlichtweg sinnvoll sein.       diejenigen Projekte herauspicken, die das
werden. Meist weiß man vorher, wie es       Häufig ist es so, dass sich neue digitale     Potenzial haben, ihren Nutzen später in
am Ende aussehen soll. Mein Eindruck ist,   Angebote an Patienten richten, woraufhin      den KBV-Zukunftspraxen zu entfalten.
dass das KV-System willens und auch         einzelne Krankenkassen Apps fördern,
in der Lage ist, solch ein offenes und      die in Selektivverträge münden. Der Arzt      Mit dem Ziel, das Produkt später in die
zugleich sehr vielversprechendes For-       sieht sich schließlich mit einem ganzen       Regelversorgung zu überführen?
mat auszuprobieren. Das ist schon ein       Fächer an Applikationen konfrontiert,
Umdenkungsprozess, der hier stattfin-       für die er sich Verbindungs- und Auswer-      Tenckhoff: Die Regelversorgung ist eine
det: Körperschaften öffentlichen Rechts     tungsschnittstellen installieren müsste,      erstrebenswerte Möglichkeit – muss aber
werden kreativ und mitsteuernd. Das tut     was sich für die marginale Patientenzahl      nicht unbedingt sein. Wenn der Dienst
unserem System gut.                         je Arzt oft aber nicht lohnt. Wir versuchen   nicht direkt für den Leistungskatalog der
                                            jetzt das Pferd von der richtigen Seite aus   gesetzlichen Krankenversicherung geeig-
Kann man hier auch von einem                aufzuzäumen, Anwendungen zu finden,           net ist, sind auch Selektivverträge oder
Experiment sprechen?                        die Ärzte im Arbeitsalltag unterstützen       andere Vertragsformen vorstellbar.
                                            und gleichzeitig auch den Patienten nüt-
Fuhrmann: Mit Sicherheit! Dabei wollen      zen. Dieser Fokus fehlte bisher.                        Die Fragen stellte Nicolas Ebert.
wir uns auch kulturell öffnen. Es ist ein

vergangenen Sommer mit Leben. Darin
steht unter anderem: „Ärztliches und
psychotherapeutisches Handeln muss
menschlich bleiben. Die KBV setzt sich
dafür ein, durch E-Health-Lösungen
den Ärzten und Psychotherapeuten eine
Fokussierung auf ihre Kernexpertise zu
ermöglichen. Durch die frei werdenden
Ressourcen bleibt dem Arzt mehr Zeit für
den einzelnen Patienten.“ Und weiter:
„Digitale Innovationen und die Digitali-
sierung von bestehenden Prozessen in der
Gesundheitsversorgung müssen grund-
sätzlich sicher (Datenschutz und Datensi-
cherheit) und nutzbringend (Verringerung
der Bürokratie in der Praxis und/oder
Verbesserung der Versorgung) sein.“

Wer könnte besser über den Nutzen
solcher Anwendungen entscheiden, als
die Betroffenen selbst? Genau aus diesem
Grund testen ab dem kommenden Jahr in
der KBV-Zukunftspraxis echte Ärzte und
deren Patienten die Produkte und geben
Rückmeldungen zu Nutzen und Proble-
men. Am Ende der Testphase gibt         >

                                                                                                         KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   15
es einen Evaluationsbericht. Ein Ticket       Gesundheits-IT zu fördern und Bürokratie
     – oder besser eine Überweisung – in die       abzubauen. Daher darf das Thema auch
     KBV-Zukunftspraxis bekommen aber nicht        beim Pitching-Day nicht fehlen. Nachdem       Informationen und Bewerbungs-
     nur die Tagessieger der Pitching-Days.        die Teilnehmer am Vormittag ihre Projekte     unterlagen zur KBV-Zukunfts-
     Unternehmen und Entwickler können sich        vorgestellt haben, müssen sie sich drei Ex-   praxis sind zu finden unter
     noch bis zum 28. Juni auch direkt bei der     pertentischen stellen und ihre Vorstellung    www.kbv.de/zukunftspraxis.
     KBV um einen der Plätze bewerben.             zur Verknüpfung ihres Produktes an das
                                                   Praxisverwaltungssystem erläutern. Dort       Informationen rund um die
                                                   bekommen sie auch ein erstes Feedback         Bewerbung für den 2. Pitching-
                                                   zu den Themen Medizin und ärztliche Ver-      Day im Mai gibt es unter
                                                   sorgung, Technik und Datenschutz sowie        www.kv-digital.de.
     Crash-Kurs in Sachen                          zu juristischen Fragen und solchen zum
     Versorgung                                    Geschäftsmodell.

     „Die meisten Entwickler kennen das KV-        Am Nachmittag stehen die Teilnehmer
     System ja nur aus Patientensicht. Daher       nun im direkten Wettbewerb vor der Jury.      PRAXISBAROMETER
     bieten wir gezielt unser Know-how an. Wir     Eine große Digitaluhr zählt mit: Fünf         DIGITALISIERUNG
     erklären zum Beispiel, was die Bedarfspla-    Minuten hat jeder Zeit, seine Innovation
     nung ist, was der Einheitliche Bewertungs-    überzeugend rüberzubringen. Die Ideen
     maßstab und wie der Sicherstellungsauf-       sind vielfältig. Sie reichen von einer App    Wie digital sind die Praxen
     trag lautet“, sagt Kriedel. Wer genau von     für den Bereich Reha-Robotik, über die        der an der vertragsärztlichen
     eben diesem Know-how profitieren darf,        Unterstützung der ärztlichen Dokumenta-       Versorgung teilnehmenden Ärzte
     entscheidet sich dann am 26. September.       tion bis hin zu einem Gerät für die Körper-   und Psychotherapeuten in
     Dann präsentieren sich ausgewählte Pro-       Kern-Temperaturmessung zur frühzeitigen       Deutschland eigentlich?
     jekte und die Sieger der beiden KV-Digital-   Erkennung von Krankheiten. Überzeugen         Wie stehen die Mediziner zum
     Pitching-Days in der KBV. Insgesamt gibt      konnten die Jury letzten Endes zwei Pro-      Thema Digitalisierung?
     es zehn Plätze für die Zukunftspraxis. Die    jekte: doctorly, ein cloudbasiertes Praxis-   Was wünschen sie sich?
     drei besten Ideen erhalten zudem Prämi-       verwaltungssystem mit Patientenanbin-         Welche Probleme gibt es?
     en in Höhe von 15.000, 10.000 und 5.000       dung, und magnosco mit einem Tool zur
     Euro.                                         Hautkrebsdiagnostik. „Wir konnten uns         Um das herauszufinden, hat die
                                                   tatsächlich nicht auf einen Tagessieger       KBV das IGES-Institut beauftragt,
     Ein ganz zentraler Punkt im Positions-        festlegen. Also haben wir zwei Tickets        von Anfang Mai bis zum 15. Juni
     papier der KBV ist die Vernetzung und         für die Auftaktveranstaltung der KBV-         eine Umfrage in netto 1.000
     Interoperabilität der Systeme. Ziel ist,      Zukunftspraxis vergeben“, sagt Gassen.        zufällig ausgewählten Arztpraxen
     einen nahtlosen Informationsfluss sicher-                                                   durchzuführen. Die Ergebnisse
     zustellen, einen innovativen Markt für                                 Meike Ackermann      sollen im Herbst veröffentlicht
                                                                                                 werden.

                  Gewinner und
      Veranstalter des 1. KV-
       Digital-Pitching-Days,
       v. l. n. r.: Nicklas Teike
          (doctorly), KBV-Vor-
       stand Dr. Gassen und
     Dr. Kriedel, Inga Bergen
              (magnosco), KV-
        Telematik-Geschäfts-
        führer Dr. Fuhrmann,
          Larissa Middendorf
                     (magnosco)

16   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
MELDUNGEN AUS DEN LÄNDERN

 KV RHEINLAND-PFALZ

 Masterplan erweitert
 Zehn Jahre nach der Einführung ihres
 „Masterplans zur Stärkung der ambulanten
 ärztlichen Versorgung“ hat die Kassenärztliche Vereini-
 gung (KV) Rheinland-Pfalz Anfang dieses Jahres gemein-
 sam mit den Partnern des Plans Bilanz gezogen und weite-
 re Maßnahmen darin aufgenommen. Besonders bewährt             KV BERLIN
 habe sich ein Wiedereinstiegskurs für nicht berufstätige
 Ärztinnen und Ärzte. Hinzu kommt in diesem Jahr ein Be-       Notfallversorgung
 ratungsprojekt, das die Kommunen bei der Weiterentwick-
 lung der ärztlichen Versorgung in ihrer Region unterstützen
                                                               wird neu organisiert
 soll. Die KV initiiert außerdem zusammen mit dem Ge-
 sundheitsministerium eine Vielzahl an Fördermaßnahmen         Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin hat ein
 für die allgemeinmedizinische Versorgung. Dazu gehört         Konzept zur Reform der ambulanten Notfallversorgung in
 beispielsweise die Einrichtung einer „Koordinierungsstelle    der Hauptstadt angekündigt. Geplant ist, langfristig ein
 Weiterbildung in der Allgemeinmedizin.“ Partner des Mas-      stadtweites Netz an Bereitschaftsdienstpraxen aufzu-
 terplans sind neben der KV und dem rheinland-pfälzischen      bauen, die von der KV betrieben werden und direkt an
 Gesundheitsministerium unter anderem auch die Landes-         Kliniken angeschlossen sind. Insgesamt geht die KV von
 ärztekammer und der Hausärzteverband Rheinland-Pfalz          einem Bedarf an acht Praxen in ganz Berlin aus. Derzeit
 sowie die Universitätsmedizin Mainz. (saw)                    finden Gespräche mit Krankenhäusern statt. Ab dem
                                                               1. April wird die bisherige eigene Bereitschaftsdienst-Ruf-
                                                               nummer der KV durch die bundesweite Nummer 116117 er-
                                                               setzt. Eine telefonische Ersteinschätzung durch Fachärzte
                                                               sowie die Reorganisation des fahrenden Hausbesuch-
                                                               dienstes sind außerdem vorgesehen. (saw)

                                                               KV WESTFALEN-LIPPE

                                                               eGK-Anwendungen
                                                               im Test
                                                               Ab Herbst 2018 wird die Kassenärztliche Vereinigung (KV)
 KV BADEN-WÜRTTEMBERG                                          Westfalen-Lippe die ersten medizinischen Applikationen
                                                               für die elektronische Gesundheitskarte (eGK) testen. So
 Videosprechstunde                                             sollen der Notfalldatensatz und der elektronische Medika-
                                                               tionsplan probeweise eingeführt werden. Dies sei wichtig
 startet                                                       „um für noch mehr Akzeptanz der elektronischen Gesund-
                                                               heitskarte bei Ärzten und Patienten zu sorgen“, sagte
 Im April startet die Kassenärztliche Vereinigung (KV)         KV-Vorstandsmitglied Thomas Müller. Teilnehmen werden
 Baden-Württemberg das Pilotprojekt „DocDirekt“, mit           70 bis 75 Arztpraxen, einige Zahnarztpraxen, bis zu 16 Apo-
 dem Patienten, die akute Beschwerden haben und keinen         theken und eine kassenärztliche Bereitschaftsdienstpraxis
 Termin bekommen, ihren Arzt in einer Videosprechstun-         sowie ein Krankenhaus. Der Feldtest findet über einen
 de kontaktieren können. „Wir wollen zeigen, dass man          Zeitraum von acht Wochen statt. (saw)
 telemedizinisch genauso gut beraten kann wie in einer
 Praxis“, betonte KV-Vorstand Johannes Fechner. Für Mo-
 dellprojekte, mit denen Ärzte auch unbekannte Patienten
 online beraten dürfen, wurde das Fernbehandlungsverbot
 im Land gelockert. „DocDirekt“ soll zunächst in den Re-
 gionen Stuttgart und Tuttlingen laufen, bevor es auf das
 gesamte Bundesland ausgedehnt wird. (saw)

                                                                                                  KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   17
THEMA

                                                                                                           KBV-Chef Gassen fordert den Einstieg in
                                                                                                           den Ausstieg aus der Budgetierung.

     Selbstverwaltung
     gegen Scheindebatten
     Am selben Tag, an dem das Mitgliedervotum der SPD zur Großen Koalition endete, fand die Vertreter-
     versammlung der KBV in Berlin statt. Aufgrund des unklaren Ausgangs der Abstimmung verzichtete
     der Vorstand auf eine detaillierte Bewertung des Vertragsentwurfs. Stattdessen forderte er die Politik
     auf, die „Gespensterdebatte“ um ein angeblich ungerechtes Gesundheitswesen zu beenden.

     D       er Vorstandsvorsitzende der KBV,
             Dr. Andreas Gassen, nahm die Ver-
             tretersammlung (VV) am 2. März
     zum Anlass, in seinem Bericht erneut die
     Budgetierung im ambulanten Bereich
                                                   könnten die Grundleistungen ausbudge-
                                                   tiert werden“, verdeutlichte Gassen.

                                                   Den Koalitionsvertrag kommentierte
                                                   er aufgrund des noch laufenden SPD-
                                                                                               Hofmeister und Dr. Thomas Kriedel von
                                                                                               den Mitgliedern der VV. Einstimmig ver-
                                                                                               abschiedeten diese eine Resolution, in der
                                                                                               sie die Politik aufforderten, die bewährten
                                                                                               Prinzipien der Freiberuflichkeit und den
     anzuprangern. Der erste und wichtigste        Mitgliedervotums an diesem Tag nicht. Bis   notwendigen Spielraum für die Selbstver-
     Schritt sei, die ärztlichen Grundleistungen   auf eine Ausnahme: „Die Ausweitung der      waltung zu erhalten. „Die Scheindebatte
     aus der Quotierung herauszunehmen.            Mindestsprechstundenzeit von 20 auf 25      um eine angebliche Zwei-Klassen-Medizin
     „Die jährlichen Ausgaben im Gesundheits-      Stunden ist ein unzumutbarer Eingriff in    und um eine postulierte Terminungerech-
     system liegen bei 375 Milliarden Euro.        die Arbeitszeitgestaltung und Praxisfüh-    tigkeit weisen wir als realitätsfern und
     28 Milliarden beträgt das aktuelle Finanz-    rung von uns Freiberuflern“, betonte der    unsachlich zurück“, heißt es in der Resolu-
     polster der gesetzlichen Krankenversiche-     KBV-Chef. Rückendeckung erhielten er        tion. Eine Leistungsausweitung, wie im
     rung. Mit nur 450 Millionen Euro pro Jahr     und seine Vorstandskollegen Dr. Stephan     Koalitionsvertragsentwurf angekündigt,

18   KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018
Konnektoren einer einzigen Firma, weitere
                                                                                                            seien zwar angekündigt, aber faktisch
                                                                                                            nicht vorhanden. „Unsere Marktanalyse
                                                                                                            aus den zum jetzigen Zeitpunkt verfügba-
                                                                                                            ren Informationen hat ergeben, dass im
                                                                                                            dritten Quartal 2018 voraussichtlich kein
                                                                                                            Angebot verfügbar sein wird, das die Re-
                                                                                                            finanzierung der TI-Komponenten sichert.
                                                                                                            Daraus ergeben sich zwei Risiken für die
                                                                                                            niedergelassenen Ärzte und Psychothera-
                                                                                                            peuten: Zum einen das Preisrisiko, wobei
Pressekonferenz zur VV: Die VV-Vorsitzende Dr. Petra Reis-Berkowicz und der KBV-Vorstand Dr. Andreas        die Praxen auf einem Teil der Kosten für
Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Thomas Kriedel (v. l. n. r.)
                                                                                                            die TI-Komponenten sitzenbleiben, weil
                                                                                                            die Marktpreise über den Erstattungsbe-
sei mit den Budgets in der ambulanten                 ein leistungsfähiges, technisch einwand-              trägen liegen. Zum anderen das Sanktions-
Versorgung nicht vereinbar.                           frei funktionierendes Angebot sein mit                risiko. Hier drohen den Praxen Sanktionen
                                                      kurzen Wartezeiten für die Anrufer“, so               durch einen Honorarabzug von einem
Der stellvertretende KBV-Vorstandsvor-                der KBV-Vize. Darüber hinaus müsse                    Prozent, wenn das Versichertenstammda-
sitzende Hofmeister konstatierte in seiner            die Rufnummer mit einem einheitlichen                 tenmanagement nicht ab 1. Januar 2019
Rede eine thematische Schieflage in der               telefonischen Ersteinschätzungssystem                 über die TI durchgeführt wird“, erläuterte
aktuellen gesundheitspolitischen Debatte:             verbunden werden, das es erlaube, bereits             Kriedel.
„Der Irrglaube von der Gesundheitsversor-             vor jedem Arztkontakt das Anliegen des
gung in der Krise führt zu unergiebigen               Anrufers zu erkennen und zu kanalisie-                Aus dieser Situation werde die KBV nun
und polemischen Diskussionen.“ Statt                  ren. Um die Bereitschaftsdienstnummer                 zweierlei Konsequenzen ziehen: „Erstens
sich um die echten Problemfelder wie                  116117 auch in der Wahrnehmung der                    werden wir sofort in die Verhandlungen
Bildung, Verwaltung und Infrastruktur zu              breiten Öffentlichkeit stärker bekannt zu             mit dem Spitzenverband der gesetzlichen
kümmern, führe die Politik eine Alibidis-             machen, erhielt der KBV-Vorstand von den              Krankenversicherung einsteigen, um die
kussion um ein angeblich ungerechtes                  VV-Delegierten den Auftrag, eine Kommu-               aktuellen Marktpreise bei der Finanzie-
Gesundheitssystem.                                    nikations- und Werbekampagne durchzu-                 rung der TI-Komponenten zu berücksich-
                                                      führen. Diese soll Anfang des Jahres 2019             tigen. So ist es in der TI-Finanzierungsver-
                                                      starten.                                              einbarung vorgesehen. Zweitens werden
                                                                                                            wir, um das Sanktionsrisiko für die
                                                                                                            Praxen zu entschärfen, auf die Politik zu-
Notfallversorgung:                                                                                          gehen, um eine weitere Fristverlängerung
kein dritter Sektor                                                                                         bis Mitte 2019 zu erwirken. Denn eines
                                                      Nachverhandlungen                                     dürfte allen klar sein: Nicht die Vertrags-
Einig zeigte sich die KBV-Vertreterver-               bei TI-Rollout                                        ärzte sind schuld an dieser Verzögerung,
sammlung beim Thema Reform des Bereit-                                                                      sondern es ist der Markt, der aktuell nicht
schaftsdienstes und dessen Verzahnung                 Skepsis macht sich unterdessen beim                   liefern kann“, so Kriedel.
mit der stationären Notfallversorgung.                KBV-Vorstand mit Blick auf die Anbindung
Gemeinsam wollen die Kassenärztlichen                 der Praxen an die Telematikinfrastruktur                                                Nicolas Ebert
Vereinigungen (KVen) und die KBV für                  (TI) breit. Vorstandsmitglied Dr. Thomas
die Patienten Bereitschaftsdienstangebote             Kriedel zog dazu in seinem VV-Bericht ein
und Portalpraxen schaffen. In diesem                  nüchternes Fazit. Nach wie vor gebe es nur
Zusammenhang sprach sich der stell-                                                                              Die Resolution, Vorstandsreden und
vertretende KBV-Vorstandsvorsitzende                                                                             Beschlüsse der VV finden Sie hier:
Hofmeister auch gegen die Vorstellungen                                                                          www.kbv.de/html/33291.php
des Sachverständigenrates für Gesundheit
aus, die Notfallversorgung in einen dritten
Sektor auszugliedern. „Neue Sektoren-
grenzen, neue Zuständigkeiten und neue
Finanztöpfe würden nur weitere Konflikte
hervorrufen. Was wir brauchen, ist eine
kooperative Zusammenarbeit mit den Kli-
nikärzten“, sagte Hofmeister. Er betonte,
die Selbstverwaltung müsse dem Aktionis-
mus der Politik vorgreifen und eine griffige
und klare Lösung präsentieren. Dies sei
die bundeseinheitliche Rufnummer 116117
in Kombination mit einer Bereitschafts- und
Notfall-App, der Website 116117info.de
und der BundesArztsuche-App. „Die 116117
kann nur groß gedacht werden. Sie muss                Große Einigkeit: Die Delegierten verabschiedeten fast alle Beschlüsse einstimmig.

                                                                                                                                KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2018   19
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