NAPOLEON - Breuer Exportmarketing
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17 | 23.04.2021 | www.magazin-forum.de | 3,30 € GRÜNER WAHLKAMPF Annalena Baerbock ist die friedliche Antwort auf die K-Frage DIE OSCARS IN PANDEMIE-ZEITEN DAS WOCHENMAGA ZIN Welche Filme nominiert sind und wo man sie sehen kann NAPOLEON Revolutionärer Diktator, Rechtsreformer und Feldherr: All das war der legendäre Kaiser der Franzosen, der vor 200 Jahren starb und bis heute polarisiert GEFALLENE STARS Warum Leistungssportler nach ihrem Erfolg oft tief abstürzen S
THEMA DER WOCHE Verhasst und verehrt Der Mensch Napoleon Bonaparte fasziniert die Menschen auch noch 200 Jahre nach seinem Tod. Für die einen war er ein Schöngeist und Reformer, für die anderen ein grausamer Kriegstreiber. Der Versuch eines Porträts. Von Norbert Breuer eim schwäbischen Oberelchin- Napoleon reitet heran, legt einem töd- Rückblende: 1769 wur- gen, bloß ein paar Steinwürfe lich Verwundeten seiner Kämpfer seinen de im korsischen, von von der A8 entfernt, ist es gele- eigenen Stern der Ehrenlegion in die Hän- Frankreich unterjochten gen. Besonnt und friedlich, an einer bild- de und hält eine Rede, in der er seinen ihm Ajaccio ein Kind namens schönen Klosterkirche. Vor deren Pforten großteils durchaus innig ergebenen Solda- Napoleone Buonaparte ge- ein riesiges gelbes Rapsfeld – getränkt ten in hehren Worten seine Zufriedenheit boren, das in den Weltenlauf mit unzähligen Litern menschlichen Blu- bekundet. Zwei Tage darauf besucht er die mit bis heute stark nachwehen- tes und unsäglichem Leid. 1805, in der rokokoeske Klosterkirche und gibt sich den Folgen eingreifen sollte. Schlacht bei Elchingen, kamen dort an die entzückt von deren weiß-güldener Pracht. Dazu musste er allerdings erst 2.800 österreichische und französische einmal Französisch lernen. Soldaten um, wobei die österreichische Der Korse krönte sich 35 Seite bei Weitem den höchsten Blutzoll Mit 1,68 Meter war er Jahre später selbst prunkvoll entrichtete. Die Zahl der Verwundeten lag bei 3.000. Die ganze Nacht hindurch damals keinesfalls klein zum Kaiser der Franzosen und düpierte damit nicht waren das Schreien und die Wehklagen nur den Papst. Doch bereits der sich unversorgt auf schneebedeck- Bonaparte zieht weiter nach Austerlitz, zehn Jahre danach begab ter Erde krümmenden Sterbenden und wo er in der Drei-Kaiser-Schlacht den sich die Familie Buonapar- Schwerverwundeten weithin zu hören. entscheidenden Triumph über Russen te ins Exil und lebte meist Die seinerzeit 500 Einwohner des Or- und Österreicher erringt – seinen bedeu- unter falschem Namen. tes erlebten Pfarrer Baumgartner zufol- tendsten militärischen Erfolg. Errungen Was war geschehen? ge in diesen Tagen „nichts als Tumult, um den Preis von etwa 1.300 Toten und Der gar nicht so Rauben, Plündern, Türen und Kästen 7.000 Verwundeten auf französischer kleine Napoleone Bu- zerschlagen, die Leute quälen, das Vieh Seite, 15.000 auf Seiten der Alliierten. onaparte – er maß um schlachten“. Nachdem auf einem Pulver- Den Leichnam von Oberst Morland legt die 1,68 Meter, ein wagen „Kanonenpatronen in Feuer ge- man zur Konservierung kurzerhand in damals überdurchschnittliches raten“ waren, sei ein Bauerntöchterlein ein Fass Rum, und man erbaut eine Sie- Maß – besaß brillante geistige „noch am gleichen Tag gestorben, weil gessäule auf der Pariser Place Vendôme, Gaben. Obwohl er Französisch es am ganzen Leib verbrannt war“. gegossen aus 133 feindlichen Kanonen. zeitlebens nicht akzentfrei zu 22 FORUM | 23. A pril 2021
THEMA DER WOCHE sprechen vermochte, durch- genden Neuerungen wie der Code civil raste er eine atemberaubende etwa aus? René Descartes meinte lange militärische Karriere: Mit 24 zuvor: „Die größten Seelen sind zu den Jahren wurde er zum Brigade- größten Lastern wie auch zu den größ- general befördert, bereits mit 26 ten Tugenden fähig.“ Napoleons Laster Jahren wurde er Kommandeur der war das schlimmste Übel auf Erden: der französischen Armee in Italien, Krieg. Er focht in kaum 20 Jahren mehr mit 28 Oberbefehlshaber der Schlachten als Hannibal, Cäsar und Karl „England-Armee“. der Große zusammen: 66 persönlich ge- Der französische Histori- führte an der Zahl, von seiner ersten in ker Jacques Godechot ur- Montenotte bis zur letzten in Waterloo. teilte später, Napoleon sei ein „ehrgeiziger Despot gewesen, der weder an Goethe war ein die Volkssouveränität noch an den Volkswil- großer Bewunderer len geglaubt habe“. Nichtsdestotrotz fas- Und er war beileibe nicht zimperlich: zinierte dieser Ge- Beim sogenannten Massaker von Jaffa waltmensch mit (das heutige Tel Aviv) ließ Napoleon min- dem filzenen Zwei- destens 2.000 osmanische Kämpfer nie- spitzhut nebst ro- dermetzeln. Die Franzosen hatten ihre ter Kokarde die Gefangenen, meist Albaner, dazu ans damalige Welt – Meer verschleppt, wo sie mit Bajonetten darunter fried- erstochen oder standrechtlich erschossen liebende Geis- wurden. Dieser gnadenlos Herrschsüch- teskoryphäen tige, der sich durch einen Staatsstreich wie Goethe, an die Macht putschte – was die meisten Hegel, Hei- Staaten jedoch nicht daran hinderte, ihn ne und Mor- als „Kaiser“ anzuerkennen – beschäftig- genstern – te sich indes auch mit Glaubensfragen. in einer heute „Ich kenne die Menschen und ich sage kaum mehr nachvoll- Ihnen, dass Jesus kein Mensch ist. Alles ziehbaren Weise. an Christus erstaunt mich. Sein Feuer FOTO: IMAGO IMAGES / PANTHERMEDIA Wie mochte man ei- beeindruckt mich tief und seine Wil- nen Revoluzzer so anhimmeln, lenskraft beschämt mich.“ der durch seine aggressive Expansi- Goethes Bewunderung galt weni- onspolitik auf den Schlachtfeldern ger dem Schlachtenlenker, vielmehr dreieinhalb Millionen Tote und uner- dem genialen Tatmenschen („Was für messlichen, unvergessenen Schrecken ein Kerl“) und seinen Wohltaten, sei- hinterließ? Pendeln das seine weittra- nem Schaffen systemischer Ordnung, 23. A pril 2021 | FORUM 23
THEMA DER WOCHE Napoleon Bonaparte auf der Brücke von Arcol 1796 (oben links); daneben die Kaiserkrönung 1804; rechts ein Bild von der Seeschlacht bei Trafalgar sowie Napoleon im brennenden Moskau auch in der deutschen Kleinstaaterei. kau ist die schrecklichste gewesen, die geheuren Blutzoll der vom Korsen entfes- Das Wohlwollen beruhte auf Gegensei- ich je geschlagen habe.“ Sein Bedauern selten Angriffskriege, denn solche waren tigkeit: Napoleon soll „Die Leiden des rührte indes kaum aus Menschenliebe. es zumindest aus moderner Warte, hat jungen Werther“ dermaßen geschätzt Womöglich plagte ihn eher, dass er den es bis heute nicht überwunden. Die na- haben, dass er ihn gar auf seine Feldzüge Feldzug lotterig geplant hatte. poleonischen Kriege forderten zirka 1,8 mitnahm. Er lud den Autor zum Früh- Noch 1789 war Frankreich mit 26 Millionen Opfer. Vor allem Franzosen, stück und verlieh ihm das Ritterkreuz Millionen Menschen das am dichtesten doch eben auch Polen, Deutsche, Belgier. der französischen Ehrenlegion. bevölkerte Land Europas. Doch den un- Der bedeutende Historiker Veit Va- Indirekt eingeläutet durch den Sieg lentin zürnte düster: „Hatte dies Genie von Admiral Nelson in der Seeschlacht nicht zwei Generationen von Söhnen PICTURE ALLIANCE / DPA — PICTURE ALLIANCE / HERITAGE ART/HERITAGE IMAGES bei Trafalgar, entzweite sich Napoleon europäischer Mütter in einen heißen FOTOS: PICTURE ALLIANCE / AKG-IMAGES (3) — IMAGO IMAGES / LEEMAGE 1812 mit dem russischen Kaiser und mar- und bitteren Tod hineingehetzt? Konnte schierte mit einem nie gesehenen Vielvöl- man vergessen, mit welcher Verachtung kerheer aus 500.000 Soldaten gen Mos- er dies Kanonenfutter aufs Schlachtfeld kau – nur rund 30 Prozent davon waren zwang? Konnte man vergessen, dass er Franzosen. Doch der Russland-Feldzug das bisschen Glück und Gut und Zu- geriet zum Desaster. 450.000 Soldaten friedenheit und Behagen, die Arbeit des büßten ihr Leben ein; auf russischer Seite Bürgers rücksichtsloser, grausamer als ir- schätzt man an die 400.000 Gefallene. gendein Kriegsgott vor ihm hineinriss in Fernab auf Sankt Helena im Südat- die Orgie seiner Weltherrschaft?“ lantik – wohin ihn die Briten deportie- Ein erbärmlicher, jammervoller Rück- ren und wo er sich übrigens in Englisch zug aus Russland also. Bei extremer unterrichten ließ, seine Vokabelhefte Napoleons Zweispitz wechselte im Kälte – zeitweise minus 37 Grad, die wurden 2011 versteigert – erinnerte November 2014 bei einer Auktion für Napoleons Rotweinvorräte aus Gevrey- sich Napoleon: „Die Schlacht vor Mos- fast zwei Millionen Euro den Besitzer Chambertin platzen ließen – litten und 24 FORUM | 23. A pril 2021
THEMA DER WOCHE starben die Flüchtenden unter unsägli- chen Strapazen, verhungernd, in völliger Trostlosigkeit, für sich allein und fern der Heimat. Ein durchnässter Liebesbrief war meist alles an verbliebener Habselig- keit. Die Gesichter wurden durch den Wind blutig geschlagen, Nasen und Oh- ren fielen durch die eisige Kälte ab. Beim Übergang über die Beresina ritten und stiegen die Ausgezehrten über Berge aus Toten, zerquetschten und aufgeschlitzten Tierkadavern. Doch selbst inmitten des Horrors gab es Menschlichkeit und Hel- denmut, wie bewegende Zeugnisse bele- gen. Von den prächtigen Uniformen, die einst die Kampfmoral steigern sollten, blieben nur Fetzen übrig; manche kamen gar in erbeuteten Pelzmänteln zurück, die ihnen das Leben retteten. „Man kann keinen Eierkuchen backen, ohne Eier zu zerschlagen“ Jüngst wurden noch die sterblichen Überreste 120 russischer und französi- scher Soldaten gemeinsam in Viazma, einer westrussischen Stadt, mit militä- rischen Ehren bestattet. Wenn es denn tatsächlich „Franzosen“ waren, denn Na- poleon kämpfte buchstäblich bis zum letz- ten Deutschen. Letztere, vorwiegend zum Kriegsdienst gezwungene Truppen, wur- den von den französischen Generälen eher als Kanonenfutter missbraucht. Darunter auch die Württemberger, meist erst 20 bis 25 Jahre jung; sie krepierten in ihren Der Kaiser in seinem einst schmucken Uniformen. Der würt- Arbeitszimmer. Das tembergische Kavallerie-Offizier Heinrich Bild entstand 1811/12 Vossler entrann dem Tod, doch nicht dem Grauen: „Bald erreichte ich das Schlacht- feld, zuerst einzelne Leichen, darauf ganze Haufen. Kaum fand mein Pferd Raumes tig – jene „kleinen Leute“, die nach den gen.“ Am Ende verstarb der „Empereur“ genug für seine Tritte, oft musste ich über Toten in ihrer Familie und den erlitte- selbst, verbittert, in der Verbannung, am die Leichname wegreiten. Hier hatte die nen Schrecknissen urteilen. Was nützen 5. Mai 1821. Er endete nicht schmählich württembergische Infanterie den härtes- ihnen das Metermaß und der Rüben- wie andere Diktatoren, die uns Leichen- ten Strauß zu bestehen gehabt, und hier zucker, wenn sie drei Klafter tief unter berge hinterließen. Aber er wurde Opfer traf ich hunderte von Leichen in württem- dem Erdboden verwesen? Natürlich hat von Leichenschändung, durch Arzt und bergischen Uniformen. Lange hielt der Brecht völlig recht: „Cäsar schlug die Kaplan, die beide manchem als inkom- grauenvolle Anblick mich gefesselt, und Gallier. Hatte er nicht wenigstens ei- petent und ungehobelt galten: Sie stah- tief prägte sich mir die furchtbare Scene nen Koch bei sich? Philipp von Spanien len etliche Körperteile, die später gar ein. Noch im spätesten Alter werde ich ih- weinte, als seine Flotte untergegangen „unter den Hammer“ kamen. rer nur mit Schaudern gedenken.“ war. Weinte sonst niemand?“ Man kann Napoleon als Ex-Kaiser Nicht jene idealisierenden Historiker Im Gegensatz zum spanischen Mon- titulieren, aber Ex-Diktator könnte ihm haben recht, die die großen Kriegsherren archen weinte Bonaparte eben nicht. War selbst zufolge doch besser passen: „Euro- allzu gerne einseitig nach ihren guten er es doch, der über seine Opfer zynisch pa ist eine alte, verrottete Hure, mit der Leistungen für die Menschheit beur- äußerte: „Man kann keinen Eierkuchen ich mit 800.000 Mann alles tun kann, teilen, sondern – zumindest gleichwer- backen, ohne ein paar Eier zu zerschla- was mir gefällt.“ Und er tat es. • 23. A pril 2021 | FORUM 25
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