Netzwerke - pfarrbrief st. agnes _ st. kunibert _ st. ursula _ st. gertrud - Erzbistum Köln

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netzwerke

pfarrbrief st. agnes _ st. kunibert _ st. ursula _ st. gertrud
Netzwerke - pfarrbrief st. agnes _ st. kunibert _ st. ursula _ st. gertrud - Erzbistum Köln
editorial
                                                 Auf dem Eigelstein gibt es ein Ministe-
                                                 rium für Gutes. Aber wir erinnern auch
 Liebe Leserinnen und Leser,                     an klassische Netzwerke wie das Bürger-
                                                 zentrum Alte Feuerwache. Und auch
 zahllose Willkommensinitiativen haben           in der Pfarrei gibt es Gruppen, die eher
 sich in den vergangenen Monaten im              wie ein offenes Netzwerk arbeiten. Die
 ganzen Erzbistum gegründet. Tausende            Taizégruppe gehört dazu, aber auch
 Menschen engagieren sich in diesen Netz-        der agnes.treff.
 werken, die sich sehr oft unter dem Dach           Solche Netzwerke verändern die frü-
 kirchlicher Gemeinden gebildet haben.           her eher familiale Struktur einer Pfarrge-
 Sie sorgen für Essen und Kleidung, geben        meinde radikal. Darin kann eine Chance
 Sprachunterricht, gehen mit Geflüchteten        liegen. Der Theologe Hans-Joachim
                               joggen oder       Sander hat für die Kirche das Bild einer
                               begleiten sie     ›Bürgerinitiative des Heiligen Geistes‹
                               in ihren tägli-   gefunden. Die Kirche sei eine dynami-
                               chen Angele-      sche, sich ständig verändernde Wirklich-
                               genheiten zu      keit, sagt er. Sie müsse kampagnefähig
                               den Ämtern        sein: »Sie muss etwas lostreten können,
                               oder zum Arzt.    sich für begrenzte Zeit einem Projekt
                               Als habe es       verschreiben und ebenso bereit sein, sich
                               die vielen        nach getaner Tat nach neuen Projekten
                               Missbrauchs-      umzusehen. Dabei ist ihr quantitativer
                               fälle oder        Bestand nur von sekundärer Bedeutung;
                               den Skandal       primär kommt es auf soziale Phantasie
                               um den Lim-       und politische Kreativität an.« Mit ande-
                               burger Bischof    ren Worten: auch unsere Gemeinde muss
 Tebartz van Elst nie gegeben, schenken          netzwerken. Das bedeutet einerseits
 diese engagierten Menschen der Kirche           wahrzunehmen und wertzuschätzen,
 fraglos ein großes Stück Vertrauen und          welche Netzwerke im Veedel bereits für
 sprechen ihr selbstverständlich eine            das Wohl der Menschen arbeiten. Das
 große Kompetenz in diesem Thema zu.             bedeutet andererseits, selbst konkrete
 Das ist erstaunlich.                            Themen zu benennen und anzustoßen,
    Zum anderen zeigt das Phänomen der           die die Menschen bedrängen. Schließ-
 Flüchtlingsinitiativen, dass netzwerk-          lich: Wer mit dem Netzwerkblick auf
 artige Strukturen zur Lebenswirklichkeit        das Veedel schaut, der ist fasziniert, mit
 der Menschen gut passen. Warum ist              wieviel Kreativität und Energie unzäh-
 das so? Netzwerke sind bewegliche, eher         lige Menschen sich für das Wohl anderer
 fluide Formen, in denen Solidarität,            einsetzen. Fromm gesagt: Spuren vom
 Gemeinschaft und Kreativität ermöglicht         Reich Gottes finden sich auch in der Be-
 und geteilt wird. Sie haben meist einen         tonwüste am Ebertplatz.
 hohen Grad an Selbstorganisation.                  Zum Schluss: Mark Gevers hat viele
 Ihre Aufgaben und Ziele sind klar und           Jahre lang das Layout des Pfarrbriefs ge-
 begrenzt. Menschen docken sich an, oft          staltet. Aus Zeitgründen kann er das nicht
 auf Zeit, für eine klar umrissene Aufgabe,      mehr leisten. Das ist sehr schade. Seine
 bei der sie Form und Zeitaufwand ihres          Unterstützung war toll und wir sind ihm
 Engagements sehr frei bestimmen, was            zu großem Dank verpflichtet. In diesem
 zu einer hohen Motivation führt.                Pfarrbrief spüren Sie daher die Hand-
    Bei uns im Veedel gibt es zahllose Netz-     schrift unseres neuen Grafikers Sebastian
 werke. Wir wollen Ihnen in diesem Pfarr-        Linnerz. Die Veränderungen gefallen
 brief einige vorstellen. Da ist zum Bei-        der Redaktion sehr gut. Und wir hoffen,
 spiel die Künstlerinitiative am Ebertplatz.     Ihnen geht es genauso.

                                                 Ihr Peter Otten, Pastoralreferent
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www.st-agnes.de
inhalt
                         2/15_titelthema netzwerke
                  4 Die Betonwüste lebt
                                               Freiraum Feuerwache      8
                         9 Taizégebet ›Nacht der Lichter‹

                              12 Netzwerk für Menschenrechte

                                       Die Ursulabruderschaft      14

                                            16 DJ rettet Lebensmittel

         17 Ministerium für Gutes
                                        Netzwerk zu Gott      18
weitere themen

                 22 »Wenn ich lange genug hinschaue,
                    beginnt die Straße zu sprechen«
                 26 Ein neues Mehrgenerationenhaus
                 28 Deutsch lernen in der Ursulinenschule
                 30 Ankommen und ablegen
                            rubriken

                                       20   nachrichten
                                       21   getauft & verstorben
                                       31   fragebogen
                                       31   impressum
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Die Betonwüste
            lebt
    Text: Jürgen Salz                             Gegenüber, in der Galerie ›Bruch und
    Foto: Sebastian Linnerz                       Dallas‹, einem früheren Geschäft für
                                                  Bilderrahmen, bereiten zwei Künstlerin-
    In der Passage unter dem Ebert-               nen eine Videoinstallation über einen
    platz tummelt sich ein lebendiges             brasilianischen Tanz
    Künstlernetzwerk.                             vor. Das ›Labor‹ neben
                                                  der ›Tiefgarage‹ stellt
    Die Rolltreppen laufen seit Jahren nicht      Fotografien von wei-
    mehr. Es riecht nach Urin. In den tris-       ßen Räumen aus. Das
    ten Betonecken lungern Obdachlose. Die        ›Gold und Beton‹ ist
    unterirdische Passage am Ebertplatz,          an diesem Dienstag-
    zwischen Neusser Straße und Eigelstein,       nachmittag geschlos-
    gilt als eine der hässlichsten Ecken Kölns.   sen, in wenigen Tagen
    »Ich fand den Ort schon immer attrak-         öffnet die Ausstellung
    tiv«, betont dagegen Maria Wildeis; sie       zweier Performance-
    mag die »dominante und heftige Archi-         Künstler.
    tektur« an diesem »ungeliebten Ort«.             In den Tiefen des
    Wildeis, 31 Jahre, in Jeans und Sweat-        Ebertplatzes ist eine
    shirt, führt die Galerie ›Tiefgarage‹, eine   lebendige Kunstszene
    ehemalige Boutique.                           gewachsen. Ein Künst-
       An der Wand sind Lkw-Reifen mon-           lernetzwerk. Man
    tiert, in denen sich Lautsprecher verber-     kennt sich, man hilft
    gen. In einem selbstgebastelten Vehikel,      sich und leiht sich ge-
    das einer Seilbahngondel ähnelt, sitzt        genseitig schon mal
    ein Künstler und sorgt für elektronische      ein paar Holzböcke
    Klänge. Ein Gitarrist und Schlagzeuger,       aus, die es braucht, um
4   eingezwängt in einen verglasten Sperr-        Kunstobjekte zu bear-
    holzverschlag, liefert den passenden          beiten. Etliche gemein-
    Sound dazu. So laut, dass Wildeis Ohr-        same Festivals hat die
    stöpsel ausgibt. Erst Ende November hat       unterirdische Passage
    der belgische Künstler Jonathan de Win-       bereits erlebt; im Juli
    ter seine Performance ›Wolfsrudel‹ be-        stieg ein Sommerfest.
    endet. Im Dezember stellen ukrainische
    Objektkünstler in der ›Tiefgarage‹ aus.
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titelthema netzwerke
»Es gibt hier ein sehr musik- und feier-     so kam Galeristin Wildeis auf den Na-
freudiges Künstlerpublikum, die klas-        men ihrer Galerie. »Ich könnte mir in der
sischen Sammler findet man hier eher         unterirdischen Passage am Ebertplatz
weniger«, sagt Wildeis.                      auch gut eine große, verglaste Kunsthal-
   Im September diskutierten die Künst-      le vorstellen«, sagt die ›Tiefgaragen‹-
ler unter anderem mit der ehemaligen         Chefin.
Stadtkonservatorin Hiltrud Kier in einer        Sechs bis acht Ausstellungen organi-
öffentlichen Gesprächsrunde über die         siert die studierte Kunsthistorikerin pro
Zukunft des Ebertplatzes. Die Beton-         Jahr; vor zehn Jahren hat sie sich selbst-
schneise mitten in der Innenstadt sorgt      ständig gemacht. »Bei der Auswahl achte
seit Jahren für Zündstoff im Stadtrat.       ich schon darauf, dass die Künstler be-
Für 2018 ist nun immerhin ein direkter       reits etabliert sind und nicht gerade erst
Übergang zwischen Neusser Straße und         frisch von der Uni kommen«, sagt Wild-
Eigelstein geplant. Der Frankfurter Ar-      eis. Für 2016 hat bereits eine Künstlerin
chitekt Albert Speer hatte vor Jahren vor-   zugesagt, die Galerie komplett mit Pa-
geschlagen, den Platz einzuebnen. Auch       pier auszukleiden und mit Schwarzweiß-
eine Tiefgarage war einst im Gespräch –      Fingerabdrücken zu verzieren.
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Jonathan Haehn, »Center For The Dull«, Juli 2015. Kunstprojekt, bei dem die Besucher eingeladen
    wurden, mit Folien den Platz zu umwickeln. Foto: Tiefgarage

    Finanziell werden die Ebertplatz-Künst-            »In meiner Galerie ist noch nie etwas
    ler von der Stadt Köln sowie von der               weggekommen.« Kürzlich, bei einem Fes-
    Rhein-Energie-Stiftung unterstützt, die            tival, hatten allerdings einige Besucher
    zum Energiekonzern RWE gehört.                     ihre Rücksäcke und Taschen draußen
    Zwei- bis dreimal in der Woche ist Wild-           abgestellt – und sich später gewundert,
    eis in ihrer Galerie anzutreffen; zu ihrem         dass ihnen ihre Habseligkeiten abhan-
    Lebensunterhalt tragen zusätzlich noch             dengekommen waren.
    andere Jobs bei. Sie arbeitet etwa als                An diesem Dienstag, nachmittags um
    Projektmanagerin für Ausstellungen oder            drei, streunt ein angetrunkener Afrikaner
    als Webseiten-Designerin.                          durch die Passage. Die Kneipe gegenüber
        Durch die Künstler sei die Ebertplatz-         macht erst in einer Stunde auf. Um die
    Passage ein sicherer Ort geworden,                 Zeit zu überbrücken, quatscht der Mann
    lobt die Polizei. Direkt neben der Galerie         Wildeis an. Sie bleibt freundlich. Nach
    ›Bruch und Dallas‹ lungern eine Hand-              einigen Minuten zieht er von dannen.
    voll Obdachlose. »Seitdem wir hier sind,           Vorbei an den Galerien, durch die Beton-
    ist die soziale Kontrolle stärker gewor-           wüste am Ebertplatz.
    den«, sagt Wildeis. Oft redet sie mit den
6   gestrandeten Berbern, fragt nach, wo               www.tiefgarage.org
    sie denn jetzt im Winter unterkommen:              www.labor-ebertplatz.de
                                                       www.goldundbeton.de
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      Kunstprojekte in
der Galerie ›Tiefgarage‹
       im Oktober 2015

             Malte Struck &
           Mark Wehrmann
    Death Metal Performance
         zum »nxnwfestival«
       Foto: Michael Schaab

            Tintin Patrone &
    das Krachkistenorchester
         zum »nxnwfestival«
     Foto: Daniel Mennicken

     Gordoa – Schick – Hein
      in der Ausstellung von
         Jonathan de Winter
       Foto: Michael Schaab
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Freiraum
      Feuerwache
    Text: Klaus Nelißen                         Es muss gut darauf geachtet werden, sich
    Foto: Sebastian Linnerz                     mit den passenden Organisationen zu ver-
                                                netzen, um nicht in Zusammenhänge zu
    Die Alte Feuerwache ist die größte          geraten, in die man nicht hineinmöchte.«
    Netzwerkfläche im Veedel.                   Daher ist laut den Zielen der Alten Feu-
                                                erwache auch kein Platz für undemo-
    Seit 1985 wachsen nicht nur die 21 Plata-   kratische, rassistische, sexistische oder
    nen auf dem Gelände der alten Haupt-        ökologisch unverträgliche Initiativen.
    feuerwache von 1890. Das Netzwerk Alte      Vielleicht braucht es gerade diesen inne-
    Feuerwache im Agnesviertel ist zu einem     ren Freiraum, um eine Ermöglichungs-
    bestimmenden Faktor in der gesellschaft-    fläche für eine so große Bandbreite an
                                                Begegnungsangeboten zu bieten. Die
                                                Alte Feuerwache jedenfalls weist beein-
                                                druckende Zahlen auf. Und hinter jeder
                                                Zahl stehen ungezählte Begegnungen:

                                                > Ca. 200 kulturelle und pädagogische
                                                  Veranstaltungen pro Jahr
                                                > 15 Konzerte, 8 Lesungen 2015
                                                > 65 Theater- und Tanzveranst. 2015
                                                > 43 Diskussionen und Tagungen 2015
                                                > 11 Werkstätten; von der Fahrrad-
                                                  werkstatt bis zum Instrumentenbau
                                                > 32 Ausstellungen 2015
                                                > Veranstaltungsbesucher pro Jahr:
                                                  14.000 (ohne Flohmärkte)
                                                > 70 engagierte Gruppen, die die Alte
    lich-kulturellen Landschaft Kölns ge-         Feuerwache regelmäßig aufsuchen;
    wachsen. Das selbstverwaltete Bürgerzen-      von einer Gemüsekooperative über
    trum ist heute ein komplexer Organismus       Chöre und Theaterprojekte bis zu
    aus verschiedensten Gruppen, Initiativen      politisch-gesellschaftlichen Gruppen
    und Akteuren. Zentrales Anliegen ist es,      wie Attac und ›Recht auf Stadt‹
    Raum zu schaffen für Kommunikation          > 1.200 Einzelnutzungen von Räumen
    und Begegnung. »Alle können sich hier         2015, z.B. für Tagungen, Seminare,
    treffen und Kontakte knüpfen«, erklärt        Gruppentreffen
    Anne Grose von der Alten Feuerwache.        > 10 Initiativen haben ihre Büros in
    »Von Anfang an arbeiten wir generations-      der Alten Feuerwache; vom BUND bis
    und milieuübergreifend – soziale und          zum Verein für deutsch-afrikanische
    kulturelle Herkunft, politische Orientie-     Kooperation
8   rung oder religiös-konfessionelle Bindung   > Überdachte Aktionsfläche: 5.000 qm
    spielen bei uns keine Rolle. Wir wollen       (zuzüglich 2.500 qm im Hof)
    Freiräume schaffen für Kreativität und      > Seit 1996 lockt der Flohmarkt im Hof
    bürgerschaftliches Engagement.«               10-12-mal jährlich jeweils rund 4.000
       Um diesen Freiraum zu wahren, ver-         Besucher an
    zichtet die Feuerwache darauf, sich von
    einer bestimmten Partei, Religion oder      Weitere Informationen und
    Konfession vereinnahmen zu lassen.          Veranstaltungshinweise unter:
    »Beim Netzwerken ist Sorgfalt wichtig.      www.altefeuerwachekoeln.de
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titelthema netzwerke
Taizé gebet
       Nacht der Lichter
Text: Ute Strunk                          ob in die Ehe oder ins Kloster. Beides
Fotos: Sebastian Linnerz                  hatte eine Chance. Die Arbeit der
                                          ›Dienerinnen des Evangeliums‹, die
Sechs Personen sitzen um den              tatkräftig über die Grenzen des CRUX
großen Frühstückstisch im dritten         hinaus die Stadtjugendseelsorge (und
Stock der Blumenthalstraße 24             somit auch das Taizégebet in St. Agnes)
und berichten über ihr Netzwerk           unterstützen, hat mich sehr stark be-
Taizé in St. Agnes.                       eindruckt. Das Gebet in St. Agnes und in
                                          Taizé, die Gesänge und vor allem die
»Wir sind uns hier zum ersten Mal be-     Menschen haben mir geholfen, zu Gott
gegnet«, erzählt Denise, die mit ihrem    zu finden und im turbulenten Alltag zur
Mann Alexander und dem kleinen Elias      Ruhe zu kommen. So hatte ich auch die
am Tisch sitzt. »Aber damals war mir
noch nicht klar, was meine Berufung ist
und wohin der Weg führen würde –          Von links nach rechts: Albert Knauf,
                                          Elias, Denise und Alex Dorniak, Franka Knauf
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Die ›Nacht der Lichter‹, jeden ersten Sonntag im November in St. Agnes

     Möglichkeit, die Geschehnisse der täg-             Novembersonntag in der Agneskirche
     lichen Routine in einem anderen Licht zu           stattfindet, resümiert: »Das hat bei allen
     sehen, Antworten auf die wirklich wich-            verschieden angefangen. Ich hatte schon
     tigen Fragen zu bekommen und Kraft zu              frühe Erfahrungen mit der Gemeinschaft
     schöpfen.«                                         von Taizé, die ich nach langer Pause beim
        »Alex, der damals im Musikerkreis               Taizégebet in St. Agnes miteingebracht
     Gitarre spielte, und ich haben uns dann            habe. In unseren Gebeten erlebe ich oft
     nach anderthalb Jahren bei einer Fahr-             eine ähnlich tiefe Spiritualität wie in
     radfahrt zum Taizégebet im Altenberger             Taizé selbst. Das zieht die Menschen
     Dom näher kennengelernt. Dort sind wir             an und lässt sie verweilen und oft nicht
     dann weitere zwei Jahre später getraut             wieder los.« Franka ergänzt: »Unsere
     worden«, erzählt Denise strahlend: »Und            Töchter stoßen immer wieder zu den
     heute sind wir zu viert.«                          Taizégebeten dazu, wenn sie in Köln sind,
        Was zieht so viele Menschen zum                 und unser Jüngster ist mit Taizéliedern
     Taizégebet und zur großen ›Nacht der               groß geworden und heute schon munter
     Lichter‹?, fragen sich die Umsitzenden.            bei den Vorbereitungen dabei.«
     Es ist wohl die Neugier und die Faszina-              Die Nacht der Lichter hat im Novem-
     tion durch die Gesänge und die beson-              ber 2015 wieder mehr als 2.000 Men-
     dere Atmosphäre, die hilft, in das Gebet           schen in die Agneskirche gelockt. Jede
     einzutauchen und darin eine große Ge-              Ecke war belegt, auch dort, wo man vom
     meinschaft und Spiritualität zu erfahren.          Geschehen im Chorraum nichts mehr
        »Es sind immer wieder viele Neue,               sehen konnte. Circa 20 bis 25 ehrenamt-
     aber auch schon mal Gesehene dabei«,               liche Personen zählen zum offenen Orga-
     erzählt Franka aus dem Orgateam und                team, dem viele schon lange angehö-
     Gastgeberin in der Blumenthalstraße.               ren; andere sind neu dazugekommen
     Sie schätzt einen Anteil von ca. 70 Pro-           oder nach längerer Pause wieder dabei.
10   zent von unter 30-Jährigen mit gleichem            Hier wird die Musikauswahl getroffen
     Anteil Jungen wie Mädchen, davon viele             und der Auf- und Abbau in St. Agnes
     auch unter 20 Jahren. Ihr Mann Albert,             organisiert. Für die gesamte Technik
     einer der Initiatoren der großen ›Nacht            (Strom, Akustik und Beleuchtung) sind
     der Lichter‹, die seit 2004 jeden ersten
titelthema netzwerke
seit langem Julian und Max verantwort-
lich. Beide sind aus der Jugendarbeit am
CRUX zum Taizégebet gekommen und
haben sich im Laufe der Jahre eine Akus-       Termine der nächsten
tik- und Beleuchtungsanlage zugelegt,          Taizégebete in St. Agnes:
die jeden Winkel in St. Agnes erreichen
kann. Die vielen helfenden Hände kann          So, 6. Dezember 2015, 18 Uhr
man auf einem Video im Zeitraffer auf          So, 3. Januar 2016, 18 Uhr
www.taize-koeln.de sehen.                      So, 7. Februar 2016, 18 Uhr
   Zum Abschluss der ›Nacht der Lich-          So, 6. März 2016, 18 Uhr
ter‹ trifft sich der Helferkreis an eben       So, 3. April 2016, 18 Uhr
jenem Tisch in der Blumenthalstraße.           So, 1. Mai 2016, 18 Uhr
Ein Ausklang mit vielen Gesprächen,
Musik; und manchmal gibt es auch ein
näheres Kennenlernen – wie noch einige
andere Paare zeigen, die sich hier gefun-
den haben.
   Der Geist und die Spiritualität von Taizé
ziehen an und fesseln. Das geschieht
in Taizé, dem kleinen Dorf in Frankreich
bei Cluny, in dem die Gemeinschaft von
Taizé ihren Sitz und Ursprung hat, ähn-
lich wie bei der großen ›Nacht der Lich-
ter‹ in St. Agnes, erzählen die Menschen,
die bereits beides erlebt haben. Hier fühlt
man sich angekommen. Jemand sagt in            Pfarrer Bernhard Wagner plant auch
die Runde: »Das ist etwas, das man nicht       im kommenden Sommer eine Fahrt mit        11
in Worte fassen kann ... und wenn denn         Jugendlichen und jungen Erwachsenen
doch, dann ist es das Wirken des Heili-        nach Taizé. Wer Interesse hat, kann per
gen Geistes, das man hier spüren kann.«        E-Mail: bernhard.wagner.pr@gmail.com
                                               oder telefonisch: (0221) 78 80 75 26
                                               Kontakt mit ihm aufnehmen.
Netzwerk für
     Text: Jürgen Salz
                      Menschenrechte
     Fotos: Sebastian Linnerz

     Mitten im Veedel begann die                 Wand hängt eine Kopie der Nobelpreis-
     Erfolgsgeschichte von Amnesty               urkunde für Amnesty aus dem Jahr 1977.
     International in Deutschland –              Ein Plakat am Fenster fordert Solidari-
     und hält bis heute an.                      tät mit dem saudi-arabischen Blogger
                                                 Raif Badawi, der laut Anklage den Islam
        Im Erdgeschoß des unscheinbaren          beleidigt haben soll und vom Regime
     Hauses zwischen Hauptbahnhof und            in Riad zu zehn Jahren Gefängnis und
     Eigelstein herrscht jeden Montagabend       zu tausend Peitschenhieben verurteilt
     Hochbetrieb. In der Domstraße 56            wurde. Ein Fall für Amnesty.
     hält Amnesty International regelmäßig          »Auch im E-Mail-Zeitalter schreiben
     Asylsprechstunden ab. Ehrenamtliche         wir noch Briefe, um uns für politische
     Freiwillige mit juristischen Kenntnis-      Gefangene, Folteropfer, Verschleppte
     sen bereiten Flüchtlinge auf die Asylan-    und gegen die Todesstrafe einzusetzen«,
     hörung vor und beantworten Fragen           sagt Kleinert-Gentz, »Waschkörbe voller
12   zum Verfahren. »Derzeit können wir uns      Briefe machen immer noch mehr Ein-
     vor Anfragen kaum retten«, sagt Am-         druck als Mails, die sich bequem weg-
     nesty-Mitglied Ursula Kleinert-Gentz.       drücken lassen.« Im Fall Badawi steht
        Die pensionierte Lehrerin, die dem       der Erfolg noch aus.
     internationalen Netzwerk für Menschen-         »In etwa einem Drittel bis zur Hälfte
     rechte seit über vierzig Jahren angehört,   der Fälle können wir den Opfern von
     gibt Interessierten regelmäßig einen        Menschenrechtsverletzungen helfen«,
     Einblick in die Arbeit von Amnesty. Sie     sagt Kleinert-Gentz, »das kann eine Haft-
     sitzt an einem langen Holztisch, an der     erleichterung sein oder die Freilassung.«
titelthema netzwerke
Wie kürzlich im Falle des Nigerianers         höchst erfreulich, erzählt Fonfara. Ihre
Moses Akatugba, für den auch das Köl-         Aufgabe sieht sie darin, Amnesty in der
ner Amnesty-Büro mit Briefaktionen            Bevölkerung bekannter zu machen. Fon-
kämpfte. 2005 nahm die nigerianische          fara wirbt nicht nur in Kirchen für die
Staatspolizei Akatugba fest, folterte den     Menschenrechtsorganisation. Auch auf
Nigerianer und verurteilte ihn zum Tode,      Veranstaltungen wie dem Literaturfes-
weil er angeblich Mobiltelefone gestoh-       tival lit.cologne, bei Theater- oder Opern-
len hatte. 2014 startete Amnesty eine welt-   aufführungen oder im Domforum stand
weite Briefaktion; über 800.000 Unter-        sie mit ihrer Gruppe schon für Amnesty
schriften kamen zusammen. Im Mai 2015         am Infotisch.
wurde Akatugba, der nun selber Men-              »Wir können noch viele weitere Mit-
schenrechtsaktivist werden will, begna-       streiter gebrauchen«, sagt Fonfara, »auch
digt und aus der Haft entlassen.              gern jüngere Leute, die sich mit IT und
                                              sozialen Medien gut auskennen.« Ihre
Einsatz im Gottesdienst                       Amnesty-Gruppe, sagt Fonfara, drohe
   Der britische Rechtsanwalt Peter           etwas zu überaltern.
Benenson gründete Amnesty 1961 in Lon-           Themen gibt es genug: Am 11. Dezem-
don. Die Zentrale recherchiert und do-        ber spricht der chinesische Schriftsteller
kumentiert Menschenrechtsverletzungen         und Dissident Liao Yiwu im VHS-Forum
und die Schicksale der Opfer weltweit.        am Neumarkt über die Menschenrechte
In über 60 Ländern (»Sektionen«) ist          in China. Und rund um den Internatio-
Amnesty inzwischen mit eigenen Büros          nalen Tag der Menschenrechte am 12. De-
vertreten, vor allem in Europa und in         zember startet Amnesty einen Briefma-
Nordamerika. Die Londoner Zentrale ent-       rathon: Hunderttausende Menschen aus
scheidet darüber, welche Büros welche         allen Teilen der Welt schreiben inner-
Fälle verfolgen.                              halb von wenigen Tagen Millionen Briefe,
   Bereits zwei Monate nach der inter-        um an Regierungen zu appellieren, die
nationalen Gründung startete die deut-        Menschenrechte zu achten. Die Aktion
sche Sektion von Amnesty in Köln; die         läuft vom 4. bis 18. Dezember 2015.
WDR-Journalisten Gerd Ruge und Caro-
la Stern waren damals die treibenden
Kräfte. Seit Jahrzehnten residiert das
Büro in der Domstraße. Hier finden
nicht nur die Infoabende und die Asyl-
sprechstunden statt, hier treffen sich
auch einige der Arbeitsgruppen.
   Manche Gruppen haben sich auf ein-
zelne Länder wie Iran oder Afghanistan
spezialisiert, andere auf einzelne Themen
wie die Todesstrafe. Hadwig Fonfara
engagiert sich in der Kirchengruppe. Mit
einer Handvoll Gleichgesinnter tritt die
frühere Bibliothekarin – nach Abspra-
che mit dem jeweiligen Pfarrer oder der
Pfarrerin – in Kölner Kirchen auf und
erinnert in den Gottesdiensten an das
Schicksal von politischen Gefangenen.
Im Vorraum liegen dann nach der Messe            Ursula Kleinert-Gentz im Gespräch mit
Petitionslisten aus; Gottesdienstbesu-           Jürgen Salz. Die Website der deutschen Sektion
cher können gerne unterschreiben.                von Amnesty International: www.amnesty.de
   Einmal im Jahr gestaltet die Amnesty-
Kirchengruppe auch den Gottesdienst in
St. Agnes mit. Die Zusammenarbeit mit
der Pfarrei laufe seit Jahren problemlos,
Die Ursulaprozession,
                                                                               ein Foto von Eusebius
                                                                               Wirdeier, Autor des
                                                                               Kalenders der Pfarrei
                                                                               St. Agnes 2016
                                                                               (siehe auch Seite 22)

                                                                               Wissenswertes rund um
                                                                               die Ursulaverehrung
                                                                               und die Bruderschaft:

                                                                               www.heilige-ursula.de

      Ältestes Social Network im
      Veedel seit 570 Jahren:
     Die Ursulabruderschaft
      Text: Klaus Nelißen

      Wenn ›sie‹ zusammenkommt, ist                 tragen, damit ihre Namen nicht verloren-
      die Kirche in blutrotes Licht ge-             gehen und ihrer in der Basilika der hei-
      taucht. Knochen spielen eine zen-             ligen Ursula gedacht wird: einmal zum
      trale Rolle; getafelt wird in der             Zeitpunkt ihres Todes mit einem eigenen
      ›Schreckenskammer‹.                           Gedenkamt; danach an jedem zweiten
                                                    Sonntag im Monat, wenn Messe gefeiert
           Ansonsten aber ist die Ursulabruder-     wird für sämtliche Lebenden und Ver-
      schaft weder morbide noch weltverschwö-       storbenen der Bruderschaft.
      rerisch. Vielmehr geht es ihr um ein from-       Das Interessante: Weder ist diese
      mes Anliegen: Die Verehrung der heili-        Bruderschaft allzu verschworen – man
      gen Ursula durch die Zeiten zu pflegen.       muss nur am Pfarrhaus bei Monsignore
      Und wenn man so will, gehören die Mit-        Wilhelm Schlierf klingeln, um allerhand
      glieder der Ursulabruderschaft dem wohl       Interessantes zu erfahren – noch sind
      ältesten noch bestehenden ›Social Net-        Männer in der Überzahl. Im Grunde
14    work‹ der Agnesgemeinde an – stolze           müsste man die Bruderschaft eher eine
      570 Jahre ist sie alt. Ihr ›Server‹ ist ein   ›Schwesternschaft‹ nennen. Unter den
      uraltes Buch, das noch heute in der Sa-       vielen Namen im Bruderschaftsbuch
      kristei von St. Ursula aufbewahrt wird.       taucht einer – wenig überraschend –
      Tausende Namen sind aufgeführt, quasi         besonders oft auf: Ursula.
      als ›Follower‹: Könige, Fürsten, Kardi-          »In früheren Zeiten bekamen viele
      näle – Namen aus ganz Europa. Im Bru-         Ursulas die Mitgliedschaft quasi direkt
      derschaftsbuch von 1445 haben sie sich        zur Taufe mitgeschenkt«, weiß Msgr.
      über die Jahrhunderte hinweg einge-
titelthema netzwerke
Schlierf zu erzählen, der seit 1998 die       derschaft dürre Zeiten durchschreitet.
treibende Kraft hinter der Bruderschaft       Der Dreißigjährige Krieg, die napoleoni-
ist. Die meisten Mitglieder stammten gar      schen Wirren: Immer wieder drohte der
nicht aus Köln, sondern aus der gesam-        Traditionsfaden zu reißen. Immer wieder
ten Bundesrepublik – und sogar aus der        wurde er neu aufgenommen. So soll nach
Schweiz. »Selbst in der calvinistischen       dem Zweiten Weltkrieg Prälat Paul Fet-
Hochburg Basel gibt es ja ein Ursula- bzw.    ten, der damalige Pfarrer von St. Ursula,
Jungfrauengässchen«, bemerkt Schlierf         persönlich zum Hörer gegriffen haben
nicht ohne Stolz über die Verehrung der       und allen Frauen im Kölner Telefonbuch
Stadtpatronin Kölns. In der ihr geweihten     mit dem Vornamen Ursula die Mitglied-
Kirche wirkte er viele Jahre lang als Pfar-   schaft angetragen haben. Joseph Kardi-
rer. Noch im Ruhestand feiert er dort         nal Frings musste nicht lang überredet
regelmäßig Messe – auch für die Mitglie-      werden. Am 21. Oktober 1946 trat er dem
der ›seiner‹ Bruderschaft.                    Kreis bei und schrieb in das Bruder-
    Gegründet wurde die Bruderschaft zu       schaftsbuch: »In einer Zeit, da die Basi-
einer Zeit, als sich das Zunftwesen im        lika St. Ursula in Trümmern liegt und
Niedergang befand. Neue Formen des            der Gottesdienst nur im Vorraum gehal-
Zusammenstehens mussten gefunden              ten wird, trage ich mich ein in das Mit-
werden. Viele Bruderschaften, die heute       gliedsbuch der Ursulabruderschaft Köln
noch landauf, landab bestehen, wurden         und erhoffe durch die Fürbitte der Stadt-
damals vor allem zu einem Zweck ge-           patronin, dass ihre Kirche bald wieder
gründet: Ihre Mitglieder konnten sich         die goldene Turmkrone trägt und Köln
sicher sein, im Tod nicht alleingelassen      zu neuem materiellem und christkatho-
zu werden. Diese sogenannten Sterbe-          lischem Leben erwacht.«
bruderschaften waren richtungweisend,            Frings’ Hoffnungen wurden erfüllt.
als es noch keine geregelte Bestattungs-      Weithin sichtbar leuchtet wieder die
kultur gab. Bei der Ursulabruderschaft        Turmkrone. Noch immer kommen Jahr
scheint der Gründungszweck allerdings         für Jahr am 21. Oktober Hunderte zur
ein anderer gewesen zu sein: Von Anfang       ›Knöchelcheprozession‹, wie die Einhei-
an war das Anliegen zentral, das Ansehen      mischen die älteste bestehende Kölner
und die Verehrung der populären Schutz-       Prozessionstradition liebevoll nennen.
patronin zu mehren. Und das mit beacht-       Dann ziehen die Gläubigen mit rotleuch-
lichem Erfolg: Bedeutende Universitäten       tenden Kerzen und knöchernen Reliquien
– wie diejenigen von Paris oder Wien –        über den früheren ›Ager Ursulanus‹.
stellten sich ebenfalls unter das Patronat    Das ist der Tag, an dem die Basilika in
der Kölner Jungfrau. Und 90 Jahre nach        märtyrerrotes Licht getaucht ist, und
Gründung der Ursulabruderschaft grün-         an dem die Ursulabruderschaft traditio-
dete Angela Merici in Italien die ›Ge-        nell ihr Mahl hält in der Gaststätte
meinschaft der heiligen Ursula‹. Daraus       ›Schreckenskammer‹ – wie jedes Jahr
entwickelte sich der Orden der Ursuli-        und hoffentlich noch lange Zeit. Und wer
nen, dem heute 10.000 Schwestern ange-        weiß, vielleicht kann sich Msgr. Schlierf
hören. Natürlich fühlt sich jede Ursuline     schon bald über einen Neueintritt freuen:
der Kölner Kirche mit der Krone der           »Kürzlich habe ich den Kardinal auf
britischen Prinzessin auf dem Turm be-        das gute Beispiel seiner Amtsvorgänger
sonders verbunden.                            hingewiesen, Bruderschaftsmitglied zu
    Nur zahlen diese Ordensschwestern         werden«, berichtet er und ergänzt, Erz-
nicht den jährlichen Bruderschaftsmit-        bischof Woelki sei nicht abgeneigt          15
gliedsbeitrag von bescheidenen 25 Euro –      gewesen: »Jetzt warten wir mal auf den
sonst wäre die Mitgliederstatistik von        Schrieb.«
Msgr. Schlierf stattlicher: Gab es vor we-       Social Networking funktioniert manch-
nigen Jahren noch 500 Mitglieder, sind        mal eben immer noch auf dem Papierweg
es derzeit nur noch 200. Derzeit wird         und durch direkte Ansprache – genau
viel gestorben in der Ursulabruderschaft.     wie vor 570 Jahren.
Aber Schlierf hofft auf bessere Jahre.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Bru-
DJ rettet Lebensmittel
     Text: Peter Otten                            durch werden die Lebensmittel verwertet
     Foto: Pressestelle Evang. Kirche Köln        und nicht weggeworfen«, erklärt Hors-
                                                  ters. Zusammengehalten und optimiert
     Bei foodsharing verhindern Men-              wird das Netzwerk über die Internetseite
     schen, dass Lebensmittel wegge-              foodsharing.de, auf der sich jede/r regis-
     worfen werden. Christian Horsters            trieren und damit selbst zum ›Foodsa-
     brachte die Idee ins Agnesviertel.           ver‹ werden kann. »Wir fragen nie nach
                                                  der sozialen Bedürftigkeit«, sagt Hors-
        Ein Dokumentarfilm verwandelte            ters, »bei uns geht es um die Würde des
     Christian Horsters in einen ›Lebensmit-      Lebensmittels. Nehmen kann sie jeder,
     telretter‹: vor dreieinhalb Jahren sah er    der für sie eine Verwendung hat.« Neben
     »Taste the Waste«. Darin zeigt Regisseur     Privatpersonen können inzwischen auch
     Valentin Thurn eine unfassbare, welt-        Firmen ihre Überschüsse anmelden,
     weite Verschwendung von Lebensmitteln.       die dann von Mitgliedern der Initiative
     Allein in Deutschland werden pro Jahr        abgeholt und weitergegeben werden.
     über die Hälfte der produzierten Lebens-     Ein Blick auf die Internetseite verdeut-
                                                  licht die Spannbreite an Lebensmitteln,
                                                  die in einer Stadt wie Köln abgegeben
                                                  wird: von überzähligen Büchsen mit
                                                  Sauerkraut bis zum fix und fertig gekoch-
                                                  ten Essen ist alles dabei.
                                                     Horsters ist ein sogenannter ›Botschaf-
                                                  ter‹ der Initiative. Er koordiniert ver-
                                                  schiedene Teams in Köln. »Hier machen
                                                  inzwischen 300 Firmen und etwa 800
                                                  Einzelpersonen mit.« Im Agnesviertel
                                                  beteiligen sich der Bioladen Biosam und
                                                  die Bäckerei Epi auf der Neusser Straße.
                                                  Horsters hat erreicht, dass eine Bäcke-
                                                  reikette ihre täglichen Überschüsse an
                                                  foodsharing weitergibt. Jeden Dienstag
                                                  um zehn Uhr werden die Backwaren auch
     Pfarrerin Eva Esche und Christian Horsters   an der Thomaskirche am Neusser Wall
                                                  ausgegeben. »Das dauert eine Stunde,
                                                  dann ist alles weg.« Solche institutionali-
     mittel weggeworfen. Aneinandergereiht        sierten Verteilungspunkte würde Hors-
     ergäben das 500.000 Lastwagen – eine         ters gerne an weiteren Stellen im Agnes-
     Schlange von Berlin bis Peking. Thurn        viertel etablieren. Der 60-Jährige ist je-
     zeigt, wie Gabelstapler Joghurt, Käse und    den Tag in Sachen foodsharing unbezahlt
     Gemüse, Brot und Milch palettenweise         unterwegs. »Ich kann mir das leisten«,
     und original verpackt in Abfallcontainer     sagt er, »und darüber freue ich mich.«
     wuchten; wie Salatblätter und Tomaten           Horsters Unabhängigkeit ergab sich
     durchs Bild regnen. Verbeulte Kartoffeln     vor fünf Jahren, als er »aus Versehen«
16   oder eierköpfige Auberginen werden           durch einen YouTube-Schnipsel zum in-
     frisch geerntet entsorgt oder gleich unter   ternational gefragten »DJ der guten Lau-
     die Erde gepflügt.                           ne« aufstieg und sein Hobby über Nacht
        Christian Horsters war beeindruckt        zum Broterwerb wurde. Seitdem hat er
     und beschloss, sich der ehrenamtlichen       Zeit, Menschen für ein bewussteres Leben
     Initiative foodsharing anzuschließen:        zu gewinnen: »Wir können anders leben«,
     »Die Ursprungsidee ist, dass Menschen        sagt er, »und es ist gut, mit anderen
     Lebensmittel abgeben oder tauschen           Menschen einfach anzufangen.«
     können, die sie privat übrig haben. Da-      Weitere Infos: www.foodsharing.de
titelthema netzwerke
                                                                Geben und nehmen –
                                                                ›Minister‹ Michael Hübner
                                                                vor der ›Givebox‹

       Ministerium für Gutes                                       MfG
Text: Ute Strunk                            eigene Bohrmaschine besitzen, die er
Foto: Sebastian Linnerz                     dann durchschnittlich nur 10 Minuten
                                            seines Lebens benutzt. Bezahlt wird in
Rechts vom Eigelstein liegt das Mi-         Nachbarschaftshilfe oder gegen Geld;
nisterium für Gutes (MfG) im Büro           das ist Verhandlungssache.
von Michel Hübner, seines Zeichens             ›Ministerium für Gutes‹ bedeutet Spiel
Minister und Vorstandsvorsitzender.         im Veedel – in der und für die Gesellschaft.
                                            Mitspieler sind Nachbarn, die Minister –
Schräg gegenüber befindet sich der mi-      je nach Angebot und Bedarf, der sich
nisterielle Versammlungsort, das Kunst-     vor Ort ergibt. Das MfG ist die Plattform.
café Stüverhoff. Träger des MfG ist der     Die Minister werden in wöchentlichen
Verein ›Menschen für Gutes‹ – schließ-      Veranstaltungen gewählt.
lich kann ein Ministerium kein e.V. sein.      Es geht um Nachbarschaftshilfe im
Gegründet wurde der Verein am 25.9.2011     Veedel, aber auch – weitergedacht – um
– am Gedenktag des heiligen Michael,        eine Präsentations- und Handlungsplatt-
unter dessen Segen das Projekt gestellt     form für größere Projekte. Cluster ver-
wurde. Gründungsväter sind Menschen         binden sich durch weitere soziale Netz-
aus Kirche, Caritas und Wirtschaft. Ko-     werke. Das Netzwerk MfG bietet zur
operationen gibt es bereits in Österreich   übergeordneten Willensbildung entspre-
und der Schweiz. Wissenschaftliche Un-      chende Foren bzw. kann Abstimmungs-
terstützung erhält das Projekt von der      tools bieten, um diverse Bürgerentschei-
Universität Oldenburg; ein Konzept für      dungen zu ermöglichen.
die Finanzierung bzw. konkrete Förde-          Bereits jetzt gibt es im Kunstcafé Stü-
rung ist erstellt. Derzeit wird die Sache   verhoff an jedem geraden Freitag im
im Kleinen ins Rollen gebracht. Umfas-      Monat die Singbude, zu der Interessierte
send wird das Projekt ab Anfang 2016        eingeladen sind, ihre Wünsche und Ideen
realisiert.                                 mitzubringen. Vernissagen und Konzer-
   Die Idee hinter dem MfG ist die Ver-     te runden das Programm ab. Und auf
netzung von Fähigkeiten und gemein-         dem Platz befindet sich eine ›Givebox‹,         17
samen Interessen. Jeder kann sich ein-      die von Nachbarn bereits fleißig genutzt
bringen. Das kann eine Bohrministerin       wird, um Bücher, Kleidung, Schuhe,
sein, die eine Bohrmaschine hat und dort    Spielsachen, Haushaltsgeräte und vieles
Löcher bohrt, wo Nachbarn Löcher brau-      mehr zu geben – und zu nehmen.
chen. Über die ›Union Nachbarschaftli-
cher Selbsthilfe› (UNS) steht auch eine     Kontakt: Menschen für Gutes e.V.
Bohrmaschine für Selbstbohrer zur Ver-      Im Stavenhof 6, 50668 Köln
fügung. Schließlich muss nicht jeder eine   www.kunstcafe-stueverhoff.de
                                            mfg.koeln@netcologne.de
Netzwerk
                      zu Gott
                    Text: Hilde Naurath
                    Foto: privat

      Ein junger Erwachsener fand
      über die Agnesgemeinde den Weg
      in die katholische Kirche.

         »Ich hatte immer das Gefühl, dass
      etwas fehlt.« York-Alexander Dornhof
      lässt seine Kindheit und Jugend in »einer
      normalen evangelischen Familie« Revue
      passieren. Mutter evangelisch, Vater ihr
      zuliebe vom katholischen zum evangeli-
      schen Glauben konvertiert. Sicher, Ostern
      und Weihnachten ging es allemal in den
      Gottesdienst. An Weihnachten kam das
      Christkind statt des Weihnachtsmanns,
      darauf legte die Mutter Wert. Es gab auch
      »interessante Menschen«, von denen
      York im evangelischen Religionsunter-       es ab in die Messe – und zu Yorks Ver-
      richt hörte, und die ihn faszinierten –     blüffung an Ostern und Weihnachten
      wie Martin Luther, der felsenfest an Gott   nicht nur insgesamt einmal, sondern an
      glaubte und überzeugt war, »man braucht     jedem einzelnen Feiertag stramm durch.
      nicht das ganze Drumherum«, es kommt        Frisch verliebt erklärte York: »Da komm’
      nicht auf Äußerlichkeiten an. Darüber       ich mal mit.« Und so lernte er die Ag-
      hinaus hatte York stets »ein Gefühl des     nesgemeinde kennen und die Heimatge-
      Verbundenseins« – des Verbundenseins        meinde von Annas Eltern und so manch
      mit Gott, dem er »phasenweise« von          einen Gottesdienst im Kölner Dom.
      seinem Tag erzählte. Doch sonst, »sonst     »Ich wurde quasi an die Hand genommen
      war da nix«; keine weiteren Anknüp-         und in tolle – und nicht so tolle – Gottes-
      fungspunkte an eine Gemeinschaft, an        dienste mitgenommen.« Und zwar meis-
      einen Glauben.                              tens in die Familiengottesdienste, denn
         Dann kam Anna. York fand sie schon       »ich bin ja wie ein Kind, das noch lernt«.
      beim ersten Treffen toll. Anna stammt       Gemeinsam gewöhnte sich das Paar an,
      aus einer »erzkatholischen Familie« aus     mindestens einmal in der Woche in einer
18    Vietnam, einem Land, in dem nur eine        Kirche eine Kerze anzuzünden.
      winzige Minderheit Christen lebt, von der      Langsam wurde das Band fester. Ganz
      wiederum 99 Prozent der katholischen        allmählich war nicht mehr Anna die
      Kirche angehören. Annas Familie ist fest    treibende Kraft, die sonntagmorgens aus
      im Glauben verankert. Mindestens ein-       dem Bett zog. Sondern York überlegte,
      mal, wenn nicht zweimal pro Woche geht      wie auch an terminreichen Wochenenden
titelthema netzwerke
bloß der Messbesuch gewährleistet wer-       üblichen Trott, über fundamentale The-
den konnte. Die Gemeinde zog. »Es gab        men zu diskutieren – und sich daran zu
nie den einen Moment, in dem sich alles      erinnern, dass er schon einmal ein tie-
änderte, sondern es war ein Entwick-         fes Gefühl für das Wesentliche im Leben
lungsprozess.« Ganz allmählich erkannte      gehabt hatte: »Als Zivi habe ich mit
York, dass es eine Option für ihn gab,       Geistigbehinderten in Schulen gearbeitet.
die Option, zum Katholizismus zu wech-       Das hatte Sinn.« Existenzielle Fragen
seln, willentlich einer Glaubensgemein-      diskutiert er bis heute im agnes.treff.
schaft anzugehören.                              In einer öffentlichen Samstagsmesse
   Der erste, dem er davon erzählte, war     tat er den offiziellen Schritt in die ka-
sein Vater. Sein Vater hatte den umge-       tholische Gemeinde. Seine Firmpatin war
kehrten Schritt schließlich auch schon       Anna; die Familie war auch dabei. Zele-
geschafft – und sein Vater sah gar kein      brant Bernhard Wagner erklärte: »Wir
Problem. Auch Anna erklärte: »Das            haben heute einen unter uns, der in die
musst Du wissen und wollen.« Und als         katholische Kirche eintritt. Da er aus
er sich nach der offiziellen Aufnahme-       der evangelischen Kirche kommt, ist die
möglichkeit erkundigte, erklärte ihm         Bilanz wieder Null.« York ist ihm für
die Stimme am Telefon des Pfarrbüros         diese Worte von Herzen dankbar; für ihn
fröhlich: »Da sind Sie hier richtig.«        ist es wie »ein Trikottausch bei einem
Die Stimme leitete ihn zum zuständigen       Mannschaftswechsel«. Die Entscheidung
Subsidiar. Dieser Subsidiar wiederum         für die eine Kirche ist für ihn nicht vor-
erwies sich als entscheidender Vermitt-      rangig eine Entscheidung gegen die an-
ler. Bernhard Wagner führte intensive        dere: »Ich hoffe, ich werde immer mehr
Gespräche mit dem wissbegierigen             Teil der Gemeinschaft sein.«
Nachwuchskatholiken, gab umfangrei-              Wenn also Kirche ein Netzwerk von
che Lektüretipps, lotste durch das schier    Menschen ist, die im Glauben verbunden
endlos scheinende formale Prozedere          sind – hätte er dann ohne dieses Netz-
und schlug als Austauschplattform den        werk zu Gott gefunden? York-Alexander
agnes.treff vor. Zweimal sollte der poten-   Dornhof muss keine Sekunde überlegen.
tielle Konvertit den Treff für junge Er-     »Nö«, sagt er, und lacht.
wachsene besuchen, um einen Eindruck
von Katholiken seiner Generation zu
erhalten. York kam und fand eine selte-
ne Gelegenheit, auszubrechen aus dem

      Das Bild auf dem Umschlag ist ein
      Gemälde von Herbert Linden,
      Jahrgang 1955. Der Künstler lebt
      seit 1977 im Agnesviertel. Nach
      vielen nationalen und internatio-                                                   19
      nalen Ausstellungen in Galerien
      und Museen stellt Herbert Linden
      im Februar 2016 im Agnesviertel
      im ›plus Raum für Bilder‹ in der
      Schillingstraße 14 aus.
nachrichten

         Fotos aus Rom:                                               Fotos von der Sommerfahrt: Niklas Möller
        Katharina Kaiser

                                                    Messdienerinnen und Mess-
                                                    diener aus St. Agnes in Rom
                                                       Eine Messdienergruppe aus St. Agnes
                                                    nahm in den Herbstferien 2015 an der
                                                    Ministrantenwallfahrt des Erzbistums
                                                    Köln teil. Gemeinsam mit 2.000 anderen
     Kirchenvorstände in                            Jugendlichen reisten sie unter dem Motto
                                                    »Wie im Himmel ...!« nach Rom. Höhe-
     St. Agnes gewählt                              punkte der Wallfahrt waren eine Gene-
        Bei der Wahl am 14. und 15. Novem-          ralaudienz bei Papst Franziskus auf dem
     ber 2015 wurden Friederike Cremer, Her-        Petersplatz sowie der Abschlussgottes-
     mann-Josef Hermes, Bettina Kersting,           dienst mit der großen Gruppe und dem
     Ingrid Kühnau und Hans Reusteck in den         Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal
     Kirchenvorstand gewählt. Der Kirchen-          Woelki. »Wir haben viel Beeindruckendes
     vorstand ist das Vermögens- und Verwal-        von der Stadt gesehen wie den Peters-
     tungsgremium einer Pfarrei.                    dom, den Trevi-Brunnen und die Spani-
                                                    sche Treppe«, erzählt Katharina Kaiser,
     Navid Kermani kommt                            Messdienerleiterin in St. Kunibert. In
                                                    drei Jahren führt die nächste Ministran-
     nach St. Kunibert                              tenwallfahrt wieder in die Heilige Stadt.
        Der Kölner Orientalist und Schriftsteller
     Navid Kermani spricht im Rahmen einer          Neue Messdienerinnen
     Veranstaltung des Literaturkreises von
     St. Agnes am Donnerstag, den 21. April         und Messdiener
     2016 um 20 Uhr in St. Kunibert über sein          11 neue Messdienerinnen und Mess-
20   Buch »Ungläubiges Staunen – Über das           diener haben am Sonntag, den 22. No-
     Christentum«. Sein Gesprächspartner            vember 2015 in einem feierlichen Gottes-
     ist der Theologe Hans-Joachim Höhn,            dienst offiziell ihren Dienst am Altar
     die Moderation übernimmt Christoph             begonnen. Viele Wochen lang wurden
     Fleischmann.                                   sie von Mitgliedern der Leitungsrunde
                                                    ausgebildet. Insgesamt dienen nun
                                                    rund 70 junge Menschen in den Gottes-
                                                    diensten unserer Kirchen.
Sommerspaß am See
   An den Pälitzsee führte 2015 die
Sommerfahrt 57 Kinder und Jugendliche
aus St. Agnes. »Wir hatten zwei Wochen
viel Spaß«, bestätigt Niklas Möller aus
der Leitungsrunde. Er freut sich schon
auf die nächste Sommerfahrt. Sie führt
vom 7. bis 20. August 2016 nach Bock-
holm an der dänischen Grenze. Die An-
meldebögen liegen ab Anfang Dezember
2015 in den Kirchen aus.

Erstkommunion und
Firmung: Hohes Interesse
   55 Kinder haben sich bislang zur Erst-
kommunionvorbereitung 2016 in St. Agnes
angemeldet. 25 Menschen haben sich
bereit erklärt, als Katechetinnen und Ka-
techeten mitzuwirken. Die Anmeldung
der Firmanden läuft noch; hier erwartet
die Pfarrei die Teilnahme von etwa 40
Jugendlichen, die von einer Gruppe von
sieben Katechetinnen und Katecheten
vorbereitet werden. Die Feier der Erst-
kommunion findet statt am Sonntag,
den 3. April 2016 um 10 Uhr in St. Agnes.
Die Feier der Firmung findet statt am
12. November 2016 um 18 Uhr in St. Agnes.

Drei Stunden: Freiheit
   Eine besondere Lesung bereitet der
Literaturkreis von St. Agnes zum Gedenk-
tag von Nikolaus Groß vor. Die Gruppe
hat Menschen aus dem Veedel nach
Texten, Gedichten und Songtexten zum
Thema Freiheit gefragt, die für sie eine
persönliche Bedeutung haben. Zusammen-
getragen wurden Texte von Wolfgang
Herrendorf, Heinrich Böll, Patti Smith und
einigen anderen. Die Lesung mit Musik
beginnt am Samstag, den 23. Januar 2016
um 20 Uhr in der Krypta von St. Agnes.
»Wenn ich lange genug hinschaue,
  beginnt die Straße zu sprechen«
     Ein Gespräch mit dem Kölner Fotografen Eusebius Wirdeier,
     der den Jahreskalender 2016 für St. Agnes gestaltet hat.
     Seine Fotos zeigen Szenen aus den Vierteln der Pfarrgemeinde.

      Herr Wirdeier, wie schaut eigent-            Und wurde durch den Bau der Nord-Süd-
      lich ein Fotograf auf die Welt?              Fahrt zerteilt. Dann sind große Dienst-
      Schaut er anders darauf als ich?             leister dahingezogen. Es gibt eine Fabrik,
          Vielleicht. Ich schaue auch durch die    die Berufskleidung herstellt, Versiche-
      Brille meiner Vorgänger. Und das sind in     rungen, die AOK und
      diesem Viertel die Fotografen Charges-       medizinische Dienste.
      heimer und Hermann Claasen, die in den       Und eben im östli-
      1950er-Jahren fotografiert haben, als zum    chen Bereich die
      Beispiel die Straße Unter Krahnenbäu-        Ursulinenschule und
      men schon totgesagt war und dann noch        die Hochschule für
      mal zur Blüte kam in der Armutszeit nach     Musik und Tanz, also
      dem Krieg. Und diese Bilder habe ich         Ausbildung. Es hat
      im Kopf. Und ich gucke auf die Welt und      sich sehr verändert,
      frage, ob die Welt noch so ist oder ob das   aber es ist schon
      alles vorbei ist. Was sich davon erhalten    lebendig geblieben.
      und wieviel sich davon verändert hat.
      Im Ursulaviertel und auf dem Eigelstein
      hat sich eine Menge verändert, aber es
      ist auch viel geblieben. Andere Einwoh-
      ner sind dazugekommen, zum Beispiel
      Türken, Griechen und Italiener, die hier
                                                   Das Foto wurde zwei
      inzwischen dazugehören. Da gucke ich         Tage vor dem Inter-
      drauf und versuche, mich leise hindurch-     view, am 12. Oktober
      zubewegen und festzustellen: Was ist         2015 aufgenommen.
      hier? Wie lebt es sich hier?
                                                   Die beiden Gebäude
      Haben Sie einen Lieblingsort?                am linken und rechten
         Sicher die Straße Unter Krahnenbäu-       Bildrand standen so
                                                   auch schon vor sechzig
      men, weil sie in den letzten Jahrzehnten
                                                   Jahren. Die Aufnahme
22    immer wie ein Barometer städtische Be-       von Chargesheimer
      findlichkeit angezeigt hat: Was passiert     (siehe Abb. Seite 24)
      da? Wer lebt da? Kann man da noch            kann man im Museum
      leben? Sie ist einem starken Wandel un-      Ludwig ansehen oder
      terlegen. 1950 wurde sie totgesagt. Kurz     in der Stadtbiblio-
      darauf wurde sie wieder sehr lebendig.       thek in dem Fotobuch
                                                   »Chargesheimer/
                                                   Heinrich Böll, Unter
                                                   Krahnenbäumen –
                                                   Bilder einer Straße«.
Was interessiert Sie? Die Verände-           Sie haben erzählt, dass Sie vor
rung oder das, was Bestand hat?              zwei Tagen lange vor St. Kunibert
   Beides. Nehmen wir die Treppe, die        gesessen und fotografiert haben.
an der Unterbrechung der Straße Unter        Da dachte ich: Das verlangt ein
Krahnenbäumen zur Nord-Süd-Fahrt             hohes Maß an Aufmerksamkeit für
hinaufführt. Es ist total wichtig, dass      Situationen und Szenen.
die da ist. Bis in die späten 1960er-Jahre       Ja, aber das ist auch ein sehr genuss-
gab’s die nicht. Da mussten die Men-         voller Augenblick, mal auf der Bank zu
schen durch die Dagobertstraße oder die      sitzen, statt durch die Stadt zu rasen. Das
Machabäerstraße gehen, um auf den            ist ja eine sehr ruhige Zone hier, was auch
Eigelstein zu kommen. Aber schön ist die     von den Leuten angenommen wird. Ein
nicht. Und wenn ich die Studierenden mit     Teil nutzt das natürlich auch als Passage
ihren Instrumenten auf den Stufen sehe,      von Nord nach Süd. Aber ein Teil sitzt
dann denke ich, auch für sie wäre es         da, liest in der Zeitung oder spricht mit-
schöner, wenn die Straße immer noch          einander. Das ist eine schöne ruhige Si-
mit einem sanften Gefälle zu St. Kunibert    tuation. Wenn ich nun um die Ecke gehe
führen würde. Das ist aber vorbei.           in die Straße Unter Kahlenhausen, da
Chargesheimer, Köln,
                                                                          Unter Krahnenbäumen,
                                                                          Ecke An der Linde/
                                                                          Unter Kahlenhausen,
                                                                          Mitte 1950er-Jahre

                                                                          Doppelseite aus dem
                                                                          Buch »Chargesheimer/
                                                                          Heinrich Böll, Unter
                                                                          Krahnenbäumen –
                                                                          Bilder einer Straße«

                                                                          Köln 1958
                                                                          Greven Verlag

     stand früher an der Ecke UKB ein großes      standen davor und lasen. Die Plakate wa-
     Mietshaus mit Lebensmittelgeschäften im      ren ja Unikate. Und das kam an, ich habe
     Erdgeschoss. Heute ist dort der Eingang      es ja beobachtet. Die Leute konnten
     zur Musikhochschule. Also ist es immer       sich einen Standpunkt bilden. Das finde
     noch belebt, aber anders. Heute stehen       ich gut.
     dort junge Menschen mit dem Kontrabass
     auf dem Rücken und reden, bevor sie ins      In vielen Fotos in Ihrem Werk fin-
     Gebäude gehen.                               den sich Orte im Viertel, von denen
                                                  die Leute sagen würden, es sind
     Können Sie Menschen verstehen,               hässliche Orte. Und doch wirken sie
     die den alten Zeiten hinterher-              durch die Fotografie anders.
     trauern?                                        Die Ecken werden durch das Fotogra-
        Irgendwann habe ich mir gesagt, es        fieren ja nicht schöner. Sie sind so etwas
     hat keinen Zweck, darüber zu jammern,        wie Landmarken, an denen sich die
     was alles weg ist. Aber da ist etwas Neues   Menschen orientieren. Wenn man sich
     hingekommen, was auch lebendig ist und       in einem Viertel bewegt, ist nicht alles
     im Viertel eine Ausstrahlung hat. Dann       immer so, wie man es haben möchte.
     kann ich das annehmen und muss nicht         Aber bestimmte Ecken gehören zum Er-
     unbedingt dem Vergangenen hinterher-         leben einer Stadt hinzu. Und wenn man
     trauern.                                     sie länger betrachtet, kann man ihnen
                                                  etwas abgewinnen. Vielleicht werden
     Es gibt immer noch – trotz eines             sie irgendwann mal verändert. Aber zu-
     Rückzuges ins Private und digita-            nächst mal gehören sie dazu.
     len Versammlungsformen – eine
     Bedürftigkeit nach öffentlichem,             Gibt’s für Sie Grenzen, die auch
     strukturierendem Raum. Warum?                der fotografische Blick nicht mehr
24      Im öffentlichen Raum sind Kontakt         toleriert?
     und Austausch direkt. Man kann sich             Natürlich, zum Beispiel die Unterfüh-
     treffen, sich sehen, miteinander reden.      rungen am Bahnhof, die nach Urin rie-
     Als die Gemeinde neulich die großen          chen, wo also noch andere als optische
     Plakate zum Flüchtlingsthema auf dem         Reize dazu kommen. Oder da, wo ich
     Neusser Platz aufgestellt hatte, dann        angepöbelt werde. Neulich war ich mit
     saßen die Leute auf den Bänken oder          meiner Frau am Eigelstein verabredet.
Wir fuhren mit den Fahrrädern los. Plötz-     ist weithin sichtbar. Die ist ja mit Bedacht
lich kam von hinten ein lautes Rufen und      an diese Stelle gesetzt worden. Die Kir-
Grölen. Da war eine Gruppe von rechts-        chen sind schon Glanzpunkte, auch äu-
radikalen Provokateuren, die sich dort        ßerlich. Und wenn man wie ich auch viel
formiert hatten. Sie wollten die voll be-     mit historischen Fotos arbeitet, sieht
setzten Straßencafés als Publikum nut-        man, wie kaputt die Kirchen nach dem
zen. So etwas finde ich 70 Jahre nach         Krieg waren und wie viel Mühe verwandt
Kriegsende unerträglich und beschämend.       worden ist, um sie wieder zu dem zu
                                              machen, was sie waren. Eine Kirche ist
Sie haben eine sehr große Gelas-              Identifikations- und Schutzraum.
senheit in Ihren Fotos, finde ich.
Sie urteilen nicht.                           Als neulich in St.
   Ja. Ich nehme mehr auf und gebe wei-       Agnes die Glocken
ter. Ich überliefere. Manchmal ist es ein     wochenlang nicht
lapidarer Blick die Straße herunter, der      funktionierten,
einem sonst nicht auffällt. Auf den versu-    haben Menschen
che ich mich einzulassen. Wenn ich lange      erzählt, dass sie
genug hinschaue, fängt die Straße auf ein-    zum ersten Mal in
mal an zu sprechen. Das zu überliefern,       ihrem Leben ver-
das empfinde ich als meine Aufgabe: ein       schlafen haben,
Abbild zu schaffen von dem Alltäglichen,      weil sie das Geläut
was uns alle prägt. Das ist ja oft das Un-    um sechs Uhr
scheinbare, das ist ja das Schöne daran.      nicht geweckt hat.            Foto: Barbara Räderscheidt
                                                 Identifikation pas-
Unsere Viertel hier werden ja auch            siert auf viele Arten.        Das Gespräch mit Eusebius
von den Kirchen dominiert. Welche             In einer Kirche wird          Wirdeier führte Peter Otten
Bedeutung haben diese Gebäude                 der Lärm abgehalten,          am 14. Oktober 2015 in
immer noch für die Menschen?                  das Treiben drau-             Weisers Bäckerei und Café,
                                                                            An der Linde 14, direkt
   Das sind natürlich Bauwerke, die           ßen bleibt außen vor.
                                                                            neben dem Westwerk von
wegen ihrer Architektur wahrgenommen          Das finde ich schön.          St. Kunibert. Informationen
werden, wegen ihrer Schönheit. St. Agnes      Sie hat eben nur den          über den bekannten Kölner
steht mitten auf dem Neusser Platz und        Zweck, dass man               Fotografen finden Sie hier:
                                              sich darin aufhält.
                                                                            www.eusebius-wirdeier.de

                                             Der Kalender
                                             der Pfarrgemeinde St. Agnes 2016 ist ein               25
                                             Geschenk an die ehrenamtlich Mitarbeitenden.
                                             Einige wenige Exemplare sind ab dem
                                             29. November im Pfarrbüro und in der Agnes-
                                             buchhandlung für 12,50 Euro erhältlich.
Der Innenhof des
neuen Pfarrzentrums
von St. Agnes am
Tag der Eröffnung
und Einsegnung am
18. Oktober 2015

                         Ein neues
              Text: Ute Strunk
      Fotos: Sebastian Linnerz   Mehrgenerati
         Beinahe in geplanter Bauzeit               Hans Reusteck für ihren außergewöhnli-
         wurde das neue Gemeindezentrum             chen Einsatz. Meiering, ehemals Kaplan
         St. Agnes fertiggestellt                   in St. Agnes (2003 bis 2006), sprach
                                                    von einem bedeutenden Ort für die Ge-
         Im Spätherbst 2015 war es soweit: Unter    meinde: »Hier kann sich Kirche ereignen.
         reger Anteilnahme feierte die Kirchen-     Dieses neue Pfarrzentrum mit Kinder-
         gemeinde St. Agnes mit Generalvikar        tagesstätte, Jugendheim und Sitzungs-
         Dr. Dominik Meiering und Architekt Tho-    und Funktionsräumen ist ein Paradebei-
         mas Duda eine Festmesse, in deren An-      spiel für einen Ort, an dem ganz unter-
26       schluss Meiering den Neubau einsegnete.    schiedliche Menschen unter einem Dach
         Gemeindezentrum, Kindergarten und Ju-      zusammenkommen, die zusammenge-
         gendbereich haben damit an altem Platz     hören.«
         ein neues Zuhause gefunden.                   Ebenso unterstrich der mit Planung
            Pfarrer Frank Müller bedankte sich      und Umsetzung beauftrage Thomas Duda
         herzlich bei allen Mitarbeitern; nament-   den Gemeindegedanken: »Ein Haus der
         lich bei den ehrenamtlich steuernden       Begegnung für alle Generationen, das als
         Projektbegleitern Birgitt Caspers und      Begegnungszentrum konzipiert ist.«
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