APROPOS - Geben und nehmen Apropos | Strassenzeitung für Salzburg
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APROPOS Nr. 128 Den VerkäuferInnen bleibt EUR 1,25 2,E5ur0o DIE SALZBURGER STRASSENZEITUNG Geben und Nehmen Salzburger Bettelposen Markus Grüner-Musil im Titelinterview Weltweit Wem gehört das Geld? MAI 2014
2 [INHALT] [EDITORIAL] 3 geben und nehmen Schreibwerkstatt 6 Thema: Hinschauen tut Platz für Menschen und Themen, die sonst nicht weh 4 Schiefe Freundschaft nur am Rande wahrgenommen werden. editorial Der künstlerische Geben und Nehmen Soziale Zahlen Leiter der ARGEkultur 16 Sprachkurs und „Salzburger Bettelposen“- Cartoon 17 Kurt Initiator Markus Grüner-Musil 6 Hinschauen tut nicht weh Luise im Titelinterview über Bettler, Markus Grüner-Musil im Apropos- Titelinterview 18 Georg und Evelyne Sündenböcke und unbewusste Liebe Leserinnen und Leser! Bilder im Kopf. 19 Ogi 10 Wenn man nehmen muss Chris Ritzer Als Monatszeitung konzentrieren wir uns nicht, um uns gegen die Bettler abzugrenzen. Auf fremde Hilfe angewiesen sein 20 Andrea weitgehend auf zeitlose Schwerpunkt-Themen, Eine Straßenzeitung zu verkaufen, ist eine wür- 11 Die Freude am Geben denn auf Aktualität können wir aufgrund unseres dige Alternative zum Betteln. Wie sagt Hans Warum Spenden glücklich macht Erscheinungsrhythmus nicht bauen. Dennoch Steininger, Apropos-Vertriebsleiter, so schön: „ Fotoserie „Salzburger Bettelposen“ Aktuell gelingt es uns manchmal, nah am Puls der Zeit zu Nicht, weil wir etwas Besseres wären, aber Betteln Auf eine innovative und künstlerische Art 13 Wie fair ist ungeteilter Reichtum? sein – wie mit dieser Mai-Ausgabe. „Salzburger ist Sache der Bettler.“ 21 Leserbriefe und Weise die Aufmerksamkeit auf das The- Von „Geber-“ und „Nehmerländern“ Bettelposen“ heißt der Titel einer Ausstellung, ma Betteln zu lenken, das ist der Grundge- 22 Autoren über Verkäufer die sich virtuell durch das aktuelle Apropos zieht Wer eine Straßenzeitung verkauft, nutzt seine danke hinter diesem außergewöhnlichen Fo- 14 Am Boden der Tatsachen Beate Dölling traf Verkäufer und die im Mai auch real in St. Virgil und in der Chancen. Das bewies unlängst unser Verkäufer- toprojekt. Die Bilder von Fotograf Joachim Die harte Realität von Berufsmusikern Sergiu Burulea ARGEkultur zu sehen sein wird. Im Titelinter- Ehepaar Evelyne und Georg Aigner, das mit Bergauer sind vom 12. bis 14. Mai in St. view mit Bettelposen-Initiator Markus Grüner- seinem Radiobeitrag „Der Leihopa“ den Radio- 24 Kultur-Tipps Virgil ausgestellt und ziehen sich außerdem Musil zeigt sich deutlich, wie stark jeden von uns preis der Stadt Salzburg zum Thema „Vielfalt“ ge- Was ist los im Mai durch diese Apropos-Ausgabe. die sichtbare Armut anderer Menschen betrifft meinsam mit zwei weiteren Projekten gewonnen 25 Gehört & gelesen und wie sehr wir von unserer inneren Brille im hat und dafür vom Bürgermeister ausgezeichnet Buch- und CD-Tipps zum Nachhören Umgang mit ihnen geprägt sind (S. 5–9). wurde (S. 18 und 31). Wir gratulieren herzlich! und Nachlesen 10 Wenn man nehmen muss 26 Kolumne: Robert Buggler Derzeit beschäftigt das Bettler-Thema zahlreiche Herzlichst, Ihre Ein Pflegefall auf Lebenszeit: Wie Medien, Politik, NGOs und einen Teil der ist es, permanent auf Hilfe ange- Leserbriefe Salzburger Bevölkerung. Neben der vom Frie- wiesen zu sein? densbüro Salzburg initiierten Tagung „Betteln. Vermischt Eine Herausforderung“ gibt es im Mai nun auch 11 einen runden Tisch der Stadtpolitik. Die Freude am Geben 27 Straßenzeitungen weltweit Michaela Gründler Warum Teilen das eigene 28 Apropos Kreuzworträtsel An dieser Stelle möchte ich auf ein Missver- Chefredakteurin Glück verdoppeln kann und michaela.gruendler@apropos.or.at ständnis aufmerksam machen: Einigen von Ihnen wofür Österreicher spenden. 29 Apropos intern sind die neuen, neongelben Sicherheitswesten 30 Kolumne: Das erste Mal des Apropos-Verkaufsteams aufgefallen. Wir 13 Wie fair ist ungeteilter Von Bernhard Rosenkranz setzen diese ein, um unsere Verkäuferinnen und Verkäufer im Umfeld von mittlerweile vier Reichtum? 31 Neues vom Team 22 Straßenzeitungen in Salzburg (Apropos, Global Wo „nehmen“ aufhört und Interview Player, We the people, Mo) stärker sichtbar zu „ausbeuten“ beginnt. In unserer Serie machen und es Ihnen zu erleichtern, schneller „Schriftsteller trifft Ihren Apropos-Verkäufer zu erkennen – aber Verkäufer“ schreibt Autorin Beate Dölling über Apropos- Verkäufer Sergiu Burulea. Grundlegende Richtung Apropos ist ein parteiunabhängiges, sozi- Die Charta, die 1995 in London un- ales Zeitungsprojekt und hilft seit 1997 terzeichnet wurde, legt fest, dass die 27 Straßenzeitungen alle Gewinne zur Straßenzeitungen Menschen in sozialen Schwierigkeiten, sich selbst zu helfen. Die Straßenzeitung Unterstützung ihrer Verkäuferinnen und weltweit wird von professionellen JournalistInnen Verkäufer verwenden. Unsere Serie: Neues aus gemacht und von Männern und Frauen Im März 2009 erhielt Apropos den verkauft, die obdachlos, wohnungslos und/ René-Marcic-Preis für herausragende der Straßenzeitungswelt. oder langzeitarbeitslos sind. journalistische Leistungen, 2011 den In der Rubrik „Schreibwerkstatt“ haben sie Salzburger Volkskulturpreis & 2012 die die Möglichkeit, ihre Erfahrungen und An- Sozialmarie für das Buch „Denk ich an liegen eigenständig zu artikulieren. Apropos Heimat“ sowie 2013 den internationalen erscheint monatlich. Die VerkäuferInnen Straßenzeitungs-Award in der Kategorie kaufen die Zeitung im Vorfeld um 1,25 „Weltbester Verkäufer-Beitrag“ für das Euro ein und verkaufen sie um 2,50 Euro. Buch „So viele Wege“. Apropos ist dem „Internationalen Netz der Straßenzeitungen” (INSP) angeschlossen. APROPOS · Nr. 128 · Mai 2014 APROPOS · Nr. 128 · Mai 2014
4 [GEBEN UND NEHMEN] [GEBEN UND NEHMEN] 5 Stimmt die Balance? INFO Schiefe Fotoserie: „Salzburger Bettelposen“ Freundschaft Ausstellung Die Ausstellung „Salzburger Bettelposen“ wird erstmals im Rahmen der Tagung von Katrin Schmoll „Betteln. Eine Herausforde- W rung“ vom 12. bis 14. Mai in ahre Freunde – so meinen viele – kann St. Virgil gezeigt und zu einem man mitten in der Nacht anrufen und späteren Zeitpunkt im Foyer der sie stehen ein paar Minuten später, ohne mit der ARGEkultur und an der Uni- Wimper zu zucken, auf der Matte. Eine schöne versität Salzburg. Als virtuelle Vorstellung, so jemanden an seiner Seite zu haben. Ausstellung zieht sie sich in Doch was, wenn man selbst immer derjenige ist, dieser Apropos-Ausgabe über den gesamten Schwerpunkt. der den anderen nachts irgendwo in der Einöde www.virgil.at/betteln abholt, auch beim dritten Umzug innerhalb eines Jahres noch tatkräftig mithilft und bereitwillig Fotograf Joachim Bergauer die Miete vorstreckt, wenn es am Ende des Mo- zu den Bettelposen nats knapp wird, selbst aber nichts dergleichen „‚Die Salzburger Bettelposen‘ erwarten kann? sind Bilder vom schönen Bet- Wie in jeder Beziehung ist auch in Freundschaf- teln. Als Betrachter werde ich mit Menschen konfrontiert, die ten die richtige Balance zwischen Geben und Neh- anmutig sind, keine körperliche men wichtig. Dabei geht es nicht um akribisches Gebrechen haben und wie aus Auflisten von „Wer hat was wann für wen getan?“, der Werbung wirken. Das geht Aus der Serie „Salzburger Bettelposen“ sondern um Wertschätzung und um das dumpfe, nicht konform mit der Realität aber deutliche Gefühl in der Magengegend, wenn von Bettlern, denen es nicht diese ausbleibt. „Schiefe“ Freundschaften können gut geht. Sobald diese Irritation auf Dauer nur funktionieren, wenn derjenige, der ausgelöst wird, funktioniert der Mechanismus, weil man sich mehr gibt, das Ungleichgewicht ohne zu murren Soziale Zahlen im Monat Mai fragt: ‚Was steckt dahinter?‘ So hinnimmt. Wer das nicht will, hat keine andere lassen sich im besten Fall Wahr- Verdienen & Sparen Wahl, als es offen anzusprechen. Vielleicht ist sich der andere gar nicht bewusst, dass er viel nehmungen verändern.“ Joachim Bergauer ist spezia- weniger gibt, als er nimmt. Falls doch, sollte man lisiert auf Image-, Werbe- und 29.723 € verdienen die Österreicher im Jahresschnitt (2012) sich ernsthaft überlegen, ob man hier in eine Kunstfotografie und Inhaber Freundschaft oder in das Ego einer einzelnen einer Werbeagentur. Er wird 181 € sparen Österreicher im Monat 22.512 €/Jahr 36.193 €/Jahr von Magazinen wie der New Person investiert.
6 [GEBEN UND NEHMEN] NAME Markus Grüner-Musil [GEBEN UND NEHMEN] 7 STECKBRIEF Foto: Joachim Bergauer ARBEITET als künstlerischer Leiter der ARGEkultur Foto: Joachim Bergauer GIBT, wenn es gebraucht wird NIMMT gerne Verantwortung, Es ist das Gefühl, Titelinterview wenn es der Sache hilft Salzburger Bettelposen BETTELT bislang noch nicht, ist noch nicht in so große Not gekommen in seiner heilen Welt Hinschauen UNTERSTÜTZT die Idee einer Gesellschaft, die die Freiheit des Einzelnen, gleiches Recht für alle und Solidarität verein- von etwas Hässlichem tut Nicht weh gestört zu werden.“ baren kann. Also wahrschein- lich eine Utopie Wenn es um Bettler geht, hat jeder Mensch sofort ein Gefühl dazu. Meist kein angenehmes. Denn sie erinnern uns daran, dass es uns besser geht geographischen Mittelpunkt. Wir haben kein Meer als ihnen. Das Fotoprojekt „Salzburger Bettelposen“ will auf ästhetische rundherum, nur lauter nette, wirtschaftlich florierende Weise auf unbewusste Bilder im Kopf aufmerksam machen und im Idealfall Staaten – und dann wirkt unsere Reaktion gegenüber die Wahrnehmung ver-rücken. Markus Grüner-Musil, künstlerischer Leiter Bettlern kleinlich, überzogen und unverhältnismäßig. der ARGEkultur und Bettelposen-Initiator, erzählt im Apropos-Interview von Schließlich geben wir diesem Staat unter anderem auch sichtbaren und unsichtbaren Bittstellern, kriminellen Bankern und willkom- Geld, um Probleme und soziale Ungerechtigkeiten so menen Sündenböcken. weit wie möglich auszugleichen. Warum muss es also Menschen geben, die von neun Uhr morgens bis sechs Titelinterview mit Markus Grüner-Musil Uhr abends am Makartsteg sitzen? In Wirklichkeit stört von Chefredakteurin Michaela Gründler mich nicht die Tatsache, dass das Stadtbild durch arme Menschen beeinträchtigt wird, in Wirklichkeit stört Was bedeutet für Sie Betteln? jektes „Salzburger Bettelposen“ der ARGEkultur, des Friedensbüros mich die Tatsache, dass es noch immer Menschen gibt, Markus Grüner-Musil: Zu erbitten, was man nicht hat Salzburgs, des Fotografen Joachim Bergauer und der Straßenzeitung die das machen müssen. Durch das Betteln wird dieses und was man braucht. Apropos – und polarisiert bereits im Internet. Die Wortmeldungen Missverhältnis in einer Weise sichtbar, die vielleicht un- gehen von „Ist das euer Ernst“ über „grandios“ bis hin zu „Seid ihr angenehm ist – das wollen viele Leute nicht sehen. Haben Sie schon jemals gebettelt? durchgedreht?“. Ist Provokation Teil des Konzepts? Nicht im klassischen Sinne, also nicht aus Not. Ich habe Markus Grüner-Musil: Für mich ist es keine Provo- Warum lassen uns Menschen, die betteln, nicht kalt? mich früher einmal aus einem Freiheitsgefühl heraus mit kation, aber offensichtlich für einige Menschen. Wenn Markus Grüner-Musil: In der Kunstgeschichte Straßenmusik und Akrobatik im öffentlichen Raum aus- ein Trachtenpärchen bettelt oder jemand, der im Anzug taucht die Bettlerfigur ganz oft auf und hat irgendet- Markus Grüner-Musil hatte die Idee zur probiert. Allerdings nicht in Salzburg, sondern im Urlaub oder im Abendkleid ist, eine Bettelgeste einnimmt, ist das Fotoserie „Salzburger Bettelposen“ was Unschuldiges an sich: Da ist jemand, dem aus am Meer. In Salzburg fällt es stärker auf, wenn Menschen, einfach befremdlich in der Rolle. Es war erstaunlich, dass Ungerechtigkeit irgendein Unglück zugestoßen ist und die anders sind, im öffentlichen Raum sichtbar werden, während des Fotoshootings kaum Provokation spürbar der dementsprechend weniger überlebensfähig in der weil es durch seine stimmige, architektonische Fassade ein war, im Gegenteil. Dort, wo wir die Models in Kostüme Gesellschaft ist als andere. Was den Menschen da tra- starkes, inneres System bildet. Unlängst stand in einem wie Dirndl, Abendkleid oder Anzug gesteckt haben, ditionell für ein Gefühl entgegenkommt, ist: „Ha, hab Leserbrief, Bettler würden das Stadtbild zerstören und die ernteten wir vielfach ein freundliches Lächeln im Sinne dass dies ein europäisches Thema und ein europäisches ich Glück gehabt, Gott sei Dank bin das nicht ich, der touristische Attraktivität Salzburgs mindern. Da ist in mir von „Mei, sind die fesch!“. Die Touristen haben bei dem Problem ist. Dementsprechend wird auch nur eine da unten sitzt!“ Es ist das Gefühl, dass das Leben etwas ein starkes Bedürfnis entstanden, eine künstlerische Akti- Trachtenpärchen-Shooting im Mirabellgarten sogar ihre europäische Behandlung sinnvoll sein. In gewissen Are- Schicksalhaftes hat und ich im Gegensatz zum Bettler on gegen eine solche Wahrnehmung zu machen. Handys gezückt, um Fotos von uns zu machen. In dem alen einer Kleinstadt das Betteln zu verbieten, verlagert auf die Butterseite geflogen bin. Das löst bei vielen ein Moment, wo die kostümierten Rollen eindeutig sind, ja nur das Problem in andere Orte innerhalb der Stadt. unangenehmes Gefühl aus, weil es einfach zeigt: Das War das der Moment, in dem Ihnen die Idee zu den „Salzburger Bet- transformiert sich die Wahrnehmung komplett. Das ist ja eine reine ästhetische, kosmetische Maßnah- Leben ist ungerecht. Und es kommt noch die Ebene der telposen“ gekommen ist? me und keine gesellschaftspolitische. Verdrängung hinzu, die sich in Arroganz äußert: „Ich Markus Grüner-Musil: Nein. Ich hatte schon länger die Also kein Lustigmachen über Menschen, denen es ohnedies schon will einen schönen Tag verbringen, nett in der Stadt he- Idee, dieses Um-etwas-bitten-zu-müssen im öffentlichen schlecht geht? Sie sehen Betteln sehr politisch ... rumspazieren, warum muss ich diese armen Menschen Raum künstlerisch zu thematisieren. Bei den „Salzburger Markus Grüner-Musil: In dem Projekt wollen wir uns in Markus Grüner-Musil: Viele Länder profitieren von sehen, die mir ihre Hände entgegenstrecken?“ Es ist Bettelposen“ geht es mir vor allem um die Frage: „Wie keinster Weise über Menschen lustig machen, die den Tag den Wirtschaftsstrukturen in Osteuropa, auch wir: das Gefühl, in meiner heilen Welt gestört zu sein von werden Menschen, die betteln, wahrgenommen und auf der Straße verbringen müssen. Ganz im Gegenteil: Neue Absatzmärkte, billige Produktionsstandorte ... etwas, das hässlich ist. Dieses Schön und Hässlich war welche Möglichkeiten gibt es, diese Perspektiven zu ver- Uns geht es nicht darum, bettelnde Menschen zu kari- Dann muss man aber auch akzeptieren, dass aufgrund auch eines der Motive im Fotoprojekt, mit dem Stereo- rücken?“ Mir geht es bei dem Projekt darum, andere be- kieren, sondern Wahrnehmungsfragen zu thematisieren. der sozialen Ungerechtigkeit und der Armut Menschen typ zu spielen: Was, wenn die Menschen, die betteln, wusstseinsbildende Perspektiven auf das Thema Betteln zu In Salzburg wird ja gar nicht darüber diskutiert, welche auch bis an unsere Grenzen kommen. Die Einwohner nicht alt und hässlich sind, sondern jung und schön? bekommen, die eigenen Stereotype und Verhaltensmus- Geschichten hinter den Menschen stehen. In Wirklichkeit von Lampedusa oder von Sizilien würden uns wahr- Wie verändert sich die Einstellung zu dem, was ich da ter zu hinterfragen, die Verhältnismäßigkeiten zu ande- hat das Thema aktuell sehr viel mit Ausländerfeindlichkeit scheinlich mit einem entspannten Lächeln entgegentre- sehe? Vielleicht ist es dann nicht mehr das Optische, ren Dingen aufzuzeigen und auch um die heuchlerische zu tun. Da werden Menschen am Rande der Gesellschaft ten, wenn sie bei uns über den Makartsteg gehen und das mich stört, weil das ja sehr hübsche und ansehnliche Dualität einer Wohlstandsgesellschaft, die Armut nicht für Dinge, die schieflaufen, als Sündenböcke verantwort- die Bettler sehen. Die würden sagen: „Hier bei euch ist Menschen sind, sondern dann ist es nur mehr die Ges- ertragen kann. Es gibt wenig gelebte Kultur, solidarisch zu lich gemacht. In Salzburg hat sich diese Diskussion im es ja nett. Wir hatten unlängst soundso viel Leichen te. Und die spannende Frage dabei ist dann eigentlich: reagieren. letzten Wahlkampf nochmals zugespitzt, wodurch vielfach in unserem Gemeindehaus aufgebahrt.“ Die haben das Stört mich die Geste oder stört mich die Tatsache, dass das Gefühl entstanden ist, es wäre eines der großen Problem, dass sie direkt an der europäischen Grenze mich jemand um etwas bittet, den ich nicht sehen will, Eine junge, schöne Frau im Ballkleid steht barfuß vor dem Salzburger Probleme der Stadt. Wenn man jedoch in Freiburg oder sind – und spüren das globale Problem deutlich. weil er mich an so viel Verdrängtes erinnert? >> Dom und hält ihre Hand auf. Das Bild ist Teil des Gemeinschaftspro- in Stuttgart in der Fußgängerzone ist, sieht man deutlich, Wir hingegen sind halt zufälligerweise irgendwo im APROPOS · Nr. 128 · Mai 2014 APROPOS · Nr. 128 · Mai 2014
8 [GEBEN UND NEHMEN] [GEBEN UND NEHMEN] 9 Was haben Sie in der Vorbereitung zu den „Bettelposen“ festgestellt? Sonst geht sich das gemeinsame Zusammenleben nicht aus. Von dem her ist Markus Grüner-Musil: Wer bettelt, exponiert sich körperlich. Als diese Arroganz, dass man dem Bittsteller, der da auf der Straße sitzt, manch- Bettler hat man nur kurz Zeit, um Passanten zu motivieren, einem Geld mal eine solche Verachtung entgegenschleudert, einfach nur daneben. zu geben. Wir haben im Vorfeld des Projektes beobachtet, welcher Bettler an welchen Positionen ist und wie die Passanten reagieren: Wer sucht den Wer kein Geld hat, ist weniger wert ... Blickkontakt, wer geht schweigend vorbei, wer senkt den Blick nach un- Markus Grüner-Musil: Es gibt zahllose Menschen, die in ten oder macht einen großen Bogen um ihn herum? Manche Bettler sind unserer Gesellschaft unsichtbare Bittsteller sind: Menschen, immer an der gleichen Position und versuchen durch ihre Beständigkeit die arbeitslos sind, Menschen, die dringend eine Wohnung eine Art Vertrauen herzustellen. Sie versuchen ganz normal, mit unter- suchen, sich diese bei den derzeitigen Wohnungspreisen aber schiedlichsten Strategien, das kurze Zeitfenster von 15 Sekunden, die der nicht leisten können – sie alle genießen weniger gesellschaft- Passant braucht, um an ihm vorbeizugehen, zu nutzen, dass er ihm Geld liche Anerkennung und befinden sich auf einmal in einer gibt. Das ist nicht viel Zeit. Bittstellerhaltung bei öffentlichen Ämtern oder bei Immobi- lienmaklern. Diese Bittstellerposition kommt in der Gesell- Wie ist es den jungen Models ergangen? schaft viel öfter vor, von der zwischenmenschlichen Ebene Markus Grüner-Musil: In den Kostümen gut, da ernteten sie vielfach des Bittens gar nicht zu sprechen. Ich sehe das sehr kritisch, bewundernde Blicke. Sehr unangenehm war für sie, in Alltagkleidung auf dass man bei diesen essentiellen Dingen des Lebens und des der Straße zu knien und die verächtlichen Blicke zu spüren. Zudem waren Überlebens in einer Bittstellerposition ist, das hat auch etwas einige Posen von der Körperhaltung her sehr anstrengend. Diese Kombi- Demütigendes. nation von körperlicher Anstrengung und dem Aushalten von Verachtung war für sie nicht immer einfach zu ertragen. Wann geben Sie Geld? Markus Grüner-Musil: Ich erlebe es nicht so, dass ich auf- Was ist in der Serie Ihr Lieblingsbild? grund der Tatsache, dass da jemand sitzt, automatisch Geld Markus Grüner-Musil: Der traurige Bankier. Der geläuterte Uli Hoeness. geben muss. Das ist eine freie Entscheidung, die ich eigent- lich sehr unreflektiert treffe. Manchmal gebe ich Geld, reflex- Warum? haft, ohne Routine oder ohne Schema. Für mich ist es dabei Markus Grüner-Musil: Wenn mich jemand fragt, was für mich organi- völlig egal, ob es sich dann um einen Straßenmusikanten oder sierte Kriminalität ist, dann denke ich nicht an das derzeit so gerne ver- einen Bettler handelt. Ich versuche, immer wertschätzend zu wendete mediale Konstrukt „Bettelmafia“, sondern an Bankenstrukturen. sein und dieses peinliche Wegschauen zu verhindern. Denn Ein organisierter Krimineller ist für mich ein Manager von Nestlé oder wenn ich mich schon entscheide, ihm nichts zu geben, dann ein Bankenvorstand und nicht der rumänische Bettler, der 4,50 Euro pro muss ich ihm auch dabei in die Augen schauen können. Das Tag einnimmt. Denn: Wie viel Schaden haben die Bettler real in der Ge- ist zwar unangenehm, aber das muss ich aushalten. sellschaft angerichtet und wie viel Schaden die Banker der Hypo? Daher gefiel mir die Idee gut, bei den Salzburger Bettelposen einen Bankier zu Wann sind die Salzburger Bettelposen für Sie erfolgreich? inszenieren, der vor lauter Gier nach Dienstschluss betteln geht nach dem Markus Grüner-Musil: Der Begriff Erfolg ist in dem Motto: „Toll, bis 17 Uhr habe ich schon ordentlich viel Geld verdient, Zusammenhang sehr schwierig. Für mich gelten die Kate- aber ich lechze nach jedem Euro mehr. Ich habe noch nicht genug.“ Noch gorien von sinnvoll bis notwendig. Bei diesem Fotoprojekt mehr spricht mich allerdings gefühlsmäßig der gut angezogene Banker geht es um die Frage: Welche emotionale Kraft hat ein Bild? mit dem traurigen Blick an, weil dieser eine weitere Tragik enthält. In Welches Thema zeigt sich in einer überspitzten, eindeu- Japan ziehen sich Obdachlose, die in Kartonhäusern leben, täglich den tigen Form? Ein Erfolg wäre es nur dann, wenn es ein solch Anzug an, um ihre Armut zu verdecken. gerechtes System geben würde, dass es keine Bettler gäbe. Für uns in der ARGEkultur ist Kunst und Kultur kein Aus der Serie „Salzburger Bettelposen“ Was macht einen Menschen zum Bittsteller? Selbstzweck, sondern stellt einen Teil des gesellschaftlichen Aus der Serie „Salzburger Bettelposen“ Markus Grüner-Musil: Not und Unglück – und daraus resultierend Mehrwertes dar. Wir müssen uns immer überlegen: Löst das, ein wenig ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Es ist nicht leicht, eine Bitt- was wir tun, Emotionen oder einen Diskurs aus? stellerposition auszuhalten. Man ist als Bettler sehr exponiert, weil man öffentlich und sichtbar im öffentlichen Raum ist. Ich wünsche mir, dass Sie haben eine viereinhalbjährige Tochter. Was möchten Sie ihr im Umgang mit Bettlern die Menschen durch ihre gekrümmten, unterwürfigen Bettel-Positionen und Bettlerinnen vermitteln? ihren Stolz nicht verlieren. Sie sind ohnedies schon Menschen zweiter Markus Grüner-Musil: Kinder gehen allgemein anders mit Bettlern um Klasse, weil sei betteln. Aber: Kein Mensch kommt als Bettler auf die als Erwachsene und haben einen freundlichen und offenen Blick auf diese. Welt, sondern er wird zum Bettler. Es sind dann die Eltern, die sagen: „Komm, gehen wir weiter!“ Auch meine Foto: Joachim Bergauer Tochter hat mich auf Bettler angesprochen und mich gefragt, warum der da Und umgekehrt? Wann wird ein Bittsteller wieder zum Menschen auf sitzt und bettelt. Kinder sehen einfach nur den Menschen, der unglücklich Augenhöhe? dreinschaut, dem es offensichtlich nicht gut geht, und denken nicht so wie Markus Grüner-Musil: Nur weil ich ein Bittsteller bin, bin ich dennoch wir an einen sozialpolitischen Kontext. Ich möchte ihr vermitteln, dass es ein vollwertiger Mensch! Was wir mit der Fotoserie thematisieren, ist ma- Ausdrucksform einer sozialen Haltung ist, sich mit der Notlage von ande- terielles Bittstellertum, das ja nur ein Aspekt des Bittens ist. Es gibt noch ren auseinanderzusetzen und auch Geld zu geben. Schwierig wird es für uns viele andere Dinge, um die man bittet. Jeder Mensch ist sehr regelmäßig Erwachsene, wenn Kinder noch eine andere Dimension ins Spiel bringen, und sehr oft Bittsteller – man wäre im Leben, in seinem Freundes- und nämlich: „Ja, wenn es dem schlecht geht, dann nehmen wir ihn doch mit nach Familienkreis, in der Arbeit nicht lebensfähig, wenn man nicht in der Hause!“ Da zu erklären, warum man den nicht an der Hand packt und sagt: Chefredakteurin Michaela Gründler traf den Initiator Lage wäre, seine Bitten zu formulieren und umgekehrt die Bitten seiner „Komm, du wohnst die nächsten drei Wochen bei uns“, ist schwierig. Die der Salzburger Bettelposen zum Gespräch. Umwelt wahrzunehmen und darauf auch einzugehen. >> Frage ist aber grundsätzlich ganz richtig.
10 [GEBEN UND NEHMEN] AUTORIN Eva Helfrich [GEBEN UND NEHMEN] 11 Foto: Privat STECKBRIEF IST freie Redakteurin lebt nach dem Motto „Wer loslässt, hat beide Hände frei“ Nimmt gern gute Ratschläge von Freunden an Gibt zweite, dritte und vierte Chancen – niemand ist perfekt Pflegebedürftig Wenn man nehmen muss Aus der Serie „Salzburger Bettelposen“ Jeder Mensch kommt als Pflegefall auf die Welt. Zu Beginn unseres Lebens sind wir alle bedürftig, schwach und auf die Fürsorge anderer angewiesen. Bei manchen entschei- Wofür und warum spenden wir? det das Schicksal, dass es ein Leben lang so Die Freude am Geben bleibt, und für viele ist es die größte Angst, Aus der Serie „Salzburger Bettelposen“ dass es uns nach dem Windelalter noch einmal so ergeht. von Eva Helfrich „Jeder ist sich selbst der Nächste“, besagt eine bekannte Redensart. Wie aber ist es zu erklären, dass jedes Jahr Millionen Euros an Spenden an diverse Hilfsorga- L eon und Jacob lassen sich im Kinderbecken im Salzburger Paracelsus-Bad treiben. Zwischen den prall gefüllten Schwimmflügeln lugen zwei er oft Rücksicht nehmen und seine Bedürfnisse zurückstellen. „Das geht leider nicht anders, weil unser Tagesablauf sich nach Therapien, Arztbe- sich Krankheiten einstellen. „Dass etwas nicht stimmt, haben meine Schwester und ich bemerkt, als unsere Mutter immer aggressiver wurde“, nisationen fließen, dass alleinerziehende Mütter Kuverts mit anonymen Geld- spenden im Postkasten finden und Menschen unentgeltlich arbeiten, um anderen zu helfen? vergnügte Gesichter hervor, die fast ident aussehen. suchen und regelmäßigen Mahlzeiten richtet“, erzählt Isabella. „Sie beschimpfte uns, sobald wir Im Wasser kann man die sechsjährigen Zwillinge erklärt Franziska und schaut ihren gesunden Sohn ihr im Haushalt zur Hand gehen wollten.“ Was von Katrin Schmoll kaum auseinanderhalten. Sobald sie das Becken entschuldigend an. Wie es ihm damit geht, dass Isabella ahnt, wird durch eine Untersuchung verlassen, trifft die Realität den gravierenden Unterschied: Jacob hat eine Behinderung. Weil er 35 Minuten später auf die Welt kam als sein sich Mama und Papa so stark auf seinen Bruder konzentrieren? „Naja, der Jacob kann halt nicht viel alleine machen“, zeigt sich Leon einsichtig. „Wir Gewissheit: Ihre Mutter leidet an Demenz. Dem ambulanten Pflegedienst, den ihre Töchter orga- nisiert hatten, haut sie die Türe vor der Nase zu. E ntwicklungshilfe in Afrika, Umweltorganisationen, Tierheime – es gibt so viele gute Zwecke, für die man spenden könnte. Und die Spendenbereitschaft der generell mehr als Menschen mit einem niedrigeren Bildungsgrad und grundsätzlich lässt sich festhalten: Je mehr man verdient, desto mehr spendet man. Das Bruder, wird sein Leben immer anders sein als haben Glück, zwei so liebe Burschen zu haben. Auch ein betreutes Wohnen schlägt die Mutter aus. Österreicher ist auch in Zeiten der Wirtschaftskrise gilt allerdings nicht für Blut- und Sachspenden, hier das von Leon. Jacobs Nabelschnur wickelte sich Der Leon geht wirklich gut mit seinem Bruder Isabella findet sie kurz darauf bei einem Besuch ungebrochen: 63 Prozent haben im vergangenen Jahr sind Menschen mit geringem Einkommen genauso um seinen Hals, wurde abgeklemmt und versorgte um und ist ein selbstbewusstes, eigenständiges nackt am Badezimmerboden. Sie wisse nicht, für gemeinnützige Zwecke gespendet. Im interna- großzügig. ihn mit zu wenig Sauerstoff. Kind. Er ist Menschen gegenüber offen und findet wie lange sie da schon liege, gab sie zu. Isabella tionalen Vergleich liegt Österreich dennoch nur im „Ich kann auch tauchen“, presst er mit viel Mühe immer jemanden zum Spielen oder Quatschen“, trifft mit ihrer Schwester die bislang schwierigste Mittelfeld, da es – im Gegensatz zu den USA oder Oftmals ist es sogar so, dass die Bereitschaft zu helfen heraus, tunkt den Kopf ins Wasser und dreht ihn lacht die Mama. Dass Jacob jemals laufen oder Entscheidung ihres Lebens: Sie übernimmt die Australien – nur wenige Großspender gibt. Hierzu- bei Menschen, die selbst in einer schwierigen Situa- grinsend zu Mama Franziska. Die mangelnde auf die gleiche Schule gehen wird wie Leon, da- Sachwalterschaft für ihre Mutter – und damit lande spenden viele Menschen relativ kleine Beträge. tion sind, größer ist. Die treibende Kraft hinter dem Sauerstoffzufuhr bremst Jacob in der motorischen ran zweifelt sie. „Er bemüht sich und es ist eine auch die Selbstbestimmtheit aus dem Leben der Pro Kopf sind es jährlich im Durchschnitt 60 Euro. Spenden ist schließlich die Empathie, die Fähigkeit Entwicklung. Arme und Beine sind durch die Entwicklung da, gerade beim Sprechen. Aber es Frau, die immer für sie da war. „Ich fühlte mich Im Jahr 2013 ergab das laut dem Spendenbericht des des Menschen, sich in andere Menschen einzufühlen, spastische Lähmung einwärts gedreht, seine Sicht geht sehr langsam und in kleinen Schritten.“ Auf so egoistisch, weil ich sie in fremde Hände gab. Fundraising Verbandes Austria einen Gesamtbetrag und deren Leid nachempfinden zu können. Daraus ist eingeschränkt und das Sprachzentrum beein- Hilfe von außen wird er noch lange, wenn nicht Neben der Arbeit hätten wir zu wenig Zeit für von 510 Millionen Euro. entsteht der Wunsch zu helfen. „Solidarität“ ist laut trächtigt. „Die Ärzte haben gesagt, Jacob würde für immer, angewiesen sein. sie gehabt. Und alleine wäre sie verkommen.“ eigenen Angaben die Hauptmotivation der Österreicher vielleicht nie sprechen lernen“, sagt Franziska, Zurzeit werden rund 80 Prozent aller betreu- Seit neun Monaten lebt die Mutter in einem Aus einer Langzeitstudie des Deutschen Instituts für zum Spenden. Reine Selbstlosigkeit steckt allerdings während sie ihren Sohn abtrocknet. Leon ist schon ungs- und pflegebedürftigen Personen in Öster- betreuten Wohnheim, die Töchter wechseln sich Wirtschaftsforschung geht hervor, dass tendenziell nicht dahinter: Man hilft, weil man – bewusst oder im Bademantel und setzt sich zu den beiden auf reich von ihren Angehörigen zu Hause versorgt. ab, so dass täglich Besuch kommt. „Sie ist wieder mehr Frauen als Männer spenden und dass Ältere unbewusst – darauf hofft, dass einem in einer ähnlichen die Bank. Er muss viel alleine machen, weil die Pflegebedürftigkeit kann jeden treffen – ob in ausgeglichener, isst regelmäßig und lebt vor allem mehr geben als Jüngere. Auch die Bildung und das Situation selbst geholfen wird. >> Eltern mit Jacob sehr beschäftigt sind. Wie viele jungen Jahren, als Folge eines Unfalls oder als nicht alleine.“ Denn Alleinsein, das wäre doch das Einkommen spielen eine Rolle: Akademiker spenden Geschwister von behinderten Kindern muss auch älterer Mensch, wenn die Kräfte nachlassen oder schlimmste Übel.
12 [GEBEN UND NEHMEN] [GEBEN UND NEHMEN] 13 name Wilhelm Ortmayr STECKBRIEF Geber- und Nehmerländer Foto: Privat >> Fortsetzung, „Die Freude am Geben“ IST grad 50 geworden Wie fair ist GIBT besser Acht auf Nicht ohne Grund spenden Menschen vor allem das „Rote Kreuz“, „Caritas“ und „SOS-Kinderdorf“ haben und weniger stressempfindlich sind: „Wenn sich, aber ... für Zwecke, zu denen sie einen mehr oder weniger bei den Österreichern ganz hoch im Kurs. Die wir uns um das Wohl anderer kümmern, werden NIMMT das Leben leichter ungeteilter Reichtum? persönlichen Bezug haben. Am liebsten spenden 50 größten Organisationen erhalten drei Viertel im Kopf Hormone wie Opioide und Oxytocin Herr und Frau Österreicher für Projekte, die aller Spenden. ausgeschüttet, die uns euphorisch stimmen.“ Kindern zugutekommen. Gleich danach rangie- Dieses Hochgefühl setzt eine Positiv-Spirale in ren Tiere und auf Platz 3 liegt die Bekämpfung Was kaum überrascht, ist, dass die Menschen in Gang, denn wem Positives widerfährt, der möchte Wer mehr nimmt, als er gibt, beutet aus. Und wenn der Leidtragende am anderen Ende der Welt lebt, des Hungers in der Welt. Eher sparsam sind die der Weihnachtszeit besonders großzügig sind: 20 dieses Gefühl gerne teilen. ist wegschauen einfach. Eine Erforschung unseres globalen Solidaritätsgewissens. Österreicher dagegen, wenn es um Einrichtungen Prozent des jährlichen Gesamtaufkommens wer- von Wilhelm Ortmayr für Suchtkranke geht. „Überhaupt gilt: Je weiter den in dieser Zeit gesammelt. Das unterstreicht die Etwa 50 Millionen Euro der jährlichen Spenden ein Projekt vom täglichen Leben und der aktuellen Nachrichtenlage weg ist, desto schwieriger ist es, Spenden zu bekommen“, sagt Gabriele Sonn- emotionale Komponente des Spendens. Studien belegen, dass glückliche Menschen viel eher be- reit sind zu spenden. Oder ist es etwa umgekehrt stammen übrigens aus Hinterlassenschaften. Eigennützigkeit kann man bei einem „gemeinnüt- zigen Testament“ als Motiv definitiv ausschließen. I m Prinzip ist es nur noch beschämend. Seit Jahrzehnten phantasieren Österreichs Po- litiker davon, lächerliche 0,7 Prozent des BIP Doch wir sind auch große Nehmer. Und bemer- ken es oft gar nicht. Ein schwedischer Anbieter von günstigen Textilien setzt bei uns jährlich 470 ansässige Bevölkerung vom Wohlstand nichts ab. Laut einer Studie besteht in vielen Ländern dieser Erde kein Zusammenhang zwischen Wirt- leitner von der Caritas. Was ebenfalls eine große und das Spenden an sich macht glücklich? „Wer Die Spender möchten einfach „nach ihrem Ab- für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben Millionen um. Allein an seinen Kassen „erspa- schaftswachstum und Hunger. Soll heißen: Die Rolle spielt, ist Transparenz und Vertrauen in die gut zu anderen ist, dem geht es selbst besser“, ist leben etwas Gutes bewirken“. Purer Altruismus – tatsächlich sind es heuer nur 0,28 Prozent, also ren“ sich die Österreicher somit Unsummen im Wirtschaft wächst, die Ärmsten bleiben gleich Organisation. Man möchte sicher sein, dass die Stefan Klein, Autor von „Der Sinn des Gebens“ existiert eben doch.
14 [GEBEN UND NEHMEN] Die harte Realität von Berufsmusikern Am Boden der Tatsachen Die Berliner Filmemacher Marc Helfers und Martin Groß haben sich an die Fersen von Musikern geheftet, die am Existenzminimum leben und sich trotzdem nicht von ihrem Aus der Serie „Salzburger Bettelposen“ Traum, Musik zu machen, abbringen lassen. Um ihr Film- projekt „Rockbottom – Song of No Money“ zu finanzieren, rufen die beiden zu Spenden via Crowdfunding auf. von Katrin Schmoll „ Brotlose Kunst“, so nennt man wohl das, was Super Bad Brad und Texas Terri Bomb jener zahlreicher Musiker zu dokumentieren, die am Existenzminimum leben. Das be- Auch sie glauben fest an den Erfolg ihres Projektes und starteten Mitte April eine machen. Die beiden leben für ihre Musik – deutet: Im Auto und auf fremden Couchen Crowdfunding-Kampagne, mit deren Hilfe und genau hier beginnt ihr fortwährender schlafen und auf der Straße, in U-Bahnen ein Teil der Produktionskosten gedeckt wer- Kampf, denn davon leben können sie nicht. und in versifften Clubs auftreten. Dabei den soll. Geplant ist ein 90-minütiger Film Die Vollblutmusiker sind zwei der Prota- haben sie alle stets den großen Traum von über die inspirierende Kraft der Musik und gonisten in Marc Helfers Dokumentarfilm vollen Hallen und einer jubelnden Menge die realen Schwierigkeiten des Lebens. Die „Rockbottom – Song of No Money“. vor Augen und in einem Punkt sind sie sich ersten beiden Kapitel über Super Bad Brad Dem Berliner Regisseur Marc Helfers und auch einig: „Aufgeben? Niemals!“ in New York und Texas Terri Bomb in Berlin dem Produzenten Martin Groß war es ein „Uns imponieren diese Leute, weil sie sich sind bereits abgedreht, weitere musikalische Anliegen, Musiker nicht als „Rock-’n’-Roll- von dem Glauben an ihre Kunst nicht abbrin- Helden sollen folgen.
[SCHREIBWERKSTATT] [SCHREIBWERKSTATT] 16 17 AUTORIN Christina LEITET seit No- STECKBRIEF Foto: Privat Repolust vember 2011 mit Verkäufer Kurt BERUF Bibliothe- großem Erfolg und karin, Journalistin, viel Spaß auf beiden Apropos-Sprachkurs Zwei „kalte“ Tage Sprachlehrerin, Seiten den Apropos- B wie BananA Fotografin & Autorin Sprachkurs WOHNORT Salzburg Still und heimlich nimmt man uns immer wieder was weg. Die Lebenshaltungskosten werden immer mehr. oder Bibi Blocksberg Vor allem die wichtigen Dinge, die man zum tägli- chen Leben braucht wie Brot, Butter, Milch, Käse, Die Rubrik Schreibwerkstatt von Christina Repolust Obst, Fisch, Wurst und Fleisch, werden immer ein spiegelt die Erfahrungen, klein wenig teurer. Menschen wie ich müssen jeden E igentlich unterschätze ich Menschen Augustina will gerade mehr über Maul- Gedanken und Anliegen Verkäufer KURT Tag überlegen, was sie sich zum Essen machen. Ich Foto: Michaela Gründler sehr, sehr selten, vielleicht passiert mir wurfshügel wissen und Rumen liest Ogi unserer VerkäuferInnen und habe in der Woche zwei „kalte Tage“, wo ich mir muss schauen, wie er das bei Verwandten eher als bei Teilneh- aus dessen Neujahrstext vor, dass er doch einfach Salate zubereite oder eine Packerlsuppe merinnen und Teilnehmern. Also erklärte Kinder wolle. Oder doch nicht. Und was anderer Menschen in sozialen über die Runden kommt koche. Schade ist nur, dass die Verantwortlichen ich, dass wir in der nächsten Stunde den sei jetzt überhaupt von diesem Text zu Grenzsituationen wider. nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Sie la- zweiten Buchstaben des Alphabets „B, halten. Rumen ist stolz auf seinen Sohn, Sie bietet Platz für Menschen chen jeden Tag aus dem Fernseher, als wäre nichts b“ üben werden. „B“ wie Banana, „b“ der in Rumänien studiert, und Augusti- und Themen, die sonst nur am geschehen. Die Reichen werden reicher und die wie besuchen und „b“ wie bald. „B wie na erzählt von ihrer Tochter und deren Armen immer ärmer. Aber das Leben muss weiter- Bibi Blocksberg!“, rief da eine besonders Erfolgen. Die Kinder sind fleißig. Sie Rande wahrgenommen werden. gehen, obwohl alles nicht so bunt aussieht, wie aufmerksame Schülerin in den Raum. wollen lernen. Das ist gut.
[SCHREIBWERKSTATT] [SCHREIBWERKSTATT] 18 19 Verkäuferehepaar Georg und Evelyne Das Radhaus Wir machen Radio In unserer Sendung am 8. April er- klärte uns die diplomierte Sozial- arbeiterin und Geschäftsfeldleite- rin des FAB (Verein zur Förderung Verkäuferin Evelyne Verkäufer Georg Verkäufer Ogi Schreibwerkstatt- von Arbeit und Beschäftigung) freut sich im Mai auf ihren freut sich im Mai auf den hat viel Humor Autor Chris Ritzer Josefine Joung-Buchner, was das Foto: Georg Aigner Geburtstag jährlichen Apropos-Vortrag verarbeitet seine Gefühle Radhaus so alles macht und anbie- in der Pädak gerne zu Gedichten tet. Seit Ende 2012 gibt es in der neuen Mitte Lehen das sogenannte Radhaus. Dieses bietet unter ande- von Schreibwerkstatt-Autor Chris Ritzer Josefine Joung-Buchner war zu rem, in Zusammenarbeit mit Inter- einen unserer Lastenräder sehr gut selber Gast in der Radiosendung der Aigners. spar, einen Hauslieferdienst. Das bedeutet, Menschen können nach dem Einkaufen ihre Sachen in einer Box abstellen, die dann zum machen. Wir haben viele verschiedene Vari- anten von Lastenrädern, zum Beispiel fürs Picknick oder einfach zum Kinder-Herrumkut- Die Träne gewünschten Zeitpunkt von Mitarbeitern des schieren.“ Es ging eine Träne auf Reisen. Radhauses zu ihnen nach Hause transportiert Dieser Beitrag wurde übrigens auch in der Sie wollte nicht mehr schlafen. werden. Joung-Buchner dazu: „Dieses Angebot Sendung „Stadtteilradio Lehen“ ausgestrahlt, Sie wollte nicht mehr speisen. wird sehr gut angenommen, weil wir nicht nur wo wir auch seit Anfang 2014 mitmachen. Beim Sie hat sich verirrt im Stadtteil Lehen, sondern in der ganzen Stadtteilradio auf der Radiofabrik berichten und war ganz verwirrt. Stadt ausliefern. Die Leute können sich also BewohnerInnen aus ihren „Grätzln“ – wir Sie fiel auf den Boden. ihren Einkauf überall hinliefern lassen.“ beide wohnen ja in Lehen. Jeden Montag und Sie fiel auf das Feld Auf unsere Frage, was das Radhaus sonst Freitag ab 17 Uhr gibt es eine Ausgabe aus und es hatten sich andere zu ihr gesellt. noch anbietet, antwortete sie: „Wir haben einem anderen der neun beteiligten Stadttei- Ja, viel Tränen vereinigten sich auch eine sogenannte offene Werkstatt, das le zu hören. Immer am vierten Montag im Monat und ließen einander nicht im Stich. heißt, die Leute können mit ihren Fahrrädern ist Lehen an der Reihe – das nächste Mal Sie nahmen sich bei den Händen zu uns kommen und können mit Hilfe unserer also am 26. Mai. Neue StadtteilreporterInnen und flossen in die letzten Enden Mitarbeiter ihr Rad reparieren und sich auch werden übrigens dringend gesucht und sind dieser kugelrunden Welt, bei Bedarf sämtliche Ersatzteile kaufen. Man herzlich willkommen! Es sind keine Vorkennt- wo sich Trauer mit Freude oft seltsam vermählt. kann bei uns sein Fahrrad aber auch codieren nisse nötig, nur etwas Zeit und Interesse. Sie fand den Weg ins Meer, lassen. Wir bieten auch einen Lastenradver- Nach eineinhalb Tagen „Basis-Workshop“ kann salzig immer mehr. leih an, wenn jemand etwa einen Kühlschrank es schon losgehen. Wer Lust hat mitzumachen, Verdunstet in die höchsten Höhen zu entsorgen hat oder kauft und kein Auto meldet sich bei Eva Schmidhuber in der Und war von niemand mehr zu sehen. zur Verfügung hat, dann kann man das mit Radiofabrik (0662/842961; Sie ging nieder als Regen e.schmidhuber@radiofabrik.at).
[SCHREIBWERKSTATT] 20 [LESERBRIEFE] 21 Leserbriefe Verkäuferin Andrea Bettel-Begegnung „Kalte Liebe“ Der Fürst von Auersperg Nachdem ich gestern auf Salzburgs Straßen eine bewegende Begegnung hatte, wollte ich diese in einer kurzen Notiz Vielen Dank für den Bericht in der aktuellen Ausgabe, mit dem Titel „Kalte Liebe“. Ein Thema, welches mich als Mutter zweier Anlässlich einer netten Einladung zum Biofrühstück dokumentieren. Kinder (11 und 14) sehr beschäftigt. Auch die Schlagzeilen: habe ich mir eine Geschichte einfallen lassen: „11-Jähriger vergewaltigt 8-Jährige“ bringe ich mit diesem [Montag 18.15 Uhr. Getreidegasse] Thema in Verbindung. Denn, diese Bilder im Netz sehen ja Am Anfang des 14. Jahrhunderts trafen sich Essen und die Dienstmägde brachten Wein, so nicht nur 15-Jährige aufwärts. Viel jüngere Kinder werden ein paar Landstreicher vor den Toren einer viel sie trinken konnten. Irgendetwas irritiert. Geräusche. Die Stimme wird lauter. auch damit konfrontiert, oft auch unfreiwillig. Ich habe die alten Stadt. Sie tranken Wein und Schnaps und Ich komme näher. ER schreit. In Richtung Boden. Da Erfahrung gemacht, dass nur ein Mitschüler die Idee haben hatten zum Essen genug. Sie haben ein Haus Die Landstreicher erzählten sich allerlei kauert einer. Neben dem Mülleimer. Schwarz. Stumm. muss, bestimmte Wörter in die Suchmaschine einzugeben und Verkäuferin Andrea gebaut, die Pferde besorgt und sind reichlich Geschichten von Krankheit und Leid und Mit fragendem Blick. ER schreit weiter. Ordentlich es kommt mir das Grauen! Freut sich jeden Morgen beschenkt worden. Der Kohlebergbau war je- wunderbaren Begegnungen. Einer fand einen gekleidet. Sauber. Betrunken. Schleich dich! Hau ab! Kei- auf ein gutes Frühstück doch sehr anstrengend. Es gab Kinderarbeit kranken Hund, den er behalten hat und der ihn ner bleibt stehen. Der andere kniet. ER tobt. Drecksau! Was soll ein 10-Jähriger mit diesen Bildern anfangen? Meist und die Menschen behandelten die Kinder und überall begleitete. Der Fürst freute sich Ich antworte. Das muss jetzt aber nicht sein. ER stutzt. wird die Frau in diesen Szenen extrem schlecht behandelt, die auch die Tiere schlecht. Der Handel mit Ge- über die schönen Geschichten und war traurig, Wendet sich mir zu. Was ich denn wolle? Was ich hier zu Szenen sind (hoffe ich) meist nachgestellt, aber woher soll das würzen und Lebensmitteln wurde mehr und das wenn es jemandem schlecht ging. Einer war sagen hätte? Das ist ein Mensch, sage ich. Das ist KEIN ein Kind wissen, wo es doch sogar für mich echt wirkt. Wenn Kunsthandwerk verbreitete sich. Die Leute in über den Berg gewandert und hatte viele Samen Mensch, schreit ER! Das ist ein BETTLER! Der soll nun Buben glauben, das ist die Realität, Frauen wollen das so, den Städten heizten viel und brauchten Kohle gesammelt, die er gleich überall säte. Er sich doch verziehen! ER zahle hier seine Steuern. Und und Mädchen glauben, das müssen sie sich gefallen lassen. Oder und Holz. freute sich über alle Bäume und Sträucher, ER will den nicht hier haben. Gib du ihm doch dein aber auch gefährliche Dinge, es gibt ja die verschiedensten die er kannte, und jedes Jahr wurden es mehr. Geld, sagt ER. Alle gehen weiter. Ob ich denn hier ein Fetische, ich möchte hier nicht näher drauf eingehen ... Die Landleute kamen jährlich zu einem Fest Er liebte auch die Brombeeren im Sommer. Der Geschäft hätte? ER hätte eines, so sagt ER. Und tobt Ich denke auch, Schulen sollten hier nachziehen und ihren Teil zusammen. Sie hatten schon vergessen, in Fürst schenkte nun jedem ein Stück Land, weiter. In seinem redlich verdienten Rausch. Bettler sind leisten – nein, ich bin nicht die Mutter, die denkt, Erziehung welchem Land sie sich befanden. Am Abend damit sie sich ein Haus bauen und einen großen auch Menschen, sage ich. ER stutzt. Lauscht dem Klang gehört in die Schule, ich habe mit meinen Kindern sehr wohl versammelten sich alle in einem großen Saal. Acker pflügen konnten. Sie sollten die Erde nach. Ein Bayer, sagt ER. Oh je. Der Dialekt schon. Ein über diese Dinge gesprochen. Nur, Schulen verlangen, für ver- Die Sonne war gerade vor den Fenstern der Burg lieben und pflegen, die ihnen allen gehört. Am Bayer. Flughafen, sag ich da nur, sagt ER. Geh doch schiedenste Hausübungen im Internet zu recherchieren, also untergegangen und im Kamin brannte ein Feuer Morgen brachen sie auf. Die Vögel zwitscherten heim. Wir wollen dich hier nicht, sagt ER. Geh doch sollte auch der Umgang damit geschult werden. lichterloh. Der Fürst gab ihnen ein gutes und die Hummeln summten. Sie wollten an einem über die Grenze, sagt ER. Verschwinde! Sagt ER. Ich Ort bleiben, der ihnen gefällt, und Steine und bitte ihn, mich nicht zu duzen. ER ignoriert das. Ich Ich wünsche mir, dass dieser Generation nicht die Lust auf Sex Holz sammeln für eine Hütte. Im nächsten Jahr bleibe stehen. Weiß. Stumm. Mit fragendem Blick. ER vergeht in Anbetracht dessen, was sich hier so bietet. „Bravo“ wollten sie wiederkommen und einen Bergkris- beginnt abzuziehen. Ordentlich. Sauber. Betrunken. Der und Ähnliches war früher, ja, aber ich bilde mir ein, meine tall und einen Rosenstock mitbringen für den andere kniet jetzt einige Meter weiter vorne. Ich gehe Eltern haben gewusst, wovon hier geschrieben wird. Was die Fürsten. nach Hause. Zahle meine Steuern. Und wundere mich. Kids heute im Internet sehen, davon haben – behaupte ich – die Ob das die Stimme des Volkes ist? Ob das die Zukunft wenigsten Eltern eine Ahnung! Wer hat es schon ausprobiert? Die Rosenblüten geben oft mehr Kraft als der bringt? Was wohl als Nächstes kommt? Wein, das wusste einer. Vor der Hütte wollten Manuela Lindtner sie eine Holunderbaum und einen Haselnuss- [Licht aus. Vorhang. Dunkelheit] strauch, einen Schwarzdorn und einen Weißdorn Harald Zimmermann pflanzen, weil die Früchte im Winter auch die Tiere stärken und dem Menschen helfen bei Krankheit. Auf die Bank wollten sie eine Feingold-Interview Felldecke legen, die schön warm hält. Heizen wollten sie kaum. Ich habe mir letzte Woche wieder mal ein Exemplar Ihrer Straßenzeitung „Apropos“ gekauft. Ich habe mit Niemand wollte die Erde in die Luft sprengen größtem Interesse das Interview mit dem Vorsitzenden und das Essen so vergiften, dass die Tiere der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, Herrn Marco sterben. Der Fürst wollte alle seine Feinde Feingold, gelesen, welches Sie geführt haben. mit einem Blitz töten. Ich darf Ihnen zu diesem absolut gelungenen Beitrag Am Morgen danach zogen sie gemeinsam herzlich gratulieren. weiter.
[PORTRÄT-SERIE] [PORTRÄT-SERIE] 22 23 Autorin Beate Dölling ärgert sich, wenn sie in STECKBRIEF lebt in Berlin einer Schlange steht und es schreibt Kinder- und geht und geht nicht voran Ställen getrieben, er hat sie mitgenommen auf die Weiden und Wenn sie erst einmal besser Deutsch sprechen, bekommen sie Jugendbücher sowie Ge- freut sich immer, wenn abends zum Melken wieder zurückgebracht. Dafür hat er einen vielleicht eine Anstellung, wie ein Kollege von ihnen, der jetzt als schichten und Hörspiele fürs sie schwimmen gehen kann Preis ausgehandelt. Im Dorf lebten ungefähr 300 Familien. Autos Reinigungskraft arbeitet und damit sehr zufrieden ist. Mit einem Deutschlandradio. Schreibt Aktueller Roman „Je gab es kaum. Auch keinen Schulbus. Die Kinder mussten viele festen Job würden sie auch eine Wohnung bekommen. Und dann auch mit ihrem Partner mehr ich dir gebe“ (Bastei Didier Laget zusammen Kilometer bis zur nächsten Hauptstraße laufen und dann ging es würden sie die Kinder nachholen, und die Kinder könnten hier zur Lübbe) Bücher mit Auto-Stopp zur Schule – oder auch nicht. Schule gehen. Es ist beiden sehr wichtig, dass Beniamin und Raluea eine gute Ausbildung bekommen und die Schule nicht so schnell Sergiu hat nach sechs Jahren die Schule abgebrochen. Simona nach abbrechen wie ihre Eltern. Sie wollen ihnen bessere Bedingungen sieben. Dann war sie schwanger. Die Eltern der beiden hatten schon schaffen. Dafür müssen sie jedoch zuerst Deutsch lernen. Einen immer mit einer Verschwägerung geliebäugelt – und es hat ja dann Deutschkurs können sie sich zwar nicht leisten, aber Apropos bietet auch geklappt. Aber wären sie nicht verliebt gewesen, hätten sie einmal in der Woche 60 Minuten Deutschunterricht an. Da gehen sich nicht verkuppeln lassen. Jetzt strahlen sie, die jungen Eltern, in sie auch immer hin. Da gehen alle hin. Da trifft man die ganzen Schriftstellerin trifft Verkäuferin Salzburg, denken an ihre Jugend, kichern, weil ich sie nach ihrem Verwandten wieder. Mit Autostopp zur Schule Sergiu Burulea beim Gespräch mit Autorin Beate Dölling im Café Haiden- thaller. von Beate Dölling S echzehn Uhr. Wir treffen uns in einem Café. Die Sonne scheint auf den Tisch. Sergiu Ionut Burulea gibt mir die Hand, distanziert, schüchtern, höflich. Er hat Den Entschluss, nach Österreich zu gehen, haben Sergiu und Simona von heute auf morgen gefasst. Es gab schon ein paar Zeitungsverkäufer im Dorf, die haben erzählt, seine Freundin mitgebracht, Simona Onica. Sie ist schon dass man im Ausland mehr Geld verdiene als zuhause. in einer anderen Apropos-Ausgabe interviewt worden. Wir Da hat Sergiu nicht lange gezögert. Vorher war er Tage- bestellen Kaffee, Wasser – Kuchen? Die beiden schütteln löhner, hat bei den Bauern in der Umgebung gearbeitet den Kopf. Irgendwas anderes zu essen? Nein, danke. als Erntehelfer, Äpfel und Mais gepflückt und sechs bis „Was habt ihr heute gemacht?“, frage ich. „Gearbeitet“, sieben Euro am Tag verdient. Er ist ein Vater, er hat sagen sie. Bis eben standen sie auf der Straße und haben Kinder zu versorgen. Ihm blieb nur die Möglichkeit, ins Zeitungen verkauft. „Und, war es ein guter Tag?“ Sergiu Ausland zu gehen und Zeitungen zu verkaufen, mit denen holt tief Luft, zögert. Simona sagt, nicht so gut. Der man immerhin 25 bis 30 Euro verdient – an guten Tagen. ganze Monat sei schon nicht so gut gewesen. Vielleicht Obwohl ihm nur knapp die Hälfte davon bleibt. Er muss ja liegt es an der Fastenzeit. Die Leute sind mit sich selbst auch leben und wieder frische Zeitungen kaufen. Ein Bett beschäftigt, hasten vorbei. in Notunterkünften kostet um die 100 Euro im Monat. Was ist denn ein guter Monat? Die Vorweihnachtszeit. Man kann aber nirgendwo am Stück einen Monat lang Jetzt strahlen sie, allein bei dem Gedanken an Weihnachten. bleiben. Sergiu und Simona übernachten nur im Winter Sie sind noch so jung. Er 27, sie 24. Zwei Kinder haben in ständig wechselnden Unterkünften. Ende März erklären sie schon. Simona war 15, als sie Beniamin bekam. Kaum sie die Wintersaison für beendet, dann schlafen sie in Parks ein Jahr später wurde Raluea geboren. Jetzt strahlen sie noch mehr, wenn sie von ihren Kindern erzählen. Aber oder unter Brücken. Ihre Sachen und Decken verstauen sie tagsüber in Schließfächern am Bahnhof. Das kostet Unsere Kinder sollen eine bessere ihre Augen bekommen schnell einen Schleier, ihr Blick auch zwei Euro täglich. Krankenversichert sind sie nicht. Ausbildung bekommen.“ künstlerische Arbeiten sind ein dreiteiliges Riesenpanorama von mit fotohauch@aon.at eine voll knuffige Mailanschrift. Aktuelle Kunden aus Wirtschaft, Politik und Kunst. Zentrales Thema ist wird sehnsüchtig. Die Kinder sind nicht da. Sie wohnen Vor einem Jahr hatten sie noch ein Auto und haben darin Andreas Hauch arbeitet seit genau 20 Jahren als Fotograf mit immer der Mensch. Er braucht keine Homepage, aber er hat bei den Großeltern. Manchmal sehen sie ihre Kinder übernachtet, aber das sei jetzt leider kaputt. Trotz allem, acht Wochen nicht, im Sommer können sie öfter nach sagt Sergiu, sie haben keine Wahl. Immerhin sind sie zu ersten Kuss frage, aber daran können sie sich nicht mehr erinnern. Draußen scheint noch immer die Sonne. Unsere Kaffeetassen sind Hause fahren, alle zwei, drei Wochen. Sie telefonieren zweit und können sich nachts unter einem Baum anku- Sergiu und Simona wurde schnell klar, dass sie nicht in ihrem leer. Ob sie noch etwas trinken, essen möchten? Nein. Sie müssen sonntags, aber das ist schwierig, weil sie dann alle so sehr scheln. Wenigstens das. Und dann träumen sie von einer Dorf bleiben konnten. Sie hatten keine eigene Wohnung, wohnten auch wieder los. Ob sie noch etwas sagen möchten, den Lesern, den weinen müssen. Festanstellung, einer Wohnung und von ihren Kindern, bei den Eltern bzw. Schwiegereltern. Die bekommen immerhin Käufern der Zeitung, mit denen sie sonst nicht sprechen können? die wieder bei ihnen sind. eine Rente, 120 Euro monatlich. Sie waren bei dem rumänischen Sergiu möchte sich bei den Salzburgern bedanken, weil sie ihn und Ihr Arbeitstag fängt um 9 Uhr an und dauert bis 17 Uhr, Automobilhersteller Dacia beschäftigt, einem Werk in der nächst Simona so freundlich aufgenommen haben und sie in ihrer Stadt mindestens. Es ist wichtig, einen guten Platz zu ergattern, Sergiu und Simona kennen sich aus ihrem Dorf Pitesti. größeren Stadt, Pitesti. Sergiu konnte dort jedoch keine Arbeit akzeptieren. „Ja“, sagt Simona. „Danke, dass wir hier sein dürfen!“ Salzburg und diverse Kurzfilme. am besten vor Supermärkten, mit Vordach. Aber gute Plätze Im Sommer spielte sich dort alles draußen ab. Kaum finden, weil das Werk weiter Stellen abbauen musste. Außerdem Ich bedanke mich für das Gespräch. Auf Rumänisch heißt das sind heiß begehrt und wenn sie besetzt sind, respektiert jemand hatte einen Fernseher oder ein Telefon, man hat hatte er keine Ausbildung. Er hat auch versucht, auf Baustellen „Multumesc!“ oder ganz einfach: Mersi!
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