Neuregelung der Interessenkollision - Online-Konferenz "Die große' BRAO-Reform: Jetzt wird es konkret!" - rewi.hu-berlin.de
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Neuregelung der Interessenkollision Online-Konferenz „Die ‚große‘ BRAO-Reform: Jetzt wird es konkret!“ Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020
Von sieben Wörtern… § 43a Grundpflichten (4) „ Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.“ Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 2
… zu 168 Wörtern Gesetzestext? § 43a Absatz 4 wird wie folgt gefasst: (4) „ Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er 1. eine andere Partei in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat oder 2. in Ausübung seines Berufs von einer anderen Partei eine für die Rechtssache bedeutsame vertrauliche Information erhalten hat. Das Tätigkeitsverbot nach Satz 1 gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf in einer Berufsausübungsgesellschaft mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 ausgeschlossen ist. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn der Rechtsanwalt, der nach Satz 1 ausgeschlossen ist, die Berufsausübungsgesellschaft verlässt. Die Sätze 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts nach umfassender Information zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen. Soweit es für die Prüfung eines Tätigkeitsverbots nach Satz 2 erforderlich ist, dürfen der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart werden. Die Sätze 1 bis 5 gelten entsprechend für ein Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs, wenn für ein anwaltliches Tätigwerden ein Tätigkeitsverbot nach Satz 1 bestehen würde.“ Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 3
Und noch viel mehr… § 45 wird wie folgt gefasst: „§ 45 Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung (1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er 1. in derselben Rechtssache bereits tätig geworden ist als a) Richter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes oder als im Vorbereitungsdienst bei den genannten Personen tätiger Referendar, b) Schiedsrichter, Schlichter oder Mediator oder c) Notar, Notarvertretung, Notariatsverwalter, Notarassessor oder als im Vorbereitungsdienst bei einem Notar tätiger Referendar, 2. in denselben Angelegenheiten, mit denen er bereits als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker oder Betreuer oder in ähnlicher Funktion befasst war, gegen den Träger des von ihm verwalteten Vermögens vorgehen soll, oder 3. in derselben Angelegenheit bereits außerhalb seiner Anwaltstätigkeit für eine andere Partei im widerstreitenden Interesse beruflich tätig geworden ist. Der Rechtsanwalt darf auch dann nicht tätig werden, wenn er bei einer Tätigkeit nach Satz 1 in einer anderen Angelegenheit von einer anderen Person eine für die Rechtssache bedeutsame vertrauliche Information erhalten hat. (2) Ein Tätigkeitsverbot gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf ausüben in einer Berufsausübungsgesellschaft 1. mit einem Rechtsanwalt, der nach Absatz 1 nicht tätig werden darf, oder 2. mit einem Angehörigen eines anderen Berufs im Sinne des § 59c Absatz 1, dem ein Tätigwerden bei einer entsprechenden Anwendung des Absatzes 1 untersagt wäre. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 1 bleibt bestehen, wenn der Rechtsanwalt, der nach Absatz 1 nicht tätig werden darf, die Berufsausübungsgesellschaft verlässt. Die Sätze 1 und 2 finden in den Fällen, in denen das Tätigkeitsverbot auf Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 oder auf Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 3 beruht, keine Anwendung, wenn die betroffenen Personen der Tätigkeit nach umfassender Information durch den Rechtsanwalt zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Verhinderung einer Offenbarung vertraulicher Informationen sicherstellen. Soweit es für die Prüfung eines Tätigkeitsverbotes erforderlich ist, dürfen der Verschwiegenheit unterliegende Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung der betroffenen Person offenbart werden.“ Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 4
Umfassende Neuregelung der anwaltlichen Tätigkeitsverbote Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen Erweiterung des Verbots bei für die Rechtsache bedeutsamen vertrauliche Informationen (außerhalb derselben Rechtssache) Regelung der Sozietätssachverhalte auf Ebene der BRAO Klarstellung: keine sozietätsweite Erstreckung des Tätigkeitsverbots bei Aufnahme eines nicht vorbefassten Sozietätswechslers Keine Erstreckung auf den Bürogemeinschafter Präzisierung der Anforderungen an die Dispositivität des Verbots Aufgabe der Einschränkung „Belange der Rechtspflege“ Regelung Verschwiegenheitspflicht conflict check Soweit für conflict check notwendig, dürfen Verschwiegenheitspflicht unterliegende Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart werden Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung Bindung des § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO (= § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO-E) an das Bestehen eines Interessenkonflikts (rudimentäre) Behandlung des Referendars Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 5
Rechtsunsicherheit: nicht vorbefasster Sozietätswechsler Begründung für die Änderungen der §§ 7, 6 Abs. 2 und § 3 BORA (BRAK-Mitt. 2006, 212, 213): „Vorstehendes gilt sowohl für den Kanzleiwechsler, der in dem die Interessenkollision auslösenden Mandat in der abgebenden Kanzlei selbst beraten oder vertreten hat, als auch für den nach Absatz 2 Satz 1 bloß mitverpflichteten Kanzleiwechsler, der das Mandat in der abgebenden Kanzlei nicht bearbeitet hat. Auch er kann aus dem Mandat geheimhaltungsbedürftige Informationen erlangt haben, die er aus Sicht des Mandanten nunmehr in die Kanzlei des Gegners mitnimmt. Dies kann etwa der Fall sein bei Urlaubsvertretung, Befassung mit Teilaspekten des Mandats oder auch bei zufälliger Kenntniserlangung beim Mittagsgespräch. Auslöser eines Tätigkeitsverbotes kann andererseits aber stets nur die konkrete nahe liegende Möglichkeit der Erlangung geheimhaltungsbedürftiger Informationen sein.“ Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 6
Rechtsunsicherheit: nicht vorbefasster Sozietätswechsler § 43a Absatz 4 wird wie folgt gefasst: (4) „ Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden (…). Das Tätigkeitsverbot nach Satz 1 gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf in einer Berufsausübungsgesellschaft mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 aus- geschlossen ist. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn der Rechtsanwalt, der nach Satz 1 ausgeschlossen ist, die Berufsausübungsgesellschaft verlässt. (…)“ Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 7
Rechtsunsicherheit: nicht vorbefasster Sozietätswechsler Jetzt beabsichtigte Lösung entspricht heute bereits hM, aber erhebliche Unsicherheit Wohltuende Klarstellung auch in Gesetzesbegründung Vorbefasster Sozietätswechsler: Sein ihn persönlich treffendes Tätigkeitsverbot (§ 43a Abs. 4 S. 1 BRAO-E) wird auf die aufnehmende Sozietät erstreckt (§ 43a Abs. 4 S. 2 BRAO-E) Durch Einwilligung kann die aufnehmende Sozietät von einem Tätigkeitsverbot befreit werden (§ 43a Abs. 4 S. 4 BRAO-E) Der den Sozietätswechsler abgebenden Sozietät bleibt es nach dessen Ausscheiden (samt Mitnahme der Akten) untersagt, ein konfligierendes Mandat zu übernehmen (§ 43a Abs. 4 S. 3 BRAO-E). Nicht vorbefasster Sozietätswechsler: Ihn trifft ein persönliches Tätigkeitsverbot (§ 43a Abs. 4 S. 2 und S. 3 BRAO-E), dieses erstreckt sich aber nicht auf die ihn aufnehmende Berufsausübungsgesellschaft Er bleibt zudem zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 43a Abs. 2 BRAO). Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 8
Einwilligung der betroffenen Mandanten Aufgabe des konturenlosen Tatbestandsmerkmals „Belange der Rechtspflege“ Neu: Es müssen geeignete Vorkehrungen zur Sicherheit der Verschwiegenheit (Chinese Walls) ergriffen werden. Kann auch schon in das geltende Recht hineingelesen werden Ein verständiger Mandant wird seine Zustimmung an die Vertretung widerstreitender Interessen durch verschiedene Anwälte einer Berufsausübungsgesellschaft an die Sicherung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht knüpfen. Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 9
Einwilligung der betroffenen Mandanten Neu: Es müssen geeignete Vorkehrungen zur Sicherheit der Verschwiegenheit (Chinese Walls) ergriffen werden. Unterschiedlicher Wortlaut nachvollziehbar, könnte aber gleichwohl angepasst werden: „geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen“ (§ 43a Abs. 4 S. 4 BRAO-E) „geeignete Vorkehrungen die Verhinderung einer Offenbarung vertraulicher Informationen sicherstellen (§ 45 Abs. 2 S. 3 BRAO-E) „geeignet“ ermöglicht einzelfallabhängige Beurteilung Bei einem vorbefassten Sozietätswechsler oder einem Anwalt, der früher in anderer Funktion im widerstreitenden Interesse tätig war, können Information und Informationsträger einfacher separiert werden als bei Übernahme widerstreitender Mandate durch verschiedene Sozietätsteams Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 10
Rechtsunsicherheit: Bürogemeinschaft Erstreckung des Verbots auf die Bürogemeinschaft ist verfassungsrechtlich zweifelhaft. Kein Mandatsverhältnis mit dem Bürogemeinschafter Es fehlt insoweit an einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Mandanten und dem Bürogemeinschafter. Mandant kann Anwalt auch nicht als seinen Interessenvertreter ansehen. Pflicht zum Conflict Check gerät in Konflikt mit der Verschwiegenheitspflicht (vgl. § 3 Abs. 5 BORA) These: Tätigkeitsverbot wird letztlich nur erstreckt, weil man an die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht in der Bürogemeinschaft nicht glaubt § 59q Abs. 3 BRAO-E: „Die in der Bürogemeinschaft tätigen Rechtsanwälte sind verpflichtet, angemessene organisatorische, personelle und technische Maßnahmen zu treffen, die die Einhaltung ihrer Berufspflichten gewährleisten.“ Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 11
Rechtsunsicherheit: Bürogemeinschaft Offen: Behandlung von Scheinsozietäten „Die für die Außenhaftung und für die Außenvollmacht entwickelten Grundsätze der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, die Mandanten und Rechtsverkehr eine erleichterte Zurechnung ermöglichen, können insofern nicht maßgeblich sein. Denn der Schutzzweck des § 43a Abs. 4 BRAO ist (…) ein anderer.“ (BVerfG, Beschluss vom 3.7.2003 – 1 BvR 238/01) Aber: Die Mandanten sieht aufgrund der Außendarstellung sämtliche Anwälte der Berufsausübungsgesellschaft als ihre Vertrauensanwälte bzw. ihre „Interessenvertreter“ an. Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 12
Bindung des § 45 BRAO an Interessenkonflikte § 45 BRAO Tätigkeitsverbote (1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden: (…) 4. wenn er in derselben Angelegenheit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit im Sinne des § 59a Abs. 1 Satz 1 bereits beruflich tätig war; dies gilt nicht, wenn die berufliche Tätigkeit beendet ist. Regelungszweck: „Da der Rechtsanwalt bei seiner beruflichen Tätigkeit unabhängig ist und sich von Bindungen, die die Unabhängigkeit gefährden, freihalten muß (§ 43 a Abs. 1 BRAO), der Angestellte jedoch grundsätzlich den Weisungen des Dienstherrn unterliegt, müssen beide Bereiche scharf voneinander getrennt werden. “ (BT-Drs. 12/4993, 30) Keine Bindung der Norm an das Vorliegen eines Interessenkonflikts (uferloses Verbot) Aber: Nach Beendigung der zweitberuflichen Tätigkeit überhaupt kein Tätigkeitsverbot mehr. Unklar: Was gilt bei Vorbefassung als Patentanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer? Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 13
Bindung des § 45 BRAO an Interessenkonflikte BVerfG, Beschluss vom 5.11.2001 – 1 BvR 1523/00 zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO aF; vgl. nun auch BGH, Urteil vom 17.9.2020 – III ZR 283/18: „Hierfür sprechen Sinn und Zweck der Regelung, ihre Entstehungsgeschichte sowie die gesetzliche Stellung der Norm. Sie wurde in das Gesetz nach der Zweitberufsentscheidung des BVerfG (Beschluss vom 4.11.1992 – 1 BvR 79/85 u. a.) aufgenommen, in der angemahnt worden war, Berufseinschränkungen an Interessenkollisionen zu binden. … Vorliegend ist nicht nachvollziehbar, dass tatsächlich eine Gefahr von Interessenkollisionen bestehen könnte.“ Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 14
Bindung des § 45 BRAO an Interessenkonflikte § 45 Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung (1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er (…) 3. in derselben Angelegenheit bereits außerhalb seiner Anwaltstätigkeit für eine andere Partei im widerstreitenden Interesse beruflich tätig geworden ist. Neu: Interessenkonflikt als Voraussetzung Anders bei nicht parteibezogenen Tätigkeiten wie Richter, Notar (§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 2 BRAO- E) Keine zeitliche Befristung des Verbots Zugleich: Einschränkung der weiten Sozietätsklausel Einwilligung der betroffenen Mandanten beachtlich Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 15
Rechtsunsicherheit: Referendar § 45 Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung (1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er 1. in derselben Rechtssache bereits tätig geworden ist als a) Richter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes oder als im Vorbereitungsdienst bei den genannten Personen tätiger Referendar, (…) c) Notar, Notarvertretung, Notariatsverwalter, Notarassessor oder als im Vorbereitungsdienst bei einem Notar tätiger Referendar, (…) 3. in derselben Angelegenheit bereits außerhalb seiner Anwaltstätigkeit für eine andere Partei im widerstreitenden Interesse beruflich tätig geworden ist. Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 16
Rechtsunsicherheit: Referendar Aktuelles Recht: Behandlung des Referendars völlig unklar Diskutiert werden § 43a Abs. 4, § 45 Abs. 1 Nr. 1, § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO Tätigkeitsverbot bei Vorbefassung als bei einem Richter, Staatsanwalt, Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder Notar tätigen Referendar (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 a und c BRAO-E). Erstreckung dieser Tätigkeitsverbote auf die Berufsausübungsgesellschaft und ihre Berufsträger Im Übrigen findet der Referendar keine Erwähnung (weder im Gesetzestext noch in der Begründung). Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 17
Rechtsunsicherheit: Referendar Offen ist, ob die Vorbefassung als Referendar in der Anwaltsstation oder als relevant ist. Kein Tätigkeitsverbot aus § 43a Abs. 4 BRAO: Dem Gesetz liegt der Gedanke zugrunde, dass die Norm allein bei anwaltlicher Vorbefassung greift, alle übrigen Sachverhalte werden von § 45 BRAO erfasst. Zweifelhaft, ob ein Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO-E („beruflich tätig geworden ist“) greift. Insoweit kommt es darauf an, ob der Referendar „beruflich tätig geworden ist“ (so etwa Kilian, in: Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 45 Rn. 17e). Es spricht vieles dafür, den Vorbereitungsdienst der „Berufsausbildung“ und noch nicht der „Berufstätigkeit“ zuzuordnen sein (vgl. § 59 BRAO sowie BVerfG, Beschluss vom 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17 Rn. 108). Aber: Ein Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung von einem Referendar in Gerichts- oder Notariatsstation zu einem Referendar in Anwaltsstation ist nicht ersichtlich. Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 18
Rechtsunsicherheit: Referendar Erst recht offen ist die Behandlung von Praktikanten, studentischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter. Was ist bei einem als Wissenschaftlichen Mitarbeiter tätigen Assessor? Zu diskutieren: Wäre eine Sozietätserstreckung bei Aufnahme eines vorbefassten Referendars sachgerecht? Gefährdung des Ausbildungszwecks? Freiheit der Berufswahl? Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 19
Erweiterung des Verbots § 43a Absatz 4 wird wie folgt gefasst: (4) „ Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er (…) 2. in Ausübung seines Berufs von einer anderen Partei eine für die Rechtssache bedeutsame vertrauliche Information erhalten hat. (…) Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 20
Erweiterung des Verbots Hintergrund: Anwaltliche Verschwiegenheit schützt nur das Offenbaren, nicht aber das Ausnutzen sensibler Informationen Straftatbestand des § 204 StGB (Verwertung fremder Geheimnisse) hilft auch nur bedingt weiter, da nur vorsätzliches Handeln unter Strafe gestellt ist und Verwertungszweck auf Gewinnerzielung gerichtet sein muss. Im Übrigen ist nicht überprüfbar, ob der Einsatz des sensiblen Wissens zulasten eines Mandanten (unvorsätzlich?) erfolgt ist. § 11 BS WP/vBP als Alternative? Vorbilder im US-amerikanischen Berufsrecht (Rule 1.7 und Rule 1.9) und in den CCBE-Berufsregeln Verschwiegenheitspflicht und Interessenkollisionstatbestände lassen sich ohnehin nicht trennscharf voneinander abgrenzen Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 21
Ein Blick auf die Wirtschaftsprüfer… Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 22
CCBE-Berufsregeln 3.2. Interessenkonflikt 3.2.1. Der Rechtsanwalt darf mehr als einen Mandanten in der gleichen Sache nicht beraten, vertreten oder verteidigen, wenn ein Interessenkonflikt zwischen den Mandanten oder die ernsthafte Gefahr eines solchen Konfliktes besteht. 3.2.2. Der Rechtsanwalt muss das Mandat gegenüber zwei oder allen betroffenen Mandanten niederlegen, wenn es zu einem Interessenkonflikt zwischen diesen Mandanten kommt, wenn die Gefahr der Verletzung der Berufsverschwiegenheit besteht oder die Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes beeinträchtigt zu werden droht. 3.2.3. Der Rechtsanwalt darf ein neues Mandat dann nicht übernehmen, wenn die Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezüglich der von einem früheren Mandanten anvertrauten Information besteht oder die Kenntnis der Angelegenheit eines früheren Mandanten dem neuen Mandanten zu einem ungerechtfertigten Vorteil gereichen würde. 3.2.4. Üben Rechtsanwälte ihren Beruf gemeinsam aus, so sind die Bestimmungen der Artikel 3.2.1. bis 3.2.3. auf die Sozietät und alle ihre Mitglieder anzuwenden. Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 23
Erweiterung des Verbots Die Bedeutung des § 43a Abs. 1 Nr. 2 BRAO-E hängt auch davon ab, wie weit man den Begriff „dieselbe Rechtssache“ auslegt Teilidentität genügt Keine Partei- und Verfahrensidentität notwendig „Eine sachliche Überschneidung der beiden Tätigkeiten war somit – jedenfalls im Kern – nicht zu erwarten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Kenntnisse, die die Beklagte nur im Rahmen der Vorbefassung erlangen konnte, für ihre Funktion als Sicherheitentreuhänderin bedeutsam werden könnten, waren nicht ersichtlich, weil Aufklärungspflichten der Beklagten auf die Funktion als Sicherheitentreuhänderin bezogen und durch diese begrenzt sind.“ (BGH, Urteil vom 17.9.2020 – III ZR 283/18 Rn. 54) Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 24
Erweiterung des Verbots Einwilligung in die Verwertung sensibler Informationen ist möglich Mandant als „Herr des Geheimnisses“ „für die Rechtssache bedeutsame Informationen“ sind nur solche, bei deren Verwertung dem Mandaten ein unmittelbarer Nachteil droht Zulässig daher: Der Anwalt berät das Unternehmen A bei der Verteidigung seines Datenschutzkonzepts gegen einen Bußgeldbescheid der Datenschutz- behörde. Danach (oder zeitgleich) berät er auch das Unternehmen B datenschutzrechtlich. Dabei kommen ihm die Erfahrungen im Umgang mit der Behörde und deren Bußgeldpraxis aus dem Mandat des A zugute (Beispiel nach Diller, AnwBl Online 2021, 1, 2) Problematisch aber: Beratung eines Unternehmens beim Börsengang und Mitwirkung im anschließenden Bieterverfahren auf Käuferseite Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 25
Erweiterung des Verbots Zu diskutieren: Praktikabilität und Überprüfbarkeit des Verbots Sozietätsweite Erstreckung Kann Kenntnis und Zugriff auf „bedeutsame Informationen“ sinnvoll begrenzt werden (Bsp: vorbefasster Sozietätswechsler)? … Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020 Folie 26
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