Neuregelung der Interessenkollision - Online-Konferenz "Die große' BRAO-Reform: Jetzt wird es konkret!" - rewi.hu-berlin.de

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Neuregelung der Interessenkollision
Online-Konferenz „Die ‚große‘ BRAO-Reform: Jetzt wird es konkret!“

Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020
Neuregelung der Interessenkollision - Online-Konferenz "Die große' BRAO-Reform: Jetzt wird es konkret!" - rewi.hu-berlin.de
Von sieben Wörtern…

§ 43a Grundpflichten
(4) „ Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden
Interessen vertreten.“

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Neuregelung der Interessenkollision - Online-Konferenz "Die große' BRAO-Reform: Jetzt wird es konkret!" - rewi.hu-berlin.de
… zu 168 Wörtern Gesetzestext?
§ 43a Absatz 4 wird wie folgt gefasst:
(4) „ Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er
1. eine andere Partei in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden
Interesse beraten oder vertreten hat oder
2. in Ausübung seines Berufs von einer anderen Partei eine für die Rechtssache
bedeutsame vertrauliche Information erhalten hat.
Das Tätigkeitsverbot nach Satz 1 gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf in
einer Berufsausübungsgesellschaft mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach
Satz 1 ausgeschlossen ist. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn
der Rechtsanwalt, der nach Satz 1 ausgeschlossen ist, die
Berufsausübungsgesellschaft verlässt. Die Sätze 2 und 3 finden keine
Anwendung, wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts
nach umfassender Information zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen
die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen. Soweit es
für die Prüfung eines Tätigkeitsverbots nach Satz 2 erforderlich ist, dürfen der
Verschwiegenheitspflicht unterliegende Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne
Einwilligung des Mandanten offenbart werden. Die Sätze 1 bis 5 gelten
entsprechend für ein Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des
Anwaltsberufs, wenn für ein anwaltliches Tätigwerden ein Tätigkeitsverbot nach
Satz 1 bestehen würde.“
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Und noch viel mehr…
§ 45 wird wie folgt gefasst:
„§ 45 Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung
(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er
1. in derselben Rechtssache bereits tätig geworden ist als
a) Richter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes oder als im Vorbereitungsdienst bei den genannten Personen
tätiger Referendar,
b) Schiedsrichter, Schlichter oder Mediator oder
c) Notar, Notarvertretung, Notariatsverwalter, Notarassessor oder als im Vorbereitungsdienst bei einem Notar tätiger Referendar,
2. in denselben Angelegenheiten, mit denen er bereits als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker oder
Betreuer oder in ähnlicher Funktion befasst war, gegen den Träger des von ihm verwalteten Vermögens vorgehen soll, oder
3. in derselben Angelegenheit bereits außerhalb seiner Anwaltstätigkeit für eine andere Partei im widerstreitenden Interesse
beruflich tätig geworden ist.
Der Rechtsanwalt darf auch dann nicht tätig werden, wenn er bei einer Tätigkeit nach Satz 1 in einer anderen Angelegenheit von
einer anderen Person eine für die Rechtssache bedeutsame vertrauliche Information erhalten hat.
(2) Ein Tätigkeitsverbot gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf ausüben in einer Berufsausübungsgesellschaft
1. mit einem Rechtsanwalt, der nach Absatz 1 nicht tätig werden darf, oder
2. mit einem Angehörigen eines anderen Berufs im Sinne des § 59c Absatz 1, dem ein Tätigwerden bei einer entsprechenden
Anwendung des Absatzes 1 untersagt wäre.
Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 1 bleibt bestehen, wenn der Rechtsanwalt, der nach Absatz 1 nicht tätig werden darf, die
Berufsausübungsgesellschaft verlässt. Die Sätze 1 und 2 finden in den Fällen, in denen das Tätigkeitsverbot auf Absatz 1 Satz 1
Nummer 3 oder auf Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 3 beruht, keine Anwendung, wenn die betroffenen Personen
der Tätigkeit nach umfassender Information durch den Rechtsanwalt zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die
Verhinderung einer Offenbarung vertraulicher Informationen sicherstellen. Soweit es für die Prüfung eines Tätigkeitsverbotes
erforderlich ist, dürfen der Verschwiegenheit unterliegende Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung der betroffenen
Person offenbart werden.“
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Umfassende Neuregelung der anwaltlichen Tätigkeitsverbote

Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen
 Erweiterung des Verbots bei für die Rechtsache bedeutsamen vertrauliche Informationen
    (außerhalb derselben Rechtssache)
 Regelung der Sozietätssachverhalte auf Ebene der BRAO
 Klarstellung: keine sozietätsweite Erstreckung des Tätigkeitsverbots bei Aufnahme eines
    nicht vorbefassten Sozietätswechslers
 Keine Erstreckung auf den Bürogemeinschafter
      Präzisierung der Anforderungen an die Dispositivität des Verbots
          Aufgabe der Einschränkung „Belange der Rechtspflege“
          Regelung Verschwiegenheitspflicht conflict check
      Soweit für conflict check notwendig, dürfen Verschwiegenheitspflicht unterliegende
       Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart
       werden

Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung
 Bindung des § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO (= § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO-E) an das Bestehen eines
    Interessenkonflikts
 (rudimentäre) Behandlung des Referendars

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Rechtsunsicherheit: nicht vorbefasster Sozietätswechsler

Begründung für die Änderungen der §§ 7, 6 Abs. 2 und § 3
BORA (BRAK-Mitt. 2006, 212, 213):
„Vorstehendes gilt sowohl für den Kanzleiwechsler, der in dem die
Interessenkollision auslösenden Mandat in der abgebenden Kanzlei
selbst beraten oder vertreten hat, als auch für den nach Absatz 2
Satz 1 bloß mitverpflichteten Kanzleiwechsler, der das Mandat in
der abgebenden Kanzlei nicht bearbeitet hat. Auch er kann aus dem
Mandat geheimhaltungsbedürftige Informationen erlangt haben, die
er aus Sicht des Mandanten nunmehr in die Kanzlei des Gegners
mitnimmt. Dies kann etwa der Fall sein bei Urlaubsvertretung,
Befassung mit Teilaspekten des Mandats oder auch bei zufälliger
Kenntniserlangung beim Mittagsgespräch. Auslöser eines
Tätigkeitsverbotes kann andererseits aber stets nur die konkrete
nahe liegende Möglichkeit der Erlangung geheimhaltungsbedürftiger
Informationen sein.“
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Rechtsunsicherheit: nicht vorbefasster Sozietätswechsler

§ 43a Absatz 4 wird wie folgt gefasst:
(4) „ Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden (…). Das
Tätigkeitsverbot nach Satz 1 gilt auch für Rechtsanwälte,
die ihren Beruf in einer Berufsausübungsgesellschaft mit
einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 aus-
geschlossen ist. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt
bestehen, wenn der Rechtsanwalt, der nach Satz 1
ausgeschlossen ist, die Berufsausübungsgesellschaft
verlässt. (…)“

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Rechtsunsicherheit: nicht vorbefasster Sozietätswechsler

 Jetzt beabsichtigte Lösung entspricht heute bereits hM, aber erhebliche
  Unsicherheit
         Wohltuende Klarstellung auch in Gesetzesbegründung
 Vorbefasster Sozietätswechsler: Sein ihn persönlich treffendes
  Tätigkeitsverbot (§ 43a Abs. 4 S. 1 BRAO-E) wird auf die aufnehmende
  Sozietät erstreckt (§ 43a Abs. 4 S. 2 BRAO-E)
         Durch Einwilligung kann die aufnehmende Sozietät von einem
          Tätigkeitsverbot befreit werden (§ 43a Abs. 4 S. 4 BRAO-E)
         Der den Sozietätswechsler abgebenden Sozietät bleibt es nach dessen
          Ausscheiden (samt Mitnahme der Akten) untersagt, ein konfligierendes
          Mandat zu übernehmen (§ 43a Abs. 4 S. 3 BRAO-E).
 Nicht vorbefasster Sozietätswechsler: Ihn trifft ein persönliches
  Tätigkeitsverbot (§ 43a Abs. 4 S. 2 und S. 3 BRAO-E), dieses erstreckt
  sich aber nicht auf die ihn aufnehmende Berufsausübungsgesellschaft
         Er bleibt zudem zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 43a Abs. 2 BRAO).
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Einwilligung der betroffenen Mandanten

 Aufgabe des konturenlosen Tatbestandsmerkmals „Belange
  der Rechtspflege“
 Neu: Es müssen geeignete Vorkehrungen zur Sicherheit der
  Verschwiegenheit (Chinese Walls) ergriffen werden.
          Kann auch schon in das geltende Recht hineingelesen werden
                    Ein verständiger Mandant wird seine Zustimmung an die Vertretung widerstreitender
                     Interessen durch verschiedene Anwälte einer Berufsausübungsgesellschaft an die
                     Sicherung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht knüpfen.

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Einwilligung der betroffenen Mandanten

 Neu: Es müssen geeignete Vorkehrungen zur Sicherheit der
  Verschwiegenheit (Chinese Walls) ergriffen werden.
          Unterschiedlicher Wortlaut nachvollziehbar, könnte aber gleichwohl angepasst
           werden:
                    „geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts
                     sicherstellen“
                     (§ 43a Abs. 4 S. 4 BRAO-E)
                    „geeignete Vorkehrungen die Verhinderung einer Offenbarung vertraulicher Informationen
                     sicherstellen (§ 45 Abs. 2 S. 3 BRAO-E)
          „geeignet“ ermöglicht einzelfallabhängige Beurteilung
                    Bei einem vorbefassten Sozietätswechsler oder einem Anwalt, der früher in anderer Funktion
                     im widerstreitenden Interesse tätig war, können Information und Informationsträger einfacher
                     separiert werden als bei Übernahme widerstreitender Mandate durch verschiedene
                     Sozietätsteams

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Rechtsunsicherheit: Bürogemeinschaft

 Erstreckung des Verbots auf die Bürogemeinschaft ist
  verfassungsrechtlich zweifelhaft.
     Kein Mandatsverhältnis mit dem Bürogemeinschafter
     Es fehlt insoweit an einem Vertrauensverhältnis zwischen dem
      Mandanten und dem Bürogemeinschafter. Mandant kann Anwalt
      auch nicht als seinen Interessenvertreter ansehen.
     Pflicht zum Conflict Check gerät in Konflikt mit der
      Verschwiegenheitspflicht (vgl. § 3 Abs. 5 BORA)
 These: Tätigkeitsverbot wird letztlich nur erstreckt, weil man an die
  Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht in der Bürogemeinschaft nicht
  glaubt
 § 59q Abs. 3 BRAO-E: „Die in der Bürogemeinschaft tätigen
  Rechtsanwälte sind verpflichtet, angemessene organisatorische,
  personelle und technische Maßnahmen zu treffen, die die Einhaltung
  ihrer Berufspflichten gewährleisten.“

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Rechtsunsicherheit: Bürogemeinschaft

 Offen: Behandlung von Scheinsozietäten
    „Die für die Außenhaftung und für die Außenvollmacht
      entwickelten Grundsätze der zivilgerichtlichen
      Rechtsprechung, die Mandanten und Rechtsverkehr eine
      erleichterte Zurechnung ermöglichen, können insofern nicht
      maßgeblich sein. Denn der Schutzzweck des § 43a Abs. 4
      BRAO ist (…) ein anderer.“ (BVerfG, Beschluss vom
      3.7.2003 – 1 BvR 238/01)
    Aber: Die Mandanten sieht aufgrund der Außendarstellung
      sämtliche Anwälte der Berufsausübungsgesellschaft als ihre
      Vertrauensanwälte bzw. ihre „Interessenvertreter“ an.

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Bindung des § 45 BRAO an Interessenkonflikte

§ 45 BRAO Tätigkeitsverbote
(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden: (…)
4. wenn er in derselben Angelegenheit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer
sonstigen Tätigkeit im Sinne des § 59a Abs. 1 Satz 1 bereits beruflich tätig war; dies
gilt nicht, wenn die berufliche Tätigkeit beendet ist.

 Regelungszweck: „Da der Rechtsanwalt bei seiner beruflichen Tätigkeit
  unabhängig ist und sich von Bindungen, die die Unabhängigkeit gefährden,
  freihalten muß (§ 43 a Abs. 1 BRAO), der Angestellte jedoch grundsätzlich den
  Weisungen des Dienstherrn unterliegt, müssen beide Bereiche scharf voneinander
  getrennt werden. “ (BT-Drs. 12/4993, 30)
 Keine Bindung der Norm an das Vorliegen eines Interessenkonflikts (uferloses
  Verbot)
 Aber: Nach Beendigung der zweitberuflichen Tätigkeit überhaupt kein
  Tätigkeitsverbot mehr.
 Unklar: Was gilt bei Vorbefassung als Patentanwalt, Steuerberater,
  Wirtschaftsprüfer?
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Bindung des § 45 BRAO an Interessenkonflikte

BVerfG, Beschluss vom 5.11.2001 – 1 BvR 1523/00 zu § 46
Abs. 2 Nr. 1 BRAO aF; vgl. nun auch BGH, Urteil vom 17.9.2020
– III ZR 283/18:
„Hierfür sprechen Sinn und Zweck der Regelung, ihre
Entstehungsgeschichte sowie die gesetzliche Stellung der Norm.
Sie wurde in das Gesetz nach der Zweitberufsentscheidung des
BVerfG (Beschluss vom 4.11.1992 – 1 BvR 79/85 u. a.)
aufgenommen, in der angemahnt worden war,
Berufseinschränkungen an Interessenkollisionen zu binden. …
Vorliegend ist nicht nachvollziehbar, dass tatsächlich eine Gefahr
von Interessenkollisionen bestehen könnte.“

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Bindung des § 45 BRAO an Interessenkonflikte

§ 45 Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung
(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er (…)
3. in derselben Angelegenheit bereits außerhalb seiner Anwaltstätigkeit für
eine andere Partei im widerstreitenden Interesse beruflich tätig geworden
ist.

 Neu: Interessenkonflikt als Voraussetzung
          Anders bei nicht parteibezogenen Tätigkeiten wie Richter, Notar (§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 2 BRAO-
           E)
          Keine zeitliche Befristung des Verbots
 Zugleich: Einschränkung der weiten Sozietätsklausel
          Einwilligung der betroffenen Mandanten beachtlich

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Rechtsunsicherheit: Referendar

§ 45 Tätigkeitsverbote bei nichtanwaltlicher Vorbefassung
(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er
1. in derselben Rechtssache bereits tätig geworden ist als
a) Richter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes oder
als im Vorbereitungsdienst bei den genannten Personen tätiger
Referendar, (…)
c) Notar, Notarvertretung, Notariatsverwalter, Notarassessor oder
als im Vorbereitungsdienst bei einem Notar tätiger Referendar, (…)
3. in derselben Angelegenheit bereits außerhalb seiner
Anwaltstätigkeit für eine andere Partei im widerstreitenden Interesse
beruflich tätig geworden ist.
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Rechtsunsicherheit: Referendar

   Aktuelles Recht: Behandlung des Referendars völlig
    unklar
      Diskutiert werden § 43a Abs. 4, § 45 Abs. 1 Nr. 1,
       § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO
   Tätigkeitsverbot bei Vorbefassung als bei einem
    Richter, Staatsanwalt, Angehörigen des öffentlichen
    Dienstes oder Notar tätigen Referendar (§ 45 Abs. 1
    Nr. 1 a und c BRAO-E).
   Erstreckung dieser Tätigkeitsverbote auf die
    Berufsausübungsgesellschaft und ihre Berufsträger
   Im Übrigen findet der Referendar keine Erwähnung
    (weder im Gesetzestext noch in der Begründung).
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Rechtsunsicherheit: Referendar

   Offen ist, ob die Vorbefassung als Referendar in der Anwaltsstation
    oder als relevant ist.
      Kein Tätigkeitsverbot aus § 43a Abs. 4 BRAO:
           Dem Gesetz liegt der Gedanke zugrunde, dass die Norm allein bei
            anwaltlicher Vorbefassung greift, alle übrigen Sachverhalte
            werden von § 45 BRAO erfasst.
      Zweifelhaft, ob ein Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO-E
        („beruflich tätig geworden ist“) greift.
           Insoweit kommt es darauf an, ob der Referendar „beruflich tätig
            geworden ist“ (so etwa Kilian, in: Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl.
            2019, § 45 Rn. 17e). Es spricht vieles dafür, den
            Vorbereitungsdienst der „Berufsausbildung“ und noch nicht der
            „Berufstätigkeit“ zuzuordnen sein (vgl. § 59 BRAO sowie BVerfG,
            Beschluss vom 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17 Rn. 108).
      Aber: Ein Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung von
        einem Referendar in Gerichts- oder Notariatsstation zu einem
        Referendar in Anwaltsstation ist nicht ersichtlich.
Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020   Folie 18
Rechtsunsicherheit: Referendar

   Erst recht offen ist die Behandlung von
    Praktikanten, studentischen und
    wissenschaftlichen Mitarbeiter.
           Was ist bei einem als Wissenschaftlichen Mitarbeiter
            tätigen Assessor?
   Zu diskutieren: Wäre eine Sozietätserstreckung
    bei Aufnahme eines vorbefassten Referendars
    sachgerecht?
           Gefährdung des Ausbildungszwecks?
           Freiheit der Berufswahl?

Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020   Folie 19
Erweiterung des Verbots

§ 43a Absatz 4 wird wie folgt gefasst:
(4) „ Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er (…)
2. in Ausübung seines Berufs von einer anderen Partei eine für die
Rechtssache bedeutsame vertrauliche Information erhalten hat.
(…)

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Erweiterung des Verbots

 Hintergrund: Anwaltliche Verschwiegenheit schützt nur das
  Offenbaren, nicht aber das Ausnutzen sensibler
  Informationen
 Straftatbestand des § 204 StGB (Verwertung fremder
  Geheimnisse) hilft auch nur bedingt weiter, da nur vorsätzliches
  Handeln unter Strafe gestellt ist und Verwertungszweck auf
  Gewinnerzielung gerichtet sein muss.
 Im Übrigen ist nicht überprüfbar, ob der Einsatz des sensiblen
  Wissens zulasten eines Mandanten (unvorsätzlich?) erfolgt ist.
          § 11 BS WP/vBP als Alternative?
          Vorbilder im US-amerikanischen Berufsrecht (Rule 1.7 und Rule 1.9) und
           in den CCBE-Berufsregeln
          Verschwiegenheitspflicht und Interessenkollisionstatbestände lassen sich
           ohnehin nicht trennscharf voneinander abgrenzen
Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020   Folie 21
Ein Blick auf die Wirtschaftsprüfer…

Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020   Folie 22
CCBE-Berufsregeln

 3.2. Interessenkonflikt
 3.2.1. Der Rechtsanwalt darf mehr als einen Mandanten in der gleichen Sache nicht
 beraten, vertreten oder verteidigen, wenn ein Interessenkonflikt zwischen den Mandanten
 oder die ernsthafte Gefahr eines solchen Konfliktes besteht.
 3.2.2. Der Rechtsanwalt muss das Mandat gegenüber zwei oder allen betroffenen
 Mandanten niederlegen, wenn es zu einem Interessenkonflikt zwischen diesen Mandanten
 kommt, wenn die Gefahr der Verletzung der Berufsverschwiegenheit besteht oder die
 Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes beeinträchtigt zu werden droht.
 3.2.3. Der Rechtsanwalt darf ein neues Mandat dann nicht übernehmen, wenn die Gefahr
 der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezüglich der von einem früheren Mandanten
 anvertrauten Information besteht oder die Kenntnis der Angelegenheit eines früheren
 Mandanten dem neuen Mandanten zu einem ungerechtfertigten Vorteil gereichen würde.
 3.2.4. Üben Rechtsanwälte ihren Beruf gemeinsam aus, so sind die Bestimmungen der
 Artikel 3.2.1. bis 3.2.3. auf die Sozietät und alle ihre Mitglieder anzuwenden.

Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020   Folie 23
Erweiterung des Verbots

 Die Bedeutung des § 43a Abs. 1 Nr. 2 BRAO-E hängt auch
  davon ab, wie weit man den Begriff „dieselbe Rechtssache“
  auslegt
          Teilidentität genügt
          Keine Partei- und Verfahrensidentität notwendig
          „Eine sachliche Überschneidung der beiden Tätigkeiten war somit –
           jedenfalls im Kern – nicht zu erwarten. Konkrete Anhaltspunkte dafür,
           dass Kenntnisse, die die Beklagte nur im Rahmen der Vorbefassung
           erlangen konnte, für ihre Funktion als Sicherheitentreuhänderin
           bedeutsam werden könnten, waren nicht ersichtlich, weil
           Aufklärungspflichten der Beklagten auf die Funktion als
           Sicherheitentreuhänderin bezogen und durch diese begrenzt sind.“
           (BGH, Urteil vom 17.9.2020 – III ZR 283/18 Rn. 54)

Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020   Folie 24
Erweiterung des Verbots

 Einwilligung in die Verwertung sensibler Informationen ist möglich
          Mandant als „Herr des Geheimnisses“
 „für die Rechtssache bedeutsame Informationen“ sind nur solche, bei
  deren Verwertung dem Mandaten ein unmittelbarer Nachteil droht
          Zulässig daher: Der Anwalt berät das Unternehmen A bei der Verteidigung
           seines Datenschutzkonzepts gegen einen Bußgeldbescheid der Datenschutz-
           behörde. Danach (oder zeitgleich) berät er auch das Unternehmen B
           datenschutzrechtlich. Dabei kommen ihm die Erfahrungen im Umgang mit der
           Behörde und deren Bußgeldpraxis aus dem Mandat des A zugute (Beispiel
           nach Diller, AnwBl Online 2021, 1, 2)
          Problematisch aber: Beratung eines Unternehmens beim Börsengang und
           Mitwirkung im anschließenden Bieterverfahren auf Käuferseite

Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht | Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock | 04.12.2020   Folie 25
Erweiterung des Verbots

Zu diskutieren:
 Praktikabilität und Überprüfbarkeit des Verbots
 Sozietätsweite Erstreckung
          Kann Kenntnis und Zugriff auf „bedeutsame Informationen“ sinnvoll
           begrenzt werden (Bsp: vorbefasster Sozietätswechsler)?
 …

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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