Nichtkonventionelles Öl und Gas - Folgen für das globale Machtgefüge - Stiftung Wissenschaft und ...
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SWP-Aktuell Problemstellung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Nichtkonventionelles Öl und Gas – Folgen für das globale Machtgefüge Kirsten Westphal Die USA könnten weitgehend unabhängig von Energie-Importen werden. Dies läuft dem globalen Trend zuwider, denn die großen Verbraucherländer Europas ebenso wie China und Indien sehen steigenden Einfuhrabhängigkeiten bei den fossilen Energie- trägern entgegen. Handelsströme und Versorgungssicherheitslage(n) verändern sich dadurch. Zudem unterscheiden sich die Energiepfade mit Blick auf den Energiemix weltweit, aber auch im OECD-Raum immer mehr. Momentan verschafft der Zugang zu unkonventioneller Energie den USA einen globalen Wettbewerbsvorteil. Das hat weit- reichende Auswirkungen auf das ökonomische und geopolitische Machtgefüge. Russ- land als ehemals unverzichtbarer Energieriese und die Produzenten der OPEC müssen sich an die neue Marktsituation anpassen. Dabei bestehen enorme Ungewissheiten, wie sich die neue Weltkarte für Energie zusammenfügen wird. Der World Energy Outlook (WEO) 2012 der mit dem Gasgiganten Russland aufgeschlos- Internationalen Energieagentur (IEA) prog- sen haben. Im kommenden Jahrzehnt sollen nostiziert tiefgreifende Veränderungen in sie auch beim Erdöl in die Riege der großen der globalen Energielandschaft. Auf dem Produzenten Saudi-Arabien und Russland amerikanischen Energiemarkt hat sich aufsteigen. Die Vereinigten Staaten, die der- während der letzten Jahre eine »Revolu- zeit noch knapp 20 Prozent ihres Energie- tion« vollzogen. Auslöser war eine techno- bedarfs importieren, können netto dann logische Neuerung – die Kombination des (fast) zum Selbstversorger werden. Hydraulic Fracturing (Fracking) mit der Weiterentwicklung des horizontalen Boh- rens. Damit wird es möglich, auch jene Öl- Schiefergas-Boom in den USA … und Gasvorkommen zu erschließen, die in Das Fracking verbesserte die Energiesitua- dichtem Gestein eingeschlossen sind. Dies tion in den USA dramatisch und ließ die geschieht unter Einsatz von hohem Wasser- Preise purzeln. Binnen weniger Jahre ist die druck, Stützmitteln wie Quarzsand und US-Gasproduktion um ein Viertel gestiegen einem Chemikaliengemisch. Die dadurch – auf 690 Milliarden Kubikmeter 2011. Ent- ausgelöste »Schiefergas-Wende« führte da- sprechend sind die Importe vor allem von zu, dass die USA bei der Erdgasproduktion verflüssigtem Erdgas (LNG) gesunken. Beein- Dr. Kirsten Westphal ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Globale Fragen SWP-Aktuell 16 Februar 2013 1
druckend ist auch der Preisverfall: Kostete Damit müsste künftig fast die Hälfte der eine Million British Thermal Unit (MBtu) globalen Förderung auf nichtkonventio- Mitte 2008 noch 13 US-Dollar, so waren es nelles Gas entfallen. Mitte 2012 nur noch rund zwei US-Dollar. International stellt sich die Frage nach Gas ist mithin gegenüber der Kohle wett- der Wiederholbarkeit des US-Booms, sowohl bewerbsfähig geworden und findet ver- was die verfügbaren Mengen als auch was stärkt seinen Weg in die Stromerzeugung. den Preisrückgang betrifft. Zu bedenken ist, Die USA haben so im Stromsektor ihre dass in den USA das Umfeld einzigartig Emissionen signifikant gesenkt. Wenn man war. Dazu gehörten die politischen und allerdings die gesamte Produktionskette rechtlichen Rahmenbedingungen, Investi- einbezieht, trübt sich das Bild ein. So hat tionssicherheit, Verfügbarkeit von Gerät auch Amerikas Umweltbehörde EPA erst- und Dienstleistungen sowie ein entwickel- mals die Öl- und Gasindustrie als zweit- ter Gasmarkt, eine ausgebaute Infrastruk- größten Emittenten von Treibhausgasen tur, ein liquider Umschlagplatz und die in den USA benannt. Zugleich steigen die Nähe zum Konsumenten. Besonders attrak- Opportunitätskosten für erneuerbare Ener- tiv ist die Ausbeutung für jene Länder, die gien, was deren Ausbau bremsen könnte. einen hohen Eigenbedarf haben. China, Weiter gibt es Anzeichen dafür, dass die Argentinien und Südafrika besitzen ent- Bugwelle beim Erdgasaufkommen erst ein- weder höhere oder mit den USA vergleich- mal gebrochen ist. Der Spotpreis am Um- bare Gasvorkommen. Aber auch große kon- schlagplatz Henry Hub in Louisiana liegt ventionelle Produzenten wie Russland und nämlich für die zumeist kleinen Erzeuger Mexiko verfügen über erhebliches Poten- unter ihren Produktionskosten. Viele Boh- tial. In Europa ragen Frankreich, Polen und rungen sind beim Preis von rund drei US- die Ukraine heraus. In Polen haben Erkun- Dollar/MBtu im Februar 2013 nicht mehr dungen allerdings schon enttäuscht, und profitabel, denn die Gewinnschwelle liegt Firmen zogen sich zurück. Auch der hohe bei etwa fünf bis acht US-Dollar/MBtu. Folge Wasserverbrauch, der zur Förderung nötig ist, dass sich die Aktivitäten ins Ölgeschäft ist, fehlende Infrastruktur und der Mangel verlagern. Das aber hat den Preisdruck an Serviceunternehmen könnten sich als nochmals verstärkt, weil bei vielen Ölboh- bremsende Faktoren erweisen, etwa in rungen Gas als Nebenprodukt anfällt, das China. Ob, wo und in welchem Ausmaß zusätzlich auf den Markt geworfen wird. eine Schiefergas(r)evolution stattfinden Derzeit organisiert sich das US-Gasgeschäft wird, hängt zudem entscheidend von der je- neu. Die großen Internationalen Ölkonzer- weiligen Beurteilung der Umweltrisiken ab. ne, die nun verstärkt einsteigen, sind sehr Bisher wirkte sich der US-Boom interna- an langfristigen Exportoptionen interes- tional nur indirekt aus: Der Export von siert. Der Preis am Henry Hub wird kaum Kohle nahm zu, und ursprünglich für die länger unter Produktionskosten bleiben. USA bestimmtes LNG wurde auf internatio- nale Gasmärkte umgelenkt. Nun stellt sich die Frage, in welchen Mengen amerikani- … und seine globale Dimension sches Schiefergas für den Export verflüssigt Für die Erdgas-Nachfrage sieht die IEA be- werden soll. Washington steht dabei vor reits ein »goldenes Zeitalter« voraus. Erdgas einer strategischen Entscheidung. In den setzt bei der Verbrennung weit weniger USA gab es seit jeher zwei Leitlinien zur klimaschädliche Emissionen und Feinstaub Energiepolitik. Das Land strebte zum einen frei als Erdöl oder Kohle. Doch soll die er- nach weitgehender Energieunabhängigkeit, wartete Nachfrage bis 2035 gedeckt werden, vor allem dem Persischen Golf gegenüber. muss die jährliche Erzeugung in einem Um- Zum anderen setzte man sich für freie Ener- fang steigen, der in etwa der dreifachen giemärkte und funktionierende Handels- Jahresproduktion Russlands entspricht. ströme ein. Mit Blick auf das zweite Para- SWP-Aktuell 16 Februar 2013 2
digma stellt die Fracking-Revolution Wash- Verflüssigung, Transport, Regasifizierung ington nun vor eine echte Nagelprobe. etc. dazu, dass verflüssigtes US-Schiefergas Während der Tiefpreisphase 2012 lagen nicht überall wettbewerbsfähig ist. Rund 20 die Erdgaspreise in den USA bei einem Fünf- Anträge auf Genehmigung weiterer Export- tel der europäischen und bei einem Achtel terminals mit Kapazitäten um 285 Milliar- der japanischen Preise. Die niedrigen Ener- den Kubikmeter jährlich liegen den Behör- giekosten verschaffen der US-Wirtschaft den vor. Doch der Bewilligungsprozess ist Wettbewerbsvorteile. Sie gelten als Vehikel teuer, langwierig und ergebnisoffen. Dabei zur Reindustrialisierung des Landes. Der ist es für die Stärkung eines globalen und US-Dollar wird gestärkt, und Amerikas flexiblen Gasmarktes von zentraler Bedeu- Handelsdefizit verringerte sich signifikant. tung, dass US-Schiefergas in signifikanten Gas-Exporte würden die Preisschere redu- Mengen exportiert wird. Die großen kon- zieren, auch wenn das Niveau in den USA ventionellen Produzenten Russland und wohl relativ noch immer unter den ande- Katar haben nämlich ein Interesse daran, ren Märkten bliebe. Exporte versprechen über die Fragmentierung der Gasmärkte zwar volkswirtschaftliche Vorteile, dennoch ihre Marktanteile zu erhalten und das Preis- würden einzelne Branchen auf der Verlie- niveau nach unten abzusichern. rerseite stehen. Die politische Diskussion Der russische Gasgigant Gazprom ist in darüber hat in Washington erst begonnen. den letzten Monaten verstärkt unter Druck Bisher hat der US-Boom die bestehende im eigenen Land geraten. Große Förder- Dreiteilung der globalen Gasmärkte eher projekte, allen voran die Erschließung des vertieft – zwischen Nordamerika, dem euro- Shtokman-Feldes in der Barentssee, wurden päisch-asiatischen Kontinentalmarkt und immer wieder verschoben. Das ist ein Indiz der asiatisch-pazifischen Region, die mit für die schwierigen aktuellen Rahmen- den großen Nachfragern Japan, Südkorea bedingungen, aber auch für das künftige und China zwei Drittel des weltweit gehan- Angebot keine gute Nachricht. Es könnte delten LNGs absorbiert. Auf dem europäi- sich herausstellen, dass Russland mit seiner schen Gasmarkt kam es 2009 auch wegen Regionalstrategie weiterhin gut fährt. Dann des rezessionsbedingten Nachfragerück- würden sich das Konzept pipelinegebunde- gangs zu einer Gasschwemme. Das hat vor ner Märkte und der Ausbau bestehender allem das System von Langzeitverträgen Marktanteile in Handel und Vertrieb in mit Ölpreisbindung unter Druck gebracht Europa auszahlen. Immerhin spricht eini- und damit dem von der EU propagierten ges dafür, dass Russland und Europa zu- Spotmarkt-Handel Vorschub geleistet. In mindest mittelfristig in bekannt hohem Europa hat man (noch) ein hybrides Ver- Maße voneinander abhängig bleiben. trags- und Preismodell. Im pazifischen LNG- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Markt werden auf die ölpreisgebundenen unkonventionelles Gas zwar das Potential Langfristverträge hohe Sicherheitsprämien hat, Diversifizierung voranzutreiben und gezahlt. Die USA im Gespann mit Kanada zur Globalisierung der Gasmärkte beizu- verfügen als Selbstversorger über einen tragen; einen Automatismus gibt es aber echten Spotmarktpreis (Henry Hub). nicht. Denkbar ist auch, dass unkonventio- 2014/2015 sollen erste US-Exporte über nelles Gas nur regional zu Diversifizierung Cherniere’s Sabine Pass in Louisiana erfol- und sinkenden Preisen führen wird. gen – das bisher einzige Exportterminal, das alle Bewilligungen besitzt. Zielmarkt ist der lukrative pazifische Raum. Es gibt Amerikanische Öl-Bonanza bisher wenig Anlass, sich davon internatio- Dem Schiefergas-Boom soll nun die Öl- nal schnell sinkende Gaspreise zu verspre- Bonanza folgen. Die US-Ölproduktion hat chen. Selbst wenn sich die Preisformel am im Februar 2013 mit rund sieben Millio- Henry Hub orientiert, führen die Kosten für nen Barrel am Tag den höchsten Stand seit SWP-Aktuell 16 Februar 2013 3
zwanzig Jahren erreicht. 2005 machten weitere Vorkommen in Nordamerika zeit- Importe 60 Prozent des amerikanischen nah erschlossen werden. Kanada sucht Ölverbrauchs aus, nun liegen sie nur noch bereits nach Optionen für Exporte in die bei 40 Prozent, und künftig sollen sie bis Pazifikregion, um seine Ölsande außerhalb auf ein Drittel fallen. Schon heute beziehen Amerikas zu vermarkten. In den USA aber die USA lediglich 22 Prozent ihrer Ölimpor- sind Rohölexporte praktisch untersagt. te aus der Golfregion. Mit den kanadischen Ölsanden, dem über Fracking gewonnenen »light tight«-Öl der USA und den Erdgaskon- Globaler Ölmarkt: Business as usual? densaten könnte Nordamerika zum Selbst- Die Daten des WEO verbreiten oberflächlich versorger werden. Die günstige Versor- gelesen viel Optimismus. Doch das Bild gungslage Amerikas wird noch deutlicher, trügt. Der Bericht hebt nämlich nur auf die wenn die schweren Öle des venezolani- geologische und technologische Verfügbar- schen Orinoco-Beckens und die Tiefseevor- keit der fossilen Brennstoffe ab. Ferner liegt kommen Brasiliens dazugerechnet werden. dem dominanten Szenario des WEO die An- Seit Mitte 2010 hat sich die Referenz- nahme zugrunde, dass weit mehr Energie- sorte West Texas Intermediate (WTI) gegen- effizienzmaßnahmen realisiert werden, als über der Nordsee-Ölsorte Brent kontinuier- weltweit bisher beschlossen wurden. Das ist lich verbilligt – um bis zu 20 US-Dollar pro fast blauäugig, denn trotz aller Einsichten Fass. Dies verdeutlicht, dass der nordameri- in diese »No-regret-Option« geschieht hier kanische Ölmarkt trotz der Umbrüche im zu wenig. Auch die USA werden nur dann arabischen Raum entspannt geblieben ist. zum Selbstversorger, wenn sie den Kraft- Am Knotenpunkt und Hauptumschlagplatz stoffverbrauch weiter senken. Zudem blen- für WTI, Cushing in Oklahoma, gibt es den die WEO-Szenarien geopolitische und wegen des steigenden Angebots an unkon- ökonomische Risiken aus. Entwicklungen ventionellem Öl aus Kanada und den USA auf den Energiemärkten aber erfolgen eher einen gewissen Angebotsüberschuss. Hier zyklisch, wenig linear und mitunter sprung- besteht auch ein Transport-Engpass. Bisher haft, wenn es um technologische Neuerun- ist die Infrastruktur vor allem für die ent- gen, Substitutionseffekte und (Soll-) Bruch- gegengesetzte Fließrichtung ausgelegt, stellen geht. nämlich dafür, Ölprodukte von der Küste Unternehmen im Öl- und Gassektor des Golfs von Mexiko nach Norden zu trans- sind generell anfällig für den sogenannten portieren. Noch sind die großen Raffinerien Schweinezyklus: Steigen die Preise, werden an der Golfküste auf die Verarbeitung von Kapazitäten ausgebaut und höhere Investi- schwererem, schwefelhaltigem Öl ausge- tionen getätigt. Doch es dauert, bis die Roh- richtet, das aus dem Ausland kommt. Will stoffe auf den Markt kommen, weil Explo- man tatsächlich von Rohölimporten unab- ration und Ausbeutung neuer Vorkommen hängig werden und das eigene »light tight«- lange Vorlaufzeiten haben und die Infra- Öl nutzen, muss in der Verarbeitungskette struktur nicht kurzfristig auszubauen ist. ein teurer Anpassungsprozess erfolgen. Das Angebot steigt also nur verzögert, dann Sukzessive aber dürften Importe durch die aber häufig sehr stark. Infolge des einset- unterschiedlichen heimischen Qualitäten zenden Preisverfalls werden Produktion ersetzt werden. Schon heute verschafft der und Investitionen wieder zurückgefahren. Preisabschlag von WTI gegenüber Brent den Der Ölmarkt ist zudem hochgradig politi- amerikanischen Raffinerien einen klaren siert und entlang der ganzen Versorgungs- Vorteil, was das Land zum größten Expor- kette ebenso fragmentiert wie intranspa- teur von Erdölprodukten macht. rent. Das erhöht die Risiken und erschwert Das Henne-Ei-Problem zwischen Ausbeu- Investitionsentscheidungen. Nichtkonven- tung und Exportinfrastruktur wird von der tionelle Förderung kann zusätzliche Volati- IEA als mitentscheidend dafür gesehen, ob litäten bewirken. Volatilität aber erschwert SWP-Aktuell 16 Februar 2013 4
und verteuert Anpassungsstrategien auf schädlicher Gase laufen zwar erst an, doch Produzenten- wie Konsumentenseite. Die es zeichnet sich bereits ab, dass die Folgen Märkte brauchen Preise, die niedrig genug für Umwelt und Klima noch gravierender sind, um die Nachfrage anzukurbeln, aber sind als bei der Förderung von konventio- hoch genug, um den Anreiz für eine höhere nellen Reserven. Dabei werden die Risiken Produktion zu setzen. des Fracking sehr unterschiedlich beurteilt, Dabei ist auch in der »neuen Ölwelt« auch in Europa. Polen und die Ukraine strukturell mit einem eher hohen Preis- schreiten bei dieser Fördermethode voran, niveau zu rechnen: Die Kosten für die För- während Frankreich ein Moratorium ver- derung unkonventioneller Vorkommen hängt hat. Das heißt, die politischen und liegen am oberen Ende der Grenzkosten für rechtlichen Rahmenbedingungen sind ent- konventionelle Felder oder sogar darüber, scheidend dafür, wie sich das Angebot ent- egal ob man Tiefseevorkommen, Felder in wickelt und regional verteilt. Förderung Permafrostgebieten der Arktis oder Schie- und Handel können weiter beschränkt oder feröl, Ölsande, Schweröl etc. betrachtet. umgekehrt ausgeweitet werden. Das beför- Schon bisher galt: Rohöl ist nicht gleich dert die Fragmentierung der Energiewelt. Rohöl, vielmehr weisen die Sorten erhebli- che Qualitätsunterschiede auf. Rohöl ist deswegen nur bedingt austauschbar. Ge- Wie (re)agieren OPEC und Co? handelt wird zwar ein globales Gut, aber Die Umbrüche im arabischen Raum illus- kein (End-) Produkt an sich. Vielmehr geht trieren die geopolitischen Risiken für die es um einen Rohstoff, der in einer langen, globale Öl- und Gasproduktion. Denn diese komplexen und dynamischen Kette weiter Region bleibt das Rückgrat der weltweiten vertrieben und verarbeitet wird – und zwar Energieversorgung. Insofern ist von enor- zu ganz unterschiedlichen Gewinnmargen. mer Bedeutung, wie sich die traditionellen Das »neue Öl« unterscheidet sich nicht nur Produzentenländer an die neue Marktsitua- nach der Geologie der Lagerstätten, sondern tion anpassen. Vor gut drei Jahren verkün- auch nach Energiegehalt, Weiterverarbei- dete IEA-Chefökonom Fatih Birol, die erwar- tungsbedarf und Profitabilität. Das heißt tete Nachfrage beim Öl werde bis 2030 so zugleich, dass die Märkte hochdynamisch hoch sein, dass es neben der bestehenden und spezialisiert sind sowie Opportunitäten Produktion der Entdeckung »vier Saudi- folgen. Weil eine größere Bandbreite an Arabiens« bedürfe, um sie zu befriedigen. Lagerstätten und Fördertechniken genutzt Die Lücke schließen sollen nun laut WEO wird, lässt sich schwerer voraussehen, wel- die nichtkonventionellen Vorkommen und che Mengen sich wirtschaftlich fördern, der Irak, der mit 45 Prozent am stärksten verarbeiten und auf den Märkten gewinn- zum Wachstum des Ölangebots beitragen bringend verkaufen lassen. wird. Das irakische Angebot soll von heute Das Fracking führt auch außerhalb Nord- drei Millionen Barrel pro Tag bis 2020 auf amerikas zu einer Neukartierung der Ener- sechs Millionen Barrel und bis 2035 auf giewelt. Die zusätzlichen Mengen nehmen acht Millionen Barrel steigen. Ansonsten Druck von den Märkten und sorgen für ein würden die Ölmärkte schwierigen Zeiten diversifiziertes Angebot, das aus stabilen entgegensehen. Laut IEA müssten in der OECD-Ländern jenseits der energiereichen laufenden Dekade mehr als 25 Milliarden Ellipse Russlands, des Kaspischen Raums US-Dollar jährlich in den irakischen Ener- und des Persischen Golfs kommt. Um es giesektor fließen. Angesichts der instabilen deutlich zu sagen: Damit findet eine Risiko- politischen Lage dort eine stolze Zahl, wur- verschiebung statt – weg von geopolitischen den 2011 doch gerade einmal neun Milliar- Ungewissheiten hin zu ökologischen Gefah- den US-Dollar investiert. ren. Untersuchungen über den ökologischen Vor allem für die Länder der OPEC, aber »Fußabdruck« und die Emission klima- auch für Russland gilt, dass die neue Markt- SWP-Aktuell 16 Februar 2013 5
situation den Wert ihrer Öl- und Gasvor- kugel werden lassen. Außerdem kündigt kommen schmälert – abhängig freilich vom sich an, dass die Wechselwirkungen zwi- Verlauf der unkonventionellen Revolution. schen einzelnen Energieträgern, ihren Schließlich bestimmen Angebot und Nach- Märkten und Preisen zunehmen werden. frage darüber, welcher Ertrag mit den Schon heute verlegen sich die internatio- Bodenschätzen zu erzielen ist. Für die OPEC nalen Ölkonzerne verstärkt auf das Erdgas- wird sich die Frage nach Förderquoten und geschäft. Kohle wiederum deckte im ver- -disziplin in den nächsten Jahren verstärkt gangenen Jahrzehnt fast die Hälfte des An- stellen. Vor allem aber geht es um eine sen- stiegs der weltweiten Energienachfrage. sible Interessenbalance zwischen Saudi- Zudem steigt der globale Strombedarf Arabien, dem Iran und dem Irak, was die fast doppelt so schnell wie der Energiever- Weltmarktanteile angeht. Darauf wird auch brauch. Sollte Erdgas verstärkt im Strom- Russland genau achten. Für die instabile und im Transportsektor eingesetzt werden, Lage der Region ist das zusätzlicher Zünd- kämen die Substitutionseffekte gegenüber stoff. Verschärfend wirkt, dass die Staats- Kohle und Erdölprodukten einem »Game haushalte all dieser Länder auf hohe Öl- Changer« gleich. Schließlich kommt der preise ausgelegt sind. Zugleich trifft sie der Hauptsog für Öl aus dem Schwerlastver- Fracking-Umbruch in einer politisch pre- kehr in Asien, und der Straßengütertrans- kären Situation. Damit steht nicht nur die port könnte den Spritkonsum der PKW- Ausbeutungsstrategie, sondern auch die Flotte überholen. Ist die Angebotsseite auf Politik der Wohlstandserzeugung und Herr- solche Sprünge vorbereitet? schaftswahrung in Frage. Der arabische Über 90 Prozent des erwarteten Zuwach- Raum wird zudem künftig einen Großteil ses bei der Energienachfrage kommen in seiner Energie wegen steigenden Eigen- den nächsten zwei Dekaden aus dem Nicht- bedarfs selbst verbrauchen. OECD-Raum. China ist bereits der größte Die Einsicht in diese Zusammenhänge Energiekonsument weltweit. Alle Änderun- könnte indes auch als Anreiz wirken, sich gen im chinesischen Energiemix haben zu modernisieren und für Joint Ventures enorme Folgen für die globale Energie- zu öffnen. Die erhöhte Unsicherheit könnte bilanz. Zur Verdeutlichung: Auch wenn aber ebenso dazu führen, dass die Erschlie- Chinas Energiebedarf bisher nur zu 19 Pro- ßung neuer Vorkommen erst einmal auf zent durch Öl gedeckt wird (Deutschland: die lange Bank geschoben wird. Dies wie- 34 Prozent), ist das Land bereits zweitgröß- derum hätte langfristig negative Folgen für ter Ölkonsument weltweit. Der Anteil von das globale Angebot und die freien Förder- Erdgas an Chinas Energiemix liegt mit kapazitäten. Laut IEA wird nämlich schon rund 130 Milliarden Kubikmetern pro Jahr nach 2020 die Abhängigkeit von den OPEC- bei rund 4 Prozent. Bis 2035 soll der Erdgas- Ländern wieder zunehmen. Deren Anteil bedarf des Landes auf 545 Milliarden Kubik- an der weltweiten Ölversorgung wird dem- meter jährlich steigen. Noch hat Kohle am nach von heute 42 Prozent auf 50 Prozent chinesischen Energiemix einen Anteil von im Jahr 2035 steigen. 70 Prozent, doch die Erfahrungen mit Smog könnten weitere Schritte zur Reduzierung der lokalen Schadstoffemissionen einleiten. Nachfragesog und Hinter China reihen sich Indien und die Substitutionseffekte aufstrebenden Länder Südostasiens als neue Angesichts der noch immer labilen Lage der Großverbraucher ein. Die Umlenkung der Weltwirtschaft ist es fast überflüssig zu be- Handelsströme vom Persischen Golf ist be- tonen, dass die globale Nachfrageentwick- reits in vollem Gange. Weit mehr als die lung zu jenen gravierenden Unsicherheits- Hälfte der Öl- und Gasexporte von dort geht faktoren gehört, die eine Prognose über die schon heute nach China und in den pazifi- künftige Energiewelt zum Blick in die Glas- schen Raum. China setzt in seiner Energie- SWP-Aktuell 16 Februar 2013 6
strategie auf eine Diversifizierung der Ener- fischen Raum. Die Straße von Hormus und gieträger, der Bezugsländer und der Trans- die Straße von Malakka sind als Transport- portwege. Es nutzt heimische Quellen, routen sowohl für China als auch für Japan dringt aber auch immer mehr in »westliche und Südkorea – enge Partner Amerikas – Interessensphären« ein, um Energieliefe- von fundamentaler Bedeutung. Ebenso wie rungen zu sichern. An Brisanz gewinnen die USA baut China seine militärischen die Konflikte um Öl- und Gasvorkommen Kapazitäten in der Region aus. Das Dilem- im Ost- und im Südchinesischen Meer. Ent- ma ist beidseitig – China ist ebenso wie scheidend wird sein, inwieweit China den Japan und Südkorea auf freie Passagen an- internationalen Märkten vertraut und diese gewiesen, doch die Angst vor einer Blocka- eine Versorgung gewährleisten können. de dieser vitalen Seewege sitzt bei allen Beteiligten tief. Europa muss sich viel stärker als bisher Geopolitische Implikationen darauf einstellen, dass sich Energieströme In den USA wird das Narrativ, man sei auf aus dem atlantischen Becken in den pazifi- dem Weg zum Selbstversorger, zunehmend schen Raum verschieben. Wenn es um ver- die Außen- und Sicherheitspolitik beeinflus- fügbare Mengen und Preissetzung geht, »be- sen. Letztlich ist aber schwer vorstellbar, gegnet« Europa China verstärkt und direkt dass die USA mit der Carter-Doktrin brechen im kaspischen und zentralasiatischen und sich vom Persischen Golf zurückziehen Raum, aber auch in Russland. Europa sollte werden – um dann abzuwarten, ob und wie auf die regionale Kontraktion seiner Ener- China, Indien oder Russland das Vakuum gie-Handelsbeziehungen und eine Verknap- füllen. Die enge Partnerschaft mit Israel pung der Mengen vorbereitet sein, auch und die Sorge um die regionale Stabilität wenn dies nicht zwangsläufig eintreten werden die USA auch über aktuelle Krisen muss. Schließlich könnte Europa gezwun- hinaus am Golf binden. Außerdem ist das gen sein, seine Energieversorgung in der Öl aus dieser Region entscheidend für die weiteren Region zu organisieren und zu Preissetzung auf den Märkten, und die Öl- sichern – gestützt auf Nord- und Westafrika, preise werden in US-Dollar beziffert. Den- den mediterranen Raum mit seinen neuen noch: Amerikas außen- und sicherheits- Gasvorkommen, das kaspische Gebiet sowie politischer Handlungsspielraum wächst, Russland und Norwegen. Vor diesem Hin- wenn die Abhängigkeit von der OPEC und tergrund ist es ein Problem, dass die rus- dem arabischen Raum sinkt. Auch ökono- sisch-europäischen Beziehungen einem misch profitieren die USA vom Abbau der Kräftemessen gleichen, bei dem sich beide Ungleichgewichte: Ihr Haushaltsdefizit auf der Verliererseite wähnen. Das ist eine wird durch die eintretende Verbesserung Hypothek, die anwächst; das Gleiche gilt der Handelsbilanz sukzessive entlastet, für die Tatsache, dass die Energiegemein- während China mehr Mittel für den Ener- schaft mit Nordafrika bisher kaum Fort- giebezug aufwenden muss. Künftig wird es schritte gebracht hat. Washington leichter fallen, Importsanktio- Zu einem Zeitpunkt, da die EU ihre nen gegen energiereiche Länder der Region Kräfte im globalen Markt bündeln müsste, zu fordern. In jedem Fall ist zu erwarten, verstärkt sich die Fragmentierung in Euro- dass die USA mehr Verantwortung und Ein- pa. Es ist keineswegs ausgemacht, dass die satz ihrer Partner in Europa und im pazifi- Integration des Binnenmarktes weiter fort- schen Raum verlangen werden. schreitet. Auf den Öl- und Gasmärkten der Die Entwicklungen in der Energiewelt neuen Energiewelt wird Europa von einer verstärken geopolitische Prozesse, die be- Position aus agieren, die durch schwinden- reits im Gange sind. Das gilt vor allem für de relative Marktanteile geprägt ist. Die die Verlagerung des strategischen und öko- Nachfrage in Europa stagniert, der Import- nomischen Interesses der USA in den pazi- bedarf steigt infolge sinkender Eigenpro- SWP-Aktuell 16 Februar 2013 7
duktion eher marginal. Die bislang nicht pfade. Das relativ saubere Gas könnte eine gelösten Fragen um den künftigen Energie- Scharnierfunktion bekommen und damit mix und das klima- und energiepolitische dem Öl den Rang ablaufen. Dabei sind die Zielpaket für 2020 und danach machen die Rückwirkungen auf das Preisgefüge ent- Nachfragesituation noch unsicherer. Den scheidend – allerdings lassen sie sich kaum aufstrebenden Märkten gegenüber verliert vorhersagen, vor allem weil der Gashandel Europa so an Attraktivität. Der Raffinerie- eben nur bedingt global und flexibel statt- sektor liefert ein anschauliches Beispiel findet. Doch auch mit Blick auf die Eindäm- dafür, wie Verarbeitungskapazitäten nach mung des Treibhauseffektes wird man sehr Asien abwandern. Damit gehen nicht nur genau aufrechnen müssen zwischen den Gewinnmargen und Arbeitsplätze, sondern durch Substitution gewonnenen Einspa- © Stiftung Wissenschaft und auch Handlungsspielräume verloren, da rungen an Treibhaus-Emissionen, der simp- Politik, 2013 weite Teile der Versorgungskette bald len Verlagerung des Kohleverbrauchs sowie Alle Rechte vorbehalten außerhalb eigener Jurisdiktion liegen. dem bei der Produktion von Schiefer- und Das Aktuell gibt ausschließ- Kohleflözgas etc. anfallenden »Klima-Fuß- lich die persönliche Auf- fassung der Autorin wieder abdruck«. Die Transformation hin zu einem Fazit nachhaltigen Energiesystem bleibt ein Ge- SWP Stiftung Wissenschaft und Die fragmentierte Energiewelt, die sich ab- bot aus Sicht des Klimaschutzes und der Politik zeichnet, verstärkt die Ausprägung einer Versorgungssicherheit. Deutsches Institut für Internationale Politik und multipolaren Welt. Nationale Energiepfade Erschwerend wirkt, dass der Boom un- Sicherheit differenzieren sich aus, die jeweiligen Ener- konventioneller Förderung die Opportuni- giemixe werden heterogener. Deutschland tätskosten einer Energiewende dies- und Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin setzt auf die »Energiewende« und den Um- jenseits des Atlantiks erhöht. Eine Moment- Telefon +49 30 880 07-0 bau zu einem nachhaltigeren Energie- aufnahme der unterschiedlichen Energie- Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org system, Amerika auf die »Schiefergaswen- kosten greift zu kurz und verstellt den Blick swp@swp-berlin.org de«. Individuelle Pfade können exklusive auf die negativen Auswirkungen für Um- ISSN 1611-6364 Zugangs- und Nutzungsstrategien beför- welt und Klima und auf künftige Kosten- dern. Fraglich ist, ob damit das globale kurven bei den einzelnen Energieträgern. Energiesystem gegenüber Versorgungs- Die Politik wird früher oder später den krisen widerstandsfähiger wird. Multilate- Trade-off zwischen wahrgenommenen kurz- Lektüre-Empfehlung: rale Initiativen zur Steuerung der Energie- fristigen Kostenvorteilen und plausiblem beziehungen werden durch die diffuse langfristigen Nutzen eingehen müssen. Mit Kirsten Westphal Die Energiewende global denken Interessenlage jedenfalls erschwert. Das Blick auf die unkonventionellen Energie- SWP-Aktuell 37/2012, verschärft auch die schon bestehenden bei- quellen ist es unabdingbar, rasch Erkennt- den. Die neuen Zeiten erfordern vermehrt Angesichts der hohen Unsicherheiten internationale Kooperation und Dialog. ist Europas Politik gefordert, klare (Klima-) Nicht nur aus ökologischen Gründen, Ziele zu wahren und einen stabilen Rahmen auch mit Blick auf die Versorgungssicher- vorzugeben. Die Bepreisung klimaschädli- heit wäre es fatal, die Zahlen der IEA dahin- cher Emissionen ist die zentrale Weiche, gehend zu interpretieren, dass eine nach- um eine Energiewende zu erreichen. Flexi- haltige Entspannung auf den Öl- und Gas- bilität im europäischen Energiesystem ist märkten zu erwarten sei. Unkonventionelle die andere Antwort auf die Ungewissheiten. Energieträger sind keine Lösung für die glo- Diversifizierung und breite Nutzung heimi- balen Energieprobleme. Bestenfalls bieten scher Energiequellen, zu denen neben rege- sie eine tragfähige Brücke für den Umbau nerativen Quellen auch – unter vorheriger des Energiesystems, schlimmstenfalls aber Bewertung aller ökologischen Risiken – perpetuieren sie bestehende Nutzungs- Schiefergas zählen könnte, tragen dazu bei. SWP-Aktuell 16 Februar 2013 8
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