NOlympia in Hamburg Risiken der Bewerbung und Austragung Olympischer Spiele - Mehmet Yildiz | Özgür Yildiz
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NOlympia in Hamburg Risiken der Bewerbung und Austragung Olympischer Spiele Mehmet Yildiz | Özgür Yildiz 1
Inhaltsverzeichnis Einleitung S. 3 Das IOC – Korruption und Intransparenz im Namen der Olympischen Bewegung S. 4 Rückblick: Folgen der Olympischen Spiele für Austragungsorte S. 5 München 1972 S. 5 Montreal 1976 S. 6 Barcelona 1992 S. 6 Atlanta 1996 S. 7 Athen 2004 S. 7 Peking 2008 S. 8 London 2012 S. 8 Fazit S. 10 Die wahren Profiteure der Olympischen Ringe S. 11 Das IOC – Milliardenprofite mit minimalem Einsatz S. 11 Multinationale Konzerne und Finanzwirtschaft S. 16 Fazit S. 20 Hamburg reif für Olympia? Ein Ausblick S. 20 2
Einleitung Das Münchener Olympia-Projekt 2022 ist bei den Bürgerinnen und Bürgern durchgefallen: Im November 2013 stimmte die überwiegende Mehrheit der Menschen in den Gemeinden München, Garmisch-Partenkirchen, Berchtesgadener Land und dem Landkreis Taunusstein in einem Bürgerentscheid gegen die Bewerbung für die Olympischen Winterspiele. Die Enttäuschung der regionalen Wirtschaftsvertreter und der lokalen Entscheidungsträger in Bayern war nicht zu überhören. Das Aus für die Münchener Olympia-Bewerbung stieß in Hamburg eine Debatte um eine erneute Kandidatur an, die insbesondere von der Arbeitgeberlobby, der Handelskammer, dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut und vom Senat forciert wird. Bereits kurz nach der Bekanntgabe des Scheiterns in München äußerte sich Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer in Hamburg: „Wir sind der Überzeugung, dass eine Bewerbung der Stadt, der Metropolregion und dem ganzen Norden einen großen Schub geben würde.“1 Seitdem wird – meist hinter verschlossenen Türen – über eine Bewerbung Hamburg für 2024 bzw. 2028 gerungen. Vor dem Hintergrund der Diskussion um eine Bewerbung Hamburgs ist es notwendig, über die ökonomischen Risiken vor allem für die öffentliche Hand zu reden. Denn Olympische Spiele sind Großprojekte, die über Generationen Städte und Kommunen mit einem milliardenschweren Schuldenberg belasten und im schlimmsten Fall sogar in den Ruin treiben können. Die notorisch klammen öffentlichen Kassen, die durch das Festhalten am neoliberalen Prinzip des Wirtschaftens selbst herbeigeführt wurden und durch unvernünftige deutsche Prestigeprojekte wie die Elbphilharmonie, das Desaster um den Berliner Flughafen oder Stuttgart 21 weiter in Mitleidenschaft gezogen werden, müssen mit Bedacht kalkulieren. Nicht umsonst haben in Folge der Wirtschaftskrise Städte wie Rom und Toronto aus Kostengründen ihre Kandidaturen für die Olympischen Sommerspiele 2020 zurückgezogen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage nach der sportpolitischen Nachhaltigkeit. Während ein erheblicher Sanierungsstau bei Hallen- und Sportflächen in Hamburg existiert und kleine und mittlere Vereine unter prekärsten Umständen um Sportflächen und -zeiten ringen, ist eine Zunahme der „Eventisierung“ besonders im Sport zu beobachten: Große, prestigeträchtige und kostenintensive Sportevents, oft als Public-Private-Partnership-Projekte (PPP) organisiert, haben Konjunktur und sind für die privaten Organisatoren ein gewinnträchtiges Geschäftsfeld, die darüber hinaus als Fläche für PR und Marketing nützlich sind.2 Dass diese Veranstaltungen für den Breitensport in der Regel keine positive Wirkung haben, wird meist unter den Teppich gekehrt. Dies gilt umso mehr für internationale Großveranstaltungen wie Europa- und Weltmeisterschaften oder eben die Olympischen Spiele. Daher ist es umso wichtiger, Wünsche nach Austragung dieser Events zu hinterfragen: Denn das knappe Gut Geld, dass massenweise in die Bewerbung und Austragung solcher Veranstaltungen fließt, wird langfristig für den Breitensport fehlen. Erfahrungen zeigen zudem, dass Olympische Spiele einen weitgehend nachteiligen Effekt auf die soziale Teilhabe der jeweiligen Bevölkerung haben: Mietsteigerung, Gentrifizierung und soziale Segregation sind nicht selten eine Folge sowohl vor als auch nach den Spielen. Auch der Aspekt der Umweltverträglichkeit wird mitunter heftig kritisiert. Sommerspiele, insbesondere aber Winterspiele haben in der Vergangenheit gezeigt, dass mit Olympia beträchtliche Umweltschäden einhergehen. 1 Hamburger Abendblatt vom 12.11.2013 2 Ein gutes Beispiel dafür sind Sportveranstaltungen wie Vattenfall Cyclassics oder der HASPA-Marathon. 3
Das IOC – Korruption und Intransparenz im Namen der Olympischen Bewegung Die modernen Spiele wurden 1894 als Wiederbegründung der antiken Festspiele in Olympia gegründet und sollten dem sportlichen Vergleich für die Weltjugend sowie der Völkerverständigung dienen. Seit 1994 alternieren Winter- und Sommerspiele im zweijährigen Rhythmus. Der Gedanke der Olympischen Spiele als ein sportliches Ereignis von Menschen unterschiedlichster Herkunft, die im Wettbewerb um Medaillen ringen und sich in verschiedenen Disziplinen miteinander messen, klingt erst einmal hehr. Völkerverständigung und der sportliche Wettstreit wider eine Kultur von Krieg und Rassismus sind aus sozialistischer Sicht durchaus zu begrüßen. Dass sich die Olympischen Spiele allerdings zu einem Event entwickelt haben, der besonders für nationale und internationale Unternehmen und Sponsoren – und besonders für das IOC – ein Geldsegen ist, wird seltener thematisiert. Selbst bis tief in die Versicherungs-, Finanz- und Spekulationsbranche reicht die Strahlkraft Olympias. Im Zentrum der Olympischen Bewegung steht das Internationale Olympische Komitee mit Sitz in Lausanne (IOC). Die Hauptverantwortung des IOC liegt in der Betreuung und Mitorganisation der Sommer- und Winterspiele, der Auswahl der Austragungsorte und der beteiligten Sportarten. Das IOC besteht aktuell aus 134 Personen aus verschiedenen Ländern, regelhaft sind Aristokraten, Honoratioren und Akademiker Mitglieder, seltener aktive und im Ruhestand befindliche Sportlerinnen und Sportler. Unter dem IOC stehen die 204 Nationalen Olympischen Komitees (NOC), die die olympische Bewegung auf nationaler Ebene repräsentieren und organisieren. In Deutschland wird die Funktion vom deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Dachorganisation des Sports übernommen. Es zählt ca. 27 Millionen Mitgliedschaften in mehr als 91.000 Sportvereinen. Darunter befinden sich jeweils 16 Landesportbünde, 62 Spitzenverbände sowie 20 Sportverbände mit besonderen Aufgaben. Seit seiner Gründung 1894 ist das IOC massiver Kritik ausgesetzt. Vielfach wurde bemängelt, dass das IOC zu zaghaft gegen Doping vorgeht. Den Höhepunkt erreichte die Kritik am IOC 1998, als öffentlich wurde, dass mehrere IOC-Mitglieder vom Organisationskomitee der Winterspiele 2002 in Salt Lake City bestochen wurden, um bei der Wahl des Austragungsortes für die US-Stadt zu stimmen. Dabei wurden mindestens 24 Stimmen von IOC-Mitgliedern gekauft.3 Schon seit längerem war der damalige IOC-Präsident Antonio Samaranch im Mittelpunkt der Kritik. Samaranch, ehemaliger Sportminister unter der faschistischen Diktatur Francisco Francos und glühender Anhänger der Falange, wurde u.a. vorgeworfen, das IOC autokratisch zu führen und zu wenig gegen die ausufernde Korruption vorzugehen.4 Andrew Jennings, schottischer Investigativjournalist, wies mehrfach nach, dass IOC-Mitglieder bei Besuchen potenzieller Bewerberorte aktiv in Bestechungen verwickelt waren. So hätten sie den Bewerbungskomitees bzw. Städten regelmäßig u.a. Erster-Klasse- Flugtickets, Hotelrechnungen, kostenlose Zahnbehandlungen, Studien- und Stipendienaufenthalte der eigenen Kinder und sexuelle Dienstleistungen in Rechnung gestellt, obwohl dies in den IOC-Regularien ausdrücklich verboten sei. Bei Weigerung drohe der Verlust bei der IOC-internen Abstimmung um die Austragung. Samaranch und das IOC 3 Kreuzer, Heinz: Götterdämmerung für Samaranch, in: Welt Online, 26.01.1999 4 Booth, Douglas: Gifts of Corruption? Ambiguities of Obligation in the Olympic Movement. In: Olympika: The International Journal of Olympic Studies Volume VIII, Kanada 1999 4
reagierten auf die Vorwürfe, indem sie Jennings und seinen Co-Autor Vyv Simson wegen verbrecherischer Verleumdung verklagten.5 Besonders für Deutschland interessant war die Bewerbung Berlins um die Olympischen Spiele 2000, die den Steuerzahler mindestens 86 Millionen DM kostete. So sorgten die Organisatoren für mehrere Skandale. Politiker, Sportfunktionäre, Großunternehmen und Mitglieder der IOC versuchten mit fadenscheinigen Methoden, öffentliche Gelder abzuzweigen. Besonders effizient ging dabei Lutz Grüttke vor. Als Vorsitzender der Bewerbungsgesellschaft der Berliner Olympia GmbH schaffte er es, innerhalb von nur sechs Monaten das Budget um satte 1,6 Millionen Mark zu überziehen und präsentierte Rechnungen für Flüge erster Klasse, Nobelhotels und aufwendige Bewirtungen. Als schließlich herauskam, dass Grüttke eine PR-Firma beauftragte, für 13 Millionen Mark die Werbung zu übernehmen, an der er Anteile besaßt, wurde er durch den Unternehmensberater Nikolaus Fuchs abgelöst. Fuchs machte erst gar keine Anstalten, für Transparenz zu sorgen, im Gegenteil: Mit der Aussage, dass die neue Bewerbungsgesellschaft „frei von öffentlicher Kontrolle“ sein müsse, machte er keinen Hehl daraus, wie mit Steuergeldern umzugehen sei. Auch er bediente sich neben Konzernen wie Bertelsmann, Springer-Kirch und Daimler wenig zurückhaltend an öffentlichen Mitteln. Um Vorwürfen wie Korruption, Geldwäsche und Veruntreuung zu begegnen, wurde vom Berliner Abgeordnetenhaus ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der allerdings nicht alle Beweismittel sichten konnte – denn diese wurden weitgehend geschreddert. Jennings beschrieb die Vorgänge der Berliner Bewerbung als „olympische Waschanlage, in der Steuergelder in die Taschen der Privatwirtschaft umgeleitet wurde.“6 In einem weiteren aufsehenerregenden Fall sorgte das IOC für Schlagzeilen, als es durch die Vergabe der Winterspiele 2010 an Vancouver Mitverantwortung dafür trug, dass weite Teile der indigenen Bevölkerung aus der Peripherie vertrieben wurden und es zu katastrophalen sozialen und ökologischen Folgen kam: Unter anderem wurden für den Bau des Olympischen Dorfes 100.000 Bäume gefällt, die Immobilienpreise explodierten und die Obdachlosenzahlen verdreifachten sich binnen kürzester Zeit.7 Weiter sieht sich das IOC mit Vorwürfen konfrontiert, nicht objektiv mit Kritik umzugehen und die Meinungsfreiheit einzuschränken. So legte das IOC für die Sommerspiele in London 2012 fest, dass eine Verlinkung der offiziellen Internetseite nur erfolgen darf, wenn die Olympischen Spiele nicht in einem „falschen, irreführenden, abfälligen oder sonst wie anstößigen Licht erscheinen […]“.8 Weniger bekannt ist, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts eine Konkurrenzveranstaltung zu den IOC-Spielen gründete. Die sogenannte Internationale Arbeiterolympiade fand erstmals 1925 in Frankfurt mit über 150.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie 450.000 Zuschauern statt. Ziel der Arbeiterolympiade war ein sportlicher Gegenpol zur „bürgerlichen“ Olympiade Coubertins. Im Unterschied zu den von Adel und Großbürgertum dominierten Olympischen Spielen waren sie breitensportlich ausgelegt und auch Frauen wurden –im Unterschied zu den Olympischen Spielen- von Anfang an zugelassen. Nach einer weiteren erfolgreichen Austragung 1931 in Wien wurden letztmalig 1937 Arbeiterspiele in Antwerpen veranstaltet. Ursprünglich sollten die Spiele in Barcelona stattfinden, mussten allerdings aufgrund des Putsches des Faschistenführers Franco abgesagt werden. Damit endete die einzige vergleichbare Konkurrenzveranstaltung zu den IOC-Spielen relativ früh und geräuschlos. 5 Jennings, Andrew: Das Olympia-Kartell. Die schäbige Wahrheit hinter den fünf Ringen, 1996 6 Ebd. Jennings verweist auf Mathew D. Rose, der die Informationen zusammengetragen hatte 7 Seiller, Monika: No Olympics On Stolen Land! In: Coyote. Indianische Gegenwart, Januar 2010 8 Vgl. Punkt 5 der Nutzungsbedingungen („Terms of use“) auf http://www.olympic.org/london-2012-summer- olympics 5
Rückblick: Folgen der Olympischen Spiele für Austragungsorte Die Risiken einer Olympia-Austragung und ihre Folgen auf Finanzen, Infrastruktur, Umwelt und soziale Teilhabe werden seit langem kontrovers diskutiert. Eine allgemeingültige quantifizierbare Risikoanalyse wird dadurch erschwert, dass die Ausgangssituation der jeweiligen Bewerber- und Austragungsstädte mitunter sehr variiert: Viele Faktoren wie zum Beispiel das Vorhandensein bereits verfügbarer Sportstätten, die Akquise von privaten oder staatlichen Geldern, die Finanzlage der Stadt oder umweltpolitische Gegebenheiten spielen eine entscheidende Rolle und bedingen sich mitunter gegenseitig. Daher lassen sich mögliche Kosten einer Austragung für den Bewerber nur schwer beziffern. Bei einer Analyse, ob und wie sich Olympische Spiele auf die Austragungsorte auswirken, ist es daher notwendig, auf Erfahrungen in der Vergangenheit zurückzugreifen, um anhand dessen einen Überblick über die vielschichtigen Risiken zu geben. Von unterschiedlichen Akteuren wird hervorgehoben, dass Olympische Spiele bei guten Voraussetzungen einen positiven nachhaltigen Effekt auf die Austragungsorte haben können. Als beispielhaft werden u.a. die Olympischen Spiele in München 1972 oder Barcelona 1992 angegeben, die insbesondere im Bereich der Stadtentwicklung und des Verkehrsinfrastrukturausbaus von der Austragung profitiert haben sollen. Diese positive Bilanzierung greift allerdings oftmals zu kurz, denn auch bei vermeintlich positiven Austragungen kommt es zu nachteiligen Wirkungen durch die Spiele selbst. Nachfolgend wird in einem Überblick anhand einer Auswahl an Austragungsstädten der jüngeren Vergangenheit gezeigt, welche Folgen Sommerspiele für die Olympiastädte haben können. München 1972 Die Spiele in München 1972 werden als Paradebeispiel für eine gelungene Stadtentwicklung gesehen. Die Olympischen Spiele hätten die bayerische Landeshauptstadt binnen kürzester Zeit „in die Zukunft katapultiert.“9 Ein 1963 eilig erstellter Masterplan sah eine enge Verzahnung zwischen olympischen Infrastrukturmaßnahmen und stadtentwicklungspolitischen Zielen vor. Neben den olympiabedingten Maßnahmen wie dem Bau des Olympiaparks inklusive Olympiastadion wurde u.a. der Ausbau des U- und S-Bahn- Systems sowie des Hauptstraßen- und Autobahnnetzes vorangetrieben. Insgesamt wurden 4,2 Kilometer U-Bahn, 275.000 Quadratmeter Straßenfläche und 1000 Sozialwohnungen gebaut.10 Das Argument, dass München durch die Austragung wesentliche Stadtentwicklungsziele in sehr viel kürzerer Zeit als ursprünglich vorgesehen erreichen konnte, mündete 1973 mit dem Beginn der ersten Ölkrise in Ernüchterung. Die rasante Fahrt, die München im Zusammenhang mit den Spielen aufgenommen hatte, wurde dadurch deutlich gebremst. Die Kehrseite des kurzen Entwicklungsschubes war die Gentrifizierung bzw. Aufwertung ganzer Stadtteile. Steigende Immobilienpreise und Mieten führten zur Verdrängung weiter Bevölkerungsteile aus München. Bis heute sind die Konsequenzen auf dem Wohnungsmarkt zu spüren.11 Hinzu kamen Kostenexplosionen bei Baumaßnahmen; allein das Dach des Olympiastadions, ursprünglich mit 47,4 Millionen DM veranschlagt, kostete schließlich 172 Millionen DM.12 Auch finanziell sind die Nachwirkungen der Sommerspiele 1972 für München bemerkbar: Die Sanierung des Olympiaparks soll bis 2026 9 Dürr, Alfred: Die Spiele als Zeitmaschine. In: Süddeutsche Zeitung, 02.09.2012 10 Vgl. Jochen Vogel im Deutschlandfunk am 05.07.2011. Der ehemalige Münchener Oberbürgermeister lobt u.a. den Bau von 1000 Sozialwohnungen. Dabei ist diese Zahl selbst für damalige Zeiten verschwindend gering. 11 Dürr, Alfred: Die Spiele als Zeitmaschine. In: Süddeutsche Zeitung, 02.09.2012 12 Maenning, Wolfgang: Zur Finanzierung und Budgetierung Olympischer Spiele, in: Kutschke, Frank: Ökonomie Olympischer Spiele, 2006 6
eine halbe Milliarde Euro kosten13. Das Budget für die Spiele in Höhe von 992 Millionen DM wurde um fast eine Milliarde Mark überschritten (gesamt: 1,9 Mrd. DM). Insgesamt machte München 635 Millionen Mark Verlust.14 Montreal 1976 Ein besonders abschreckendes Beispiel der Olympischen Geschichte ist Montreal, das noch bis November 2006 die Schulden für die Austragung bezahlen musste. Den kalkulierten Kosten in Höhe von 120 Millionen Kanadischen Dollar (CAD) standen im Ergebnis 1,2 bzw. 1,8 Milliarden an tatsächlichen Kosten entgegen; was mindesten einer Verzehnfachung der Kosten entspricht.15 Neben der Fehlkalkulation kam hinzu, dass der kanadische Staat keine Steuermittel zum Ausgleich eines Finanzdefizits bereitstellte und die Last einseitig der Stadt Montreal und der frankophonen Provinz Quebec aufgebürdet wurde. Schon kurz nach Beginn der Baumaßnahmen wurde klar, dass die ursprünglich veranschlagten Kosten völlig aus dem Ruder laufen würden. Innerhalb weniger Jahre stieg die Inflationsrate auf etwa 40 Prozent, was die Baukosten erhöhte. Während Arbeiter wegen der steigenden Lebenshaltungskosten mit mehrwöchigen Streiks höhere Löhne forderten und die Realisierung der Sportstätten infrage stand, wurde auf fragwürdige Methoden zurückgegriffen. Unter anderem wurden die Arbeiter gerichtlich zur Arbeit gezwungen, um rechtzeitig fertig zu werden. Was neben den jahrzehntelangen Schulden für Montreal blieb, ist das – laut dem Forbes Magazine – zweitteuerste jemals gebaute Stadion der Welt, das bis heute weitere Millionen an Betriebs- und Instandsetzungskosten verursacht.16 Barcelona 1992 Barcelona gilt als weitgehend vorbildliches Beispiel einer „olympisch-städtebaulichen“ Entwicklung. Eingebettet in einen 50-Jahres-Entwicklungsplan aus dem Jahr 1976 setzte die Stadt eine schnelle und moderne Umgestaltung um. Die Stadt befand sich bereits vor dem Zuschlag für die Spiele 1986 in einem Sanierungsprozess und schaffte es dadurch, binnen kurzer Zeit große Infrastrukturmaßnahmen zu realisieren. Das dezentrale Entwicklungsmodell sah vor, vernachlässigte Gebiete für die Stadtbevölkerung zu reaktivieren, die Verkehrsinfrastruktur auszubauen und die Altstadt zu renovieren, hinzu kam der Bau und die Verteilung der Sportstätten auf das gesamte Stadtgebiet mit sinnvoller Nachnutzung. Das positive Fazit der Olympischen Spiele in Barcelona wird allerdings bei genauer Analyse getrübt. Die Gesamtkosten vom ersten Entwurf bis zum letzten Wettkampftag in Höhe von 5,5 Milliarden Euro wurden mit einer PPP-Konzeption weitgehend über Schulden finanziert. Lediglich ein Drittel konnte durch private Investoren eingenommen werden, so dass Barcelona erst 2007 die Schulden tilgen konnte.17 Durch die sich verschärfende Bodenknappheit und die höhere Nachfrage schossen die Miet- und Grundstückspreise zwischen 1990 und 1992 in die Höhe und es setzte ein Verdrängungsprozess ein, der durch Zwangsenteignung und Räumung sowie Abbruch von Gebäuden und Stadtvierteln verschärft wurde. Vielfach wurde keine Rücksicht auf Kulturdenkmäler genommen, die der Sanierung zum Opfer fielen.18 13 Hamberger, Sylvia / Doering, Axel / Zängl, Wolfgang: Bewertung der geplanten Bewerbung für Olympische Winterspiele „München 2022“ durch das Netzwerk Nolympia, 05.08.2013 14 Vgl. hierzu Maenning, Wolfgang: Zur Finanzierung und Budgetierung Olympischer Spiele, in: Kutschke, Frank: Ökonomie Olympischer Spiele, 2006 15 Höhmann, Ingmar: Olympia-Bewerbung treibt Wirtschaft an, in: Handelsblatt, 11.09.2009 16 Egan, Andrew: In Depht: Worlds Most Expensive Stadiums, Forbes Magazine, 8. Juni 2008 17 Dietrich, Tobias: Projekt, Event oder Marke: Die Planung der Festivalisierung 18 Engelhart, Mathias: Ereignisorientierte Stadtentwicklung am Beispiel der Olympischen Sommerspiele von Barcelona 1992, Gießener Zeitung, 18.12.2012 7
Atlanta 1996 Die sogenannten Coca-Cola-Games19 gelten als die bisher am stärksten kommerzialisierten Spiele. Sie wurden weitgehend privat finanziert, so dass eine exzessive Verschuldung der öffentlichen Hand wie in der Vergangenheit weitestgehend ausblieb. Dennoch wurde das stattliche Budget von einer Milliarde US-Dollar um rund 700 Millionen überschritten. Der Sportstättenbau wurde zentral in einem Umkreis von 2,4 Kilometern vom Stadtzentrum angelegt, dem sogenannten „Olympischen Ring“. An vielen Stellen dieses Ringes wurden Wohnanlagen sozial schwacher, meist farbiger BewohnerInnen durch die Spiele verdrängt, um im Gegenzug Raum für lukrative Investitionen zu gewinnen und das Stadtgebiet sozial zu „bereinigen“.20 Flankiert wurde die Maßnahme durch die Verhaftung von 10.000 Obdachlosen innerhalb eines Jahres, um die „Attraktivität“ der Stadt während der Olympischen Spiele nicht zu gefährden.21 Abb. 1: Kalkulierte Kosten im Vergleich zum tatsächlichen Ergebnis für die Spiele in München, Montreal und Atlanta (Angaben in DM, CAD und USD) Millionen 2000 1500 1000 Kalkulation Ergebnis 500 0 München Montreal Atlanta 1972 1976 1996 Quelle: Eigene Recherche. Angaben zum Ergebnis stellen die tatsächlichen Gesamtkosten inkl. Bau- und Infrastrukturkosten dar. Abweichungen in der Kalkulation möglich, da Angaben zum Durchführungs- und Infrastrukturbudget nach Quellenlage nicht immer als Gesamtkosten deklariert sind. Athen 2004 Das Ziel der Olympischen Spiele von Athen war eine Imageverbesserung und Qualitätssteigerung. Besonders hinsichtlich des Verkehrschaos, der Umweltverschmutzung und der wirtschaftlicher Stabilität erhoffte sich die griechische Hauptstadt wichtige Impulse für die Zukunft. Ein dezentrales Sportflächenkonzept mit Anordnung der olympischen Sportstätten über das gesamte Stadtgebiet machte es nötig, massiv in die Verkehrsinfrastruktur zu investieren, zumal Athen ohnehin in diesem Bereich schlecht aufgestellt war. Neben einem neuen Flughafen wurden eine Ringautobahn und ein S- und Straßenbahnnetz gebaut, um die über die Stadt verteilten Sportstätten miteinander zu verbinden und eine bessere Erreichbarkeit zu gewährleisten. Da 70 Prozent der bestehenden Sportanlagen erneuert wurden und eine Nachnutzung aufgrund der mangelnden Popularität 19 In Anspielung auf die bis zur Spitze getriebene Kommerzialisierung und das Engagement privater Konzerne, von denen 400 ihren Sitz in der Hauptstadt und Wirtschaftsmetropole des US-Bundestaates Georgia haben, wurden die Spiele abfällig als Coca-Cola-Games bezeichnet. Weiter wird eine Rolle gespielt haben, dass Atlanta sportpolitisch unbedeutend ist und der Streit mit dem Mitbewerber Athen für die Austragung eskalierte. 20 Albers, Hans-Hermann: Bye, bye London 2012, in: Urbanophil – netzwerk für urbane kultur 21 19. Juli 2006 – Vor 10 Jahren: Olympische Sommerspiele in Atlanta eröffnet, WDR.de-Archiv, abrufbar auf www.wdr.de 8
einzelner Sportarten wie z.B. Baseball ausblieb, entstanden so genannte „Weiße Elefanten“, die heute inzwischen teilweise verfallen. Athen ist seit der Austragung der Olympischen Spiele 2004, die zwischen sieben und 14,8 Milliarden Euro gekostet hat, am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Die hohen Olympiaausgaben haben die ohnehin hohe gesamtgriechische Schuldenlast dramatisch erhöht.22 Um planmäßig Anlagen im Anschluss in öffentliche Freizeit- und Parkanlagen umzuformen, blieb kein Geld.23 Peking 2008 Nach der nur knapp gescheiterten Bewerbung 1993 für die Milleniums-Spiele bewarb sich Peking erfolgreich für die Austragung der Olympischen Spiele 2008. Sie waren vor allem eine Demonstration von Superlativen und sind bis heute die teuersten Spiele der Geschichte. 2001 gingen die Organisatoren davon aus, dass zwei Milliarden Dollar ausreichen würden, um die nötigen Sportstätten auszubauen. Die Kostenschätzung wurde mehrfach in die Höhe korrigiert, so dass sie zwischenzeitlich mit 14,3 Milliarden Dollar angegeben wurde.24 Dem letztmalig kalkulierten Betrag von 26,6 Milliarden Euro (davon 23 Milliarden für Infrastruktur und 3,6 Milliarden für Organisation) stand am Ende ein tatsächlicher Betrag von 33 Milliarden Euro (44 Mrd. Dollar) entgegen. Schätzungsweise 30.000 Arbeiter, mehrheitlich aus armen, ländlichen Provinzen waren in den Bau der Sportstätten und Infrastrukturprojekte involviert. Zwar gingen die Organisatoren davon aus, dass alle Sportstätten spätestens Ende 2007 fertig gestellt sein würden, jedoch musste der Plan, bereits weit vor dem Beginn der Spiele fertig zu sein, wegen explodierender Kosten, Engpässen in der Stahlproduktion und technischer Probleme aufgegeben werden. Für den Bau der Olympiastätten wurden 3000 Familien zwangsumgesiedelt, was rund 155 Millionen Euro kostete.25 Andere Quellen gehen sogar von 1,5 Millionen Zwangsumgesiedelten aus, die im Zuge der Olympischen Spiele vertrieben wurden.26 Gesetzlich wurde u.a. festgelegt, dass bestimmte Personen während der Spiele von der Stadt fernzuhalten sind. Die für den Freizeit- und Erholungsbedarf geplante Olympic Green-Parkanlage wirkt trotz oder wegen der Größe von 700 Hektar heute völlig verlassen. Fataler ist die sportliche Nachnutzung der Sportanlagen: Sportveranstaltungen finden hier kaum noch statt, weil viele der Sportarten in China unpopulär sind.27 London 2012 Auch die Londoner hatten einen hohen Preis für die Olympischen Spiele zu zahlen. Allein für die Bewerbung wurden 20 Millionen Euro fällig.28 Für die Durchführung der Spiele wurde 2005 mit 2,6 Milliarden Euro gerechnet (Bewerbung: 1,9 Milliarden)29 Nicht in dieser Summe enthalten ist der Löwenanteil der Kosten für Neu- und Ausbau der Sportstätten, die gänzlich von der öffentlichen Hand zu tragen sind: Während man für diese Position 2,9 Milliarden veranschlagte, hat sich die Summe nach offiziellen Angaben auf 11,6 Milliarden nahezu 22 Haaß, Wolfgang: Die Profiteure der Ringe. In: die bank – Zeitschrift für Bankenpolitik und Praxis, abgerufen auf http://www.die- bank.de/index.php?id=13&tx_ttnews[tt_news]=14461&cHash=a7ec597789043a4a4a82ec110d134500 23 Albers, Hans-Hermann: Bye, bye London 2012, in: Urbanophil – netzwerk für urbane kultur 24 Olympia. Was Sommerspiele kosten, Handelsblatt online, abgerufen auf http://www.handelsblatt.com/archiv/olympia-was-sommerspiele- kosten/2999546.html?slp=false&p=5&a=false#image 25 Baustelle Olympia 2008 – Architekturprojekte der Superlative. Abgerufen auf www.chinaseite.de/olympia- 2008/nationalstadion.html 26 von Hein, Mathias: Zwangsumsiedlung im Namen der Ringe. In: Deutsche Welle online, 13.06.2007. Die Zahl beruht auf den Aussagen von Jean du Plessis, Direktor des Zentrums für Wohnrechte und Vertreibung (COHRE). 27 Albers, Hans-Hermann: Bye, bye London 2012, in: Urbanophil – netzwerk für urbane kultur 28 Olympia zweimal gefragt. In: Wiener Zeitung, 12.02.2013 29 Haaß, Wolfgang: Die Profiteure der Ringe, in: die bank – Zeitschrift für Bankenpolitik und Praxis 9
vervierfacht. Andere Quellen gehen sogar von 14,8 Milliarden Euro aus.30 Zudem wurde schon zur Zeit der Bewerbung mit weiteren 10,7 Milliarden für generelle Infrastruktur gerechnet, so dass man auf Gesamtkosten von 28,1 Milliarden Euro kommt. Für die Sicherheit mussten statt der geplanten 10.000 Sicherheitsbeamten 23.700 Personen abgestellt werden, darunter 7.000 Angehörige der Armee. Zum Einsatz kam auch ein Kriegsschiff der Royal Navy und ein Einsatzgeschwader der Royal Air Force – insgesamt wurde das Sicherheitsbudget auf etwa 639 Millionen Euro verdoppelt31, nachdem das Sicherheitsunternehmen G4S nicht in der Lage gewesen war, die angeforderten zivilen Sicherheitskräfte bereitzustellen.32 Besonders kritisiert wurde u.a. der um den Olympia-Park gebaute Elektrozaun, der allein rund 100 Millionen Euro kostete und in der Folge nicht mehr gebraucht wird. Mit weiteren 100 Millionen schlug die Eröffnungsfeier zu Buche.33 Zudem musste die britische Regierung eingestehen, dass der Steuerzahler für den Bau des Athletendorfes aufkommen muss. Anders als geplant hätte das australische Bauunternehmen Lend Lease eine Milliarde investieren sollen, konnte das Kapital allerdings nicht aufbringen. Auch das 400 Millionen Euro teure Medienzentrum musste – anders als geplant – vom Staat bezahlt werden.34 Wie schon an anderen Austragungsstätten kam es am Veranstaltungsort, dem Londoner Osten, mit teilweise ausbeuterischen Methoden zur Verdrängung von Mieterinnen und Mietern: Shelter, eine Wohlfahrtsorganisation für Obdachlose, berichtete im Februar 2012, Vermieter in der Nähe der Wettkampfanlagen im Osten Londons hätten Mietzinse erhöht oder Mietverträge mit neuen Klauseln versehen, mit denen die Mieter vor den Olympischen Spielen zur Aufgabe ihrer Wohnungen gezwungen würden. Monate später berichtete die BBC, Shelter lägen Beweise vor, wonach Vermieter skrupellos handelten und Bewohner illegal zur Räumung zwangen. Die BBC zitierte einen Immobilienmakler, wonach Wohnungen, die üblicherweise 350 Pfund pro Woche kosten, nun für 6000 Pfund pro Woche angeboten würden. Die potenziellen Profite hätten einige Vermieter dazu bewogen, Mieter äußerst kurzfristig zum Verlassen ihrer Wohnungen zu zwingen.35 Die mittelstandsorientierten Planungen für die Aufwertung des Ostens im Zuge der Olympia- Austragung haben damit die Mieten überproportional steigen lassen und nachhaltige negative Wirkungen auf den sozialen Ausgleich im Bezirk Hackney Wick hinterlassen. In Bezug auf die ökologische Nachhaltigkeit wurde in einer von der Naturschutzorganisation WWF in Auftrag gegebenen Studie bemängelt, dass u.a. die neu errichtete Schwimmhalle eine „katastrophale Klimabilanz“ habe und es versäumt wurde, erneuerbare Energien einzusetzen. Auch die Abfallverwertung sei nur schwach organisiert.36 Der vom damaligen Bürgermeister Ken Livingstone prophezeite „wirtschaftliche Aufschwung“, den London „seit der Blütezeit von Queen Victoria nicht mehr erlebt hat“, mündete schnell in Ernüchterung. Der erhoffte wirtschaftliche Anschub blieb aus, Hotels und Restaurants beklagten, dass die Einnahmen hinter den Erwartungen zurückblieben. Arbeitsmarktpolitisch hatten die Spiele nur kurzfristige positive Effekte; zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Londons erhielten nur vorübergehend einen Job, so dass die kurze Erholung auf dem Arbeitsmarkt nicht nachhaltig ist. Experten vermuten zudem, dass gerade wegen der Spiele Touristen fern blieben.37 30 ebd. 31 Thibaut, Mathias: Londoner halten Olympische Spiele für Geldverschwendung, in: Zeit Online, 04.01.2012 32 Olympia-Heerlager: Militär prägt Bild vor London-Spielen, in: manager magazin online, abgerufen auf http://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/a-844494.html 33 Keine Medaille für britische Wirtschaft. Arte Journal, 12.08.2012 34 Höhmann, Ingmar: Olympia-Bewerbung treibt Wirtschaft an, in: Handelsblatt online, 11.09.2009 35 Landlords ‚evicting tentans’ to make Olympic profit. BBC, 8. Mai 2012 36 Nachhaltigkeitsstudie: Towards a One Planet Olympics revisited, WWF 37 Britische Wirtschaft von Olympia enttäuscht. Euronews online vom 15.08.2012 10
Abb. 2: Kalkulierte Kosten im Vergleich zum tatsächlichen Ergebnis für die Spiele in Athen, Peking und London (Angaben in Euro) Milliarden 35 30 25 20 Kalkulation 15 Ergebnis 10 5 0 Athen 2004 Peking London 2008 2012 Quelle: Eigene Recherche. Angaben zum Ergebnis stellen die tatsächlichen Gesamtkosten inkl. Bau- und Infrastrukturkosten dar. Abweichungen in der Kalkulation möglich, da Angaben zum Durchführungs- und Infrastrukturbudget nach Quellenlage nicht immer als Gesamtkosten deklariert sind. Fazit • Die Austragung der Olympischen Spiele hat in fast allen untersuchten Fällen einen negativen Effekt auf die Haushaltslage der Stadt und, wo involviert, des Landes. Die öffentlichen Schulden in Milliardenhöhe können zum Teil erst Jahrzehnte später getilgt werden. • Die tatsächlichen Kosten übersteigen in allen Fällen bei weitem die kalkulierten Kosten.38 In den seltensten Fällen reicht das Budget aus, teilweise gibt es Abweichungen von bis zu 1400 Prozent des kalkulierten Betrages.39 Ursächlicher Grund hierfür sind Kostensteigerungen bei Baumaßnahmen. • Mit der Austragung der Spiele steigt der Gentrifizierungsdruck. Der sozioökonomische Strukturwandel bestimmter städtischer Viertel sorgt dafür, dass besonders die Bevölkerung mit geringen und mittleren Einkommen aus angestammten Wohnverhältnissen verdrängt wird. • Olympische Sommerspiele sind mit der Zunahme von Umweltbelastungen verbunden – zwar nicht in dem Maße wie bei Winterspielen. Dennoch sind zum Beispiel zunehmende Verkehrsbelastungen vor und während der Austragungsphase nicht von 38 Eine Studie der Universität Oxford vom Juni 2012 kommt zu dem Schluss, dass in den letzten 50 Jahren kein Ausrichter das ursprüngliche Budget eingehalten habe. Im Durchschnitt sind die Endkosten 179 Prozent höher als ursprünglich angenommen. Die Autoren kommen zum Schluss: „Eine Olympiade ist für eine Stadt oder ein Land eines der finanziell riskantesten Projekte überhaupt” Vgl. Zängl, Wolfgang / Hamberger, Sylvia: Bisherige Erfahrungen mit Olympischen Winterspielen, abgerufen auf www.nolympia.de/grunde-gegen-olympia- 2018/bisherige-erfahrungen-mit-olympischen-winterspielen/ 39 Montreal weist mit einer 1400 prozentigen Abweichung die größte Fehlkalkulation auf. Insgesamt ist darauf zu achten, ob tatsächliche Kosten wie verbucht bzw. bilanziert werden. Das IOC definiert zum Beispiel die Baumaßnahmen, die den großen Teil der Kosten für die Ausrichter ausmachen, nicht als reine Olympiakosten, sondern als „nicht olympiabedingte Investitionen“. Daher variiert die Quellenlage bezüglich der Angaben zu den Ausgaben. 11
der Hand zu weisen. Daran hat auch die zunehmende Tendenz, die Spiele mit dem Label „green olympics“ zu versehen, nichts wesentlich geändert. • Die Nachnutzung der für die Olympischen Spiele errichteten Sportstätten gestaltet sich oft nachteilig. Bau und Betrieb insbesondere von Sportanlagen, die weniger populär sind, bergen das Risiko große, ungenutzte und mit Folgekosten verbundene „Weiße Elefanten“ zu hinterlassen. Zwar besteht die Möglichkeit des Rückbaus bzw. die Nutzung mobiler Baukomponenten, dies ist aber mindestens vor dem Gesichtspunkt der sportpolitischen Nachhaltigkeit fragwürdig. Es lässt sich resümieren, dass jede Austragung der Olympischen Spiele mit Risiken und Nachteilen im Bereich Finanzen, Stadtentwicklung und sozialer Partizipation verbunden ist. Neben der teilweise immensen öffentlichen Verschuldung sind nahezu alle Olympiastädte mit Folgewirkungen konfrontiert, die den sozialen Frieden massiv beschädigen. Die wahren Profiteure der Olympischen Ringe Das IOC – Milliardenprofite mit minimalem Einsatz In der Schweiz als gemeinnütziger Verein eingetragen, ist das IOC längst eines der größten privatwirtschaftlich finanzierten Unternehmen der Welt. Experten rechneten aus, dass die Marke „Olympia“ 2012 das zweitwertvollste Unternehmen der Welt ist, zwar hinter Apple, allerdings noch vor Google. Der Wert Olympias mit dem IOC an der Spitze betrug demnach 47,6 Milliarden US-Dollar.40 Der Kern des Geschäftsmodells Olympia ist ein Franchise-Modell: Das IOC als Rechteinhaber erlaubt alle zwei Jahre (Winter- und Sommerspiele in zweijährigem Abstand) den Ausrichtern die „Nutzung“ der olympischen brands. Es beansprucht alle Rechte und olympischen Symbole wie Fahnen, Mottos, Hymne und die Spiele insgesamt. Hinzu kommen Sonderrechte, die in Host-City-Contracts (HCC) mit den Ausrichterstädten vereinbart werden. Allerdings ist der Begriff „Vereinbarung“ irreführend, denn bereits mit der Einreichung des ersten Bewerbungsdokumentes geht die Bekundung einher, das HCC zu unterschreiben – das verlangt die obligatorische Akzeptanz der Olympischen Charta, ohne die eine Bewerbung gar nicht erst möglich ist. Kern der HCC ist, dass potenzielle Ausrichterstädte verpflichtet werden, umfangreiche Garantien abzugeben. Beispielsweise müssen Ausrichter eine gesamtschuldnerische Haftung – in unbegrenzter Höhe – für sämtliche Verpflichtungen übernehmen. Diese Haftung gilt auch, wenn Schäden durch Dritte entstehen. Zudem fordert das IOC vollständige Steuerbefreiung bzw. die Übernahme sämtlicher Steuern durch den Gastgeber. Das IOC verlangt ferner, dass allen Akkreditierten ohne Formalitäten die Einreise erlaubt wird und MitarbeiterInnen der Spiele Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse erteilt und sie von sämtlichen Abgaben, Zöllen und Steuern befreit werden. Weitere Sonderrechte inklusive – u.a. Extra-Fahrspuren („Olympic Lanes“) zu allen Sportsstätten für Funktionäre und Ehrengäste und die Genehmigungspflicht des IOC für Einladungen oder Akkreditierungen an ausländische Gäste. Ohne vorherige schriftliche Genehmigung durch das IOC darf der Gastgeber keine mit den Spielen zusammenhängende Einladungen herausgeben oder Personen einladen, was einer Übertragung hoheitlicher Rechte an das IOC gleichkommt. Überspitzt formuliert: Will Angela Merkel ihren Kollegen Francois Hollande zur Eröffnungsfeier einladen, muss sie das IOC um Erlaubnis fragen. Trotz massiven Einsatzes 40 Brands Finance: The Olympics ‚Brand’ at USD $47.6 billion, Pressemitteilung vom 18.07.2012 12
öffentlicher Gelder fordert das IOC Vertraulichkeit über den Inhalt der Verträge und geht insgesamt wenig transparent damit um.41 Die politische Fragwürdigkeit der Verträge ist unbestritten. Hinzu kommt eine rechtliche Komponente: Das IOC verlangt von Staaten mit Bewerberorten bereits vor einer Bewerbung den Erlass eines Olympiaschutzgesetzes, um Begriffe wie „Olympia“, „Olympiade“ oder „olympisch“ markenrechtlich zu schützen. Obwohl diese Begriffe seit der Antike zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören, werden Olympische Spiele gemäß einer Leitlinie des IOC nur an Länder vergeben, in denen ein gesetzlicher Rahmen vorhanden ist, der eine ausschließliche Vermarktung der Begriffe und Embleme zugunsten des IOC bzw. des jeweiligen NOK sicherstellt. Deutschland erließ 2004 das Gesetz vor der Bewerbung von Leipzig um die Olympischen Spiele 2012. Kritiker bewerten das Olympiaschutzgesetz als verfassungswidrig, weil es gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt und einseitig die kommerziellen Interessen des IOC bzw. der NOK bevorzugt. Diesbezüglich äußerte das Landgericht Darmstadt 2005 Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit.42 In einem weiteren Urteil vom Juni 2012 urteilte das Landgericht Kiel, dass die Werbung bestimmter Produkte mit Begriffen wie „Olympische Preise“ und „Olympia-Rabatt“ zulässig sei und olympische Bezeichnungen nicht per se gegen werbliche Nutzung geschützt werden dürfen.43 Das Oberlandesgericht in Schleswig hat diese Entscheidung aufgehoben und die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Der Bundesgerichtshof wird nun nicht nur prüfen, ob die Werbung mit „Olympischen Preisen“ und einem „Olympia-Rabatt“ tatsächlich gegen das OlympSchG verstößt, sondern auch, ob das OlympSchG als solches verfassungsgemäß ist. Auszug aus dem Gesetz zum Schutz des olympischen Emblems und der olympischen Bezeichnungen („Olympiaschutzgesetz“ – OlympSchG) § 1 Gegenstand des Gesetzes (1) Gegenstand dieses Gesetzes ist der Schutz des olympischen Emblems und der olympischen Bezeichnungen. (2) Das olympische Emblem ist das Symbol des Internationalen Olympischen Komitees bestehend aus fünf ineinander verschlungenen Ringen nach dem Muster der Anlage 1 (Olympische Ringe). (3) Die olympischen Bezeichnungen sind die Wörter "Olympiade", "Olympia", "olympisch", alle diese Wörter allein oder in Zusammensetzung sowie die entsprechenden Wörter oder Wortgruppen in einer anderen Sprache. § 2 Inhaber des Schutzrechts Das ausschließliche Recht auf die Verwendung und Verwertung des olympischen Emblems und der olympischen Bezeichnungen steht dem Nationalen Olympischen Komitee für Deutschland und dem Internationalen Olympischen Komitee zu. Quelle: Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz Im Auftrag der Gesellschaft für ökologische Forschung hat Prof. Gerrit Manssen 2011 ein Rechtsgutachten erstellt, das die Zulässigkeit des HCC anlässlich der Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2018 untersucht.44 Er kommt darin zum Schluss, dass 41 Hamberger, Sylvia / Doering, Axel / Zängl, Wolfgang: Bewertung der geplanten Bewerbung für Olympische Winterspiele „München 2022“ durch das Netzwerk Nolympia, 05.08.2013 42 Urteil des Landgerichts Darmstadt, Aktenzeichen 14 O 744/04 43 Urteil des Landgerichts Kiel, Aktenzeichen 15 O 158/11 44 Manssen, Gerrit: Die verfassungs- und kommunalrechtliche Zulässigkeit des Abschlusses eines Host-City- Vertrages mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) durch die Landeshauptstadt München zur Durchführung der XXIII. Olympischen Winterspiele und der XII. Paralympischen Winterspiele 2018. Regensburg 2011 13
• einzelne Klauseln des HCC „rechtlich eigentlich grotesk“ sind. „Sie zeigt die monopolistische, unkontrollierte und unlegitimierte Stellung des IOC, die es der Organisation ermöglicht, Bewerberstädten Vertragsinhalte zu diktieren. […] Die Stadt und im Hintergrund der Freistaat und der Bund übernehmen finanzielle Lasten in Milliardenhöhe. Der finanzielle Beitrag des IOC hingegen steht unter diversen Bedingungen, auf die die Stadt als Vertragspartnerin teilweise gar keinen Einfluss hat. Das IOC bestimmt die Höhe und den Zeitpunkt der Zahlung und knüpft diese daran, dass die Spiele zur vollständigen Zufriedenheit des IOC stattgefunden haben und die Stadt, das NOK und das Organisationskomitee (OK) alle Verpflichtungen vollumfänglich ausgeführt und eingehalten haben. Ein solches Ansinnen wird man als sittenwidrig einstufen müssen.“ • der HCV [HCC] ein „Knebelvertrag“ ist: „Der Vertrag lastet nahezu alle Risiken der Stadt an und gibt fast alle Rechte an das IOC.“ 45 • „der Abschluss des HCV [HCC] durch die Stadt rechtswidrig wäre. Die Stadt würde sich außerhalb ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben und Kompetenzen bewegen.“ • dem Ziel einer erfolgreichen Olympia-Bewerbung das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als zentraler Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips geopfert würde. „Eine Unterschrift unter den HCV durch den Oberbürgermeister würde die Stadt deshalb nicht binden.“ Eines der finanziell profitabelste Bereich für den IOC ist das Sponsoring. Unter der Bezeichnung The Olympic Partner Programme (TOP) vergibt das IOC die weltweiten Marketingrechte an den Spielen für eine Olympiade. Ingesamt neun bis zwölf Unternehmen und Konzerne bescheren so dem IOC milliardenschwere Erlöse. Im Olympiazyklus 2009 – 2012 betrug der Beitrag der elf TOP-Sponsoren insgesamt 957 Millionen Dollar (2005 – 2008: 866 Millionen US-Dollar). Hinzu kommt ein weiteres Filetstück: Da das IOC die Rechte an Olympia hält, kann es durch die exklusive Vergabe der Übertragungsrechte auf dem Medienmarkt so richtig absahnen. Beispielsweise hat die US-Fernsehanstalt NBC Universal dem IOC für die Übertragungsrechte der Londoner Spiele 2012 satte 1,18 Milliarden Dollar überwiesen.46 Nach eigenen Angaben verteilt das IOC 90 Prozent der Einnahmen an die 205 NOKs, 33 Weltsportverbände (IFs), das Internationale Paralympischen Komitee (IPC), die Paralympischen Organisationskomittees, die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und die jeweiligen Organisationskomitees der Olympischen Spiele (OCOGs).47 Anzumerken ist, dass die OCOGs privatrechtlich organisiert sind und damit keiner Gemeinwohlorientierung unterliegen. Sie sind für die unmittelbare Durchführung der Spiele bis zur Schlussfeier verantwortlich und haben im Rahmen des Joint Marketing Programme eigene Einnahmequellen durch die Vergabe von Lizenzen, nationale Sponsoren und Eintrittskarten. Allein durch Vermarktungsrechte nahm das IOC im letzten Olympiazyklus (2009 bis 2012) 45 Im Rahmen einer Prüfung des mit dem Münchener HCC vergleichbaren Vertrages kamen Juristen des Landes Salzburg, dass sich für die Austragung der Winterspiele 2014 bewarb, zu einer ähnlichen Bewertung. Vgl. hierzu Hamberger, Sylvia et al.: Bewertung der geplanten Bewerbung für Olympische Winterspiele „München 2022“ durch das Netzwerk Nolympia, 05.08.2013 46 Kaufmann, Dirk: Das Spiel ums große Geld, in: Deutsche Welle, 26.07.2012, abgerufen auf http://www.dw.de/das-spiel-ums-gro%C3%9Fe-geld/a-16123300. Der Autor kommt unter Bezugnahme des Sportökonomen Henning Vöpel vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) zu folgendem Schluss: „Der erste Sieger der Olympischen Spiele steht bereits fest: Das IOC, der Veranstalter. Für Henning Vöpel kein Wunder, denn das IOC steht `am Ende jeder Austragung von Olympischen Spielen als Gewinner da’. Es kassiert von den Sponsoren und kann gleichzeitig die Infrastruktur-Investitionen dem Ausrichter überlassen.“ 47 Vgl. http://www.olympic.org/ioc-financing-revenue-sources-distribution?tab=distribution 14
bis zu 4,7 Milliarden Euro ein48, insgesamt wird ein Gewinn von 5,8 Milliarden Euro ausgewiesen. Zum Vergleich: Die Bundesbank als Zentralbank der Bundesrepublik konnte im Vergleichzeitraum einen Gewinn von 7,6 Milliarden Euro erzielen. Rechnet man den Gewinn des vergleichsweise erfolgreichen Jahres 2009 (4,1 Milliarden Euro) heraus, hätte das IOC immerhin 2,3 Milliarden Euro mehr erwirtschaftet als die Zentralbank des viertreichsten Staates der Welt.49 Abb. 3: Einnahmen des IOC aus Olympischen Spielen für ausgewählte Olympiazyklen (Angaben in Mio. US-Dollar) 8000 7000 6000 Lizensen 5000 Eintrittskarten 4000 Nationale Sponsoren 3000 Weltweite Sponsoren (TOP) 2000 Übertragungsrechte 1000 0 1993 - 1996 1997 - 2000 2001 - 2004 2005 - 2008 2009 - 2012 Quelle: IOC. Nicht angegeben sind Einnahmen der NOKs. Die perfide Geschäftspraxis des IOC wird besonders an den Vorgaben zur Budgetisierung deutlich. Grundsätzlich unterscheidet das IOC zwischen dem Durchführungsbudget (OCOG- Budget) und dem Infrastrukturbudget (NON-OCOG). Das OCOG-Budget umfasst die laufenden Einnahmen und Ausgaben der unmittelbaren Organisation der Spiele von der Eröffnungs- bis zur Schlussfeier. Im NON-OCOG-Budget werden alle olympiarelevanten und potenziell nachhaltig genutzten Investitionen abgebildet, die aus Sicht des IOC nicht unmittelbar mit den Spielen verbunden sind, d.h. zwar für die Spiele notwendig sind, aber danach anderweitig benutzt werden können. Ferner wird zwischen Maßnahmen differenziert, die nur bei einem Zuschlag für die Olympischen Spiele durchgeführt werden (u.a. Sportstätten, Mediendorf) und Maßnahmen, die auch ohne die Spiele realisiert werden sollen (z. B. Straßen- und Schienenbau). In zwei internationalen Bewerbungsphasen müssen potenzielle Gastgeber im ersten Schritt (Applicant City Phase) im sogenannten Mini Bid Book aktuell 25 Fragen des IOC beantworten und einen ersten Finanzierungsrahmen darlegen. Anschließend entscheidet das IOC Executive Board, welche Bewerberstädte in die zweite Runde (Candidate City Phase) kommen. Spätestens hier wird von Bewerbern verlangt, im weitaus detaillierteren Bid Book einen verlässlichen Finanzierungsplan über verschiedene Einnahmen und Ausgaben nach exakten Vorgaben des IOC darzulegen.50 Die Vorgabe des IOC, sämtliche dauerhaften Kosten im NON-OCOG-Budget abzubilden bzw. zu verbuchen, kaschiert die finanziellen Belastungen für die Ausrichterstädte, zumal die im Vergleich zum OCOG-Budget verbuchten Kosten weitaus höher sind und somit eines deutlich höheren 48 Haaß, Wolfgang: Die Profiteure der Ringe, in: die bank – Zeitschrift für Bankenpolitik und Praxis 49 Gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt. Vgl. IWF: World Economic Outlook Database, Oktober 2013 50 Vgl. Deloitte: Olympisches Wachstum. Die wirtschaftliche Entwicklung der Olympischen Winterspiele, 2009 15
Einsatzes öffentlicher Gelder bedürfen. Neben dem OCOG-Etat und dem NON-OCOG-Etat existiert allerdings ein weiterer, verdeckter Etat: Die nicht-olympiabedingten Investitionen, unter denen sich alle weiteren Kosten summieren lassen, die im Zuge der Olympia- Bewerbung angegangen werden, beispielsweise Infrastrukturprojekte oder Ausgaben für die Umgestaltung der Flächen in Freizeit- und Erholungsanlagen. Während der OCOG-Etat in der Regel die im Vergleich niedrigsten Kosten verursacht, ist es der einzige Etat, der halbwegs mit Geldern vom IOC rechnen kann. Sollte die Kalkulation allerdings nicht aufgehen und die Ausgabenseite die Einnahmen übersteigen, haben die SteuerzahlerInnen die Differenz zu zahlen. Mögliche Ausrichterstädte versuchen daher nicht nur, eine Deckungsfähigkeit im OCOG-Budget auszuweisen, sondern sogar das Budget so zu entlasten, dass am Ende hübsche kleine schwarze Zahlen herauskommen, denn auch dies ist vom IOC gewünscht. Dieser Überschuss, den seit Barcelona 1992 alle Ausrichter ausgewiesen haben, wird vom IOC unter nationalen und internationalen Sportverbänden verteilt.51 Im Gegensatz zum OCOG-Budget müssen die deutlich kostspieligeren Ausgaben aus dem NON-OCOG-Budget und die nicht-olympiabedingten Kosten in voller Höhe von der öffentlichen Hand getragen werden. Diese Budgetierungspraxis führt letztendlich dazu, dass nicht sauber zwischen investiven, operativen und organisatorischen Kosten unterschieden werden kann. Kritiker vermuten, dass dies eine schon länger praktizierte Absicht zur Verschleierung der tatsächlichen Kosten für 51 Weinreich, Jens: Was kosten die Spiele? Auf die Frage aller Fragen geben Leipzigs Olympiaplaner noch keine überzeugende Antwort, in: Berliner Zeitung, 14.01.2004 16
die Ausrichtung Olympischer Spiele ist.52 Insgesamt lässt sich nicht nachvollziehbar rechtfertigen, weshalb die SteuerzahlerInnen bei negativer Bilanz (bei den OCOG- Kostenstellen) sowohl für die mit der Durchführung verbundenen Kosten bezahlen müssen, als auch für die deutlich höheren Kosten aus dem NON-OCOG-Budget. Schließlich sind u.a. funktionierende Sportstätten, das Olympische Dorf oder eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur eine unerlässliche Grundlage, ohne die die Durchführung der Olympischen Spiele unmöglich wäre. Fragwürdig ist auch, weshalb bspw. nicht minder kostspielige Posten wie Sicherheit oder Stadtreinigung einseitig der Öffentlichkeit aufgebrummt werden, da sie unmittelbar mit der Durchführung der Spiele zusammenhängen. Letztlich scheint die willkürliche Budgetierung eine politische Entscheidung zu sein, um tatsächliche Kosten für die öffentliche Hand möglichst gering darzustellen und die Bewerbung bzw. Durchführung zu rechtfertigen. Multinationale Konzerne und Finanzwirtschaft Im internationalen Marketingprogramm des IOC versteckt sich der Goldesel der Spiele: das weltweite Lieferanten- und Lizenzprogramm. Konzerne wie Coca-Cola, McDonald’s oder Procter & Gamble bekommen hier exklusive Rechte, um Produkte während der Spiele gewinnbringend abzusetzen. Wie viel jedes einzelne Unternehmen dabei an das IOC überweist, wird unter Verschluss gehalten. Welch privilegierte Stellung den Sponsoren eingeräumt wird, zeigt die Verpflichtung der Ausrichterstadt, die das IOC vertraglich festsetzt: Die Stadt sichert den Sponsoren zu, dass sie ihre „kommerziellen Zielsetzungen im Gastgeberland erreichen können“. Praktisch bedeutet das, dass das Organisationskomitee jede Grillwurst und jedes Getränk bei den ausgewählten Lieferanten kaufen muss.53 Zum Schutz der Sponsoren ist es anderen Unternehmen oder Kleinhändlern unter Androhung hoher Strafen verboten, innerhalb bestimmter Bannmeilen Geschäfte zu machen. Die rechtliche Grundlage liefert der Gesetzgeber, beispielsweise verabschiedete die Londoner Regierung 2006 den vom IOC geforderten „Olympic Games and Paralympics Act“, der die Marke Olympia und die Sponsoren von geschäftsschädigender Konkurrenz schützt. Die „privilegierte Partnerschaft“ zwischen offiziellen Sponsoren und der Olympia-Familie führt zu skurrilsten Aktionen: So mussten wegen der Markenvorschrift bei den Spielen in London sämtliche Fabrikationsnamen des Toilettenporzellans im Olympischen Dorf überklebt werden.54 Der Vollzug der Sponsorenschutzgesetze wird von einer Art „Markenpolizei“ sichergestellt, die bei Bedarf Logos von Firmen überdeckt, die nicht bezahlt haben. In London sollen dafür 300 Spione eingesetzt worden sein.55 Markenexperte Thomas Otte beschreibt dieses Vorgehen der Sponsoren zwar als legal, aber nicht legitim: „Es ist ein erschreckender Beweis für die Macht der Marken, dass sogar der Gesetzgeber das Knie beugt. Die Wahrung kommerzieller Interessen ist verständlich, das beinahe militärische Bedürfnis keine anderen Flaggen im eigenen Reich zu dulden, geht aber zu weit. […] Starke Marken haben die Macht, das Denken, Handeln und Fühlen der Menschen zu versklaven.“ Der Rechtsexperte Paul Jordan äußerte gegenüber dem britischen Guardian, dass auch Zuschauer sich strafbar machen könnten, die Fotos machen und privat verbreiten: „Bei strenger Auslegung der Gesetze ist es durchaus vorstellbar, dass das Internationale Olympische Komitee durchsetzen könnte, dass das Posten von Bildern bei Facebook unmöglich wird.“ 56 52 Hamberger, Sylvia et al.: Bewertung der geplanten Bewerbung für Olympische Winterspiele „München 2022“ durch das Netzwerk Nolympia, 05.08.2013 53 Riedel, Katja: „Wer die Spiele will, muss ein paar Kröten schlucken“, in: Süddeutsche Zeitung vom 7.11.2013 54 Haaß, Wolfgang: Die Profiteure der Ringe, in: die bank – Zeitschrift für Bankenpolitik und Praxis 55 Thibau, Matthias: Olympia-Markenschutz treibt verrückte Blüten, Handelsblatt vom 27.07.2012 56 Vgl. Nachrichtenagentur pressetext vom 18.04.2012: Olympische Spiele: Marken knechten Zuschauer. Antisoziale Regelungen machen Posten von Privatfotos strafbar. Abgerufen auf http://www.pressetext.com/news/20120418018 17
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