Normung und Recht - der rechtliche Status von Normen

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Normung und Recht - der rechtliche Status von Normen
Normung und Recht

Normung und Recht – der
rechtliche Status von Normen

1. Begriff der Norm             1. Begriff der Norm

                                «Norm» bedeutet im allgemeinen
                                Sprachgebrauch «allgemeine Regel»
2. Rechtskraft von Normen
                                (auch im Sinne von Durchschnitt),
                                «Richtschnur», «Massstab». Des
                                weiteren existiert der Begriff «Norm»
3. Verweisung auf Normen
                                im Sinne eines Gebots oder Verbots
                                als Grundlage einer Rechtsordnung,
                                deren Verletzung eine Rechtswid­
4. Norm als Ausdruck            rigkeit darstellt und somit rechtliche
   des Standes der Technik      Sanktionen auslöst. In diesem Zusam­
                                menhang spricht man auch von einer
                                Rechtsnorm. Die «Norm» im Sinne der
5. Normen in Verträgen          festgelegten Vereinheitlichung von Ab­
                                messungen, Qualitäten, Herstellungs­
                                verfahren, Sicherheitsanforderungen
6. Produkthaftung und Norm      und Bezeichnungen industrieller und
                                gewerblicher Produkte wird als «tech­
                                nische Norm» bezeichnet. Technische
                                Normen dienen der Vereinheitlichung
                                technischer Sachverhalte. Mit der tech­
                                nischen Norm wird eine Vielzahl von
                                Ausführungsformen eines Erzeugnisses
                                auf eine wirtschaftlich vernünftige
                                Auswahl reduziert. Dadurch lassen sich
                                wirtschaftliche Abläufe wie Konstruk­
                                tion, Produktion, Vertrieb und Entsor­
                                gung eines Produktes rationalisieren.
Normung und Recht - der rechtliche Status von Normen
Nach der Definition der Internationalen     Im schweizerischen Bundesgesetz über        2. Rechtskraft
Normenorganisation (International Or­       die technischen Handelshemmnisse            von Normen
ganization for Standardization; ISO) ist    (THG) werden technische Normen defi­
eine technische Norm eine «technische       niert als nicht rechtsverbindliche, durch   Allgemein verbindliche Rechtskraft
Spezifikation bzw. ein Dokument, das        normschaffende Gremien aufgestellte
                                                                                        besitzen nur die Erlasse einer Behörde
der Öffentlichkeit zugänglich ist, in Zu­   Regeln, Leitlinien und Merkmale, wel­
                                                                                        (wie Gesetze oder Verordnungen),
sammenarbeit mit allen interessierten       che insbesondere die Herstellung, die
                                                                                        welche aufgrund der Verfassung
Kreisen und mit deren Konsens oder          Beschaffenheit, die Eigenschaften, die
                                                                                        hoheitliche Rechtssetzungskompetenz
allgemeiner Billigung aufgestellt wird,     Verpackung oder die Beschriftung von
sich auf die vereinten Ergebnisse von       Produkten oder die Prüfung oder die         hat. Die Normen hingegen werden
Wissenschaft, Technik und Erfahrung         Konformitätsbewertung betreffen.            von privatrechtlichen Organisationen
stützt, den grössten Nutzen der Allge­                                                  erlassen. In der Schweiz wird dies in
meinheit zum Ziel hat und von einem                                                     sieben Normenfachbereichen ge­
qualifizierten Gremium auf nationaler,                                                  leistet. Auf europäischer Ebene sind
regionaler oder internationaler Ebene                                                   es CEN, CENELEC und ETSI. Diese
angenommen wurde».                                                                      Organisationen sind aber nicht befugt,
                                                                                        Rechtsetzung zu betreiben, womit den
                                                                                        technischen Normen grundsätzlich der
                                                                                        Charakter der Rechtsverbindlichkeit
                                                                                        oder der Charakter einer Rechtsnorm
                                                                                        fehlt. Allerdings wird in Gesetzen oder
                                                                                        Verordnungen und auch in EU-Richt-
                                                                                        li­nien regelmässig auf Normen verwie­
                                                                                        sen, weshalb Normen in derartigen
                                                                                        Fällen durchaus rechtliche Auswir­
                                                                                        kungen haben können. Rechtliche
                                                                                        Auswirkungen entstehen auch, wenn
                                                                                        Normen den Status von anerkannten
                                                                                        Regeln der Technik haben, was im
                                                                                        Baubereich gemäss schweizerischem
                                                                                        Bundesgericht grundsätzlich vermutet
                                                                                        wird.

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Normung und Recht

    3. Verweisung                              net werden muss. Ein weiteres Argu­          Starre Verweisung
    auf Normen                                 ment für den Normenverweis liegt             Die starre (auch statisch genannte)
                                               darin, dass der Inhalt einer Norm für        Ver­weisung bezieht sich auf eine
    Die europäische Gesetzgebung über          die betroffenen Branchen und Anwen­          genau bestimmte Fassung, mit Titel
    die Sicherheit von Produkten (wie z.B.     der in der Regel besser zugänglich ist       und Datum benannte Norm. Die Norm
    die Niederspannungsrichtlinie oder         und häufig eine höhere Akzeptanz             wird dadurch Teil des Rechtserlas­
    die Maschinenrichtlinie) legt lediglich    geniesst als ein staatlicher Rechtserlass.   ses und erlangt Rechtskraft. Wird die
    die grundlegenden Sicherheits- und                                                      genannte Norm später geändert, muss
    Gesundheitsanforderungen fest, wel­        Der Verweis auf Normen erfolgt ent­          das Gesetz oder die Verordnung ent­
    che auf der Ebene der technischen          weder direkt (auch unmittelbar               sprechend angepasst werden, sofern
    Normen konkretisiert werden. Da die        genannt) oder indirekt (auch mittel­         die Verweisung aktualisiert werden
    Schweiz die New Approach-Richtlinien       bar genannt). Des weiteren wird zwi­         soll. Die starre Verweisung taugt des­
    der EU weitgehend übernommen hat,          schen gleitender und starrer Verwei­         halb nur bei einem Regelungsgegen­
    gilt dasselbe auch für die Schweiz (z.B.   sung unterschieden.                          stand, der vom Laufe des technischen
    für die Niederspannungserzeugnis-                                                       Fortschritts weitgehend unbeeinflusst
    Verordnung oder die Maschinenver­          Direkte und indirekte Verweisung             bleibt, wie z.B. bei Normen über Prüf-,
    ordnung). Der Gesetzgeber bedient          Wird in einem Rechtserlass die techni­       Berechnungs- oder Messmethoden.
    sich damit des sogenannten «Normen­        sche Norm explizit oder in allgemeiner
    verweises».                                Form (z.B. die von einem Bundesamt
                                               bezeichneten technischen Normen)               Ein indirekter Verweis findet sich
                                               genannt, handelt es sich um eine               beispielsweie in der Verordnung
    Verweisung bedeutet im Allgemeinen
                                               direkte Verweisung. Typischerweise             über die elektromagnetische
    die Verknüpfung einer Gesetzes- oder
                                               wird die Anwendung der Norm vom                Verträglichkeit (VEMV; SR 734.5)
    Verordnungsbestimmung mit einer
                                               Gesetzgeber vorgeschrieben.                    Art. 4 Abs. 2 Satz 1:
    anderen Gesetzes- oder Verordnungs­
                                                                                                «Ortsfeste Anlagen sind nach den
    bestimmung, oder die Verknüpfung
                                               Eine indirekte Verweisung liegt dann             anerkannten Regeln der Technik
    einer Gesetzes- oder Verordnungsbe­
                                               vor, wenn durch Verwendung einer                 zu installieren.»
    stimmung mit einer technischen Norm.
    Hierbei wird in der ersten Bestimmung      Generalklausel oder eines unbestimm­
    auf eine abschliessende Regelung ver­      ten Rechtsbegriffes wie «Stand der
    zichtet und hinsichtlich des nicht         Technik» etc. die Anwendung von
    geregelten Inhalts auf eine andere         technischen Normen bei der Rechtsan­
    Bestimmung oder eben eine private          wendung (implizit oder explizit) nahe­
    technische Norm Bezug genommen.            gelegt, durch den Gesetz- und Ver­
    Erst die auf diese Weise verknüpften       ordnungsgeber aber nicht angeordnet
    Bestimmungen bilden den vollständi­        wird.
    gen Regelungsinhalt.

    Der Normenverweis bietet sich insbe­         Ein direkter Verweis auf eine
    sondere dann an, wenn eine Norm              explizit genannte Norm findet sich
    (oder mehrere Normen) sprachlich,            beispielsweise in der Verordnung
    umfangmässig oder wegen der Dar­             über die technischen Anforderun-
    stellung (z.B. zahlreiche Zeichnun­          gen an Strassenfahrzeuge (VTS; SR
    gen) zur Übernahme in einen Rechtser­        741.41) in Art. 163 Abs. 5 litera a):
    lass nicht geeignet sind. Ebenso eignet        «Für hydraulische Anhängerbremsen
    sich der Normenverweis, wenn sich ein          gelten folgende Anforderungen:
    Regelungsgegenstand bekanntermas­              a) Der Anschluss für die Betriebs-
    sen weiterentwickelt und damit auch            bremse des Anhängers muss der
    mit einer Änderung/Weiterentwicklung           Norm ISO 5676 entsprechen; …»
    der entsprechenden Normen gerech­
4
Gleitende Verweisung                      Die Verweisungsmethode im                  Die massgebliche und rechtlich ver­
Eine gleitende (auch dynamisch            europäischen und schweizerischen           bindliche Anordnung findet sich dem­
ge­nannte) Verweisung liegt vor, wenn     (sicherheits)technischen Recht             zufolge ausschliesslich im eigentlichen
ein Rechtserlass auf eine Norm in ihrer   (New Approach)                             Rechtserlass-, und die Anwendung der
jeweils gültigen Fassung Bezug nimmt.     Das New Approach-Prinzip der EU            technischen Normen ist freiwillig.
Eine nachmalige Änderung der Norm         übernimmt die Kombination von
führt demzufolge nicht unbedingt zu       Generalklausel (Stand der Technik) und     Faktisch jedoch haben die technischen
einer Änderung des Rechtserlasses.        indirekter (normkonkretisierende glei­     Normen durchaus einen hohen Stellen­
                                          tende) Verweisung. Die rechtlichen         wert, denn zahlreiche Hersteller wen­
Bei der gleitenden Verweisung kann        Vorgaben werden in Form von grund­         den die technischen Normen an, um
zwischen (rechts)normkonkretisieren­      legenden Sicherheits- und Gesund­          von der Konformitätsvermutung zu
der und (rechts)normergänzender Ver­      heitsanforderungen und dem Bezug           profitieren. Zudem dienen die Nor­
weisung unterschieden werden. Mit         auf den Stand der Technik vorgege­         men als Referenzobjekt hinsichtlich des
der normkonkretisierenden Verwei­         ben und sind bereits ohne den Verweis      Stands der Technik.
sung wird der Inhalt des an sich voll­    auf die technischen Normen vollstän­
ständigen Rechtserlasses durch die        dig. Letztere dienen lediglich dazu, die   Zusammenfassend erscheint die
Norm konkretisiert. Die Revision der      gesetzlichen, bindenden Vorgaben zu        Methodik des New Approach als effi­
Norm lässt den Rechtserlass unberührt,    konkretisieren. Diese normkonkretisie­     ziente und praxisgerechte Rechtset­
pass ihn aber dem sich weiter entwi­      rende gleitende Verweisung hat den         zungsform, um die Schnittstelle zwi­
ckelnden technischen Stand an.            Vorteil, dass sie den Rechtserlass (wie    schen Rechtsordnung und technischer
                                          z.B. eine EU-Richtlinie und deren natio­   Normung sicher zu stellen. So ver­
Mit der normergänzenden Verwei­           nale Umsetzung) von Detailregelungen       knüpft sie Recht und Technik, indem
sung dagegen wird der unvollständige      entlastet und gleichzeitig die techni­     der Technik (und damit der Wirtschaft)
Inhalt eines Rechtserlasses durch eine    sche Weiterentwicklung zulässt.            ein Gestaltungsspielraum überlassen
Norm ergänzt (welche damit zur Erfül­                                                bleibt und die rasche Anpassung an
lung des Rechtserlasses auch zu befol­    Gemäss New Approach-Prinzip kön­           den technischen Fortschritt ermöglicht,
gen ist). Da der künftige Inhalt der      nen die Rechtserlasse als solche auch      ohne jedes Mal auch den Rechtser­
Norm aber nicht bekannt ist, ist auch     erfüllt werden, ohne die technischen       lass revidieren zu müssen. Weil hoheit­
der künftige Inhalt des Rechtserlasses    Normen tatsächlich anzuwenden. Mit         liche Organe (EU-Kommission zusam­
nicht absehbar, weshalb diese Verweis­    der Beachtung bestimmter technischer       men mit der EFTA und damit auch
technik dem Grundsatz der Gesetzes­       Normen ist lediglich (aber immerhin)       mit der Schweiz) als Auftraggeber der
klarheit widerspricht.                    die Vermutung verbunden, dass die in       Normung auftreten, ist sichergestellt,
                                          der gesetzlichen (oder verordnungs­        dass die gewünschten technischen
                                          mässigen) Regelung verlangten sicher­      Normen in der erforderlichen Quali­
                                          heitstechnischen Anforderungen erfüllt     tät auch vorhanden sind. Der schwei­
                                          sind (sog. Konformitätsvermutung).         zerische Gesetzgeber hat sich des­
                                                                                     halb zu Recht dieser praxisorientierten
                                                                                     Rechtsetzungsmethode angeschlos­
                                                                                     sen. Die jeweils unter einem Rechts­
                                                                                     erlass massgeblichen Normen werden
                                                                                     vom zuständigen Bundesamt bezeich­
                                                                                     net und im Bundesblatt titelweise ver­
                                                                                     öffentlicht.

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Normung und Recht

    4. Norm als Ausdruck                       nik besser reflektieren als die in Über­   Stand der Technik als nicht erfüllt gel­
    des Standes der Technik                    prüfung befindliche, bisherige Norm.       ten. In diesem Sinne erzeugen Nor­
                                               Bei der Beurteilung des Stands der         men auch bei deren Nichtanwendung
    Normen sind (oder sollten es sein) Aus­    Technik müssen daher auch eventuelle       eine Rechtswirkung. Zudem muss ein
    druck des Standes der Technik. Sie         Normentwürfe, die wissenschaftliche        Hersteller, der die Norm nicht anwen­
    geben die herrschende Auffassung           Fachliteratur, die Patentliteratur oder    det, beweisen, dass er trotz Nichtan­
    der technischen Praktiken wieder. Da       Richtlinien von Fachverbänden berück­      wendung der Norm die vorgeschriebe­
    technische Produkte (Geräte und Ein­       sichtigt werden.                           nen grundlegenden Sicherheits- und
    richtungen) hinsichtlich Sicherheit den                                               Gesundheitsanforderungen und den
    anerkannten Regeln der Technik ent­        Auch in der Schweiz verlangt die tech­     Stand der Technik (auf andere Weise)
    sprechen müssen, haben die an sich         nische Gesetzgebung (wie z.B. das          erfüllt hat.
    unverbindlichen Normen in dem Sinne        Produktsicherheitsgesetz oder die
    auch rechtliche Bedeutung bzw. eine        Erlasse zur Umsetzung von EU-Richt­        Über diesen Vermutungsmechanismus
    Drittwirkung. So wird beispielsweise       linien in der Schweiz) die Befolgung       wird die einzelstaatliche Normen­
    davon ausgegangen, dass eine               der anerkannten Regeln der Tech­           kontrolle eingeschränkt, und auch
    Maschine, die nach europäischen har­       nik oder die Erfüllung des Standes von     Gerichte sind an die harmonisierten
    monisierten Normen gebaut wurde,           Wissen und Technik. Auf der europä­        Normen faktisch weitgehend gebun­
    den verlangten Sicherheits- und            ischen Ebene bzw. im EWR wird nach         den. Die Mitgliedstaaten der EU haben
    Gesundheitsanforderungen genügt.           dem sogenannten «New Approach-             an sich lediglich die Möglichkeit, das
    Allerdings müssen Normen regelmäs­         Prinzip» ebenso davon ausgegangen,         Schutzklauselverfahren zur inhaltli­
    sig daraufhin überprüft werden, ob         dass die in technischen Richtlinien,       chen Über­prüfung und gegebenenfalls
    sie noch den Stand der Technik wie­        wie z.B. die Niederspannungsrichtli­       anschliessender (ganzer oder teilwei­
    dergeben. So ist beim Stand der Tech­      nie oder die Maschinenrichtlinie, nie­     ser) Ungültigerklärung oder Änderung
    nik eine gewisse Vorsicht am Platz:        dergelegten grundlegenden Sicher­          (i.d.R. Verschärfung) der Norm durch
    eine Norm ist nicht ohne weiteres mit      heits- und Gesundheitsanforderungen        die EU-Kommission in die Wege zu
    dem Stand der Technik gleichzuset­         dann erfüllt sind, wenn nach gültigen      leiten.
    zen, denn eine Norm, welche minimale       europäischen harmonisierten Normen
    Anforderungen an die Sicherheit stellt,    gebaut wurde. Man spricht in diesem        Die Bedeutung der europäischen har­
    kann beispielsweise aus der Sicht eines    Zusammenhang von der sogenann­             monisierten Normen ist mit dem New
    nachfolgenden Ereignisses wie einem        ten «Beweisvermutung zu Gunsten der        Approach zweifellos gestiegen. Die
    Unfall als unzulänglich bezeichnet         Normen» (Konformitätsvermutung).           Konformitätsvermutung und die euro­
    werden. Dass eine Norm nicht immer                                                    paweite Einheitlichkeit der Normen
    mit dem Stand der Technik gleichge­        Die Befolgung der Normen ist aber im       – welche zur technischen Harmoni­
    setzt werden kann, wird auch deutlich,     Rahmen des New Approach, der auch          sierung wesentlich beiträgt – haben
    wenn man an die lange Vorbereitungs­       von der Schweiz weitgehend über­           dazu geführt, dass sich Hersteller ver­
    zeit der Normen denkt: Bis die Norm        nommen wurde, nicht zwingend,              mehrt an ihnen orientieren. Damit das
    genehmigt und publiziert ist, könnte       die Erfüllung des Stands der Technik       Konzept aber wirklich funktioniert,
    sie von der Entwicklung bereits über­      jedoch schon. Der Hersteller kann die      muss das Engagement der betroffenen
    holt sein. Ebenso kann sie im Laufe der    Konformität seines Produktes mit den       Kreise in der Normung aufrecht erhal­
    Jahre von der technischen Entwick­         Anforderungen einer oder mehrerer          ten bleiben.
    lung überholt werden, weshalb wie          EU-Richtlinien auch mit anderen Mit­
    erwähnt Normen einer regelmässigen         teln nachweisen. Allerdings darf er den
    Prüfung unterzogen werden. Existiert       in den Normen festgelegten Stand der
    im Rahmen einer Normenüberprüfung          Technik bzw. das dort umschriebene
    bereits ein Revi­sionsentwurf (prEN), so   Sicherheitsniveau nicht unterschrei­
    kann dieser u.U. den Stand der Tech­       ten, ansonsten die gesetzlich verlang­
                                               ten grundlegenden Sicherheits- und
                                               Gesundheitsanforderungen bzw. der

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5. Normen in                               Wenn Normen dem Vertrag zu Grunde
    Verträgen                                  gelegt wurden und deren Einhaltung
                                               später strittig ist, kann dies für den Lie­
    In Lieferverträgen erachten es die Ver­    feranten eine Mängelhaftung auslö­
    tragsparteien (vor allem die Käufer­       sen. Dies kann bedeuten, dass er die
    seite) zur Umschreibung eines Leis­        mangelhafte Ware nachbessern muss
    tungskatalogs häufig als sinnvoll, auf     (und zwar auf den Stand der verein­
    technische Normen zu verweisen bzw.        barten Norm), das Geschäft rück­
    deren Anwendung durch den Herstel­         gängig gemacht wird oder dass er
    ler vertraglich zu vereinbaren. Damit      Schadenersatz leisten muss. Im inter­
    werden die vereinbarten Normen             nationalen Verhältnis ist zu beachten,
    zum verbindlichen Vertragsinhalt, bin­     dass Gerichte in Streitfällen tendenziell
    den aber nur die am Vertrag beteilig­      die Normen am Ort des Bestellers als
    ten Parteien. Durch einen solchen Ver­     Beurteilungskriterium beiziehen, wenn
    weis können die Eigenschaften und          im Vertrag nicht ausdrücklich auf
    die zu erbringende Leistung eines Pro­     andere Normen verwiesen wird. Mit
    dukts klar umschrieben werden. Bei         der Vereinheitlichung der Normen
    Meinungsverschiedenheiten, wie weit        in Europa sind allerdings derartige
    nun ein Produkt das Anforderungspro­       Nachteile für Lieferanten weitgehend
    fil erfüllt oder nicht, kann ein Richter   verschwunden, sodass die Normungs­
    die von den Vertragsparteien verein­       tätigkeit auf europäischer Ebene
    barten Normen seiner Beurteilung zu        auch unter diesem Aspekt eine posi­­-
    Grunde legen.                              tive Nebenwirkung zeitigt.

    Die Normen haben aber im Streitfall
    auch dann eine gewisse Bedeutung,
    wenn die Vertragsparteien nirgends
    ausdrücklich darauf Bezug genom­
    men haben. Der Richter wird sich näm­
    lich häufig genötigt sehen, zur Beurtei­
    lung von Meinungsverschiedenheiten
    bezüglich der geforderten Leistung
    eines Produkts auf Normen abzustel­
    len, da Normen in der Regel den von
    der einen oder anderen Vertragspar­
    tei zu erwartenden Stand der Technik
    abbilden.

7
Normung und Recht

    6. Produkthaftung                          die Einhaltung technischer Normen         gebracht wurde. Nachträglich einge­
    und Norm                                   alleine nicht genügt, die Fehlerfrei­     tretene Fehler und Gefahren konnten
                                               heit im Produkthaftungsprozess nach­      demnach zum Zeitpunkt der Herstel­
    Gemäss EU-Produkthaftungsrichtli­          zuweisen. Ein Grund liegt darin, dass     lung und des Inverkehrbringens des
    nie, welche auch in der Schweiz umge­      Sicherheits­normen einen Mindeststan­     Produkts objektiv nicht erkannt wer­
    setzt wurde, haftet der Hersteller eines   dard fest­legen (analog der grundle­      den, weshalb der Hersteller in einem
    Produkts für den Schaden, der durch        genden Sicherheits- und Gesundheits­      solchen Fall von der Haftung befreit ist.
    einen Fehler dieses Produkts verur­        anforderungen in den EU-Richtlinien),     Der Hersteller ist gemäss Produkthaf­
    sacht wurde, und zwar unabhängig           der nicht unterschritten werden darf.     tungsrichtlinie von der Haftung auch
    von seinem eventuellen Verschulden.        Nichts hindert einen Hersteller aber      befreit, wenn er beweist, dass der Feh­
    Man spricht in diesem Zusammenhang         daran, über den Mindeststandard hin­      ler darauf zurückzuführen ist, dass das
    von einer Kausalhaftung. Der Geschä­       auszugehen und die Sicherheit seines      Produkt verbindlichen, hoheitlich erlas­
    digte hat lediglich zu beweisen, dass      Produktes zu erhöhen. Manchmal ist        senen Normen entspricht. Der Herstel­
    er einen Schaden erlitten hat und dass     das sogar notwendig, dann nämlich,        ler hatte also aufgrund der gesetzli­
    dieser Schaden durch einen Fehler des      wenn die berechtigten Sicherheits­        chen Verpflichtungen gar keine andere
    Produktes kausal verursacht wurde.         erwartungen der Allgemeinheit über        Wahl, als nach der hoheitlich für zwin­
                                               den Mindeststandard hinausgehen,          gend erklärten (aber mangelhaften)
    Ein Produkt ist dann fehlerhaft, wenn      oder wenn eine Norm im Laufe der          Norm sein Produkt zu konstruieren. Ein
    es nicht die Sicherheit bietet, die        Zeit veraltet und den Stand der Technik   derartiger Fall ist im Falle der starren
    man unter Berücksichtigung aller           bekanntermassen nicht mehr reflek­        Verweisung auf Normen denkbar.
    Umstände erwarten kann. Die wich­          tiert. Ebenso gilt es natürlich, neben
    tigsten Um­stände, die berücksich­         der allfälligen Befolgung einer Norm
    tigt werden müssen, sind die Darbie­       anderweitige Aspekte zur Erreichung
    tung des Produktes, der billigerweise      der Fehlerfreiheit zu berücksichtigen
    zu erwartende Gebrauch, sowie der          (Qualität des Ausgangsmaterials, rich­
    Zeitpunkt des Inverkehrbringens. Hat       tige Anwendung der Norm, Qualitäts­
    nun ein Hersteller sein Produkt so her­    sicherung, Darbietung des Produkts).
    gestellt, wie dies nach anerkannten
    technischen Normen im Hinblick auf         Bezüglich Entlastungsbeweises zu
    das konkrete Produkt branchenüb­           Gunsten des Herstellers spielen tech­
    lich und anerkannt ist, und ist diese      nische Normen in erster Linie dann
    Produktionsweise von der Allgemein­        eine Rolle, wenn sich der Hersteller
    heit wie auch von staatlichen Stellen      auf den Stand der Wissenschaft und
    akzeptiert, so spricht zumindest der       der Technik zum Zeitpunkt des Inver­
    Anschein dafür, das Produkt erfülle die    kehrbringens des Produktes beruft.
    berechtigten Sicherheitserwartungen.       Die Produkthaftungsrichtlinie spricht
    Man spricht in diesem Zusammen­            in diesem Zusammenhang vom Haf­
    hang auch von einer Anscheinsver­          tungsausschluss für Entwicklungsri­
    mutung. Gleichzeitig muss an dieser        siken. Die technischen Normen hel­
    Stelle aber festgehalten werden, dass      fen entscheidend mit, den Stand der
                                               Wissenschaft und Technik mitzudoku­
                                               mentieren. Unter diesem Begriff ist der
                                               Inbegriff der Sachkunde zu verstehen,
                                               die im wissenschaftlichen und tech­
                                               nischen Bereich allgemein zur Verfü­
                                               gung stand, als das Produkt in Verkehr

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Normung und Recht

    www.snv.ch

    Schweizerischer Verband der Telekommunikation
        Association Suisse des Télécommunications
             Swiss Telecommunications Association

    www.asut.ch                                     www.electrosuisse.ch   www.fhs.ch
                                                                                        0807/2013 – 000 d

    www.sia.ch                                      www.swissmem.ch        www.vss.ch
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