OUT OF DAHLEM - IM DIENST VON MENSCH UND TIER MAGAZIN DES ASTA DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN NR. 10 / DEZEMBER 2009 - ASTA FU
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OUT OF DAHLEM Magazin des AStA der Freien Universität Berlin Nr. 10 / Dezember 2009 Im Dienst von Mensch und Tier
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Impressum O UT OF DAHLEM Editorial Liebe lesenden Menschen, und liebe OUT OF DAHLEM Schafe auf den Anwesenheitslisten, Magazin des AStA Käfer in der Borke, der Freien Universität Berlin Vögel in den Köpfen, Ausgabe Nr. 10, Pferde auf der Domäne Dahlem, Wintersemester 2009/2010 Nachteulen im Hörsaal, Ratten auf dem Schiff, Herausgeber_in Eichhörnchen im AStA-Garten! AStA der Freien Universität Berlin Otto-von-Simson-Straße 23 Diesmal gehts um 14195 Berlin, Telefon: (030) 839 0910 Falken in Kolumbien, Online: www.astafu.de Bullen auf dem Campus, Schweine im Versuchslabor, Redaktion Würmer im Bildungssystem, Öffentlichkeitsreferat AStA FU, Hummeln im Arsch oder Peter Flüh, Falko Grothe, Harald Herbich, Fischköppe in Hamburg. Frauke Liebertz, Kai Kampmann, Und noch mehr. Felix Koch Kontakt: oeffref@astafu.de Viel Spaß beim Überfliegen, Kaffeeklecksen und Lesen, Gestaltung/Illustrationen: die Redaktion Kai Kampmann Titelfoto: Michael Schulz Druck AStA-Druckerei Belichtung Medienraum, RefRat der Humboldt-Universität Auflage 5000 Exemplare Die Artikel spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion oder einzelner Mitglieder selbiger wider. Die abgedruckten Artikel erscheinen un- ter einer Creative-Commons-Lizenz. Sie dürfen unter Nennung der Autor_innen unverändert und unkommerziell weiter- verbreitet werden. Im Internet AStA-Homepage: www.astafu.de AStA-Blog: Bündnis für freien Bildung: www.freie-bildung-berlin.de Aktionsbündnis blogsport.astafu.de gegen Studiengebühren: Kurzinfos: www.abs-bund.de twitter.com/astafu Bündnis für Politik- Fachschaftsinitiativen: und Meinungsfreiheit: fachschaftsinitiativen.de.vu www.studis.de/pm
Inhalt 6 Die Axt im Walde Studi-Proteste in 10 Wien stören den Ich hab noch einen Koffer in Berlin. »Uni-Frieden« Oder Hamburg Dieter Lenzen auf dem Weg ins Abenteuerland 14 Wem gehört die Uni? Von einem Präsidenten-Port- rait, das keines war 22 Kein Einzelfall Zum alltäglichen Rassismus an der FU 26 Überleben statt schönes Leben Ein Gespräch über 32 Im Dienst von Militär auf dem Mensch und Tier Campus und neo- Die folgenreiche liberale Reformen Kooperation von in Kolumbien Boehringer Ingelheim und der Tierärztlichen Hochschule Hannover Foto: Kai Kampmann
38 Und alle finden‘s gut Anmerkungen zur Welle von Hörsaalbesetzungen 41 Edi Bese Es gibt kein richtiges Leben im falschen Bildungssystem 42 Streiken für veredelte Konkurrenz in Schule und 45 Aneignen statt Hochschule Enteignen Bildungsstreik Besetzung der 2009 Villa BEL an der TU Berlin 50 Kafka in Dahlem Zu den Folgen der Proteste anlässlich der Immafeier 2008
Die Axt im Walde Studierendenproteste in Österreich stören den »universitären Frieden« Text: Markus Schauta »Akademie besetzt!« (20.10.2009) Aufge- Bald darauf verlagert sich die Demonstration brachte Studierende besetzen die Aula der in die Uni. Weitere Student_innen schlie- Akademie der bildenden Künste in Wien. Die ßen sich dem Protestmarsch an. Das Ziel Aktion richtet sich vor allem gegen die Ein- steht rasch fest: Das Auditorium Maximum, führung einer Bachelor/Master-Struktur an größter Hörsaal der Uni Wien. Die dort statt- der Akademie. findende Biologie-Vorlesung wird unterbro- chen. Nach einer Abstimmung ist es klar: Das »Wessen Uni? – Unsere Uni!« (22.10.2009) Audimax ist besetzt! Im Sigmund-Freud-Park vor der Universität Wien versammeln sich gegen Mittag mehrere »Die Uni brennt!« In den darauf folgenden hundert Studierende. Mit ihrem Protest wol- Tagen springt der Funke auf andere Unis len sie auf die untragbaren Zustände an den über: Student_innen in Graz, Klagenfurt, Universitäten aufmerksam machen. Salzburg, Innsbruck und Linz solidarisieren sich mit der Protestbewegung. Es werden weitere Hörsäle besetzt. Österreichweit sind 6 OUT OF DAHLEM derzeit acht Unis besetzt.
Seit drei Wochen wird in den Medien täglich denen die Proteste unterstützt werden. Es über die Protestbewegung berichtet. Da tut sich was an den Unis und die Regierung rauscht es auch ganz gehörig im Boulevard- wird das auf Dauer nicht ignorieren können. Blätterwald: Die Kronen Zeitung unter der Knute des alten Hans (Dichand), berichtet in Das Audimax – Aushängeschild erwartet tendenziöser Manier. Als auflagen- der Protestbewegung stärkste Tageszeitung Österreichs schreibt sie den Lesern täglich neue Klischees von Die Österreichische Hochschüler_innen- saufenden, randalierenden und arbeits- schaft (ÖH) unterstützt die Proteste, hat scheuen Student_innen ins Blatt. diese aber nicht initiiert. Und das ist gut so. Denn damit ist die Gefahr, dass die Bewe- Dazu passen Sager wie der vom ÖVP-Chef gung von partei-politischen Überlegungen und Finanzminister Pröll, er »werde nicht gesteuert wird, erheblich vermindert. Dem zulassen, dass lautstarke Gruppen versu- Wissenschaftsminister Hahn und einigen chen, die Politik, das Land und die Steuer- Rektoren ist dies bewusst. Daher fordern sie zahler in Geiselhaft zu nehmen.« mit lauter Stimme die ÖH an die Verhand- lungstische. Die Studierenden verlangen Die Regierung versucht die Schuld am Uni- jedoch ein Ende der Phrasendrescherei und Debakel auf die deutschen Student_innen der Leersätze. Die Regierung soll ihre Ver- zu schieben. Diese machen aber gerade mal antwortung wahrnehmen und sich ernsthaft 7% der Studierenden in Österreich aus. Der mit den Problemen im Bildungssektor ausei- wahre Grund für die Misere ist das Versagen nandersetzen. Als Gesprächspartner ist nicht der Regierenden, die seit Jahren die sich die ÖH, sondern das Plenum anzusehen. ständig verschlechternden Zustände geflis- sentlich ignorieren. Das Plenum entscheidet und das Plenum sind wir! Diesem Negativbild, aufgebaut von Vertre- ter_innen der Regierung und der Kronen Im Audimax wird täglich ein Plenum abge- Zeitung, wird von den Protestierenden ent- halten. Dort wird über Anträge abgestimmt, schieden widersprochen. Denn der Erfolg die von Arbeitsgruppen oder Einzelpersonen der Protest-Bewegung hängt nicht zuletzt eingebracht werden. An den Plenarsitzungen vom Meinungsbild der Bevölkerung ab. Zu- kann jeder teilnehmen. Die Basisdemokratie sätzlich zum üblichen Print-Material (darun- verhindert, dass einige wenige sich zu Füh- ter eine eigene Zeitung) wird vor allem der rer_innen der Bewegung stilisieren. virtuelle Raum zum Protest-Ort. Allabendlich beteiligen sich mehrere tausend Personen Im Audimax finden aber nicht nur Plenarsit- über Livestream an der Besetzung des Audi- zungen statt. Das Audimax ist auch Politbüh- max. Mehr als 30 000 User tummeln sich auf ne: Schriftsteller wie Klaus Werner-Lobo und der Facebook-Seite der Protestbewegung. Robert Menasse treten hinter das Redner_in- Die Website unsereuni.at verzeichnet weit nenpult und solidarisieren sich mit der Be- über eine Million Aufrufe (eine Hack-Attacke wegung. Die Viennale-Premiere des Doku- ändert daran nichts). Die Protestierenden mentarfilms über Ute Bock, Gründerin des sind über Twitter (#unibrennt), Chat und Vereins Flüchtlingsprojekt, wurde im Hörsaal Skype miteinander vernetzt. ausgestrahlt. Dass die Proteste auch außerhalb der Unis Stermann und Grissemann wollen ihre Fern- auf breite Zustimmung stoßen, zeigen die sehshow aus dem besetzten Audimax über- mehr als 5000 Solidaritätserklärungen. Lau- tragen. Gustav und Anti-Flag unterstützten fend langen Sach- und Geldspenden ein, mit die Proteste mit ihrer Musik. OUT OF DAHLEM 7
Foto: Kai Kampmann Werdet aktiv! test-Zeitung. Diese informiert die Öffentlich- keit über die Anliegen der Bewegung. Andere Bereits am zweiten Tag der Besetzung be- Arbeitsgruppen kümmern sich um die not- ginnen sich Arbeitsgruppen zu bilden. Dort wendige Infrastruktur: Die Volksküche ver- werden (bildungs-)politische Forderungen pflegt täglich etwa 1500 Personen rund um ausgearbeitet und dem Plenum vorgelegt. die Uhr mit warmer Mahlzeit. Rechtshilfe Auf Gleichberechtigungs-Defizite im uni- und (psychologische) Erstversorgung stehen versitären System aber auch innerhalb der zur Verfügung. Die AG Müll (bei der letzt- Bewegung, wird hingewiesen. Die AG Presse endlich alle Studierenden mitmachen) sorgt betreibt unermüdlich Öffentlichkeitsarbeit. mit Putzmaschinen, Besen und Müllsäcken für Sauberkeit. Auch kreativer Protest findet statt: So wer- den Postkarten gedruckt, um diese den Zu- Reaktionen aus der Politik hause-Gebliebenen aus dem »Urlaub Audi- max« zu schicken. Theatergruppen machen Nachdem der Wissenschaftsminister die durch Freeze-Aktionen in der Stadt auf die Protestaktion zunächst ignoriert hat, zeigt Anliegen der Studierenden aufmerksam. er nun medienwirksam Einsatz für die Unis. 35 Mio. Euro will er aus eine Reserve für Als Gegengewicht zur Propaganda der Kro- Ausnahmesituationen locker machen. Damit nen Zeitung erscheint wöchentlich eine Pro- soll »die Bewältigung dieser zu Semester- 8 OUT OF DAHLEM
beginn aufgetretenen Ausnahmesituation« hoffen. In einem dringlichen Antrag wollen ermöglicht werden. – Ein Hohn gegenüber die Grünen mehr Geld für die Unis fordern. jenen, die schon seit Jahren die Unterfinan- Dadurch soll die langfristige Finanzierung zierung der Unis anprangern! Darüber hinaus der Universitäten sichergestellt werden. viel zu wenig. Den Unis fehlen eine Milliarde (Derzeit wird in Österreich nur 1,3% des Euro pro Jahr. Nur so kann ökonomische Bruttoinlandsprodukts den Hochschulen zur Freiheit der Unis im Sinne von Freiheit von Verfügung gestellt.) der Wirtschaft gewährleistet werden. – Freie Forschung und Lehre ohne Vorgaben durch Zwischen den Besetzer_innen des Audimax die Wirtschaft! und dem Rektorat der Uni Wien gibt es im- mer noch keinen Gesprächstermin. In einem Mittlerweile sind sich scheinbar viele Poli- Brief an das Rektorat wurde mitgeteilt, dass tiker_innen einig, dass etwas an den Unis Verhandlungen nur in direkter Kommunikati- ganz gewaltig schief läuft. Nachdem die Re- on mit dem Plenum geführt werden würden. gierenden die Unis jahrelang kaputt gespart haben, sehen sie nun die einzige Lösung in Was bleibt zu tun? einer Verminderung der Studierendenzahlen. Zugangsbeschränkungen und Aufnahmehür- Nur wenn Vertreter_innen aller Bildungs- den sollen aus dem öffentlichen Raum Uni einrichtungen an einem Strang ziehen, kann mehr und mehr einen Raum der Eliten, einen etwas bewegt werden. Die Bildungsmisere Raum für wenige, machen. betrifft nicht nur die Unis. Auch in den Kin- dergärten und Schulen herrscht Mangel an Für den 25. November ruft der Wissen- Betreuungspersonal und muss über besse- schaftsminister Hahn zu einem Dialog Hoch- re Strukturen nachgedacht werden! Diese schulpartnerschaft. Bedenkt man aber, dass Forderungen müssen nach außen getragen Hahn bald seinen Job in Brüssel antreten werden, damit die Bevölkerung versteht, wird, erscheint das eher als eine Hinhalte- dass es sich hierbei nicht nur um die überzo- taktik als ein ernst gemeinter Dialog. genen Ansprüche abgehobener Studieren- der handelt. Die aufgezeigten Probleme im Ob die von den Grünen beantragte Natio- Bildungssystem betreffen alle! nalratssondersitzung zum Thema Notstand an den Universitäten etwas bewirkt, bleibt zu Solidarische Grüße aus Wien! OUT OF DAHLEM 9
Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin. Oder Hamburg. Dieter Lenzen auf dem Weg ins Abenteuerland Text Ronny Matthes Er hat einen eigenen Fanclub, gute Freund_ ne« Freie Universität Berlin, die er auf keinen innen in Wirtschaft, Presse und Politik, eine Fall vorzeitig verlassen will. »Das wäre sonst Kampagne versucht an seinem Stuhl zu sä- ja, als hätte man ein Kind gezeugt und würde gen und momentan weiß er selbst nicht, was sich davonmachen.«3 Doch genau das könn- er will: Dieter Lenzen, seit 2003 Präsident te bald geschehen: Wie als erstes die taz am der FU Berlin, macht viel von sich reden. 12.11.2009 vermeldete, könnte Lenzen die Dennoch ist der Hochschulmanager des Nachfolge für die als Raketen-Moni4 bekannte Jahres1 2008 vielen Studierenden der FU ein und mittlerweile abgesetzte Präsidentin der Unbekannter. Wenn man doch die seltene Uni Hamburg, Monika Auweter-Kurtz, antreten. und fragwürdige Ehre hat, dem Präsidenten Seine Wahl durch den Hamburger Hochschul- auf dem Campus zu begegnen, fragt man rat jedenfalls erfolgte am 20.11.2009 mit einer sich, ob nicht ein Priester vor einer_m steht. klaren Mehrheit. Lenzen dazu: »Ich werde Selbst Die Zeit attestiert: »So ähnlich kleide- entscheiden, ob ich die Wahl annehme, sobald ten sich früher chinesische Volksführer.«2 die Verhandlungen abgeschlossen sind. Ich bin optimistisch, dass diese positiv verlaufen.«5 Er scheut öffentliche Auftritte an der Uni und war in diesem Jahr nicht einmal bereit, den An der FU Berlin werden die Studierenden Erstsemestern auf einer zentralen Imma- derweil im Unklaren gelassen. Selbst auf der trikulationsfeier eine Begrüßungsrede zu Sitzung des Akademischen Senats (AS) am gönnen. Grund genug, einmal näher hinzu- 18.11.2009, zwei Tage vor der Wahl Lenzens (!), schauen, wer dieser Dieter Lenzen eigentlich verkündete die erste Vizepräsidentin Lehm- ist und für was er steht. kuhl, dass sie von einer Kandidatur Lenzens für das Hamburger Präsidialamt nichts wüss- Teile und herrsche te. Dass diejenige, die kommissarisch das Amt übernähme, wenn Lenzen nach Hamburg Jahrgang ‘47, gebürtiger Münsteraner, ver- gehen sollte, den Anwesenden der AS-Sitzung heiratet, drei Kinder. Eigentlich vier: »Sei- glattweg ins Gesicht lügt, macht nicht viel Hoffnung auf eine konstruktive Zusammenar- beit. Auch dass mit Lenzens möglichem Rück- zug aus dem Präsidialamt der FU alle übrigen Probleme verschwinden, ist nicht anzuneh- men. Vielmehr ist es die starke Präsidiumspo- sition, die der_dem jeweiligen Präsident_in erlaubt, so autokratisch zu handeln, wie es Lenzen tut. Treffend stellte er fest, dass »die Verfassung der Freien Universität [...] von den Gremien beschlossen worden [ist], und diese Verfassung sagt sehr klar, dass das Präsidium entscheidet.«6 Da die Gremien der akademi- schen Selbstverwaltung auf Präsidiumslinie getrimmt sind, nimmt es nicht Wunder, dass die von Ihnen beschlossene FU-Verfassung ein dermaßen starkes Präsidium vorsieht. Auch auf Fachbereichsebene schickt sich Lenzen an, durch sogenannte Zielvereinbarungen die dortigen Prozesse zu beeinflussen. Nicht zu- 10 OUT OF DAHLEM
letzt die Mittelvergabe sorgt dort für erhebli- bestimmen sollten, wer ihr Kunde werden darf che Konkurrenz untereinander, die letztend- und wer nicht.10 Woher Lenzens Sinneswandel lich auch auf Kosten der Studierenden geht. kommt, ist unklar. Soll letztenendes doch der Ein Fachbereich mit hoher Abbruchquote konsequente studentische Widerstand gegen und wenig Absolvent_innen wird mit weniger die neoliberale Umstrukturierung der Hoch- Geld bedacht als ein »effizient« arbeitender schule auch ihn überzeugt haben? Oder ist es Fachbereich. Daher ist auch das Interesse der – wohl wahrscheinlicher – das Eingestehen dortigen Verantwortlichen groß, Langzeitstu- eines Fehlers, den er in der Vergangenheit als dis und in ihren Augen ineffizient studierende Allheilmittel gepriesen hat? In welche Richtung Menschen loszuwerden. Die FU bezeichnet das vermeintliche Eingeständnis geht, lässt die notwendigen Instrumentarien als »Prü- sich an seinem Essay Eine neue Chance für die fungs- und Abschlussberatungen«, unter den Bildung?11 ablesen: Nicht eine Reduzierung Studierenden als Zwangsberatungen bekannt. von workload durch längere Studienzeiten ist In ihnen werden Auflagen erteilt, in einer be- das Ziel, sondern die noch effizientere Struk- stimmten Zeit Leistungen zu erbringen. Tun sie turierung des Studiums. Denn »[d]as deutsche dies nicht, droht eine Zwangsexmatrikulation. Bildungssystem geht verschwenderisch mit Hier hätte das Präsidium die Handhabe, diese Lern- und Arbeitszeiten um. Die Gesamtlernzeit Regelung sofort auszusetzen, aber der (politi- im internationalen Vergleich ist zu gering. Die sche) Wille dazu fehlt. Lernzeit im Jahr, aber auch die Lernzeit an ei- nem einzelnen Tag ist vergleichsweise kurz.«12 Leistung um jeden Preis Lenzen scheint – nicht nur in diesem Zusam- menhang – aufklärungsresistent zu sein. Lenzen ist Leistungs- und Bundesverdienst- kreuzträger. Um die Welt und vor allem Geht schon mal vor, ich warte Deutschland in eine sonnige Zukunft zu füh- in der Lobby ren, engagiert sich der studierte Erziehungs- wissenschaftler, Philosoph und Philologe in Dieter Lenzens Seilschaften sind eng verstrickt diversen Netzwerken, so auch der Initiative mit seinem hochschulpolitischen Handeln. Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Dieser Ende August wurde bekannt, dass die Uni einen neoliberale Thinktank, der unter anderem da- auf 350 000 Euro festgesetzten Beratervertrag durch berühmt wurden, für knapp 58 000 Euro mit der Firma Scholz&Friends unterzeichnet Dialoge in der ARD-Serie Marienhof gekauft hat. Künftig berät S&F die FU in PR-Fragen, um zu haben,7 tritt für mehr Eigenverantwortung sie für die nächste Runde des Exzellenzwett- der Bürger_innen und die Beschränkung des bewerbs fit zu machen. Das Geld stammt aus Staates auf seine ›Kernkompetenzen‹ ein, Mitteln der Deutschen Forschungsgemein- was im Klartext die Aufweichung sozialstaat- schaft (DFG). Als wäre es nicht schon besorg- licher Prinzipien, also die Aufkündigung des niserregend genug, dass Mittel, die in anderen Solidarprinzips bedeutet. Ganz im Sinne der Bereichen der Universität dringend benötigt INSM-Doktrin fordert Lenzen auch für das werden, für Propagandazwecke verschwendet Bildungssystem: »Gute Arbeit muss belohnt statt für den Wissenschaftsbetrieb ausgegeben werden, schlechte bestraft, darum geht es.«8 werden, stellt sich hier die Frage, inwieweit die Die Übertragung unternehmerischer Prinzipi- Auswahl gerade dieser Werbefirma auch von en auf die (Hoch-)Schulen ist ein Steckenpferd persönlichen Interessen Lenzens gelenkt war. Lenzens. Dass Profitstreben und Konkurrenz In seiner Funktion als Botschafter der INSM im direkten Widerspruch zu wissenschaftli- hat Lenzen zweifelsohne gute Erfahrungen mit chem Arbeiten und Bildungsauftrag stehen, Scholz&Friends gemacht. Politikwissenschaft- kümmert ihn wenig. Das Präsidium hat großes ler Rudolf Speth nennt S&F nicht umsonst das Interesse an schnellen, erfolgreichen Studie- ›Gehirn‹ der INSM. Auch AStA-Öffentlichkeits- nabsolvent_innen – was sich nicht zuletzt gut referent Falko Grothe stellte hierzu fest: »Dass in der Statistik macht. Folgerichtig wurde die Lenzen die öffentlichen Gelder [...] in sein ne- Bologna-Reform an der FU auch überaus rigi- oliberales Netzwerk fließen lässt, erweckt den de umgesetzt: möglichst kurze Studienzeiten, Eindruck der Begünstigung.« Anwesenheitspflicht, unflexible Studienverläu- fe, Bevormundungen allerorten.9 Die letzten Auch zur Presse hat Lenzen beste Kontakte. Äußerungen Lenzens hierzu widersprechen Mit den Worten »My gratitude also to the daily jedoch in weiten Teilen seiner bisherigen Ein- newspaper Tagesspiegel, which has accompa- stellung: So gibt er offen zu, starre Studien- nied the series as our media partner«13 bedach- zeiten seien nicht das Ziel, ein Bachelor müsse te er zur Einstein Lecture 2005 die Tageszei- auch in vier Jahren studiert werden können. tung, die ihn an der »Spitze des Widerstands« In der programmatischen Studie Bildung neu gegen die von der Politik bedrohten Hochschu- denken! (2005), für die Lenzen die Gesamtre- len sieht.14 daktion führte, wird noch rigoros dagegenge- halten. Dort fordert er unter anderem auch, Den letzten großen Jubelartikel verdankt Len- dass ›Bildungsunternehmen‹ zukünftig selbst zen Martin Spiewak, Redakteur im Wissens- OUT OF DAHLEM 11
Ressort der Zeit. Die Uni bin ich!15 heißt die sich Lehrerinnen konfrontiert seien.«17 Grundlage für betont kritisch-solidarisch gebende Lobhymne auf solche Behauptungen ist das Jahresgutachten Verkörperer des »neuen Typus des Hochschulma- Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem« nagers«.16 Interessant in diesem Zusammenhang (Aktionsrat Bildung, 2009), das Lenzen mit her- ist die Verleihung des Medienpreises 2006 des Akti- ausgab und als wissenschaftlicher Koordinator onsrats Bildung, in deren Laudatio Spiewaks Arbeit betreute. Was auch immer eine »ausgereifte Ge- im Ressort Wissen ausdrücklich erwähnt wurde. schlechtsidentität« sein mag – das anachronisti- Wer den Vositz des Aktionsrates innehat, braucht sche Weltbild Lenzens zeigt sich hier abermals in kaum noch hervorgehoben zu werden: Dieter Len- Reinform.18 Gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zen. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt... werden verzerrt und ihrer ungeachtet von einer Bevorteilung weiblicher Schüler_innen ge- Seinen Fuß in der Tür der Staatsmedien sichert sich schrieben. Grund für das schlechte Abschneiden Lenzen übrigens als Mitglied im Rundfunkrat des männlicher Schüler_innen sei der hohe Anteil Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB). weiblichen Lehrpersonals, welches das positive Erleben von Rollenvorbildern verhindere, da sich Studentische Mitbestimmung? Fehl- Jungen nicht mit weiblichem Personal identi- anzeige fizieren könnten. In Lenzens Welt der Zweige- schlechtlichkeit (etwas anderes als ›Männer‹ und »Wir diskutieren nicht mit Funktionären«, so Len- ›Frauen‹, ›Mädchen‹ und ›Jungen‹ kennt sein zen im Gespräch mit Studierenden. Dass diese beschränkter Horizont nicht) tut es nichts zur sogenannten ›Funktionäre‹ die gewählten studen- Sache, wie sich real gelebte Kräfteverhältnisse tischen Vertreter_innen sind, scheint für ihn kein bemerkbar machen und dass männliche Domi- Widerspruch zu sein. Auch in den Gremien ver- nanz (nicht nur) in Schulen allgegenwärtig ist. sucht das Präsidium, kritische Stimmen nicht zuzu- Die Schlussfolgerung des Jahresberichts gibt lassen: Durch politisches Kalkül wird seit Monaten sich fatalistisch und hat mit jedweder Über- die Nachbenennung der studentischen Vertreter_ windung von sexistischer Gesellschaftsstruktur innen in der Kommission für Lehrangelegenheiten abgeschlossen: »Da es offenbar nicht gelingt, (KfL) verhindert. Dies wäre einer der wenigen Orte, tief sitzende Geschlechtsstereotype, traditionel- an dem konkrete Änderungen z.B. an der Durch- le Familienmuster und mit beiden verbundene führung der Bologna-Reform an der FU möglich Differenzen hinsichtlich der Lebenschancen aus- wären. Das Recht, die studentischen Vertreter_in- zugleichen und der Benachteiligung der Jungen nen der KfL zu bestimmen, liegt eigentlich allein entgegenzuwirken, wird es eine der Hauptaufga- bei den Studierenden selbst – Lenzen hat durch die ben des Bildungssystems sein müssen, die Dispa- gezielte Verschleppung die Kommission de facto ritäten entlang der Linie ›Geschlechterdifferenz‹ arbeitsunfähig gemacht. Hier zeigt sich exempla- zurückzunehmen und nicht – wie bislang – zu risch die Bevormundung durch das Präsidium. verstärken.«19 Ein offener Dialog zwischen Studis und Präsidi- Dieter Lenzen – Not My President um hat unter Dieter Lenzen nie stattgefunden und wäre angesichts vergangener Vorfälle auch nicht Die Kritik an der präsidialen Führungs(un)kultur unbelastet möglich. So ließ der Präsident bei- wird auf vielen Ebenen geübt. Die studentische spielsweise das im Rahmen des Bildungsstreiks im Kampagne Lenzen – not My President! versucht Sommer besetzte Präsidium polizeilich räumen; Zi- derzeit für eine Diskussion um die Person und vilpolizei auf dem Campus – das zeigt nicht zuletzt die Funktion eines Dieter Lenzen in der Studie- der Herbst-Streik dieses Jahres – wird zum Nor- rendenschaft zu sorgen. Die Initiator_innen der malzustand. Die Streikenden fordern deshalb nicht Kampagne stellen fest, dass »[d]ie demokrati- zu Unrecht, auch an der FU nach dem griechischen schen Mitbestimmungsrechte der Studierenden Modell zu verfahren und Polizei auf dem Campus [...] in den letzten Jahren unter Präsident Dieter nicht zuzulassen. Zudem ist dem AStA FU bekannt Lenzen massiv beschnitten [wurden].«20 Sie geworden, dass das Präsidium im Rahmen der Hör- wollen mit einer studentischen Urabstimmung saalbesetzung in der Silberlaube zusätzlichen pri- die Empfehlung aussprechen, den amtierenden vaten Wachschutz der Firma Securitas eingestellt Präsidenten abzusetzen. Von Seiten des AStA FU hat. Diese seien, so die Sicherheitsleute selbst, »zur wurde der Kampagne signalisiert, dass die Kritik Deeskalation« anwesend. an Lenzen, vor allem jedoch am Präsidialamt selbst, geteilt wird. Allein an der Form der Um- setzung studentischer Mitbestimmung scheiden Let’s talk about... gender sich die Geister: So dient eine Urabstimmung »der Meinungsbildung der Studierendenschaft« Unter dem apokalyptisch anmutenden Aufmacher und wird auf Verlangen von 10% der Studieren- Dürfen Jungen nicht mehr Jungen sein? stellte der den durchgeführt. Sie hat empfehlenden Cha- Spiegel fest: »Jungen haben laut Lenzen oftmals rakter an die Organe der Studierendenschaft.21 gar nicht die Chance, eine ausgereifte Geschlecht- Das ergibt sich daraus, dass studentische Urab- sidentität zu bilden, da sie im Kindergarten und stimmungen in der Satzung der Studierenden- in der Grundschule meist mit Erzieherinnen und schaft geregelt sind, die sich notwendigerweise 12 OUT OF DAHLEM
auch nur auf die Organe der Studierenden- schaft beziehen kann. Einen empfehlendem Charakter an den Akademischen Senat zum Beispiel, wie es die Kampagne suggeriert, hätte eine solche Abstimmung nicht. Bleiben also der Allgemeine Studierendenausschuss und das Studierendenparlament als Adres- sat_innen. Beide haben in der Vergangenheit keinen Zweifel daran gelassen, den Rücktritt Lenzens bewirken zu wollen. Eine Urabstim- mung wäre demnach der ineffektivere Weg, Dieter Lenzen abzusägen. Eine permanente inhaltliche Auseinandersetzung mit der feu- dalen Regierungsmacht des Präsidiums, eine Abkehr von zu stark personalisierter Kritik und ein konstanter, kämpferischer Protest, scheinen vielversprechender zu sein. hergehenden Satz fordert Lenzen, dass Schulen »wie Privatbetriebe geführt Was bleibt werden [sollten].« 9 Will man jedoch dem Interview mit Ob Dieter Lenzen nun geht oder nicht, das Liane von Billerbeck (Deutschland- Problem der überaus machtvollen Präsidi- radio Kultur) vom 2.11.2009 Glauben umsposition bleibt bestehen. Nicht nur die schenken, würde Lenzen gern »flexib- Person (ob sie nun Lenzen, Lehmkuhl22, Alt23 ler werden in Bezug auf die Zeiten. [...] oder wie auch immer heißt), sondern auch Also mehr Flexibilität und nicht so ein und gerade die Struktur einer Quasi-Präsi- starres Umgehen und Starren auf kurze dialdiktatur erschwert studentische Mitbe- Zeiten.« Dass es auch im Ermessens- stimmung an der FU Berlin enorm. Solange spielraum der Uni liegt, ob nun ein Ba- dieses strukturelle Problem nicht beseitigt chelor-Studium in drei oder vier Jahren ist, kann prinzipiell kommen wer und was erfolgt, erwähnt er nicht. wolle – und solange werden auch die Stu- 10 Bildung neu denken!, S. 39 dierenden weiterhin gegen eine Top-down- 11 in: Aus Politik und Zeitgeschichte Universität kämpfen. (APuZ 45/2009), www1.bpb.de/publika- tionen/T0BXBW,0, Eine_neue_Chance_f%FCr_die_Bil- dung_Essay.html (16.11.2009) 12 ebd. 13 aus der Rede zur zweiten Einstein- Lecture 2005 14 Tagesspiegel, 02.08.2009 15 Zeit, 17.09.2009 16 ebd. 1 Die Auszeichnung wird von der Financial 17 Spiegel, 12.03.2009 Times Deutschland (FTD) und dem Cen- 18 Unvergessen auch sein Ta- trum für Hochschulentwicklung (CHE), einer gesspiegel-Kommentar Gründung der Stiftung eines der größten Die Religion kennt mehr als vernünftige deutschen Medienkonzerne (Bertelsmann), Gründe«, in dem Lenzen sich – die verliehen. christliche ProReli-Initiative verteidi- 2 ZEIT, 17.09.2009 gend – in die Nähe des Neo-Kreationis- 3 Tagesspiegel, 2.8.2009 mus rückte. (Tagesspiegel, 24.04.2009) 4 Auweter-Kurtz hatte als Raketenforscher_ 19 vbw – Vereinigung der Bayerischen in mit der Rüstungsindustrie zusammenge- Wirtschaft (Hrsg.): Geschlechterdiffe- arbeitet. Weiterhin erließ sie aufgrund eines renzen im Bildungssystem, Wiesbaden kritischen Fernsehberichtes eine Richtlinie, 2009. laut der sich Lehrende nur in Rücksprache 20 http://lenzennotmypresident.word- mit der Uni-Pressestelle in den Medien äu- press.com/infos/ziele-der-initiative ßern sollten. (16.11.2009) 5 Hamburger Morgenpost, 23.11.2009 21 festgelegt in §13 Abs. 2 der Satzung www.mopo.de/2009/20091123/hamburg/ der Studierendenschaft der Freien Uni- politik/kritische_stimmen_sind_voellig_ versität Berlin normal.html 22 Erste Vize-Präsidentin 6 Deutschlandradio Kultur, 2.11.2009 23 Prof. Dr. Peter-André Alt, glühender 7 die tageszeitung, 24.07.2009 Lenzen-Bewunderer, wird als möglicher 8 Interview mit Die Zeit, 23.11.2007. Im vor- Nachfolger Dieter Lenzens gehandelt. OUT OF DAHLEM 13
Wem gehört die Uni? Von einem Präsidenten-Portrait, das keines war Text: Ralf Hutter Am 17. September veröffentlichte die Wo- chenzeitung Die Zeit unter dem Titel »Die Tatsächlich aber ist Lenzens inner- wie au- Uni bin ich« eine Darstellung des Präsiden- ßeruniversitäres politisches Wirken, quasi ten der FU, Dieter Lenzen, die auf Grund ih- das Projekt, an dessen Spitze er sich setzt, rer impliziten Maßstäbe, Oberflächlichkeiten sehr wohl von Interesse für die Öffentlich- und Auslassungen nicht unwidersprochen keit, und sollte eigentlich in einem Artikel bleiben darf. Von einem ›Porträt‹, wie es von der Länge des hier kritisierten ausführ- zumindest im Untertitel der Online-Version lich gewürdigt werden. Es stellt nämlich mit- heißt, kann daher nicht die Rede sein. Viel- tlerweile einen der größten Einflüsse bei der mehr wurde schlicht gezeigt, dass Lenzen Umgestaltung des Schul- und Uni-Systems gewisse Anforderungen an ›Uni-Manager‹ gemäß kapitalistischen Zwängen dar. erfüllt, bisweilen sogar übererfüllt. Zeit-Re- dakteur Martin Spiewak erzählt im Endeffekt Was lässt sich nun über die öffentliche Per- eine kleine Erfolgsgeschichte, die Personalie son Dieter Lenzen sagen? Zum ersten Mal Lenzen wird zu einem Glücksfall für die FU, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Berlin und Deutschland. er wohl 2003, als Hauptverantwortlicher einer im Auftrag der Vereinigung der Baye- Die Uni bin ich – unter diesem Titel könnte rischen Wirtschaft (VBW) erstellten Groß- prinzipiell auch ein kritisches Porträt eines, studie, die unter dem heutzutage typisch sagen wir, diktatorischen Selbstdarstellers pseudo-revolutionären Titel Bildung neu stehen. Doch wer den Artikel von Spiewak denken! erschien. In den Folgejahren konnte bis zum Ende liest, merkt, dass die in dem er die dort erarbeiteten Vorschläge zur Um- Titel angesprochene Anmaßung (übrigens krempelung des Bildungssystems vielerorts kein Lenzen-Zitat) nur am Rande – und eher präsentieren. Bildung neu denken! soll der pro forma, dem journalistischen Ethos der Name eines umfassenden Programms sein, Ausgewogenheit Minimal-Tribut zollend dessen Umsetzung bis 2020 für nötig ge- – kritisiert wird. In dem Text wird vielmehr halten wird. Dieses »Zukunftsprojekt« will überwiegend gerade das vermeintlich Posi- die mit dem deutschen Ausbildungssystem tive solcher Führungsanmaßungen hervor- (einschließlich des Hochschulsektors) ver- gehoben, wie schon der Untertitel andeutet. bundenen Rechte und Pflichten, Möglichkei- Die Berliner Tageszeitung Tagesspiegel über- ten und Zwänge gemäß den vermeintlichen schrieb im Februar 2007 in gleicher Manier Herausforderungen unserer Zeit neu defi- einen Artikel mit »Lokomotive Lenzen«. nieren. Ziel: »Erhalt des Wirtschaftsstand- orts Deutschland auf einem angemessenen Nun steht diese Lokomotive selbstredend Niveau«. Die dabei konkret nötigen Maßnah- nicht für irgendeinen Zug zur Verfügung. men wurden bereits in Büchern vorgestellt: Trotzdem hat in der Berichterstattung oft 2004 bzw. 2005 erschienen Bildung neu ihre bloße Geschwindigkeit, ihre Zugkraft denken! Das Finanzkonzept und Bildung neu Priorität, und nicht das, was sie eigentlich denken! Das juristische Konzept. Lenzen war genau hinter sich herzieht. Allzu oft wird nicht nur in beiden Fällen verantwortlicher den inneruniversitären Rangierarbeiten nicht Redakteur. Er ist auch Vorsitzender des 2006 viel Wichtigkeit beigemessen, wenn nur die von der VBW ins Leben gerufenen Aktions- Lokomotive besonders gut für Vorstöße in rat Bildung, der unter anderem überwachen Neuland geeignet erscheint. Und sei es eine soll, dass eine etwaige Umsetzung des Pro- Fahrt ins Ungewisse. gramms nicht verwässert wird. 14 OUT OF DAHLEM
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»besonders Begabte« schulische »Zusatz- Bei den Programminhalten findet sich zu- angebote« bis hin zu eigenen Einrichtungen nächst viel Bekanntes aus dem Milieu des gefordert. Marktfetischismus: Mehr Deregulierung, mehr Privatisierungen, mehr Eigenverant- Was für die Welt der Lohnarbeit von inter- wortung, Förderung von »Wettbewerbsbe- essierter Seite ständig als unbedingt nötig reitschaft« bei allen Involvierten, Zulassen dargestellt wird – mehr Wochenstunden, eines Marktes für Bildung (unter Abwe- längere Lebensarbeitszeit, höhere Arbeits- senheit des Staates im ›Weiterbildungs- verdichtung, Bereitschaft zu regelmäßi- markt‹), »Kostenbeteiligung der Nutzer ger Weiterbildung – wird in »Bildung neu von Bildungseinrichtungen«, Erleichterung denken!« v.a. für die Jugendzeit weiterge- der Gründung von Privatschulen, »Umge- sponnen: So sollen »Schulferien und andere staltung« der Hochschulen zu »Bildungs- lernfreie Zeiten für zusätzlichen Unterricht unternehmen« (mit »Kundenorientierung« verwendet werden können« und außerdem und »leistungs- und belastungsorientierter auf die Urlaubsdauer von Auszubildenden Bezahlung«), Ersetzung der »obrigkeitsstaat- verkürzt werden – dementsprechend wird lichen« Bildungsaufsicht durch »Manage- eine Umbenennung in »Schulurlaub« vorge- mentmodelle« usw. schlagen. Auf der pädagogischen Ebene lauten einige Das frühe Intervenieren in die Prägung jun- der zentralen Forderungen: »mehr Standar- ger Menschen dient einer sehr weit gehen- disierung«; »kontinuierliche Leistungsdiag- den Menschenformung, der Schaffung eines nostik« der Lernenden durch »permanente neuen Typs: Das »Individuum der Zukunft« Kreditierung« (also die ständige, Vergleich- solle »selbstverantwortlicher und in Be- barkeit ermöglichende Quantifizierung zug auf sein Leben ›unternehmerisch‹ tätig verschiedener Leistungen vermittels eines sein«. Der dazugehörige »sparsame Umgang einheitlichen Systems von ›Kreditpunk- mit Lebenszeit« soll institutionell ermöglicht ten‹) statt hin und wieder ein Zeugnis mit werden (z.B. Einschulung eventuell schon Noten; ›Schulleistungsscreenings‹ aller mit vier Jahren, dafür Schulpflicht nur bis 4- bis 6-Jährigen, um individuell unter- 14). Konsequenterweise soll von einer »strik- schiedliche Eintrittsalter in die Schule zu ten« Trennung von Arbeit und Freizeit nicht ermöglichen; und die Möglichkeit, dass Un- mehr ausgegangen werden. ternehmen »inhaltliche Erwartungen an das Schulsystem umsetzen«, also Einfluss auf Dass systematisch fremd gesteuertes lebens- Lehrpläne nehmen können. langes Lernen da eine große Rolle spielt, ver- steht sich von selbst. Da »Bildung neu den- Permanente, standardisierte Leistungserfas- ken!« ein umfassendes System denkt, in dem sung und die Aufhebung von Jahrgangsklas- (sehr) Jung und (sehr) Alt gleichermaßen sen dienen einer ›Ausdifferenzierung‹ der auf ständige Passfähigkeit am Arbeitsmarkt Lernenden, wie so etwas heutzutage heißt; anders gesagt: der Etablierung von folgen- reicher Ungleichheit. Die Einteilung nach bestimmten, als für die Beurteilung von Per- Oft wird den sonen zentral angesehenen Leistungen spielt eine Hauptrolle in dem Konzept. Die Studie warnt vor einer »Nivellierung nach unten durch leistungsunabhängige ›Gleichheit‹«. Eine soziale Verantwortung der Eliten gibt es nicht mehr – logisch in einem System, in dem die Selbstverantwortung in den Vorder- inneruniversitären grund gestellt wird. Die angedachten Hilfen für Benachteiligte firmieren unter der Maß- gabe, dass in der Bevölkerung »Bildungsres- Rangierarbeiten erven« versteckt sind, die es wie Schätze zu heben gilt, dass also das Verwertungspoten- tial so weit nur irgend möglich ausgeschöpft nicht viel Wichtigkeit werden muss. Schließlich soll kein kluger Kopf nur wegen einer finanziell ungünstigen Herkunft nicht zum Bruttosozialprodukt bei- beigemessen, tragen können. Auslese soll es nach ›unten‹ wie nach ›oben‹ geben. Während, wie immer bei solchen Ansätzen, nicht weiter ausge- führt wird, was mit den in diesem System Überflüssigen letztendlich (also bei langfris- tigem Misserfolg) geschehen soll, werden für 16 OUT OF DAHLEM
Kostenfaktoren gelten, die »Weiterbildung« der früher industrielle Reservearmee Ge- nannten eine Lösung sein könnte! Als paradigmatisch für Bildung neu denken! mag folgender Satz gelten: »In allgemei- ... solange die ner und arbeitsorientierter Bildung müssen unternehmerische Qualifikationen vermittelt werden, weil die Zukunft nicht durch den Lokomotive für Versorgungsstaat, sondern durch internati- onalen Wettbewerb geprägt sein wird.« Kri- tikbedürfnis gleich null, Hinterfragen scheint Vorstöße in Neuland bei solchen Themen nicht opportun. Wir werden uns zukünftig nun mal alle global und auf unternehmerische Weise bekämp- geeignet scheint. fen. In der Sozialwissenschaft gilt mehr als anderswo: Wer schweigt, stimmt zu. Und sei es eine Fahrt Lenzen war früher in der so genannten ›Hochbegabtenförderung‹ aktiv und vertrat noch im Februar 2004 bei einer Veranstal- tung der Berliner FDP-Fraktion die entspre- ins Ungewisse. chende Position, wonach die gemeinsame Beschulung von Kindern, die »nicht alle gleich viel leisten können« unproduktiv für Volk und Vaterland und eine »Belastung« für Klasse wie Lehrkraft sei. Nun ist ja gegen individuelle Förderung und die besondere achten müssen, wird in der Studie mehrfach Belohnung außergewöhnlicher Leistungen an die eigene Verantwortung für die persön- nichts einzuwenden. Eine andere Frage ist liche »Bildungsbiografie« gemahnt. Zur Un- aber, was genau den Privilegierten dann zu- terstützung soll ein System von »Bildungsbi- kommt, und was hingegen eventuellen Ab- ografieberatungen« nebst entsprechendem gewerteten blüht. Zumindest, was ersteren Berufszweig.geschaffen werden. Ein Extrem Punkt betrifft, ist klar, wohin die Reise geht: in besagter Ausbildungs-Fremdsteuerung Für Lenzen hat Elite offensichtlich irgendwie stellt die Forderung nach einem »Dokumen- mit kapitalistischen Unternehmen zu tun. tationssystem für Bildungsbiografien zur Deren Nähe ist zu suchen, ob im Falle von individuellen Weiterbildungssteuerung« dar. Kindern, oder von Universitäten. Wer sich vergegenwärtigt, welchen Ent- rechtungen und Pflichten Lohnarbeitslose Er selbst macht es schon vor: Lenzen ist heutzutage ausgeliefert sind, kann sich die Gründungsmitglied des Fördervereins der Verknüpfung eines derartigen Dokumentati- Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, einer onssystems mit den Repressionsbefugnissen von Großunternehmen finanzierten Lob- etwa einer Agentur für Arbeit gut vorstellen. byorganisation, und wurde im November »Individuelle Weiterbildungssteuerung« wird 2008 von der Financial Times Deutschland so zu einer Drohung. und dem kapitalfreundlichen Lobbyinstitut Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) Tatsächlich enthält die Studie schon einen zum Hochschulmanager des Jahres gewählt. Vorschlag in dieser Richtung: Gefordert wird 2006 schon war die FU vom Wirtschafts- eine »Weiterbildungspflicht für Arbeitslose magazin karriere und dem Wirtschaftsfor- und Sozialhilfeempfänger mit dem Ziel der schungsinstitut Prognos (das übrigens auch Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit«. die Studie Bildung neu denken! mit erstell- Der ideologische Charakter von Lenzens te) zur unternehmerischsten Hochschule Papier wird hier auch in gesellschaftsdiag- Deutschlands gekürt worden. In diese Zeit nostischer Hinsicht deutlich. Wieder ein- dürfte auch der Start des Forum Hochschul- mal sind die »Arbeitslosen« schuld an der marketing der FU fallen, einer Konferenz- sozialen Misere – sie sind, obwohl vielleicht reihe u.a. mit hohen Funktionären aus dem Jahre lang in Diensten eines Unternehmens Unternehmenssektor, deren ersten beiden stehend, erwerbsunfähig! Als ob in einem Tagungen »Die Universität als Dienstleister« System, wo seit Jahrzehnten alleine schon und »Unternehmen Universität« hießen. die technologische Entwicklung immer mehr Menschen in Arbeitsprozessen überflüssig Auch der Anlass, der Zeit-Redakteur Spie- (und somit »erwerbsunfähig«) macht, und wak kürzlich an die FU und somit zu Lenzen wo die Menschen am Arbeitsplatz primär als führte, passt in dieses Bild. Am 11. Sep- OUT OF DAHLEM 17
tember wurde die Deutsche Universität für Weiterbildung (DUW), »eine kommerzielle FU-Tochter«, feierlich eröffnet. Wenn die FU die Mutter dieser »ersten privaten staatlich anerkannten Weiterbildungsuniversität in Deutschland«(Selbstdarstellung) ist, dann Dubai? Eine Uni, die muss als Vater die Klett-Unternehmensgrup- pe gelten, laut Wikipedia »der führende pri- vate Anbieter von Bildungs- und Weiterbil- dungsdienstleistungen«. Die Beiden sind zu gleichen Teilen die Gesellschafter der DUW. mit Freiheit als Leit- Öffentlich vorgestellt wurde dieses Projekt bereits 2006. Aufsehen an der FU erregte es dann Anfang 2007, als die FU-Ethnologie äußerst kurzfristig ihr Institutsgebäude an wert aufmacht, ehrt die DUW verlor. Gleich nach Vorlesungsende Mitte Februar sollte das Gebäude mitsamt der eigenen Bibliothek geräumt werden, den Regenten von die Order dazu hatte das Institut aber erst im Dezember erreicht. Mitsprachemög- lichkeiten gab es keine. Laut Georg Pfeffer, Dubai? damals noch auf einer der beiden besetz- ten Ethnologie-Professuren (die dritte war lange unbesetzt), waren im neuen, kleine- ren Institutsgebäude sofort verschiedene Politikwissenschaftler Albert Scharenberg Renovierungsarbeiten nötig, die sich über trotz einstimmiger Voten der Fachgremien ca. zwei Semester zogen und wegen des auf eine befristete Juniorprofessur zu beru- damit verbundenen Lärms und zusätzlichen fen. Platzmangels »erhebliche Belästigungen« darstellten. Auch heute fänden längst nicht Doch was soll dieser verklärende Begriff? Ein alle Angestellten im Institutsgebäude Platz, »Wir« entsteht, weil Angehörige verschie- die Lehrveranstaltungen sowieso gar nicht, dener Fächer sich zum gleichen Zeitpunkt was zu »Reibungs- und Identitätsverlusten« um Gelder aus dem gleichen Programm führe. Das dürfte noch von der Tatsache bewerben? Gefördert werden mit dem Geld verstärkt werden, dass die Bibliothek damals der Bundesregierung schließlich Einzelpro- in der neu zusammen gesetzten Fachbe- jekte, wobei zusätzlich die Hochschulleitung reichsbibliothek aufging, die fast einen ein fördernswertes Gesamtkonzept für das halben Kilometer entfernt ist. Prof. Pfeffer zukünftige ›Profil‹ der Uni einreichen muss. will jedenfalls ein allgemeines Nachlassen Bekanntlich mussten überall in Deutschland der »Lesegewohnheiten« festgestellt haben, enorm viele Überstunden bei der Erstel- was dem Studium schade. Auch die stu- lung der Anträge geleistet werden. Letzte- dentische Hilfskraft Carla Dietzel sieht ihre re finden sich mittlerweile sogar in vielen Arbeit erschwert durch den weiten Weg zur persönlichen Publikationslisten aufgeführt, Bibliothek. Auf die Frage nach Verständnis wohl um den Mangel anderer Publikationen für die Umzugsmaßnahme, die ja eventuell in dem Zeitraum zu erklären. Ist es eine zu dem Wohl der gesamten Uni diente, winkt materialistische Analyse für einen Zeit-Re- Pfeffer ab: »Die Universität will aus bekann- dakteur, diese viele Arbeit zum Beispiel in ten Gründen ›Einkommen generieren‹. Sie Konkurrenzdruck, Streben nach Prestige, reduziert deshalb die Präsenz jener Fächer, oder einfach Druck von Möchtegern-Pro- die für ein solches Unterfangen unerheblich jektleitern begründet zu sehen, und statt sind.« dessen auf derart mystische Kausalitäten wie die Kraft eines vom Präsidenten vermittelten Das ist schon einmal kein Beispiel für das Uni-Patriotismus zu verzichten? »Wir-Gefühl«, das Lenzen laut Martin Spie- wak im so genannten Exzellenzwettbe- Doch derartige Identitätsstiftungen hat Spie- werb »einem großen Teil der FU-Angehöri- wak gerne, worin er sich mit Lenzen trifft. gen« einzuimpfen vermochte. Und solcher Er übernimmt auch dessen Darstellung der Fälle von, sagen wir, düpierten Instituten FU-Geschichte, ein Surfen auf der Grenze oder Arbeitsbereichen gibt es mehrere seit zwischen Propaganda und Geschichtsverfäl- Lenzens Amtsantritt. Bundesweites Aufse- schung. Lenzen hat seit Beginn seiner Prä- hen erregte seine politisch motivierte, und sidentschaft keinen Zweifel daran gelassen, bislang erfolgreiche Weigerung, den der dass er die sozialreformerischen Impulse, Rosa-Luxemburg-Stiftung nahe stehenden die seit den 60ern von der FU ausgingen, 18 OUT OF DAHLEM
als Makel und Hypothek betrachtet. Er wollte nicht ganz verständlich, nach. und will der Welt eine ganz andere FU prä- Mit »akademische Verwahrlosung« ist wohl sentieren. Das ist ihm nicht nur durch seine nicht die autokratische FU-Führung der Amtsführung gelungen – im kürzlich erstellen 60er gemeint, die ab 1965 u.a. durch so- elfminütigen Werbefilm zu Geschichte und wohl allgemeine, als auch konkrete (gegen Gegenwart der FU wird der studentische Auf- Erich Kuby) Verbote politischer Diskussi- bruch der späten 60er in nur ca. 15 Sekunden onsveranstaltungen sowie den versuchten thematisiert. Rausschmiss eines politisch unliebsamen Assistenten den studentischen Aufstand mit Spiewak bringt an mehreren Stellen des Arti- provozierte. Meint Spiewak vielleicht die Tat- kels ähnlich verkürzte Darstellungen. Im drit- sache, dass zwischen 1969 und 1976 mit Rolf ten Satz der folgenden Passage befindet sich Kreibich erstmals – und wohl auch letztmals übrigens ein Zeitfehler, bitte Vorsicht beim in Deutschland – ein Assistent Uni-Präsident Stolpern! war? Derartige Auswüchse der Reformbe- mühungen gab es ja öfter an der FU, weshalb »Anfang der neunziger Jahre freilich dachten sie vielen Menschen als enorm wichtige viele, das Ende der FU stünde kurz bevor. Alles Institution in Erinnerung geblieben ist. Selbst sprach für Humboldt – der Name, die Lage, der FU-Propagandafilm kommt nicht umhin, die Geschichte. Die Freie Universität dagegen, in besagten 15 Sekunden widersinnigerweise nach dem Krieg gegründet von den Amerika- (da Lenzen eher an die Rektoren von damals nern, in den sechziger Jahren das Epizentrum erinnert) festzustellen, welche gesellschaft- der Studentenbewegung, wurde zum Inbe- liche Wichtigkeit die studentischen Mobi- griff akademischer Verwahrlosung und linker lisierungen in puncto Gleichberechtigung Leistungsverweigerung. Streiks lähmten den und Demokratisierung hatten. Auch das eine Betrieb, die Gebäude gammelten vor sich »Leistung« im engeren Sinne? hin. Lenzen selbst erinnert sich noch gut an sein erstes Seminar, als er, aus dem biederen Für Spiewak zählt all das aber nicht bei der Münster kommend, eine Lektüreliste mit fran- Charakterisierung der FU und ihrer Vergan- zösischen Titeln verteilte.« genheit. Von seinem Rundgang vorbei an »schmucken Gebäuden« berichtend, legt Bieder scheint vor allem der Autor zu sein. Er er nach: »Selbst die Rostlaube, einst archi- verschweigt, dass besagter »Inbegriff« nur tektonische Metapher für den Niedergang für seinesgleichen existiert(e). Wie in Len- der Universität, glänzt in anderem Licht. Im zens besprochener Studie wird auch hier eine Innern findet sich kaum ein Schnipsel Papier einheitliche Leistungsskala vorausgesetzt, auf auf dem roten Teppich.« Die großspurige der nach einem bestimmten Maßstab alle Uni- Ausdrucksweise Spiewaks ist – auch in jour- Angehörigen und deren Leistungen platziert nalistischer Hinsicht – widerlich. Hier wer- werden können. Die zahlreichen, im In- und den gleich zwei vermeintliche Allgemein- Ausland geschätzten FU-Profs verschiedens- plätze präsentiert – doch leider erfahren wir ter sozialwissenschaftlicher Fächer, die über wiederum nicht, in welchen Kreisen sowohl Jahrzehnte hinweg inner- oder außeruniver- der nicht näher spezifizierte »Niedergang«, sitär einflussreiche Schriften veröffentlichten, als auch dessen zufällige Spiegelung in dabei aber vielleicht als einen Haupteinfluss der Architektur Gesprächsgegenstand und die Marx’sche Gesellschaftskritik aufwiesen, Konsens waren. Nachdem Spiewak sich gehören aus Spiewaks Sicht bestimmt nicht an einen Präsidenten anbiedert, der einen zu den Leistungsträgern. Oder diejenigen, die selbst für sein Amt überdurchschnittlichen kritische Denkschriften zur Lage des eigenen Autoritarismus an den Tag legt und die ihm Fachs verfassten und sich zeitintensiv für eine anvertrauten Menschen möglichst effizi- Demokratisierung der Uni einsetzten. Leis- ent der Humankapitalverwertung zuführen tungsverweigerung, zumal »linke«, ist es nach will; nachdem er diesen Machtmenschen als diesem Verständnis vielleicht auch, lieber Erneuerer und Retter einer sich gerade aus ein paar Seminare weniger zu besuchen, und der Asche ihrer unrühmlichen Vergangen- dafür in einer Fachschaftsinitiative oder einer heit erhebenden Uni darstellt, kann er nicht sonstigen studentischen Gruppe Institutspo- umhin, auch noch den völlig irrelevanten litik zu betreiben, sich quasi um die inneruni- Hinweis auf saubere Teppiche in seiner Lob- versitäre Kultur zu kümmern. Streiks sind laut rede unterzubringen! Autoritätsgläubigkeit Spiewak an sich schon abzulehnen, denn sie (an anderer Stelle lobt Spiewak die heute »lähmen den Betrieb« (wer mal einen mit- »hierarchischere Universitätsverfassung«) gemacht hat, weiß hingegen, dass sie im Ge- verbunden mit deplatziertem Reinlichkeits- genteil ganz schön Bewegung in den univer- bedürfnis – autoritärer Charakter ick hör dir sitären Alltag, und manchmal sogar in einige trapsen! Worüber wir nichts lesen ist, dass Regularien bringen). Und von der Ablehnung in besagtem sauberen Hauptgebäude für französischer Lektüren erzählt Lenzen heute Studierende kaum noch eine Möglichkeit be- noch – und Spiewak erzählt es schlecht, weil steht, legal (und kostenfrei) Annoncen oder OUT OF DAHLEM 19
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